Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Anruf kam nach Mitternacht
Der Anruf kam nach Mitternacht
Der Anruf kam nach Mitternacht
eBook312 Seiten4 Stunden

Der Anruf kam nach Mitternacht

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Nichts Gutes passiert nach Mitternacht …

Nacht in einem Haus in Washington, D. C. Das Telefon klingelt. Als Sarah Fontaine kurz darauf das Gespräch beendet, ist ihre Welt eine andere: Man hat ihr gerade mitgeteilt, dass ihr Mann Geoffrey bei einem Hotelbrand ums Leben gekommen ist. In Berlin. Dabei sollte er doch auf Geschäftsreise in London sein! Zusammen mit dem Botschaftsmitarbeiter Nick O’Hara macht Sarah sich vor Ort auf die Suche nach Antworten. Was sie findet, ist ein perfider Racheplan …

"Ein excellent verbrochener Krimi der es in sich hat. Für eingefleischte Krimifans ein Muss." (Magazin Köllefornia)

"Tess Gerritsen ist eine der besten in ihrem Metier" - USA Today

"Diese Geschichte überzeugt mit Aktion, unerwarteten Wendungen und viel Power." - bookviews.at - die österreichische Lesecommunity

SpracheDeutsch
HerausgeberHarperCollins
Erscheinungsdatum7. Aug. 2017
ISBN9783959676694
Der Anruf kam nach Mitternacht
Autor

Tess Gerritsen

Tess Gerritsen studierte Medizin und arbeitete mehrere Jahre als Ärztin, bis sie für sich das Schreiben von Romantic- und Medical-Thrillern entdeckte. Die Kombination von fesselnden Stories und fundierten medizinischen Kenntnissen brachte ihr den internationalen Durchbruch. Die Bestseller-Autorin lebt mit ihrem Mann in Maine.

Mehr von Tess Gerritsen lesen

Ähnliche Autoren

Ähnlich wie Der Anruf kam nach Mitternacht

Ähnliche E-Books

Krimi-Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der Anruf kam nach Mitternacht

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Anruf kam nach Mitternacht - Tess Gerritsen

    HarperCollins®

    hc_ya

    Copyright © 2017 by HarperCollins

    in der HarperCollins Germany GmbH

    Titel der amerikanischen Originalausgabe:

    Call after Midnight

    Copyright © 1987 by Tess Gerritsen

    erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

    Published by arrangement with

    Harlequin Enterprises II B.V. / S. á r. l.

    Covergestaltung: büropecher, Köln

    Coverabbildung: scisettialfio / ThinkstockPhotos

    Redaktion: Thorben Buttke

    ISBN E-Book 9783959676694

    www.harpercollins.de

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    WIDMUNG

    Für Jacob,

    der immer da war

    PROLOG

    Berlin

    Es bedarf zwanzig Sekunden konstanten Drucks auf die Halsschlagader, um einen Menschen bewusstlos zu machen. Zwei Minuten länger, und der Tod ist unausweichlich. Simon Dance brauchte kein medizinisches Fachbuch, um ihm diese Fakten zu erklären – er wusste sie aus Erfahrung. Er wusste außerdem, dass die Garrotte nicht durchhängen durfte. Wenn die Schnur nicht straff gespannt war, wenn sie zuließ, dass auch nur ein kurzer Schwall kostbaren Bluts das Gehirn des Opfers erreichte, würde das den Kampf nur unnötig verlängern. Es machte den ganzen Prozess nachlässig, ja sogar gefährlich. Nichts war so brutal wie ein sterbender Mann.

    Während er in der Dunkelheit hockte, wickelte Dance sich die Garrotte zwei Mal um die Hände und schaute auf das beleuchtete Zifferblatt seiner Uhr. Zwei Stunden waren vergangen, seitdem er das Licht ausgeschaltet hatte. Sein Attentäter war offensichtlich ein vorsichtiger Mann, der sichergehen wollte, dass Dance tief und fest schlief. Wenn der Kerl ein Profi war, wüsste er, dass die ersten beiden Stunden Schlaf die tiefsten waren. Jetzt war der Zeitpunkt, um zuzuschlagen.

