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Das Kind im 13. Vollmond: Spurensuche auf Burg Bischofstein
Das Kind im 13. Vollmond: Spurensuche auf Burg Bischofstein
Das Kind im 13. Vollmond: Spurensuche auf Burg Bischofstein
eBook328 Seiten4 Stunden

Das Kind im 13. Vollmond: Spurensuche auf Burg Bischofstein

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Über dieses E-Book

Rätselhafter Fund auf Burg Bischofstein!

Ein rostiger Haken, lose Steine im Mauerwerk, dahinter ein verborgener Hohlraum. Megan Linderau glaubt ihren Augen nicht zu trauen, doch das gefundene Lederkästchen mit äußerst brisantem Inhalt auf ihrer Hand ist keine Halluzination.

Zufall oder Schicksal, dass ausgerechnet Megan damit einem Geheimnis auf die Spur gekommen ist, das nicht nur bis weit in die Vergangenheit der Burg, sondern, wie sie feststellen muss, auch zu ihren eigenen Wurzeln zurückreicht?

Fest entschlossen begibt sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, nicht ahnend, in welches "Wespennest" sie damit sticht.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum18. Okt. 2017
ISBN9783744812115
Das Kind im 13. Vollmond: Spurensuche auf Burg Bischofstein
Autor

Daniela Mimm

Daniela Mimm, geb. 1964 in Essen, aufgewachsen in Krefeld, einst tätig im Buchhandel, hat ein ausgewachsenes Faible für spannende Familienromane mit regionalem Flair. So entstand unter anderem die Serie Geschichten aus Krefeld.

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    Buchvorschau

    Das Kind im 13. Vollmond - Daniela Mimm

    1

    2015

    Bislang war ich nur zahlendes Mitglied, hörte Ally zunächst nur von fern. Ein Lachen folgte, dann setzte die Stimme fort: „Ich bin gerade erst aus den Staaten zurück, aber ich habe vor, hier in Deutschland wieder sesshaft zu werden und die Arbeit des „EFG in Zukunft auch physisch zu unterstützen."

    Das war der Moment, in dem sie entsetzt von der Couch hochschrak, auf der sie es sich vorhin erst bequem gemacht hatte. Diese Stimme ... dieses Lachen … das konnte doch wohl nicht wahr sein!

    Verwirrt sah Ally sich um, merkte erst jetzt, dass sie fast eine ganze Stunde weggenickt war. Im Fernseher lief bereits das späte Mittwochsmagazin. Glaubte sie zunächst noch, nur schlecht geträumt zu haben, so musste sie nun feststellen, dass der Mann dort vor ihr auf dem Flachbildschirm durchaus real war und es sich bei seiner Stimme exakt um jene handelte, die soeben in Nullkommanichts bis tief in ihr Unterbewusstsein vorgedrungen war. Die Stimme, die sie nie wieder hatte hören wollen.

    Auf dem niedrigen Rauchglastisch warteten wie jeden Abend die Chips mit dem Paprikageschmack und das Glas Rotwein. Doch jetzt sah Ally keine Chips mehr und auch keinen Wein. Ally saß da wie zur Salzsäule erstarrt. Ihre Augen klebten nur noch an dem Mund und vor allem an dem Gesicht, zu dem die Stimme gehörte.

    Es dauerte ein Weilchen, bis sie sich einigermaßen fasste. Als könne sie sich nur auf diese Weise vergewissern, keinem Trugschluss aufzusitzen, kniete sie mit hastiger Bewegung vor den Bildschirm und stieß so heftig mit dem Fuß gegen das Tischbein, dass obendrauf das Glas mit dem Flecken versprechenden Inhalt gefährlich schwankte.

    Aber Ally registrierte es nicht. All ihre Sinne hafteten an dem schlanken, hoch gewachsenen Mann, der da lässig mit Jeans und dunklem Sakko über dem weißen T-Shirt im Gästesessel des Studios lehnte und vor den anwesenden Zuschauern bereitwillig auf die Fragen des Moderators antwortete.

    „Nicht nur sämtliche Freunde und Förderer, auch diese Schülervereinigung hat Großartiges geleistet, das kann an dieser Stelle nicht oft genug erwähnt werden …"

    Franjo!

