Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Frost Fight
Frost Fight
Frost Fight
eBook289 Seiten4 Stunden

Frost Fight

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ihr Vater im Gefängnis, mit Joe verstritten - die Lage spitzt sich für Vivian zu.
Neben steigenden Gefühlen für Joe und dem nervigen Freund ihrer Mutter hat Vivian genug um die Ohren.
Bei Drohungen bleibt es jetzt ebenfalls nicht mehr, weshalb es für sie umso wichtiger ist, den wahren Mörder von Annabelle ausfindig zu machen.

Frost Fight ist der 2. Teil der "Ice Crime"-Trilogie von Annika Siry.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum27. Okt. 2020
ISBN9783752920178
Frost Fight

Ähnlich wie Frost Fight

Titel in dieser Serie (3)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Kinder – Märchen & Folklore für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Frost Fight

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Frost Fight - Annika Siry

    1. Kapitel

    Ich glaube, es wäre an der Zeit, dir zu sagen, was passiert ist.« Ich blickte in Dads ernstes Gesicht. Ich konnte mich beim besten Willen nicht an das letzte Mal erinnern, an dem Dad nicht ernst und auch nicht ein klein wenig verzweifelt ausgesehen hatte. Freude hatte ich schon lange nicht mehr in Dads Gesicht gesehen.

    So ging es uns allen ja. Na ja, fast allen. Da war natürlich Mom – von ihr brauchte man gar nicht erst sprechen. Sie war ja die Einzige, dich sich so verhielt, als sei nichts passiert. Manchmal schien sie doch etwas besorgt zu sein, aber es war nie etwas ernsteres. Es machte mich zum Teil sogar ein wenig sauer, dass sie sich einen Dreck darum kümmerte, was mit Dad passiert war. Als würde sie Dad gar nicht mal richtig kennen.

    Ich kam mir schon fast vor, als wären wir die Familie des Opfers gewesen.

    Annabelle Grayburn.

    Sie... sie lebte nicht mehr. Es war offensichtlich gewesen, dass sie diesen Vorfall nicht überleben würde. Nicht nach einem Schuss in den Rücken.

    Ich hatte es eigentlich schon viel früher gewusst. Doch ich hatte mir immer gesagt, dass ich nur halluziniert hatte, dass die Polizisten Recht hatten und wir wenig später eine quicklebendige Annabelle finden würden.

    Natürlich passierte nichts von dem. Als man wirklich festgestellt hatte, dass Annabelle – man konnte es nicht schön formulieren, das ging nicht – tot war, war die Wahrheit erst in mich hineingesickert .

    »Ich... ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«

    Ich seufzte und blickte schuldbewusst auf den Boden. Dad war dabei, die ganze Wahrheit herauszufinden und zwar die ganze Wahrheit. Leider beschränkte sich das nicht auf eine Nacht. Es war die ganze Geschichte, von vorne bis hinten.

    »Fang einfach am Anfang an.« Dad lächelte, doch es war kein glückliches Lachen, sondern ein trauriges. Ich konnte Dad dabei nicht in die Augen sehen. Dafür schämte ich mich zu sehr. Vor allem nach dem einen Vorfall. Dem Vorfall.

    Also befolgte ich Dads Ratschlag.

    Ich erzählte ihm alles. Alles, was passiert war.

    Dad hatte nach wie vor eine besondere Begabung dafür , seine Gefühle nicht zu zeigen. Deshalb konnte ich nicht direkt sagen, was er gerade von mir dachte. Ob er mich gerade hasste, für das, was ich getan hatte. Oder ob er es vielleicht gar nicht mal so schlimm finden würde.

    Als ich mit meiner Geschichte endlich fertig war, sah ich Dad etwas beklommen an und machte mich auf eine Standpauke gefasst. Vielleicht nicht gleich eine Standpauke, aber ich würde definitiv danach keine Umarmung und Begeisterung bekommen.

