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Labyrinthwege: Band 1
Labyrinthwege: Band 1
Labyrinthwege: Band 1
eBook728 Seiten11 Stunden

Labyrinthwege: Band 1

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Über dieses E-Book

Leise, um die Ruhe der Nacht nicht zu stören, fragte ich: "Warum liebst du mich eigentlich, wo ich doch so schwierig für dich bin?" Der innere König lachte sein leises Lachen und umarmte mich. "Ich bin nicht minder schwierig für dich. Darin sind wir uns gleich", flüsterte er in mein Ohr.

Labyrinthwege will Mut machen - den Mut so zu sein, wie wir sind und wie wir sein wollen. Gemeinsam mit dem inneren und dem äußeren König begegnen wir auf verschlungenen Wegen der zeitlosen Frage, wie denke, fühle und handle ich, wenn das Leben mich herausfordert. Dabei hören wir von der tragenden Kraft der Liebe und erfahren: jeder Schritt auf der Suche nach uns selbst lohnt sich.

Band 1 berichtet uns von dem tiefen Zerwürfnis der Könige, ihrem Ringen um Versöhnung und ihrer Auseinandersetzung mit Ängsten und Autoritäten. Während der innere König immer mehr in seine Eigenverantwortung hineinwächst, entdecken wir mit dem äußeren König die verborgene Verwobenheit unserer Handlungen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum14. Juli 2016
ISBN9783734519154
Labyrinthwege: Band 1

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    Buchvorschau

    Labyrinthwege - Reinhild Pohl

    Das Zerwürfnis

    Ich liebe Gedanken, die kein Ende haben

    und sich nicht aufhalten lassen von Regeln und Gesetzen,

    sondern die, nur geführt von der Liebe,

    ihre eigene Welt schaffen,

    in der ich leben und hoffen kann

    gegen jeder Zerstörung und Hoffnungslosigkeit.

    U. Schaffer

    1. Kapitel

    Unsere hellen und dunklen Gefühle gehören zusammen, sie sind unvereinbar und gleichzeitig untrenn-bar. Zwischen den Gegensätzen und Widersprüchlichkeiten dieser Gefühle bewegen wir uns, oftmals sogar zur gleichen Zeit und gegenüber den gleichen Menschen.

    Reinhild

    Der innere König erzählt

    Alle waren wir erschöpft, als wir den Königshof erreichten. Vier Tage waren vergangen, seitdem sie mich gefangen genommen hatten. Ich war froh, dass der beschwerliche Ritt endlich zu Ende war. Sie waren nicht unnötig grausam oder brutal gewesen, die Soldaten des äußeren Königs. Aber sie waren raue Gesellen und sie gingen nicht gerade zimperlich mit mir, ihrem Gefangenen, um. Der Ritt war wild und anstrengend gewesen und die Kost gering. Beim Kampf hatte ich eine Wunde am Arm erhalten. Sie hatte sich entzündet und ich litt an leichtem Wundfieber. Ich war hungrig und müde und sah aus wie ein Strauchdieb. So war meine Erleichterung, endlich am Ziel zu sein, groß.

    Ich wusste nicht, was ich zu erwarten hatte. Zwar freute ich mich darauf, den äußeren König wiederzusehen, aber ich war auch voller Bedenken. Würde er sich freuen können oder würde er mich ablehnen? Würde er mich wiedererkennen und wäre er noch der Mensch, als den ich ihn kennen gelernt hatte? Mit vielen Fragen und großer Unruhe sah ich der Begegnung mit ihm entgegen. Wie würde sie verlaufen?

    Zwei Nächte hatte ich bereits in den Gefangenenzellen verbracht, als ich hörte, dass der König an den Hof zurückgekehrt sei. Am späten Nachmittag kamen die Soldaten mich holen. Mit gebundenen Händen führten sie mich in den Thronsaal und befahlen mir niederzuknien. Aus den Augenwinkeln versuchte ich mich umzuschauen.

    Ich befand mich in einem großen lang gestreckten Saal. Hohe Fenster an der rechten Wand und an der Stirnseite ließen vermutlich viel Tageslicht herein, jetzt gegen Ende des Tages verhüllten sie schwere dunkelgrüne Vorhänge. An der Stirnseite war der Boden erhöht, mehrere Stufen führten auf einen höher gelegenen Raumteil hinauf. Hier standen ein Thron und zahlreiche Stühle mit hohen Lehnen, ein großer schwerer Tisch war an eine Seitenwand gerückt worden. Rechts und links von einem breiten Mittelgang getrennt befanden sich lange Tische mit Bänken, weitere Tische waren an die Wand geschoben. Es war ein schlichter, doch ansprechender Thronsaal, ohne viel Prunk und Protz.

    Nur an der Längsseite mit dem Thron gab es vergoldete Leisten und Verzierungen. Der polierte Holzboden und die Schnitzereien an den Säulen und Balken schimmerten in warmem Glanz. An den Wänden standen zahlreiche Fackeln, überall leuchteten Laternen und Kerzen und in einem mannshohen Kamin brannte ein wärmendes Feuer. Licht in den unterschiedlichsten Schattierungen erhellte den Raum. In diesem Thronsaal konnte gefeiert und gearbeitet werden, er strahlte Würde aus, aber auch Behaglichkeit. Zahlreiche Männer standen in kleinen Gruppen im Gespräch beisammen. Später erfuhr ich, dass es sich um die Ratgeber und Minister des äußeren Königs handelte. Einige warfen uns einen flüchtigen Blick zu, als wir eintraten, die meisten jedoch beachteten uns nicht.

    Wir waren nur wenige Schritte in den Thronsaal hineingegangen, als mir der Hauptmann befahl niederzuknien. Zwei Soldaten blieben zur Bewachung neben mir stehen. Der Hauptmann, der mich gefangen genommen und während des Ritts vergeblich versucht hatte, mich zum Sprechen zu bringen, ging ein paar Schritte abseits und wartete dort. Ich hatte ihn als besonnenen Mann kennen gelernt, der seine Soldaten rasch zur Ordnung rief, wenn sie zu übermütig wurden. Er war es gewesen, der während der wenigen Rastzeiten, die wir einlegten, meine Fesseln lockerte und mir die Gelegenheit gab, etwas zu essen und mich zu erleichtern.

    Jetzt war dieser ruhige befehlsgewohnte Mann unruhig und nervös. Immer wieder fingerte er an seinem Schwert herum, strich über seine Kleidung oder scharrte ungeduldig mit dem Fuß. Ich verstand seine Unruhe nicht. Was trieb ihn nur? War der äußere König ein Herrscher geworden, den man fürchten musste? Auch meine Anspannung stieg, nur konnte ich sie besser verbergen als der Hauptmann.

    Nach einer schier endlosen Zeit öffnete sich die schwere Holztür und schnellen Schritts trat der äußere König ein. Die Gespräche verstummten, alle Blicke wandten sich ihm zu. Er lächelte strahlend in die Runde und erfasste mit ein, zwei raschen Blicken die Situation im Saal. Mit einem flüchtigen Seitenblick auf mich ging er direkt zu seinem Hauptmann.

    „Steh auf, befahl er mir im Vorbeigehen und sagte zu den Soldaten gewandt: „löst seine Fesseln.

    Mühsam und schwankend erhob ich mich, während die Soldaten die fesselnden Schnüre durchschnitten. Verstohlen rieb ich mir die tauben Hände, um die gestockte Durchblutung wieder in Gang zu bringen. Gern hätte ich mich genauer umgeschaut, doch wie ein guter Gefangener hielt ich den Kopf gesenkt. Währenddessen hörte ich, wie der äußere König den Hauptmann zurechtwies. Sein Ton war leise, aber scharf und deutlich. Ausdrücklich habe er den Befehl gegeben, dass kein Mensch kniend oder gefesselt vor ihn gebracht werden solle.

    „In meinem Land dulde ich keine Demütigungen", sagte er ungehalten. Jetzt verstand ich des Hauptmanns Unruhe. Aber er erwies sich auch hier als ein tapferer Mann. Er hielt dem Tadel stand und begründete sein Verhalten.

    „Ich kenne deinen Befehl, ich habe ihn bisher immer befolgt. Aber mit diesem Gefangenen hat es eine seltsame Bewandtnis und es ist meine Pflicht für die Sicherheit zu sorgen. Wir haben ihn halb bewusstlos an der Grenze des Reiches gefunden. Er schien zu schlafen und wir hatten nicht die Absicht ihn anzugreifen. Doch als wir versuchten ihn zu wecken, griff er fast noch im Schlaf nach seinem Schwert und begann sich heftig zu wehren. Obwohl er halb benommen war und zahlreiche Schläge einstecken musste, kämpfte er besser als wir. Vermutlich hätte er uns trotz unserer Übermacht entkommen können. Dann, mitten im Kampf, legte er unvermittelt sein Schwert nieder und ergab sich. Keiner hat es verstanden und er gab keine Erklärung. Er hob die Hände und ließ sich ohne Gegenwehr gefangen nehmen."

