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Villa der Wahrheit
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eBook463 Seiten6 Stunden

Villa der Wahrheit

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Über dieses E-Book

Rätselhafte Erbschaft!

Eine alte Villa, ein kauziger Gärtner und ein Brief mit ominösen Rätseln.
Katja Diepholtz weiß zunächst nicht recht, was sie mit der seltsamen Hinterlassenschaft ihres Onkels anfangen soll.

Ist es wirklich Zufall, dass ausgerechnet Nina Herbst, die erst seit kurzem auf dem Nachbargrundstück der Villa lebt, ihr hilft, den Dingen auf den Grund zu gehen?
Was aber führt Ninas Mann Leo im Schilde und welche Rolle spielt die Villa dabei?

Weder Katja noch Nina ahnen, wie sehr sie beide mit dem unfassbaren Geheimnis eines alten Mannes verwoben sind.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Okt. 2017
ISBN9783744811996
Villa der Wahrheit
Autor

Daniela Mimm

Daniela Mimm, geb. 1964 in Essen, aufgewachsen in Krefeld, einst tätig im Buchhandel, hat ein ausgewachsenes Faible für spannende Familienromane mit regionalem Flair. So entstand unter anderem die Serie Geschichten aus Krefeld.

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    Buchvorschau

    Villa der Wahrheit - Daniela Mimm

    16

    1

    Wie ein geheimnisvoll dunkles Loch wirkte der Einmündungsbereich des Hohlweg auf Nina, als sie ihren Wagen über die schier endlose Gerade der Molenaarstraße auf den Hülser Berg zusteuerte. Die einsetzende Nacht ließ die eng aneinander gereihten Baumkronen an seinem Hang zu einer fast undurchdringlichen Schwärze zusammenwachsen, nur vereinzelt durchbrochen durch den gelblich faden Schein der Straßenlaternen. Selbst die Villen an dieser Seite schienen allesamt im Tiefschlaf zu liegen.

    Endlich hatte Nina die Kreuzung am Talring erreicht, als plötzlich wie aus dem Nichts frontal zwei Scheinwerfer auftauchten und so stark blendeten, dass sie für einen Moment fast nichts mehr sehen konnte.

    „Idiot, schimpfte sie, „mach das Fernlicht aus! Nur flüchtig erfasste Nina, dass es sich um einen Kleintransporter handelte, der jetzt ohne Halt und unter Missachtung des Stopp-Schildes einfach über den Kreuzungsbereich schoss und dessen Rückstrahler in ihrem Spiegel mit rasender Geschwindigkeit verblassten.

    Nina schüttelte den Kopf über so viel Leichtsinn. Sie verabscheute Asphaltraudis, die durch die Gegend preschten, als sei der Teufel hinter ihnen her.

    Doch sie schluckte ihren Groll hinunter und konzentrierte sich nun auf die enge Fahrbahn des Hohlweg, der ohne jegliche Straßenbeleuchtung, dafür aber mit leichten Windungen in westliche Richtung den Hülser Berg durchschnitt. Sie war froh, dass ihr kein weiterer Wagen entgegen kam. Die unbefestigte Bankette an beiden Seiten zeigte ganz deutlich Reifenspuren von Ausweichmanövern irgendwelcher Fahrer, die das Tempolimit von dreißig offensichtlich nicht beachtet hatten.

    Nina hatte den Abzweig zur Bergschänke gerade passiert, da tauchte plötzlich, wie von Geisterhand, auf der Fahrbahn vor ihr ein Schatten auf. Sie erschrak zutiefst und trat im selben Moment abrupt auf die Bremse. Ihre Ohren rauschten und wie aus weiter Ferne vernahm sie das Quietschen von Reifen. Es dauerte einen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass es ihre eigenen waren. Starr vor Entsetzen blickte sie durch die Windschutzscheibe … direkt in zwei dunkle, weit aufgerissene Knopfaugen, in denen der Schreck nicht minder stand.

    Doch noch ehe sie zur Besinnung kam, vernahm sie durch den offenen Spalt des Seitenfensters ein Geräusch wie leises Hufeschaben und im selben Moment war der Spuk vorüber und das Augenpaar verschwunden.

    Ein verirrtes Rehkitz! Es war einfach vor ihr auf die Fahrbahn gesprungen. Gottlob hatte sie den Wagen noch rechtzeitig zum Stehen gebracht und außer dem Schrecken war nichts weiter passiert.

    Nina ließ die Scheibe bis zum Anschlag hinunter und lehnte den Kopf hinaus. Sie schaltete den Motor ab und vorsichtshalber die Warnblinkanlage ein. Dann verharrte sie, innerlich immer noch angespannt, ob vielleicht weitere Tiere folgten. Nina lauschte in die Finsternis jenseits der Straße. Die Böschung stieg zu beiden Seiten steil an und jede Bewegung von oben hätte unweigerlich eine kleine Gerölllawine ausgelöst.

    Aber es blieb ruhig. Nach wenigen Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, stellte sie die Warnblinker wieder ab.

    Und doch war ihr unheimlich zumute, als sie den Motor neu startete. Im Abblendlicht schienen die ausladenden Äste der Bäume nach ihr zu greifen. Automatisch drückte sie den Fuß auf das Gaspedal und atmete regelrecht auf, als die ersten Lichter diesseits des Talring sichtbar wurden.