    Draußen auf dem Flur knarrte eine Stufe. Dance spannte sich an, dann erhob er sich langsam und wartete in der Dunkelheit neben der Tür. Er ignorierte das Pochen seines Herzens und spürte den vertrauten Adrenalinrausch, der seine Reflexe in höchste Alarmbereitschaft versetzte. Er spannte die Garrotte zwischen seinen Händen.

    Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt. Dance hörte das metallische Klicken des Barts, der leicht über Metall schabte. Der Schlüssel wurde gedreht, und das Schloss öffnete sich mit einem leisen Geräusch. Langsam schwang die Tür auf, und das Licht aus dem Flur fiel in den Raum. Ein Schatten trat durch die Tür und wandte sich dem Bett zu, wo ein Mann zu schlafen schien. Der Schatten hob seine Arme. Drei Kugeln aus einem Schalldämpfer schlugen ins Kissen ein. Als die dritte Kugel traf, schlug Dance zu.

    Er schlang die Garrotte um den Hals des Eindringlings und riss die Schnur nach hinten und oben. Sie spannte sich genau um die ungeschützteste Stelle der Halsarterie, direkt unter dem Kiefer. Die Waffe fiel zu Boden. Der Mann schlug um sich wie ein Fisch am Haken und riss panisch an der Garrotte. Er streckte die Arme nach hinten und versuchte, Dance im Gesicht zu kratzen. Seine Arme und Beine waren außer Kontrolle, zuckten und stießen in alle Richtungen. Dann gaben die Beine langsam nach und die Arme streckten sich ein letztes Mal aus, bevor sie schlaff wurden. Während Dance die Minuten zählte, spürte er die letzten Zuckungen des Körpers, die Krämpfe der verhungernden und absterbenden Gehirnzellen. Er hielt weiter fest.

    Nach drei Minuten lockerte Dance die Garrotte, und der Körper sackte zu Boden. Dance schaltete das Licht ein und betrachtete den Mann, den er gerade getötet hatte.

    Das fleckige Gesicht kam ihm vage vertraut vor. Vielleicht hatte er den Mann schon mal irgendwo auf der Straße oder im Zug gesehen, aber er kannte seinen Namen nicht. Schnell durchsuchte er seine Kleidung, fand aber nur Geld, einen Autoschlüssel und ein paar Werkzeuge, die zu seinem Handwerk gehörten: Ersatzmagazine, ein Messer, einen Dietrich. Ein namenloser Profi, dachte Dance und fragte sich spontan, wie viel man ihm wohl bezahlt hatte.

    Er zog den Leichnam aufs Bett und warf die drei Kissen beiseite, die er unter der Bettdecke platziert hatte. Er schätzte die Körpergröße auf ungefähr einen Meter fünfundachtzig. Die gleiche Größe. Gut. Dance tauschte die Kleidung mit dem Toten; das war vermutlich unnötig, aber er war ein gründlicher Mann. Dann nahm er seinen Ehering ab und versuchte, ihn der Leiche auf den Finger zu schieben, aber er passte nicht über den Knöchel. Er ging ins Badezimmer, seifte den Ring ein und schaffte es schließlich, ihn auf den Ringfinger des Toten zu drücken. Dann setzte er sich und rauchte ein paar Zigaretten, während er überlegte, ob er irgendetwas vergessen hatte.

    Die drei Kugeln natürlich. Er wühlte in den Kissen und dem Inlett und fand zwei der drei Kugeln. Die dritte steckte vermutlich irgendwo in der Matratze. Bevor er tiefer graben konnte, hörte er Schritte auf dem Flur. Hatte der Angreifer einen Komplizen? Dance hob die Waffe, zielte auf die Tür und wartete. Die Schritte gingen weiter und verklangen am Ende des Korridors. Falscher Alarm. Trotzdem, er sollte jetzt gehen; länger zu bleiben wäre dumm.

    Aus der Kommodenschublade holte er eine Flasche Methanol. Das würde schnell brennen und keine Rückstände hinterlassen. Er goss es über die Leiche, das Bett und den davor liegenden Teppich. Das Zimmer hatte weder Rauchmelder noch eine automatische Sprinkleranlage – aus genau diesem Grund hatte Dance sich für dieses Hotel entschieden. Er stellte den Aschenbecher neben das Bett, sammelte die Habseligkeiten des Toten sowie die Methanol-Flasche ein und steckte alles in eine Mülltüte. Dann setzte er das Bett in Brand.

