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Der Dolch des Propheten: Historischer Roman
Der Dolch des Propheten: Historischer Roman
Der Dolch des Propheten: Historischer Roman
eBook451 Seiten6 Stunden

Der Dolch des Propheten: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Im Jahre 1188 wird der Waise Falko aus seinem Klosteralltag gerissen und zur Ausbildung bei den Tempelrittern gezwungen. Noch bevor dieser Wille seines unbekannten Vaters umgesetzt werden kann, wird Falko Ziel eines Attentates und überlebt nur knapp. Vor den Scherben seines Lebens stehend, ist er Ziel weiterer Anschläge, deren Ursache ihm unbekannt bleibt. Als er der Malteserin Elisabeth das Leben rettet, hilft sie ihm zum Dank bei der Suche nach seiner Herkunft. Die beiden verlieben sich ineinander. Nach der Aufnahme in den Orden offenbart sich dem jungen Templer allmählich eine düstere Vergangenheit: Seine Eltern wurden von Malik al Charim, einem arabischen Vasallen Saladins, und Henry de Fontes, dem Statthalter Maltas, umgebracht. Die Suche seines adeligen Vaters Raimund nach einem der größten Geheimnisse der Christenheit und die Familientragödie seiner Mutter Fatima, einer orientalischen Prinzessin, sind untrennbar damit verknüpft. Falko wird immer tiefer in einen Strudel schlimmer Ereignisse hineingezogen, die vor langer Zeit begannen und einen unglaublichen Fortgang finden. Dann erfährt er, dass sein angeblich ermordeter Vater noch lebt …
Kurzbeschreibung:"Der Dolch des Propheten" ist ein mittelalterlicher Roman aus der Zeit zwischen dem zweiten und dritten Kreuzzug, auf historischen Tatsachen fußend.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum3. März 2017
ISBN9783741897412
Der Dolch des Propheten: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Der Dolch des Propheten - Ralf-Erik Thormann

    Kapitel 1

    Der Mond nahm zu, es war gestern schon zu bemerken.

    Die Schnallen am Sattelzeug knirschten vernehmlich, während ich unter den letzten Bäumen hervorpreschte.

    Äcker! Endlich lag das Bauernland vor uns!

    Rücksichtslos ging es vorwärts über den bestellten Boden. Mehrere Male strauchelte der Braune ansatzlos, fing sich aber wieder. Nur nicht wegrutschen, ein Sturz jetzt konnte tödlich sein. Die Verfolger würden jeden noch so kleinen Fehler gnadenlos ausnutzen.

    Die Pferde konnten nicht mehr. Der mörderische Galopp würde sie bald endgültig zusammenbrechen lassen.

    Seit zwei Tagen war ich unterwegs; ein Handpferd dabei, um den Braunen nicht zu sehr zu belasten. Trotz steter Wechsel waren sie nun fast zuschanden geritten, und es mochten noch 20 Meilen bis zum Ziel sein. Ich musste unbedingt den Hafen von Sapralles erreichen, um von dort nach Malta überzusetzen!

    Meine Verfolger waren nicht zu sehen. Der Abstand zu ihnen blieb sicherlich mehr als gering. Trotzdem nahm ich das Tempo deutlich zurück.

    Der Morgen kam, und die Pferde brauchten unbedingt ein wenig Ruhe.

    Unzählige Spatzen fingen an zu schimpfen, als ich an einem Wasserloch neben einem weiteren Hohlweg hielt.

    So ging es nicht weiter. Auch wenn die Feinde nahe waren - ohne Pferde würde der Tod sicher sein!

    Nachdem sie wieder etwas zu Luft gekommen waren, gab es eine Handvoll Hafer und für mich ein Stück trockenes Brot. Erschöpft sank ich in das feuchte, weiche Moos neben einem Baum. Die Augen fielen mir schon zu, während die Gedanken noch zu Elisabeth wanderten. Unser letztes Treffen schien gerade erst vorbei zu sein, obwohl es mittlerweile lange Tage zurücklag.

    Benommen fuhr ich wieder hoch. Kein Traum!

    Jetzt war es deutlich zu hören - galoppierende Reiter. Sie hatten die Spur doch nicht verloren und mich eingeholt!

    Eine Flucht war jedoch mit diesen Pferden unmöglich!

    Dem einen stand nach wie vor der Schweiß in Flocken auf dem Fell - es hatte die Hauptlast der Anstrengungen tragen müssen. Das andere stierte nur noch vor sich hin und schlief schon wieder mit offenen Augen.

    Vielleicht ließe sich das Ziel doch nicht mehr erreichen ...

    Energisch wischte ich die trüben Gedanken beiseite. Zuviel hing von meinem Überleben ab!

    Es blieb noch der Kampf!

    Eilig wurden die Tiere hinter einem großen Haselnussstrauch angebunden. Locker um die Nüstern gewickelte Tücher verhinderten jedes Schnauben. Geduckt lief ich zum Hohlweg zurück und wartete dort hinter einer dicken Eiche.

    Drei Reiter preschten den alten Weg entlang, der durch ausgewaschene Wurzeln uralter Bäume und einen ausgetretenen Pfad dazwischen seinen Verlauf bekommen hatte.