    Nina fuhr den Wagen direkt in die Garage. Als sie die Verbindungstür zum Flur öffnete, empfing sie die Stille des Hauses.

    „Leo?", rief Nina laut. Sein Wagen stand nicht auf seinem Platz in der Doppelgarage, aber sie hatte vorhin auch nicht darauf geachtet, ob er ihn vielleicht an der Straße abgestellt hatte.

    Ihre Stimme verhallte ungehört an den noch kahlen Wänden des gerade erst bezogenen Hauses. Obwohl es schon spät war, überlegte sie zunächst, ob sie auf Leo warten sollte. Doch sie fühlte sich auf eine unerklärliche Weise so abgespannt, dass sie es vorzog, sich besser direkt hinzulegen.

    Im Bett allerdings wälzte sie sich auch nur von einer Seite zur anderen. Irgendetwas hielt sie davon ab, einzuschlafen. Müde richtete sie sich wieder auf und starrte in die Dunkelheit. Woran mochte es liegen, dass sie keine Ruhe fand? War es der Schreck wegen dem Rehkitz, der ihr immer noch in den Gliedern saß? Oder lag es an dem neuen Bett und der ungewohnten Stille, die vor ihrem geöffneten Fenster herrschte.

    Das also war der Preis für den neuen Lebensabschnitt, dachte Nina verächtlich. Sie knipste die Nachttischlampe an und griff nach dem angefangenen Buch, das sie sich noch vor drei Wochen in Koblenz gekauft hatte, versuchte ein paar Seiten zu lesen. Doch sie konnte sich einfach nicht konzentrieren und legte es wieder beiseite.

    Seufzend ließ Nina ihren Blick umher schweifen und betrachtete eingehend die große Mansarde, die Leo und sie sich als Schlafzimmer eingerichtet hatten. Himmelblaue, mit weißen Streifen gemusterte Tapeten schmückten die Wände. Die kleine Biedermeier-Sitzgruppe in der Ecke vor dem Seitenfenster, die sie vor etlichen Jahren von Oma Blanche geerbt hatte, der Schiebetürenschrank aus heller Buche und das im selben Stil gefertigte Doppelbett, in dem sie gerade saß, ergänzten sich hierzu in warmem Kontrast.

    Eigentlich gefiel es Nina sehr. Und nicht nur dieser Raum, sondern alles hier in diesem Haus, welches Leo und sie über einen hiesigen Makler angemietet hatten, entsprach genau ihrer Vorstellung. Die Maler waren gerade noch rechtzeitig fertig geworden, hatten die von Leo und ihr gemachten Vorgaben ganz genau eingehalten. Was also war nur los mit ihr?

    Lag es daran, dass Leo sie schon wieder alleine gelassen hatte? Seit sie hierher nach Krefeld gezogen waren, sah sie ihn noch weniger als zuvor. Oder bildete sie sich das nur ein? Tatsache war, dass er seit dem Umzug noch mehr unterwegs war als vorher. Sie selbst hatte mit ihm im neuen Heim bisher gerade mal vier Tage verlebt. Nun fragte sie sich, weshalb er überhaupt so versessen darauf gewesen war, mit ihr ausgerechnet hierher in diese Abgeschiedenheit zu ziehen.

    Nina sah auf den Radiowecker. Die rote Digitalanzeige leuchtete inzwischen kurz vor Mitternacht. Unruhe stieg in ihr hoch. Leo befand sich doch auf dem Rückweg. Wo blieb er denn bloß?

    Sie zuckte zusammen, als plötzlich ihr Handy auf dem Nachttisch vibrierte. Da sie noch keinen Festnetzanschluss besaßen, lag es so immer in Reichweite, wenn er verreiste. Eine SMS von Leo. War ihm etwas passiert? Ihre Unruhe wurde stärker. Dann würde er wohl kaum schreiben können, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.

    Der Absender war tatsächlich Leo. „Bin noch in München, hat alles länger gedauert, komme wahrscheinlich erst morgen gegen Abend."

    Kurz und nüchtern, keine Anrede, kein Gruß. Diese Art wurmte sie und die Frage, warum er sie von unterwegs nie anrief, nagte nicht zum ersten Mal in ihr.

    Sicher denkt er, du schläfst schon und will dich nicht wecken!, erstickte sie sofort jeglichen aufkommenden Gedanken im Keim. Es drängte sie, selbst das Telefon in die Hand zu nehmen. Aber sie ließ es, denn sie wusste, Leo schätzte das nicht. Und trotzdem: Wie gerne hätte sie mit ihm gesprochen, ihm erzählt, dass sie heute am späten Nachmittag in Moers der Einladung zu einem Bewerbungsgespräch gefolgt war, sich anschließend eine leckere Tomatensuppe im Fiddlers und einen Kinobesuch gegönnt hatte.

    In Nina nagte die Enttäuschung. Eine weitere Nacht alleine hier in diesem Haus, welches doch für sie beide eine neue Heimat sein sollte. Erneut fragte sie sich, warum Leo so auf den Umzug gedrungen hatte, wenn er doch sowieso kaum anwesend war.