    Zu welchem Thema konkret, und wieso ausgerechnet er in dieser Runde saß, war bisher noch nicht in Allys Sinnen angekommen. Stattdessen sog sie wie im Trance jede seiner Bewegungen auf, verfolgte, wie er jetzt die Beine übereinander schlug und die Hände im Schoß faltete.

    Genau wie damals, ging es ihr durch den Sinn. Franjos typische Haltung, wenn er mit sich und der Welt zufrieden schien.

    Großartig verändert hatte er sich äußerlich nicht. Höchstens sein einst dunkelbraunes, volles Haar war weißen Schläfen gewichen. Doch war es ein Weiß, das seine maskuline Attraktivität, die Ally ihm ohne Wenn und Aber zugestehen musste, ohne Zweifel nur unterstrich.

    Ja, gut aussehen tat er immer noch. Doch sofort meldete sich in ihr der Trotz. Na, und? Sollte er doch! Sie prustete sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. Er war nicht mehr ihr Franjo! Dieser Mann ging sie schlicht und einfach nichts mehr an!

    Ally spürte einen dumpfen Schmerz im Magen – die Erinnerung, die tief in ihr zu brodeln begann.

    Weit über dreißig Jahre war es her und trotzdem vergaß sie nicht, wie sehr sie sich bereits bei Franjos erstem Auftritt als Neuer auf dem Schulhof in seinen Bann gezogen fühlte. Sie, gerade achtzehn geworden und leider ohne großes Maß an Selbstvertrauen, hatte sich deshalb bemüht, ihre Schwärmerei zu verbergen. Um keinen Preis wollte sie sich vor ihm und dem Pulk Jungs, mit denen er seit seinem Einzug in die Parallelklasse ständig herumhing, lächerlich machen. Abgesehen davon himmelten ihn die Mädchen scharenweise an und von denen sah mit Sicherheit manche viel besser aus als sie, Ally. Warum also sollte er sich ausgerechnet mit ihr abgeben?

    Ja, so hatte sie tatsächlich gedacht, klein und unscheinbar, wie sie sich damals fühlte. Bis zu jenem Tag, an dem sie sich rein zufällig am Eingang des Kinos gegenüberstanden. „Nanu, das nenn ich aber eine Überraschung!, hatte Franjo gerufen und sie sich bestimmt nicht eingebildet, dass er sich sogar darüber freute. „In welchen Film gehst du?, wollte er sogleich wissen.

    Sie hatte die Befürchtung, er lache sie aus, wenn sie zugab, sich die laufende Liebesschnulze schon zum dritten Mal anschauen zu wollen. Als er zu ihrer Überraschung dann offen gestand: „Ich auch!", erhaschte sie zum ersten Mal einen Blick hinter seine sonst eher machohafte Fassade.

    „Magst du dich zu mir setzen?, fragte er durchaus ernst und sah sie bittend an. „Nur erwähne nie den anderen gegenüber was davon!

    „Meinst du jetzt den Film damit oder dass ich mich neben dich setzen soll?", hatte sie sogleich gekontert, weil sie es natürlich auf letzteres bezog.

    Einen Augenblick lang sah er sie recht verdattert an, dann begriff er. „Nein, nein! Es braucht nur niemand wissen, dass ich diesen Film sehr mag. Du bist jetzt die einzige, die mein Geheimnis kennt, stellte er schnell klar und lächelte gewinnend. „Versprichst du mir, dass es dabei bleibt?

    Bei der Art, wie er sie ansah, schlug ihr Herz schneller. In diesem Moment hätte sie ihm wahrscheinlich alles versprochen.

    Am liebsten wäre ihr gewesen, der Film ginge nie zu Ende. Nicht wegen der Handlung oder den Darstellern, die kannte sie ja schon in- und auswendig. Nein, diesmal war alles anders. Zum ersten Mal teilte Franjo nicht nur großzügig sein Popcorn mit ihr und spendierte obendrein eine Cola – zum ersten Mal spürte sie auch seine körperliche Nähe, einzig getrennt durch die Sessellehne. Sein Blick brannte regelrecht auf ihrer Haut, wenn er sie von der Seite her ansah und ihr Herz pochte dabei so laut bis zum Hals, dass sie Angst hatte, er könne es hören.

    Diesen Nachmittag würde sie in ihrem ganzen Leben nie vergessen, denn er war der Anfang von allem. Von da an trafen sie sich regelmäßig. Nicht nur zum Kino, auch zum Eis essen, Flippern in der Pommesbude und Paddeln auf dem Stadtwaldweiher.