    An den Seiten aufgeworfene Erde und Steine hatten über Jahrzehnte hinweg die Ränder aufgewölbt. Trotz der engen Wegführung näherten sich die Verfolger sehr schnell. Der Hohlweg bebte regelrecht, während die Hufe hart auf den Boden trommelten und Dreck hochschleuderten.

    Ein kurzer Blick genügte - Assassinen!

    Es waren die Männer, die Arabicus´ Kloster überfallen hatten und mich seitdem verfolgten!

    Die drei würden alles daran setzen, nun zum Erfolg zu kommen.

    Mir blieb keine Wahl - Angriff oder Tod!

    Ich richtete mich halbhoch auf, zog das Schwert und wartete. Als die Mörder fast auf gleicher Höhe waren, folgte ein mächtiger Sprung über den Rand des Hohlweges hinweg. Nur so würde ich den ersten von ihnen vernichten können …

    Sein Pferd wieherte erschrocken und zuckte im Laufen zusammen, als plötzlich ein laut schreiender Körper von oben herabstürzte. Der Reiter versteifte sich, während er es zu bändigen versuchte. Sein Schwert kam nur halb aus der Scheide; zu sehr wehrte sich das panische Vollblut gegen die Zügel.

    Dann hatte ich ihn erreicht.

    Nicht mehr als ein Wimpernschlag schien seit dem Absprung vergangen zu sein. Meine Klinge durchschlug einen leichten Panzer direkt neben dem Schildrand, mit dem der Attentäter sich zu schützen suchte. Mit einem Knirschen gaben die eisernen Glieder nach. Die Wucht des Schlages hob ihn förmlich rückwärts aus dem Sattel, bevor wir mit den Körpern zusammenprallten.

    Sein schwarzes Gewand färbte sich schon rot, während er noch fiel. Der Mann schlug auf und blieb regungslos liegen. Mehr konnte ich nicht sehen, denn meine Augen wurden von dem tobenden Pferd regelrecht angezogen. Angsterfüllt schlug es in jede Richtung aus. Kaum eine Armlänge entfernt prallte ich bäuchlings hart auf dem festgetretenen Boden auf.

    Das Tier war einige Bocksprünge später so weit entfernt, dass es mich mit den Hufen nicht mehr treffen konnte.

    Mir blieb die Luft weg. Trotzdem rollte ich mich herum - gerade noch rechtzeitig, bevor der zweite Angreifer herankam. Mein Schwert war beim Aufprall weggeschleudert worden. Der Langdolch ließ sich mit der Hand unter dem Umhang nur erfühlen, so schnell aber nicht aus der verdrehten Scheide ziehen.

    Es blieb nur noch eine Möglichkeit.

    Ein Griff zum Stiefelschaft, und das darin versteckte Messer heraus!

    Noch fast liegend warf ich es vom Boden aus und traf. Der zweite Assassine fiel mit einem gurgelnden Geräusch aus dem Sattel, die Klinge seitlich im Hals. Meine Brust platzte vor Schmerzen. Sämtliche Luft schien den Körper seit dem Aufprall verlassen zu haben, ohne zurückzukehren. Außerdem kam ich nicht auf die Beine.

    Aber es blieb keine Zeit für Schwäche.

    Der dritte Reiter galoppierte heran, eine Lanze stoßbereit im Arm. Er hatte gesehen, wie seine Kameraden fielen und brüllte vor Wut. Mein Kopf dröhnte und der Blick verschwamm. Im ganzen Körper war ein unerträglich lautes Pochen zu hören. Der Feind schien direkt vor mir zu sein. Trotz des Schwindels rappelte ich mich hoch und riss den Schild des gefallenen Gegners nach oben, um die Lanze abzuwehren. Dabei verlor ich das Gleichgewicht und strauchelte. Gleichzeitig traf die Waffe des Reiters den Schild. Die Wucht des Aufpralles riss mich endgültig von den Beinen. Mein Kopf schlug hart auf dem Boden auf.

    Wie durch einen Schleier bemerkte ich, dass es lange nicht mehr geregnet zu haben schien. Der Boden war seltsam rissig. Mühsam wanderte der Blick zur Seite.

    Das verlorene Schwert lag fast in Griffweite!

    Instinktiv versuchte ich es zu erreichen. Mein Arm hinterließ mit jeder Bewegung Spuren auf dem Untergrund, und trockener Dreck sammelte sich an den Fingern.

    Und dann kam eine völlig andere Regung hoch, wie in einem Traum. Alles war plötzlich unwichtig. Einfach die Augen zumachen und schlafen!

    Nur ein innerer Drang trieb mich noch an, nach dem Schwert zu greifen. Trotz aller Anstrengungen kam ich einfach nicht an die Waffe. Der Boden schien klebrig wie Honig zu sein.

    Es musste einfach gehen!

    Plötzlich war ein neuer Gedanke da, der alles andere verdrängte.

    Elisabeth!

    Ich sah ihr Gesicht vor mir, roch die langen Haare fast, während sie auf mich einsprach.

    Wie bei unserem ersten Treffen in der Bibliothek im Haus ihres Vaters!

    Nur ließen sich diesmal die Worte nicht verstehen - trotz aller Anstrengung. Gleichzeitig war irgendwo im Hintergrund ein merkwürdiges Geräusch zu hören. Es störte mich nicht.

