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Rittertod in Dornum. Ostfrieslandkrimi
Rittertod in Dornum. Ostfrieslandkrimi
Rittertod in Dornum. Ostfrieslandkrimi
eBook251 Seiten3 Stunden

Rittertod in Dornum. Ostfrieslandkrimi

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Über dieses E-Book

»Wir haben eine Leiche beim Ritterfest in Dornum!« Einmal im Jahr wird im ostfriesischen Dornum das Rad der Zeit zurückgedreht. Auf dem Gelände des Wasserschlosses können die Besucher des traditionellen Ritterfestes in das wilde Ostfriesland des Mittelalters eintauchen. Doch dieses Mal ist alles anders. Denn in diesem Jahr gibt es nicht nur spektakuläre Schaukämpfe, bei denen der Verlierer höchstens ein paar Blessuren davonträgt, sondern eine richtige Leiche im Schlossgraben. Den Mann im Rittergewand traf ein Pfeil von hinten mitten ins Herz! Der Täter oder die Täterin wusste offenbar perfekt mit Pfeil und Bogen umzugehen, Kommissarin Femke Peters und ihr Team von der Kripo Aurich haben es mit einem gezielten Mord zu tun. Verdächtige gibt es genug, denn das Opfer war eine exzentrische Persönlichkeit, die sich im Laufe ihres Lebens viele Feinde gemacht hat. Die Ermittler stoßen auf eine erschütternde Vorgeschichte und ein undurchsichtiges Geflecht aus Leidenschaft und Gier. Und als wäre der Fall nicht schon kompliziert genug, macht die Spurensicherung am Tatort einen weiteren grausigen Fund...

SpracheDeutsch
HerausgeberKlarant
Erscheinungsdatum5. März 2022
ISBN9783965865471
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    Buchvorschau

    Rittertod in Dornum. Ostfrieslandkrimi - Rolf Uliczka

    Prolog (ein Jahr zuvor)

    Die examinierte Altenpflegerin Liana Radu kam ganz aufgeregt zu ihrem Mann gelaufen: »Adrian, der alte Burgherr ist tot!«, sagte die Rumänin in ihrer Landessprache.

    »Oh mein Gott, bist du sicher? So plötzlich? Ich ruf den Notarzt!«

    »Warte mal! Ich glaube, irgendwas stimmt da nicht! Schon als ich heute früh das Päckchen in Empfang nahm und den Absender sah, gingen mir Gedanken durch den Kopf. Ich fragte dich doch noch: ›Wieso lässt sich sein Sohn von einer Internet-Apotheke Medikamente schicken?‹ Jedenfalls war es der gleiche Absender aus Holland, von dem sich unsere Chefin zu Hause in Bukarest im Altenheim gegen die Aggressionen mancher unserer alten Leute immer was schicken ließ. Das hätte sie ja sowieso nicht gedurft und bei uns in den Apotheken hätte sie es auch nicht kaufen können. Und jetzt ist der alte Mann tot. Ich vermute Herzstillstand oder Schlaganfall. Obwohl, für einen Mann in seinem Alter und Vollpflege nach zwei Schlaganfällen ja eigentlich nicht ungewöhnlich.«

    »Liana, vielleicht ist er ja auch tatsächlich ganz normal gestorben«, sagte ihr Mann.

    »Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht, Adrian! Für uns aber in jedem Fall sehr schade, dass der gut bezahlte Job hier in Deutschland schon wieder zu Ende ist.« Das rumänische Ehepaar aus Bukarest hatte die häusliche Altenpflege des gerade Verstorbenen erst vor etwa drei Monaten angetreten.

