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Labyrinthwege: Band 3
Labyrinthwege: Band 3
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eBook669 Seiten9 Stunden

Labyrinthwege: Band 3

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Über dieses E-Book

"Ich hasse es, es zugeben zu müssen, aber wir brauchen die Dämonen. Sie sind die Chaoskraft in uns. Sie stören und zerstören und damit geben sie uns neue Impulse. Stell dir vor, wir könnten reagieren, bevor es zu Gewalt und Grausamkeit kommt. Vielleicht wären wir dann keine Menschen mehr, sondern ein anderes, jetzt noch nicht existierendes Geschöpf. Vielleicht ist es dies, woraufhin wir uns entwickeln sollen."

Labyrinthwege will Mut machen - den Mut so zu sein, wie wir sind und wie wir sein wollen. Gemeinsam mit dem inneren und dem äußeren König begegnen wir auf verschlungenen Wegen der zeitlosen Frage, wie denke, fühle und handle ich, wenn das Leben mich herausfordert. Dabei hören wir von der tragenden Kraft der Liebe und erfahren: jeder Schritt auf der Suche nach sich selbst lohnt sich.

Band 3 führt uns in das Land der Dämonen und das Land der Weisen. Er konfrontiert uns mit dem Bösen und zeigt uns die hilfreichen Kräfte des Lebens. Die in den ersten beiden Bänden genannten Konflikte um Grenzen und Grenzlosigkeit erfahren eine Lösung - doch erst bei der Rückkehr in den Alltag wird sich die Reifung der Könige beweisen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum16. Aug. 2016
ISBN9783734546952
Labyrinthwege: Band 3

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    Buchvorschau

    Labyrinthwege - Reinhild Pohl

    Im Land der Dämonen

    Der Befehl, unsere Feinde zu lieben,

    ist nicht die fromme Bitte eines schwärmerischen Träumers:

    es ist die unbedingte Notwendigkeit für unser Überleben.

    Die Liebe auch zu unseren Feinden ist der Schlüssel,

    mit dem sich die Probleme der Welt lösen lassen.

    Hass vervielfältigt den Hass,

    Gewalt sucht Gewalt in einer ständigen Spirale der Vernichtung.

    Hass zerfrisst die Persönlichkeit

    und zerstört den Sinn für menschliche Werte.

    Hass kann den Hass nicht austreiben.

    Das gelingt nur der Liebe.

    Martin Luther King

    1. Kapitel

    Die dunkle Nacht in uns ist immer auch eine Zeit des Fragens und des Nichtfindens. Es ist eine Zeit des Ha-derns und der Klage. In ihr erfahren wir unsere Ohnmacht. Einmal gefundene Antworten und Erkenntnisse bieten keine Sicherheit mehr, die Erfahrung des Verhülltseins begegnet uns von neuem.

    Reinhild

    Der innere König erzählt

    Ein eiskalter Schmerz in meinen Beinen ließ mich erwachen. Wo war ich? Vorsichtig öffnete ich die Augen. Dumpfes, trübes Licht umgab mich. Träumte ich oder war ich wach? Lag ich wirklich bäuchlings auf einer abschüssigen feuchten Wiese mt den Beinen in einem eiskalten Gletscherbach? Das konnte nicht sein! Zaghaft bewegte ich meine Beine. Sie waren zwar steif und völlig durchgefroren, schienen mir aber zu gehorchen. Ein einziger Gedanke geisterte durch meinen Kopf: du musst aus dem eisigen Wasser heraus.

    Als ich mich aufrichten wollte, brach ich schon beim ersten Versuch kraftlos zusammen. Die Schmerzen in meinem Kopf explodierten und ich sackte auf die Wiese zurück. Es dauerte einige Zeit, bis mir die aufsteigende Kälte von neuem ins Bewusstsein kam. So durfte ich nicht liegenbleiben. Mit winzigen Bewegungen schob ich mich auf dem Bauch die Wiese hinauf, bis meine Beine nicht mehr im Wasser hingen.

    Erschöpft drückte ich mich ins feuchte Gras. Hämmernde Kopfschmerzen verhinderten jeden Gedanken. Vorsichtig hob ich meine Hand und tastete behutsam meinen Kopf ab. Als ich sie zurückzog, war sie rot von Blut. Dumpf starrte ich sie an. Wieso blutete ich am Kopf, wieso lag ich auf einer Wiese? Mühsam nur kämpften sich die Fragen durch den Schmerz. Vor Anstrengung fielen mir die Augen zu.

    Im nächsten Moment zuckte ich krampfhaft zusammen. Ich durfte jetzt nicht einschlafen. Erst musste ich eine Antwort auf meine Fragen finden. Ganz, ganz langsam tauchten Erinnerungen in mir auf.

    Gemeinsam mit dem äußeren König befand ich mich auf einer Pilgerreise. Als Hüter der Grenzen suchten wir schon seit Jahren nach einer Lösung, die Grenzen zwischen den äußeren und den inneren Ländern zu lockern. Die Abgeschlossenheit der inneren Länder gefährdete ihre Entwicklung, ihr Zerfall würde auch eine zerstörerische Wirkung auf die äußeren Länder haben. In unserer Not hatten wir den gefährlichen Gedanken einer Grenzaufhebung gewagt - allen Warnungen zum Trotz. Der höchste aller Weisen hatte uns beauftragt, uns auf den Pilgerweg zu ihm zu begeben und uns vor einer Entscheidung mit den fünf weisen Weisen zu beraten.

    Mit dieser Erinnerung kam mein Erschrecken über unseren Auftrag zurück. Wir sollten uns auf einen Weg begeben, den wir nicht kannten und von dessen Ziel wir nicht wussten, ob und wo es existierte. Wir waren voller Zweifel und Fragen - und dennoch hatten wir uns auf den Weg gemacht.

    Ich stöhnte. Jetzt strömten von allen Seiten die Erinnerungen auf mich ein. Die Überwindung des gefährlichen Berggrates, der Kontakt mit der unsichtbaren Weisen, die Versuchungen im großen Stromland, denen ich ohne die Achtsamkeit des äußeren Königs fast erlegen wäre, die Einweihung der Hexe, die Begegnungen mit den verschiedenen Menschen und die Gletscherüberquerung - alles purzelte in wildem Durcheinander in mir herum.

    Wieder stöhnte ich vor Schmerz. Wie sehnte ich mich nach einer Ohnmacht, um nichts mehr spüren zu müssen. Doch etwas in mir wusste, dass ich noch nicht aufgeben durfte. In dem Wirrwarr meiner Erinnerung war ein Faden, den ich unbedingt finden musste.

    In allen Erinnerungen tauchte der äußere König auf. Und plötzlich wusste ich es: ich hatte ihn gefunden, den gesuchten Faden. Wo war der äußere König? Mühsam öffnete ich die Augen. Vor mir sah ich nichts als grau-grünes Gras. Wann hatte ich ihn das letzte Mal gesehen? Nach längerem Herumtasten durch wirre Bilder kam mir die entscheidende Erinnerung.

    Beim Abstieg vom Gletscher in das von dichten Wolken bedeckte Land war ich in strömendem Regen an einem Geröllhang ausgerutscht und abgestürzt. Der äußere König hatte sich in ein Gebüsch gekrallt, um unseren Sturz aufzuhalten. Doch in der feuchten Erde hatte das Wurzelwerk nachgegeben - als dunkler Schatten war der äußere König neben mir in die Tiefe geglitten.

    Langsam richtete ich mich auf und biss mir vor Schmerzen auf die Lippen. Mir schwindelte und milchige Schleier zogen über meine Augen. Es dauerte, bis sich mein Blick klärte. Wo war der äußere König? Mit wachsender Panik ließ ich den Blick über den Hang wandern.

