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Carla
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eBook678 Seiten10 Stunden

Carla

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Über dieses E-Book

Zu viel und zu wenig Vertrauen sind Nachbarskinder. 20 Jahre Lebensgeschichte entführen den Leser auf die faszinierende Nordseeinsel.
Carla bekommt ihren Traumjob als Fitnesstrainerin in einem exklusiven Fünf-Sterne Hotel auf Sylt. Sie hat dort eine kleine Wohnung gefunden und lebt sich schnell ein. Ihr 3-jähriger Sohn Sören ist vom ersten Moment an verliebt in die Insel, wo er endlich seinen ganzen Tatendrang völlig unbeschwert ausleben kann.
Sylt ist gerade in aller Munde, entwickelt sich zu der Insel der Reichen, Schönen und der Partys. Ganz nach Carlas Geschmack. In diesen Kreis der Klientel möchte auch sie schnellstens aufsteigen. Nur der Alltag zeigt bald seine Tücken. Alle Versuche scheitern, den Mann zu finden, der sie in die Partyszene einführt. Dann tritt Sörens Vater erneut in ihr Leben. Mit allerlei Psychotricks versucht sie, den reichen Mann zu umgarnen, dabei rutscht sie immer weiter ab.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. März 2022
ISBN9781005781965
Carla
Autor

Angelika Friedemann

Die Autorin: Wenn die Menschen nur über das sprächen, was sie begreifen, dann würde es sehr still auf der Welt sein. Albert Einstein Ich versuche, die Aufmerksamkeit der Leser zu fesseln, sie zu unterhalten und zu erfreuen, möglicherweise zu erregen oder tief zu bewegen.

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    Buchvorschau

    Carla - Angelika Friedemann

    carla

    Angelika Friedemann

    Carla

    Published by Kevin Friedemann at Smashwords.

    Copyright 2022

    Smashwords Edition, License Notes

    This ebook is licensed for your personal enjoyment only. This ebook may not be re-sold or given away to other people. If you would like to share this book with another person, please purchase an additional copy for each recipient. If you’re reading this book and did not purchase it, or it was not purchased for your use only, then please return to Smashwords.com and purchase your own copy. Thank you for respecting the hard work of this author, Angelika Friedemann.

    Chapter °°°°°°

    Carla wehte der Fahrtwind ins Gesicht, obwohl die Luft jetzt im Januar kalt war, hatte sie das Fenster weit geöffnet. Der Wind in ihren langen braunen Haaren gefiel ihr, es gab ihr das Gefühl von Freude, Freiheit und sie sang zu der Musik, welche sie aus dem Radio erreichte. Heute war ihr Glückstag!

    Sie hatte die neue Stellung bekommen und gleichzeitig eine Wohnung gefunden. Das war viel mehr, als sie es sich jemals erträumt hatte.

    „Ich könnte die ganze Welt umarmen", jubelte sie laut vor sich hin.

    Wieder tauchte ihr neuer Arbeitsplatz in dem renommierten, luxuriösen Wellnesshotel, vor ihrem Gesichtsfeld auf. Fast zwei Stunden hatte das Gespräch gedauert und sie war so aufgeregt gewesen, hatte feuchte Hände gehabt. Der Personalchef, ein Herr Markett, hatte sie durch die Räumlichkeiten geführt, nachdem er ihr freundlich gratuliert und sie als neue Mitarbeiterin willkommen geheißen hatte. Große helle Sport- und Gymnastikräume, mehrere kleinere Schwimmbäder, welche teilweise Gegenstromanlagen hatten, alles super modern und als geschmackvolle Wohlfühloasen eingerichtet. Selbst in den Geräteräumen standen zwischen Hantelbänken, Steppern, Laufbändern und Rädern große Kübelpflanzen und Palmen. Es gab kleine gemütliche Sitzecken mit bequemen Rattanmöbeln oder dick gepolsterten Liegen.

    Beim Hinausgehen hatte die Sekretärin des Personalchefs ebenfalls gratuliert und ihr einen Zettel mit einer Anschrift in die Hand gedrückt.

    „Frau Johansen, Sie benötigen sicherlich eine Wohnung? Probieren Sie es doch einmal bei Frau Kooge."

    Sie hatte sich herzlich bedankt und schließlich nach einigen Suchen das Haus in Keitum gefunden. Es war ein wunderschönes großes, altes Friesenhaus, vor dem sie stand.

    Das Reetdach ragte weit über das Mauerwerk hinaus. Fenster mit weißen Sprossen, eine wunderschöne weiße Rundbogentür, bei der die Butzenglasscheiben ebenfalls durch Sprossen unterteilt waren, gaben dem Ganzen ein wunderschönes Aussehen. Sträucher säumten den Plattenweg zum Haus und wie sie bemerkte, weiter zur Rückseite des Anwesens. Selbst die Garage hatte ein Reetdach und auf dem Platz davor standen an den Seiten, große alte Fichten. Eine Steinmauer umschloss das Grundstück, wobei vom Garten aus, die hellen Steinblöcke durch Sträucher und Büsche verdeckt wurden. Ein Puppenhaus, war es ihr durch den Kopf geschossen.

    Frau Kooge, eine ältere Dame, öffnete auf das Klingeln und hatte ihr die Wohnung im Dachgeschoss gezeigt. Drei Zimmer mit Küche und Bad, sogar eine extra Toilette war vorhanden. Alle Räume hatten eine Dachschräge und wirkten genau dadurch so ungeheuer gemütlich. Carla war mehr als begeistert gewesen.

    Sie tranken zusammen Tee und Frau Kooge wollte noch einiges von ihr wissen. Sie hatte bereitwillig Auskunft gegeben, als sie ihren fast dreijährigen Sohn Sören erwähnte, hatte sie bemerkt, wie die alte Dame leicht die Brauen erhob. Das war es wohl, hatte sie in dem Augenblick gedacht.

    Frau Kooge ging jedoch nicht weiter darauf ein. Auch hier dauerte das Gespräch einige Zeit und dann sagte sie ihr, dass sie die Wohnung zum ersten April haben könnte, „aber bitte keine Haustiere", erwähnte sie noch. Da sie jedoch sowieso leer stand, könnte sie ruhig einige Tage früher kommen, da hätte sie Zeit, alles vorher einzurichten. Carla wäre der alten Dame am liebsten um den Hals gefallen.

    Mit Glück hatte sie gleich den Autozug bekommen. Jetzt fuhr sie mit ihrem alten, klapprigen Kadett nach Berlin zurück, wo sie zurzeit noch arbeitete und bei ihrer Mutter wohnte.

    Selbst die Lichter der entgegenkommenden Autos erschienen ihr heute schöner, heller, strahlender. Ihre Gedanken eilten ständig zwischen ihrer neuen Wohnung und dem ersten richtigen Arbeitsplatz hin und her. Sie wusste nicht, über was sie sich nun mehr freute.

    Sie rannte die Treppe hoch, schloss die Wohnungstür auf und schon kam Sören im Schlafanzug angerannt.

    „Mama, Mama, hast du mir was mitgebracht?"

    Carla nahm ihn hoch und schwenkte ihn im Kreis herum. „Gleich mein Schatz. Ich muss erst auspacken. Warum bist du eigentlich noch nicht im Bett? Hallo, Mutter!"

    Ihre Mutter schaute um die Ecke, als sie ihren Enkel rufen hörte. An dem leuchtenden Gesicht ihrer Tochter erkannte Irmgard Seiffert, das es wohl geklappt hatte. Sie freute sich für ihre Tochter, gleichzeitig war sie aber traurig, dass die beiden nun wegziehen würden und dann noch auf eine Insel, so weit weg.

    Sie gab Sören eine kleine Seerobbe, welche sie auf Sylt gekauft hatte und brachte ihn ins Bett. Als Gutenachtgeschichte erzählte sie ihm von der Insel und den Robben, bis der kleine Knirps eingeschlafen war.

    Im Wohnzimmer berichtete sie ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, immer noch glücklich und etwas aufgeregt, alles ganz ausführlich, schilderte die Wohnung, die Arbeitsstelle, beantwortete Frage um Frage. Ihre Stimme überschlug sich fast vor Freude. Zur Feier des Tages holte Helmut Seiffert eine Flasche Sekt und sie tranken auf ihr neues Leben, ihre Mutter nicht so erfreut und heiter wie sie selbst.