    Es dauerte nicht lange, bis er sie zum ersten Mal in ihrem kleinen Zimmer in der Wohngemeinschaft, die sie mit zwei Freundinnen unterhielt, besuchte.

    Ally sah ihr altes Reich in der großzügig geschnittenen Dreizimmer-Altbauwohnung in der Nähe des Klinikums wieder genau vor sich: Typisch hohe Wände, die sie aus einer Laune heraus in sattem Gelb gestrichen hatte, verziert mit weißen Stuckleisten an der Zimmerdecke. Die weiße Sitzbank, ein Geschenk ihrer Eltern, die knapp ein Jahr zuvor mit ihrem Bruder Piet nach Kanada ausgewandert waren, eingepasst direkt in den Fenstererker, und die Flut der von ihr selbst bemalten Leinwände in allen Größen, die über dem breiten französischen Bett hingen. Selbst den einst von Großtante Minchen genähten Patchworküberzug, den sie jedes Mal vor Franjos Besuch im Schrank verstaute, hatte sie noch genau im Visier.

    Dort in ihrem kleinen gemütlichen Refugium, auf ihrem Bett mit der bunten Kissensammlung, erkundeten seine Hände zärtlich ihren jungen Körper und dort schworen sie sich ewige Liebe.

    Sie war so glücklich damals. Ausgerechnet Franjo Linderau, der eigentlich nur Schnipp machen brauchte und sogleich jedes andere Mädchen haben konnte, hegte wahrhaftig dieselben Gefühle wie sie für ihn.

    Nur, dass er ausgerechnet in der Schule ein so großes Geheimnis aus ihrer Beziehung machte, tat weh. Vor allem, weil er wie gehabt mit denselben Hühnern, wie Ally drei gewisse Grazien aus seiner Klasse bei sich nannte, herumflirtete, ihr selbst dagegen in den Pausen offensichtlich gezielt aus dem Weg ging und sie noch nicht einmal aus der Ferne anschaute.

    Sie hatte ihn darauf angesprochen, beim nächsten Mal unter vier Augen, bei sich zu Hause auf ihrer großen Lümmelwiese, wie Franjo das breite Bett gerne titulierte.

    Er hatte ihr die Zweifel einfach weggeküsst. „Ich möchte unser Glück für uns bewahren. Es geht niemanden etwas an, nur uns beide."

    Heute war ihr schleierhaft, wieso, aber damals hatte sie sich mit seiner Aussage zufrieden gegeben, wollte um jeden Preis an ihrer Liebe festhalten.

    Ally erinnerte sich aber auch noch an den Streit mit ihrer Mitbewohnerin. Es war ungefähr drei Wochen, bevor es mit dem Mathe-Leistungskurs ein letztes Mal gemeinschaftlich zur schuleigenen Burg Bischofstein gehen sollte, als Bea ihr unverblümt um die Ohren haute: „Mensch Mädchen, werde endlich wach! Der nutzt dich bloß aus!"

    Sie hatte aufbegehrt, Bea entgegen geschleudert, wie sie dazu käme, so etwas zu behaupten, wo sie ihn doch kaum kenne.

    „Mag sein, platzte diese heraus, „aber ich kenne genug Leute, die über deinen Franjo ganz gut informiert sind. Der braucht dich hier allerhöchstens als Betthupferl und nach dem Abi ist er eh weg!

    Beas Warnung traf sie bis ins Mark. Trotzdem weigerte sich ihr Herz, das ernst zu nehmen. „Quatsch, wo soll er denn hin?, verteidigte sie ihn trotzig. „Damit du es nur weißt, wir haben uns geschworen, zusammen zu bleiben!

    Beas Blick war voller Mitleid. „Der alte Linderau ist als ziemlich scharfer Hund bekannt und wenn der sagt, dass sein Sohn im kommenden Juni nach dem Abi in die USA geht, glaube mir, dann wird es auch so sein!"

    Franjo in die Staaten? Kein Wort hatte er bisher davon gesagt. Bestimmt hätte er doch mit ihr darüber gesprochen. Oder nicht? Ob es ihr gefiel oder nicht, durch Beas Worte keimten sämtliche Zweifel, die Franjo ihr noch am Tag zuvor erfolgreich ausgeredet hatte, erneut auf.