    Sie schaltete die Lampe wieder aus und drehte sich auf die Seite. Tränen stiegen ihr in die Augen. Geschäfte, Geschäfte! Immer nur Geschäfte! Von wegen, durch den Firmenwechsel änderte sich alles! Das einzige, was sich geändert hatte, war Leos Verhalten. Nicht nur die äußere, auch die innere Entfernung zwischen ihnen nahm spürbar zu. Ninas Hand schlug hart auf die Bettdecke. Sie wusste nicht, ob sie wütend oder traurig sein sollte. Vielleicht war es doch ein großer Fehler gewesen, aus Koblenz weg zu ziehen und alles aufzugeben, was ihr lieb und vertraut war.

    Doch sie wollte nicht weinen, versuchte gewaltsam ihre Gedanken zu verdrängen. Sie sprang aus dem Bett und lief auf bloßen Füßen zum Fenster. Tief sog sie die frische Luft ein und ließ ihren Blick in die Nacht schweifen.

    Wie anders die Landschaft jetzt aussah! Tagsüber die reine Idylle, wirkte sie jetzt eher Furcht erregend. Zwar blitzte hier und da ein einzelner Stern am Firmament, aber die Umrisse der Bäume und die der alten unbewohnten Villa auf dem Nachbargrundstück hoben sich wie Gespenster von der Dunkelheit ab. Von irgendwoher drang der Ruf eines Käuzchens und in der Ferne schlug dumpf eine Kirchturmuhr.

    Drüben am Waldrand flackerte ein roter Lichtschein auf. Ob da noch mal einer seinen Hund vor die Tür ließ? Nina selbst war viel zu ängstlich, als dass sie sich vorstellen konnte, wie sich jemand um diese Zeit an solch abgelegene Orte verirrte. An der Stelle gab es nicht mal ein Haus. Dort lag nur der Wall, über den die alte Bahntrasse verlief, auf der an den Wochenenden der hellen Jahreszeiten und zu anderen kurzen Intermezzos die nostalgische Dampflok ein paar Waggons hinter sich herzog, welche die Krefelder liebevoll Schluff nannten.

    Aber warum machte sie sich überhaupt Gedanken darüber? Sie beschloss, sich wieder hinzulegen und es erneut mit Schlafen zu versuchen. Ein Weilchen betrachtete sie noch die weißen Organzastores, in denen der Luftzug des geöffneten Fensters spielte. Irgendwann schlief sie dann endlich ein und vernahm auch nicht mehr das schleifende Geräusch, welches sich irgendwo unter ihrem Fenster in der Nacht zu verlieren schien.

    2

    Am nächsten Morgen, rund fünfzig Kilometer entfernt in Essen-Werden …

    Schnuckelchen, raunte die Stimme ihres Ehemannes gefühlvoll in Katjas Ohren, „schau mal, was ich hier habe! Extra für uns beide gemacht. Freudig überrascht zog sie die Lider hoch und lächelte Roland erwartungsvoll entgegen, der augenblicklich den seidigen Morgenmantel von seinem Astralkörper gleiten und mit dem rechten Fuß schwungvoll die Schlafzimmertür ins Schloss knallen ließ. Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante und zauberte wie aus dem Nichts ein üppig beladenes Tablett auf ihre bedeckten Schenkel. Das Aroma frisch aufgebrühten Kaffees umspielte ihre Nase und liebevoll, bereits fertig zubereitete Brötchenhälften mit ihrer Lieblingsmarmelade warteten nur noch darauf, genussvoll verspeist zu werden. Doch der Anblick dieses Stilllebens steigerte zunächst erst einmal ihren Appetit auf Roland. Sie hob das Tablett hinüber auf seine Bettseite und schlug einladend die Decke zurück. Sein Blick bohrte sich in den ihren und oha, schon passierte, was ihr bei seinem nackten Anblick ständig passierte …

    „Sag mal, träumst du schon mit offenen Augen?"

    „Was?" Einen Augenblick lang wusste Katja in der Tat nicht, wie ihr geschah.

    Doch als die Zeitung ihr gegenüber ungeduldig wiederholte: „Schon wieder ein Einbruch!" kam sie schnell zur Besinnung.

    Offensichtlich dauerte der Zeitung ihre Reaktion zu lange. Daher senkte sie sich jetzt, faltete sich ärgerlich zusammen und brachte Rolands grimmige Miene zum Vorschein.

    „Sag mal, redest du nicht mehr mit mir?", fragte er ungehalten.

    „Ich war mit meinen Gedanken gerade woanders", entschuldigte Katja sich und hatte das Gefühl, ein ungehorsames Kind zu sein, das Schelte bekam.

    „Hab ich gemerkt!, versetzte Roland beleidigt. „Die Zeit möchte ich auch mal haben … den lieben langen Tag in Träumereien schwelgen.

    Seine Bemerkung gab ihr einen Stich. In letzter Zeit häuften sich diese Nettigkeiten. Der schöne Moment jedenfalls, in dem ihr Ehemann sich wie der Märchenprinz von damals zeigte, war im Nu verpufft und Roland verwandelte sich rasant zurück in den Froschkönig des Alltags.

    „Ich würde lieber arbeiten gehen als hier den ganzen Tag die Kloschüsseln zu putzen, das kannst du mir glauben! Wenn sie sich von seinen Worten gestochen fühlte, meldete sich das kleine Teufelchen in ihr. „Du müsstest dir halt nur eine Putzfrau zulegen und die dann allerdings bezahlen. Haha. „Oder noch besser eine Zugehfrau, die sich auch gleich des lieben Ronny annimmt." Noch mal haha, aber so war das ja wohl.