    Carla lag im Bett, konnte aber nicht schlafen, dafür war sie immer noch viel zu aufgewühlt. Sie hörte die regelmäßigen Atemzüge ihres Sohnes, da sie in einem Raum schliefen.

    Endlich würde sie ihre erste eigene Wohnung haben, mit Sören allein wohnen; auf eigenen Füssen stehen können. Sicher, sie war ihr sehr dankbar, dass sie sich die letzten Jahre um sie und Sören gekümmert hatte, aber sie wollte endlich unabhängig, selbstständig und frei von ihrer Mutter sein. Ohne deren Einmischungen, Erziehungsmethoden, nicht nur bei Sören, ihren teilweise veralteten Vorschriften und ihren gut gemeinten Ratschlägen. Sie wollte und würde ein neues Leben mit ihrem Sohn aufbauen, auch wenn ihre Mutter das nicht so gern sah. Für sie war und würde sie immer die kleine Tochter bleiben, der man helfen und die man unterstützen musste.

    Seit ihre Mutter vor ein paar Monaten geheiratet hatte, wohnte Helmut Seiffert mit in der kleinen Wohnung. Er war zwar lieb und nett, aber es ging nicht mehr. Alles war zu eng und nie hatte sie einen Raum, wo sie sich zurückziehen konnte. Dazu kam, dass die beiden sich ständig in alles einmischten, egal ob das ihre Freunde waren, ihre Arbeit, ihr Sohn. Wenn sie Sören etwas verbot, erlaube es garantiert die Oma oder umgekehrt. Der kleine Junge wusste das inzwischen schon geschickt auszunutzen und es hatte deshalb verschiedentlich heftige Auseinandersetzungen gegeben. Nur sie war den ganzen Tag arbeiten und so machte ihre Mutter sowieso, was sie für richtig erachtete. Es hatte wiederholt Streitigkeiten gegeben, als sie Sören vor einiger Zeit in einem Kindergarten angemeldet hatte. Irmgard und Helmut waren darüber entsetzt gewesen, schließlich waren sie ja da, um den Jungen zu versorgen.

    Ständig hatte sie in vielen Zeitungen nach einer neuen Stellung gesucht, da sie sich aus dieser Umklammerung lösen und unbedingt die Großstadt hinter sich lassen wollte. Vor knapp vier Wochen war sie auf diese Stellenanzeige gestoßen. Sie hatte sich beworben, ohne sich eine Chance auszurechnen, da sie kaum Berufserfahrung besaß, obwohl sie seit Jahren nebenbei in einem Fitnessstudio arbeitete. Aber die Annonce war zu verlockend gewesen: Außergewöhnlich luxuriöses Hotel, gute Bezahlung, viele verschiedene Aufgaben, die Insel Sylt, weit weg von ihrer Mutter.

    Umso erstaunter war sie gewesen, als sie eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekam. Sie hatte vorher niemanden von der Bewerbung erzählt, noch hatte sie ihren Arbeitsplatz in dem Fitnesscenter gekündigt. Ihre Mutter und Helmut hatten ihr vor zwei Wochen, als der Brief kam, sofort abgeraten, überhaupt dorthin zu fahren. Das war schließlich viel zu weit von ihnen, von Berlin, entfernt. Der arme Junge wäre da den ganzen Tag allein, hätte dort niemand, der sich um ihn kümmern würde, genau so wäre es bei ihr und das alles, würde sie nie allein bewältigen. Sie war ja noch so jung mit ihren dreiundzwanzig Jahren und man musste sich ja um sie Beide sorgen, das kleine Mädchen und das Enkelkind.

    „Du weißt doch gar nicht, wie man ein Kind erzieht, war das Lieblingsargument ihrer Mutter, „du bist doch selbst noch eins.

    Nun hatte sie die Stellung in einem Traumhotel, ihre erste eigene Wohnung in einem wunderschönen Puppenhaus und das alles auf einer großartigen Nordseeinsel. Da verkehrten nur Reiche und Schöne, wie es immer in den Medien hieß und nun Carla Johansen. Sie würde auch in den Bars und Restaurants verkehren, Austern schlürfen, Champagner trinken und keinen Sekt. Ach, es würde himmlisch werden. Sie kuschelte sich leicht lächelnd in ihre Decke und schlief sehr glücklich ein.

    Chapter °°°°°°

    Die nächsten sieben Wochen vergingen für sie wie im Flug, obwohl es manchmal doch nicht schnell genug war. Sie fieberte richtig ihrem Abreisetag entgegen. Zu verlockend war alles.

    Störens dritter Geburtstag war vorbei und wurde mit einer großen Geburtstagsfeier gekrönt. Wer wusste schon, ob man das im nächsten Jahr auch so machen würde, wie Helmut zu ihr sagte und der Junge sollte doch alles in schöner, guter Erinnerung behalten.

    Ihre wenigen Sachen standen in zahlreichen Kartons verpackt und eine Spedition würde morgen Vormittag alles abholen. Eigene Möbel hatte sie ja nicht, da sie immer noch in ihrem alten Jugendzimmer gelebt hatte. Das gebrauchte Kinderbett von Sören würde sie nicht mitnehmen, da er in einem Alter war, wo er ein richtiges Bett haben wollte.

    Morgen früh würde es für sie und Sören losgehen. Er schlief bereits, was sich heute Abend etwas schwierig dargestellt hatte, da er schrecklich aufgeregt war. Permanent hatte er sie nach der Insel, den Tieren, dem Meer, dem Strand ausgefragt und sie hatte erzählt: „Die lang gestreckte Insel hat auf der Westseite von Hörnum, das ist ein Ort im Süden bis hinauf zum sogenannten Ellenbogen, das ist im Norden, einen einzig langen Sandstrand und besonders im Sommer sind da sehr viele Leute. Oben im Norden ist der Ort List, das nördlichste Dorf von Deutschland. Da gibt es einen Leuchtturm, einen Hafen, von dem eine Autofähre nach Dänemark fährt." Sie zeigte ihm dann immer einige Prospekte, die sie von der Insel mitgebracht hatte.

    „Mama, fahren wir da mal mit?"

    „Aber sicher doch, mein Schatz. Weicher, ganz weißer Zuckersand, der manchmal in der Sonne schimmerte wie Gold. Davor das graublaue weite Meer, das hin und wieder mit seiner ungestümen Gischt alles unter sich begräbt. Hinter dem Sand steigen die Dünen auf, manchmal sind es nur kleine Sandhügel, woanders sind die steil und hoch, wie ein Fels, der unter den Sonnenstrahlen rotgolden glitzert. Daran schließt sich die Heidelandschaft an.

    Das sind kleine Hügel, aus denen sich die Vögel erheben und sich von dem Wind in die Höhe tragen lassen. Da rennen munter Hasen herum und können sich satt fressen. Viele Schafe grasen dort auf den Deichen."

    „Mama, gibt es da so große Häuser wie hier?"

    „Ja, in Westerland. Große Hotels, gerade Häuser, so wie man sie in Berlin sieht. Es gibt dort eine Fußgängerzone, in der sich Laden an Laden. Café an Restaurant, reihen. Da gibt es bestimmt Eis.

    Aber wir beide werden an der Ostküste wohnen. Dort ist alles wunderschön grün, mit ganz vielen Bäumen und Blumen. Du kannst dort draußen spielen, weil es da kaum Verkehr gibt."

    „Mama und wo sind die Robben?"

    „Die leben weiter im Meer draußen. Da sind so Sandbänke und irgendwann werden wir einmal mit einem Schiff auf der Nordsee fahren und dann können wir die dort sehen. So nun wird aber endgültig geschlafen. Du bist sonst morgen so müde, dass du im Auto einschläfst und dann siehst du nix von all dem. Gute Nacht, mein Schatz. Mama kommt bald."

    Am Abend hatte sie mit ihrer Mutter und Helmut bei einem letzten Glas Wein zusammen gesessen. Alle waren etwas traurig wegen des bevorstehenden Abschiedes, obwohl bei ihr die Vorfreude wesentlich mehr überwog, was sie jedoch nicht zeigte. Sie wollte die Zwei nicht verletzen. Trotzdem gab es heute die üblichen hundert Tipps, Ermahnungen, Hinweise, Ratschläge.

