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Fischertod in Greetsiel. Ostfrieslandkrimi
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Fischertod in Greetsiel. Ostfrieslandkrimi
eBook255 Seiten3 Stunden

Fischertod in Greetsiel. Ostfrieslandkrimi

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Über dieses E-Book

"Wir haben einen Todesfall auf einem Krabbenkutter!" Der Greetsieler Kapitän Dewald Freesemann bricht während einer Fahrt auf seinem Krabbenkutter plötzlich tot zusammen. Herztod lautet die Diagnose des Arztes, doch Dewald Freesemann hatte keinerlei typische Vorerkrankungen. Seine Ex-Ehefrau erhebt schwere Anschuldigungen gegen den einzigen Decksmann und jahrelangen Weggefährten des Opfers. Denn dieser soll nun gemäß dem Vermächtnis des Verstorbenen den wertvollen Krabbenkutter erhalten. Konnte der Decksmann es nicht mehr abwarten, selbst in die Rolle des Kapitäns zu schlüpfen? Kann es Zufall sein, dass er kurz vor dem Todesfall eine Webcam an Bord installiert hat, die nun seine Unschuld zu beweisen scheint? Kommissarin Femke Peters und ihr Team von der Kripo Aurich stoßen allerdings auf eine weitere heiße Spur, die die Ex-Ehefrau selbst ins Zentrum der Ermittlungen rückt. Wenig später kommt von der Rechtsmedizin die Gewissheit: Es war kein natürlicher Tod …

SpracheDeutsch
HerausgeberKlarant
Erscheinungsdatum18. Apr. 2023
ISBN9783965867635
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    Buchvorschau

    Fischertod in Greetsiel. Ostfrieslandkrimi - Rolf Uliczka

    1. Kapitel

    Fietje Kolthoff bog mit seinem Fahrrad am Ende der Häuserzeile des Kalvarienwegs in die Sielstraße ein. Es schien fast so, als hätte die aufgehende Sonne nur auf seine Ankunft gewartet, bevor sie ihre ersten Strahlen des heutigen Morgens vom glasklaren Horizont über die romantische Greetsieler Hafenanlage ihm entgegenschickte. Für einen Moment war er so geblendet, dass er fast den Spaziergänger mit seinem Hund an der Leine übersehen hätte. Er konnte dem Rottweiler gerade noch im letzten Moment ausweichen, was dieser mit einem gefährlichen Knurren und dumpf drohendem Bellen bedachte.

    »Kannst du Dööskopp nich beter uppassen?!«, raunzte ihn der Besitzer des Hundes an.

    »Moin, deit mi leed, de Sünn hett mi int Oog schient, ik hebb dat ielig«, rief Fietje dem Mann im Vorbeifahren zu.

    Was dieser ihm noch hinterherrief, verschluckte das Knattern eines Quads, das ihn gerade überholte. Der Tag fängt ja gut an, dachte Fietje und trat kräftig in die Pedalen. Es war schon nach sieben und sein Käpt’n erwartete Pünktlichkeit. Aber Fietje war durch und durch Ostfriese und ärgerte sich selbst darüber, zu spät dran zu sein. Das passierte ihm ganz selten und er war sich eigentlich sogar sicher, dass sein Chef daraus kein Drama machen würde.

    Die beiden Seeleute verstanden sich nämlich nicht nur als Team auf See sehr gut, wo bei ihnen alles Hand in Hand ging, sondern auch menschlich. Heute wollten sie den Kutter für die erste Fangreise der diesjährigen Krabbensaison klarmachen.

    Dem Krabbenfischer Dewald Freesemann gehörte einer der im Greetsieler Hafen liegenden Krabbenkutter. Er hatte die fangfreie Zeit zwischen Januar und März genutzt, um nach der Hochzeit mit seiner zweiten Frau eine mehrwöchige Kreuzfahrt in die Karibik zu machen. Von dieser war er am vergangenen Wochenende braungebrannt zurückgekommen. Am Samstagabend waren Fietje und seine Frau Thomke bei Dewald eingeladen gewesen und der Käpt’n und seine Frau Nadine hatten viel von der Seereise zu erzählen gehabt.