    Sie war so nah!

    Trotzdem - das Röcheln passte nicht zu der schönen Erinnerung. Gleichzeitig schienen meine Augen aus dem Kopf zu quellen.

    Dafür gab es keine Erklärung.

    Einen Moment später war ein unglaublicher Schmerz am Hals zu spüren, dermaßen stark, dass die Gedanken sofort klar wurden. Alle Sinne arbeiteten langsam wieder. Innerhalb eines Augenaufschlages erfassten sie die Situation.

    Der Assassine hatte mich mit der Lanze am Oberarm getroffen. Im Fallen war mein Kopf wohl auf eine Wurzel geschlagen, denn es fehlten einige Momente der Erinnerung. Während ich benommen dalag und mit offenen Augen träumte, hatte sich der Angreifer von Pferd und Lanze getrennt und würgte mich nun mit der Kette eines Morgensterns. Er versuchte den betäubten Körper vor sich dabei hochzuziehen, um das tödliche Werk schneller zu beenden. Allmählich wurde die Luft knapp. Außerdem würden mir die metallenen Kettenglieder gleich das Genick brechen!

    Der Druck um den Hals erhöhte sich unerträglich. Mit letzter Kraft versuchte ich mich zu befreien und wischte gleichzeitig mit dem Fuß nach dem Schwert. Der Assassine zog sofort noch fester an der Kette.

    Nichts!

    Das Stiefelmesser!

    Während mir bereits schwarz vor Augen wurde, hangelte ich nach dem rechten Bein, zog das Messer am Knauf heraus und stach es dem Gegner tief in den Oberschenkel. Ein lautes Brüllen, und der Mann fasste mit einer Hand nach der tiefen Wunde. Die Kette am Hals lockerte sich ein wenig. Sofort fasste ich nach, um Luft zu bekommen, und drehte mich dann zur Seite weg. Der Assassine griff wieder zu und wollte die Kette mit beiden Händen zurückziehen. Das war das Ende - noch einmal würde mein Hals dem Druck nicht standhalten können!

    Aber jetzt gab es mehr Platz, da er nicht mehr direkt hinter meinem Kopf stand. Ich holte weit aus und stach fast ungezielt, aber so kräftig wie möglich nach hinten. Die Klinge traf den Mann im Bauch und drang tief ein. Er stöhnte, ließ den Morgenstern los und fiel auf die Knie. Dann sackte der Feind in sich zusammen.

    Die schweren Glieder an meinem Hals hatten sich ineinander verhakt, deswegen dauerte es scheinbar Ewigkeiten, bis die Kette komplett gelöst war. Röchelnd sog ich die Luft ein. Das Durchatmen fiel anfangs schwer, aber es wurde besser. Mit dem Abtasten kam die Gewissheit - glücklicherweise gab es außer den Würgemalen keine weiteren Verletzungen.

    Der Assassine rührte sich nicht mehr.

    Ich durchsuchte die Angreifer. Sie hatten nur etwas Geld und einige Kleinigkeiten bei sich. Nichts gab Aufschluss über ihre Order.

    Hastig beseitigte ich alle Spuren des Kampfes.

    Es sollten nicht noch mehr Feinde auf meine Spur kommen. Nun noch den Dreck an der Kleidung abwischen und zurück zu den Pferden!

    Da Reiten immer noch unmöglich war, lief ich mit ihnen an der Hand so schnell wie möglich weiter.

    Die Hufe wie jetzt auch meine Füße waren mit Stoff umwickelt, damit es keine Abdrücke gab.

    Nach dem Verlassen des Hohlweges ging es wieder tief in den Wald hinein. Wir rasteten erst, als die Sonne unterging. Die Orientierung erfolgte jetzt ohne Fackel, allein anhand der Sterne. Nur keinen weiteren Kampf riskieren - zu wichtig war es, das Ziel zu erreichen!

    Arabicus wartete auf Malta. Wenn ich dort nicht erschien, würden unsere Pläne ins Stocken geraten.

    Das Überleben des Vaters hing von meinem Leben ab!

    Ich verscheuchte die trüben Gedanken und lief weiter, die Tiere hinter mir führend. Irgendwann verkrochen wir uns hinter einer Walnusshecke an einer kleinen Lichtung. Schnell dämmerte ich vor mich hin, trotzdem auf jedes Geräusch bedacht.

    Bis zum Morgengrauen hatten sich die Pferde halbwegs erholt, so dass vorsichtiges Reiten wieder möglich war. Hoffentlich hatten nun auch die letzten Verfolger meine Spur verloren.

    Gegen Mittag endete der Wald endgültig, und ich nahm einen Pfad zwischen den Feldern, der in einen breiten Weg mündete.

    Diesem folgten bald weitere.

    Je näher die Gegend unweit der Küstenregion kam, desto weniger Möglichkeiten gab es, natürlichen Schutz zu nehmen oder anderen Menschen auszuweichen.

    Mein Ziel war jedoch jedes Risiko wert …

    Die Landschaft wechselte allmählich. Statt der armseligen Lehmhütten am Waldrand sah man nun Steinhäuser. Später ritten wir an Äckern in voller Reife vorbei. Die Menschen waren nicht so ärmlich gekleidet wie in manch anderen Landstrichen. Man schien ihnen nicht alles abzupressen.