    Ihre Mutter hatte ihr in den letzten Tagen tausend Anweisungen gegeben und ihr ein Sparbuch in die Hand gedrückt, mit der bissigen Bemerkung: „Das ist das Geld, was dir dein Vater wenigstens immer geschickt hat. Davon kannst du dir Möbel kaufen, aber ja vernünftige Sachen und pass bloß auf, dass da nichts Schädliches drinnen ist, damit der arme Junge nicht krank wird. Ach, ich darf gar nicht daran denken, was du dort allein so machst und das arme Kind."

    Es folgten einmal mehr die obligatorischen Belehrungen, auf was sie in Zukunft alles achten müsste. Sie hatte ihr sogar eine Liste geschrieben, worauf stand, was Sören gern aß, gern spielte und was sie machen musste, wenn er Husten, Schnupfen oder dergleichen bekam. Gerade dort oben in dem rauen Klima waren die Menschen ja andauernd krank, kam das Argument von Irmgard Seiffert, ein wenig gehässig.

    Carla hatte sich das wieder und wieder angehört, schon langsam genervt und jedes Mal innerlich aufstöhnend. So war es Abend für Abend gegangen, sobald sie von der Arbeit nach Hause kam, und sie hatte es jedes Mal zähneknirschend über sich ergehen lassen. Sie wusste besser, was sie zu tun und zu lassen hatte.

    Ihr Stiefvater hatte ihren Wagen noch einmal richtig kontrolliert und neue Reifen spendiert, hatte ihr erzählt, wie man Öl, Wasser für die Scheibenwaschanlage einfüllte, und zum hundertsten Mal kam die Ermahnung: „Fahre vorsichtig!"

    Ihre Freundin Carola war beleidigt gewesen, als sie ihr von der neuen Stellung erzählte, war ihr aber vorgestern weinend um den Hals gefallen. Zum Abschied hatte sie ihr ein Nachthemd mit Morgenrock geschenkt.

    „Damit du wenigstens etwas Vernünftiges anzuziehen hast, wenn du Männerbesuch empfängst. Nun kannst du dich ja endlich austoben und deine Mutter passt nicht immer auf. Wird ja Zeit."

    Wenige Minuten später hatte sie sich beruhigt, ihr aufgeregt von ihrem neuen Freund vorgeschwärmt. Der war ja diesmal der absolute Traummann, wie bereits dreißig Mal zuvor, hatte Carla im Stillen schmunzelnd bei sich gedacht, und das Thema Abschied war für Carola erledigt gewesen.

    Im Fitnessstudio gab es eine kleine Abschiedsfeier für sie. Alle bedauerten, dass sie wegging. Zum Abschied hatten sie ihr Wein- und Sektgläser geschenkt, inklusive eine Flasche Wein und eine Flasche Champagner.

    Peter, ihr Kollege, hatte sie am Abend nach Hause gebracht. „Warum gehst du weg? Ich dachte, dass wir uns mögen, und vielleicht hätten wir zusammen leben können. Überlege es dir doch noch einmal. Ich habe dich nämlich sehr lieb. Du bist eine zauberhafte Frau."

    Sie hatte ihm einen leichten Kuss auf die Wange gegeben, aber nix weiter dazu gesagt. Er war nur ein netter Kollege für sie, nicht mehr und das wusste er, da sie daraus nie ein Geheimnis gemacht hatte.

    Mit ein paar anderen Freunden hatte sie sich in einer Pizzeria getroffen, hatte zum Abschied eine Runde Pizza ausgegeben. Auch von ihnen bekam sie ein Geschenk: schönes dottergelbes Kaffee- und Essgeschirr. Die meisten hatte zwar bedauert, dass sie wegging, konnten diesen Schritt jedoch nachvollziehen. Sie alle kannten ihre familiäre Situation und ihre Mutter.

    Jetzt lag sie zufrieden im Bett und war genauso aufgeregt, wie vorhin ihr Sohn, der jedoch ruhig neben ihr schlief, seine kleine Robbe fest an sich gepresst hielt. Sie sah das zauberhafte Puppenhaus, die bereits vor ihren Augen fertig eingerichtete Wohnung und das exquisite Traumhotel, mit sich als Fitnesstrainerin darin, vor sich. Morgen früh ging es nun endlich los: Ihre Fahrt in ein neues, wunderschönes, freies Leben.

    Chapter °°°°°°

    Sören guckte die ganze Zeit nach rechts und links, schaute alles an und hatte andauernd etwas zu erzählen. Er genoss die lange Fahrt richtig, da er noch nie aus der großen Stadt herausgekommen war.

    Der Abschied von Berlin war ihm, genauso wie ihr, leicht gefallen. Ihre Mutter hatte durch ihr Quengeln und Jammern es ihr sogar noch erleichtert.

    „Du bist ja doch in wenigen Wochen wieder hier, weil du das allein nie schaffst. Es ist nur schade um das Geld, was du dafür zum Fenster hinauswirfst und den armen Jungen verwirrst du nur, mit deinem Eigensinn. Du bist genauso wie dein Vater." Wann immer es Zwietracht im Haus gab, wurde ihr Mund schmal und geradezu verbittert, was mehr als alle Worte sagte.

    Carla nahm das alles humorvoll hin, denn sie war aufgeregt, dazu kam, dass sie heute zu gute Laune hatte, um sich über irgendeine Kleinigkeit aufzuregen.

    Das alles war jetzt vergessen. Die Fahrt in ein neues, anderes Leben war viel zu schön. Sie war so glücklich wie schon seit Jahren nicht mehr.

    Das höchste für Sören war, als sie das Auto auf den Autozug hochfuhr. Er sprang im Wagen herum, damit er ja alles sehen konnte und nichts verpasste, dabei stand sein Mund nicht eine Sekunde still. So ging es auch während der Fahrt über den Hindenburgdamm. Das gleichmäßige Rollen über die Gleise, erzeugte in ihr ein gutes Gefühl. Als der Zug aus den Wiesen heraus auf den Damm rollte, der die Insel mit dem Festland verband, blickte sie hinaus. Eine dicke weiße Wolke kam über das Meer auf das Land zu gesegelt und es kam ihr so vor, als wenn diese sie begrüßen wollte.

    Sören sah hinter dem Deich, andere, schöne Häuser, da Pferde, dort Schafe, einige Möwen. Dann sahen sie das Wasser auftauchen. Sie hatten einen wunderschönen Blick auf die raue Nordsee. Da das Wattenmeer überspült war, ahnte Carla, dass die Flut eingesetzt hatte. Zweimal am Tag änderte sich das Bild. Bei Ebbe war alles voller Schlamm, bevölkert von Würmern, Muscheln, Krebsen. Dazu die vielen hundert Vögel, die sich satt fraßen. Wenn die Flut langsam im immer gleichen Rhythmus einsetzte, wurde das Land langsam unter Wasser gesetzt, brachte neue Leckerbissen an die Oberfläche. Jetzt schimmerte alles in einem atemberaubend schönen Silberglanz und in ihr stieg ein warmes Glücksgefühl empor. Es kam ihr so vor, als wenn sie nach Hause zurückkehrte, als wenn sie nach langer Reise endlich die Heimat sehen würde, und sie hätte am liebsten vor Freude gejubelt.

    Frau Kooge begrüßte sie und Sören herzlich. Sören gab der älteren Dame einen kleinen Blumenstrauß, den sie unterwegs noch schnell gekauft hatten. Kaffee und ein großer Schokoladenkuchen standen schon bereit und erregte sofort Sörens Aufmerksamkeit.

    „Frau Kooge, ich bin Ihnen so dankbar, dass ich schon eine Woche vorher in die Wohnung darf. Da habe ich Zeit, mir alles einzurichten, bevor ich arbeiten gehe. Ich kann sogar Sören vorher noch ein wenig von der Insel zeigen."

    „Ist schon gut, mein Kind. Sagen Sie Tilda zu mir, das hört sich besser an, finde ich. Die Wohnung war ja sowieso leer."

    „Danke, das ist sehr lieb von Ihnen, aber nur wenn Sie das olle sie weglassen."