    Mit einem Zischen erhoben sich die Flammen und hüllten innerhalb von Sekunden die Leiche ein. Dance wartete nur so lange, bis er sicher war, dass nichts Identifizierbares übrig bleiben würde.

    Mit der Mülltüte in der Hand verließ er das Zimmer, schloss die Tür und ging den Flur hinunter zum Brandmelder. Er sah keinen Sinn darin, unschuldige Menschen zu töten, also durchschlug er die Scheibe und zog den Alarmhebel. Dann nahm er die Treppe ins Erdgeschoss.

    Aus einer Allee auf der anderen Straßenseite beobachtete er, wie die Flammen aus seinem Fenster schlugen. Das Hotel wurde evakuiert, und die Straße füllte sich mit schläfrig aussehenden Menschen, die in Decken gewickelt waren. Innerhalb von zehn Minuten fuhren drei Löschzüge vor. Zu diesem Zeitpunkt war sein Zimmer bereits ein loderndes Inferno.

    Das Feuer zu löschen dauerte eine Stunde. Eine Gruppe Schaulustiger gesellte sich zu den in der Kälte zitternden Hotelgästen, und Dance musterte ihre Gesichter und speicherte sie ab. Wenn er einen von ihnen wiedersehen würde, wäre er gewarnt.

    Dann erblickte er durch eine dichte Menschentraube hindurch eine schwarze Limousine, die langsam die Straße hinaufkroch. Er erkannte den Mann auf dem Rücksitz. Also war die CIA hier. Interessant.

    Er hatte genug gesehen. Es war schon spät, und er musste zurück nach Amsterdam.

    Drei Straßen weiter warf er die Mülltüte mit der leeren Methanol-Flasche in einen Mülleimer. Damit war auch das letzte Detail erledigt. Er hatte getan, weshalb er nach Berlin gekommen war. Er hatte Geoffrey Fontaine getötet. Jetzt war es an der Zeit zu gehen. Pfeifend verschwand er in der Dunkelheit.

    Amsterdam

    Der alte Mann wurde morgens um drei Uhr mit Neuigkeiten geweckt: „Geoffrey Fontaine ist tot."

    „Wie?", wollte der alte Mann wissen.

    „Ein Brand in einem Hotel. Sie sagen, er hätte im Bett geraucht."

    „Ein Unfall? Das ist nicht möglich. Wo ist die Leiche?"

    „In der Rechtsmedizin in Berlin. Sie ist sehr stark verbrannt."

    Natürlich, dachte der alte Mann. Er hätte wissen müssen, dass die Leiche nicht identifizierbar sein würde. Simon Dance hatte wie üblich hervorragende Arbeit geleistet, um seine Spuren zu verwischen. Also hatten sie ihn erneut verloren.

    Aber der alte Mann hatte noch ein Ass im Ärmel. „Du hast mir gesagt, es gäbe eine amerikanische Ehefrau, sagte er. „Wo lebt sie?

    „In Washington."

    „Ich werde sie beobachten lassen."

    „Aber warum? Ich habe dir gerade erzählt, dass der Mann tot ist."

    „Er ist nicht tot. Er lebt noch. Dessen bin ich mir sicher. Und diese Frau weiß, wo er ist. Ich will, dass sie beobachtet wird."

    „Ich werde meine Männer …"

    „Nein. Ich werde eigene Männer schicken. Jemanden, auf den ich mich verlassen kann."

    Es entstand eine Pause. „Ich besorge dir ihre Adresse."

    Nachdem er aufgelegt hatte, konnte der alte Mann nicht wieder einschlafen. Fünf Jahre lang hatte er gewartet. Fünf Jahre lang hatte er gesucht. Dem Ziel so nahe zu kommen und dann doch wieder zu versagen! Jetzt hing alles davon ab, was diese Frau in Washington wusste.

    Er musste geduldig sein und darauf warten, dass sie sich selbst verriet. Er würde Kronen schicken, einen Mann, der ihn noch nie enttäuscht hatte. Kronen hatte seine eigenen Methoden, um an Informationen zu kommen – Methoden, denen zu widerstehen äußerst schwierig war. Aber das war ja auch Kronens besonderes Talent – seine Überzeugungskraft.

    1. KAPITEL

    Washington

    Es war schon nach Mitternacht, als das Telefon klingelte.