    Der Hauptmann warf mir einen Blick zu und schüttelte den Kopf. Ich war ihm ein Rätsel. Er trat ein paar Schritte zur Seite und fuhr leise fort: „Keine Frage hat er beantwortet, nicht nach seinem Namen, nicht nach seiner Herkunft und nicht nach seinem Ziel. Oft habe ich bei der Rast versucht ein Gespräch zu beginnen. Er war höflich, bedankte sich fürs Essen oder wenn ich ihm die Hände löste, aber er sprach nicht. Das Einzige, was er sagte, war „bringt mich zu eurem König. Er bat um nichts, er klagte nicht, und dennoch. Es hat eine merkwürdige Bewandtnis mit ihm. Sieh ihn dir an. Er ist nicht wehrlos, nicht geschlagen. Sieh, welche Macht er ausstrahlt, obwohl er unser Gefangener ist. Ich kann ihn nicht einschätzen. So musste ich vorsichtig sein und deshalb …

    Langsam entfernten sich der Hauptmann und der König und ich verstand nichts mehr von den leisen Worten. Aber danach schien keine Verstimmung mehr zwischen ihnen zu sein, denn ich sah wie der äußere König dem Hauptmann den Arm um die Schulter legte und lachte. So gesellten sie sich zu einem Kreis der Ratgeber. Bald entstand zwischen ihnen ein lebhaftes Gespräch.

    Verstohlen beobachtete ich, dass der äußere König immer wieder zu mir hinüberblickte. Sprachen sie über mich? Würde er mich überhaupt anhören nach den Warnungen seines Hauptmanns? Hatte er mich erkannt oder wollte er sich nur vergewissern, dass ich weiter ruhig wartete? Der Soldat neben mir war jedenfalls sehr aufmerksam in seiner Bewachung. Sobald ich mich auch nur ein wenig rührte, legte er mir warnend die Hand auf die Schulter.

    Die Zeit wurde mir lang, doch endlich löste sich der äußere König aus der Gruppe seiner Berater und trat auf mich zu. Sorgsam musterte er mich, so lange und kritisch, dass mir unbehaglich wurde. Mit niedergeschlagenen Augen ließ ich die Musterung über mich ergehen. Haare und Bart waren struppig und ungepflegt, meine Kleidung zerrissen und schmutzig. Absichtlich hatte ich sie schlicht gewählt, so dass sich aus ihr keine Antwort ablesen ließ.

    Die Zeit unter den abschätzenden Augen des äußeren Königs kam mir endlos vor und mein Herz klopfte wild. Nach einer Weile begann er ruhig zu sprechen. „Du hast gebeten dich zu mir zu bringen. Nun sag, wer du bist und was du von mir willst."

    Jetzt kam es darauf an. Meine Kehle war ausgetrocknet, ich schluckte mühsam. In der Sprache meines Landes antwortete ich: „Ich komme als Bote. Ich muss allein mit dir reden."

    In der mir bekannten Welt sind Boten besonders geschützt. Niemand vergreift sich an ihnen, niemand kerkert sie ein. Sie sind zwar nicht immer gern gesehen, aber sie werden respektiert und haben freies Geleit. Ich hoffte, dass es auch in seinem Land so sei. Absichtlich hatte ich in der Sprache meines Landes gesprochen. Obwohl ich nicht wusste, ob der äußere König sie noch erinnerte, wollte ich ihm damit ein Zeichen geben. Mit der Reaktion, die er jetzt zeigte, hatte ich allerdings nicht gerechnet. Er zuckte heftig zusammen und schrak zurück. Im nächsten Moment trat er so dicht an mich heran, dass wir uns fast berührten.

    „Sag das noch einmal," forderte er rasch und schneidend.

    „Ich komme als Bote. Ich muss mit dir allein reden", wiederholte ich leise in meiner Sprache.

    Unsere Blicke begegneten sich. Seine Augen flackerten. Wortlos, fragend, beunruhigt. Irgendetwas an mir kam ihm bekannt vor. War er lang dieser Augenblick - ich weiß es nicht. Kurz, sehr kurz und dennoch lang. Plötzlich wandte er hastig den Blick ab und schüttelte sich. Rasch trat er ein, zwei Schritte zurück. Erneut wanderte sein Blick über mich und blieb an meinem rechten Arm hängen. Mein Ärmel war zerrissen und von Blut und Schmutz verkrustet.

    „Du bist verwundet?!" Teils feststellend, teils fragend sprach er diese Worte in meiner Sprache.

    Ich nickte als Antwort. Der äußere König wies auf einen der langen Tische und wieder sprach er in meiner Sprache zu mir. Er schien kein Wort von ihr vergessen zu haben.

    „Setz dich. Ich lasse den Heiler holen, er soll nach deiner Wunde sehen. Ich nehme an, du hast auch Hunger?"

    Leise antwortete ich. „Ja."

    Und der äußere König wiederholte: „Setz dich. Lass deine Wunde säubern und iss."

    Langsam ging ich zu dem mir zugewiesenen Tisch und ließ mich auf die hölzerne Sitzbank sinken. Ich war erleichtert, endlich sitzen zu können, denn meine Erschöpfung war groß. Und ich war beeindruckt von seiner Menschlichkeit. Er wusste nicht, wer ich war, er wusste nicht, was ich wollte, ich war sein Gefangener und hätte sein Feind sein können. Dennoch achtete er darauf, dass ich zu Essen erhalten und meine Wunde versorgt werden würde.

    Mein Herz flog ihm zu. Wie gern hätte ich mich ihm zuerkennen gegeben. Doch ich durfte es nicht wagen, ihn in seinem Reich zu brüskieren. Ich musste alle Schritte ihm überlassen, ich durfte nur reagieren. Also blieb ich in meiner Rolle, senkte den Kopf wie es sich als Gefangener gehört und beobachtete vorsichtig aus den niedergeschlagenen Lidern heraus.

    Der äußere König rief einige Bedienstete zu sich und gab ihnen Anweisungen, die ich nicht verstand. Dann trat er wieder in den Kreis seiner Berater, scherzte und redete lebhaft mit ihnen. Mich schien er scheinbar völlig zu ignorieren.

    Der äußere König erzählt

    Als ich meinen Thronsaal betrat und den Gefangenen sah, durchfuhr es mich heiß. Obwohl er kniete und seine Hände gebunden waren, kam mir etwas an ihm vertraut vor. Ich konnte es nicht benennen, doch es beunruhigte mich. Auch der Bericht meines Hauptmanns über seine Gefangennahme erschien mir merkwürdig und seltsam. Ich kannte nur einen Menschen, der besser kämpfen konnte als meine Krieger und dieser eine lebte nicht in meinem Land. Und wenn er so gut kämpfen konnte, warum hatte er sich ergeben? Nicht nur der Hauptmann stellte sich diese Frage.

    Auch in einem weiteren hatte der Hauptmann recht. Eine Aura von Macht umgab den Gefangenen. Möglicherweise war es diese, die das Gefühl des Vertrautseins in mir erweckte. Dennoch, Vorsicht und Achtsamkeit waren geboten. In der letzten Zeit hatten mir die Kundschafter von zahlreichen eigenartigen Ereignissen im Land berichtet, zusätzlich mehrten sich Angriffe von außen. Eine unbekannte Gefahr drohte meinem Land.

    So gewarnt trat ich zu dem Gefangenen und musterte ihn. Irgendetwas, was ich nicht näher beschreiben konnte, war an ihm. Ich erkannte rasch, von ihm ging keine Gefahr für uns aus. Dessen war ich sicher. Doch etwas anderes berührte mich auf so heftige Weise, dass es mir den Schweiß aus den Poren trieb. Etwas lockte und erschreckte mich zugleich. Lange sah ich ihn an. Wenn ich allerdings gehofft hatte, ihn durch meine Musterung zu verunsichern, so hatte ich mich getäuscht. Nur das Pochen seiner Ader am Hals zeigte mir, dass er nicht so gelassen war wie er zu sein vorgab.

    Als er mir auf meine Fragen endlich in der Sprache des inneren Landes antwortete, durchfuhr mich ein brennender Schmerz. Meine schönsten und meine schlimmsten Erinnerungen sind mit dem inneren Land verbunden. Vor Jahren hatte ich dort einige Zeit gelebt. Aber dies waren Erinnerungen, die ich tief in mir vergraben hatte. Ich hütete mich an ihnen zu rühren, zu groß war der Schmerz. Nun zuckte ich zusammen und konnte leider nicht verhindern, dass mir mein Zurückschrecken anzumerken war. Dicht trat ich an den Gefangenen heran und fragte ein zweites Mal. Er hob den Kopf und antwortete. Sein Mund war unter einem struppigen ungepflegten Bart verborgen und die Haare hingen ihm verfilzt und schmutzig weit über die Augen. Dennoch fanden sich unsere Blicke, begegneten sich und hielten einander fest. Erneut regten sich Vertrautes und zugleich Beunruhigendes in mir. Ich ahnte, dieser Bote war mehr als er zu sein vorgab. Wie lange unser Blick währte, kann ich nicht sagen. Unsere Augen sprachen miteinander über Dinge, für die es noch keine Worte gab.