    Und dann, endlich, entdeckte ich den äußeren König. Halb verborgen unter einem dichten Busch lag er ein gutes Stück oberhalb von mir. Krächzend rief ich nach ihm, doch ich erhielt keine Antwort. Quälend langsam und mit Pausen zog ich mich kriechend und mal auf dem Bauch liegend, den Hang hoch. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, doch irgendwann erreichte ich den äußeren König. Im Fallen musste er diesen Busch erwischt, ihn mit beiden Armen umklammert und damit unseren Sturz aufgehalten haben. Nun hing er ohnmächtig in den unteren Zweigen, die Arme immer noch fest um den Stamm geschlungen.

    Aber er lebte! Die Erleichterung darüber jagte mir neue Energie durch die Glieder. Vorsichtig löste ich seine verkrampften steifen Finger und zog ihn aus dem Gebüsch Er atmete, doch er blieb weiterhin ohne Bewusstsein. So weit es mir möglich war, säuberte ich sein blutverklebtes Gesicht. Eine breite Schürfwunde zog sich quer darüber, doch sie schien nicht tief zu sein. Sorge bereitete mir unser Sicherungsseil, das sich tief in seinen Leib eingeschnitten hatte. Als ich es endlich aufgeknotet und fortgezogen hatte, sah ich einen dicken blutunterlaufenen Streifen quer über Bauch und Brust des äußeren Königs.

    Vorsichtig drehte ich ihn auf die Seite, dann brach ich neben ihm erschöpft zusammen. Die Schmerzen in meinem Kopf steigerten sich ins Unerträgliche. Endlich fiel ich in die erlösende Ohnmacht.

    Als ich irgendwann die Augen wieder öffnete, lag der äußere König wie zuvor neben mir. Doch nun war er wach. Lange Zeit sahen wir uns stumm an, zu erschöpft für jedes Wort. Nach einer Weile schob der äußere König seine Hand nach vorn, bis er mich berühren konnte.

    „Welch ein eleganter Abstieg, murmelte er schließlich und grinste schief. „Aber wir haben ihn wohl überlebt!

    Das Dröhnen in meinem Kopf war einem dumpfen Schmerz gewichen. Vorsichtig richtete ich mich auf und untersuchte uns sorgfältig. Der äußere König schien durch das Seil keine inneren Verletzungen erlitten zu haben. Beide waren wir von Prellungen und Abschürfungen übersät und ich hatte eine Platzwunde am Kopf. Sir war jedoch kleiner als Schmerz und Blut hatten erwarten lassen. Erleichtert, doch kraftlos hockten wir auf der Wiese.

    An dem Bach wuchs ein weidenähnliches Gebüsch. Ich bat den äußeren König, uns ein paar Zweige zu schneiden und hoffte, dass sie wie unsere Weiden schmerzlindernd wirken würden. Lustlos lutschten wir auf ihnen herum, während wir uns zum ersten Mal richtig umschauten. Wohin hatte unser Sturz uns getragen?

    Die Wiese, auf der wir lagen, war mit dürrem, vertrocknet wirkendem, grau-grünem Gras bewachsen. Die gesamte Natur um uns bestand aus den Farben grau, grau-grün und grau-ocker. Felsen, Büsche, die Erde, alles schien mit einer grauen Schicht überzogen zu sein. Eine seltsame, dumpfe Stille lag über dem Land. Kein Wind war zu hören, kein Vogelruf, kein Blätterrascheln. Selbst der Bach unter uns, der ebenfalls grau-schwarz wirkte, floss lautlos dahin.

    Der Tag war von einer trüben Helligkeit, ohne einen Schatten, ohne ein Leuchten. Eine ebenmäßige stumpfe Fahlheit, eine glatte eintönige Fläche ohne Nuancen – so hing bewegungslos ein schmutzig grau-weißer Himmel über uns. Es war nicht kalt und es war auch nicht warm, wir froren nicht, aber wir fühlten uns auch nicht behaglich – um uns herrschte eine nichtssagende, keine Empfindung weckende Temperatur.

    Bei unserem Sturz mussten wir weit den Berg hinuntergerutscht sein. Vielleicht ein, höchstens zwei Tagesmärsche entfernt erstreckte sich am Fuß der Berge eine weite Ebene. Als habe ein Riese darauf mit großen Felsen Murmeln gespielt, lagen überall größere und kleinere Felsblöcke verstreut. Weit am Horizont sahen wir graue schachtelartige Gebäude, die wir für Häuser hielten. Doch so weit das Auge reichte, entdeckten wir weder Wälder noch bewirtschaftete Ackerflächen.

    Der äußere König seufzte und erhob sich mühsam. „Nun denn! Welch eine merkwürdig abstoßende Welt. Doch was soll’s! Wir werden sie aufsuchen müssen."

    „Lass uns heute hierbleiben, wandte ich ein. „Hier ist kein schlechter Platz zum Lagern. Wir können unser Wasser auffüllen, unsere Kleidung trocknen und unseren Körpern Ruhe gönnen.

    Bittend sah ich ihn an. „Ich glaube nicht, dass ich mit meinem dröhnenden Kopf lange gehen kann." Mein Kopfschmerz hatte sich erneut verstärkt und mir schwindelte. Ohne zu zögern, stimmte der äußere König zu. Auch er war erleichtert, als er sich wieder auf den Boden setzte.

    Wir hängten unsere Kleidung über das Gebüsch, in der Hoffnung, dass sie auch ohne Wind trocknen würde. Unsere nackten Körper nötigten uns ein schmerzhaftes Grinsen ab. Bereits jetzt schimmerten unsere Blutergüsse in allen Farben. „Wir bringen wenigstens Buntheit in diese fahle Welt", brummte der äußere König ironisch. Doch auch er bewegte sich nur schwerfällig und vorsichtig.

    Dösend und schlafend verbrachten wir den Tag. Nach einer kurzen Phase der Dämmerung brach eine dunkle, sternenlose Nacht über uns herein. Sie kühlte nicht ab, sondern behielt die gleich bleibende Temperatur des Tages. Dennoch waren unsere Kleidung und unsere Decken fast getrocknet. Zusammen mit unserer Erschöpfung bescherte uns dies trotz aller Widrigkeiten einen tiefen Schlaf.

    Der innere König erzählt

    Wir verbrachten mehr Zeit als geplant an dem grauen Wiesenhang mit seinen grau-grünen Büschen und seinem Bach. Meine Kopfverletzung verursachte mir immer wieder Schwindelgefühle. Der äußere König bestand darauf, erst weiterzugehen, wenn diese aufhörten. Ich musste ihm, wenn auch ungern, recht geben.

    Die nächsten Tage verbrachte ich im Halbschlaf, während der äußere König die Gegend erkundete. Einmal erlegte er ein fremdartiges kleines Tier. Stolz zog er ihm das Fell ab und briet es, in freudiger Erwartung auf eine Abwechslung in unserem eintönigen Speiseplan aus getrocknetem Fleisch und hartem Brot. Das frische Fleisch füllte unseren Magen, doch sein Geschmack war ebenso nichtssagend wie alles in diesem Land. Der äußere König bemühte sich nicht weiter darum, denn der Aufwand war das Ergebnis nicht wert.

    Nach gut einer Woche brachen wir wieder auf und hatten in wenigen Tagen die Ebene erreicht. Seitdem wanderten wir schon wieder längere Zeit durch dieses merkwürdige stumpfe graue Land. Jeder Tag zeigte uns den gleichen grauen Himmel, die gleichen trüben Farben, das gleiche leblose Licht, die gleiche Temperatur. Jede Nacht war gleich bleibend dunkel und lichtlos. Das einzige, was sich änderte, war, dass wir langsam, aber stetig den grauen schachtelartigen Häusern immer näher kamen.