    Durch den schweren Vorhang des Schlafs hörte Sarah es läuten. Der Klang wirkte unglaublich weit entfernt, als würde in einem Zimmer außerhalb ihrer Reichweite ein ferner Alarm ertönen. Sie kämpfte darum, aufzuwachen, war aber irgendwo in einer Welt zwischen Schlaf und Wachsein gefangen. Sie musste ans Telefon gehen; sie wusste, dass Geoffrey anrief, ihr Ehemann.

    Den ganzen Abend über hatte sie darauf gewartet, Geoffreys Stimme zu hören. Es war Mittwochabend, und auf seinen monatlichen Reisen nach London rief Geoffrey immer am Mittwoch zu Hause an. Heute jedoch war sie schniefend und hustend früh ins Bett gegangen, ein Opfer der jüngsten Grippewelle, die Washington erwischt hatte. Es war die Influenza A-63 aus Hongkong, ein besonders unangenehmer Virus, den sie nun mit der Hälfte ihrer Kollegen in dem Mikrobiologielabor teilte. Eine Stunde lang hatte sie im Bett gesessen, gelesen und darum gekämpft, wach zu bleiben. Aber die Kombination aus einer Erkältungskapsel und dem aktuellsten Journal of Microbiology hatte schneller gewirkt als jede Schlaftablette. Innerhalb weniger Minuten war sie, noch mit der Brille auf der Nase, in die Kissen gesunken. Nur kurz ausruhen, hatte sie sich versprochen. Nur ein kleines Nickerchen … Am Ende hatte der Schlaf sich angeschlichen und sie hinterrücks überfallen.

    Sie schreckte hoch und sah, dass die Nachttischlampe noch eingeschaltet war und die Fachzeitschrift quer über ihrer Brust lag. Das Zimmer war ein wenig unscharf. Sie schob ihre Brille zurecht und schaute auf die Uhr auf dem Nachttisch. Halb eins. Das Telefon war totenstill. Hatte sie nur geträumt?

    Sie zuckte zusammen, als das Telefon erneut klingelte. Schnell nahm sie den Hörer ab.

    „Mrs. Sarah Fontaine?", erkundigte sich eine Männerstimme.

    Das war nicht Geoffrey. Der Schreck zuckte wie ein Blitz durch ihren Körper. Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie setzte sich auf und war mit einem Mal hellwach. „Ja, am Apparat", sagte sie.

    „Mrs. Fontaine, hier ist Nicholas O’Hara vom US-Außenministerium. Es tut mir leid, dass ich Sie um diese Uhrzeit anrufe, aber … Er hielt inne. Das Schweigen machte ihr am meisten Angst, denn es war zu absichtlich, zu geübt, ein strategisch platzierter Puffer, um sie auf den Schlag vorzubereiten. „Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten, beendete er den Satz schließlich.

    Ihre Kehle zog sich zusammen. Sie wollte schreien: Sagen Sie es mir einfach! Sagen Sie mir, was passiert ist! Aber alles, was sie herausbrachte, war ein Flüstern. „Ja. Ich höre."

    „Es geht um Ihren Ehemann, Geoffrey, sagte er. „Es hat einen Unfall gegeben.

    Das ist nicht real, dachte sie und schloss die Augen. Wenn Geoffrey verletzt worden wäre, hätte ich es gespürt. Irgendwie hätte ich gewusst …

    „Es ist vor ungefähr sechs Stunden passiert, fuhr er fort. „In dem Hotel Ihres Mannes hat es ein Feuer gegeben. Eine weitere Pause. Dann fragte er mit Besorgnis in der Stimme: „Mrs. Fontaine? Sind Sie noch da?"

    „Ja. Bitte, fahren Sie fort."

    Der Mann räusperte sich. „Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, Mrs. Fontaine. Ihr Mann … er hat es nicht geschafft."

    Er gestattete ihr einen Moment der Stille, einen Augenblick, in dem sie darum kämpfte, ihre Trauer in sich zu halten. Es war ein dummer, irrationaler Akt des Stolzes, der sie dazu brachte, die Hand auf den Mund zu pressen, um das Schluchzen zu unterdrücken. Der Schmerz war zu privat, um ihn mit einem Fremden zu teilen.

    „Mrs. Fontaine?, fragte er sanft. „Geht es Ihnen gut?

    Endlich gelang es ihr, zitternd Luft zu holen. „Ja", flüsterte sie.