    Roland starrte seine Frau an mit einem Blick, der klar aufzeigte, dass sie nicht alle Tassen im Schrank haben konnte. „Sag mal, das schöne freie Leben ist dir wohl zu Kopf gestiegen, was? Auf seiner Stirn bildete sich eine Falte. „Für das bisschen Arbeit hier eine Putze? Und Ronny, der läuft inzwischen ja wohl quasi von selber!

    Und wer hatte ihn soweit gebracht? Sie! Sie ganz alleine. Denn Roland hatte von Anfang an die Parts in ihrer Ehe genau verteilt. Er brachte das Geld nach Hause und sie, Katja, hatte dafür zu sorgen, dass es einmal von gut erzogenen Nachkommen ausgegeben werden konnte.

    „Wir können ja mal einen Tag tauschen!", bot sie an und spürte, wie die Wut in ihr hochstieg. In diesem Moment war sie froh, dass Ronny längst auf dem Weg zur Schule war und von dem Gezanke nichts mitbekam.

    Roland schmetterte das Angebot höhnisch ab. „Du an meinem Schreibtisch im Büro? Nach spätestens zehn Minuten würdest du mich anrufen und fragen, was du zu tun hättest. Du bist ja nicht mal in der Lage, eine Email vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen."

    Wieder so ein Stich. Der saß noch fester als der von vorhin. Wahrscheinlich deshalb, weil Roland, ob Katja es sich eingestehen wollte oder nicht, im Prinzip Recht hatte. Woher auch sollte sie seine Arbeitsabläufe kennen? Er erzählte nur sparsam von seinen Schreibtischgeschäften und wenn, dann benutzte er sämtliches Fachvokabular, mit dem seine Branche aufzuwarten hatte, obwohl er genau wusste, dass sie dann nur die Hälfte verstand. Nachfragen jedoch empfand Katja als Blöße, weil Rolands Lieblingssatz: „Sei froh, dass du so was ja auch nicht wissen musst!" inzwischen zur Standardantwort geworden war. Und das mit dem Übersetzen vom Englischen ins Deutsche? Sie betrieb hier zwar sozusagen eine Hauswirtschaft, aber von Wirtschafts-Englisch hatte sie in der Tat nicht den blassesten Dunst.

    „Ich könnte einen Kurs an der VHS belegen", warf Katja ein.

    „Sicher könntest du das. Die Frage ist nur, wofür?" Roland stellte seinen Kaffee so ungeduldig auf der Untertasse ab, dass es klirrte.

    Ja, wofür? Das fragte sie sich selbst insgeheim auch. Aber wie sollte sie sonst an einen Bürojob oder dergleichen kommen? „Nun, ich könnte mir vorstellen, dann bessere Chancen zu haben, überhaupt wieder einen Fuß ins Berufsleben zu setzen."

    „Aha. Rolands Stimme triefte vor Ironie. „Und du glaubst, man wartet nur darauf, dass eine Frau Diepholtz zur Tür herein kommt und ruft: „Da bin ich!?"

    Katja sagte nichts dazu, stöhnte innerlich schwer auf. Was wollte dieser Mann eigentlich? So recht wurde sie aus ihm nicht mehr schlau. Lag es daran, dass im Prinzip jeder von ihnen inzwischen irgendwie seinen eigenen Weg ging, ohne dabei groß über den anderen nachzudenken? Obwohl, nein, so ganz stimmte das auch nicht. Sie jedenfalls dachte tagsüber dauernd an Roland. Zum Beispiel gerade dann, wenn sie seine allabendlichen Chipskrümel von der Couch saugte oder seine Unterhosen in die Waschmaschine steckte. Spätestens da stachen Katja ihre unterschiedlichen Lebensweisen sozusagen direkt ins Auge, während er irgendwo auf der Düsseldorfer Flaniermeile bei einem Fünf-Gänge-Menü, rein geschäftlich natürlich, Konversation betrieb.

    Roland schien auch gar keine Antwort erwartet zu haben. Wie jeden Morgen hatte er es plötzlich sehr eilig. Schnell noch einen letzten Biss in den Marmeladentoast, von ihr bestrichen, und schnell noch den Rest Kaffee, auch von ihr gekocht, ausgeschlürft. Dann riss er auch schon das Sakko von der Stuhllehne und griff nach seinem gewichtigen Statussymbol, dem zentnerschweren Aktenkoffer.

    „Tschüss, bis heute Abend dann!", verabschiedete er sich, wobei er Katja immerhin noch einen schnellen Kuss auf die Lippen drückte.

    Tschüss, Froschkönig, dachte sie traurig und sehnte sich mehr denn je nach dem Roland, den sie einst kennengelernt hatte.

    Was nur war mit ihnen passiert? Oder besser gesagt, was war mit ihrer Liebe zueinander passiert? Zum wiederholten Male drängten sich dieselben Fragen in Katjas Gehirn. War es nur der Alltag, der alles verblassen ließ? Hatte sie selbst sich so sehr verändert, dass Roland nichts Liebenswertes mehr an ihr fand und sie deshalb wie ein kleines dummes Schulmädchen behandelte? Hatte sie gar kein Recht mehr auf ein eigenes Leben? Durfte sie nur noch das Haus schrubben und für ihn und Ronny parat stehen?