    Hunger machte sich bei mir breit. Ich hatte im Wald nur von Beeren gelebt und an diesem Tag noch gar nichts gegessen. Meine restlichen Vorräte bestanden aus einem Stück Brot und einer Handvoll Fleisch, und dies musste unbedingt noch länger reichen. Geld hatte ich nicht mehr. Aber irgendwie würde es schon weitergehen.

    Der Ritt setzte sich fort, und die Zeit verging.

    Als die Dämmerung fiel, bemerkte ich, dass ein weiterer Tag fast vorbei war. Mittlerweile hing die Müdigkeit wie ein bleierner Mantel an mir. In diesem Zustand ließe sich das Ziel nicht erreichen!

    Zwei Tage ohne richtigen Schlaf und ausreichende Nahrung, unter völliger Anspannung, machten sich deutlich bemerkbar.

    Auf einem abgelegenen Bauernhof konnte ich gegen das Hacken einiger Klafter Holz essen und im Stall schlafen.

    Der Bauer fragte nicht, warum ein abgerissener Unbekannter mit einem hervorragenden Pferd nicht bezahlte, sondern Naturalhandel vorschlug.

    Der Mond stand bereits in vollem Licht, als ich ins Stroh sank. Sämtliche Waffen lagen neben mir; der Sattel diente als Kopfkissen.

    Irgendwann wurde ich durch ein leises Rascheln direkt neben mir geweckt. Die Bewegungen kamen automatisch und fließend, zu oft waren sie geübt worden. Das Herausziehen des Messers ging einher mit einem ruckartigen Umdrehen. Mit der anderen Hand griff ich fest zu und hielt ein großes, zuckendes Bündel fest, das sich kräftig wehrte. Die Gegenbewegung des Armes mit der Waffe ließ sich gerade noch aufhalten, als klar wurde, um was es sich handelte. Das Knurren neben mir hörte nicht auf.

    Ein Hund hatte versucht, das Brot aus der Satteltasche zu ziehen. Ich ließ ihn vorsichtig los. Das Tier war dürr, eingefallen und dreckverschmiert. Dem Bauern gehörte es bestimmt nicht! Der ungebetene Gast zuckte deutlich zusammen und bleckte die Zähne, wich dann aber keinen Schritt zurück. Er schien den Kampf um jeden Brocken Futter gewohnt zu sein. Ich rutschte ein wenig weg, um ihn zu beruhigen. Das Anlocken blieb wirkungslos - zu groß war wohl die Angst. Nur langsam beruhigte er sich, um dann schließlich ein wenig näherzukommen. Es dauerte lange, bis ich ihn anfassen und streicheln konnte.

    Wir teilten statt des Brotes mein letztes Stück Fleisch, und danach war das größte Misstrauen verschwunden. Kurz vor dem Einschlafen legte sich das Tier direkt neben die ausgebreitete Decke.

    Der Hahn hatte schon lange gekräht, als ich wach wurde.

    Der nächtliche Besuch saß neben meinem Kopf. Seine Blicke folgten jeder Bewegung. Jetzt war es genug - er sollte sich nicht an mich gewöhnen!

    Das Wegscheuchen blieb erfolglos. Der Streuner wich nur wenig und verharrte dann wieder. Beim Versorgen der Pferde lief er mit und blieb unmittelbar in der Nähe.

    Ich wollte keinen fremden Hund mit mir herumschleppen - das würde nur Probleme und Aufsehen geben. Trotzdem tat er mir leid, und so teilten wir auch das letzte Brot. Damit war endgültig kein Schritt mehr allein möglich.

    So ging es nicht weiter.

    „Rufe Deinen Hund zurück! Er belästigt mich!"

    Der Bauer zuckte zusammen. Vielleicht war der Ton zu scharf gewesen.

    „Ich kenne ihn nicht. Er tauchte gestern kurz nach Euch auf und lief direkt in den Stall."

    „Dies ist nicht mein Tier! Vielleicht gehört es einem Deiner Nachbarn!"

    „Hier vermisst niemand ein solches Vieh. Es muss Eures sein!"

    So kamen wir nicht weiter - der Bauer verweigerte sich regelrecht. Der Mann wollte den ungebetenen Gast nur loswerden. Im Zweifelsfall würde er ihn nach meiner Abreise erschlagen, um seine Tiere nicht zu gefährden. Während wir uns unterhielten, verfolgte der Streuner aufmerksam das Gespräch, als wüsste er, worum es ging.

    Vorsichtig begann ich, ihn zu säubern. Er ließ alles geduldig über sich ergehen. Ein wilder Rüde hätte sich anders verhalten.

    Was sollte ich mit ihm machen? Mitnehmen, hierlassen - ignorieren?

    Er sollte selbst die Wahl haben. Nach dem Frühstück sprach ich ihn kurz an, stieg auf und ritt los. Er sprang sofort auf mich zu, um sich dann dicht bei den Pferden zu halten.

    Die Entscheidung schien gefallen zu sein ...

    Scheinbar hatte ich jetzt auch einen Hund. Ein imposantes Tier, braun-schwarz gefleckt, mit einer breiten Brust und mächtigen Beinen. Es reichte bis zur Flanke des Pferdes und konnte mühelos das vorgelegte Tempo halten.