    „Sie müssen sich keine Gedanken über die … Vorkehrungen machen. Ich werde alle Einzelheiten mit unserem Konsulat in Berlin koordinieren. Natürlich wird es eine kleine Verzögerung geben, aber sobald die deutschen Behörden die Freigabe des Leichnams erteilt haben, sollte es keine …"

    „Berlin?", unterbrach sie ihn.

    „Nun, es unterliegt ihrer Zuständigkeit, wissen Sie. Es wird einen vollständigen Bericht geben, sobald die Berliner Polizei …"

    „Aber das ist nicht möglich."

    Nicholas O’Hara bemühte sich, geduldig zu sein. „Es tut mir leid, Mrs. Fontaine. Seine Identität ist bestätigt worden. Wirklich, es besteht kein Zweifel daran …"

    „Geoffrey war in London", rief sie.

    Es folgte ein langes Schweigen. „Mrs. Fontaine, sagte er schließlich mit irritierend ruhiger Stimme. „Der Unfall ist in Berlin passiert.

    „Dann hat man einen Fehler gemacht. Geoffrey war in London. Er kann unmöglich in Deutschland gewesen sein!"

    Wieder entstand eine Pause, länger diesmal. Jetzt merkte sie, dass er verwirrt war. Sie drückte den Hörer so fest gegen ihr Ohr, dass sie ein paar Sekunden lang nichts hörte außer dem Klopfen ihres Herzens. Es musste sich um einen Fehler handeln. Ein verrücktes, dummes Missverständnis. Geoffrey musste noch am Leben sein. Sie sah ihn vor sich, wie er über die absurde Nachricht seines eigenen Todes lachte. Ja, sie würden gemeinsam darüber lachen, wenn er wieder nach Hause kam. Falls er wieder nach Hause kam.

    „Mrs. Fontaine, sagte der Mann schließlich. „In welchem Hotel ist er in London abgestiegen?

    „Im … im Savoy. Irgendwo hier habe ich die Telefonnummer … Lassen Sie mich nachschauen …"

    „Ist schon gut, ich finde sie heraus. Lassen Sie mich ein paar Anrufe tätigen. Vielleicht sollten wir uns morgen früh treffen. Seine Worte waren mit Bedacht gewählt und vorsichtig, ausgesprochen in dem emotionslosen Ton eines Bürokraten, der gelernt hat, sich nichts anmerken zu lassen. „Können Sie in meinem Büro vorbeikommen?

    „Wie … wie finde ich das?"

    „Kommen Sie mit dem Wagen?"

    „Nein, ich habe kein Auto."

    „Dann schicke ich Ihnen jemanden vorbei."

    „Das ist ein Fehler, oder? Ich meine … Sie machen doch auch mal Fehler, oder nicht?" Ein wenig Hoffnung, das war alles, worum sie ihn bat. Ein kleiner Strohhalm, an den sie sich klammern konnte. So viel könnte er ihr doch geben. Er könnte ihr ein klein wenig Güte zeigen.

    Aber er sagte nur: „Wir sehen uns morgen früh, Mrs. Fontaine. So gegen elf."

    „Warten Sie bitte! Es tut mir leid. Ich kann nicht klar denken. Wie war Ihr Name noch mal?"

    „Nicholas O’Hara."

    „Und Ihr Büro befindet sich wo?"

    „Machen Sie sich darüber keine Gedanken, erwiderte er. „Der Fahrer wird Sie hinbringen. Gute Nacht.

    „Mr. O’Hara?"

    Sarah hörte das Freizeichen und wusste, dass er bereits aufgelegt hatte. Sofort wählte sie die Nummer des Savoy Hotels in London. Ein Anruf und die Sache wäre geklärt. Bitte, betete sie, als die Verbindung aufgebaut wurde, bitte, lass mich deine Stimme hören …

    „Savoy Hotel", sagte eine Frau am anderen Ende der Welt.

    Sarahs Hand zitterte so stark, dass sie kaum den Hörer halten konnte. „Hallo. Mr. Geoffrey Fontaines Zimmer, bitte", platzte sie heraus.

    „Es tut mir leid, Ma’am, sagte die Stimme. „Mr. Fontaine hat vor zwei Tagen ausgecheckt.

    „Ausgecheckt?, rief sie. „Aber wo ist er hin?