    Die graue Eintönigkeit war ermüdend, sie schien uns unsere Energie zu rauben. Dumpf liefen wir nebeneinander her, selbst unsere üblichen Neckereien verstummten.

    In gleichmäßigem Trott schleppte ich mich vorwärts. Der äußere König ging ein gutes Stück hinter mir. Wir brauchten Abstand voneinander. Die Gleichförmigkeit dieses Landes ließ uns mürrisch und gereizt werden. Es gab keine Abwechslung und so fingen wir an, uns übereinander zu ärgern.

    Mit jedem neuen Tag gab es eine andere Kleinigkeit, die wir üblicherweise nicht einmal registriert hätten, die uns jetzt aber zunehmend störte. Manchmal reichte allein ein Seufzer beim Aufnehmen des Gepäcks oder ein Stöhnen beim morgendlichen Erwachen und Gliederstrecken, dass der andere entnervt die Augen verdrehte und unwillig brummte: „Kannst du das nicht lassen?" Wir bemerkten es und es gefiel uns nicht, dennoch konnten wir nicht aufhören, uns anzugiften. Deshalb liefen wir seit zwei Tagen in einigem Abstand voneinander und saßen nur bei der Rast zusammen.

    Nun hörte ich in meinem stumpfen Dahintrotten einen ungewöhnlichen raschen Laut. Mit ein paar schnellen Laufschritten holte der äußere König mich ein. Überrascht sah ich auf. Welch eine ungewohnte Lebhaftigkeit!

    Keuchend blieb der äußere König bei mir stehen. „Wir werden beobachtet", stieß er leise hervor.

    Schlagartig erwachte ich aus meinem Stumpfsinn. „Wo? Ich habe nichts bemerkt."

    „Hinter den Felsen dort rechts. Sieh unauffällig hinüber. Ich habe noch niemanden gesehen. Aber ich habe ein Huschen gehört und manchmal auch einen merkwürdigen Schatten entdeckt, der im nächsten Moment verschwunden ist."

    Ich war skeptisch. „Bist du dir sicher?, fragte ich stirnrunzelnd. „Ich habe nichts bemerkt. In dieser Eintönigkeit kann man sich leicht etwas einbilden.

    Der äußere König schüttelte den Kopf. „Ich habe etwas gehört, entgegnete er scharf. „Glaub mir. Er hob die Hand. „Da! Da ist wieder so ein Rascheln."

    Jetzt hörte ich es auch. Wäre ein Wind gegangen, hätte ich es für das Geräusch trockenen Laubes gehalten. Doch es gab keinen Wind und hier lag auch kein trockenes Laub. „Dann lass uns …."

    Im nächsten Moment sprangen uns eigentümliche Wesen in den Weg und stürmten mit ungebremster Kraft auf uns zu. Ich konnte sie nicht genau erkennen, sie wirkten wie eine Mischung aus Mensch und Tier. Wo begann ihr Leib, was war Fell, was Körper, was war zottelige Kleidung? Ich konnte es nicht unterscheiden. Wie Menschen liefen sie auf zwei Beinen, doch es war eher ein schwankendes hopsendes Laufen als ein aufrechtes Gehen. Mit lautem Gebrüll und Gegrunze stürzten sie uns entgegen.

    Wir aber hatten unsere Schwerter bereits gezogen. Zwar waren wir nur zu zweit, doch wir waren geübte Kämpfer und gut aufeinander abgestimmt. Trotz ihrer Überzahl waren wir den Wesen überlegen. Nach kurzem heftigem Kampf schlugen wir sie in die Flucht.

    Dieser überraschende Kampf hatte uns aus unserer Lethargie und Gereiztheit gerissen. Nun gingen wir wieder zusammen weiter, waren aufmerksam und wach. In der Nacht hielten wir wechselseitig Wache, zu groß war uns das Risiko eines Überfalls. Denn ab jetzt wurden wir Tag und Nacht von den merkwürdigen Wesen begleitet. Dabei sahen wir sie nur selten. Aber wir hörten ihr Rascheln und Zischeln und ihr dumpfes Grunzen, wir hörten sie rennen und huschen. Ständig spürten wir die uns beobachtenden Augen.

    „Ich fühle ihren Blick wie ein Jucken auf meiner Schulter, meinte der äußere König mehr als einmal. „Dreh dich vorsichtig um, du müsstest sie jetzt sehen.

    Doch so sehr wir uns auch bemühten, es gelang uns nicht. Gelegentlich sah ich einen grauen Schatten hinter den Felsen verschwinden, doch mehr erkannten wir nicht.

    Waren uns die Tage vorher zu eintönig gewesen, so waren sie nun voller Anspannung. In jedem Moment konnte ein überraschender Angriff stattfinden. Eben noch lag das Land unbewegt und stumm vor uns und im nächsten Augenblick sprangen uns die Wesen in den Weg, lieferten sich mit uns einen erbitterten Kampf und verschwanden so rasch, wie sie aufgetaucht waren.

    Jeden Tag wurden es mehr und die Angriffe wurden heftiger und gefährlicher. Hatte ich mich am Anfang noch bemüht, die Wesen nur zu verletzen, so konnte ich darauf bald keine Rücksicht mehr nehmen. Ich muss gestehen, auch ich erschlug so manches von ihnen. Immer noch wussten wir nicht, worum es sich bei ihnen handelte. Denn sobald der Kampf beendet war und wir die Erschlagenen genauer ansehen wollten, waren sie verschwunden. Es war uns unerklärlich, wie die Flüchtenden ihre Verletzten und Toten so schnell hatten mitnehmen können.

    „Wenn es so weitergeht, meinte der äußere König bei einer Rast, „dann werden wir ihnen bald nicht mehr standhalten können. Ihre Zahl wächst ständig. Die Stadt scheint nah zu sein. Wir sollten sehen, dass wir sie möglichst rasch erreichen.

    „Ich weiß nicht, entgegnete ich nachdenklich. „Irgendetwas ist merkwürdig. Ich muss genauer hinsehen. Es gibt da etwas, was ich übersehe. Ich spüre es deutlich.

    Der äußere König legte mir die Hand auf die Schulter. „Macht es dir zu schaffen, dass du kämpfen und töten musst?", fragte er.

    „Ja, erwiderte ich. „Es ist nicht das, was ich will. Doch wir haben keine Wahl. Sie lassen uns ja keine Sekunde, um mit ihnen Kontakt aufzunehmen und unsere Anwesenheit erklären zu können. Aber das allein ist es nicht, was mich plagt. Irgendetwas Eigenartiges geht bei ihnen vor. Immer, wenn ich meine, es erfassen zu können, entgleitet es mir. Ich brauche mehr Zeit, um die Wesen beobachten zu können. Ich kann mich nicht gleichzeitig aufs Kämpfen und auf ein kampffremdes Beobachten konzentrieren. Kannst du mir nicht etwas Zeit verschaffen? Nur ein kleines bisschen, bat ich.

    Der äußere König rieb sich das Gesicht und stöhnte. „Ist es so wichtig?", fragte er und ich nickte bejahend.

    „Gut. Ich kann es dir nicht versprechen, aber ich will sehen, was sich machen lässt. Bleib beim nächsten Angriff dicht hinter mir und beobachte. Aber halt dein Schwert bereit, du musst auch reagieren können."

    Diese Zusage reichte mir. Natürlich würde ich weiterhin kampfbereit sein, auch für mich stand unser Überleben an erster Stelle.

