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Melya: Der Ruf der Nacht
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eBook354 Seiten5 Stunden

Melya: Der Ruf der Nacht

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Über dieses E-Book

"Ich werde immer da sein."

Seit jeher verbietet die Ausgangssperre allen Menschen, ihre Häuser nach Anbruch der Dunkelheit zu verlassen. Nur die achtzehnjährige Emilia wird von der Nacht wie magisch angezogen. Als dann aber ihr kleiner Bruder entführt wird, bleibt ihr keine Wahl: Sie muss raus in die Dunkelheit, um ihre Familie zu retten. Nur wird dieser Ausflug sie mehr verändern, als sie es je hätte ahnen können.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum21. Juni 2021
ISBN9783754134931
Melya: Der Ruf der Nacht
Autor

Larissa Mücke

Larissa Mücke wurde im Jahr 2000 in Papenburg geboren und veröffentlichte ihre ersten Bücher noch unter einem Pseudonym. Weitere Informationen zur Autorin gibt es auf musictothemoon.webnode.page

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    Buchvorschau

    Melya - Larissa Mücke

    Melya – Der Ruf der Nacht

    Titelei

    Das Buch und die Autorin

    Titel

    Impressum

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Ich werde immer da sein.

    Prolog

    Teil 1

    Teil 1

    1 • Eine leere Verpackung

    2 • Die Frau im Schatten

    3 • Im Licht einer Laterne

    4 • Kreaturen der Nacht

    5 • Mein Leben in ihre Hände

    6 • In ihrem Griff

    7 • Nur drei Regeln

    8 • Ihr König

    9 • Mein Schutzengel

    10 • Über unsere Vergangenheit

    11 • Ich kenne dich

    12 • Eine Chance

    13 • Schutz vor dem Bösen

    Teil 2

    Teil 2

    14 • In einer Lache aus Blut

    15 • Für den Rest deines Lebens

    16 • Die Alte Sprache

    17 • Ein stummes Versprechen

    18 • Die geschlossene Tür

    19 • Aus der Dunkelheit

    20 • Vielleicht

    Teil 3

    Teil 3

    21 • Traditionen

    22 • Ein Wort für die Ewigkeit

    23 • Doch du warst nicht da

    24 • Die Bilder in meinem Kopf

    25 • Familientreffen

    26 • Der Käfig

    27 • Verräter

    28 • Ein Ort voller Magie

    29 • Das unscheinbare Buch

    Teil 4

    Teil 4

    30 • Am Ende der Treppe

    31 • Sie waren glücklich

    32 • Am Anfang seines Lebens

    33 • Nur ein kleines Bündel

    34 • Keinen Zentimeter

    35 • In dunkelblauer Tinte

    36 • Für immer

    37 • In der Dunkelheit

    38 • Alles in mir brannte

    Epilog

    Epilog

    Ende

    Die Alte Sprache

    Danksagung

    Das Buch

    Seit jeher verbietet die Ausgangssperre allen Menschen, ihre Häuser nach Anbruch der Dunkelheit zu verlassen. Nur die achtzehnjährige Emilia wird von der Nacht wie magisch angezogen. Als dann aber ihr kleiner Bruder entführt wird, bleibt ihr keine Wahl: Sie muss raus in die Dunkelheit, um ihre Familie zu retten. Nur wird dieser Ausflug sie mehr verändern, als sie es je hätte ahnen können.

    Die Autorin

    Larissa Mücke wurde im Jahr 2000 in Papenburg geboren und veröffentlichte ihre ersten Bücher noch unter einem Pseudonym. Weitere Informationen zur Autorin gibt es auf musictothemoon.webnode.com

    Larissa Mücke

    Melya

    Der Ruf der Nacht

    Impressum

    ©2021 Larissa Mücke

    1. Auflage

    Autor: Larissa Mücke, Hölderlinstr. 8, 26892 Dörpen

    Umschlaggestaltung: Larissa Mücke

    Druck und Veröffentlichung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin: Neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Teil 1