    Die wachen Augen zeigten Interesse an allem. Nichts um uns herum, dass der neue Freund nicht mitbekam. Er hatte immer ein sonores Grollen parat, um auf etwas aufmerksam zu machen, und ein tiefes Knurren, sobald Gefahr zu drohen schien oder wir uns zu weit voneinander entfernten. Mich beschlich schnell das Gefühl, nicht mehr so alleine zu sein - der Findling suchte meine Nähe förmlich.

    Der weitere Weg war geprägt durch wechselnde Landschaften, ein verschärftes Tempo und den neuen Begleiter, der sich regelrecht mit mir zu unterhalten versuchte.

    Er wich keinen Moment mehr von meiner Seite. Auch weiterhin behielt er verschiedenstes Knurren und Bellen als Reaktion auf mich und alles um uns herum bei.

    Um kein Aufsehen zu erregen, blieben wir außerhalb der Ortschaften, je näher das Ziel kam. Meine Erscheinung, die abgerissene Kleidung, der Hund - zu vieles kam zusammen, was auffällig war.

    Einen halben Tag vor der Stadt folgte abends eine Rast an einem versteckt liegenden Weiher. Ich reinigte mich gründlicher, als es vorher möglich gewesen war.

    Das Spiegelbild im Wasser sah erschreckend aus. Ein eingefallenes, fahles Gesicht, der Bart Tage alt, überall Dreck. Darunter allerdings würde sich nichts so einfach verändern lassen. Die eingemeißelten Züge in einem wutverzerrten Gesicht ebenso wenig wie kalte, starre Augen, denen jegliche Wärme abhandengekommen war.

    Der heimtückische Überfall im Kloster und die folgende Flucht hatten unübersehbare Spuren hinterlassen - weniger der Angriff selbst als vielmehr die schier unglaubliche Macht dahinter. Es musste endlich ein Ende haben!

    Der Hass hatte längst begonnen, mich aufzufressen. Dazu die unendliche Sorge, ob alles noch auf den rechten Weg kommen würde - es zeigte brachiale Wirkung in seiner Gesamtheit.

    Wo war mein früheres Wesen geblieben?

    In diesem Moment bluffte es vernehmlich neben mir. Spürte der Hund etwa die Verzweiflung? Wollte er mich ablenken?

    Ich zwang mich, ihn erst dann anzusehen, als auch innerlich wieder eine freundliche Regung möglich war. Er drängte sich heran und leckte ausgiebig meine Hand.

    Mich schauderte.

    Wieweit war ich heruntergekommen? Sollte es noch weiter abwärts gehen? Am Ende dieser Entwicklung stand die völlige Gleichheit mit denjenigen, die ich verfolgte, und die nun Jagd auf mich machten. Das durfte nicht sein!

    Die Jahre in der Abtei konnten doch nicht vergessen sein!

    Ein weiterer Blick ins Wasser zeigte auch den restlichen Verfall meiner Erscheinung.

    Ein gemeiner Wegelagerer blickte hoch!

    Waren mir bisher nur die inneren Veränderungen im Gesicht aufgefallen, drängten sich nun auch die anderen Missstände regelrecht auf. In den letzten Tagen hatten Flucht, innere Zerrissenheit und die Sorge um die Zukunft jeden Blick für Äußerlichkeiten förmlich erstickt.

    Meine gesamte Kleidung war zerfetzt und dreckverschmiert. Der Überwurf hatte stark gelitten. Nicht einmal die Moosreste der letzten Nachtlager waren entfernt worden. Das Unterzeug aus Stoff hing in Fetzen herab. Und selbst der Verband, der die Wunde am Arm nur notdürftig verschloss, war durchnässt und verschoben. Weder Herz noch Verstand hatten all dies bisher bewusst wahrgenommen ...

    Allein das Medaillon mit dem Bild meiner Eltern war unter dem Kettenhemd gut geschützt und ohne Schaden geblieben.

    Es reichte - neben Flucht und ausufernden Gedanken musste die Wirklichkeit wieder Vorrang haben!

    Dem Waschen folgte die erste Rasur seit langem.

    Das gereizte und gerötete Gesicht ließ sich gut mit Moos kühlen. Anschließend trocknete das nasse Zeug über einem kleinen Feuer ohne viel Rauch. Währenddessen kümmerte ich mich um die Pferde und schmuste ausgiebig mit ihnen. Sie hatten bisher treu gearbeitet und waren weit über ihre Grenzen gegangen. Beide beantworteten die Zuwendungen mit freudigem Schnauben.

    Ohne sie würden sich die anstehenden Aufgaben nicht bewältigen lassen!

    Nach dem Verbinden des Armes legte ich mich nieder und ließ den Tag vorbeiziehen. Der Hund rollte sich kaum eine Handbreit entfernt auf der Decke ein, als würde ihn die Kälte stören. Vielleicht suchte das Tier auch nur noch mehr die Nähe, seit ich mir des falschen Weges bewusst geworden war.

    Zusammen mit vertrauten Erinnerungen kam innere Ruhe auf. Die alten Denkmuster gaben viel Sicherheit. Es war wie eine Rückkehr zu den alten Zeiten.