    Ich musste nicht lange auf eine Gelegenheit warten. Als wir am nächsten Tag aus einem dichten Feld großer einzelner Felsen heraustraten, stürmte uns eine schreiende Horde dieser Wesen entgegen. Mit schier übermenschlicher Kraft wehrte der äußere König einen Angreifer nach dem anderen ab, während ich mich dicht hinter seinem Rücken bewegte und über seine Schulter beobachtete.

    Dann sah ich es. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Sofort wirbelte ich nach vorn und warf mich dem äußeren König in den Arm. „Hör auf, hör auf", schrie ich, hängte mich an ihn und schob ihn mit aller Kraft zwischen die Felsen zurück.

    Im äußeren König tobte der wilde Kampfrausch und jetzt kochte er zusätzlich vor Zorn. Kaum waren wir im Schutz der Felsen, da riss er sich von mir los. Mit Macht stieß er mich gegen einen Felsen und stürzte mit dem erhobenen Schwert auf mich zu. Jetzt wird er mich erschlagen, dachte ich. Überraschend ruhig nahm ich es hin.

    Doch der äußere König ließ sein Schwert dicht neben mir zu Boden sausen.

    „Bist du denn ganz und gar von Sinnen?, schrie er mich an. „Was ist los mit dir? Mit beiden Händen und seinem Leib presste er mich an den Felsen und brüllte seinen Zorn in üblen Schimpfworten über mich hinaus.

    Mühsam zerrte ich an meinen Armen. Endlich gelang es mir, sie frei zu bekommen. Rasch legte ich beide Hände um sein heißes rotes Gesicht. „Hör zu, flüsterte ich in sein Geschrei hinein, „hör zu, bitte hör zu.

    Nach einiger Zeit schienen meine Worte zu ihm durchzudringen, sein wildes Brüllen wurde etwas leiser. „Du kannst mir nicht in den Schwertarm fallen, stieß er schließlich keuchend hervor. „Hast du denn kein Hirn? Wie leicht hätte ich dich erschlagen können? Endlich schwieg er.

    Doch immer noch tobte die ungezügelte Energie in ihm. Wütend riss er meine Hände von seinem Gesicht. „Mach so etwas nie wieder!", zischte er. Er griff nach mir und wollte mich schütteln, doch sofort ließ er mich wieder los und stütze sich auf den Felsen. Keuchend versuchte er Luft zu bekommen.

    Bewegungslos stand ich zwischen ihm und dem Felsen und rührte mich nicht. Ich wollte ihn nicht erneut reizen. Nach einer Weile sah ich ihm vorsichtig ins Gesicht und fragte ruhig: „Kannst du mir jetzt zuhören?"

    Der äußere König schnaubte kräftig, doch sein blinder Zorn war verraucht. Er fasste nach meinen Schultern und presste mich fest gegen die Felswand. Dicht vor meinem Gesicht sah er mich beschwörend an.

    „Du darfst so etwas nicht machen. Laufe niemals mitten im Kampf in ein erhobenes Schwert. Niemals! Meine Güte, stöhnte er, „was hätte dir alles passieren können. Versprich mir, versprich mir, dass du das nicht noch einmal machst.

    Ich nickte. Es war unbedacht und verkehrt von mir gewesen. Mein Handeln war meinem Schreck über meine plötzliche Erkenntnis entsprungen. Wenn er nicht so schnell und geschickt reagiert hätte. wäre das zum Schlag erhobene Schwert auf mich niedergesaust. Ich war unverantwortlich und leichtsinnig gewesen. Jede seiner Beschimpfungen war zu recht erfolgt. Ruhig begegnete ich seinem Blick.

    „Ich verspreche es."

    Der äußere König atmete tief durch. Noch einmal schüttelte er den Kopf, dann gab er mich frei. Er lehnte sich an den gegenüberliegenden Felsen und sah mich an. „Gut. Ich höre. Was ist so wichtig, dass du etwas derart Törichtes tust?"

    „Wir können die Wesen nicht erschlagen, sagte ich leise. Heftig fuhr der äußere König auf, doch ich hielt ihm rasch die Hand vor den Mund. „Hör zu, hör mir bitte zu. Ich zweifle nicht an deiner Kampfeskraft. Wir können die Wesen nicht erschlagen, weil es keine Menschen sind. Es sind Dämonen! Wir können sie nicht töten, sie sind unsterblich. Immer wenn du einen von ihnen erschlägst, entstehen dafür zwei neue. Deshalb sind es so viele geworden. Wir haben sie mit unseren Kämpfen selbst vermehrt.

    Zweifelnd sah der äußere König mich an. Was ich sagte, erschien ihm unvorstellbar - und dabei hatte ich ihm bislang nur einen Teil meines Erkennens mitgeteilt. Kaltes Entsetzen breitete sich in mir aus, je klarer mir wurde, was uns bevorstand.

    Draußen vor den Felsen hörten wir die Wesen rumoren. Diesmal hatten sie sich nicht zurückgezogen. Sie wussten, dass wir in der Falle saßen. Es gab nur einen Weg aus diesen Felsenfeld heraus und irgendwann würden wir ihn gehen müssen.

    „Sieh selbst", schlug ich vor.

    Vorsichtig spähte er um den Felsen herum. Jetzt konnte er es mit eigenen Augen sehen. Diejenigen, die er noch vor wenigen Minuten erschlagen hatte, standen nun verdoppelt vor dem Felsen und warteten auf uns. Entsetzt fuhr der äußere König zurück. Der Schreck ließ ihn bleich werden. Einen Moment sackte er in sich zusammen. Dann straffte er sich und sah mich an.

    „Was sollen wir tun?"

    Mir schlug das Herz bis zum Halse. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Aber würde der äußere König mir folgen können? War mein Weg für ihn gehbar? Eine eiskalte Faust schien mich zusammenzuquetschen. Er musste für sich entscheiden können, auch wenn mich dieser Gedanke jetzt schon zu zerreißen drohte.

    „Wir können nichts machen, meinte ich leise. „Wir müssen uns ergeben.

    „Was?, brüllte er laut, dämpfte aber sofort seine Stimme. „Ich ergebe mich nicht. Niemals. Ich bin kein Feigling. Lieber sterbe ich. Wütend funkelte er mich an.

    „Ich bin auch nicht feige, erwiderte ich sanft. „Dennoch habe ich mich schon mehrmals ergeben. Auch deinen Kriegern, obwohl ich sie hätte besiegen können. Erinnere dich. Manchmal ist Kämpfen der feige Weg und ein Sich-Ergeben der mutige Kampf.

    Der äußere König schnappte nach Luft. „Unsinn! Verdreh nicht die Worte. Er ballte die Fäuste. Grimmig schaute er zu mir hinüber. „Ich ergebe mich nicht. Vergiss es! Lass uns nachdenken, wir finden einen Weg.

    Stumm schüttelte ich den Kopf. Eindringlich starrte mir der äußere König ins Gesicht. Als ich weiterhin schwieg, schloss er enttäuscht die Augen.

    „Gibt es keine andere Möglichkeit?, flüsterte er nach einer Weile und erneut gab ich ihm keine Antwort. Das Entsetzen über das, was ich zu tun gedachte, presste mir die Kehle zusammen. Verwirrt und zornig sah der äußere König mich schließlich an. „Innerer König, was machst du? Was willst du von mir?

    Ich trat zu ihm, zog ihn auf den Boden und hockte mich vor ihn. Mit aller Macht schob ich meine Befürchtungen und meine Erregung beiseite. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte.