    1 • Eine leere Verpackung

    2 • Die Frau im Schatten

    3 • Im Licht einer Laterne

    4 • Kreaturen der Nacht

    5 • Mein Leben in ihre Hände

    6 • In ihrem Griff

    7 • Nur drei Regeln

    8 • Ihr König

    9 • Mein Schutzengel

    10 • Über unsere Vergangenheit

    11 • Ich kenne dich

    12 • Eine Chance

    13 • Schutz vor dem Bösen

    Teil 2

    14 • In einer Lache aus Blut

    15 • Für den Rest deines Lebens

    16 • Die Alte Sprache

    17 • Ein stummes Versprechen

    18 • Die geschlossene Tür

    19 • Aus der Dunkelheit

    20 • Vielleicht

    Teil 3

    21 • Traditionen

    22 • Ein Wort für die Ewigkeit

    23 • Doch du warst nicht da

    24 • Die Bilder in meinem Kopf

    25 • Familientreffen

    26 • Der Käfig

    27 • Verräter

    28 • Ein Ort voller Magie

    29 • Das unscheinbare Buch

    Teil 4

    30 • Am Ende der Treppe

    31 • Sie waren glücklich

    32 • Am Anfang seines Lebens

    33 • Nur ein kleines Bündel

    34 • Keinen Zentimeter

    35 • In dunkelblauer Tinte

    36 • Für immer

    37 • In der Dunkelheit

    38 • Alles in mir brannte

    Epilog

    Die Alte Sprache

    Danksagung

    Ich werde immer da sein.

    Prolog

    Alles in mir brannte. Jeder einzelne Muskel, jede Faser meines Körpers stand in Flammen, während ich durch die eiskalte Nacht lief. Ich hörte meinen eigenen Atem, schnell und flach, und konnte nur daran denken, dass er mich verraten würde. Kein einziges Mal wagte ich es, mich umzudrehen. Zu groß war meine Angst, dass ich meinem Verfolger direkt in die dunklen Augen sehen würde. Ich wusste nicht, wohin ich rannte, oder vor wem ich floh. Mein Körper wurde nur noch von einem einzigen Gedanken beherrscht: Aus dieser Hölle zu kommen, bevor mir etwas passieren konnte.

    Das Adrenalin schoss durch meinen Körper, meine Beine zitterten mit jedem weiteren Schritt, den sie zwischen mich und meinen Verfolger brachten. Mein Atem wurde immer hektischer, so wie auch mein Herzschlag. Wenn ich nicht auf der Stelle einen sicheren Ort finden würde, würde ich sterben, davon war ich überzeugt. Ich wusste nur nicht so genau, wer mich umbringen würde: der Mann hinter mir oder meine eigene Erschöpfung.

    Dennoch verdrängte ich diesen Gedanken so gut es irgendwie ging und gab mir Mühe, an gar nichts mehr zu denken. Als ich aus den Augenwinkeln etwas bemerkte, wurde ich langsamer. Ich konnte nicht immer geradeaus laufen, dann würde ich ganz sicher eingeholt werden. Ich musste diesen Mann hinter mir irgendwie abschütteln, also schlitterte ich in eine dunkle Seitengasse, ohne zu wissen, wo sie hinführen würde. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, den heißen Atem meines Verfolgers im Nacken zu spüren, aber bevor ich darüber nachdenken konnte, rannte ich schon weiter. Bei jeder Kreuzung, die ich sah, wechselte ich meine Richtung, immer in der Hoffnung, nicht aus Versehen umzudrehen und dem Mann direkt in die Arme zu laufen.