    Die beiden Frauen sahen sich lächelnd an, wissend, dass sie sich gut verstehen würden.

    „Was willst du denn mit Sören machen, wenn du arbeiten gehst?"

    „Ich habe mich erkundigt. Hier in der Nähe gibt es einen Kindergarten und sie haben noch einen Platz für ihn frei. Da kann er hin, wenn ich arbeiten bin. Ich hoffe nur, er stört Sie nicht allzu sehr."

    „Ach, lass man. Pieter, mein Mann, ist ganz verrückt nach Kindern. Der macht das schon und wenn du mal Hilfe oder einen Aufpasser benötigst, sind wir ja da. Hier kann er sich so richtig austoben. Leider konnte ich nie eigene Kinder bekommen, deshalb ist es für uns beide schön, einmal Kindergeschrei im Haus zu haben. Nur bitte keine Haustiere."

    „Sie sind so lieb. Da habe ich wirklich einen richtigen Glückstag gehabt, als ich mich um die Wohnung beworben habe", strahlte sie die ältere Frau an, der sie am liebsten um den Hals gefallen wäre.

    „Mama, darf ich bitte noch ein Stück Kuchen haben?" Sören hielt ihr seinen Teller hin.

    „Da musst du Frau Kooge fragen, Sören."

    „Du, Frau Kooge, kann ich noch eins haben?"

    „Aber klar, Sören und du kannst ruhig Tante Tilda sagen."

    „Gut, mach ich." Er widmete sich schon dem nächsten Stück.

    „Wenn Sie Hilfe benötigen, bei der Gartenarbeit oder beim Einkaufen, können Sie mir ruhig Bescheid sagen. Ich mache das wirklich gern. Ich bin so froh, endlich aus der Großstadt und dem Häusermeer heraus zu sein. Für Sören ist es ebenfalls viel schöner. Die Luft, die Natur und das Meer. Hier brauche ich nicht ständig Angst haben, dass er auf die Straße rennt und unter ein Auto kommt, man muss nicht extra auf einen Spielplatz oder in den Park gehen. Hier wird er sich austoben und freier aufwachsen können."

    „Wir haben ja einen großen Garten, wo er spielen kann und ich kann mir vorstellen, dass ihm Pieter dabei bestimmt öfter Gesellschaft leisten wird. Wir haben ein kleines Geschenk für dich gekauft, Sören."

    „Für mich?" Sören sah die Frau gleich erwartungsvoll an.

    „Später! Erst fertig essen und dann kannst du hinausgehen, aber die Blumen am Rand bleiben stehen. Dir gehört nur die Wiese."

    „Mach ich, Blumen sind sowieso langweilig, die riechen nur gut."

    Schnell aß er auf, um gleich hinaus zu rennen. Wenig später hörten die beiden Frauen Sören draußen jubeln und er kam mit einem Ball in der einen und einem kleinen Eimer, in der anderen Hand hereingerannt.

    „Mama, guck mal, lauter Fische und da ist eine Schippe drin und so Förmchen." Er überschlug sich fast beim Sprechen.

    „Sören und was sagt man?"

    „Danke! Hab ich vergessen, aber guck mal, auf dem Ball sind lauter so Muscheln oder wie die heißen. Kann ich das mit zum Wasser nehmen?"

    „Sicher doch. Da kannst du Muscheln hineinlegen, wenn du welche findest."

    „Du, Tante ... Tante?" Er sah fragend seine Mutter an.

    „Tilda!"

    „Du, Tante Tilda, habt ihr ´nen Buddelkasten?"

    „Nein, noch nicht, aber den bekommst du sicher noch. Ich werde nachher mit Onkel Pieter sprechen, vielleicht hat der da eine Idee, wo du erst mal buddeln kannst."

    „Oh ja. Wann kommt der denn?"

    „Heute erst spät, da schläfst du schon."

    „Sören, nun ist gut. Alles nacheinander, ja."

    Gemeinsam mit ihrem Sohn packte sie die wenigen Sachen oben aus, die sie im Auto mitgebracht hatten.

    Später, Sören war endlich eingeschlafen, ging sie hinunter und lernte Pieter Kooge kennen, den seine Frau liebevoll alter Seebär nannte. So kam er auch Carla vor: wie ein großer, lieber Bär. Er war sehr groß, breit gebaut, jedoch schlank, die vollen Haare waren fast weiß und man sah seinen Augen, die von Lachfältchen umsäumt waren an, was für ein gutmütiger und fröhlicher Mensch er war. Seine tiefe voll tönerne Stimme strahlte Ruhe, Wohlbehagen, Ausgeglichenheit und Wärme aus. Er wirkte wie ein Kontrast zu der kleinen, zierlich Frau. Die wirkte wesentlich agiler, aber auch bei ihr war die Herzensruhe spürbar. Dem Paar war die Zugehörigkeit, die Liebe, die sie füreinander empfanden, anzumerken. Sie selbst hatte noch nie ein Paar gesehen, was so viel Harmonie, Herzlichkeit und Zusammengehörigkeit, ausstrahlte, wie diese beiden älteren Leute, die eine Einheit bildeten. Man musste sich in ihrer Nähe wohlfühlen. Erneut ging es ihr durch den Kopf: Diese beiden Menschen zu finden, war wirklich ein Glückstreffer, sie sind lieb.

    Sie saßen fast bis Mitternacht zusammen und Carla erzählte von Berlin, ihrer Mutter, ihrem Beruf.

    „Denk daran, Deern, sagte er zu ihr, als man sich trennte, „was man die erste Nacht in einem fremden Bett träumt, geht in Erfüllung. Nun musst du nur noch etwas Schönes träumen, nöch.

    Pieter Kooge gab ihr einen leichten Kuss auf die Wange und nun stand sie im Gästezimmer, da ihre Sachen erst am nächsten Tag eintreffen würden und Betten sowieso erst gekauft werden mussten.

    Einschlafen konnte sie noch nicht, so blickte sie in die dunkle Nacht hinaus. Vereinzelt sah sie zwischen den Baumkronen, die schwarz in den Himmel ragten, Sterne glitzern.

    Sie sah die Wohnung oben fertig vor sich und lächelte vor sich hin. Sören war gleich kurz nach ihrer Ankunft in ein Zimmer gerannt und hatte bestimmt, dass das seines war und seinen kleinen Rucksack hineingelegt, als Zeichen, dass es ihm gehörte.

    Sie gestand sich aber ein, und das zum ersten Mal, dass sie trotz allem, ein wenig Beklemmung spürte: Was würde sie erwarten? Wie waren ihre neuen Kollegen? Würde sie alle von ihr geforderten Aufgaben wirklich problemfrei bewältigen können? Wie würde sich Sören einleben? Wie würde sie, jetzt auf sich allein gestellt, mit der Doppelbelastung fertig werden?

    Entschieden verdrängte sie die Gedanken jedoch schnell wieder: Ich werde das schaffen. Andere Frauen, die wesentlich blöder als sie waren, bewerkstelligen das schließlich auch. Wir beiden werden schon gut zurechtkommen. Was sollte schon schieflaufen? Sie war eine Schönheit, eine perfekte Trainerin, eine sehr gute Mutter. Sie benötigte nur noch den Traummann mit viel Geld. Dann würde auch sie, auf der Insel der Reichen und Schönen, dazugehören.

    Carla seufzte, wandte sich vom Fenster ab, ging ins Bad, betrachtete ihr Spiegelbild. Ja, sie war eine Aphrodite, eine Venus, fast zu perfekt und das würde ihr vieles erleichtern.

    Chapter °°°°°°

    Die letzten Tage hatte sie alle Hände voll zu tun gehabt. Neue Möbel wurden gekauft und aufgebaut, die Kisten ausgepackt, Regale zusammengeschraubt. Noch fehlende Haushaltsgegenstände und Lebensmittel, für Sören ein paar zusätzliche Kleidungsstücke, inklusive Gummistiefel, gekauft. Sie hatte sich um und ihren Sohn im Kindergarten angemeldet. Es war der pure Stress.

    Das schönste für sie Beide war jedoch gewesen, als sie sich das Meer ansahen.