    Vor ihrem geistigen Auge formierte sich eine Szenerie: Plötzlich war es wieder der strahlende Maisonntag, an dem sie, mit ihrem Buch und einem Glas Weißwein aufs Essen wartend, auf der Terrasse ihres Lieblings-Griechen saß und dem sympathischen Mann samt seinem kleinen Sohn gerne die freien Plätze an ihrem Tisch überließ. Voller Interesse, was sie denn da lese, waren sie schnell in eine anregende Unterhaltung verwickelt, während sich der knapp zweijährige Ronny auf den Spielgeräten nebenan vergnügte.

    Es dauerte nicht lange, bis sich ihr Gespräch ins Persönliche wandelte. Binnen weniger Minuten schaffte dieser gut aussehende Mann, so ihr Vertrauen zu gewinnen, dass sie ihm alles über sich erzählte und auch er machte aus seinem Leben kein Geheimnis. Sie, Katja, vermochte es kaum zu fassen, aber wie aus dem Nichts übermannte sie die Erkenntnis, dass Roland Diepholtz nicht zufällig ihren Weg gekreuzt haben konnte. Da musste einfach eine andere, höhere Macht ihre Hände im Spiel gehabt haben.

    Gab es sie also doch, die Liebe auf den ersten Blick? Katjas Herz jedenfalls war sofort entflammt für den hoch gewachsenen, dunkelhaarigen Mann mit den grünen Augen, die ihr mit aufrichtigem Interesse entgegen blickten.

    Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass es da den kleinen Ronny gab, dessen Mutter sich wenige Monate nach der verfrühten Geburt aus dem Staub gemacht hatte, weil sie das ständige Geschrei des Babys nicht mehr ertragen konnte. Etwa ein Jahr später war sie irgendwo in Südamerika ums Leben gekommen war. In Katjas Vorstellungskraft passte es nicht, dass eine Mutter überhaupt in der Lage war, das eigene Kind so herzlos abzustoßen.

    Doch jegliche Frage Katjas in diese Richtung ließ Roland als Tabuthema abprallen. Nicht einmal ein Foto gab es mehr von Anita Diepholtz, die hatte er nach eigenen Angaben gleich nach deren Weggang entsorgt. So war auch für Ronny kein Erinnerungsstück übrig geblieben.

    Eigenartig und übertrieben fand Katja Rolands Verhalten schon in diesem Bezug, doch mit der Zeit hatte sie es, wenn auch nicht verstanden, zumindest akzeptiert und geschwiegen. Irgendwann, so dachte sie damals, würde er von selber darüber sprechen.

    So zogen erst Monate ins Land, dann Jahre. Aus Liebe zu Roland, und natürlich, weil sie auch Ronny ins Herz geschlossen hatte, hängte sie freiwillig ihren Job und den Traum vom verspäteten Kunststudium an den Nagel und übernahm stattdessen wie selbstverständlich die Mutterrolle an dem Kind, das seinerzeit so viel Hilfe und Unterstützung brauchte. Roland war überglücklich, honorierte es mit überschwänglichen Gefühlen und drängte letztendlich zur Heirat, weil er fand, dass dies doch zu einer richtigen Familie dazu gehörte.

    Mit einem gemeinsamen Kind wollte es leider nicht klappen und statt frustrierender Versuche gynäkologischer Eingriffe tröstete sie sich mit dem Gedanken, sich nach Ronnys Eintritt in den Kindergarten wenigstens wieder ihrer Malerei widmen zu können. Im ausgebauten Dachgeschoss ihres damaligen Reihenhauses wäre genug Platz für ein kleines Atelier gewesen. Dort, so rechnete sie sich aus, hätte sie bis spätnachmittags Zeit gehabt, neue Werke zu schaffen und mit dem Verkauf vielleicht einen netten kleinen Zusatzverdienst zu Rolands Gehalt beisteuern können. Doch dazu sollte es nicht kommen. Ronnys Aufnahme verzögerte sich um zwei Jahre. Immer wieder zeigten sich bei dem Jungen Entwicklungsstörungen, die eine langwierige Diagnostik und Behandlung nach sich zogen und damit ihren vollen Einsatz verlangten.

    So blieb für Ronny letztendlich nur ein Jahr Kindergarten, dann wurde er bereits sechs und es folgte eine ziemlich schwierige Grundschulzeit.

    Auch in dieser hielt Katja es für wichtiger, sich dem Kind zu widmen und alles Erdenkliche zu tun, ihm den harten Weg durch die Schulzeit zu erleichtern. Dafür legte sie sich, wenn nötig, auch mit gewissen Lehrkräften an, die Ronny bereits vom Tag der Einschulung an den unsichtbaren Stempel „Förderschule ab Klasse fünf" aufgedrückt hatten.

    Ihr eigenes Vorhaben schob sie immer weiter vor sich her. Den nächsten Strich durch die Rechnung machte dann ihre Schwiegermutter. Rolands Vater war verstorben und Elfriede, die ihr, Katja, bei jeder Gelegenheit zeigte, dass sie sie nicht mochte, wollte aber auch keinesfalls weiter alleine in diesem unsäglich großen Kasten wohnen, der nur Arbeit machte. Katjas Vorschlag, den Kasten zu verkaufen und sich von dem Geld eine schöne Eigentumswohnung zu kaufen, stieß allerdings auf taube Ohren. Wie sich herausstellte, hatte Elfriede längst ihren eigenen Plan im Kopf, den sie mit aller Macht in die Tat umzusetzen wusste. Roland, ihr Jüngster und erklärter Liebling, sollte samt Familie hier einziehen, damit sie getrost ihre Reisen in ferne Länder genießen konnte, während in ihrem Hause nach wie vor, und auf Lebenszeit, zwei große Räume als Rückzugsmöglichkeit für sie bereitstanden.