    Ach, hätte sie damals doch nur auf Bea gehört! Jetzt, wo alles wieder hochkam, spürte Ally, wie sehr die alten Wunden noch immer stachen.

    Niemals würde sie ihm verzeihen, was er getan hatte. Franjo Linderau – war es Wut oder Hass? Allys Magen rebellierte plötzlich, sie fröstelte – wie gern hätte sie allein schon diesen Namen vergessen, aber nicht einmal das war ihr möglich.

    Und jetzt wagte ausgerechnet dieser Mensch, auch noch ungefragt in ihr Wohnzimmer einzudringen? Saß einfach so vor ihr? Zweiunddreißig Jahre später. Nur durch den Bildschirm getrennt.

    NEIN! In einem Anflug geballter Aggression schaltete sie den Apparat aus und nahm einen ordentlichen Schluck Wein, diesmal direkt aus der Flasche. Mit dieser in der Hand ging sie zum Fenster, riss die die Balkontür auf und trat hinaus.

    Der Himmel war bedeckt, kein einziger Stern am Firmament. Die kühle Nachtluft tat gut und Ally versuchte, gleichmäßig ein und aus zu atmen. Doch half es nicht wirklich beim Kampf gegen die Gedanken, die Franjo Linderau mit seinem unvorhergesehenen Fernsehauftritt ausgelöst hatte.

    Es war nicht zu fassen, schon brachte er ihr Leben wieder durcheinander. Ally spürte ihr Herz hart gegen die Rippen pochen. Mit einer abwertenden Handbewegung, als könne sie wenigstens damit die bösen Erinnerungen auslöschen, versuchte sie das Gefühlschaos in sich zu unterdrücken. Hilflos drehte sie die Flasche in der Hand. Dann setzte sie sie an die Lippen und trank sie in einem Zug leer.

    „Warum machst du denn nicht die Tür auf? Ich hab zigmal geklingelt! Ally? Ach herrje, was ist denn hier los?"

    Nur schemenhaft nahm Ally die Gestalt wahr, die hoch aufgerichtet in der Wohnzimmertür stand und ihre erschreckte Miene durch den Raum gleiten ließ. Sie blinzelte und streckte schläfrig die bleischweren Glieder.

    „Hast du eine Party veranstaltet oder was ist passiert?" Die sonst vertraute, doch ziemlich hohe Frauenstimme hallte jetzt unangenehm schrill in Allys Gehörgängen.

    „Ally, wach auf! Hier sieht es aus wie nach einem Einbruch."

    Einbruch? Ally riss die Lider hoch. „Was? Nei…!" Benommen richtete sie sich auf, fasste sich aber sogleich an die Stirn. Ihr Kopf fuhr Karussell und mittendrin surrte ein ordentlicher Bienenschwarm. Außerdem schmerzte ihr Nacken wie verrückt. Kein Wunder, so verkrümmt, wie sie auf der Couch gelegen hatte.

    Dann erst nahm sie das Chaos um sich herum bewusst wahr und mittendrin eine besorgte Carola, die gleich nebenan, Wand an Wand mit ihr, die zweite Etage in diesem Haus bewohnte.

    Ally war geneigt, sich wieder nach hinten sacken zu lassen. Schreck, lass nach! Nicht nur ihr Glas von gestern Abend, auch die zwei leeren Rotweinflaschen auf dem Tisch verströmten eine unangenehme Duftnote abgestandenen Alkohols. Daneben eine aufgerissene Packung kleiner Likörauswahl. Die Chipstüte lag zerrissen auf dem gänzlich verkrümelten Teppich und alle drei Schubladen der Kommode, in der sie die alten Fotoalben aufbewahrte, hingen heraus, als habe jemand darin gewütet.

    Und dann kam plötzlich die Erinnerung zurück. Franjo! Zweiunddreißig Jahre später. Einfach so. Im Fernsehen.

    „Hast du das etwa alles allein getrunken?", bohrte Carola ohne Umschweife. Doch es klang, als kenne sie die Antwort bereits im Voraus.

    „Könnte … man … so nennen!, stöhnte Ally. „Du ahnst nicht, wer … oder hast du gestern Abend … Ihre Stimme holperte und sie sah aus, als sei ihr ein Gespenst begegnet.

