Ich bin jetzt zehn: Ein Junge schreibt seinem Vater
Von Jonas Kaurek
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Buchvorschau
Ich bin jetzt zehn - Jonas Kaurek
Jonas Kaurek: Ich bin jetzt zehn
Alle Rechte vorbehalten
© 2015 edition a, Wien
www.edition-a.at
Coverfoto: Lukas Beck
Cover: JaeHee Lee
Gestaltung: Hidsch
Lektorat: Angelika Slavik
Gesetzt in der Premiera
Gedruckt in Europa
Namen zum Schutz der Privatsphäre handelnder Personen teilweise geändert.
1 2 3 4 5 – 18 17 16 15
Print-ISBN: 978-3-99001-137-9
eBook-ISBN 978-3-99001-151-5
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
Vorwort des Verlegers
Den Großteil der Zeit tat er die Dinge, die Kinder eben so tun. Während ich mit ihm über das Leben, sein Leben, reden wollte, zeigte er mir sein Furzkissen, beschoss mich mit Plastikpistolen oder versteckte sich einfach irgendwo in dem merkwürdigen Haus, in dem seine Mutter, deren Lebensgefährte und er mit fünf Hunden und zwei Katzen leben. Wie vom Himmel gefallen, steht dieses Haus an einem Weg zwischen Äckern, wo es eigentlich weithin sichtbar sein müsste, doch es duckt sich in die offene Ebene, als wäre es dafür gebaut, sich zu verstecken. Während ungefähr zehn Minuten unserer jeweils zweistündigen Treffen erklärte es mir Jonas dann doch immer: das Leben. Die Liebe, wie sie entsteht, die Wut, woher sie kommt, das Glück, wie es sich herstellen lässt, die Toleranz, was sie bedeutet, Sehnsucht, was sie mit uns macht, Neugier, warum wir sie brauchen, all diese großen Dinge.
Ich war zu ihm gekommen, weil ich mich gefragt hatte, wie es wäre, wenn nicht noch jemand über die begabten Kinder, über Kinder in Patchworkfamilien, über vaterlose Kinder schreiben würde, sondern wenn so ein Kind das einmal selber täte, wenn ich als Ghostwriter, der in vielen Jahren und vielen Büchern gelernt hat, sich zum Instrument anderer zu machen, so einem Kind eine Stimme geben würde. Ich hatte daran gedacht, wie Kinder manchmal weise Dinge sagen, und mich schon oft gefragt, ob diese Art von Weisheit einem geschriebenen Satz standhalten würde.
Dann kamen immer diese zehn Minuten, in denen Jonas mehr zu wissen schien als ich, mehr als wir alle. Wenn ich nicht versuche, das alles zu interpretieren, wenn ich mich von meiner eigenen Stimme befreie und nur die Sätze in Geschriebenes transformiere, die er tatsächlich sagt, dann hält diese Art von Weisheit vielleicht wirklich stand, dachte ich.
Wir redeten und redeten, wochenlang. Jonas zeigte mir, wie einfach scheinbar komplizierte Dinge sind, und welche Tiefe in scheinbar Trivialem liegen kann. Er erinnerte mich daran, wie auch in meinem Leben einmal alles anfing, veränderte mich damit, und wenn er von seinem Vater redete, den er fast nie sieht, und darüber, wie ihn das verändert, hielt er manchmal inne und sah mich an. »Weinst du jetzt gleich, oder was?«, fragte er dann.
Schließlich begeisterte Jonas die Idee, diesem, seinem abwesenden Vater einen Brief zu schreiben. Das Buch, dessentwegen ich eigentlich gekommen war, hatte ihn wenig interessiert, höchstens der Umstand, dass er dabei irgendwie im Mittelpunkt stehen würde, und dass da womöglich allerhand spannende Dinge passieren würden. Doch dieser Brief war ihm ein Anliegen. Also fingen wir, ohne noch lange darüber nachzudenken, an.
Jonas redete, und ich hörte ihm zu und fragte manchmal nach. Ein Jahr lang. Im Winter, im Frühling, im Sommer und im Herbst, und je näher der Winter kam, desto mehr drängte sich mir eine Frage auf, die wir zuerst beiseitegeschoben hatten: Wie wird sein Vater eigentlich darauf reagieren? Dieser Mann, den ich nie kennengelernt habe, zu dem Jonas während der ganzen Zeit über kaum Kontakt hatte, der nicht auf die SMS antwortete, die Jonas ihm am Vatertag schickte, und der ihn zu Weihnachten vielleicht anrufen würde, vielleicht aber auch nicht.
Jonas ist ein Kind, das Entscheidungen treffen kann, ohne sie danach noch groß zu hinterfragen. »Ich weiß das alles«, sagte er zu mir, wenn ich ihm die Unwägbarkeiten des Vorhabens erklärte. Er lächelte dabei tapfer, im Wissen darüber, dass sein Vater den Kontakt zu ihm vielleicht verärgert ganz abbrechen würde, und in der Hoffnung darauf, dass das Gegenteil passieren würde. Damit war das Thema für ihn aber auch abgehakt, denn das war eine weitere Sache, die Jonas mir klarmachte: Wie ätzend es für begabte Kinder ist, Dinge erklärt zu kriegen, die sie schon kapiert haben, noch viel ätzender als für begabte Erwachsene.
Während dieser Brief von Jonas an seinen abwesenden Vater als kleines Buch in Druck geht und auf den Markt kommt, werden Jonas und ich noch immer nicht wissen, wie der Mann darauf reagieren wird. Wie es für ihn sein wird, wenn sein Sohn alles über ihn und sich selbst in einem Buch veröffentlicht, das jeder lesen kann, der es lesen will. In einem Buch, das Jonas ihm in einem handschriftlich adressierten gepolsterten Kuvert schicken wird, ein paar Wochen vor Weihnachten, das ein paar Dinge enthält, die ihn bestimmt überraschen werden, und das vielleicht jeder Vater lesen sollte und jeder Sohn, jede Mutter und jede Tochter, weil es auch sie überraschen könnte. »Ich hoffe das Beste«, sagt Jonas, wenn ich dann doch wieder damit anfange.
Ich denke, er hat wie jedes Kind das Beste verdient.
Bernhard Salomon, November 2015
Wenn wir uns treffen, oder wenn du anrufst, begrüße ich dich immer, als wärst du ein Freund. »Hallo!«, sage ich. Deinen Vornamen spreche ich nicht aus. »Hallo, Peter!« – das wäre komisch. »Hallo, Papa« würde ich sowieso nie rauskriegen. Ich nenne dich manchmal »Dad« (obwohl das eigentlich englisch ist) oder »Vater« (obwohl das ein bisschen unpersönlich ist), aber nur, wenn ich nicht mit