    Ich lief und lief, bis ich irgendwann unsanft gegen eine Mauer prellte. Hektisch sah ich mich um und zur Mauer hinauf. Sie war zu groß, um über sie zu klettern. Links und rechts von mir versperrten mir die Wände der kleinen, heruntergekommenen Häuser den Weg. Kein Fenster, keine Tür war zu sehen, nur einige Müllhaufen, die einen widerlichen Gestank verbreiteten. Ich war in eine Sackgasse gelaufen. Panisch drehte ich mich um, um wieder zurück zur Straße zu rennen, aber diesen Gedanken verwarf ich sofort wieder. Mein Verfolger war mir schon viel zu nahe, ich würde es nicht mehr schaffen, den ganzen Weg zurückzulaufen, ohne mich von ihm erwischen zu lassen. Also kletterte ich so schnell wie möglich über die stinkenden Müllhaufen, um mich zwischen ihnen zu verstecken.

    Ich duckte mich zwischen einen leeren Benzinkanister und einen alten Pappkarton voll Knochen. Am besten dachte ich gar nicht erst darüber nach, wo die herkamen. Ich machte mich so klein wie möglich und spähte ans Ende der Gasse. Beinahe schrie ich auf, als ich direkt in leuchtend gelbe Augen sah, presste mir jedoch gerade eben noch die Hand vor den Mund, bevor ich bemerkte, dass es nur eine streunende Katze war. Ein Wunder, dass sie hier draußen so lange überlebt hatte.

    Erleichterung machte sich in mir breit, als die Katze wenigstens nicht fauchend auf mich aufmerksam machte, sondern sich stattdessen nur neben den Benzinkanister setzte und mich langsam anblinzelte. Meine Erleichterung verschwand jedoch sofort wieder, als ich am Ende der Gasse Schritte hören konnte. Er hatte mich eingeholt. Er würde mich finden und dann würde er… Ich wollte es mir nicht einmal vorstellen. Immer noch zitternd hielt ich den Atem an, war mir jedoch sicher, dass mein lauter Herzschlag mich verraten würde. Für einen Moment konnte ich die Silhouette des Mannes erkennen. Er war an der Kreuzung stehen geblieben und schien sich zu orientieren. Er sah beinahe so aus, als ob er nach jemandem riechen würde. Nach mir.

    Mein Herz setzte einen Schlag aus, als er sich in meine Richtung drehte. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber die Art, wie er sich bewegte, hatte etwas Raubtierhaftes an sich. Ich spürte, wie mir Tränen der Angst in die Augen stiegen und drückte meine Hand immer fester auf meinen Mund, um ein Wimmern zu unterdrücken. Er würde mich finden. Langsam lief er in meine Richtung. Leichtfüßig, elegant, fast schon wie ein Tänzer. Er kam mir immer näher und meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Nur noch ein paar Schritte und er würde direkt neben mir stehen. Doch es kam anders.

    Als der Mann an der streunenden Katze vorbeilief, sprang diese auf der Stelle fauchend auf und rannte an ihm vorbei in Richtung Straße. Es sah beinahe so aus, als wolle auch sie vor ihm fliehen, aber bevor ich sehen konnte, was geschah, war mein Verfolger schon verschwunden. Es war, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Ich wollte schon erleichtert aufatmen, bis ich plötzlich einen markerschütternden Schrei von der Straße hörte. Keinen menschlichen Schrei. Den Schrei eines Tieres in Todesangst. Ich spähte durch den Müll zur Straße und sah nur noch, wie der Mann etwas achtlos in die Ecke schleuderte und daraufhin verschwand.

    Ich fragte mich, wie es sein konnte, dass er so schnell dort hingekommen war, aber diese Frage war gerade zweitrangig. Was auch immer mit der streunenden Katze geschehen war, sie hatte mir wohl mein Leben gerettet. Einige Minuten harrte ich noch in der schmalen Gasse zwischen den Müllhaufen aus, bis ich mir sicher war, dass mein Verfolger nicht mehr zurückkommen würde. Meine Gelenke schmerzten, als ich endlich wieder aufstand, doch ich gönnte mir keine Pause. Ich rannte nur wieder los, um so schnell wie möglich von diesem Ort wegzukommen. Ich wollte nach Hause.

    Teil 1

    It is midnight, and time is passing, and I lie alone.

    Sappho (630/612 – um 570 v. Chr.)