    Zart strich ich dem äußeren König über das schweißverklebte, erhitzte Gesicht. „Ich möchte, dass du dich mit mir ergibst. Es ist unsere einzige Möglichkeit. Die Dämonen wollen uns nicht töten. Wenn sie dies wollten, hätten sie es schon längst tun können. Aus irgendeinem Grund wollen sie uns lebend, da bin ich mir sicher. Aber sie werden uns nicht in ihre Stadt lassen. Sie werden so lange mit uns kämpfen und uns dadurch zwingen, sie zu vermehren, bis sie uns überwältigen können. Je mehr wir kämpfen, desto mächtiger und stärker werden sie. Es sind Dämonen, sie nähren sich von dem, was wir ihnen geben. Wir können nur in ihre Stadt gelangen, wenn wir uns ergeben. Und indem wir das tun, kürzen wir das Ganze ab und ersparen uns viele Kämpfe. Nur durch unser Ergeben werden wir erfahren, was sie wollen."

    Liebevoll fuhr ich ihm über sein Haar. „Ich liebe dich", flüsterte ich, während sich in mir alles vor Qual zusammenzog. Einen Moment erwog ich, nach draußen zu stürzen und mich erschlagen zu lassen. Dann müsste ich nicht tun, was nun so unerbittlich vor mir lag. Mit absoluter Klarheit wusste ich, dass es nur einen Weg für mich gab, doch dieser forderte von mir das Kostbarste, was das Leben mir geschenkt hatte. Niemals, niemals hätte ich gedacht, die Worte sagen zu müssen, zu denen ich mich nun zwang.

    „Ich wünsche mir, dass du mit mir gehst. Denn ich werde mich ergeben. Ich muss es tun, ich spüre es ganz deutlich. Wenn du dich nicht ergeben kannst, dann werde ich das akzeptieren. Jeder von uns hat Grenzen, die er nicht überschreiten kann. Ich will dich nicht zu etwas zwingen oder überreden, was nicht zu dir gehört. Die Verantwortung dafür könnte ich niemals tragen.

    Aber dann, mein geliebter äußerer König, ist hier und jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns trennen müssen. Ich muss meinen Weg gehen, so wie du den deinen. Ich kann nicht anders. Geh du deinen Weg. Versuche zu fliehen. Ich werde sie aufhalten, solange es möglich ist. Vielleicht schaffst du es."

    Ich küsste ihn auf die Stirn und stand rasch auf. Ich konnte das Entsetzen in seinen Augen nicht länger ertragen.

    Fassungslos hielt der äußere König mich fest. „Das meinst du nicht im Ernst, oder?", krächzte er entsetzt.

    Noch einmal kniete ich mich neben ihn. Mir war speiübel und der Boden unter mir schien zu wanken. Dennoch fühlte ich eine klare Sicherheit für diese entsetzliche Entscheidung.

    „Doch. Es ist mir bitterernst. Leider! Ich muss mich ergeben. Mit jeder Zelle spüre ich, dass dies das Richtige ist. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als das du mit mir kommst. Aber wenn es für dich der Tod ist, dann will ich es nicht. Sich zu ergeben ist ein zutiefst demütigendes Erleben, ich habe es bereits erfahren. Man steht es nicht unbeschadet durch, wenn man sich nicht freiwillig dazu entschieden hat. Nur die freie Entscheidung lässt einen die Eigenmacht erhalten. Versuch du auf deine Weise den Hof des weisen Weisen zu erreichen."

    Ich riss ihn an mich und umarmte ihn fest. Dann stieß ich ihn abrupt von mir und zog meine Lederweste aus. „Hier, nimm meine Weste. Du wirst fühlen, wo etwas eingenäht ist. Vielleicht kann es dir helfen."

    Müde hob ich mein Schwert auf und machte mich schleppend auf den Weg. Mein Herz schrie vor Schmerz, doch ich wusste, dies war erst der Anfang. „Ich liebe dich", murmelte ich vor mich hin, als seien diese drei Worte das Einzige, was mich aufrecht halten und mich meinem Weg folgen lassen konnte.

    „Warte", rief der äußere König.

    Zögernd blieb ich stehen. Ich durfte nicht lange zaudern. Wenn ich dies täte, würde ich es nicht mehr schaffen, mich von ihm zu trennen.

    Mit dem Schwert in der Hand kam er mir nach. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich da alleine hinausgehen lasse?, schimpfte er. Die Liebe und der Schmerz in seinem Gesicht trieben mir die Tränen in die Augen. Ich hatte ihn unglaublich verletzt. Er verbarg dies nicht. Doch ebenso offen zeigte er mir, dass er mich verstand und dass er auch in der Verletzung meine Liebe zu ihm sah. „Ich will nicht darüber reden, murmelte er, als er näher kam.

    Dann grinste er spöttisch und bemühte sich um Leichtigkeit. „Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig als mitzukommen. Einer muss doch auf dich aufpassen. Wer weiß, was du sonst wieder treibst?"

    Ich konnte mich nicht bewegen. Stocksteif stand ich auf einem Fleck und zitterte. Seine Augen tauchten tief in meine. Im nächsten Moment wusste ich, es war gut wie es war.

    Jetzt hatte der äußere König mich erreicht. Kumpelhaft schlug er mir auf die Schulter. „Komm", meinte er leichthin und ging ohne anzuhalten weiter. Rasch folgte ich ihm.

    Seite an Seite traten wir mit gesenkten Schwertern zwischen den Felsen hervor. Selbst in dieser Situation wirkte der Zauber zwischen uns. Ein Fluidum von Macht und Stärke umgab uns, während wir entschlossen unserer Gefangenschaft entgegen schritten.

    Schleichend näherten die merkwürdigen Wesen. Noch einmal sahen der äußere König und ich uns in die Augen und für diesen nicht messbaren Augenblick waren wir weit entfernt an unserem stillen Platz am See, fern von Not und Kampf, fern von jeder Last, geborgen und einander in unserer Liebe erkennend. Dann nickten wir uns zu, bückten uns und legten langsam unsere Schwerter auf den Erdboden.

    Mit erhobenen Händen richteten wir uns wieder auf. Im nächsten Moment waren die dämonischen Wesen über uns. Sie warfen uns zu Boden, banden uns an Händen und Füßen und schnürten uns auf Tragen, die von ochsenähnlichen Tieren gezogen wurden. Triumphierend rannten sie mit uns der Stadt entgegen.

    Der innere König erzählt

    Nach einer holprigen und staubigen Fahrt, bei der uns alle Knochen wehtaten, erreichten wir die Stadt und den Herrscherpalast. Während des Laufs hatte ich Zeit gehabt, diese merkwürdigen Geschöpfe genauer zu betrachten. Sie waren weder Mensch noch Tier. Manche hatten menschliche Leiber, die sie mit einem zottigen Fell behängt hatten. Ihre Gesichter wirkten, als seien sie aus verschiedenen Tieren zusammengesetzt worden. Es waren grausige, zerrissene Fratzen, nicht ein Teil passte zum anderen. Sie verständigten sich untereinander nur mit Grunzlauten.

    Andere wiederum hatten ein verzerrtes menschliches Gesicht, von Narben und Geschwüren entstellt. Ihre Körper waren gedrungen und unproportioniert, manche waren von dickem Fell oder großen Schuppen bedeckt. Einige trugen Schwänze und manche hatten Hufe statt Füße. Auch sie waren grausam zusammengewürfelte Wesen, bei denen nichts zusammenpassen durfte. Schreckgestalten, die selbst der schlimmste Albtraum nicht gebar. Furchterregend und abstoßend. Dennoch spürte ich, dass kein Einzelner von ihnen gefährlich war. Gefährlich werden würden sie erst durch einen lenkenden Geist, durch einen Befehl, dem sie widerspruchslos bis zur bösartigsten Grausamkeit folgen würden.