    Mit dem Kutter waren Dewald und sein Decksmann das letzte Mal kurz vor Weihnachten auf Fangfahrt gewesen. Seitdem war der Krabbenfänger nicht mehr bewegt worden. Daher waren heute Bootscheck und Klarschiff angesagt.

    Fietje liebte seinen Beruf als Fischwirt und Decksmann. Ganz besonders dann, wenn er Seeluft schnuppern und das Schaukeln des Bootes in der Dünung unter seinen Füßen spüren konnte. Wenn dann das »Reise, Reise!« seines Kapitäns ertönte, mit dem er das Einholen der Netze ankündigte, dann war für Fietje die Welt in Ordnung.

    Aber wenn Großreinemachen angesagt war, dann hätte er sich lieber zu Hause bei seiner Frau noch einmal auf die andere Seite gedreht. Vor allem, anstatt sich jetzt beinahe noch mit einem Rottweiler und dessen unfreundlichem Herrchen anzulegen.

    Er hatte den Kutter erreicht und gerade sein Fahrrad abgestellt, als ihn sein Kapitän etwas gespielt unwirsch begrüßte: »Moin Fietje, hättest du deine eheliche Pflichtübung im Bett nicht gestern Abend erledigen können?! Hier wartet schließlich deine Lieblingsarbeit auf dich!«

    »Tut mir leid, Käpt’n, die Batterie im Wecker war leer. Bin deshalb ein paar Minuten zu spät. Aber dafür habe ich den Sonnenaufgang gleich mitgebracht. Obwohl mich das beinahe meine Arbeitskraft für heute hätte kosten können«, versuchte Fietje seinen Chef abzulenken.

    »Wat vertellst du denn dor vör’n Schiet? Wat hett de Sünnenupgang denn nu mit dien Wark to doon?«

    »Ganz einfach. Als ich bei der Einbiegung auf die Sielstraße mit meinem Rad um die Häuserecke rumgeschossen kam, ich wollte ja pünktlich sein, blendete mich die Sonne so, dass ich beinahe einen Rottweiler über den Haufen gefahren hätte. Zum Glück konnte ich dem im allerletzten Moment noch ausweichen. Hätte andernfalls wahrscheinlich anschließend einen Notarzt gebraucht.«

    »Na, das hätte uns gerade noch gefehlt. Hier warten die Planken auf dich. Die Möwen haben in den letzten Wochen eine Menge Schiet hinterlassen.«

    »Wahrscheinlich waren die sauer, dass sie hier keinen Beifang finden konnten«, vermutete Fietje mit einem Grinsen.

    »Dann wird’s Zeit, dass wir morgen früh auf Reise gehen! Da die Sonne erst nach unserem Auslaufen aufgehen wird, wirst du wohl auch keinen Beinahezusammenstoß mit einem Rottweiler haben. Also ran an die Arbeit. Ich kümmere mich um die Technik und du machst Klarschiff und kümmerst dich um die Seile und Netze«, ordnete Dewald an. »Gegen fünfzehn Uhr haben wir Hochwasser. Daher will ich vor Tidewechsel den hohen Wasserstand für einen kleinen Probeturn durch die Osterems bis zur Memmertbalje nutzen.«

    »Chef, ich habe wie abgesprochen meine Webcam und mein Notebook mitgebracht. Das wollte ich noch installieren, falls wir wieder so einem schwarzfischenden Trawler in unseren Fanggebieten begegnen.«

    »Da hab ich gar nicht mehr dran gedacht. Aber das ist eine gute Idee. Wie du schon sagtest, hätten wir eine Webcam bei unserer letzten Reise vor Weihnachten brauchen können. Wir bemühen uns um nachhaltigen Fischfang und dann pflügen andere mit ihren Riesenpötten wie eine Dampfwalze durch unsere Fanggebiete und hinterlassen auf lange Zeit verbrannte Erde auf dem Meeresgrund.«

    »Und uns wird das nachher auch noch angelastet«, meinte Fietje. »Aber wie ich dir schon sagte, mit einem solchen Video könnten wir den Küstenschutz verständigen. Die hätten dann die Möglichkeit, unter Einbeziehung des AIS den Verstoß der europäischen Fischereiaufsichtsbehörde zu melden und zu belegen.«

    Das Automatische Identifikationssystem, kurz AIS, mussten inzwischen alle Berufsschiffe in internationaler und nationaler Fahrt über einer bestimmten Schiffsgröße haben.