    Schließlich riss ich mich gewaltsam los und schüttelte meine Gefühle ab. Ich bin der König und ich habe meine Aufgaben. Gut, dass ich mich daran erinnerte. Sie gaben mir wie immer Halt und feste Struktur. Also sorgte ich dafür, dass der Gefangene oder soll ich sagen der Bote, Essen bekam und seine Wunde versorgt wurde. Während ich meine Anordnungen gab und mit meinen Ratgebern sprach, hatte der gefangene Bote an einem der Tische Platz genommen. Ich sah wohl, wie erschöpft er war, doch ich registrierte auch, das er heimlich sehr aufmerksam versuchte, alles aufzunehmen und zu beobachten. Nach kurzer Zeit kamen der Heiler und sein Gehilfe. Aus der Küche wurden Getränke, Suppe und Brot aufgetragen.

    Vorsichtig wusch der Gehilfe dem Boten den gröbsten Schmutz aus dem Gesicht und säuberte seine Kratzer und Wunden. Der Heiler kümmerte sich um den verletzten rechten Arm. Er entfernte Schmutz, Stofffetzen und verschorftes Blut und ich sah eine tiefe klaffende Schwertwunde, die er wohl bei der Gefangennahme erhalten hatte. Jetzt begann sie von neuem zu bluten. Die Haut um sie herum und die Wundränder waren rot und entzündet. Obwohl ich mich scheinbar angeregt mit meinen Ratgebern unterhielt, achtete ich ständig auf den Gefangenen. Entspannt ging ich von einer Gruppe zur anderen, doch dabei bemühte ich mich stets eine Position zu finden, in der ich ihn beobachten und im Auge behalten konnte. Die Säuberung seiner Wunde schien ihm Schmerzen zu bereiten, die er allerdings mit großem Erfolg unterdrücken konnte. Doch ich habe einen Blick dafür.

    Dann wurde ich für einige Zeit abgelenkt und als ich wieder hinschaute, brachte der Gehilfe des Heilers gerade eine Heilpflanze herein. Wir benutzen diese Pflanze, um heilenden Tee oder Aufgüsse zu bereiten. Der gefangene Bote jedoch schien um eine weitere Heilkraft zu wissen. Er sprach leise und erklärend mit dem Heiler, dann nahm er eine Handvoll Blätter, zerkaute sie und legte sie auf einen Teller. Dies wiederholte er mehrere Male, bis er eine größere Menge der breiigen Masse vor sich hatte. Der Heiler strich etwas davon in die Wunde, presste sie fest zusammen und legte einen dicken Kräuter-Breiumschlag über die entzündeten Ränder. Danach verband er den Arm fest mit sauberen Leinenstreifen.

    An den aufeinander gepressten Lippen und der geballten Faust des Boten erkannte ich, wie schmerzhaft der Vorgang sein musste. Gleichzeitig wurde ich mir immer sicherer. Ein Bote war dies gewiss nicht. Mein Heiler war ein guter erfahrener Mann mit nicht geringen Kenntnissen. Es war mir nicht vorstellbar, dass ein Bote größeres Heilwissen haben sollte, selbst wenn er aus dem inneren Land stammen würde. Nein, dieser geheimnisvolle Fremde war ein anderer.

    Noch während ich darüber nachgrübelte, schaute er auf. Durch den großen Saal hindurch begegneten sich unsere Augen erneut. Ich kannte diesen Blick. Ein wenig unsicher, ein wenig fragend und gleichzeitig in einer sicheren machtvollen Intensität. Wieder schien die Zeit stillzustehen. In mir formte sich das vage Verschwommene zu einem vertrauten Bild. Meine Ahnung verdichtete sich zu einer Vermutung. Im nächsten Moment schlug der Fremde die Augen nieder. Langsam und bedächtig begann er mit seiner linken Hand die ihm aufgetragene Suppe zu löffeln.

    Mein Herz klopfte, mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Hatte ich diesen kurzen Blick wirklich richtig gelesen? Ich glaubte, Freundschaft und tiefe Zuneigung in den dunklen Augen gesehen zu haben. Oder war es nur ein Wunsch und Einbildung gewesen? Würde ich es wirklich wollen? Dieser Blick hatte einen Aufruhr widerstrebender Gefühle in mir geweckt. Ich hoffte, dass man es mir nicht ansah. Vermutlich nicht, denn mein Amt bringt es mit sich, dass ich eine gute Beherrschung zeige.

    Ich suchte in mir nach einem Weg, wie ich mir Gewissheit über meine Vermutung verschaffen könnte, ohne dass es den anderen auffallen würde. Es stritt in mir: ich wollte Gewissheit haben und ich wollte es nicht wissen. Das, was ich vermutete, erschien mir unvorstellbar und doch war es die einzig mögliche Erklärung. Nun, ich bin ein Mann, der seinen Ängsten nicht ausweicht und Schwierigkeiten nicht entflieht. Mir kam eine Idee, die mich zittern ließ. Doch ich wusste, sie würde mir die Antwort bringen.

    Äußerlich ruhig ging ich zum gefangenen Boten hinüber. Eine Weile sah ich ihm zu, wie er seine Suppe löffelte. Scheinbar gelassen saßen wir uns gegenüber, doch ich war mir sicher, in ihm brodelte es genauso wie in mir. Ein gelegentliches Zittern des Löffels sprach mir davon. Nach einer Zeit des Schweigens und Betrachtens sprach ich ihn in der Sprache des inneren Landes an. „Du bist also ein Bote."

    Er stutzte einen Moment, dann schien er zu überlegen. Schließlich antwortete er: „Ich komme als Bote. Ich merkte auf. Trotz seiner Lage war er aufmerksam genug, den kleinen Unterschied in meiner Frage wahrzunehmen und zu korrigieren. Wollte er mir damit etwas sagen? Bevor ich meinen Plan umsetzen würde, wollte ich noch eines wissen. „Kannst du auch unsere Sprache sprechen?

    Er antwortete mit einem knappen ja.

    Ich schwieg. Unmerklich holte ich tief Luft und richtete mich auf. „Willst du etwas trinken?"

    Sein „ja, bitte als Antwort war leise und kurz und kaum zu verstehen. Ahnte er, was ich vorhatte? Ich hörte eine Frage, eine Unsicherheit in diesem geflüsterten ja bitte. Mit rauer Stimme befahl ich in meiner Sprache: „Sieh mich an!

    Langsam, fast widerstrebend hob er den Kopf. In einem spontanen Reflex wollte er sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen, doch auf halber Höhe ließ er seine Hand wieder sinken. Halb verborgen begegneten sich erneut unsere Blicke. Er war auf der Hut. Schleier überzogen seine Augen.

    Auch ich schottete mich ab. Ich wollte nicht in mir lesen lassen. Ich wollte nur genau beobachten und alles wahrnehmen. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, zog ich einen Becher heran. Dann griff ich mit einer Hand nach einem Krug Wasser und mit der anderen nach dem Krug mit Wein. Ich erhob beide Krüge und goss aus ihnen gleichzeitig Wasser und Wein in den Becher. In einem sich drehenden Strudel mischten sie sich.

    Vor vielen Jahren, als ich auf ungeklärte Weise in das Reich des inneren Königs gelangt war, gab es nur einen Menschen, der sich sein Getränk so eingoss. Ich hoffte, dass es immer noch so war. Niemand verstand diese Botschaft und alle hielten sie für eine exzentrische Eigenheit. Der innere König, ein Heiler und Mitglied des weisen Rates des inneren Landes - einstmals mein Freund - hatte dieses Ritual des Eingießens als Zeichen für unsere Freundschaft erfunden. So wie Wasser und Wein sich mischen und bekömmlich werden, so mischen sich unsere Liebe und unsere Fähigkeiten, hatte er stets gesagt.

    Den schmerzhaften Druck in meiner Kehle ignorierend füllte ich auf diese Weise den Becher. Unverwandt sah mir der Bote dabei zu. Kurz berührten sich unsere Hände, als ich ihm den Becher zuschob. Ein nicht sichtbares Zittern schwang zwischen ihnen. Scheinbar gleichmütig, ohne eine Miene zu verziehen nahm er ihn entgegen. Unsere Augen ließen einander nicht los, während er den Becher hob und einen tiefen Schluck nahm. Dann neigte er mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung den Kopf, seine Lider hoben und senkten sich. Mit dieser winzigen, fast nur angedeuteten Bewegung bestätigte er meine stumme Frage.

    Ich bin, von dem du denkst, der ich bin, sagte diese kleine Geste. Ich weiß, dass du mich erkannt hast und ich sage dir, dein Erkennen stimmt. Schatten und dunkle Wolken waberten zwischen uns. Doch tief in seinen Augen sah ich hell und licht unsere Zuneigung füreinander leuchten. Für Sekunden fühlte ich die reine Freude des Wiedersehens, aber im nächsten Moment brach ein gewaltiger Staudamm in mir und ein Strom aus Bitterkeit, Vorwürfen und Zorn ergoss sich in mich. Ich brauchte Kraft, dass all dieses nicht merkbar wurde. Kurz erstarrte ich und gönnte mir einen Moment, um mich zu fangen.