    »Ich wusste schon immer, dass du irgendwann mal so etwas machen würdest« sagte Dad und lächelte vor sich hin. »Allerdings hätte ich nicht damit gerechnet, dass du so weit gehen würdest.«

    Ehrlich gesagt konnte ich noch nicht so ganz etwas mit dieser Reaktion anfangen. Ich konnte sie nicht wirklich deuten. War Dad jetzt sauer auf mich? Enttäuscht, womöglich?

    Ich musste etwas schuldbewusst auf den Boden starren. Vor allem, da ich überhaupt nicht mit einer solchen Reaktion von Dad gerechnet hätte.

    Er hatte immerhin geschmunzelt.

    »Du... bist also nicht überrascht?« fragte ich vorsichtig.

    »Vivian, dir ist hoffentlich bewusst, dass ich bereits viel früher davon wusste, oder?« Viel früher davon gewusst? Wie war das möglich? Meinte Dad das ernst? Hatte er wirklich bereits zuvor schon gewusst, dass ich versucht hatte, Annabelles Entführer – Mörder – zu finden? Jetzt war ich noch verwirrter als zuvor.

    »Woher wusstest du davon?« fragte ich erstaunt. Mit dieser Wendung hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Erst recht nicht kommen sehen.

    »Na ja, ich hab an einem Abend deinen Steckbrief über Annabelle auf dem Wohnzimmertisch gefunden. Ab dem Zeitpunkt war mir eigentlich klar, was du so treibst. Auch dein mitternächtlicher Spaziergang. Da konnte ich mir irgendwo schon denken, was du vorhattest.« Dad war komplett ruhig und gelassen, als würden wir gerade über meine Sommerferien reden. Ich konnte nicht ganz nachvollziehen, wieso. Es war doch komplett irrational gewesen, was ich getan hatte. Und das wusste ich sogar selber. Zwar war ich nicht alleine gewesen – Joe war genauso an dem Ganzen beteiligt, doch änderte das überhaupt etwas an der Tatsache?

    Mom wäre bestimmt ausgeflippt, hätte mir Hausarrest gegeben oder sonst noch was. Gar nicht mal, weil sie mich beschützen wollte oder Ähnliches, sondern einfach aus Prinzip.

    Dad konnte mir ja schlecht Hausarrest geben.

    Er stand selber unter Arrest.

    »Und... bist du sauer auf mich?« flüsterte ich. Ich wusste nicht, wieso ich flüsterte. Als hätte ich Angst, jemand anderes könnte mir zuhören. Ich merkte erst jetzt, dass meine Stimme zitterte.

    Irgendwie schien Dad nicht sauer auf mich zu sein, was ich mir wirklich nicht erklären konnte. An dieses Gefühl hatte ich mich allerdings mittlerweile schon gewöhnt – seit einer Woche konnte ich mir einiges nicht erklären.

    »Natürlich nicht.« Dad lächelte mich an, als ich erstaunt den Kopf hob. »Im Gegenteil: Ich bin wirklich stolz auf dich.«

    Stolz auf mich?

    Dad hätte genauso gut sagen können, dass mir blonde Haare stehen würden und ich wäre dennoch weniger erstaunt gewesen als ich es jetzt war.

    »Du bist stolz auf mich?« fragte ich verwundert, leicht aus dem Konzept gebracht.

    »Ja, ich bin stolz auf dich. Aber Viv–« Dad packte mich an meinen Schultern, so unerwartet und plötzlich, dass ich kurzzeitig zusammenzuckte.

    »Die Umstände mögen zwar etwas anderes sagen, aber du musst mir versprechen, dass du dich ab sofort aus dem allen heraushältst.« Was? Langsam löste sich die Verwirrung in mir. Dad war stolz auf mich, doch er wollte einfach nicht, dass ich weitermachte, da es wahrscheinlich zu gefährlich für mich war. Zumindest seiner Meinung nach. Ich konnte doch auf mich aufpassen. Außerdem ging es hier nicht um mich, sondern um Dad. Um seine Zukunft, nicht meine.

    »Aber Dad!« rief ich, merkte dann aber, dass ich etwas laut geworden war und versuchte, mich wenigstens ein kleines bisschen zu beruhigen.