    »Wenn der sein AIS nicht abgeschaltet hat«, schränkte sein Kapitän ein.

    »Ich hab vor Kurzem einen Bericht der Europäischen Union gelesen. Da ging es genau um das Thema der IUU-Fischerei. Über das AIS kann sehr genau festgestellt werden, wann zu welcher Zeit das AIS aus- und wieder eingeschaltet wurde. Mit einem Video, das über eine Datensignatur verfügt, ließe sich dann genau die fehlende Strecke nachvollziehen.«

    »Stimmt, wo du das sagst, fällt es mir wieder ein. Den Bericht habe ich auch gelesen. Aber da ging es auch um die elektronische Fernüberwachung REM mit auf den Schiffen fest installierten Webcams, mit denen auch der gesamte Ablauf des Fischfanges kontrolliert werden kann.«

    Die IUU-Fischerei – illegal, unreguliert und undokumentiert – wurde als eine der größten Bedrohungen für die nachhaltige Nutzung der lebenden Aqua-Ressourcen unseres Planeten angesehen. Die Daten des Überwachungssystems REM, das half, dieses Problem in den Griff zu bekommen, wurden zur Kontrolle für eine bestimmte Zeit gespeichert.

    »Da haben wir doch nichts zu verbergen«, sagte Fietje. »Wir gehen nachhaltig mit unserem Beifang um. Bei den Krabben haben wir keine Fangquoten. Aber wenn uns so ein Trawler das Geschäft kaputtmacht, können wir das beweisen.«

    »Deswegen finde ich deine Idee ja auch gut. Aber erst machen wir Klarschiff. Zur Not könntest du die Webcam ja auch noch morgen während der Fahrt installieren, oder?«

    »Wäre kein Problem, Chef. Eventuell auch, wenn wir heute Nachmittag von unserem Probeturn zurückkommen.«

    Pünktlich eine Stunde vor dem Wechsel der Tide legte die Moi Deern ab. Für die Installation der Webcam hatte Fietje wie bereits vermutet noch keine Zeit gefunden. Der Krabbenkutter tuckerte gemächlich mit Kapitän Dewald Freesemann und seinem Matrosen Fietje Kolthoff an der Fischskulptur der Hafenausfahrt vorbei, um dem Leyhörner Sieltief bis zur Schleuse Leysiel zu folgen. Anders als in der Urlaubshauptsaison waren auf dem parallel zur Fahrtrinne verlaufenden Deichweg trotz der für die Jahreszeit ganz angenehmen Temperaturen nur vereinzelte Spaziergänger unterwegs.

    Auch der Infoplatz Leybucht mit seiner Ruhebank und seinen Informationstafeln über die Bucht, die Entwicklung von Greetsiel seit 1730 sowie den Deichbau lag verwaist da. Dies galt auch für den Infoplatz Fischerei Greetsiel mit seinen Infotafeln für die Feriengäste über Fische, Krabben und Muscheln sowie die Entwicklung der hiesigen Fischerei. Auch der nur durch den Deich vom Fahrwasser des Leyhörner Sieltiefs getrennte Badesee Greetsiel, der in den Sommermonaten unzählige Badegäste anzog, zeigte ein ähnliches Bild. Nur auf der dem Deich gegenüberliegenden Seeseite waren ein paar Angler auszumachen, denn der See galt auch als Anglerparadies.