    »Ja, das ist bitter, sowas finden wir so schnell nicht wieder, wo wir beide zusammen einen Job bei freier Kost und Unterkunft haben und sogar noch ganz gut bezahlt werden.«

    »Aber trotzdem, was für ein Zufall: Heute Morgen das Päckchen von der Apotheke, dann kam der Chef heute Mittag, um seinem Vater zu sagen, dass er und seine Frau überraschend ein paar Tage wegmüssten. Ich bin dann aus dem Zimmer gegangen, mir ist nur aufgefallen, dass er eine Wasserflasche dabeihatte, obwohl ja eine fast volle bei seinem Vater am Bett stand und wir uns doch normalerweise darum kümmern. Eigentlich hätten dann nachher ja auch zwei Flaschen da stehen müssen. Standen aber nicht, wie mir gerade auffällt, wenn ich so darüber nachdenke. Und dann, überhaupt, die plötzliche Geschäftsreise heute Nachmittag. Fast nach dem Motto: Wir haben ein Alibi.«

    »Verdammt, du könntest doch recht haben. Mir ist nämlich auch etwas Merkwürdiges aufgefallen. Ich dachte noch, seit wann wühlt die Burgherrin denn im Müll herum? Und dabei hatte sie Haushaltshandschuhe an. Sah eigentlich so aus, als wollte sie sich die Finger im Müll nicht dreckig machen, obwohl es ja nur der Papiersack war. Ihr Mann war gerade kurz mit seinem Wagen weg, um vollzutanken, wie er sagte. Dann sah ich vom Schuppen aus, wie sie mit einem kleinen Karton ins Haus verschwand. Könnte das Medikamentenpäckchen gewesen sein.«

    »Wie sich doch manchmal die Dinge so aneinanderreihen. Wo du das sagst: Ich sah sie, das muss wohl zur gleichen Zeit gewesen sein, als du im Schuppen warst. Da kam sie zur Hintertür rein, als er gerade vom Haupteingang her rief: ›Judith, ich bin wieder da. Wagen steht schon abfahrbereit vor der Tür.‹ Sie ging, ohne was zu sagen, gleich von der Hintertür aus in den Wirtschaftsraum. Mich hatten beide nicht gesehen, ich stand oben auf dem Treppenabsatz. Ob sie was in der Hand gehabt hatte, konnte ich allerdings nicht sehen. Jedenfalls kam sie kurz darauf wieder aus dem Wirtschaftsraum raus und ging zu ihrem Mann. Ich tat so, als wenn ich gerade von oben aus unseren Zimmern gekommen wäre.«

    »Die beiden sind ja kurz darauf bereits losgefahren. Dann lass uns doch mal schauen, ob wir was im Wirtschaftsraum finden. Dem Notarzt können wir nachher sagen, dass wir unseren Patienten erst später tot aufgefunden haben. Du warst ja heute sowieso etwas früher als sonst bei ihm.«

    Die Eheleute durchsuchten in aller Ruhe den Hauswirtschaftsraum. Außer ihnen und dem Toten war niemand in diesem Teil des Gebäudekomplexes. Und normalerweise wäre Liana auch tatsächlich erst eine Stunde später noch einmal zu dem alten Burgherrn gegangen, um ihn für die Nacht fertig zu machen und gegebenenfalls seinen Fernseher auszuschalten, falls er schon eingeschlafen war. Das Pflegeehepaar hatte aber heute in Ruhe einen Film im Fernsehen ansehen wollen. Daher war Liana schon etwas früher zu dem alten de Freese gegangen.

    Auf einmal sagte Liana, die gerade einen der Vorratsschränke durchsuchte: »Adrian, ich hab was.« Vorsichtig zog sie mit einem Papiertaschentuch ein kleines Päckchen hinter gestapelten Klopapierrollen hervor. »Die Rollen hatte ich vorgestern akkurat einsortiert und jetzt waren die verrutscht. Und siehe da, es ist tatsächlich das Päckchen von der Internet-Apotheke. Sogar mit dem Lieferschein und dem Beipackzettel. Wenn da wirklich etwas faul sein sollte, wie blöd muss man sein?«

    »Gar nicht so blöd, Liana. Morgen früh wird Müll abgeholt. Den Altpapiersack habe ich inzwischen schon rausgestellt. Aber wieso holt die Chefin die Medikamentenverpackung wieder aus dem Müll?«

    »Die Sendung war doch an ihn adressiert. Vielleicht will sie ihn damit unter Druck setzen. So wie ich das einschätze, wird er das alles hier doch erben. Jedenfalls tut er ja so, als wenn alles schon ihm gehört. Da hat sie vielleicht was in der Hand, wenn er sich mal von ihr trennen will, oder? Denn die beiden führen ja nicht gerade das, was man eine glückliche Ehe nennt.«