    1 • Eine leere Verpackung

    »Emilia, jetzt steh’ endlich auf!«, rief die Stimme meiner Mutter vorwurfsvoll. »Es ist schon fast Sonnenaufgang, du verschläfst noch den ganzen Tag!«

    Mürrisch schob ich die Decke ein wenig von mir und widerstand dem Drang, mich sofort wieder in mein Bett zu kuscheln.

    »Was? Schon so spät? Das kann doch unmöglich sein«, murmelte ich und unterdrückte ein Gähnen. Ich hatte mal wieder vergessen, mir abends noch meinen Wecker zu stellen. Meine Mutter wusste nicht, dass ich gestern Nacht draußen gewesen war und das sollte auch so bleiben. Sie hasste es, wenn ich die offizielle Ausgangssperre verletzte und ich hatte mir ihre Strafpredigt schon viel zu oft anhören müssen.

    Ich wusste, dass sie eigentlich recht hatte. Es war zu gefährlich, nachts alleine durch die Straßen zu laufen, das hatte mir meine Nahtoderfahrung gestern deutlich gezeigt. Wenn ich auch nur ein klein wenig gesunden Menschenverstand hätte, würde ich wie alle anderen in der sicheren Wohnung bleiben. Aber wie es aussah, fehlte dieser Verstand bei mir. Oder vielleicht fehlte mir auch nur mein Selbsterhaltungstrieb.

    Ich konnte es mir ja selbst nicht erklären, aber irgendetwas zog mich immer wieder nach draußen in die Dunkelheit. Ich konnte nicht widerstehen. Nirgendwo konnte ich so gut nachdenken wie im schwachen Licht der Sterne. Dort war ich völlig allein, aber einsam hatte ich mich in der Nacht noch nie gefühlt. Meistens lief ich nicht einmal durch die Stadt, sondern saß einfach nur auf unserem flachen Dach, um die Stille zu genießen, aber selbst das war eigentlich verboten. Was meine nächtlichen Ausflüge für mich bedauerlicherweise nur noch reizvoller machten, selbst wenn ich jedes Mal wieder mein Leben riskierte.

    Das größte Problem war aber im Moment nicht, dass ich nachts von irgendeinem Typen umgebracht werden könnte, sondern viel eher, dass meine Mutter misstrauisch werden würde, wenn ich so müde war. Also stand ich widerwillig auf und rieb mir den Schlaf aus den Augen.

    »Ich bin schon wach, gib mir noch ein paar Minuten!«, rief ich also zurück. Schnell zog ich mir meine Klamotten über, die ich mir in weiser Voraussicht schon am Abend zusammengesucht hatte, und ging ins Bad. Für eine Dusche hatte ich keine Zeit mehr, also spritzte ich mir bloß ein wenig Wasser ins Gesicht und überdeckte meine Augenringe mit etwas Make-up. Das würde reichen müssen. Mit einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel vergewisserte ich mich, dass ich so aussah, als hätte ich die ganze Nacht lang friedlich geschlafen. Ich setzte noch ein fröhliches Lächeln auf und ging in den Flur, wo ich jedoch fast von einem kleinen Jungen umgerannt wurde.

    »Felix, jetzt pass doch auf, wo du hinläufst!«

    Sofort blieb mein Bruder stehen und drehte sich zu mir um. Einige Sekunden starrte er mich wortlos an.

    »Du warst gestern schon wieder draußen«, flüsterte er dann wissend und ich verdrehte leicht die Augen. Ich wusste nicht, wie er es machte, aber im Gegensatz zu Mom bemerkte er es immer, wenn ich etwas Verbotenes tat.

    »Ach Quatsch, wie kommst du denn auf so einen Unsinn?«

    Abstreiten war noch immer die beste Möglichkeit, um mich da wieder rauszureden.

    »Du trägst dein T-Shirt falsch rum«, antwortete er und zu meinem Entsetzen bemerkte ich, dass er recht hatte. Wie konnte mir nur so etwas Dummes passieren? Vielleicht sollte ich mir wirklich angewöhnen, mehr zu schlafen.