    »Für die Kollegen mit der Angel ist jetzt ohne Badebetrieb eine gute Zeit«, stellte Fietje fest. »Als ich noch zur Schule ging, bin ich mit Freunden da öfter zum Raubfischangeln hingefahren. Einmal habe ich einen über einen halben Meter langen Hecht herausgezogen. Da war ich der Größte.«

    »Und jetzt bist du auf die Kleinsten, den Granat, gekommen«, antwortete Dewald lachend. »Und davon hast du in deiner Zeit bei mir bestimmt schon etliche Tonnen reingeholt. Ist doch auch was. So kann man auch mit kleinen Sachen am Ende etwas Großes machen.«

    »So kann man es auch sehen, Chef! Hätte ich mir zu der Zeit, als ich damals den Hecht an der Angel hatte, auch noch nicht träumen lassen, dass ich eines Tages mal zum Krabbenfänger werde. Damals ging ich noch davon aus, irgendwann die Landwirtschaft meines Vaters zu übernehmen. Aber der hat ja, wie du weißt, kurz nachdem ich die Schule beendet hatte, die Landwirtschaft aufgegeben und aus unserem Hof eine Ferienanlage gemacht. Deshalb bin ich dann für acht Jahre bei der Bundesmarine gewesen.«

    »Hat dir auch nicht geschadet, nur mit der Pünktlichkeit hätte es noch ein bisschen besser sein können«, konnte sich Dewald die Bemerkung mit einem breiten Grinsen nicht verkneifen.

    »Oh Mann, hör auf! Beim Bund hieß es sogar immer: ›Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit!‹. Aber Planken schrubben gehörte da schon als Maat bald nicht mehr zu meinem Job, geschweige denn zum Schluss sogar als Bootsmann. Dafür hatte ich meine Leute.«

    »Tja, dafür bist du aber auch nicht mehr irgendwo im Einsatz und monatelang von deiner Frau getrennt.«

    »Stimmt! Solange ich meine Frau noch nicht kannte, war das überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, man hatte nicht nur Wind um die Nase und Wasser unter dem Kiel. Man sah auch was von der Welt.«

    Inzwischen hatte der Kutter die Schleuse erreicht und sie konnten gleich einfahren. Kurz darauf tuckerten sie nach Wechsel der Tide Sprit sparend mit dem abfließenden Wasser in Richtung Osterems, der sie ein Stück bis zur Memmertbalje folgen wollten.

    Die Steuerung hatte der Autopilot übernommen. Dewald stopfte sich eine Pfeife und zündete diese genussvoll an. Dabei nebelte er sich für einen Moment mit einer gar nicht so unangenehm riechenden weißen Wolke ein. Sein Decksmann hatte sich im Laufe der Jahre schon daran gewöhnt und es auch selbst eine Zeitlang mit dem Pfeiferauchen versucht. Aber er war über das Stadium einer pelzigen Zunge nie hinausgekommen. Trotzdem mochte er den würzigen, etwas vanilligen Tabakduft seines Kapitäns.

    Wenn man diesen in seinem Steuerhaus mit seiner rauchenden Pfeife auf dem Drehstuhl vor dem Steuerrad, den Instrumenten und Bedienelementen sitzen sah, hätte er auch für ein Werbebild auf einer Fischstäbchenpackung aus dem Supermarkt dienen können.

    Durch seinen Karibikurlaub zusätzlich gebräunt, bildeten bei dem Fünfundfünfzigjährigen der hellblonde, kurz geschnittene Vollbart und die halblangen gewellten blonden Haare einen optisch wirkungsvollen Kontrast. Dazu seine stahlblauen Augen mit den Lachfältchen an den Seiten, die darauf hindeuteten, dass er Humor besaß, und ein etwas schräg auf dem Kopf sitzender Elbsegler, der das Bild von Käpt’n »Fischstäbchen« wirkungsvoll abrundete.

    Er war von mittlerer Größe, kräftig und muskulös gebaut, und man sah ihm an, dass er zupacken konnte. Zudem nutzte er die freien Tage an Land für ausgedehnte Joggingtouren und das Fitnessstudio, um sich fit zu halten.

    Fietje hatte eine ähnliche Statur, mit Jogging konnte er sich allerdings nicht anfreunden. Dafür machte er umso mehr Kilometer mit seinem Rad, wofür ihm das gut ausgebaute Radwegenetz Ostfrieslands ausreichend und gute Möglichkeiten bot. Ein paar Mal hatte er sich von Dewald zum Jogging überreden lassen. Aber das war nichts für ihn. Ebenso hatte er seinen Chef schon einige Male auf eine seiner Radtouren mitgenommen. Aber schließlich war er beim Radfahren und sein Chef beim Jogging geblieben.

