Kochbuch: Mario Ohno - Die Einzimmertafel St. Amour: Die besten 60 italienischen Rezepte des kultigen Künstlerkoches. Bekannt aus den Kriminalromanen von Wolfgang Schorlau.
Von Mario Ohno
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Buchvorschau
Kochbuch - Mario Ohno
Mario Ohno
Die Einzimmertafel St. Amour
70 ITALIENISCHE REZEPTE
DES KULTIGEN KÜNSTLER-KOCHS
Food-Fotografie: Alex und Angkana Neumayer
People-Fotografie: Marion Tschelebiew
INHALT
VORWORT
EINLEITUNG
VORSPEISEN & SUPPEN
SALATE
PASTA
FISCH & MEERESFRÜCHTE
FLEISCH & GEFLÜGEL
DESSERTS
BASICS
MENÜEMPFEHLUNGEN
REGISTER
ÜBER DEN AUTOR / ÜBER DIE PORTRÄT-FOTOGRAFIN
ÜBER DIE FOOD-FOTOGRAFEN
DANK
VORWORT
Es ergab sich, dass ich dringend eine neue Wohnung suchte und Mario ebenso dringend einen Untermieter. Beides, meine Wohnungslosigkeit und Marios freies, winziges Stüblein im Stuttgarter Heugsteigviertel, hatte mit unglücklich verlaufenen Liebesgeschichten zu tun. So etwas verbindet.
Ich suchte aber auch einen Freund. Nicht für mich, sondern ich suchte einen Freund für Georg Dengler. Ich hatte die Figur des Privatermittlers und ehemaligen Zielfahnders beim Wiesbadener Bundeskriminalamt als Grübler angelegt. Das Leben und sein Beruf hatten ihm harte Schläge versetzt, von denen er sich nicht erholt hatte. Dengler denkt viel nach. Er ist ein ruhiger, nahezu verschlossener Typ. Nun brauchte ich eine Figur, die Denglers Gegenteil verkörpert. Die Idee war, dass beide Figuren Freunde sind, ihre Charaktere jedoch gegensätzlich angelegt, grüblerisch der eine, extrovertiert der andere. Logisch-rational war Dengler, also musste sein Freund künstlerisch-expressiv sein. Beide hatten erkennbare Stärken, aber auch ebenso deutliche Schwächen. Doch gemeinsam waren sie in jeder Hinsicht komplett. Ich schrieb einige Skizzen zu dem gesuchten Charakter; alle waren ungenügend und misslangen. Es war zum Verzweifeln.
Als die Not am größten war, fiel es mir endlich auf: Der Freund, mit dem ich Tür an Tür wohnte – er war genau der Charakter, den Dengler als Sidekick benötigte. Mario redete, dachte, handelte und lebte als Künstler. Er betrieb in seinem Wohnzimmer die legendäre Einzimmertafel St. Amour. Es war ganz einfach: Mein Freund musste Denglers Freund werden. Wozu sollte ich ihn verfremden? Ihm einen neuen Namen geben? Unsinn! Ich fragte ihn, ob ich ihn in meinem Roman auftreten lassen dürfe. Erkennbar, mit gleichem Namen, mit gleichem Aussehen, am gleichen Ort wohnend, als »lebende Figur« – so nannte ich das Konzept.
»Mario sah man seinen italienischen Vater sofort an. Er war nicht sonderlich groß gewachsen, maß sicherlich nur wenig über einen Meter siebzig. Die schwarzen Haare trug er schulterlang, streng nach hinten gekämmt und häufig mit einem Haarband mühsam gebändigt. Sein Vater hatte ihm das lebhafte Temperament vermacht, das Gestikulieren mit beiden Händen, das Argumentieren mit dem ganzen Körper.
[…]
Mit der gleichen Besessenheit, mit der Mario die großen Leinwände füllte, erschuf er sich seine italienische Identität, wie eine zweite, selbst erwählte Haut. Er erlernte die Sprache seines unbekannten Vaters mit einer Verbissenheit und Energie, die der grüblerische Dengler nie aufgebracht hätte.
[…]
Ebenso stürzte er sich mit einer nie enden wollenden Begeisterung aufs Kochen. Zunächst erlangte er eine reife Meisterschaft in allem, was er für italienische Küche hielt: Pasta in allen Varianten, Schwertfisch, Kalbfleisch in Zitronensauce. Dann erschloss er sich die badische, später die französische Küche. Obwohl er gerne las, erfreute ihn ein neues Kochbuch mehr als ein guter Roman.
Als Mario sich in Sonja verliebte, dämpfte dies seine manische Art, sich in einen echten Italiener zu verwandeln. Ihr zuliebe zog er nach Stuttgart, in eine kleine Wohnung im obersten Stockwerk eines großen Hauses in der Mozartstraße. Dort betrieb er nun in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer ein Einzimmerrestaurant, das er halb Sonja, halb seinem Lieblings-Beaujolais zuliebe ›St. Amour‹ nannte. [Dort] kochte er die besten Gerichte, die Dengler je aß, und die erlesensten Menüs, die in Stuttgart zu haben waren.«
(Aus: Die blaue Liste. Denglers erster Fall, S. 22–24)
Seither sind einige Jahre vergangen, und vieles hat sich verändert. Doch noch immer sind wir Freunde. Noch immer erweitert Mario in meinen Büchern Denglers Charakter um das künstlerische, freie und wilde Element. Noch immer kocht Mario diese herausragenden Menüs. Und so wird es bleiben.