    Es war, wie ich angenommen hatte. Der Gefangene, der Bote, es war niemand anders als der innere König. Niemals hätte ich gedacht ihn wiederzusehen. Meinen engsten Freund, geliebt - und gehasst. Abrupt, ohne ein Wort stand ich auf und ging zu meinen Beratern.

    Der innere König senkte den Kopf über dem Becher. Ich konnte nicht sehen, was er dachte – und ich wollte es auch nicht. Rasch wählte ich einen jungen Diener, der mir durch seinen Einsatz besonders aufgefallen war, als seinen persönlichen Knappen aus. Ich hieß ihn ein Schlafgemach herzurichten und für saubere Kleidung zu sorgen. Auch die Waffen sollte er von den Soldaten zurückholen. Dann gab ich Anweisung uns nicht zu stören und trat erneut zum Gefangenen, nein, zum inneren König. Ich konnte ihn nicht anschauen.

    „Komm mit", befahl ich in hartem Ton und ging, ohne mich umzublicken, aus dem Saal. Dicht hinter mir, fast mich berührend, folgte mir der innere König. Ich spürte es.

    Der innere König erzählt

    „Komm mit", befahl der äußere König in solch kaltem Ton, dass mich erschauderte. Als er mir den Becher auf meine spezielle Weise füllte, wusste ich, dass er mich erkannt hatte. Mein Herz wollte ihm entgegeneilen, freudig hatte ich auf seine Reaktion gewartet. Doch ich war auf eine kalte Mauer der Abwehr gestoßen. Als er aufstand und mich ohne ein Wort sitzen ließ, war die Hoffnung in mir erloschen. Wir würden nicht nahtlos an die vergangenen Zeiten anknüpfen können.

    Nun glitt ich rasch und ohne zu zögern von meiner Bank und folgte ihm. Hoch aufgerichtet verließen wir den Thronsaal, dicht schritt ich hinter dem äußeren König her. Ein Raunen lief durch die Anwesenden. Hier gingen nicht ein König und sein Gefangener, hier waren zwei Könige, die auf unerklärliche Weise zusammen gehörten. Obwohl sie noch nicht wussten, wer ich war, schauten die Schlossbewohner mit großem Staunen, ja, fast mit Ehrerbietung. Etwas hatte sie bei unserem Anblick berührt, was sie verstummen ließ.

    Wir durchquerten mehrere Gänge und ich sah die Spannung, die im äußeren König herrschte. Sein Rücken war steif und abwehrend, seine Schritte hart und zackig. Nicht einmal wandte er sich zu mir um. Schließlich betraten wir einen kleineren Raum, der, wie ich später erfuhr, zu den privaten Gemächern des äußeren Königs gehörte. In einem offenen Kamin brannte ein helles Feuer, schwere Sofas standen zu beiden Seiten. Etwas tiefer im Zimmer befand sich ein massiver klobiger Tisch mit mehreren mattsilbern glänzenden Bechern und tönernen Krügen. Auch hier brannten zahlreiche Kerzen, die den Raum in helle und dunkle Bereiche tauchten. Zwei tiefe Fenster, an denen ich zum ersten Mal die Dicke der Schlossmauern erkennen konnte, öffneten den Blick auf das nächtliche Land. Ein sanfter Mond warf sein blasses Licht darüber, ziehende dunkle Wolken bedeckten und enthüllten es.

    Stumm wies der äußere König auf ein Sofa. Dann quetschte er doch noch ein hastig gemurmeltes „ setz dich" heraus. Er ging zum Tisch und goss zwei Becher ein. Ohne ein Wort, ohne einen Blick reichte er mir einen davon. Mit seinem Becher in der Hand wandte er sich ab und ging zum Fenster. Schweigend schaute er hinaus.

    Still nahm ich den Becher entgegen, mein leises „danke" blieb ungehört. Vorsichtig nippte ich an dem Getränk. Der Wein war gut, von kräftigem herbem Aroma. Gern hätte ich mehr davon getrunken, um danach in der wohligen Wärme einzuschlafen. Doch dies war nicht die Zeit dazu. Ich musste wach bleiben und ich musste aufmerksam sein. Ich wusste, meine ganze Präsenz würde gefordert werden. Ich war es dem äußeren König schuldig, auszuhalten und wach da zu sein. Mit leichtem Bedauern stellte ich meinen Becher auf den Kaminsims. Geduldig wartete ich. Die ziehenden Wolken tauchten den Raum in wechselndes Licht.

    Plötzlich und unerwartet wirbelte der äußere König so heftig herum, dass der Wein im Bogen aus seinem Becher spritzte. Mit wenigen zornigen Schritten kam er zu mir. Ungestüm knallte er seinen Becher auf den Rand des Kamins und beugte sich wütend über mich.

    Mit eisiger Stimme zischte er: „So sehen wir uns also wieder! - - Wer hätte das jemals gedacht? Nachdem ihr mich aus eurem Land geworfen habt, kommst du nun in mein Land geschlichen. Und das auf solch lächerliche demütigende Weise. Als Gefangener, verlumpt und verdreckt und kaum zu erkennen! Bin ich dir so wenig wert, dass du mir nicht einmal die Ehre deines und meines Amtes erweisen kannst? Erst werft ihr mich aus eurem Land und jetzt kommst du, um mich lächerlich zu machen. Und dann lässt du dich auch noch gefangen nehmen. Was willst du? Mir zeigen, wie wenig meine Abwehrkräfte können?"

    Immer lauter, immer zorniger wurde seine Stimme. „Was willst du? Warum lässt du dich gefangen nehmen?", schrie er mich an.

    „Das war nicht geplant, murmelte ich leise. „Der Übergang von meinem in dein Land ist schwer und gefährlich geworden. Ich war mehrere Tage halb ohnmächtig und wie benommen. Es kostet viel Kraft, die Grenze zu übertreten, ich war erschöpft. Dennoch, ich konnte es mir nicht versagen, leicht zu lächeln, „wenn ich nicht gewollt hätte, hätten deine Leute mich nicht besiegen können. Du weißt, ich hatte einen guten Lehrer." Kläglich war mein Versuch eines Scherzes.

    Ich wusste nicht, ob mir der äußere König überhaupt zuhörte. Brummend und murmelnd lief er im Raum umher. Deswegen wurde auch ich lauter und eindringlicher. „Ich wollte ohne Aufsehen als Bote in dein Land kommen, als unauffälliger Gast. Ich wollte zum Schloss wandern und höflich um eine Audienz bitten. Nun aber hatten deine Wachtruppen mich entdeckt und es war zum Kampf gekommen. Ein Sieg oder eine Flucht von mir hätte zu viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Was meinst du, welche Unruhe in deinem Land entstanden wäre, hätte man einen flüchtigen Eindringling suchen müssen? Und hätte ich mich als innerer König zu erkennen gegeben, hätte mir niemand geglaubt. Ich musste mich gefangen nehmen lassen. Dies war der unauffälligste Weg zu dir. Hätte ich nicht aus meiner Benommenheit heraus instinktiv mit dem Kampf begonnen, hätte es anders kommen können."

    Ich hielt inne. Ich wollte erklären und erklären, manchmal neige ich dazu, an den falschen Stellen zu viele Worte zu machen. Es hatte nicht in meiner Absicht gelegen ihn vorzuführen oder in irgendeiner Weise ihn oder seine Krieger lächerlich zu machen. Im Gegenteil. Eigentlich hatte ich jedes Aufsehen vermeiden wollen. Ich hoffte, dass er dies verstand.

    Doch dann merkte ich, dass jedes meiner Worte überflüssig war. Er wollte das Geschehen gar nicht wissen, zumindest nicht jetzt. Sein Zorn beruhte auf etwas ganz anderem. Jetzt hatte er nur für ein Ventil danach gesucht. Zwar hatte er während meiner Worte geschwiegen, seine zornige Wanderung durch den Raum aber hatte er nicht unterbrochen.

    Nun blieb er stehen und stützte sich von mir abgewandt laut atmend auf den schweren Tisch. Nach einer Weile drehte er sich um und sprach, an den Tisch gelehnt, mühsam beherrscht aus dem Halbdunkel des Raumes heraus. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wie das ist? Erst gerätst du auf der Flucht um dein Leben durch Zufall in ein fremdes Land, dann findest du dort deine Heimat und dein Glück und dann erwachst du eines Tages und bist wieder in deinem eigenen Land. Im Chaos! Im Krieg! Seine Stimme wurde wieder lauter und dann begann er zu schreien: „Weißt du, wie das ist, alles, was dir lieb und vertraut ist zu verlieren und nicht zu wissen warum?!