    »Dann wäre sie doch aber Mitwisserin. Erscheint mir nicht so richtig logisch. Aber leg das Päckchen und die Papiere mal auf den Tisch. Ich mach Fotos davon und dann packst du das wieder so zurück, wie du es gerade vorgefunden hast. Davon mach ich dann auch nochmal ein paar Fotos.«

    Als die beiden wieder in ihrer kleinen Wohnung im ersten Obergeschoss über dem Altenteil des toten alten Mannes waren, rief Liana bei ihrer Schwester an, die als Ärztin in Bukarest in einem Klinikum arbeitete. Zunächst tauschten die beiden Frauen, die schon eine ganze Weile nicht mehr miteinander gesprochen hatten, die familiären Neuigkeiten aus. Dann sagte Liana: »Du hattest mir doch mal von einem Patienten erzählt, dem seine Verwandten eine Überdosis eines Antidepressivums gegeben hatten.«

    »Ja, wieso fragst du?«

    »Ich glaube, dass ich hier auf genau dieses Medikament gestoßen bin, von dem du gesprochen hast, bin mir aber nicht ganz sicher. Ich schicke dir mal über WhatsApp ein Bild vom Beipackzettel.«

    Kurz darauf sagte ihre Schwester: »Es ist genau das Präparat. Aber ich glaube, das gibt es in Europa eigentlich gar nicht. Bei uns hier hatten die Leute das, soweit ich weiß, aus Übersee.«

    »Über Internet-Apotheken kriegt man heute ja wohl alles«, erwiderte Liana und erzählte ihrer Schwester dann, worüber sie sich gerade mit ihrem Mann unterhalten hatte.

    »Ihr solltet sofort die Polizei verständigen«, riet die Ärztin. »Euren Job werdet ihr ja wohl sowieso vergessen können.«

    »Halte ich für keine gute Idee«, mischte sich Adrian ein, der das Telefonat der Schwestern mitverfolgt hatte. »Du kennst den Sohn unseres toten Burgherrn nicht. Mit dem würde ich mich nicht anlegen wollen. Ein Despot! Der hat Geld und Anwälte, auf einmal sind wir dann noch am Tod seines Vaters schuld. Ich habe vor Kurzem mal ein Gespräch mit seinem Anwalt mitbekommen, als ich vor dem Haus die Büsche geschnitten habe und er in seinem Büro das Fenster aufhatte. Ich glaube, die würden vor nichts zurückschrecken.«

    »Vielleicht hast du recht«, bestätigte die Ärztin. »Außerdem, wenn der so viel Geld hat, fragt man sich schon, warum holt er sich für seinen Vater eine Pflegekraft mit ihrem Mann aus Osteuropa? Und wenige Monate später stirbt der Alte, fast wie auf Bestellung.«

    »Könnte man fast so sehen«, stimmte Liana ihrer Schwester zu.

    »Für euch tut es mir leid, denn ihr habt da ja wohl nicht schlecht verdient. Aber bevor sie euch etwas in die Schuhe schieben … Dann ruft einfach den Notarzt und sagt von dem Medikament besser nichts. Könnte sein, dass der Sohn des Toten das in der Wasserflasche, von der du gesprochen hast, aufgelöst hat. Ist denn noch ein Rest davon da?«

    »Nein, die leere Flasche habe ich schon nach dem Abendessen gegen eine volle ausgetauscht und mit in die Küche gebracht. Adrian hat die leeren Flaschen im Vorratsraum in die Kiste gestellt.«

    »Und das Leergut habe ich schon für den Lieferdienst morgen früh in die Garage gebracht. Das sind mehrere Kästen. Ich könnte absolut nicht mehr sagen, welche Flasche es gewesen ist«, warf Adrian ein.