    Abgesehen davon, dass Katja sich gegen den Umzug sträubte, fiel der Platz für ein Atelier, wie sie es gebraucht hätte, damit gänzlich weg. Sämtliche Zimmer, und waren sie auch noch so geräumig, waren belegt, boten keinerlei Rückzugsmöglichkeit für sie selbst.

    Des lieben Friedens Willen fand sie sich damit ab und mit den Jahren waren ihre Träume zerronnen.

    Rolands Worte von vorhin hallten Katja noch jetzt in den Ohren und ihr brannte das Wort Macho auf der Zunge.

    Sie wusste, Roland war längst außer Hörweite, trotzdem schickte sie ihm ein sarkastisches „Viel Spaß!" hinterher. War das jetzt gemein von ihr? Ach i wo, sie würde schließlich jetzt auch umgehend ihren Spaß haben. Katja überlegte nur, an was sie sich zuerst erfreuen sollte. Dem Abräumen des Frühstückstisches, dem Fensterputzen und Gardinenwaschen oder dem Reinigen der Badezimmer? Und nicht zu vergessen, bügeln durfte sie auch noch.

    An gar nichts von alledem!, rief das Teufelchen in ihr. Setz dich erst mal gemütlich hin und lies die Zeitung. Vielleicht ist ja heute was bei den Stellenangeboten dabei.

    Die Zeitung lag immer noch da, wo Roland sie hingeknüllt hatte. Katja faltete sie vorsichtig wieder auseinander, räumte dann aber doch schnell erst das Geschirr ab, damit sie auf dem Tisch Platz hatte, mit den Händen das zerknitterte Papier glatt zu streichen.

    Im Gegensatz zu ihrem Mann, der sich vorwiegend für den Wirtschaftsteil interessierte, begann sie mit den Familienanzeigen und arbeitete sich dann langsam zu den Stellenangeboten vor.

    „Wer nicht gerne telefoniert, ist selber schuld - bei uns erwartet Sie eine großzügige Entlohnung für leistungsorientierten Einsatz …" Blabla. Unschwer zu erkennen, dass hier eine telefonische Drückerkolonne am Werke war. Katja hatte allerdings keine Lust, ahnungslosen Leuten irgendwelchen Mist am Hörer aufzuschwatzen und sich damit vielleicht auch noch strafbar zu machen.

    „Wir suchen für die frühen Morgenstunden eine Aushilfe in der Backstube, Kenntnisse von Vorteil … Bäckerei und Konditorei Sauerteig, Tel. …" Nun, sie besaß Kenntnisse vom Brotaufbacken im Backofen oder auf dem Toaster, keine Frage. Auch Kuchen, für die sie jeder lobte, bekam sie prima hin. Da brauchte sie nur im nächsten Supermarkt an den Gefrierschrank gehen und sich was Appetitliches aussuchen. Backen war eben nicht ihr Ding. Fazit: In dieser Anzeige fand Katja lediglich den Namen Sauerteig gelungen.

    Hm, was hatten wir denn da, das hörte sich schon viel besser an: „Liebevolle Kollegin gesucht, brauchst keine Modellmaße, nur sensible Hände und zur richtigen Zeit das richtige Fingerspitzengefühl. Wenn du willst, halten wir dir Kost und Logis frei. Sehr hohe Verdienstmöglichkeiten … Club ORGA Phoenix, Essen, Tel. 0201…" Katja schätzte, bei näherer Betrachtung kam das für sie wohl doch nicht in Betracht. Stattdessen kicherte sie in sich hinein, wofür wohl dieses große ORGA stand.

    Der Übergang zur Metzgerei-Fachverkäuferin verlief fließend, brachte Katja aber auch nicht den gewünschten Aha-Effekt. Im Prinzip stand da nichts, was auch nur annähernd infrage kam. Aufgrund der langen Jahre des ach so schnöden Faulenzens stellte sie offensichtlich zu hohe Ansprüche für ihre Person.

    Das deprimierte, doch sie hatte eigentlich nichts anderes erwartet, warf sie doch seit Monaten täglich einen Blick auf die Stellenseiten. Auffällig dabei, dass die potenziellen Arbeitgeber zwar wechselten, die Stellenprofile aber irgendwie immer die gleichen blieben.

    In der heutigen Zeit schien man schon als Klofrau an der Autobahnraststätte mit dem Abitur aufwarten zu müssen und die Haushaltshilfe bei „Familie Sowieso" hatte mindestens drei Sprachen fließend zu können.