    Wieder stürmte er wenige Schritte auf mich zu und drückte mich in die Polster. Dicht schwebte sein wütendes Gesicht über mir. „Warum habt ihr dies gemacht?", zischte er mir entgegen. Grob packte er mich an den Schultern und schüttelte mich. Doch trotz seines Zorns musste er mein schmerzverzerrtes Gesicht gesehen haben, denn sofort ließ er wieder von mir ab. Schwer atmend trat er einen Schritt zurück.

    „Weißt du, dass ich mich jeden Tag meines Lebens frage, warum ihr mich so verraten habt. Warum? Alle haben wir uns gut verstanden, wir lebten in Harmonie. Was ist geschehen? Habe ich etwas verkehrt gemacht? Habe ich unwissentlich gegen ein Gesetz verstoßen? Ihr habt mir nichts gesagt. Nichts! Wild schrie er auf. „Wie konntet ihr mein Vertrauen so missbrauchen? Wie konntet ihr mich einfach verstoßen? Einfach so. Ohne Begründung. Ohne nichts. Warum habt ihr das getan, verdammt noch mal. Warum?

    Zornig fegte er die Becher vom Kaminsims, klirrend fielen sie zu Boden. Er trat sie aus dem Weg und eilte zum Fenster. Weit öffnete er die Fensterflügel, keuchend stand er in der kühlen Nachtluft.

    Das Herz war mir schwer. Ich sah wie Zorn und Wut, aber auch Kummer und Verzweiflung in ihm kämpften. Was konnte ich tun? Wie gern hätte ich ihm Trost gegeben, doch hier gab es keinen. Hier gab es nur die Wahrheit und diese musste ich ihm geben. Auch wenn es uns beide schmerzte. Und so sagte ich in das Schweigen hinein: „Du warst unglücklich."

    Rasch, mit neu aufwallendem Zorn, drehte er sich um. Tränen liefen über sein empörtes Gesicht. „Nein! Nein und noch mal nein. Ich war glücklich!"

    Ich musste schlucken. Es würde ihm nicht gefallen, was ich jetzt zu sagen hatte. Doch wenn er der aufrichtige Mann geblieben war, als den ich ihn kennen gelernt hatte, würde er die Wahrheit erkennen können. „Ja, begann ich. „Du warst glücklich. Doch unter deinem Glück wuchs ein Unglücklichsein heran. Über Wochen haben wir dich beobachtet und haben überprüft, was wir zu sehen meinten. Wir erlebten, wie in fröhlichen Situationen dein Lachen plötzlich erstarb. Beim gemeinsamen Tun wurdest du von einem Moment auf den anderen still und abwesend. Viele solcher Begebenheiten gab es, an denen du nicht mehr bei uns warst. Gegen die, die du liebtest, wurdest du gereizt und ungerecht. Unbegründet, aus heiterem Himmel verletztest du, hast Menschen zurückgewiesen und gekränkt.

    Ich streckte ihm meine Hand entgegen und lud ihn ein neben mich auf das Sofa zu kommen. Doch er rührte sich nicht, sondern blieb starr am Fenster stehen. „Wir machten uns Sorgen. Als wir nicht mehr weiter wussten, befragten wir das weise Orakel. Es ging in die Trance und als es zurückkehrte, berichtete es uns, dass in deinem Land eine große Aufgabe auf dich warte. Dein Aufenthalt in unserem Land diene der Vorbereitung für diese Aufgabe. Das Orakel schilderte uns, dass deine Seele darum wisse. Sie versuche, dich durch dein ungewöhnliches Verhalten darauf aufmerksam zu machen. Sie lasse dich unglücklich werden, damit du erkennen könntest. Das Orakel meinte, du würdest es spüren und ahnen. Doch du hast nie etwas darüber gesagt."

    Ich verschwieg, dass ich ihn oft vorsichtig danach gefragt hatte. Es ging mir nicht darum, ihm Vorhaltungen zu machen. Er sollte nur unsere Beweggründe wissen. „Nun wussten wir, dein Unglücklichsein würde wachsen und dich zu immer unfreundlicherem Verhalten treiben. Es würde beginnen dich zu vergiften. Und das Gift würde dich zerstören. Ich zitterte. Auch mir tat die Erinnerung an diese Zeit weh. Tief holte ich Luft. „Wir konnten deiner Zerstörung nicht zusehen. Wir durften dich nicht an deiner Aufgabe hindern. So beschlossen wir, dich in dein Land zurückzubringen. Glaub mir, murmelte ich, „unsere Trauer war groß".

    Der äußere König schwieg. Er wusste, dass ich die Wahrheit sprach. Ich sah es ihm an. Sie war ihm bitter, aber er würde sich nicht dagegen wehren. Dennoch waren Aufbegehren und Zorn in ihm. „Ihr hättet es mir sagen müssen, flüsterte er leise und wiederholte mit einem zornigen Aufschrei, „ihr hättet es mir sagen müssen. Ihr hättet mir die Möglichkeit geben müssen, selbst zu entscheiden.

    Seine Stimme brach. Der Zorn zog sich zurück, Kummer und Trauer überwältigten ihn. Weinend lehnte er am Fensterrahmen. „Was habt ihr mir angetan, klagte er unter Tränen. „Warum? Warum konnte ich nicht selbst entscheiden?

    Leise stand ich auf und ging zu ihm. Ich konnte ihm keine Antwort geben. Es würgte mich. Jede Antwort, die ich geben würde, würde den Schmerz vergrößern. Einzig meine Liebe, meine Heilkraft konnte ich ihm schenken. So trat ich dicht hinter ihn und legte meine linke Hand sacht auf seinen Rücken.

    Im nächsten Moment drehte er sich um und schlug meinen Arm fort. „Lass das, rief er, „ich will das nicht. Diese Zurückweisung schmerzte mich mehr als all sein vorheriger Zorn. Betroffen rückte ich ein Stück zur Seite, blieb aber neben ihm stehen. Ich wollte mich nicht entfernen, er sollte wissen, dass ich sein Leid mittragen und aushalten würde. Zu gern hätte ich etwas getan, um es ihm zu erleichtern. Wenn ich nur gewusst hätte, was. Still standen wir nebeneinander. Sein Weinen schien weniger werden. Schließlich wandte er sich mir zu. Ich erschrak, als ich sein Gesicht sah. Kein Zorn war mehr zu sehen. Stattdessen blickte er mich mit einer abgrundtiefen Trauer an, die mir tief ins Herz schnitt.

    Tonlos sagte er: „Ich habe dir vertraut. Du ahnst nicht, wie sehr ich dir vertraut habe. Wenigstens du hättest es mir sagen müssen." Sein Gesicht zuckte. Erneut brach das Weinen aus ihm heraus. Verzweifelt umklammerte der äußere König eine Art hölzernes Geländer, das sich vor dem Fenster befand. Vorsichtig hob ich meine Hand und legte sie behutsam auf seine. Würde er mich wieder zurückstoßen? Kurz zuckte seine Hand unter der meinen, dann ließ er mich gewähren.

    Ich sammelte meine Kräfte, denn auch mir drängten die Tränen in die Augen. So ruhig wie möglich sagte ich: „Wir haben gehandelt wie wir es für richtig hielten. Jetzt weiß ich nicht mehr, ob es richtig war. Heute zweifle ich."

    Der äußere König schwieg. Dann flüsterte er bitter: „Das nützt mir jetzt auch nichts."

    Lange standen wir in dem nächtlichen Fenster. Offen ließ der äußere König seinen Tränen freien Lauf. Meine Hand bedeckte die seine. Ich versuchte weder zu spüren, was in ihm vorging noch ihm meine Gefühle zu zeigen. Ganz schlicht wollte ich nur bei ihm stehen und mit ihm aushalten. Geduldig schritt die Nacht voran. Das Feuer hinter uns erlosch, der Mond begann sich über den Bergen zu senken. Das Weinen verebbte. Stille umgab uns.

    Langsam zog der äußere König seine Hand unter meiner hervor. Mit beiden Händen wischte er sich die Nässe aus dem Gesicht. Weit öffnete er das Fenster und ließ frische kühle Luft hineinströmen. Dann wandte er sich um. Ich hörte, wie er im Raum umherging, die Becher aufhob und Ordnung schaffte. Ein Sofa knarrte, offensichtlich hatte er Platz genommen. Die kühle Nachtluft ließ mich frösteln. Ich schloss das Fenster, atmete tief durch und ging zu ihm.

    Müde rieb sich der äußere König die Augen. Dann sah er mich an und fragte beherrscht und distanziert: „Du hast gesagt, du kommst als Bote. Welche Botschaft bringst du? Warum bist du gekommen?"

    Ich seufzte. Kurz schloss ich die Augen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Sollte ich wirklich jetzt mein Anliegen vortragen? Konnte er überhaupt zuhören? Und war es nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt in dieser Situation?- Es war nicht an mir, den richtigen Augenblick zu wählen. Dennoch versuchte ich es. „Sollten wir das nicht besser auf Morgen…?"

    „Nein, unterbrach mich der äußere König barsch. „Ich will es jetzt wissen.