    Die schachtelartigen Gebilde, die wir aus der Ferne gesehen hatten, stellten sich tatsächlich als Häuser heraus. Mit flachem Dach, lang gestreckt und mehrgeschossig, drängten sie sich dicht an dicht. Schmale nackte Fenster schauten blicklos auf uns herab, als wir auf unseren schrägen Tragen von den Ochsen durch die staubigen Straßen gezogen wurden.

    Vor dem Herrscherpalast hielten wir an. Nur durch sein gewaltiges Ausmaß unterschied er sich von den anderen Häusern. Eine riesige graue Schachtel mit mehreren Stockwerken wartete auf uns. Die dämonischen Wesen lösten unsere Fußfesseln, während unsere Hände fest auf dem Rücken verschnürt wurden. Im Laufschritt trieben sie uns in eine riesige Halle. Ich versuchte, einen Blick vom äußeren König zu erhaschen. Beruhigend grinste er mir zu. So leicht würden sie uns nicht brechen können.

    Es war die hässlichste Herrscherhalle, die ich jemals gesehen habe. Aus grauem, grob behauenem Stein erbaut, gab es in ihr keinen Schmuck, keine Verzierung, keine Malerei. Nur grauer, unverputzter, grober Stein. Nichts, an dem ein suchendes Auge Halt oder Freude finden konnte. Ein breiter, von massiven eckigen Säulen gesäumter Gang führte nach vorn. Rechts und links davon verliefen parallel zwei weitere Gänge. In ihnen hielt sich eine hohe Zahl der merkwürdigen Dämonengeschöpfe auf. Ihr Zischen, Raunen, Quieken und Grunzen ergab eine Kakophonie von disharmonischen Tönen, als wir eilig vorbeigetrieben wurden. Schmale, enge Fenster ließen durch staubgraue Scheiben das fahle Licht von außen ein. Die gefühlsentleerte Eintönigkeit dieser Halle erschreckte mich. Wie konnte ich darin eine Tür zu einem Kontakt mit den Dämonen finden?

    Am Kopf des endlos langen Ganges erwartete uns ein breiter, um einige Stufen erhöhter Raum. Im ersten Moment meinte ich zu halluzinieren. Dieser Raum veränderte beständig seine Einrichtung. Eben noch voller Prunk und Pracht, vergoldet und mit glitzernden Edelsteinen übermäßig geschmückt, wirkte er im nächsten Moment karg und ärmlich mit schleimig grünlichem Boden, um sich dann in einen mit Nahrung überladenen Raum zu verwandeln und gleich darauf in ein strenges, grau-silbern schimmerndes Gemach von kalter Schönheit.

    Später, als ich mehr Zeit zum Betrachten gehabt hatte als mir lieb war, erkannte ich, dass der Raum aus jedem Geist der sieben Herrscher ein Bild widerspiegelte. Sprach einer der Herrscher, verstärkte sich dieses Bild und die anderen traten in den Hintergrund. Ich nahm an, dass jeder Herrscher den Raum auf seine Weise erlebte und dessen gegebene Kahlheit nicht wahrnahm. Als wir nun dicht davor standen, sah ich nur das wirre Durcheinander. Es war wie ein Angriff auf meinen Geist. „Nicht hinsehen", raunte ich dem äußeren König zu.

    Auf einem Thron. der die doppelte Größe eines üblichen Throns hatte, saß ein hochgewachsener schlanker Mann. Er war schön. An dem Ebenmaß seiner Glieder, am feinen Schnitt des regelmäßigen edlen Gesichts fand sich kein Makel. Sein Blick jedoch war von solch einer hochmütigen Kälte, dass ich für einen Moment erstarrte. Ganz in feine graue Seide und schwarzes Leder gekleidet, verbreitete er einen Schrecken, den ich nicht benennen konnte. Eisig drang sein Blick in mich ein. Meine Liebe wirst du nicht gefrieren, dachte ich. Im gleichen Moment ärgerte ich mich. Meine Gedanken waren eine Kampfansage gewesen. Dies war kein guter Anfang.

    Rechts und links von dem grauen Herrscher saßen jeweils drei weitere Herrscher. Manche waren in prächtige Gewänder gehüllt, andere fast nackt. Sie wirkten befremdend und monströs. Im Hintergrund glaubte ich noch eine schwarze, schattenhafte Gestalt zu sehen, sie war nicht mehr als ein Schemen.

    Dann hatten wir die Stufen zu dem Thronraum erreicht. Die dämonischen Geschöpfe zwangen uns auf die Knie und drückten meinen Kopf brutal zu Boden. Quälend lang warteten wir, auf den Knien liegend, auf eine Reaktion. Endlich, nach langer Zeit, hörte ich leise Schritte. Die grauen, wie ein Spiegel schimmernden Stiefel des grauen Herrschers kamen in mein Sichtfeld und blieben vor mir stehen.

    „Wer seid ihr?, fragte eine kalte Stimme. Als ich den Kopf hob, um zu antworten, traf mich ein schmerzhafter Tritt. „Du redest nur, wenn du gefragt wirst!

    Der Fuß stieß dem äußeren König in die Rippen. „Du! Antworte!"

    „Wir…" Weiter kam der äußere König mit seiner Antwort nicht. Der graue Herrscher griff ihm in die Haare und riss seinen Kopf gewaltsam hoch. So straff zerrte er ihn nach hinten, dass die Kehle des äußeren Königs fast überdehnt wurde. Schmerzhaft schnappte er nach Luft.

    Nun gab der graue Herrscher einem der dämonischen Geschöpfe einen Wink. Brutal griff es in die Haare des äußeren Königs und hielt ihn fest, während der graue Herrscher ein paar Schritte zurückging. Beiläufig trat er dabei im Umdrehen dem äußeren König in den Bauch. Ich hörte ihn stöhnen, doch er wankte nicht. Gelangweilt kam der graue Herrscher zurück, drückte seine Finger unter das Kinn des äußeren Königs und zwang seinen Kopf noch weiter nach hinten.

    „Bei uns schaut ein Gefangener zum Herrscher auf, wenn er spricht, sagte er mit erschreckend sachlicher Stimme. „Wer seid ihr?

    Mühsam rang der äußere König nach Luft. Seine Stimme klang gequetscht, als er uns quälend langsam vorstellte und erklärte, dass wir uns auf einer Pilgerreise befanden und ihr Land in friedlicher Absicht durchqueren wollten.

    „Zumindest lügen sie nicht", meinte der graue Herrscher gleichgültig. Höhnisches Gelächter erschallte hinter ihm. Kannte er uns? Wusste er von unserer Mission?

    Der Kopf des äußeren Königs wurde losgelassen. Vorsichtig senkte er ihn und atmete durch. Doch er blieb auf der Hut. Beiläufig, fast wie nebenbei trat der graue Herrscher ihm in die Seite. Jetzt wusste ich, was mich bei seinem Anblick so erschreckt hatte. Es war seine gleichgültige, fast wie nebensächlich ausgeführte Grausamkeit. Ihm fehlte jegliches Gefühl.

    „Gib uns die Antwort – und wir lassen euch gehen."

    „Ich habe keine Antwort", krächzte der äußere König. Im gleichen Moment trafen ihn ein derartiger Schlag ins Gesicht und ein harter Tritt in den Unterleib, dass er gekrümmt zu Boden fiel. Mit dem Kopf schlug er auf die Treppenstufe, ein kurzer Schrei, dann blieb er ohnmächtig regungslos liegen. Ich war entsetzt über seinen Schmerz, aber ich war auch erleichtert. Solange er ohnmächtig war, würde er nicht länger den demütigenden Quälereien ausgesetzt sein.

    Innerlich wappnete ich mich. Auch ich würde nicht ungeschoren davonkommen. Schon kam der graue Herrscher zu mir herüber, die blitzenden Stiefel traten in mein Sichtfeld. Beiläufig gab er mir einen Tritt.