    Am frühen Morgen waren sie losgefahren. In dem weißen, weichen Sand einer Düne sitzend, bestaunten sie, wie am Horizont aus dem grauen Wasser langsam der rote Feuerball gen Himmel aufstieg. Sören hatte mit offenem Mund alles staunend verfolgt. Sie waren lange am Strand spazieren gegangen und sie bemerkte zum ersten Mal die berauschende Schönheit. Sie genoss die Brandung, ließ sich den eisigen Wind um die Nase wehen, schmeckte die salzhaltige Luft auf ihren Lippen und beobachtete den Flug der Silbermöwen. An dem Tag verliebte sie sich in das Meer, den Strand und damit in die Insel. Hier wollte sie nie mehr weg.

    Ihr Sohn, stolz mit seinen neuen Stiefeln, hatte sie erstaunt angesehen und: „Mama, das ist aber groß", gestaunt.

    An dem Tag war sie wirklich hier angekommen. Sören erzählte später Pieter, immer noch überwältigt, wie groß die Nordsee war. Der hatte ihn schmunzelnd auf seinen Schoß gesetzt und dem stark beeindruckten Jungen, Bilder von der Insel in einem Buch gezeigt und ihm von Sylt erzählt. Selten hatte sie ihren Sohn so gebannt zuhören gesehen und das über Stunden. Tilda und sie hatten sich Blicke zugeworfen, denn sie war begeistert gewesen, wie der alte Seebär, wie sie ihn heimlich nannte, berichtete.

    Jetzt stand neben ihren schlafenden Sohn. Er lag in seinem neuen Bett und hielt die kleine Robbe im Arm. Sanft streichelte sie ihm über den Kopf und wieder durchströmte sie das warme Gefühl, so wie jedes Mal. Wie sehr sie den Jungen liebte.

    Leise schloss sie die Tür, setzte sich gemütlich auf die neue, beige Sofaecke in ihrem Wohnzimmer und rief ihren Bruder Morten an.

    Ihr Vater und ihr Bruder hatten sich sehr gefreut, dass sie nach Sylt gezogen war, wenn es beide lieber gesehen hätten, wenn sie direkt zu ihnen nach Norwegen gekommen wäre.

    Es wurde ein langes Gespräch, da sie das erste Mal seit Jahren ungestört und ausführlich mit ihnen sprechen konnte. Ihre Mutter hatte das nie gerngesehen und darum hatte meistens Morten oder ihr Vater angerufen. Sie hatten sich nur kurz miteinander unterhalten, dabei hatte sie immer darauf geachtet, was sie sagte, damit es nachher keinen Ärger mit der Mutter gab. Die beiden Männer würde ich so gern wiedersehen, dachte sie etwas wehmütig, während sie das Gespräch beendete. Sie sah die zwei Fotos auf dem Regal an, eins zeigte ihren Vater, eins ihren Bruder, der viel Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte.

    Schnell machte sie sich fertig, als ihr Blick auf die Uhr fiel. Das Gespräch hatte länger gedauert, als eigentlich geplant. Tilda hatte sie zu einem Glas Wein eingeladen, da Pieter beim Deichgraf war, wo er jede Woche am Stammtisch teilnahm.

    „Männerkram, das machen sie nur, um ein paar Lütte oder Köm zu kippen, belustigte sich Tilda lächelnd. „Aber, das muss man sein, nöch.

    Mit einer Schachtel Pralinen in der Hand ging sie eilig hinunter. So saßen sie gemütlich beisammen, plauderten über dies und das und irgendwann kam das Gespräch auf Sören.

    „Was sagt eigentlich der Vater von Sören dazu, dass du mit dem Kleinen weggezogen bist, oder kommt er irgendwann hierher?"

    „Es gibt keinen Vater. Ich meine, natürlich hat er einen, aber der weiß nicht, dass er einen Sohn hat. Ich weiß noch nicht einmal, wo der wohnt oder wie er richtig heißt. Carla sah, wie Tilda die Augenbrauen hob und sie etwas konsterniert anschaute. „Das ist aber etwas ungewöhnlich, oder?

    Nun erzählte sie Tilda ihre Geschichte, die sie bisher noch niemand, nicht einmal ihrer Mutter, jemals so in Details berichtet hatte: „Mein Vater, der in Norwegen lebt, hatte mir zu meinem Geburtstag eine dreiwöchige Reise nach Djerba geschenkt, für zwei Personen. Meine Mutter hat damals tagelang gemeckert und geheult. Seit der Scheidung ist sie nicht mehr so gut auf Papa zu sprechen. Ich habe damals meine Freundin Carola mitgenommen und wir haben wunderschöne Tage dort verlebt. Ich war noch nie aus Deutschland heraus gekommen und alles war so aufregend. Da war das teure, noble Hotel, die fremdartigen Menschen und Gerüche, den ganzen Tag Sonne, das blaue, türkisschimmernde Meer, der fast weiße, warme Sand. Stell dir vor, wir sind sogar auf Kamelen geritten und Carola hatte Heidenangst vor den Biestern, wie sie die Tiere immer nannte."

    Carla lachte, als sie die alten Bilder vor sich sah, als sie weiter erzählte, wurde sie jedoch schnell Ernst und der eben in ihren Augen erstrahlte Glanz, verschwand.

    „In der zweiten Woche haben wir die beiden Jungen aus Hamburg kennengelernt, Sven und Thorsten. Sie machten im gleichen Hotel Urlaub und waren nett, sympathisch. Na ja, Sven war so ein kleiner Draufgänger, ein Casanova, aber immer lustig, fröhlich. Thorsten war anders: Ruhiger, zurückhaltender, nicht so aufdringlich. Von da an, haben wir vier viel zusammen unternommen und es hat Spaß gemacht."

    Carla holte tief Luft, sah ihn vor sich: Thorsten.

    „Er war groß, braune Haare und blaue Augen. Ich fand ihn umwerfend. Ich habe mich sofort Hals über Kopf in Thorsten verliebt, aber er wusste das nicht. Wir sind abends oft allein weg gewesen, sind am Strand spazieren gegangen, haben den Sternenhimmel bewundert. Ich konnte mich gut mit ihm unterhalten. Sven und Carola waren lieber in der Disco oder wollten allein sein. Carola war in der Beziehung sowieso, auch schon Zuhause, immer lockerer als ich. Sie lästerte deswegen und manchmal machte sie sich über mich lustig. Du wirst als alte Jungfer sterben, war so ein Lieblingsspruch von ihr", plauderte sie. Es war die Geschichte, die sie sich vor Jahren zusammengereimt hatte. Sie verdrängte gekonnt alles, was nicht in ihr Bild von sittsamer, ordentlicher Frau, passte. Ihre Mutter predigte stets, wie junge Frauen zu leben hatte. So brav, gesittet wollte sie für die Leute sein. Ihre vergeblichen Versuche, einen Kerl mit viel Knete zu finden, waren alle kläglich gescheitert. Wenigstens hatte sie ihren Spaß dabei gehabt, dachte sie danach stets. Sie wollte so frei, offen leben, wie sie es in den Medien propagierten: Freie Liebe, sexuelle Revolution, Spaß haben, alle Zwänge beiseite werfen. Es war vorbei mit den alten Zöpfen, an die sich noch ihre Mutter oder Tilda klammerten.

    Sie räusperte sich. „Bei mir lag das vielleicht an der Scheidung meiner Eltern oder an meiner Mutter, die mich immer vor Männern warnte. Das war jahrelang ihr Lieblingsthema, wie schlecht doch alle Männer seien, dabei ist mein Vater nicht so, aber das ist eine andere Geschichte. Drei Tage vor meiner Abreise ist es passiert. Wir waren am Strand, danach schwimmen, er war so nett und zärtlich zu mir. Als er mich später mit in sein Zimmer genommen hat, war ich total glücklich, wenn ich auch etwas Angst hatte. Ich hatte noch nie etwas mit einem Jungen gehabt. Gut, es ist eben passiert. Danach war ich wie berauscht, weil ich dachte, dass es ihm auch so gehen würde. Er wollte unbedingt meine Adresse, weil er angeblich beabsichtigte, sobald er zu Hause war, sich bei mir zu melden. Ich habe natürlich nie etwas von ihm gehört."