    „Er hat uns kein Ziel genannt. Aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen möchten, leiten wir sie gerne an seine Wohnadresse weiter …"

    Sie konnte sich nicht erinnern, ob sie sich überhaupt verabschiedet hatte, bevor sie auflegte. Sie starrte das Telefon an, als wäre es etwas Fremdes, etwas, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Langsam wanderte ihr Blick zu Geoffreys Kissen. Das große Doppelbett schien sich in die Unendlichkeit zu erstrecken. Sarah hatte sich immer auf einem kleinen Teil davon zusammengerollt. Selbst wenn Geoffrey nicht zu Hause war und sie das Bett für sich allein hatte, rührte sie sich nie von ihrem Platz.

    Jetzt kam Geoffrey vielleicht nie wieder nach Hause.

    Sarah blieb allein zurück in einem Bett, das zu groß war, in einer Wohnung, die zu still war. Sie erschauerte, als eine stumme Welle des Schmerzes sich in ihr erhob und in ihrer Kehle stecken blieb. Sie wollte verzweifelt weinen, doch die Tränen weigerten sich zu kommen.

    Sie sank mit dem Kopf zuerst auf die Kissen. Sie rochen nach Geoffrey. Sie rochen nach seiner Haut und seinen Haaren und seinem Lachen. Sie umklammerte eines der Kissen mit ihren Armen und rollte sich in der Mitte des Betts zusammen, genau auf der Stelle, auf der Geoffrey immer lag. Das Laken war eiskalt.

    Geoffrey käme vielleicht nie wieder nach Hause. Sie waren erst seit zwei Monaten verheiratet.

    Nick O’Hara trank seinen dritten Kaffee aus und zerrte an seiner Krawatte, um sie zu lockern. Nachdem er in seinem zweiwöchigen Urlaub nur Badehosen getragen hatte, fühlte sich sein Schlips an wie ein Galgenstrick. Er war erst seit drei Tagen zurück in Washington und schon wieder gereizt. Ferien sollten dazu dienen, die Batterien aufzuladen. Deshalb war er auf die Bahamas geflogen. Er hatte zwei wunderbare Wochen damit verbracht, absolut nichts zu tun, außer halb nackt in der Sonne zu liegen. Er hatte die Zeit allein gebraucht, um sich selbst ein paar harte Fragen zu stellen und einige Entschlüsse zu fassen.

    Aber der einzige Entschluss, zu dem er gekommen war, war, dass er unglücklich war.

    Nach acht Jahren beim Außenministerium hatte Nick O’Hara die Nase voll von seinem Job. Er lief im Kreis wie ein Schiff ohne Ruder. Seine Karriere stockte, was nicht allein seine Schuld war. Stück für Stück hatte er seine Geduld für die politischen Spielchen des Staates verloren – er war nicht in der Stimmung zu spielen. Er machte jedoch weiter, weil er an seine Arbeit glaubte, an ihren intrinsischen Wert. Von Friedensmärschen in seiner Jugend zu Friedensgesprächen auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

    Aber Ideale, das hatte er erkannt, brachten einen nicht weiter. Verdammt, Diplomatie lief nicht über Ideale. Sondern, genau wie alles andere, über Protokolle und Politik gemäß der Parteilinie. Während er sein Protokoll perfektioniert hatte, hatte er das mit der Politik nicht so richtig hinbekommen. Es war nicht so, dass er es nicht konnte. Er wollte es nicht.

    In dieser Hinsicht war Nick ein lausiger Diplomat. Unglücklicherweise stimmten diejenigen, die das Sagen hatten, ihm in diesem Punkt offensichtlich zu. Also war er auf diesen gottverlassenen Konsularposten in D. C. versetzt worden und musste frisch verwitweten Frauen schlechte Neuigkeiten überbringen. Das war keine sonderlich subtile Ohrfeige. Sicher, er hätte sich dem Auftrag verweigern können. Er hätte in seine bequeme Nische als Dozent an der American University zurückkehren können. Darüber hatte er nachdenken müssen. Ja, er hatte diese beiden Wochen allein auf den Bahamas gebraucht.

    Was er nicht brauchte, war, zu all dem hier zurückzukehren.