    Es blieb mir keine andere Wahl als zu antworten. „Ich bin gekommen, um dich um Hilfe zu bitten."

    In der Stille halten meine Worte nach. Ich wartete schweigend. Doch auch der äußere König schwieg und wartete. So fuhr ich nach kurzer Pause fort. „Wir wissen, dass dein Reich angegriffen wird und an einigen Stellen gefährdet ist. Seltsame Dinge geschehen bei dir und bei uns, plötzliche Unruhen, Ängste und nächtliche Zerstörungen. Was dein Land gefährdet, gefährdet auch uns. Anfangs haben wir gedacht, dass wir allein standhalten könnten. Doch in letzter Zeit haben wir ein merkwürdiges Paradoxon festgestellt."

    Ich beugte mich zu ihm vor. Er saß zurückgelehnt, die Arme verschränkt. Er hörte zu, dies sah ich. Aber mehr konnte ich seiner Miene nicht entnehmen. „Es ist eine Bedrohung, die wir uns nicht erklären können. Unsere Grenzen fasern aus. Sie werden durchlässiger für die Energien der Außenreiche. Gifte, Dunkles und Feindliches dringt durch sie ein. Noch können wir damit umgehen, doch was machen wir, wenn es sich mehrt? Du weißt, wir sind kein Volk der Kämpfer. Erst einmal haben wir alles Schützenswerte, die Frauen und Kinder, die Denker und Künstler und die Heiler in die inneren Bereiche zurückgezogen. Nur die wenigen Kämpfer, freiwillige Heiler und Mitglieder des weisen Rates leben noch an den Grenzen."

    Ich sah zum äußeren König hinüber. Er kannte das heitere Leben an unserem Königshof. Konnte er sich vorstellen, wie verwaist und still es dort geworden war? „Das Merkwürdige ist, dass, obwohl die Grenzen für die Außenenergien durchlässiger werden, der Übergang von uns aus immer schwerer wird. Früher konnten wir mit Leichtigkeit in die anderen Länder wechseln, heute kostet uns ein Übergang Kraft und Anstrengung. Jeder Übergang schwächt und gefährdet den Grenzgänger. Es dauert Tage, bis er die Ohnmacht und Benommenheit abschütteln kann."

    Er nickte und ich wusste, genau wie ich dachte er an meine Gefangennahme und an seine eigenen Erfahrungen. In früheren Zeiten hätte ich leicht die Grenze wechseln und zu ihm reisen können. Ein Eindringen von außen war jedoch kaum möglich gewesen. Deswegen hatte uns sein plötzliches Auftauchen in unserem Land so erstaunt. Und es hatte auch ihn viel Kraft gekostet die Folgen des Übergangs zu überwinden. Viele Tage hatte ich ihn in seinem Halluzinieren begleitet. Doch ich durfte mich nicht in Erinnerungen verlieren. Also riss ich mich zusammen und sprach weiter. „Wir kennen den Grund für diese Veränderung nicht. Sie macht uns Sorgen. Wir brauchen Zeit, um die Ursachen erforschen zu können. Zeit, in der wir geschützt sein müssen, um unsere Energie auf die Suche lenken zu können. Doch wenn wir all unsere Energie auf das Innen wenden, sind wir ungeschützt vor dem Äußeren. Das weise Orakel hat mich geschickt. Es ist sicher, dass wir beide die Lösung finden können."

    Ich blickte ihm ins Gesicht. Obwohl ich im Auftrag meines Landes kam, wollte ich mich nicht hinter dem weisen Rat und dem weisen Orakel verstecken. Es war auch mein Anliegen. „Ich bin gekommen, um deine Hilfe zu erbitten. Kannst du meinem Land Schutz geben, wenn wir uns der Suche zuwenden?"

    Mit diesen Worten schwieg ich. Ich hatte alles gesagt, was zu sagen war. Nun lag die Entscheidung bei ihm. Nicht nur unsere Sicherheit hing davon ab, sondern langfristig auch unser Überleben. Dennoch, mehr konnte ich nicht tun.

    Vornübergebeugt, mit gespreizten Knien saß mir der äußere König gegenüber. Nachdenklich drehte er den Becher in seinen Händen. Geduldig und aufmerksam hatte er mir zugehört. Ich konnte noch immer nicht einschätzen, was in ihm vorging. Seine Miene blieb weiterhin unbeweglich.

    Endlich hob er den Kopf. „Es war eine lange Nacht - für uns beide. Sieh, der erste Schimmer des Lichts zeigt sich hinter den Bergen. Jetzt ist nicht die Zeit für Entscheidungen. Lass uns schlafen gehen. Morgen werden wir darüber reden."

    Ich hatte ihn unterschätzt. Dies war eine weise Entscheidung. Wir waren beide erschöpft und aufgewühlt, die Nacht hatte ihren Tribut von uns gefordert. Am morgigen Tag könnten wir klarer denken.

    Ich nickte. „Gut, machen wir es so."

    Er stand auf und auch ich erhob mich und sah ihn fragend an. Die letzten Nächte hatte ich in den Gefangenenzellen hinter den Ställen verbracht. „Komm, ich zeige dir dein Zimmer." Schweigend eilten wir durch einige Gänge. Auf der Treppe kam ich ins Stolpern. Sofort sprang der äußere König mir bei. Bevor ich fallen konnte, hielt er mich fest und sicher.

    „Danke, murmelte ich, doch dies war offensichtlich schon zu viel. Er ließ mich los, als habe er sich verbrannt, trat zwei Schritte zurück und eilte wortlos weiter die Treppe hinauf. Schweigend, mit schwerem Herzen, folgte ich ihm, bis er vor einer wuchtigen Holztür stehen blieb. Dort nickte er mir zu, wies mit einer flüchtigen Handbewegung auf die Tür und wandte zum Gehen. Doch dann hielt er inne. Halb über die Schulter gewandt sagte er „Gute Nacht und ging rasch davon. Mir stieg das Wasser in die Augen. Diese schlichte Geste der Freundlichkeit rührte mich tief.

    Müde öffnete ich die schwere Holztür und betrat meine Gemächer. Meine Wunde schmerzte. Ich taumelte vor Anstrengung und Erschöpfung und wollte nur noch eines: ins Bett fallen und schlafen.

    Sogleich bei meinem Eintreten sprang ein junger Mann, fast noch ein Knabe auf mich zu. Er überschüttete mich mit einem Wortschwall und dankte für die Ehre, als Knappe ausgewählt worden zu sein. Er habe keine Erfahrung, sei bisher nur Diener gewesen, doch er werde diese Chance nutzen. Ich winkte ab, heute hatte ich nicht mehr die Kraft darauf einzugehen.

    Der Knappe verstand. Rasch trat er zu mir und half mir beim Entkleiden. Dabei erwähnte er, dass er im Nebenzimmer ein heißes Bad habe richten lassen. „Ich habe die ganze Nacht das Wasser überprüft und erneuert. Es ist noch warm. Nimm ein warmes Bad, drängte er. „Du bist voller Blut und Schmutz. Und ehrlich gesagt, du riechst auch nicht gut. Freimütig lachte er.

    Ich hätte mich auch in meiner schmutzigen Kleidung ins Bett gelegt. Doch seine liebevolle, offene Art rührte mich, ich wollte ihn an seinem ersten Tag als Knappe nicht enttäuschen. Die ganze Nacht hatte er gewartet, war wach geblieben und hatte kluge Sorge getragen. Zudem war ich zu erschöpft, um mich gegen sein munteres Drängen zu wehren. Also stieg ich in das wärmende Wasser. Wohlig entspannten sich meine verkrampften Muskeln. Mit sicherer Selbstverständlichkeit half mir der Knappe bei der Säuberung, behutsam löste er verkrustetes Blut und wusch mir den Schmutz aus den Haaren. Anspannung und Beherrschung lösten sich, die fiebrige Erschöpfung wich einem gesunden Bedürfnis nach Schlaf. Er stützte mich auf dem Weg in mein Bett. Es gelang mir gerade noch ihm zu danken, dann fiel ich in einen tiefen Schlaf.

    Der äußere König erzählt

    In dieser Nacht schlief ich nicht mehr. Nachdem ich den inneren König zu seinen Räumen gebracht hatte, ging ich in mein Gemach zurück. Obwohl ich alle Fenster geöffnet hatte, stand noch der Geruch der Nacht in ihm. Ich schürte das Feuer neu und ließ mich erschöpft auf meine bequeme Couch fallen.

    Ein Aufruhr tobte in mir. Zorn und Groll auf den inneren König wechselten sich ab mit den alten Gefühlen der Zuneigung und Liebe. Trotz meines Zornes war ich nicht blind gewesen. Ich hatte sehr wohl gesehen, dass es ihm nicht gut ging. Er litt unter der Verletzung und den Strapazen der Gefangennahme und er litt unter mir. Ich hatte gesehen, wie schwer ihm manche Worte gefallen waren und ich hatte die Kränkung gesehen, als ich ihn zurückwies und schlug. Fast schwarz vor Trauer waren seine Augen geworden. Es tat mir leid - doch ich hatte seine Zuwendung in diesem Moment nicht ertragen können. Hätte ich sie zugelassen, wäre ich zusammengebrochen.