    Vielleicht würde sich alles zum Guten wenden, wenn auch ich auch innerlich an mir arbeitete. Mein eigenes Wesen durfte nicht verlorengehen, egal, was die kommende Zeit auch mit sich bringen würde!

    Hunger, kaum Schlaf, die Sorge, dazu der Hass auf unsere Feinde, die dies alles verursacht hatten - die Umstände hatten Körper und Geist fest im Griff. Hoffentlich waren die Veränderungen nicht schon zu nachhaltig geworden. Sonst würde Elisabeth mich kaum noch lieben können!

    In den kommenden Tagen würden das innere und äußere Spiegelbild sorgfältig auf Verbesserungen kontrolliert werden!

    Den neuen Freund neben mir und trotzdem die Hand am Schwert, schlief ich ein und träumte. Nicht von den Wirren der vergangenen Tage - diesmal waren es schöne Erinnerungen ...

    Die Sonne versuchte noch nicht einmal gegen den Mond anzutreten, als ich bereits das Feuer mit Sand zuschüttete und jede Spur verwischte.

    Die vergangene Nacht zeigte Wirkung. Jegliche schlimmen Erinnerungen schienen für den Moment wie weggewischt, ohne dass sich der Leichtmut früherer Tage eingestellt hatte. Ein Lächeln kam hoch, als die Pferde beim Satteln freudig schnaubten. Trotz der vergangenen Strapazen schienen sie nichts nachzutragen.

    Nicht nur körperlich fühlte ich mich gut erholt.

    Ein Blick in den Weiher gab mir Recht: Die Augen waren nicht mehr so hart, die Züge nicht ganz so eingefressen wie tags zuvor. Erleichterung machte sich breit. Vielleicht hatte die unheilvolle Entwicklung ein Ende.

    Die kommende Zeit würde ohnehin alle Kraft erfordern!

    Ich gab dem Pferd die Zügel frei.

    Bis zum Hafen hatten wir noch einen scharfen Ritt vor uns.

    Kapitel 2

    Der alte Küchenhund in der Fakturei auf Malta verhielt sich genauso wie mein neuer Freund, wenn er jemanden ins Herz geschlossen hatte.

    Malta - innerlich wurde mir warm, und das lag nicht an der aufgehenden Sonne.

    Andere Gedanken drängten sich dazwischen.

    Viel wusste ich nicht von meiner frühesten Jugend.

    Einige Erinnerungen gab es, meistens Bilder, die sich immer wieder ohne Zusammenhang vordrängten, wenn nicht damit zu rechnen war. Sie schienen weit vor der Zeit zu liegen, als ich dauernd weitergeschoben wurde.

    Umherziehen - dieser Gedanke war untrennbar verknüpft mit Unstetigkeit und Menschen, die anschließend für mich da waren, ohne den Jungen neben sich wirklich zu kennen.

    Die Vergangenheit brachte verschiedene Frauen, die sich um mich kümmerten, weil ich noch sehr klein war. Im Grunde namenlos, blieben sie fast beliebig austauschbar, wie die dazugehörigen Familien. Sie wechselten wie die Hütten, in denen ich mit ihnen lebte, und wie die Umgebung, wenn nach langer Reise wieder einmal alles von vorn begann.

    Jedes Mal brachte mich ein großer Mann mit gütigem Gesicht dorthin. Er war äußerst freundlich, aber sofort nach unserer Ankunft wieder verschwunden.

    Ich musste wohl noch sehr klein sein, denn die Menschen sahen wie Riesen auf mich herab.

    Nach dem Stehen begann auch das Laufen ohne Hilfe langsam zur Gewohnheit zu werden.

    Sobald die Gewöhnung an eine Familie eingetreten war, holte man mich wieder ab.

    Alles ging sehr schnell.

    Manchmal wurde ich sogar nachts aus dem Bett gezogen und musste zu dem großen Mann auf ein Pferd klettern. Am Ende des Rittes wartete wieder eine neue Frau, und mein Beschützer verschwand wieder.

    Ich fing an, mich innerlich an niemanden mehr zu binden, weil die nächste Veränderung ohnehin bald wieder bevorstehen würde.

    Unzählige Male wurden diese Gedanken nicht enttäuscht ...

    Über den vielen Ortswechseln wurde ich fast unbemerkt langsam größer.

    Längst war aus dem unbeholfenen Gehen ein schnelles Rennen geworden, aber trotzdem blieb die Einsamkeit ein steter Begleiter. Das Spielen fand nur unter Beobachtung statt, und oft sollte ich mich dabei verstecken. Es war mir bald verhasst.

    Immer, wenn Fremde erschienen, wurde das Geübte verlangt.

    Es blieb mir unverständlich ...

    Irgendwann, am Ende einer weiteren Reise, kamen wir nachts in ein Kloster. Nichts Ungewöhnliches - schon öfter war dies passiert. Erneut nahm man mich fast liebevoll in Empfang. Diesmal wartete allerdings keine Frau, sondern wieder ein Mönch.

    Man wies mir einen eigenen Raum zu. Obwohl karg eingerichtet, fand sich trotzdem Holzspielzeug. Das war mehr als in den meisten Familien zuvor.

    Ich konnte mich überall frei bewegen, aber an der Klostermauer endete die neue Welt.