    Jetzt war es Katja, die angewidert die Zeitung zusammenknüllte. Halt! Das da wollte sie aber doch noch lesen …

    Der Artikel über den Einbruch füllte fast eine halbe Seite. In Sekundenschnelle hatte sie das Wichtigste erfasst. Der beschriebene Diebeszug war innerhalb von wenigen Monaten bereits der sechste im Umkreis von fünfzig Kilometern. Die Polizei mutmaßte, dass es sich um eine organisierte Verbrecherbande handelte, die gebietsweise arbeitete. Die Taten verliefen jedes Mal nach demselben Muster. Die Bewohner der Häuser befanden sich im Urlaub, die Alarmanlagen waren gekonnt lahm gelegt. Über die Fluchtwege der Täter wurde wild spekuliert. Keiner der Nachbarn hatte etwas Auffälliges bemerkt. Daher sei zu vermuten, dass sich die Diebe mitten in der Nacht Zugang verschafften. Die Polizei tappte ordentlich im Dunklen und bat alle Leser um Hinweise.

    Auch Katja war es ein Rätsel, wie jemand einfach so mir nichts dir nichts mit einem Sack voll Diebesgut unter dem Arm verschwinden konnte.

    Vielleicht wohnte der Dieb ja sogar in der Nähe, ging es ihr durch den Sinn, und trieb sein Katz- und Mausspiel mit Verwandten, Freunden, Nachbarn.

    Roland!, schoss es Katja plötzlich durch den Kopf.

    Bist du jetzt ganz irre?, schalt sie sich sofort hinterher.

    Da konnte man mal sehen, auf was man für Gedanken kam, wenn man den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hatte als – Rolands Worte! – träumen.

    Der Blick auf die beiden Wäschekörbe entfachte allerdings eher einen Albtraum in ihr und zum Bügeln der darin eingepferchten Wäschehaufen verspürte Katja noch viel weniger als die geringste Lust.

    Stattdessen fuhr sie jetzt den Computer hoch. Auch das Internet durchforstete sie zweimal die Woche. Mit demselben Erfolg, denn angesprochen fühlen durften sich höchstens junge Berufsanfänger, natürlich mit möglichst viel Berufserfahrung.

    Spaßeshalber fütterte sie die Suchmaschine mit: „Bewerben ab Vierzig" und musste feststellen, dass es in diesem Bezug für Greise wie sie mittlerweile sogar eigene Literatur gab.

    Katja stieß auf ein Forum, in dem ihr die verblüffend einfache Frage eines offensichtlich jungen Mannes sofort auffiel. „Meine Mutter ist zweiundvierzig, hat aber nur über zwanzig Jahre alte Zeugnisse, womit soll sie sich bewerben?" Noch weitaus verblüffender die hierauf folgende Antwort eines anderen Forenmitgliedes: „Am besten gar nicht mehr!"

    Katja schluckte und hatte plötzlich das Gefühl, dass es Ronny gewesen sein könnte, der da hinter ihrem Rücken so was fragte. Was natürlich Blödsinn war, denn selbst, wenn er im Internet herumsurfte, kam er doch beileibe nicht auf die Idee, ausgerechnet solche Seiten aufzurufen.

    Für heute war Katjas Bedarf gedeckt. Sie fuhr den Rechner wieder runter und hievte entnervt den ersten der schweren Körbe auf einen Küchenstuhl, damit sie sich nicht bei jedem Wäschestück bücken musste.

    Immerhin brachte ihr die stupide Büglerei den Vorteil, dass sie hierbei, im wahrsten Sinne des Wortes, ordentlich Dampf ablassen und damit ihre aufgestauten Aggressionen abbauen konnte. Sie brauchte das schwere Plätteisen einfach nur besonders hart auf Rolands Oberhemden drücken. Sie war sowieso bescheuert, die blöden Teile nicht einfach in die Reinigung zu bringen. Roland würde es mit Sicherheit nicht einmal merken.

    Während Katja den Entschluss fasste, den nächsten Schwung tatsächlich in Fremdleistung erledigen zu lassen, klingelte das Telefon.

    „Schönen guten Morgen, mein Kind!, dröhnte ihr eine wohl vertraute Stimme verwundert entgegen. „Du bist schon auf?

    Das fragte genau der Richtige! Opa, der in der Regel mindestens bis elf Uhr vormittags in den Federn ruhte und dann den halben Tag im Schlafanzug und seinem ollen Bademantel durch die Wohnung stiefelte.

    „Sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht am Telefon, gab Katja frotzelnd zurück. „Wenn ich dich erinnern darf, ich bin seit halb sieben zu Gange. Wie jeden Morgen übrigens! Ronny ist zur Schule und dein Enkel auf dem Weg zu seinem Schreibtisch nach Düsseldorf. Aber deine Zeit ist das doch wohl in der Regel eher nicht, oder?

    „Nö, erwiderte Opa knapp, „nur, wenn ich ein kleines Malheurchen hab. Sag mal, herrscht dicke Luft bei dir?

    Katja horchte erschrocken auf. Das mit der dicken Luft überhörte sie absichtlich. „Ist was passiert?"

    „Na ja, druckste er herum, „so kann man das schon nennen.

    „Was meinst du mit das, Opa?"

    „Will dich jetzt gar nicht lange stören, wich er aus, „wollte nur fragen, ob ich gleich mal eben vorbeikommen kann?

    Na, dann konnte es ja nichts allzu Schlimmes sein. Katja atmete auf. „Was heißt denn bei dir gleich, Opa, und warum so eilig? Ich meine, hat es nicht vielleicht auch Zeit bis heute Nachmittag?"