    Dies jedoch war nur die eine Seite. Die andere wütete und meinte, er habe es sich selbst zuzuschreiben. Ich sei derjenige, der litt, warum sollte ich mit ihm mitfühlend sein! Zorn und Vorwürfe sammelten sich, stärkten mich und schufen eine Mauer gegen ihn. Dieser Widerstreit in mir fand kein Ende, er drohte mich zu zerreißen.

    Irgendwann schob ich ihn beiseite. Ich würde ihn später lösen, jetzt hatte ich keinen Raum mehr dafür. Denn noch in dieser Nacht musste ich eine Entscheidung treffen. Sollte ich dem inneren König und seinem Land helfen oder sollte ich eine Hilfe ablehnen? Welche Entscheidung wäre die richtige? Was würde eine Hilfe meinem Land an Einschränkungen bringen, was würde eine Verweigerung bedeuten? Ich liebte das innere Land, seine lieblichen Täler mit den bunten Wiesen und frischen Bächen, seine dunklen Wälder und lichten Höhen. Seinen Königshof voll Lachen und Frohsinn, seinen Dichtern und Denkern, ihren Diskussionen und klugen Streitereien, seine Anmut und Harmonie und seinen Bemühungen, die Welt heller und freundlicher zu machen. Andererseits hatten sie mich ohne zu zögern auf sehr üble Weise aus ihrem Land hinausgeworfen.

    Ich grübelte und grübelte. Zum Schluss führten meine Überlegungen immer wieder zu einem Satz des inneren Königs zurück. „Was dein Land gefährdet, gefährdet auch uns." Dieser Satz galt auch umgekehrt. Wenn ich mein Land schützen wollte, musste ich seines schützen. Wenn ich seinem Land Schutz gab, würde dies auch auf mein Land wirken. Gegen Morgen, als sich die Sonne erhoben hatte und hell in mein Zimmer schien, hatte ich meine Entscheidung getroffen. Ich würde seinem Land die erbetene Hilfe geben.

    Der innere König erzählt

    Ich schlief tief und fest, bis ich am späten Morgen von dem Knappen geweckt wurde. Sanft schüttelte er mich. „Du musst aufstehen, drängte er. „Der äußere König erwartet dich in einer Stunde im Thronsaal. Ich habe dir neue Kleidung besorgt und...

    Ich erschrak. Hastig unterbrach ich ihn. „Was ist mit meiner Lederweste?"

    „Die hatte der Hauptmann für dich in Verwahrung genommen. Ich habe sie schon geholt und gesäubert."

    Erleichtert atmete ich aus. Während ich mich ankleidete, lobte ich ihn für seine Umsicht. Dann fasste ich ihn an den Schultern, sah ihm eindringlich ins Gesicht und erklärte ihm: „Hör gut zu. Niemals, unter keinen Umständen überlasse einem anderen mein Lederweste. Hier ist ein Goldstück, bring es dem Hauptmann zum Dank – oder lass, ich gehe später selber zu ihm. Du jedoch sorge immer dafür, dass niemand meine Weste in die Hände bekommt. Sollte mir etwas zustoßen, bring sie dem äußeren König. Aber keinem anderen. Schwöre mir dies, bei deiner Ehre."

    Meine eindringlichen Worte schüchterten ihn ein. Ängstlich blickte er zu Boden. Er zitterte, doch seine Stimme war fest als er sagte: „Ich schwöre es, bei meiner Ehre."

    Ich überlegte einen Moment, dann beschloss ich ihn einzuweihen. Damit ging ich ein Risiko ein, doch er erschien mir vertrauenswürdig. Wenn er wüsste, was es zu schützen galt, würde er mit seiner Aufgabe anders umgehen können. „Nimm das Leder und fühle. Fühlst du den dicken gerollten Rand an seinen Seiten?"

    Er nickte.

    „Gut. Jetzt fahr mit dem Finger vorsichtig nach unten über den Rand. Sag mir, was du spürst."

    Behutsam strich er mehrmals über den dicken Rand. Dann hellte sich sein Gesicht auf. Zweimal noch prüfte er sorgfältig. „Da ist ein Riss oder ein Bruch im Leder. Er ist ganz fein, aber ich bin mir sicher."

    „Richtig. Knick den Saum an dieser Stelle ein. Du wirst etwas Festes spüren. Fahr den Saum entlang und schieb es aus der entstehenden Öffnung heraus. Aber sei vorsichtig."

    Fragend schaute er mich an. Sollte er dies wirklich tun? Ich nickte ihm ermutigend zu. Äußerst sorgfältig begann er behutsam meinen Anweisungen zu folgen. Seine Augen wurden groß, als drei schmale gewundene Goldstreifen aus dem Saum heraus glitten.

    Ich nahm die schmalen Streifen und legte sie auf dem Tisch zu einem Kreis. Unsere Goldschmiede hatten dieses besondere Schmuckstück für meine Reisen in fremde Länder erdacht und in monatelanger Arbeit gefertigt. „Schau", sagte ich. Dann zeigte ich ihm, wie die Streifen miteinander verbunden werden konnten. Ein Druck auf zwei Endstücke spreizte die geflochtenen Fäden auf. Sie ließen sich zu einem bestimmten Ornament zusammenfügen. Ein zarter schlichter Kronreif mit einem Stirnornament war entstanden. Mit offenem Mund und großen Augen staunte er mich an. Vorsichtig strich er über den Kronreif.

    „Er ist so schön", meinte er leise.

    Ich nahm ihm den Reif ab. „Verstehst du jetzt?", fragte ich und er nickte stumm.

    Dann entsann er sich wieder seiner Aufgaben. „Du musst dich eilen. Ich habe dir eine Morgenmahlzeit gerichtet, auch wartet der Heiler vor der Tür. Er kann deine Wunde versorgen, während du isst. Doch rasch, der König mag es nicht, wenn man zu spät kommt."

    Er lief zur Tür und bat den Heiler herein. Umsichtig wie dieser war, hatte er ein Bündel frischer Heilkräuter mitgebracht. Während ich aß, wechselte er geschickt den Verband. Ich war erleichtert, die Entzündung war zurückgegangen.

    Nur wenig später eilten wir durch die Gänge zum Thronsaal. Ich trug meine Krone und mein Schwert. Damit wollte ich dem äußeren König die Ehrerbietung bringen, die er sich wünschte. Spät, aber noch in der Zeit, erreichten wir den Thronsaal. Die großen Flügeltüren waren noch geöffnet. Der äußere König saß auf dem Podium an der Stirnseite im Kreise seiner Berater. Diesmal war der Thron an die Wand geschoben worden, stattdessen stand der große Tisch in der Mitte.

    Bei meinem Eintreten blickte der äußere König auf. Rasch sprang er vom Stuhl und lief den langen Gang hinunter, mir entgegen. Auch meine Schritte wurden schneller. Ich eilte ihm entgegen und fühlte die Freude, ihn wieder zu sehen. Aus den Augenwinkeln sah ich wie alle Anwesenden, Berater, Ritter, Krieger, Knappen und Diener überrascht auf uns schauten. Mir war, als würde die Zeit anhalten. Nur der äußere König und ich bewegten uns in einem unbewegten Raum aufeinander zu. Dann, wir waren noch knapp einen Meter voneinander entfernt, setzte das Leben wieder ein. Geräusche, Bewegungen, Geraune, alles drang auf uns ein. Und nun waren wir es, die in der Bewegung erstarrten. Wir standen still, unbeweglich. Keiner von uns rührte sich. Unüberwindbar schien das letzte Stück des Weges zwischen uns. Nur unsere Blicke schafften es für einen kurzen Moment sich ohne heruntergeklapptes Visier zu begegnen. Ich freue mich dich zu sehen, sprachen sie in nackter Offenheit.

    Unruhe entstand. Unsere Unbeweglichkeit irritierte und schuf Unbehagen. Hände wanderten unauffällig den Schwertern entgegen. Da durchbrach ich unsere Erstarrung. Ich beugte mich tief und begrüßte den äußeren König auf zeremonielle Weise. Er neigte sich vor mir und antwortete auf die gleiche Art. Dann führte er mich hinauf auf das Podium. Die Normalität kehrte in den Raum zurück, doch unsere ungefilterte Wiedersehensfreude hatte sich hinter einer höflichen Distanz zurückgezogen.

    Oben angekommen, wandte sich der äußere König den Anwesenden zu und stellte mich als König des inneren Landes vor. Er erwarte, dass ich fortan von allen als geehrter Gast behandelt werde. Der Hauptmann schaute besorgt zu mir hinüber, doch ich winkte beruhigend ab. Er hatte nur seine Aufgabe erfüllt und zwar gut. Ich hatte ihm nichts vorzuwerfen.