    Seufzend schlug er die mit Fontaine, Geoffrey H. beschriftete Akte auf. Eine Kleinigkeit hatte ihn schon den ganzen Morgen über gestört. Seit ein Uhr nachts hatte er auf den Computermonitor gestarrt und alles ausgegraben, was er in den umfangreichen Regierungsakten finden konnte. Er hatte außerdem eine halbe Stunde mit seinem Kumpel Wes Corrigan vom Konsulat in Berlin telefoniert. Frustriert hatte er sich schließlich ein paar ungewöhnlichen Quellen gewidmet. Was als Routineanruf bei einer Witwe begonnen hatte, um ihr sein Beileid auszudrücken, entwickelte sich langsam in etwas Kompliziertes. Ein Puzzle, für das Nick nicht alle Teile hatte.

    Um ehrlich zu sein, gab es außer den bekannten Einzelheiten über Geoffrey Fontaines Tod kaum irgendwelche Teile, mit denen er spielen konnte. Unvollständige Puzzles gefielen Nick überhaupt nicht. Sie machten ihn wahnsinnig. Wenn es darum ging, nach weiteren Informationen, weiteren Fakten zu graben, konnte er unersättlich sein. Aber im Moment, als er die dünne Fontaine-Akte anhob, fühlte er sich, als hielte er eine Tüte voller Luft: nichts von Substanz außer einem Namen.

    Und einem Toten.

    Nicks Augen brannten. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und gähnte. Als er zwanzig und noch auf dem College gewesen war, hatte es ihm einen Kick versetzt, bis tief in die Nacht wach zu sein. Jetzt, mit achtunddreißig, machte es ihn nur übellaunig. Und hungrig. Um sechs Uhr am Morgen hatte er drei Donuts hinuntergeschlungen. Der Zuckerrausch, kombiniert mit Koffein, hatte gereicht, um ihn weitermachen zu lassen. Und jetzt war er zu neugierig, um aufzuhören. So war es immer, wenn er ein Puzzle vor sich hatte. Er war nicht sicher, ob ihm das gefiel.

    Er schaute auf, als seine Bürotür geöffnet wurde. Sein Kollege Tim Greenstein schlenderte herein.

    „Bingo! Ich habe es gefunden!", sagte Tim. Er ließ eine Akte auf den Tisch fallen und schenkte Nick sein breites Grinsen, für das er berühmt war. Meistens galt dieses Grinsen seinem Computerbildschirm. Tim war ein Problemlöser, der Mann, den alle anriefen, wenn Daten nicht dort waren, wo sie sein sollten. Dicke Brillengläser verzerrten seine Augen – die Folgen eines Katarakts in seiner Kindheit. Ein buschiger schwarzer Bart verdeckte den Großteil seines Gesichts, mit Ausnahme der blassen Stirn und seiner Nase.

    „Ich habe dir doch gesagt, dass ich es finde, sagte Tim und ließ sich in den ledernen Sessel vor Nicks Schreibtisch fallen. „Ich habe meinen Kumpel beim FBI ein wenig herumfischen lassen. Er hat nichts gefunden, also habe ich selber etwas nachgeforscht. Ich sage dir, es war nicht leicht, das aus den Verschlusssachen herauszuholen. Sie haben da so einen neuen Idioten, der darauf beharrt, alles nach Vorschrift zu machen.

    Nick runzelte die Stirn. „Du musstest damit durch die Sicherheitsabteilung?"

    „Jupp. Da ist noch mehr, aber darauf konnte ich nicht zugreifen. Ich habe herausgefunden, dass die Company eine Akte über deinen Mann hat."

    Die Company war die interne Bezeichnung für die CIA. Nick klappte die Mappe auf und starrte den Inhalt erstaunt an. Was er sah, warf mehr Fragen auf als je zuvor. Fragen, für die es keine Antworten zu geben schien. „Was zum Teufel hat das zu bedeuten?", murmelte er.

    „Deshalb kannst du nichts über Geoffrey Fontaine finden, sagte Tim. „Bis vor einem Jahr hat der Kerl nicht existiert.

    Nick riss den Kopf hoch. „Kannst du mir mehr besorgen?"

    „Hey, Nick, ich glaube, wir betreten hier unbefugtes Gebiet. Diese Jungs von der CIA werden darüber nicht erfreut sein."

    „Dann sollen sie mich doch verklagen." Die CIA schüchterte Nick nicht im Geringsten ein. Nicht nach all den inkompetenten

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1