    »Kein Wort zu Mom«, zischte ich Felix leise zu, aber er rannte schon in die Küche. Leise seufzend zog ich mich richtig an und folgte ihm dann. Ich musste wohl darauf vertrauen, dass er die Klappe hielt. Die letzten paar Male hatte er mich schließlich auch gedeckt. Mit einem extra fröhlichen Lächeln betrat ich die Küche und begrüßte meine Mutter mit einem kurzen Kuss auf die Wange.

    »Morgen, Mom.«

    »Guten Morgen, Emilia«, antwortete sie mir abwesend und ich sah sie sofort genauer an.

    »Mom, was ist denn los?«

    »Ach nichts, macht euch keine Gedanken.«

    »Bist du dir sicher, Mom?«, fragte mein kleiner Bruder leise nach. Auch ich musterte sie aufmerksam und unsere Mutter setzte sofort wieder ein Lächeln auf.

    »Natürlich, Liebling. Es ist nichts Schlimmes passiert.«

    Mit einem kurzen Seitenblick auf Felix nickte ich leicht und setzte mich. Sie wollte wohl nicht darüber reden, solange er noch mit am Tisch saß. Mom tat immer alles, um ihn vor schlechten Nachrichten zu beschützen. Wenn sie wüsste, dass ich ihm eh immer alles erzählte, nachdem sie mit mir geredet hatte, würde sie vermutlich durchdrehen. Sie bemerkte nicht, dass Felix schon alt genug war, um mit schlechten Nachrichten klarzukommen und ich ließ sie lieber in diesem Glauben.

    »Kannst du deinen Bruder heute zur Schule bringen, Emilia?«, bat meine Mutter mich dann, ganz offensichtlich um das Thema zu wechseln. »Ich muss heute wieder früher arbeiten.«

    »Klar, kann ich machen.«

    Besorgt bemerkte ich, wie Moms Lächeln verschwand, als sie von ihrer Arbeit sprach. Sie hatte einen der schlimmsten Arbeitsplätze, die es in der Stadt gab: Die Frühschicht in der Reinigungskolonne. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang zogen sie und einige weitere Frauen durch die Straßen und räumten den Dreck von der vergangenen Nacht weg. Niemand wusste, wer oder was das war, das jede Nacht bei Einbruch der Dunkelheit unsere Stadt verwüstete, aber es war allgemein bekannt, dass es dort draußen gefährlich war. Nicht umsonst war es schon seit Jahrhunderten verboten, nach Sonnenuntergang aus dem Haus zu gehen.

    Trotzdem kam es immer wieder vor, dass jemand in der Nacht verschwand und nie wieder auftauchte. Niemand wusste, wo diese Menschen landeten, aber ich hatte den nagenden Verdacht, dass die Reinigungskolonne auch für die Entsorgung dieser Menschen zuständig war. Oder das, was von ihnen übrig geblieben war. Anders konnte ich mir den stumpfen Ausdruck in Moms ansonsten so fröhlich blickenden Augen nicht erklären.

    »Felix, geh dir doch schon mal die Zähne putzen«, sagte ich zu meinem Bruder, als er endlich aufgegessen hatte. Ich wollte endlich wissen, weshalb Mom die ganze Zeit so abgelenkt war, und sie würde es mir nicht erzählen, solange er dabei war. Es hing bestimmt damit zusammen, dass sie heute früher anfangen musste zu arbeiten. Normalerweise reichte es, wenn sie eine halbe Stunde nach dem Sonnenaufgang losging und nicht schon bei den ersten Strahlen. Irgendetwas musste passiert sein.

    Erst wollte mein Bruder noch protestieren, aber er wusste, dass ich ihm eh alles Wichtige erzählen würde, sobald Mom weg war, also stand er widerwillig auf und ließ uns alleine.