    Im Gegensatz zu Dewald verfügte sein Decksmann von Natur aus über einen dunklen Teint, braune Augen und schwarze Haare. Ein Ahnenforscher hätte bei dem gebürtigen Ostfriesen wahrscheinlich eine genetische Linie aus der kurzen französischen Besatzerzeit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts vermutet.

    Trotz ihres Altersunterschiedes von fast zwanzig Jahren verstanden sich die beiden mit und ohne Worte. Letzteres vor allem beim Einsatz an Bord, wenn beim Krabbenfang alles Hand in Hand gehen musste.

    Es dauerte nicht lange, dann hatten sie die Memmertbalje erreicht, wo Dewald das Fanggeschirr und die dafür benötigte Bordtechnik testen wollte. Nachdem der erste Hol mit der Kurre vom Kapitän im Steuerhaus durch Betätigen der Seilwinde aus dem Wasser gezogen worden war, packte sein Matrose gekonnt den Fangsack und schwenkte diesen über die Auffangwanne. Mit einem schnellen Griff löste er den speziellen Seemannsknoten und ließ den Inhalt des Beutels, wie das Ende des engmaschigen Krabbennetzes genannt wurde, in die Wanne gleiten. Von dort aus wurde der Fang auf das Fließband zur Sortiertrommel geleitet. Viel war es heute nicht, weniger als sonst an ihren angestammten Fangplätzen.

    Danach verschloss er den Fangsack mit dem mehrfach verschlungenen Spezialknoten und beförderte ihn wieder über die Reling außenbords, um dann das Gleiche mit dem zweiten Fanggeschirr auf der anderen Bordseite zu wiederholen. Während vom Steuerhaus aus die beiden Kurren mit dem Schleppnetz zum nächsten Schleppvorgang auf den Meeresgrund abgesenkt wurden, machte sich Fietje an die Sortierung des ersten Hols.

    Nachdem das Fanggeschirr wieder den an dieser Stelle nicht sehr tiefen Grund des Wattenmeeres erreicht hatte, kam Dewald, um seinen Decksmann zu unterstützen. Die Steuerung des Bootes erfolgte durch den Autopiloten.

    Inzwischen war der erste Fang bereits über das Fördersystem in der Sortiertrommel vom restlichen Beifang getrennt worden. Der hauptsächliche Beifang anderer, größerer Meerestiere wurde bereits durch ein Ableitsystem im Fangnetz direkt wieder in die Freiheit des Meeres entlassen.

    Die vom restlichen Beifang getrennten Krabben fielen durch die engen Rillen der Trommel, von wo aus sie in große engmaschige Körbe geleitet wurden. Alles, was größer war, fand sich als Beifang in einem Auffangbehälter wieder. Dieser wurde dann von den beiden Krabbenfischern in die Freiheit oder die Schnäbel unzähliger hungriger Möwen entlassen.

    Die Krabben aus dem Auffangkorb landeten in dem riesigen Gaskocher des Kutters, von wo sie nach mehrmaligem Wenden und Rühren nach etwa zehn Minuten ein zweites Mal in eine Siebtrommel verfrachtet wurden, um zu kleine, nicht verkäufliche Krabben herauszufiltern. Diese fanden dann ebenfalls als Möwenfutter ihre letzte Verwendung. Der übrige Fang landete auf dem Sortiertisch, wo Dewald von Hand kleine Fischchen und Krebse heraussortierte. Schließlich rutschten die durchs Kochen rot gewordenen Krabben in einen im Tisch befindlichen Trichter, von wo aus sie dann direkt über eine Kühlanlage im Bauch des Bootes von Fietje in Transportkisten aufgefangen und gekühlt bis zur Abgabe an den Händler gelagert wurden.

    Nach dem zweiten Hol brach Dewald die Probefangfahrt ab und drehte in Richtung Heimathafen bei. Nach dem Anlegen des Kutters holte er schnell sein Auto aus der Garage seines hinter dem Deich am Hafen liegenden Hauses. Dann verluden die beiden Fischer die paar Kisten mit Krabben in den Pkw. Dewald wollte die selbst beim Händler abliefern.