    »Es wäre aber gut, wenn ihr einen Nachweis hättet. Würde mich auch als Ärztin und natürlich als Lianas Schwester interessieren. Ich hätte es bei uns im Labor ja mal analysieren lassen können. Dann wüsstet ihr in jedem Fall, mit was für einem Mann ihr es bei dem Sohn zu tun hattet.«

    »Schade, wir können ja nicht alle leeren Wasserflaschen mitnehmen«, sagte Liana und wollte schon das Telefonat mit ihrer Schwester beenden.

    »Warte mal«, sagte diese. »Du hast doch sicher eine Kanüle in deinem Notfallset. Nimm dem Toten doch damit Blut ab und schick es mir nach Bukarest oder bring es mit, wenn ihr zurückkommt. Dann haben wir unter Umständen den Beweis dafür, dass euer Chef tatsächlich ein Mörder ist. Die Substanz aus diesem Medikament lässt sich nämlich im Blut nachweisen.«

    »Danke, Schwesterlein! Das mache ich. Bin mal gespannt, wie das hier ausgeht. Ich werde dich auf dem Laufenden halten«, beendete Liana das Gespräch mit ihrer Schwester und ging mit ihrem Mann, um dem Toten Blut abzunehmen, bevor Adrian über das Festnetztelefon ihres Arbeitgebers den Notarzt alarmierte.

    »Wir müssen die de Freeses und die anderen informieren«, sagte Adrian, nachdem er den Notruf erledigt hatte.

    Die anderen, das waren ein Ehepaar mittleren Alters, Hilka und Aiko Gersema, und Hilkas Mutter, Tomke Gersema, die schon lange auf dem Hof lebten. Aiko hatte bei der Heirat auf Wunsch der Herrschaft, die sich an keinen neuen Familiennamen ihrer Bediensteten gewöhnen wollte, Hilkas Geburtsnamen übernommen. So wohnten drei Gersemas im anderen Gebäudeteil des großen Anwesens. Dieser Gebäudeflügel war eine Art Gulfhof mit Wohnteil, Garage und Stallungen, in denen mehrere Friesenpferde untergebracht waren. Tomke war seinerzeit die Köchin bei dem verstorbenen de Freese gewesen und ihr Mann hatte sich um die Pferde gekümmert. Jetzt lebte sie hier seit dem Tod ihres Mannes, durch den gerade Verstorbenen im Grundbuch abgesichert, mietfrei bis zu ihrem Lebensende auf dem Hof.

    Unter den Einheimischen munkelte man, dass Tomke mal die Geliebte von dem alten de Freese gewesen und dass Hilka auch seine Tochter wäre. Was auch nicht auszuschließen war, denn trotz ihrer recht zierlichen Mutter, von der Hilka ihren dunklen Teint zu haben schien, war sie doch recht groß, was durchaus vererbten Genen von Frieling de Freese zugesprochen werden konnte. Zudem hatte Frieling auch dunkle Haare, genau wie ihre Mutter, im Gegensatz zu ihrem Vater, der blond gewesen war. Aber trotzdem, nichts Genaues wusste man nicht, wie das häufig bei solchen Gerüchten war. Und die alte Frau schwieg dazu, wenn sie mal jemand danach fragte, selbst nachdem ihr eigener Mann schon lange verstorben war.

    Ihre Tochter war im Haus der de Freeses inzwischen für den Haushalt und die Küche zuständig. Tagsüber waren noch eine Küchenhilfe und eine Reinigungskraft aus dem Dorf im Haus. Ihr Mann versorgte mit Helfern aus dem Dorf jetzt die Pferde, die zumeist draußen auf angrenzenden großen Koppeln waren.

    »Du kannst ja schon mal drüben Bescheid sagen und ich ruf de Freese auf seinem Handy an«, sagte Liana.