    Wieder machte sie eine Pause. Sie sah ihn vor sich, sah den Sternenhimmel, wie er sie in den Arm genommen hatte, sah sein Zimmer. Ja, es waren drei geile Nächte mit ihm gewesen. Er war ein faszinierender Kerl gewesen.

    „Deern, trink mal ´nen Lütten, das tut gut."

    Carla kehrte in die Wirklichkeit zurück, nippte kurz und schüttete den Inhalt mit einem mal hinunter. Es brannte leicht in ihrer Kehle und sie schüttelte sich, während Tilda verhalten lachte. Sie hatte gespürt, dass die junge Frau immer noch nicht mit dem Kapitel abgeschlossen hatte.

    „Einige Wochen später habe ich festgestellt, dass ich schwanger war. Erst wollte ich es nicht wahrhaben und konnte es nicht glauben. Als ich es meiner Mutter erzählte, war sie toll. Sie machte mir keine Vorwürfe oder so, sondern sagte einfach, das werden wir beiden Frauen doch wohl schaffen. Sie hat die letzten drei Jahre immer auf Sören aufgepasst, wenn ich im Fitnesscenter oder in der Uni war. Sie ist einfach lieb."

    „Wie dieser Thorsten heißt, weißt du bis heute nicht. Also kann er keinen Unterhalt zahlen."

    Carla schüttelte nur den Kopf, erwähnte nicht, dass sie die Unterhaltszahlung einmal vom Amt und ein zweites Mal von ihrem Vater bekam.

    Sie hatte damals wochenlang Tag für Tag auf seinen Anruf, auf einen Brief, eine Mitteilung gewartet. Sie war fast nur noch Zuhause geblieben, außer wenn sie arbeiten oder zur Uni musste, nur, um nicht seinen Anruf zu verpassen. Es dauerte bestimmt ein halbes Jahr, bis sie endlich in ihrer Naivität verstand, dass er sich nie melden würde. Deswegen hatte er ihr damals nicht seinen vollen Namen gesagt oder ihr seine Adresse gegeben. Sie war zu einfältig gewesen.

    Carola hatte sie deswegen ausgelacht: „Mensch, Carla, der meldet sich nie. Der wollte seinen Spaß, ein kleines Urlaubsabenteuer. Sei doch nicht immer so gutgläubig, sehe es locker. Es hat dir auch Vergnügen bereitet und das war es. Hake ihn als erledigt ab. Andere Mütter haben auch schöne Söhne." Sie dagegen hatte das nicht locker wegstecken können. Carola hatte sie gedrängt, eine Abreibung zu machen, aber sie wollte das Kind.

    Sie hatte die wenigen Tage mit ihm genossen, sie hatte ihn in der kurzen Zeit geliebt, sie hatte ihm vertraut und er hatte sie ja zu nix gezwungen. Sie hatte es damals gewollt und würde nun eben die Konsequenz daraus tragen müssen. Das Kind war für sie ein Zeichen, dass es ihn wirklich in ihrem Leben gegeben hatte und er nicht nur ihrer Fantasie, ihren Träumen entsprungen war. Sie lebte und arbeitete danach nur für ihren Sohn Sören, den sie abgöttisch liebte.

    „Na, Deern, jetzt musst du aber schlafen gehen. Morgen ist doch dein erster Arbeitstag und da musst du ja wohl fit sein. Dein Sohn ist in guten Händen."

    Tildas Stimme riss sie aus ihren Träumen. Sie ging nach oben, schaute in das Zimmer ihres Sohnes, der kleine Blondschopf schlief ruhig in seinem Bett. Carla streichelte ihm vorsichtig über seine Haare.

    „Du bist mein Leben. Ich brauche keinen Kerl mehr, nie wieder. Keinen der mir wehtut, der mich belügt." Es hatte ihr damals sehr wehgetan, als sie erkannte, dass sie für ihn nur ein Flirt war. Danach hatte sie keinen Kerl mehr an sich herangelassen. Nun war das vorbei, da sie endlich die Pille nehmen konnte. Niemand würde das kontrollieren oder sie musste dafür Rede und Antwort stehen.

    Im Bett sah sie ihn vor sich, den großen, gut gebauten, schönen Kerl mit den leuchtend blauen Augen, den dunkelbraunen, leicht gelockten Haaren, den langen Wimpern und den schönen Händen mit den schmalen Fingern. Sein Zimmer war so toll gewesen, hatte allen erdenklichen Luxus. Wie viele Kreditkarte der hatte, und das Bündel Scheine. Er war einfach toll. Wie er sie angesehen hatte, wie sie zusammen geschwommen waren, die Spaziergänge am Strand, wie sie sich geküsst hatten. Ja, es war schön gewesen und nur das wollte sie in Erinnerung behalten.

    Sie wusste, dass sie genau das immer an ihn erinnern würde: All die schönen Tage und die drei schönen Nächte; seine Fürsorglichkeit, sein Charme, seine Zärtlichkeit. Sie wusste, wie lächerlich das war, aber erst vor einer Woche, in ihrer ersten Nacht, hatte sie nach so langer Zeit von ihm geträumt.

    Sie war ihm in gewisser Weise dankbar dafür, da sie Sören hatte. Er wurde seinem Vater vom Äußeren her, immer ähnlicher, obwohl er im Augenblick noch fast blonde Haare hatte. Er war ihr Junge, der sie nie verlassen würde, so wie all die anderen Männer.

    Chapter °°°°°°

    Es war eine schöne lauwarme Nacht und die Sterne blitzten am Himmel. Carla saß auf dem kleinen Balkon und genoss die Ruhe der Nacht, die jetzt Ende Mai bereits angenehm warm war. Die letzten zwei Monate waren für sie vorbei geflogen.

    Die Arbeit machte ihr Spaß. Es war fremdartiger, als sie es aus dem Fitnesscenter kannte.

    Hier gab es nie mehr als fünf Personen, überwiegend nur Frauen, die sie zu betreuen hatte. Einmal machte sie Jazzdance oder Aerobic mit ihnen, dann nur leichte gymnastische Übungen, Stretching, Bewegungs- und Entspannungsprogramme oder Aqua-Power-Gymnastik. Ferner beaufsichtige sie die Weiber beim Kraftsport und erteilte Auskünfte, führte vor, gab Anweisungen. Genau dieses breite Spektrum gefiel ihr, dadurch wurde es nie langweilig, forderte von ihr viel Einsatz. Bei besonders zahlungskräftigen Hotelgästen hielt sie Einzelsitzungen ab. Das waren entweder Frauen oder Männer, die etwas anderes wünschten und Wert auf eine persönliche Betreuung legten.

    Viele Weiber versuchten, innerhalb von drei, vier Tagen eine Figur wie ein Supermodel zu bekommen. Dafür nahmen sie aber auch Strapazen auf sich, die weder gesund noch von ihr vertreten werden konnten, auf so etwas hatte sie zu achten. Man musste seinen Körper erst langsam daran gewöhnen, da sonst Überanstrengungen und folglich Verletzungen auftreten konnten und das wäre weder in ihrem Sinne, noch in dem des Gastes, geschweige denn, des Hotels. Nur hin und wieder wurde für besondere Gäste Essenspläne besprochen, um das gesamte Programm aufeinander abzustimmen. Ihre viele Probleme schob sie beiseite, da sie die als nicht existent betrachtete. Das war nur der Neid der anderen Kollegen, weil sie so gut, hübsch war, jeder Gast sie wollte. Deswegen schilderten sie bei dem Markett alles falsch, redeten ihr rein. Dass der Personalchef ihr gerade mit Kündigung gedroht hatte, verdrängte sie. Der Fitnessbereichsleiter war gegen sie, nur weil sie ihn abblitzen ließ. Sie war eben nicht so eine billige Person. Sie würde dort bleiben, es allen zeigen, auch wenn das hieß, die Kerle eben mal mitzunehmen. Sie brauchte den Job, den Verdienst. Außerdem verkehrten dort nur Reiche und da würde sie den passenden Kerl finden.