    Weitere Reisen gab es nicht mehr. Irgendwann wurde dieser Ort mein Zuhause, obwohl nie jemand da war, wenn ich nicht einschlafen konnte oder etwas erzählen wollte.

    Bald waren täglich kleine Aufgaben zu erledigen. Ein Mönch brachte mir zusätzlich alles Mögliche bei - Getreidesorten, Vogelarten, Märchen, Einzelheiten über das Klosterleben und viele Geschichten aus der Bibel.

    Später, des Lesens und Schreibens mächtig, half ich in der Bibliothek. Dabei gab es immer wieder genug Zeit, sich die Folianten und Codizes genauer anzusehen, bevor sie wieder in den Regalen verschwanden.

    Ich liebte es. Oft fanden mich die Mönche noch spät abends in der Bibliothek, obwohl alle Aufgaben längst erfüllt waren.

    Die Zeit hier schien stillzustehen.

    Eines Nachts wurde ich wie früher aus dem Bett geholt und musste sofort meine Sachen packen.

    Diesmal wartete kein Pferd auf uns. Stattdessen lief der Mann von früher mit mir immer tiefer in den nahegelegenen Wald hinein.

    Irgendwann kamen wir zur Küste und später zu einer abgelegenen Stelle, wo ein Boot wartete. Schnell brachte es uns hinaus auf das Meer.

    Erst im Morgengrauen gingen wir irgendwo an Land. Es folgte ein langer Fußmarsch, wieder zu einem kleinen Kloster. Dort übergab mich der freundliche Mann einem wartenden Mönch. Kurz darauf schloss sich die Klosterpforte von innen. Nach dem Zuweisen einer Zelle war ich allein.

    Wieder einmal ...

    Nach einigen Tagen der Eingewöhnung bezog man mich komplett ins allgemeine Leben ein.

    Nun standen mehrfach täglich Gottesdienste an, und die Aufgaben wurden ausgedehnt. Wie ein Knecht musste ich selbst in der Küche arbeiten. Regelmäßig gehörten Gemüseputzen für das nächste Mittagessen der Mönche wie auch das Wischen des Bodens auf Knien dazu. Die Mönche schienen bei den zu verrichtenden Arbeiten vergessen zu haben, dass ein Knabe vor ihnen stand.

    Gleichzeitig hielt man mich jedoch auch regelmäßig zum Lesen an.

    Es fiel mir schwer, die Anforderungen zu erfüllen. Kurz zuvor noch mit den Freiheiten eines Kindes ausgestattet, galten nun andere, unbekannte Maßstäbe. Regelmäßig schlief ich vor Übermüdung in den Gottesdiensten ein. Zuviel harte Arbeit, dagegen kaum noch Momente der Ruhe ...

    Nach einiger Zeit des Einlebens schaffte ich mein Tagespensum leichter als bisher.

    Auch weiterhin nahm niemand Rücksicht.

    Irgendwann befasste man sich eingehender mit dem Neuankömmling. Es folgte eine intensive Ausbildung in jedem Bereich der klösterlichen Welt. Der Abt legte auf jede Kleinigkeit Wert. Endlich nahmen die harten körperlichen Arbeiten ab. Stattdessen achteten die Mönche auf unentwegte Zuführung von Wissen.

    Ich begann sehr schnell, es zu genießen.

    Dieses Kloster lag nicht versteckter als andere meiner bisherigen Aufenthaltsorte, wenn auch deutlich abgeschiedener.

    Man hielt mich zwar nicht direkt von der Welt jenseits der Mauern fern, achtete aber darauf, dass ich nicht mit fremden Menschen zusammenkam. Auch weiterhin war freie Bewegung nur innerhalb der Anlage erlaubt.

    Scheinbar war mein Aufenthalt hier auf lange Zeit ausgelegt. Eigentlich deuteten nur viele Kleinigkeiten daraufhin, aber in der Summe waren sie bedeutsam.

    Die kommenden Monate und Jahre gaben mir Recht.

    Es folgte nicht eine einzige Flucht mehr. Die Mönche versuchten, von Anfang an unentwegt ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln - als ob mein Bestimmungsort erreicht wäre.

    Vielleicht würde ich ja für immer hier bleiben ...

    Trotzdem räumte ich dieser Hoffnung bewusst wenig Raum ein.

    Wer wusste, was noch kommen würde ...

    Ich war bei den Zisterziensern gestrandet. Sie unterhielten eine kleine Abtei auf Malta, wie ein Bollwerk gegen die Zeit. Den Orden gab es sonst nirgendwo mehr auf der Insel, und umso enger war der Zusammenhalt. Man fand bei ihnen nicht die sonst in Klöstern übliche straffe Disziplin, die von einem harten Regelwerk unterstützt wurde. Dafür hielt ein freundschaftliches Miteinander in gesteckten Grenzen diese Großfamilie zusammen. Unüblich für den Orden, wie Ambrosius, der Abt, betonte, aber äußerst wirkungsvoll.

    Der Glaube war hier nicht nur eine Hülle oder ein Vorwand.

    Wärme prägte das Leben.

    Mittlerweile war ich zwölf Jahre alt.

    Schier unendliches Lernen beherrschte die folgenden Jahre.