    Inzwischen war der äußere König mit seiner Ansprache fortgefahren. „Unseren Ländern stehen schwere Aufgaben bevor, Unruhen und Kämpfe mehren sich. Das Gleichgewicht ist gestört. Nicht nur in unserem, sondern auch im inneren Reich. Der König des inneren Landes hat eine beschwerliche Reise auf sich genommen, um mit uns über die Gefahren, die uns alle bedrohen, zu beraten. Gemeinsam werden wir einen Verteidigungsplan für beide Länder erarbeiten. Wer von euch Bedenken oder Anregungen hat, der möge kommen und in meinem Rat sprechen. Jeder Gedanke, jeder Vorschlag wird mir willkommen sein."

    Ich war beeindruckt. Auf geschickte Weise hatte er seinen Rat und seine Bürger informiert und mir dabei gleichzeitig seine Entscheidung mitgeteilt. Große Erleichterung erfüllte mich. Ich dachte mir, das Schwierigste ist geschafft. Niemals sollte ich mich so getäuscht haben.

    Dankbar warf ich dem äußeren König einen Blick zu. Seine Lippen zuckten, dann schickte er mir ein schnelles Lächeln. Auch er war erleichtert, ich spürte es. Er wies mir einen Platz an seiner Seite zu und forderte mich auf, seinem Rat die Bitte meines Landes zu erläutern. Die Arbeit hatte begonnen.

    Der innere König erzählt

    Die Tage verstrichen und sammelten sich zu Wochen. Sie waren angefüllt mit Geschäftigkeit und doch auf eigentümliche Weise unbeweglich. Täglich saßen der äußere König, seine Berater und ich zusammen, um eine Übersicht über die Gefahren zu erlangen und Pläne zu unserem Schutz zu entwickeln. Bis jetzt hatten wir keine Lösung gefunden. Zur Unterstützung hatte der äußere König alle Bürger seines Landes zur Mitarbeit aufgerufen. Wer immer eine Idee habe, solle sie uns vortragen. Ich war beeindruckt, wie viel Menschen sich ernstzunehmende Gedanken machten. Kreative Ideen waren darunter, auch Bedenken, die wir noch nicht berücksichtigt hatten. Bald hatten wir sehr viel Material angehäuft, doch von einer Lösung waren wir so weit entfernt wie zu Beginn.

    Wenn wir miteinander arbeiteten, konnten wir ohne Spannung miteinander umgehen. Unsere Gedanken befassten sich mit unseren Aufgaben, es war weder Zeit noch Raum für eine Innenschau. Dann lachten wir miteinander und stritten, wir argumentierten und diskutierten, ohne an unsere Vergangenheit zu denken, bis uns die Köpfe rauchten. In diesen Situationen fühlte ich mich wohl. Obwohl die alte innige Wärme fehlte, vermittelte es mir doch einen Abglanz unserer früheren Vertrautheit. Und das war mehr, als ich mir nach unserem ersten Tag noch erhofft hatte.

    Auch wenn wir nicht in den Beratungen saßen, waren meine Tage ausgefüllt. Der Heiler hatte mich gebeten ihn zu unterweisen. Er hatte ein gutes Heilwissen, doch manches war ihm unbekannt. Jeden Tag hatte er neue Fragen vorbereitet. Doch nicht nur er erweiterte dadurch sein Wissen, auch ich lernte dazu. Es gab Fragen, die ich nicht beantworten konnte, gemeinsam erforschten wir sie und suchen nach Lösungen. Ein paar Mal bat er mich um Hilfe bei seinen Patienten. Es gelang uns ihr Leben zu retten. Sie waren dankbar, aber wir auch. Ein Heiler fühlt immer große Dankbarkeit, wenn es ihm gewährt wird Leben zu retten oder zu erleichtern.

    Täglich unterrichtete ich meinen Knappen in seinen Aufgaben. Ich lehrte ihn Lesen und Schreiben und ich lehrte ihn das Kämpfen. Er lernte rasch und willig, seine helle Intelligenz und seine freimütige Art gefielen mir. Stets wahrte er den nötigen Respekt, doch seine Bemerkungen und Kommentare waren erfrischend und keck. Seine Fragen zeugten von Wissensdurst und seinem Mut zu neuem Denken. Wir hatten viel Freude miteinander.

    Dies waren die Stunden, in denen der äußere König seinen Regierungsaufgaben nachging. Natürlich durfte er sie nicht vernachlässigen. Und wie gesagt, auch meine Stunden waren ausgefüllt.

    Allmählich jedoch merkte ich, dass wir uns nur in der Gesellschaft anderer Menschen begegneten. War dies Zufall oder gingen wir uns aus dem Weg? Versuchte er gezielt ein Alleinsein mit mir zu vermeiden? Es schien fast so. Nach einer unserer Beratungen nutzte ich die Gelegenheit und sprach den äußeren König darauf an. Alle standen noch beieinander und diskutierten.

    „Ich würde gern mit dir sprechen."

    Er nickte und wies auf einen in der Nähe stehenden Stuhl. Ich schüttelte den Kopf.

    „Allein".

    Nachdenklich musterte er mich. Dann nickte er zustimmend und meinte: „Gut. Heute Abend. Ich komme zu dir."

    Wie verabredet, kam er am frühen Abend in meine Gemächer. Der äußere König hatte mir eine ganze Zimmerflucht zur Verfügung gestellt. Es gab einen großen Schlafraum und einen kleineren Raum, in dem der Knappe schlief. Dieser konnte auch für ein Bad genutzt werden. Dann besaß ich noch einen großen Aufenthaltsraum. Er war mit einem schweren Schreibtisch ausgestattet, die Wände wurden von schmalen Bücherregalen bedeckt. Zwei massive lederne Sofas standen vor den hohen Fenstern, zwischen ihnen befand sich ein niedriger Tisch. An einer der Wände stand zusätzlich ein langer großer Tisch mit mehreren Stühlen. Ich fühlte mich wohl in diesen Räumen, sie enthielten alles, was ich benötigte.

    Ich erwartete den äußeren König auf einem der schweren Sofas. Auf dem Tisch hatte ich Wein, Wasser und einen kleinen Imbiss herrichten lassen. Als der Knappe ihn einließ, setzte er sich gleich mir gegenüber. Beide waren wir im ersten Moment befangen, doch dann begann der äußere König leichthin über alltägliche Themen zu plaudern. Wir waren Könige, wir beide hatten sie gelernt, die Kunst des unverfänglichen freundlichen kleinen Gesprächs. Doch hinter unseren seichten Worten hockte die Spannung. Der äußere König wartete. Er würde mir nicht entgegenkommen, ich fühlte es. Endlich fasste ich mir ein Herz.

    „Ich habe dich um ein Gespräch gebeten, weil mir aufgefallen ist, dass wir nie miteinander allein sind. Ich finde dies bedauerlich. Wir begegnen uns nur bei den offiziellen Beratungen oder wenn andere dabei sind. Sag, gehst du mir absichtlich aus dem Weg?"

    Schon als ich zu sprechen begann, zog sich der äußere König in sich zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich zurück und seine Miene wurde abweisend. Kühl antwortete er nach einer Weile: „Meine Zeit ist sehr eingeschränkt. Du weißt, dass viel Arbeit auf mich wartet. Es stimmt, wir verbringen keine Zeit allein. Doch ich bin nicht mehr der junge Mann ohne Aufgaben, den es in dein Land verschlagen hat. Ich bin der König und ich habe ein Land zu regieren."

    Der äußere König lachte verlegen. „Dir mit Absicht aus dem Weg gehen? Nein, das tue ich nicht."

    Ich glaubte ihm nicht und er sah, dass ich ihm nicht glaubte. Doch er sagte nichts weiter dazu.

    Tief Luft holend versuchte ich einen zweiten Anfang. „Da ist so eine große Spannung zwischen uns. Ich spüre sie deutlich. Ich weiß nicht, warum…"

    Scharf fiel er mir ins Wort. „Natürlich ist da eine Spannung zwischen uns. Und sage nicht, du wüsstest nicht den Grund. Du weißt ihn. Habe ich nicht jedes Recht der Welt dir gegenüber misstrauisch zu sein? Willst du mir das absprechen?"

    Ich wollte etwas sagen, doch wütend fuhr er fort: „Und du merkst nicht einmal wie ich mich bemühe. Jeden Tag versuche ich die Spannung zwischen uns zu reduzieren, aber das siehst du nicht. Du siehst nur dich und was du willst. Gibt es für dich nur ich, ich, ich? Glaubst du, du bist der Einzige, dem es nicht gut geht?"

    Ich war in Bedrängnis. „Du missverstehst mich, erwiderte ich. „Ich sehe deine Bemühungen, ich will doch nur…

    Wieder unterbrach er mich. „Nein. Nein, du siehst sie nicht. Der äußere König wurde lauter. „Du kommst hierher, tust als sei nichts geschehen, erwartest Hilfe und wirfst mir jetzt noch vor, nicht freundlich zu sein und zu wenig Zeit für dich zu haben. Zornig schlug er auf den Tisch. „Ist dir nicht genug, was du bekommst? Was willst du von mir?"

    Ich wusste nicht,

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