    Mit dem restlichen Hotelbetrieb hatte sie daneben wenig zu tun, da sie sich während ihrer Arbeitszeit nur in den dafür vorgesehenen Sport- und Fitnessräumen aufhielt. Sie durfte in bestimmten Zeiten eines der kleinen Schwimmbäder benutzen, was sie meistens für sich allein hatte, da nur wenige vom Personal das Angebot nutzten. Das Essen war toll, vielfältig und ausgewogen, was in einer gemütlichen Kantine ausgegeben wurde. Zusätzlich dazu gab es noch eine angrenzende Cafeteria. Was ihr fehlte, waren Kolleginnen, mit denen sie sich austauschen konnte, da die anderen Angestellten blöd waren, wie sie schnell herausfand, sie mieden, weil sie eben besonders schön und sehr qualifiziert war. Trotz allem fühlte sie sich in dem Hotel sehr wohl.

    Sie hatte Sören sogar schon ein paar Mal mit zum Schwimmen genommen, da sie dazu, vom Personalchef, die Erlaubnis bekommen hatte. Den mochte sie allerdings nicht sonderlich. Er war zu sehr von sich überzeugt, er war ihr zu selbstgefällig, zu arrogant, außerdem ein absoluter Casanova, der ständig hinter irgendeiner Frau her war, wie ihr auch Barbara berichtete. Mehrfach hatte er sie schon zum Essen eingeladen, aber sie hatte sich immer herausgeredet. Inzwischen hatte sie sich mit dessen Sekretärin und einigen wenigen anderen Angestellten des Hotels etwas angefreundet. Sie trafen sich mittags auf einen Kaffee, plauderten ein wenig und einmal waren Barbara und Susanne auch schon am Samstagabend bei ihr gewesen. Alles im allem lief es für sie gut und sie war mehr als zufrieden und glücklich damit.

    Auch bei Sören lief alles glatt. Er liebte den Kindergarten und ging gern dahin. Zwei Freunde hatte er schon gefunden und fühlte sich, als wenn er schon immer hier gelebt hätte.

    Er vermisste weder Berlin, noch seine Oma, denn er fand bei Tilda und Pieter immer ein offenes Ohr für seine kleinen Wünsche und die beiden mochten ihren Sohn sehr, verwöhnten ihn so richtig. Pieter hatte ihm vor drei Tagen sogar ein kleines Fahrrad geschenkt, womit er emsig durch den Garten fuhr.

    Aber die beiden waren auch zu lieb. Wenn sie am Nachmittag von der Arbeit kam, gab es meistens Kaffee und Kuchen. Oft wurden sie zum Abendessen eingeladen, oder sonntags zum Mittagessen. Manchmal saßen sie abends alle drei im Wohnzimmer und schnackten, wie Pieter immer sagte. Sie nahmen Anteil an ihrer Arbeit und oft lachten sie gemeinsam, wenn sie komische Episoden oder Ereignisse aus dem Hotelleben zum Besten gab.

    Sie dagegen konnte sich immer nur mit Kleinigkeiten bei den Beiden revanchieren: Mal Rasen mähen oder Unkraut jäten, mal für sie etwas einkaufen oder, wo Hilfe nötig war, mit anfassen. Nur meistens lehnten sie jede Art von Hilfe ab, da sie der Meinung waren, sie hatte auch so genug zu tun. So sah sie generell ihr Leben und endlich würdigte es jemand.

    Es war herrlich und sie war so unbeschreiblich glücklich. Sie liebte das raue Nordseeklima, den Wind, das ewig wogende Meer, den Geruch von Salz in der Luft. Sie konnte stundenlang am Strand barfuß durch den Sand laufen. Sie genoss das Rauschen der Wellen, das Pfeifen des Windes, der über die schaumgekrönten Wellen strich, das Schreien der Möwen und den Salzgeschmack auf ihren Lippen.

    Sören liebte genau wie sie das Meer, den Strand. Er sammelte Hunderte von Muscheln, lief durch das Wasser, egal ob die Hose dabei nass wurde. Bei Wind war er am liebsten unterwegs, weil da die Wellen so hoch waren, wie er jedes Mal begeistert feststellte.

    Ich bin vermutlich doch die Tochter meines Vaters, ging es ihr durch den Kopf.

    Ihr Vater war Norweger und Hubschrauberpilot. Ihre Eltern hatten sich vor 15 Jahren scheiden lassen, weil Ole Johansen nicht mehr in Berlin leben wollte. Er brauchte die Natur, das Meer. Er war kein Stadtmensch. Da war es ein glücklicher Zufall, dass er damals ein Angebot von einer Ölfirma bekommen hatte, so ging er zurück in seine Heimat. Ihre Mutter dagegen weigerte sich strikt Berlin zu verlassen, also hatten sie sich getrennt. Morten, ihr drei Jahre älterer Bruder und sie blieben bei der Mutter.

    Vor über fünf Jahren hatte sie ihren Vater das letzte Mal gesehen. Damals war Morten mit seinem Vater nach Bergen gegangen, sehr zu ihrem Leidwesen. Morten fehlte ihr sehr, mehr als es ihr Vater tat. Die beiden hatten auch jetzt begrüßt, dass sie auf Sylt lebte. Da muss ich nicht so weit fahren, um dich zu sehen, hatte Morten erst vor kurzem gesagt. Obwohl er es lieber gesehen hätte, wenn sie zu ihm und dem Vater gekommen wäre. Sie telefonierten jede Woche miteinander und auch die Beziehung zu ihrem Vater war enger geworden, worüber sie glücklich war, aber besonders, da er ihr regelmäßig 1000 Mark überwies.

    Ihre Mutter hatte es nie gerngesehen, wenn Ole Johansen mit seinen Kindern sprach. Meistens gab es danach Tränen und Gejammer, was für ein schlechter Mensch er doch gewesen sei. Er habe schließlich seine Familie in Stich gelassen. Als Morten auswanderte, hatte sie nicht nur auf den Vater geschimpft, dass er ihr jetzt noch den Sohn nehmen würde, sondern auch auf Morten, der ja so undankbar sei. Von da an klammerte sie sich noch mehr an die Tochter.

    Carla hatte, je älter sie wurde, alles etwas anders gesehen, aber das nie ihrer Mutter gesagt, um weitere Komplikationen zu vermeiden. Ihr Vater hatte all die Jahre ihre Mutter finanziell unterstützt, obwohl er das nicht gebraucht hätte und ihr Bruder war glücklich bei ihm, zumal er, inzwischen eine gute Stellung als Pilot hatte.

    Morten war wie sein Vater und auch wie sie selbst: Naturkinder. Das hatte sie gerade in den letzten Wochen gespürt. Noch nie hatte sie sich so wohl gefühlt, wie gerade hier und für nix auf der Welt, wollte sie noch einmal in einer großen Stadt leben. Allein der Gedanke daran, war für sie schon abschreckend.

    Negativ für sie war einzig ihre finanzielle Situation. Alles war schrecklich teuer und so kam sie gerade mit ihrem Verdienst aus dem Hotel hin. Für kleine Extras blieb nix übrig, geschweige das sie sich Besuche in einen der teuren Bars leisten konnte. Mehrmals hatte sie schon davorgestanden, geguckt, wie andere Leute hineingingen. Frauen, die nicht annähernd so schön wie sie waren, aber Knete hatten, Männer allen Alters. Es war ungerecht. Mit Schrecken dachte sie daran, dass Sören bald neue Kleidung, Schuhe und so weiter benötigte. Auch sie wollte all diese schicken Designermodelle, schicke Pumps, edlen Schmuck, besitzen, dazu einen tollen Wagen fahren, sich eben alles kaufen können. Ach, Carla, sagte sie sich, auch das schaffst du schon irgendwie. Es ist eben die Insel der Reichen und Schönen. Sie würde bald dazugehören. Nun träumte sie von Reichtum, der ihr all die Wünsche erfüllen sollte. Es fehlte nur der richtige Kerl dazu.

    Sie merkte, wie sie fröstelte, schaute, bevor sie hinein ging, noch einmal zu den Sternen nach oben und legte sich ins Bett, kuschelte sich unter die Decke und war wenig später eingeschlafen.

    Chapter °°°°°°

    Der Himmel im Osten färbte sich in der Morgendämmerung rosa, als Carla über den Fenstersims lugte.

    Da Samstag war, fuhr sie nach dem Frühstück mit Sören zum Roten Kliff. Er trug stolz seinen neuen Eimer, wo lauter kleine Piraten drauf waren, den hatte ihm Pieter vor zwei Tagen gekauft.