Wolfgang Schorlau
EINLEITUNG
EIN KOCHENDES GESAMTKUNSTWERK
Genau genommen bin ich halber Lombarde. Mein Papa ist in Mailand geboren und in Gravedona am Comer See aufgewachsen, dort zur Schule gegangen und lernte anschließend den Beruf des Fernmeldemechanikers. Später übernahm er das Hotel »Serenella« seiner Eltern. Dieses Hotel wurde von meiner Oma Maria und meinem Opa Oreste geführt. Meine Oma kochte dort rund um die Uhr. Wie man mir erzählte, stellte mein Opa, seines Zeichens Metzger, die beste Salami Milano her, für die selbst Mailänder anreisten. Dieses Buch erzählt die Geschichte, wie ich von der Kunst zum Kochen kam und wie ich in die politischen Krimis von Wolfgang Schorlau rutschte.
ZURÜCK ZU DEN WURZELN
Halb Lombarde, halb Deutscher stehe ich mit beiden Beinen in den Kochtöpfen beider Länder. »Zurück zu den Wurzeln« heißt nicht, nur meine verlorengegangene Italo- Seele zu finden, was meinen Vater betrifft, sondern auch die Kultur zu verstehen, aus welcher er kommt und in der er aufgewachsen ist. Ich spüre sie zellulär in mir, doch habe ich sie nie erfahren dürfen. Ich verstehe intuitiv und ahne, warum die Menschen in der Lombardei so sind, wie sie sind. Warum sie so kochen, wie sie sind. Dieses Kochbuch ist auch ein Stück weit eine Reise zu meinen Ahnen, die ich erst vor 35 Jahren kennenlernen durfte. »Zurück« heißt auch, sich »Besinnen« auf das Ursprüngliche und Einfache, ohne verkrampften Dogmatismus.
DIE EINZIMMERTAFEL ST. AMOUR
St. Amour, ein Stück Lebenskunst oder eine Ästhetik des Vergänglichen …
Die mir am häufigsten gestellte Frage meiner Gäste im St. Amour ist: Wie kommt man bloß auf eine solche Idee, aus seinem Wohnzimmer ein Restaurant zu machen?
1.Das hier ist kein Wohnzimmer, sondern ein Teil meines Ateliers, und
2.das hier ist kein Restaurant, sondern eine soziale Plastik, die sich zu einer realen Plastik verwandelt. Ein Spiel mit den gastronomischen Codes.
Und hier sind wir schon an einem der wichtigsten Punkte meines Projekts: Es geht um die Begriffe oder, wie Sir Ernst Gombrich zu sagen pflegte, »Das Brechen der Eintönigkeit besteht nicht im Aufhören, sondern im Steigern des Gewohnten durch die Einführung eines neuen Interesses« (oder eines neuen Begriffs).
Steht »St. Amour« für die Suche nach neuen Inhalten im Alten?
Oder steht es für die Umwertung aller Werte?
DOCH BEGINNEN WIR VON VORNE …
Ich wurde im März 1959 in Stuttgart geboren, als Sohn einer deutschen Justizangestellten und eines italienischen Gastronomen und Hoteliers.
Ich wuchs bei meiner Mutter und Oma in sehr einfachen Verhältnissen auf. Meinem Vater begegnete ich erst nach 25 Jahren. Er ging nach meiner Geburt zurück nach Italien, in sein Heimatdorf Gravedona am Comer See, um dort das Hotel seiner Eltern zu übernehmen.
Mit sieben Jahren kam ich in die Schule. Ich war ein sehr gelangweilter Schüler und Legastheniker. Ich war nicht wirklich für dieses Lernsystem gemacht. Nach meinem Hauptschulabschluss begann ich eine Lehre als Raumausstatter und Schaufensterdekorateur. Diese brach ich nach dem ersten Lehrjahr ab. Getrieben von der Vorstellung, wie Michelangelo zu werden, begann ich eine Lehre als Steinmetz, die ich nach dem zweiten Lehrjahr abbrach, um in eine Lehre zum Steinbildhauer zu wechseln. Meinen Gesellenbrief machte ich 1981 bei Peter Gutmann in Freiburg im Breisgau.
Anschließend bewarb ich mich vier Jahre lang um einen Studienplatz an verschiedenen Kunstakademien in Deutschland. Bis dahin arbeitete ich als Grabsteinmetz, Wohnungsrenovierer etc.
Endlich bekam ich 1985 durch eine Begabtenprüfung eine Zusage für die Staatliche Kunstakademie in Karlsruhe bei Prof. Otto Herbert Hajek. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich nicht mehr Michelangelo werden, sondern ein eigenständiger Künstler, der eher einer prozessorientierten Kunst näherstand als der strengen geometrischen, architektonisch integrativen Kunst eines Hajek.
Nach dem 6. Semester wollte ich nach Düsseldorf zu Joseph Beuys wechseln, der aber einen Tag, bevor ich mich bei ihm vorstellen wollte, verstarb.
Ein Semester später wechselte ich nach Hamburg an die Hochschule für bildende Künste zu den Professoren Franz Erhard Walther und Michael Lingner. Bei Walther