    »Also, Mom, was ist passiert?«

    »Es wird wieder jemand vermisst«, flüsterte sie nur leise. Eigentlich war sie viel zu sensibel für diese Arbeit, und es war mir ein Rätsel, wieso sie sich nicht einen anderen Job suchte. »Wir sollen früher anfangen, damit wir nach ihr suchen können. Sie ist noch ein ganz junges Mädchen, nur zwei Jahre jünger als du.«

    Leise seufzte meine Mutter auf und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. »Was bringt solche Menschen nur dazu, nachts nach draußen zu gehen? Sie war 16 Jahre alt, sie hätte es besser wissen müssen. Wir wissen doch alle, wie gefährlich es nachts ist.«

    Schuldbewusst wich ich ihrem Blick aus. Ja, das wussten wir alle. Aber ich war genau wie dieses Mädchen. Ich wollte trotzdem nach draußen, in die kühle Dunkelheit der Nacht, wo ich das Gefühl hatte, ganz allein zu sein und doch geborgen. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie knapp ich gestern dem Schicksal dieses Mädchens entronnen war. Es hätte nicht viel gefehlt und Mom würde nicht um eine völlig Fremde trauern müssen, sondern um ihre eigene Tochter. Ich sollte wirklich mit diesen nächtlichen Ausflügen aufhören, für sie. Aber das hatte ich mir schon so häufig vorgenommen.

    Mom schien zu bemerken, wie angespannt ich war, denn sie sah mir ernst in die Augen.

    »Du tust das doch nicht mehr, oder? Nachts das Haus verlassen? So etwas würdest du nicht tun, nicht wahr?«

    Sofort zwang ich mir ein Lächeln auf die Lippen, während ich meine Schuldgefühle verdrängte. Es fiel mir leicht, ihr etwas zu verheimlichen, aber ihr ins Gesicht zu lügen war etwas vollkommen anderes. Trotzdem konnte ich ihr auch schlecht die Wahrheit sagen. Sie würde vermutlich Gitter an meinem Fenster anbringen und dennoch nie wieder ruhig schlafen. Also entschied ich mich dafür, ihrer Frage auszuweichen.

    »Nur Wahnsinnige gehen nachts nach draußen. Sehe ich für dich aus wie eine Wahnsinnige?«

    »Nein, natürlich nicht«, antwortete meine Mutter sofort und atmete erleichtert aus. Wenn sie doch nur recht damit hätte. »Tut mir leid, ich sollte wohl nicht so emotional reagieren. Ich kannte dieses Mädchen ja gar nicht. So etwas kommt vor. Aber diese Situation erinnert mich einfach an Nik, wie er damals…«

    Sofort hielt ich meinen Atem an, in der Hoffnung, sie würde weiterreden. Vor zehn Jahren war mein Vater verschwunden und auch wenn ich damals selbst dabei gewesen war, wusste ich kaum etwas darüber.

    Nik und Celine, das war immer das Traumpaar gewesen, das alle beneidet hatten. Bis mein Vater von einer Nacht auf die andere spurlos verschwunden war. Ich war damals gerade erst acht Jahre alt gewesen und Felix noch ein Baby. So konnte ich mich zwar wenigstens an Dad erinnern, aber ich hatte keine Ahnung, was mit ihm passiert war. Ich hatte zum Zeitpunkt seines Verschwindens schon geschlafen und Mom hatte mir nie erzählt, was passiert war.

    Vermutlich war auch er nachts draußen gewesen und danach nie wieder aufgetaucht, wie es mit so vielen vor ihm geschehen war. Aber sicher konnte ich es nicht wissen. Seit mein Vater fort war, hatte Mom kein einziges Mal mehr über ihn gesprochen, egal wie oft ich nach ihm gefragt hatte. Also hatte ich es irgendwann aufgegeben. Momente wie diesen, in denen sie von selbst anfing, über Dad zu sprechen, waren unfassbar selten und umso kostbarer.

    Unglücklicherweise bemerkte sie aber selbst, was sie da gesagt hatte, denn sie stand seufzend auf und zog sich ihre Jacke an.