    Naturwissenschaften, Sprachen, Landwirtschaft, Ethik und Moral - alle Bereiche des weltlichen und geistigen Lebens waren den Mönchen bei der Ausbildung wichtig.

    Bibliotheken übten auch weiterhin eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich aus, aber auch eine einzige selbstgezogene Möhre bewirkte ehrliche Freude.

    Die Mönche kümmerten sich ausnahmslos rührend um mich. Überall fand ich eine Schulter zum Anlehnen oder ein offenes Ohr, wenn es nötig war. Man steckte mir Kleinigkeiten zu und nahm mir Arbeiten ab, ohne dass der Abt davon erfuhr.

    Sie kümmerten sich wie eine große Familie um mich.

    Der Glaube bestimmte mein Dasein. Auch er ersetzte an vielen Stellen die fehlende Familie. Ich ging über die Jahre hinweg regelrecht darin auf. Trotzdem fand sich nie ein Gespräch darüber, mich in den Orden aufzunehmen. Scheinbar interessierte niemanden hier ein solcher Gedanke. Manchmal dachte ich schon darüber nach, aber die Zeit des Lernens war zu schön und überdeckte alles wie von selbst.

    Die Zeit verging.

    Allmählich wich das kindliche Denken einem Prozess der Weiterentwicklung. Meine Welt war weiterhin heil und sonnendurchflutet. Die trüben Gedanken der frühen Kindheit tauchten nur noch selten auf, ansonsten verblassten sie gegenüber der Gegenwart mehr und mehr.

    Es ging mir gut.

    Mit 14 Jahren wurde ich ohne Widerstand der Mönche von zwei unbekannten Männern abgeholt und nach Frankreich gebracht.

    Auf dem Weg dorthin erklärte man mir kurzerhand, ich würde nun bei den Templern zum Knappen ausgebildet.

    Mit der Ankunft begann ein anderes Leben. Nicht nur wegen der bisher unbekannten Sprache fiel mir die Eingewöhnung unglaublich schwer.

    Dies war nicht das Leben, das ich wollte!

    Einem Ritter zugeteilt, lernte ich in den folgenden Jahren trotzdem den Umgang mit Waffen, andere Umgangsformen und eine bisher unbekannte Form Art des Gehorsams. Auch hier achtete man auf Abgeschiedenheit, und ich musste nie mit in einen Kampf ziehen.

    Die Zeit war hart, unendlich lang und nicht mit dem vergleichbar, was ich bisher zu schätzen gewusst hatte.

    Als ich 21 Jahre alt wurde, erfolgte nicht wie bei dem Knappen eines Ritters eine Weihe zum Ende dieser Zeit.

    Stattdessen schickte man mich ohne einfach zurück zu den Zisterziensern auf Malta. Ich hatte mir abgewöhnt, nach Gründen zu fragen und gehorchte.

    Der Abt wies mich an, fortan solle ich als rechte Hand des Bibliothekars mein Wissen vertiefen. Es war mir mehr als recht, konnte ich doch mein geliebtes Leben fortführen. Die vergangenen sieben Jahre schienen wie ein schlechter Alptraum. Ich lebte zwar nicht in den Tag hinein, doch um die Zukunft machte ich mir keine Sorgen mehr.

    Alles hatte sich wieder zum Guten gewendet!

    Genau an meinem 22. Geburtstag meldete sich ein Besucher an - ungebeten und unbekannt. Wir trafen uns in einer der wenigen Klosterzellen, die für solche Treffen vorgesehen waren. Vor mir stand ein Mann mit sonnengebräuntem Gesicht, das viele Furchen trug - nicht nur die Schwere des Lebens war darin zu sehen. Anscheinend lachte er gerne. Das Gesicht wurde von vollen, grauen Haaren regelrecht umspielt. Die Züge waren todernst, auch wenn die dunklen Augen mich wohlwollend ansahen.

    Seine Ausstrahlung allerdings unterdrückte jede tiefergehende Beobachtung. Machthunger und starker Wille füllten den Raum geradezu aus. Sie standen fast körperlich zwischen uns, obwohl ich davon nicht im Geringsten beeindruckt wurde. Ein imposanter Mann, auch wenn seine körperliche Größe nicht unbedingt ihr Teil dazu beitrug.

    Die Ordenskleidung der Templer war blitzsauber und korrekt. Der Mann trug bis auf Schild und Lanzen sämtliche Waffen bei sich; außerdem ragte der Griff eines Stiefelmessers leicht aus dem linken Beinschutz. Unüblich für einen Ordensritter, war es kaum zu bemerken von demjenigen, der nicht genau hinsah.

    Nach einer kurzen Vorstellung durch den Abt verzichtete der Besucher auf jegliche Höflichkeitsfloskeln. Ohne Umschweife beschrieb er fehlerfrei mein bisheriges Leben, als sei es sein eigenes. Gebieterische Handbewegungen sorgten für ungestörten Redefluss.

    Ich war geschockt.

    Was sollte das hier? Woher hatte der Fremde seine Informationen?

    Doch das war nur der Anfang ...

    Mit nüchternen Worten trug er dann Unglaubliches vor.

    Mein Vater sei ein Templer gewesen, bei einem Angriff umgekommen, und die Mutter wäre früh gestorben. Geschwister gäbe es nicht. Dem Willen des unbekannten Vaters

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