    Wieder einmal genoss sie die morgendliche Stille, da um diese Uhrzeit noch relativ wenige Leute unterwegs waren. Heute tobte das Meer, die Wellen bauten sich zu weißen Schaumkronen auf, die mit voller Wucht auf den Strand rollten und erst dort langsam ausliefen. Der Wind zerzauste ihre langen braunen Haare. Sie hatte die Hosenbeine ein wenig hochgekrempelt und lief barfuß durch das seichte Wasser, die Schuhe trug sie in der Hand. Sören rannte wenige Meter vor ihr her, sammelte alles, was er fand, und legte es in seinen Eimer.

    Eine große Welle überrollte den Sand und erschrocken sprang sie zurück. Zu spät, ihre Hose war nass. Sie lachte, so ging es ihr andauernd.

    Ach, ist es nicht wunderschön hier, spukte es ihr durch den Kopf. Die Luft war herrlich frisch und schmeckte nach Salz. Sie ließ sich in den Sand fallen und beobachtete die Wellen. Die Sonne gab dem Wasser einen orange-goldenen Schein, der immer von weißen Wellenkämmen unterbrochen wurde. Es wirkte wie mit feinen Goldfäden durchzogen, dachte sie, während sie ihren Sohn beobachtete, der durch das Wasser lief und sich ständig bückte, um etwas aufzuheben. Jetzt kam er angerannt und zeigte ihr Stolz seinen neuesten Fund. Aufmerksam begutachtet sie alles. „Guck mal, Mama, ganz viele Muscheln. Onkel Pieter hat gesagt, wenn ich Glück habe, finde ich auch eine, die singt. Muss ich aber noch suchen gehen."

    „Na, geh mal suchen, mein Schatz", lachte sie ihn an. Pieter erzählte dem Knirps andauernd solche Geschichten, die Sören, wie ein Schwamm das Wasser, aufsog.

    Er rannte los und auch sie stand auf, klopfte sich den Sand ab und setzte ihren Spaziergang fort.

    „Carla?"

    Sie drehte sich erschrocken herum und zuckte zusammen. Sven!

    „Du bist es wirklich. Du siehst noch nett aus."

    „Du bist noch immer der alte Schmeichler."

    Sven nahm sie in den Arm, drehte sich mit ihr im Kreis und gab ihr einen Kuss. Carla war total durcheinander. Sie hätte mit allem gerechnet, aber bestimmt nicht mit dieser Begegnung.

    „Wo kommst du denn her? Was machst du hier?", brachte sie mühsam heraus.

    „Mama, wer ist das?" Sören stand neben ihr und schaute neugierig zu ihm hoch.

    „Das ist Sven. Ich habe ihn in Djerba kennengelernt, weißt du."

    „Ist das dein Sohn?"

    „Ja, das ist Sören."

    „Wo ist der glückliche Papa?", grinste er, blickte sich suchend um.

    „Sven, nett dich einmal getroffen zu haben, aber wir müssen los. Wir werden erwartet."

    „Komm, gib mir deine Telefonnummer, damit wir in Verbindung bleiben."

    Sie ging jedoch nicht weiter darauf ein, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, nahm Sören auf den Arm und ließ ihn stehen.

    „Carla warte, deine Telefonnummer oder Adresse?"

    „Besser nicht. Mach’s gut Sven."

    „Bist du etwa treue und brave Hausfrau geworden?, lachte er anzüglich. „Na, ja, so aussehen tust du.

    Sie antwortete nicht, eilte weiter.

    Nach einer Weile drehte sie sich um, sah, dass er ihr noch nach schaute und winkte kurz. Sie ließ Sören hinunter, zog die Schuhe an und bemerkte, wie durcheinander sie war.

    Als sie Sven gesehen hatte, war ihr sofort Thorsten eingefallen. Ob er hier war? Anscheinend machte Sven hier Urlaub, oder wohnte er vielleicht sogar auf der Insel? Sie wusste eigentlich nix von den beiden jungen Männern, nur das sie zusammen in Hamburg Betriebswirtschaft studiert hatten, sie mit ihnen ihren Spaß hatte. Obwohl die Affäre mit Sven war vergessen, nur die Kleider erinnerten noch daran.

    Zuhause brühte sie eine Tasse Tee und setzte sich gleich in der Küche hin. Unten hörte sie Sören mit Pieter reden.

    Thorsten! Was wenn ...? Energisch schüttelte sie den Kopf. Carla, mache dich doch nicht verrückt, sagte sie sich. Trotzdem konnte sie die Begegnung nicht vergessen.

    Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, ging sie hinunter und setzte sich zu ihrem Sohn, der aufmerksam Pieter zuhörte, der ihm gerade eine Geschichte erzählte:

    „König Egge, der hatte drei Söhne. Der Erste ist der blanke Hans. Der herrscht über die Nordsee und bringt auch heute noch den Wind und wenn er wütend ist oder schlechte Laune hat, dann pustete er so doll, dass es stürmt, da gehen die kleinen Jungen und Mädchen man lieber schnell rein, nöch!

    Der zweite Sohn ist Ring, ein Seeriese. Der kommt immer und wenn er gute Laune hat, hilft er den armen Fischern und bringt viele Fische, aber sonst muss er auf die Wasserfrauen acht geben, das ist man keine leichte Aufgabe, weil die Deern immer nur Dummheiten im Kopf haben.

    Der dritte Sohn Nekkepenn, läuft oft an unseren Stränden lang, besonders gern in Rantum. Der mag schöne Mädchen und deshalb musst du immer gut auf die Mama aufpassen, wenn ihr da spazieren oder schwimmen geht. Wenn da ein fremder Mann kommt, guckst du ganz genau hin, nicht das der sich deine Mama schnappt und mitnimmt. Das ist nämlich ein schlauer Schlawiner. Nöch!"

    Sören sah Pieter groß, ernst an, nickte eifrig, während Carla laut lachte und Tilda den Kopf leicht schüttelte.

    „Du, Onkel Pieter, heute habe ich den ollen Nekkepenn gesehen. Der hat mit Mama gesprochen, aber ich habe aufgepasst", gab er gleich mit ernsthaftem Gesicht zum Besten.

    „Das war nur Sven, ein flüchtiger Bekannter und nicht der olle Nekkepenn", belustigte sie sich.

    „Jung, das hast du man feingemacht, nöch. Der Egge Nekkepenn verkleidet sich nämlich immer anders, deswegen fallen die Deern ja auch auf ihn rein. Manchmal da singt der sogar am Strand und tanzt so herum. Also, immer gut auf die Mama aufpassen."

    „Mach ich, Onkel Pieter, nickte er eifrig, „meine Mama kriegt der nich, nöch!

    Pieter Kooge strich dem Jungen durch die Haare und griente zufrieden vor sich hin.

    Carla und Tilda gingen kopfschüttelnd in die Küche, bereiteten gemeinsam das Mittagessen vor, während die beiden Männer, wie Sören immer so nett sagte, sich um den Grill kümmerten.

    „Ist das der junge Mann von deinem Urlaub gewesen?"

    „Ja! Ich war verblüfft ihn zu treffen."

    „Hast du ihn nach deinem Thorsten gefragt?"

    „Bloß nicht! Der braucht nicht zu wissen, dass er einen Sohn hat. Sören ist nur mein Kind und sein Vater soll sich zum Teufel scheren, am besten zum Wasservolk."

    Carla sah den nachdenklichen und prüfenden Blick von Tilda, die bei der Bemerkung kicherte. Schnell brachte Carla das Geschirr auf die Terrasse, da sie bei dem schönen Wetter draußen essen wollten. Sie wusste, dass sie Tilda nix vormachen konnte.

    Trotzdem geisterte ihr durch den Kopf, was, wenn er hier war? Sie musste sich eingestehen, dass sie Angst vor einer Begegnung mit ihm hatte.

    Nach dem Abwasch widmete sie sich dem Garten, obwohl das Ehepaar heftig protestierte. Aber es machte ihr Spaß, überdies lenkte es sie ab.

    „Sagt mal, wart ihr auch schon mal im Sansibar oder so?"

    Pieter lachte. „Kind, dat is man … das ist nichts

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