    „Ich glaub, du brauchst erstmal einen starken Kaffee und eine kalte Dusche!, befand Carola und machte Anstalten, die Freundin von der Couch zu ziehen. „Danach geht es dir bestimmt besser und du erzählst mir in aller Ruhe, was …

    „Gibt nicht viel zu erzählen, schnitt Ally ihr grimmig das Wort ab, „der Linderau war hier. Und als sie Carolas wirren Blick auffing, setzte sie schnell hinterher: „Sozusagen."

    „Wie bitte?" Carola fuhr der Schreck in alle Glieder. „Du redest doch wohl nicht von Franjo Linderau?", vergewisserte sie sich vorsichtig und hoffte inständig, Ally möge nur dessen Vater meinen, der nach wie vor in seiner Villa am Stadtwald lebte. Wenn ihr auch schleierhaft war, was den zu Ally treiben könnte.

    „Doch, genau von dem rede ich!, belehrte Ally sie umgehend eines Besseren. „Franjo Linderau!

    Carola fühlte plötzlich einen Kloß, der rasend schnell in ihrem Hals anschwoll. „Was will der denn auf einmal von dir?" Sie verstand rein gar nichts mehr und bereute zutiefst, den Abend nicht zu Hause verbracht zu haben. Zumindest wäre ihr dann nicht entgangen, dass der Kerl vor Allys Tür stand.

    „Nein, nein, nicht wie du jetzt denkst!, beeilte sich Ally richtig zu stellen, als sie merkte, welche Schlüsse die Freundin zog. „Er war nicht leibhaftig hier in der Wohnung, er war im Fernsehen … in diesem Magazin … irgendein Bericht über Denkmalschutz in Deutschland. Aber allein das hat mir schon gereicht!

    „Ach so!" Carola fiel ein Zentnerbrocken vom Herzen.

    Ally kicherte albern. „Jetzt hast du aber die Muffe gekriegt, was? Brauchst du nicht! Er kann mir nicht mehr gefährlich werden!"

    Das sieht man!, dachte Carola, sagte aber nichts.

    „Ach, Carolein, mach doch nicht so ein ernstes Gesicht." Ally glaubte zu wissen, was in ihr vorging. Schließlich war Carola nicht nur ihre Nachbarin, sondern auch diejenige gewesen, die sie, Ally, vor vielen, vielen Jahren mühselig aus ihrer Apathie herausgeholt und wieder ins Leben zurückgeführt hatte. Wenn sie so zurückdachte, war es nicht überhaupt verrückt, dass sich ausgerechnet Carola, einst in der Oberstufe ihre ärgste Widersacherin, später zu ihrer besten Freundin gewandelt hatte?

    Allys Kopf schien sich auch ohne Kaffee und Dusche zu regenerieren. Ein Gefühl von unendlicher Dankbarkeit durchfuhr sie. Nicht zuletzt, weil Carola ihr obendrein auch die schicke Wohnung mit Blick auf den Stadtgarten vermittelt hatte, in der sie seit ihrer Scheidung lebte. Damals, in Zeiten notorischer Geldknappheit, schien es für sie selbst schier unmöglich, an eine solche heranzukommen. „Der Vermieter ist ein Onkel von mir, hatte Carola lachend erklärt. „Ich hab ihn einfach ein bisschen beschwatzt. Und wie du siehst, mit Erfolg!

    „Carolein, komm setz dich mal her zu mir!", bat Ally leise.

    Die kam der Aufforderung sofort nach. „Ja?", kam es bekümmert über ihre Lippen.

    Ally nahm sie in den Arm. „Du bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben! Nie werde ich vergessen, was du für mich getan hast! Deshalb mache dir auch bitte keine Sorgen. Es wird nicht wieder von vorn losgehen!"

    Sie spürte den festen Gegendruck von Carolas Körper und nicht zum ersten Mal überkam Ally dabei das leise Empfinden, die Freundin hege für sie ein Gefühl, das weit über die normale Sympathie hinausging. Innerlich rang sie schon länger mit sich, Carola einfach darauf anzusprechen, hatte sich aber bisher aus für sich selbst unerfindlichen Gründen davor gescheut. Was, wenn sie sich das nur einbildete? Schließlich hatte sie schon einige Männer in Carolas Leben kennen gelernt. Nur war bei ihr auch jedes Mal die Frage hängen geblieben, warum die Beziehungen der Freundin immer nur kurzfristig hielten. Seit etwa einem Jahr glaubte Ally die Antwort zu kennen. Jörg Basler, ihres Erachtens ein wirklich netter Kerl, der offen seine Gefühle für Carola zeigte, war an jenem Samstagabend fluchtartig und mit bösen Bemerkungen auf der Zunge aus der Nachbarwohnung gestürmt. Carola ahnte nicht, dass sie, Ally, ganz deutlich das Wort „Lesbe" mitbekommen hatte und sich seither so ihre Gedanken machte.