    Es dauerte nicht lange, dann war Adrian wieder zurück. »Tomke hat die Nachricht ziemlich mitgenommen«, sagte er. »Hilka und Aiko schien das nicht sonderlich berührt zu haben. Die drei wollten nachher, wenn der Notarzt wieder weg ist, mal rüberkommen und Abschied nehmen.«

    »Unser Chef schien schon auf meinen Anruf gewartet zu haben. Jedenfalls war der ganz schnell am Handy und wirkte auch nicht besonders überrascht. Seine Frau und er werden noch heute Nacht von Frankfurt zurückkommen und sich morgen selbst um den Bestatter und die notwendigen amtlichen Schritte kümmern. Der Tote soll auf jeden Fall bis morgen noch hierbleiben. Ich glaube, wir liegen mit unseren Vermutungen gar nicht so falsch. Der plötzliche Termin in Frankfurt, das war bestimmt nur zur Tarnung. Sollte mich nicht wundern, wenn die gar nicht in Frankfurt, sondern hier irgendwo in einem Lokal gesessen und auf unseren Anruf gewartet haben. Jedenfalls waren die Hintergrundgeräusche so und das könnte ja überall sein.«

    »Könnte aber doch auch sein, dass die tatsächlich in Frankfurt in irgendeinem Lokal gewesen sind. Schon allein, um auf ihrem Handy einen GPS-Ortungsnachweis für den Fall der Fälle zu haben«, merkte ihr Mann an. Im gleichen Moment näherten sich zwei Fahrzeuge mit Blaulicht über die Zufahrt zum großen Eingangsportal des Gebäudekomplexes.

    Dann übernahm medizinische Routine den weiteren Verlauf. Der Notarzt ließ sich von Liana und Adrian zum Toten führen und den Ablauf der letzten Pflegemaßnahmen schildern sowie den Medikamentennachweis geben. Dann untersuchte er den Toten. In den Totenschein schrieb er als Todesursache Herzstillstand. Auf Lianas Nachfrage konnte er zwar auch einen erneuten Hirnschlag nicht ganz ausschließen, aber er schien wohl seine Gründe für seine Diagnose zu haben, die er allerdings nicht bereit war, mit der ausländischen Altenpflegerin zu diskutieren. Darüber würde er mit dem Sohn des Toten sprechen.

    Nachdem der Notarzt und die Sanitäter wieder abgefahren waren, kamen die alte Frau und ihre Tochter mit dem Schwiegersohn, um vom alten de Freese Abschied zu nehmen. Liana hatte eine Kerze auf den Nachtschrank gestellt. Der alte Burgherr lag in seinem Bett, als wenn er schliefe.

    Tomke liefen die Tränen über das Gesicht. Dann legte sie fast zärtlich ihre Hand auf die Stirn des Toten und sagte ganz leise: »Wir sehen uns bald, mein Liebster!«

    Ihre Tochter und deren Mann standen ziemlich teilnahmslos daneben. Liana ließ die drei allein und ging, um Adrian über ihre Eindrücke zu informieren.

    »Dann stimmte es vielleicht doch, was uns die Reinigungskraft aus dem Dorf mal erzählt hat, dass der Sohn des alten Burgherrn neben seiner leiblichen Schwester noch eine Halbschwester hat«, stellte ihr Mann fest. »Nach dem, was du erzählt hast, könnte Tomke die Geliebte seines Vaters gewesen sein. Aber was soll’s. Das soll nicht unser Problem sein.«

    Bevor die Eheleute sich über dieses Thema noch weiter Gedanken machen konnten, klingelte Adrians Handy.

    Der Sohn des Toten, Thyo de Freese, war dran. »Wir sind unterwegs«, sagte er. »Nach Navi werden wir gegen vier Uhr heute Nacht ankommen. Ihr müsst aber nicht auf uns warten. Es reicht, wenn wir uns um acht Uhr dreißig sehen. Sind die drüben noch auf?«

    »Herr de Freese, die sind gerade noch bei Ihrem Vater im Zimmer, um Abschied zu nehmen«, antwortete Adrian.