    »Ich muss jetzt los. Räumst du hier noch ein bisschen auf? Danke, Emilia. Und denk an deinen Bruder!«

    Und damit war das Gespräch auch schon beendet. Ich hatte kaum noch Gelegenheit, mich von ihr zu verabschieden, da hatte sie auch schon unsere Wohnung verlassen. Kurz sah ich ihr noch nachdenklich hinterher, wurde jedoch aus meinen Gedanken gerissen, als Felix wieder zu mir kam und neugierig wissen wollte, was Mom mir denn jetzt erzählt hatte.

    »Ein Mädchen wird vermisst und das nimmt Mom ziemlich mit«, erklärte ich ihm leise und er antwortete darauf nur mit einem Nicken. Er verhielt sich unglaublich erwachsen für sein Alter. Einerseits war ich stolz, dass mein kleiner Bruder das so gut aufnahm, andererseits fragte ich mich aber auch, ob es wirklich gut war, wenn solche Nachrichten ihn nicht mehr schockieren konnten.

    »Okay. Kann ich noch wieder in mein Zimmer gehen?«

    »Ja, du kannst ruhig noch etwas spielen. Ich rufe dich, wenn wir losmüssen.«

    Lächelnd sah ich Felix hinterher und wandte mich dann schnell unserem dreckigen Geschirr zu. Klar, manchmal nervte er mich, aber im Grunde war er ein guter Bruder. Mom konnte sich glücklich schätzen, dass wenigstens eines ihrer Kinder ihr nicht nur Kummer bereitete. Wenn es Felix nicht geben würde, wäre sie mit Sicherheit schon längst durchgedreht. Ich an ihrer Stelle wäre es zumindest.

    Leise summte ich vor mich hin, während ich in unserer kleinen Küche wieder Ordnung schaffte. Aufzuräumen beruhigte mich immer. Nicht so sehr wie meine nächtlichen Ausflüge, aber die Ablenkung tat mir dennoch gut. Und da ich mir vorgenommen hatte, in der nächsten Zeit das Haus nicht mehr nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen, würde ich vermutlich äußerst viel Zeit damit verbringen, das Haus aufzuräumen. Irgendwann fiel mein Blick auf die Uhr und ich griff erschrocken nach meiner Tasche.

    »Felix, beeil dich, wir müssen los! Wir kommen noch zu spät!« Hektisch stopfte ich all meine Sachen in die Tasche und betete nur, dass ich nichts vergessen hatte. Wieso musste ich auch immer die Zeit aus den Augen verlieren?

    »Wo bleibst du denn, Felix?« Ich rannte in den Flur, während ich mir meine Jacke überzog.

    »Ich bin doch schon hier.«

    Überrascht drehte ich mich zu meinem kleinen Bruder um, der tatsächlich fertig angezogen und mit seiner gepackten Schultasche vor der Tür stand.

    »Du bist der Beste«, murmelte ich leicht grinsend und schob ihn vor mir her durch unsere Eingangstür. »Was würde ich nur ohne dich tun?«

    »Zu spät kommen vermutlich«, antwortete er grinsend, während ich mit ihm schon die Treppen hinuntereilte.

    »Hey, jetzt werd’ mal nicht so frech, sonst muss ich…«

    Ich erstarrte, als ich plötzlich etwas neben der Straße liegen sah. Ich hatte gar nicht gemerkt, wo wir langgelaufen waren, aber ich erkannte diese Gasse. Unwillkürlich zog ich Felix näher an mich und hielt ihn dabei so, dass er den kleinen Körper an der Straßenecke nicht erkennen konnte. Ich wollte mich umdrehen, damit ich mir das nicht ansehen musste, aber ich konnte meinen Blick nicht losreißen. Es war, als würde ich wie magisch von dem grausamen Anblick angezogen werden.