    „Du! Gib uns die Antwort."

    Vorsichtig hob ich meinen Kopf. Sofort setzte mir der graue Herrscher seinen Stiefel in den Nacken und zwang meinen Kopf so weit nach unten, bis ich mit dem Gesicht fast den Boden erreichte. Ich biss mir auf die Lippen, um nicht laut zu stöhnen. Mit seinem Fuß hielt er mich in einer demütigenden, äußerst schmerzhaften Haltung. Schon nach wenigen Minuten beginnen sich die Muskeln an den Oberschenkeln und den auf dem Rücken gefesselten Armen zu verkrampfen, im Knie schreit jeder Knochen, Bauch und Lunge sind gepresst und können kaum atmen, der Hals versteift sich und das erzwungen hochgereckte Hinterteil erzittert in Hilflosigkeit. Man möchte nach kurzer Zeit nur noch eines: umfallen und den Körper strecken.

    Doch freiwillig würde ich diesem Herrscher nicht nachgeben. Mit aller Macht konzentrierte ich mich auf meinen Atem und ignorierte den Schmerz. Wieder einmal dankte ich meinem Orakelvater für die harte Schule der Beherrschung, die er mich jahrelang, trotz meines Widerstands, gezwungen hatte zu erlernen. „Ich verzichte auf das Amt des weisen Orakels, hatte ich meinen Vater nicht nur einmal angeschrien, wenn gewisse Übungen mir die Tränen in die Augen trieben. „Übe, war die Antwort des weisen Orakels gewesen, „übe und du wirst sehen, der Schmerz vergeht." Die Erinnerung daran zeigte mir den Weg, durchzuhalten.

    Allmählich schien den grauen Herrscher meine unbewegliche Haltung zu langweilen. Noch einmal wippte er mit dem Fuß auf meinem Genick wie auf einer Feder auf und ab, dann nahm er ihn herunter.

    „Ohne Erlaubnis sieht mich keiner an", sagte er und gab mir einen leichten Tritt. Ich verstand. Es gab keine Regeln. Er machte sie in jedem Moment so, wie es ihm beliebte. Wir würden in diesem Land immer die Regeln brechen und bestraft werden, da konnten wir tun, was wir wollten. Der graue Herrscher würde sie erst während unseres Handelns aufstellen und zwar stets gegen uns.

    „Jetzt sprich. Gib uns die Antwort." Gern hätte ich klar und ruhig gesprochen. Doch in der Haltung, in der ich mich befand, war dies nicht möglich. Nur mühsam konnte ich die Worte hervorpressen und da ich gegen den Boden sprach, klangen sie gedämpfter und ängstlicher als ich es war. Es ärgerte mich, doch ich konnte es nicht ändern. Ich wusste, dass es Absicht war.

    „Ich weiß nicht, was du meinst. Sage mir die Frage, vielleicht kann ich dann die Antwort geben."

    Brüllendes Gelächter der sieben Herrscher schallte mir als Antwort entgegen. Die spitzen Stiefel des grauen Herrschers kamen näher und schoben sich bedrohlich dicht unter mein Gesicht. Ich erhielt kleine Stöße an der Schulter und dann bohrte sich eine Stiefelspitze in meine Kehle. „Halte uns nicht für dumm. Gib uns die Antwort."

    „Ich weiß sie nicht", röchelte ich.

    Der Stiefel gab meinen Hals frei. Doch der graue Herrscher blieb weiter dicht vor mir stehen. Beide Stiefel ragten nun unter mein Gesicht. Er gab mir kleine Tritte gegen den Hals und immer wieder drückte er mir eine Stiefelspitze ins Gesicht. Jeden Moment erwartete ich einen heftigen Tritt und wappnete mich dagegen. Er spielt mit mir wie die Katze mit der Maus, dachte ich, und es bereitet ihm Genuss. Doch den Triumph, zu wanken und zurückzuzucken, gebe ich ihm nicht. Nur mein Körper liegt vor ihm im Staub, nur er ist ausgeliefert, ich nicht, rief ich mir in Erinnerung. Großer Abscheu vor dem grauen Herrscher erwuchs in mir. Dies half mir, bewegungslos auszuharren und meine Angst und meinen Schmerz zu bändigen. Irgendwann wurde der graue Herrscher seines grausamen Spieles überdrüssig. Er wandte sich ab, die grauen Stiefel entfernten sich aus meinem Blickfeld.

    „Glaube nicht, dass wir euch nicht brechen können, sagte er mit gefühlloser Stimme. Dann befahl er kalt: „Bringt sie in das dunkle Verließ.

    Grobe Hände und Klauen rissen uns hoch. Die dämonischen Geschöpfe fassten uns unter die Achseln und zerrten uns aus der Halle. Der äußere König war immer noch ohnmächtig, er hing schlaff zwischen ihnen, seine Beine schleiften am Boden. Doch auch ich konnte kaum gehen. Meine verkrampften Muskeln schmerzten und ließen sich nur mühsam bewegen. Ab und zu gelangen mir zwei Schritte, dann wurde auch ich weitergeschleift.

    Erst als wir einen schmalen Felsgang betraten, konnte ich mühsam wieder selbst gehen. Im trüben Licht einer verschmutzten Laterne wurden selbst diese Geschöpfe langsam. Verzweifelt versuchte ich, mir den Weg einzuprägen. Es gelang mir nicht. Jeder der nackten, grob in den Fels gehauenen Gänge ähnelte dem anderen und wir bogen so oft nach rechts und links ab, dass ich bald die Reihenfolge nicht mehr wusste. Doch kontinuierlich führten die Gänge leicht abwärts. Sicherlich waren wir schon weit unter dem Erdboden.

    Endlich hielten wir vor einer grauen schweren Tür. Fast lautlos öffnete sie sich. Jetzt erst nahmen sie uns die Fesseln von den Händen. Wie einen alten Sack warfen die dämonischen Geschöpfe den äußeren König in die vor uns liegende Dunkelheit, ein kräftiger Stoß in den Rücken ließ mich vorwärts stolpern. Mit einem leisen Schmatzen schloss sich hinter uns die Tür.

    Der innere König erzählt

    Wir waren allein. Es war so finster, wie ich es noch nie erlebt hatte. Selbst in der Höhle des Leids war die Dunkelheit nicht so lichtlos gewesen. Es mag sich merkwürdig anhören, doch mir war, als wäre eine natürliche Dunkelheit noch zusätzlich verdunkelt worden, indem man ihr auch das verborgene Licht entzogen hatte. Ich ahnte, dass wir alle Kraft benötigen würden, um sie ertragen zu können. Leise rief ich nach dem äußeren König, doch er antwortete nicht.

    Vorsichtig ließ ich mich zu Boden gleiten und streckte mich lang aus. Langsam wurden meine Glieder wieder durchblutet und obwohl mich gelegentlich noch ein scharfer Schmerz durchzuckte, ließen meine Muskelkrämpfe nach. Am liebsten hätte ich meiner Erschöpfung nachgegeben und wäre dort, halb schlafend, der Länge nach liegen geblieben. Doch dies durfte ich mir nicht erlauben. Ich musste unser Verlies erkunden und vor allen Dingen musste ich mich um den äußeren König kümmern. Er war mir schon viel zu lange ohnmächtig.