    »Dann sag Hilka, dass sie morgen früh für acht Uhr das Frühstück richten soll.«

    »Okay, Chef. Haben Sie für meine Frau und mich noch einen Auftrag? Wir sind nicht nur sehr traurig über den Tod Ihres Vaters, sondern auch darüber, dass es für uns wohl wieder in die Heimat geht. Das alles tut uns sehr leid, für Sie und auch für uns! Gerne hätten wir Ihren Vater noch viele Jahre gepflegt!«

    »Das hat deine Frau vorhin auch schon gesagt. Tut uns für euch, mal abgesehen von der Trauer um meinen Vater, auch leid. Ich sagte es schon Liana, vielen Dank für eure Dienste! Ich glaube, dass auch mein Vater zufrieden mit euch war, auch wenn er seit seinem zweiten Schlaganfall kaum noch sprechen und seine Meinung verbal nicht mehr mitteilen konnte.«

    »Vielen Dank, Chef!«

    »Ach ja, eigentlich wollten wir euch das erst morgen sagen. Damit ihr wisst, wie es dann mit euch weitergeht. Meine Frau und ich haben vorhin beschlossen, euch das Gehalt nach Ende diesen Monats noch für drei Monate weiterzuzahlen, obwohl ihr euch eigentlich noch in der Probezeit befindet. So lange könnt ihr bei freier Kost und Logis bei uns im Haus wohnen bleiben und euch um eine neue Stelle bemühen. Dafür stellen wir euch nach der Beerdigung frei. Das Gehalt für die drei Monate würde ich euch auch in einer Summe auszahlen, falls ihr sofort wieder in eure Heimat zurückwollt. Über die Details können wir noch in den nächsten Tagen sprechen.«

    »Vielen Dank, Herr de Freese, das ist sehr entgegenkommend von Ihnen! Dann gute Fahrt und bis morgen«, sagte Liana, die neben ihrem Mann stand und das Telefonat über den Lautsprecher des Handys mitgehört hatte. Zu ihrem Mann sagte sie dann, nachdem dieser aufgelegt hatte: »Dass Thyo de Freese sich so großzügig zeigen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich hätte eher damit gerechnet, dass er uns nur noch bis zum Monatsende bezahlt, wenn überhaupt.«

    Mit so einem schnellen Ende ihres Arbeitsverhältnisses in Deutschland, das Liana und Adrian fast als Lottogewinn empfunden hatten, hätten die beiden nicht gerechnet. Und dann auch noch – so wie es aussah – durch einen Vatermord?!

    1. Kapitel

    Einmal im Jahr, zur Spätsommerzeit, wurde in der Herrlichkeit Dornum, im ostfriesischen Landkreis Aurich, das Rad der Zeit zurückgedreht in die Zeit der ostfriesischen Häuptlinge des Mittelalters. Das Schlossgelände des Dornumer Wasserschlosses Norderburg wurde zum Heerlager mit historischen Zelten und Ständen der mittelalterlichen Handwerkskunst. Musikanten, Gaukler, Quacksalber, Puppenspieler und Narren sorgten für die Unterhaltung der Schaulustigen von nah und fern. Ritterturniere mit Lanzen, Schwertkämpfe zu Fuß, ein düsterer Pestzug, Elfen, Feen, Trolle und Artisten mit waghalsigen Vorführungen und Feuerspielen entführten die Zuschauer in vergangene Jahrhunderte. Zeiten, als noch Mächte von außen versuchten, sich die Sieben Friesischen Seelande der Friesischen Freiheit zu eigen zu machen, und nicht nur Landsknechte plündernd und brandschatzend durch die Lande zogen.

    Händler sorgten auf dem mittelalterlichen Markt in der malerischen Schlosskulisse mit kulinarischen Köstlichkeiten und Getränken sowie historischen Schmuck- und Kleidungsstücken für den entsprechenden bunten Rahmen. Lagerfeuer der Landsknechte, die lodernde Esse des Kunstschmiedes, die Glut unter den Drehspießen, in die das heiße Fett der Spanferkel und anderer Fleischstücke tropfte, und der Duft exotischer Gewürze rundeten den mittelalterlichen Sinnesrausch für die Besucher ab. Es gab Gelegenheit zum Mitmachen für Jung und Alt. Kinder konnten sich in der Knappenprüfung beweisen und die Älteren im Bogenschießen.

    Jedes Jahr aufs Neue, so auch in diesem Jahr, die spannende Frage für Veranstalter und Besucher, die in den nächsten Tagen von nah und fern eine Anreise planten: Wie wird das Wetter in den neun Tagen des Ritterfestes in

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