    Langsam ging ich auf den leblosen Körper der Katze zu. Genau die Katze, die mir gestern Nacht noch vermutlich das Leben gerettet hatte. Ich hatte gesehen, dass ihr irgendetwas Grausames angetan worden war. Ich hatte gewusst, dass sie tot sein musste. Trotzdem war es etwas anderes, sie jetzt vor mir liegen zu sehen. Die Reinigungskolonne musste dieses besondere Opfer übersehen haben. Was machte eine tote Katze mehr oder weniger schon aus? Niemand würde ahnen, was mit ihr geschehen war. Aber ich wusste, wer ihr das angetan hatte.

    Ihr schmaler Körper war komplett verdreht worden, als wäre kein einziger Knochen mehr an der richtigen Stelle. Sie hatte Wunden an ihrem ganzen Körper und sie war mager, so unglaublich mager. Ich hatte diese streunende Katze gesehen, als sie noch am Leben war. Ja, sie war dünn gewesen, aber nicht so schlimm. Sie sah aus, als hätte jemand ihr Inneres aus ihr entfernt und sie wie eine leere Verpackung zurückgelassen.

    »Emilia, was soll das?« Ich hörte die verärgerte Stimme meines Bruders, wie von weit weg, während er versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien. Er war es nicht gewohnt, dass ich so schockiert war. Ich durfte mir meine Gefühle nicht mehr so offensichtlich anmerken lassen, ich musste mich zusammenreißen. »Was ist denn los?«

    »Alles in Ordnung, Felix«, log ich und zwang mich, einfach weiterzugehen, bevor mein Bruder den Körper auch entdecken konnte. Es war nur eine tote Katze, kein Grund, jetzt durchzudrehen. »Komm schon, wir müssen uns beeilen.«

    »Emilia, ist wirklich alles in Ordnung?«, fragte mein kleiner Bruder mich noch einmal leise, als wir endlich vor seiner Schule standen. Es hatte gerade geklingelt, trotzdem kniete ich mich hin, um Felix in die Augen sehen zu können.

    »Ja, es ist alles in Ordnung. Du musst dir keine Sorgen machen, versprochen. Es ist nichts Schlimmes passiert«, flüsterte ich und lächelte ihn aufmunternd an.

    »Ach ja? Das hat Mom heute Morgen auch gesagt«, bemerkte Felix, aber ich ignorierte diese Aussage einfach. Er hatte ja recht damit, aber ich würde ihm sicher nicht von der Katze erzählen, und noch weniger würde ich ihm von meinen Erlebnissen der letzten Nacht berichten. Es mochte ja sein, dass er für sein Alter viel ertragen konnte, aber ich wollte ihn nicht unnötig beunruhigen. Also stand ich wieder auf und lächelte ihn an, als wäre nichts gewesen.

    »Mom holt dich heute Mittag wieder ab, wir sehen uns dann zu Hause. Viel Spaß, Kleiner.«

    Ich merkte, dass er noch einmal nachfragen wollte, aber bevor er protestieren konnte, schob ich ihn mit seinen Mitschülern in die Schule. Er sollte nicht so viel über eine Kleinigkeit nachdenken und ich sollte das auch nicht tun. Also verdrängte ich all meine negativen Gedanken und machte mich auf den Weg zu meiner Arbeit. Ich würde jetzt nicht mehr in der Dunkelheit nach draußen gehen, also musste ich auch nie wieder darüber nachdenken. Das war Vergangenheit.

    2 • Die Frau im Schatten

    Als ich das kleine Café verließ, in dem ich arbeitete, war mein traumatisches Erlebnis schon fast wieder vergessen. Leise summte ich vor mich hin und ließ die Strahlen der tief stehenden Sonne auf mein Gesicht scheinen. Nicht mehr lange, dann würde sie untergehen und die Nacht anbrechen.

    Heute würde ich mich wirklich zusammenreißen und in der Wohnung bleiben. Auf noch so eine Nahtoderfahrung konnte ich eigentlich gut verzichten und ich wusste, dass auch Felix sich jedes Mal Sorgen um mich machte. Es wäre verantwortungslos von mir, nach diesem Erlebnis gestern wieder mein Leben zu riskieren. Der Schreck der letzten Nacht steckte mir noch immer in den Knochen.

    Aber

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