    Auch diesmal wusste sie nicht recht, wie sie reagieren sollte. Um keinen Preis lag ihr daran, Carola vor den Kopf zu stoßen. So straffte sie sich unbeholfen und atmete insgeheim auf, als Carola augenblicklich von ihr abließ. Sollte sie sich jetzt zurückgewiesen fühlen, ließ sie sich nichts anmerken.

    „Rechnest du damit, dass er zurückkommt?", fragte sie stattdessen.

    Ally zuckte die Schultern. „In dem Interview sprach er davon, in Deutschland wieder sesshaft zu werden und die Arbeit des „EFG auch physisch zu unterstützen. Keine Ahnung, was damit gemeint war. Nachhaltig betonte sie: „Interessiert mich auch nicht!"

    Carola dagegen verstand sofort, während ihr Teint in Sekundenschnelle wechselte. „Ally, verstehst du wirklich nicht?, rief sie schrill. „Der will im „EFG aktiv werden!"

    „Na und? Lass ihn doch aktiv werden, wo er will! Hauptsache, ich hab damit nichts mehr zu tun!", wehrte die stur ab.

    „Mensch Mädchen, komm zu dir! Es geht um den Ehemaligenverein des Fichte-Gymnasiums."

    Befremdet, aber klar, als sei ihr Verstand ganz plötzlich wieder in voller Aufnahmebereitschaft, schaute Ally sie aus großen Augen an.

    Carola nickte noch einmal bestätigend und hätte jetzt viel darum gegeben, Franjos Fernsehauftritt sei nur ein schlechter Traum gewesen. „Du weißt, was das bedeutet?"

    Die Erkenntnis traf Ally wie ein Giftpfeil mitten in die Eingeweide.

    2

    Dad, muss das wirklich sein? Die junge Frau schlang dem hoch gewachsenen Mann, der es sich mit einer Zeitung im Gartensessel auf der Terrasse bequem gemacht hatte, von hinten die Arme um den Hals. „Schau, wir sind doch erst eine Woche hier und …, sie stockte einen Moment, verlegte sich aufs Bitten, „kannst du mir nicht erstmal die Stadt zeigen, bevor du mich auf so einen alten Kasten verschleppst, um Unkraut zu jäten?"

    Franjo Linderau lachte und legte die Zeitung neben sich auf den Tisch. Er wirbelte die bildhübsche, junge Frau mit den ausdrucksvollen bernsteinfarbenen Augen zu sich herum.

    Glucksend landete sie auf seinem Schoß.

    „Meine kleine Principessa, das ist nicht einfach nur ein alter Kasten", belehrte er sie sanft, „sondern ein imposanter Ort mit Vergangenheit. Wart nur ab, du wirst staunen, wenn du Bischofstein in Natura siehst!"

    „Dad, bitte, nenn mich nicht immer kleine Principessa! Du weißt, ich mag das nicht, schmollte sie, weil er sich so gar nicht erweichen ließ. „Außerdem, was soll an dieser Burg so besonders sein? Disteln wachsen da ja wohl wie anderswo.

    „Du tust, als ob ich dich nur zum Ackern mitschleppen will."

    „Ist es denn nicht so?"

    „Hör zu, meine kleine Principessa …!"

    Sie löste sich von ihm, sprang auf. „Dad!"

    „Sorry, ich meine natürlich kleine Meg …"

    Megan Linderau rollte die Augen. Für ihren Vater würde sie wohl nie erwachsen werden. Dabei war sie inzwischen sechsundzwanzig Jahre alt und durchaus in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen.

    „Du hast noch nie in deinem Leben eine echte mittelalterliche Burg gesehen. Glaub mir, wenn du erst auf Bischofstein bist, willst du gar nicht mehr weg."