    »Morgen früh um fünf Uhr laufen wir mit ablaufendem Wasser aus«, sagte der Kapitän zum Abschied. »Wir treffen uns eine halbe Stunde vorher, aber bitte ohne Beinahekollision mit Rottweilern! Übrigens, du hast Glück, die Sonne wird dich kaum blenden. Die wird nach dem Wetterbericht nur über den Wolken zu sehen sein. Allerdings soll die Wolkendecke im Laufe des Vormittags schon wieder aufreißen.«

    »Okay, Chef«, erwiderte sein Matrose. »Ich installiere noch die Webcam und mach dann auch Feierabend. Testen können wir die auch morgen, wenn wir auslaufen.«

    Die Wetterprognose seines Käpt’ns sollte sich bewahrheiten. Heftiger windgepeitschter Nieselregen schlug Fietje ins Gesicht, als er mit seinem Fahrrad aus der Garage fuhr. Für einen wettererprobten Seemann kein Grund, auf das Auto umzusteigen, zumal sie vorhatten, zwei bis drei Tage draußen zu bleiben. Fast zeitgleich trafen der Kapitän und sein Matrose beim Boot ein. Schnell war der Kutter startklar gemacht und tuckerte der Schleuse entgegen.

    Nach dem Verlassen der Schleuse schaltete Dewald das automatische Steuerungssystem, den Autopiloten, ein. Die Koordinaten hatte er gestern schon programmiert. Auch die von Fietje gestern noch installierte Webcam war aktiv geschaltet und lieferte die Bilder auf das Display seines Notebooks, wo sie gleichzeitig gespeichert wurden. Die Maschine lief mit halber Kraft, um Sprit zu sparen, zumal der Kutter das ablaufende Wasser nutzen konnte.

    Die meisten sonst üblicherweise vor und beim Auslaufen erforderlichen Tätigkeiten waren von den beiden Seeleuten gestern schon erledigt worden. Daher setzten sie sich in der Kajüte an den kleinen Tisch, der sonst auch zum Essen genutzt wurde, um sich einen Kaffee beziehungsweise Tee zu gönnen.

    Obwohl beide gebürtige Ostfriesen waren, bevorzugte Dewald, schon solange Fietje ihn kannte, starken Kaffee ohne Milch und Zucker. Er hätte sich das Teetrinken nach der Heirat mit seiner ersten Frau abgewöhnt, weil diese keinen Tee mochte, wie er mal erzählte.

    Fietje hatte sich heißes Wasser gemacht, um sich eine kleine Kanne Ostfriesentee aufzubrühen. Selten hatte er an Bord die Gelegenheit wie heute, den Tee auf ostfriesische Art zu zelebrieren und zu genießen. Allerdings wurde das leise Knacken der Kluntjestücke leider vom Motorengeräusch übertönt. Die mit dem speziellen Löffelchen in den Tee gehobene Sahne entschädigte mit den legendären – ostfriesisch als Wulkjes bezeichneten – Sahnewölkchen die beiden Seeleute.

    Dewald brachte sich wie heute immer eine Thermoskanne mit frisch aufgekochtem Kaffee mit. Da sie keine Kaffeemaschine an Bord hatten, brühte er sich, wenn die Kanne leer war, immer Pulverkaffee auf, was für ihn aber nur die zweite Wahl war. Nachdem beide die ersten Schlucke getrunken hatten, zündete er sich seine Pfeife an, und als sich die Startwolke gelichtet hatte, sagte er: »Fietje, ich glaube, wir müssen mal über etwas miteinander reden.«

    »Was ist los, Chef? Heute war ich doch pünktlich«, antwortete der Angesprochene mit einem Grinsen, obwohl er zu spüren glaubte, dass seinem Kapitän irgendetwas auf der Seele brannte.

    »War ja auch noch kein Sonnenaufgang«, grinste dieser zurück, um dann wieder ernst zu werden. »Deine Frau Thomke und du, ihr wart am Samstag doch das erste Mal bei mir zu Hause eingeladen, obwohl wir beide schon über zehn Jahre zusammen fischen und uns

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