    Auf Händen und Füßen kroch ich vorsichtig vorwärts, bis ich auf eine Wand stieß. An ihr richtete ich mich mühsam auf. In winzigen Schritten, die Hände immer an die Wand gelegt, tastete ich mich voran. Ich ging und ging – es erschien mir ewig lang. Keine Tür war zu ertasten, keine Ecke. War das Verlies so groß, dass ich bis jetzt noch keine Tür gefunden hatte oder war eine Tür nicht als solche zu erkennen? War es so groß, dass ich das Ende der Wand noch nicht hatte finden können oder war es etwa rund und ich hatte es schon viele Male umrundet? Erschien mir die Zeit länger als sie wirklich war? War es eine natürliche Höhle im Fels oder war sie künstlich angelegt? Ich fühlte immer nur gleichmäßig behauenes feucht-glitschiges Gestein. Der feuchte Fels und der schmierige Erdboden erzeugten in mir das Bild eines tiefen verlassenen Brunnenschachts oder eher eines stillgelegten, unterirdischen Wasserreservoirs.

    Entsetzt hielt ich an und ließ mich an der Wand hinab gleiten. Nur mühsam konnte ich meine aufkommende Panik unterdrücken. Ich musste mit diesen Fragen aufhören. Sie steigerten nur meine Unruhe und Befürchtungen. Denk an alles, was du gelernt hast, ermahnte ich mich. Wir sind nur dann verloren, wenn du dich überwältigen lässt.

    Um aufzustehen, zog ich die Beine an und stieß dabei an etwas Festes. Aufgeregt zerrte ich es näher und ertastete es. Es schien sich um einen gefüllten Strohsack zu handeln. An einigen Stellen fühlte ich das nackte Stroh, an anderen war er schmierig und klebrig. Ich wollte nicht wissen, wie er aussah. Doch obwohl er schmutzig und zerrissen war, würde er uns davor bewahren, auf dem feuchten kühlen Erdboden liegen zu müssen. Als ich weitersuchte, ertastete ich neben dem Strohsack einen umgeworfenen Eimer. Er war leer, doch nach dem ekelhaften Geruch zu urteilen, war er wohl für unsere Notdurft gedacht. Es war eigenartig. Diese minimalen Zeichen einer Menschlichkeit schenkten mir Hoffnung.

    Während ich das Verlies erkundet hatte, hatte ich immer wieder den äußeren König gerufen. Nie war eine Antwort gekommen. Jetzt versuchte ich es erneut. Ein dumpfes Stöhnen antwortete mir. Ich war so erleichtert, dass ich für einen Moment auf dem Strohsack zusammensank.

    „Wo sind wir?" Zitternd kam die Frage aus der Dunkelheit.

    „Wir sind in einem lichtlosen Verlies. Ich habe einen Strohsack gefunden, der wird uns etwas vor der Kälte des Bodens schützen. Am besten ist es, wenn du da bleibst, wo du bist. Beweg dich nicht, aber sprich mit mir, damit ich dich höre. So werde ich dich am leichtesten finden können."

    Der äußere König musste Schmerzen haben, denn ich hörte ihn unterdrückt stöhnen. In regelmäßigen Abständen rief er mir leise Worte zu, während ich mich vorsichtig von der Höhlenwand entfernte. Eine Hand vor die andere setzend, kroch ich auf allen vieren langsam voran, immer auf die Stimme des äußeren Königs zu. Den Eimer und den Strohsack zerrte ich mit mir. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie sonst wiederfinden würde. Obwohl es kühl war, schwitzte ich vor Anstrengung. Gelegentlich fragte der äußere König wie ein Kind: „Wo bleibst du denn?"

    Wie lange kroch ich schon durch dieses dunkle Loch? Er musste doch irgendwo sein. Schon mehrmals hatte ich gemeint, dass sich seine Stimme ganz nah anhörte. Meine tastende Hand berührte etwas Glitschig-Fauliges – vielleicht ein verwestes Tier -, ich rutschte aus und fiel bäuchlings hin. Leise fluchte ich vor mich hin. Da berührte eine tastende Hand meine Fingerspitzen. Wir hatten uns gefunden. Vor Erleichterung schluchzte ich auf.

    „Warte einen Moment." Erschöpft lag ich auf dem Boden. Doch gleich darauf raffte ich mich wieder auf. Vorsichtig robbte ich vorwärts und dann hatte ich den äußeren König tatsächlich erreicht. Blind tasteten wir aneinander herum, bis wir uns endlich in den Armen halten konnten.

    „Bist du verletzt?", fragte ich besorgt und strich ihm über den Rücken.

    „Nicht wesentlich, nur mein Kopf brummt ordentlich", murmelte er, doch im gleichen Augenblick verkrampfte sich sein Körper und er stöhnte auf. Er zitterte, auf seiner Haut stand kalter Schweiß und als ich sein Gesicht abtastete, glühte es unter fiebriger Hitze. Ich erschrak, wieso ging es ihm so schlecht?

    „Sag mir, was du hast", bat ich eindringlich.

    „Ich habe entsetzliche Darmkrämpfe, stöhnte der äußere König. „Aber keine Sorge, dass wird vorbeigehen. Erst auf mein drängendes Nachfragen gestand er mir, dass er unter Darmkrämpfen litt, seitdem wir dieses Land betreten hatten. Bislang waren sie nur leicht und gelegentlich aufgetreten, doch jetzt waren sie äußerst heftig und schmerzhaft. Hatten die Tritte in den Unterleib damit etwas zu tun? Ich wusste es nicht und ich hatte keine Möglichkeit, ihn zu untersuchen.

    „Komm, leg dich auf den Strohsack", drängte ich ihn. Der äußere König widersprach mir nicht und dies zeigte mir, wie stark seine Schmerzen sein mussten. Er krümmte sich so, dass es ihm sogar Mühe bereitete, sich auf den Strohsack zu wälzen. Endlich lag er.

    „Ich schiebe dich jetzt bis an die Wand. Hier mitten in der Höhle finden wir nie eine Orientierung und verlieren uns aufs Neue." Damit drückte ich dem äußeren König den Eimer in die Hand und begann, ihn vorwärts zu schieben. So gut es ging, half er dabei mit.

    Wieder schien es endlos zu dauern, bis wir gegen eine Wand stießen. Dort musste ich allerdings feststellen, dass meine gute Idee auch schlechte Seiten hatte. Zwar konnten wir uns an der Wand entlang tasten und würden so Eimer und Strohsack stets finden. Doch die Wand schwitzte eine kühle glitschige Feuchtigkeit aus, die ausgesprochen unangenehm war. Dennoch beschlossen wir, vorerst hier zu bleiben und die Feuchtigkeit in Kauf zu nehmen. Erschöpft kroch ich auf den Strohsack, zog den unter Fieberschauern frierenden und sich in schmerzhaften Krämpfen windenden äußeren König in meine Arme und fiel in einen unruhigen Schlaf.

    Der äußere König erzählt

    Ich hatte geträumt. Von blühenden Wiesen und reifenden Feldern, von einem sonnendurchfluteten tiefblauen Himmel. Noch lächelnd schlug ich die Augen auf. Nichts als Dunkelheit umgab mich. Sofort begann mein Körper unkontrolliert zu zittern. Mühsam beherrschte ich mich. Neben mir schlief der innere König. Ihn wollte ich auf keinen Fall wecken. Meistens lag er, eine Hand wärmend auf meinen schmerzenden Unterleib gelegt, so lange wach, bis ich eingeschlafen war und in der Regel wachte er vor mir auf. Er tat alles, um mir die Lage zu erleichtern und mich nicht allein der Dunkelheit auszusetzen.

    Das Zeitgefühl war uns abhanden gekommen. Wir wussten nicht, wie lange wir schon in diesem schwarzen Loch vegetierten. Von Zeit zu Zeit kamen die dämonischen Wächter und brachten einen Krug abgestandenen Wassers und eine Schüssel mit grauem, undefinierbarem Brei. Doch es gab keinen

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