    Was Megan für ein Gerücht hielt. Sie hatte sich natürlich längst im Internet schlau gemacht und eine ganze Litanei von Webseiten gefunden, die auch Bilder aufwiesen. Doch im Gegensatz zu den freudestrahlenden Beschreibungen ihres Vaters hinterließen die hohen alten Mauern einen eher düsteren Eindruck bei ihr. Niedlich fand sie höchstens die Etagenbetten, die seit Jahrzehnten Krefelder Schülern, vor allem denen des Fichte-Gymnasiums, welches einst auch ihr Vater besuchte, zum Schlafen dienten.

    Sie seufzte. „Muss ich wirklich unbedingt mit? Lass mich doch hier bei Grandpa bleiben! Ich verspreche dir auch, ganz artig zu sein und gut auf ihn aufzupassen, während du in aller Ruhe das ganze Wochenende deinen alten Kameraden beim Ackern hilfst."

    Eine Dackelhündin hätte treuer nicht blicken können. Schon spürte Franjo, wie sein Widerstand schwand.

    „Also gut, lenkte er ein, „du bist schließlich erwachsen und ich kann dir nicht mehr vorschreiben, was du zu tun oder zu lassen hast. Wenn ich dich partout nicht dafür begeistern kann …, er hielt inne und Megan sah ihm die Enttäuschung an, „dann muss ich wohl ohne dich fahren. Sei du mir dann aber bitte auch nicht böse, wenn ich dich hier allein lasse."

    Eigentlich hätte Megan jetzt zufrieden sein können. Doch sie war es nicht, in ihr keimte ein schlechtes Gewissen. Dabei verzichtete er jetzt sogar freiwillig auf ihre Begleitung und sie konnte sich fast drei Tage lang ohne väterliche Begleitung in ihrer neuen Zweitheimat umsehen und sich vielleicht des Abends ins Krefelder Nachtleben stürzen. Bisher hatte sie gegen die Wünsche des Vaters nie großartig aufgemuckt, trotzdem ging ihr sein Beschützerinstinkt manchmal ein wenig auf die Nerven.

    Andererseits wusste sie, er meinte es nicht böse. Irgendwo tief in seinem Inneren saß von jeher eine unterschwellige Verlustangst. Woher diese rührte, darüber schwieg er sich allerdings vehement aus. Letztendlich ging deswegen auch die Ehe ihrer Eltern in die Brüche.

    Im Gegensatz zu etlichen Freundinnen allerdings hatte Megan noch Glück im Unglück. Ihre Eltern neideten und bekämpften sich nicht, gingen freundschaftlich miteinander um, boten ihr sogar jeweils ein eigenes Zimmer. Egal, was war: Megan konnte immer zu beiden kommen, erlitt dadurch nie das Gefühl der Zerrissenheit.

    Erst als Kathy, ihre Mutter, ihren jetzigen Ehemann kennen lernte und ihr Vater nicht das geringste Zeichen von Enttäuschung signalisierte, kam bei ihr die Frage auf, ob er ihre Mutter jemals wirklich geliebt hatte. Zumindest so, wie Megan für sich den Begriff Liebe interpretierte: Feuer, Leidenschaft, Sehnsucht, hin und wieder ein ordentliches Gewitter, das die Luft reinigte. Zwischen ihren Eltern hatte es dergleichen nie gegeben und solange sie denken konnte, führten sie ein eher kameradschaftliches Verhältnis zueinander. In Megans Augen ein Indiz, warum es nach der Trennung nicht zur Schlammschlacht kam. Außerdem wollte es irgendwie nicht in ihr Weltbild passen, dass zwei Menschen, die sich einmal aufrichtig geliebt hatten, anschließend einfach nur Freunde sein konnten.

    Und dann, scheinbar von jetzt auf gleich, kam bei ihrem Vater das Heimweh hoch. Bis heute fragte Megan sich, ob vielleicht diese vornehm wirkende und trotz ihres fortgeschrittenen Alters auffallend hübsche, dunkelhaarige Frau etwas damit zu tun hatte, deren Zeitungsbild sie einst zerknüllt neben der Papiertonne fand?

    Megan hatte nicht die geringste Ahnung, wer die Frau war und warum ihr Vater den dazugehörigen Artikel offenbar ausgeschnitten hatte und irgendwo in seinem Arbeitszimmer versteckt hielt. Seitdem aber ließ sie das Gefühl nicht los, dass es mit

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