    „Nö! Da bin ich verabredet und das Zeug braucht doch immer so lange, bis es getrocknet ist", kam es putzig durch die Muschel.

    „Zeug?, wiederholte Katja argwöhnisch und plötzlich schwante ihr, was Sache war. „Hast du etwa schon wieder eine Delle im Auto? Opa, das ist schon das dritte Mal!

    Doch der überhörte es geflissentlich. „In einer Viertelstunde bin ich da. Danke, mein Kind, aber du bist die Einzige, die das so gut kann!"

    „Übung macht den Meister!", lästerte Katja, aber Robert Diepholtz hörte es nicht mehr. Schnell hatte er die Verbindung gekappt, bevor sie auf die Idee kam, ihm vielleicht doch noch eine Abfuhr zu erteilen.

    „Ist wirklich nur eine Lappalie!, versprach Robert, als er tatsächlich knapp zwanzig Minuten später auf der Matte stand. „Und hier …, er reichte Katja den Werbeprospekt eines neu eröffneten Küchenstudios und einige Briefumschläge, „die Post. Hab grade euren Briefträger getroffen. Der kennt mich ja inzwischen, deshalb konnte ich ihn überzeugen, mir das in die Hand zu drücken. Glaube, er war auch ganz froh, nicht extra reinkommen zu müssen."

    Garantiert hat er dem Ärmsten wieder einen Knopf an die Backe gequatscht, dachte Katja, nahm den Wust Papiere entgegen und legte ihn achtlos auf den Küchenschrank. Gedanklich war sie bereits bei der Arbeit. Den kommenden Ablauf kannte sie mittlerweile zur Genüge.

    „Möchtest du vorher noch einen Kaffee?"

    „Danke, Kind, hab schon. Vielleicht später …"

    Katja seufzte.

    „Glaub mir, ist nur ein kleiner Kratzer."

    Opa und ein kleiner Kratzer? Sie grinste ironisch. „Hast du den Wagen schon in die Einfahrt gestellt?"

    Er nickte.

    Klar, Opa dachte mit.

    „Na, dann … frisch ans Werk!", forderte sie ihn auf, um kurz darauf zu erblassen.

    „Oha! Katja inspizierte die besagte Stelle an seinem knapp vier Jahre alten, roten „Golf, den er rückwärts knapp vor das Garagentor gesetzt hatte, und vermochte kaum zu glauben, was sie da sah. „Wenn du das klein nennst, möchte ich nicht wissen, was du wohl erst unter groß verstehst!"

    Der kleine Kratzer übertraf ihre schlimmste Erwartung. Insgeheim vertrat sie ohnehin die Meinung, dass Opa seinen Lappen besser abgeben sollte. Nicht, weil er fünfundachtzig Lenze zählte, sondern weil er haarsträubend Auto fuhr.

    Doch in dieser Hinsicht besaß er einen überaus sturen Kopf und schmetterte Katjas Vorschläge um andere Fortbewegungsmittel verächtlich ab. „Soll ich vielleicht mit dem Bus zu dir kommen?"

    Dafür hatte er jetzt den Salat. Der Kratzer prangte am hinteren Kotflügel der Beifahrerseite und hatte, realer beschrieben, die Ausmaße eines Minikraters.

    Robert kramte in seiner Jackentasche und zog ein kleines Päckchen heraus. Katja sichtete sofort die zwei Fläschchen mit den mittlerweile vertrauten Aufschriften.

    „Hier, hab Nachschub besorgt."

    „Glaubst du wirklich, damit komme ich aus? Und überhaupt …, erklärte Katja völlig konfus, „muss da im Übrigen wahrscheinlich erst mal wieder eine Grundierung drauf!

    „Ach was, winkte er ungeduldig ab. „Der Verkäufer hat gesagt, das geht auch so. Mach dir also nicht solche Umstände!

    Wollte Opa sie verkohlen? „Hat der sich das überhaupt angeschaut?"

    „Nö, gestand er und knirschte mit dem Gebiss. „Aber ich bin mir sicher, du machst das schon!

    Katja zuckte die Schulter. Wenn er meinte … bitte sehr!

    Robert verschwand um die Hecke, um sich einen der Gartenstühle von der Terrasse zu holen. Anschließend platzierte er sich fröhlich pfeifend vor seinen Wagen und schaute Katja seelenruhig und höchst interessiert bei der Arbeit zu. Offensichtlich gefiel ihm, wie sie da in aller Herrgottsfrühe vor ihm auf den Pflastersteinen hockte und mit dem Rostkratzer die übliche Vorarbeit leistete.

    „Kind, könntest du bei der Gelegenheit auch mal eben da drüben nachschauen?" Damit machte er einen Wink zur Fahrerseite.

    Argwöhnisch schlich Katja in weitem Bogen um ihn und die Motorhaube herum. Sollte sie an diesem Morgen noch nicht blass genug geworden sein, so vollbrachte, was ihre Augen jetzt streifte, den Rest. Mitten auf dem hinteren Türblatt strahlten sie irgendwelche Klebefetzen an. Es war noch zu erahnen, dass diese ursprünglich in der Form eines Rechteckes aufgetragen worden waren, um die tiefe Lackspalte zu verdecken.

    „Was ist denn das?" Fassungslos stand Katja vor dem Greis im Klappstuhl.

    „Och, da war Paketband drauf, ist

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