    »Dad« setzte ich erneut an, dieses Mal in leiserem Ton. »Das kann ich nicht machen. Ich kann doch nicht tatenlos zusehen, wie die dich verhaften!« Meine untere Lippe fing an zu beben, also biss ich darauf, um es ruhig zu stellen. Ich wollte nicht wie ein kleines Mädchen rüberkommen. Ich war schon erwachsen genug, um einen Fall alleine lösen zu können. Außerdem hatte ich noch zusätzlich Joes Hilfe an meiner Seite.

    Wenn er sich denn melden würde.

    Eigentlich hast du bereits tatenlos zugesehen, wie dein Vater verhaftet wurde.

    Meine innere Stimme.

    Unwillkürlich musste ich zurückdenken, zwei Tage vorher. Erinnerungen strömten in mein Gehirn.

    Ich war alleine gewesen, in meinem Zimmer, bei Dad. Dann war der Schuss gefallen, ich hatte Panik bekommen. Nachdem ich in Dads Büro gekrochen war, hatte ich die Polizei gerufen. Und als sie wenig später angekommen waren, hatten sie in unserem Wohnzimmer eine Leiche gefunden. Nicht irgendeine Leiche... Es war Annabelle gewesen.

    Das Schlimme an der ganzen Sache war, dass ich praktisch für Dads Verhaftung verantwortlich war. Wäre ich bloß länger in der Schule geblieben, wäre ich nicht gleich in Panik geraten, dann säßen Dad und ich gerade wahrscheinlich zu Hause auf dem schönen weißen Ledersofa und nicht hier im Gefängnis. Wir würden zwar eine Leiche in unserem Haus verstecken müssen, aber das war mir immer noch viel lieber als ein Vater, der fälschlicherweise als Mörder bezeichnet wurde.

    Alles meine Schuld.

    »Viv, es mag zwar für dich noch nicht danach aussehen, aber glaub mir, dieser Täter ist gefährlicher als du denkst.« Dads Miene wurde finster. Klar, Dad konnte nicht wissen, dass ich schon mehrere – insgesamt drei – Bekanntschaften mit Annabelles Mörder gemacht hatte. Ich musste beschämt eingestehen, dass ich diesen Teil weggelassen hatte. Er sollte sich wegen mir nicht unnötig Sorgen machen. Was er jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit ohnehin tat.

    Außerdem hoffte ich noch immer, dass ich es mir bloß eingebildet hatte, wobei das ziemlich unwahrscheinlich war.

    »Aber Dad! Sonst werden die dich als Mörder verurteilen! Für immer! Und das, obwohl du vollkommen unschuldig bist!« widersprach ich Dad, obwohl ich nur zu gut wusste, wie sehr er eigentlich Recht hatte. Aber so leicht würde ich nicht aufgeben. Gerade jetzt war es mir noch wichtiger denn je, den Fall zu lösen und Annabelles wahren Mörder zu finden. Vorher war es nur eine Art Spiel gewesen, als sei man Detektiv, als könne man mal in eine andere Rolle schlüpfen.

    Ja, ich hatte es schon damals ernst genommen. Doch ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass ich es nicht sehr weit bringen würde. Das Einzige, was mich dazu gebracht hatte, weiter zu machen, waren die Drohungen gewesen. Es klang ironisch, doch sie hatten mir gezeigt, dass ich Teil von dem Fall war. Dass ich mit darin verwickelt sei. Und dass ich deswegen nicht aufgeben sollte.

    Jetzt war alles aber noch viel ernster. Jetzt ging es darum, Dad zu helfen. Seinen Ruf zu retten, ihn zu retten. Bis auf mir sah ich da niemanden, der das tun konnte.

    In der Ferne hörte ich Schritte, die aus dem Gang ertönten. Ich konnte erahnen, um wen es sich handeln musste.

    Schnell wandte ich mich weg von Dad und sah aus dem metallenen Gitter hinaus in den Gang. Tatsächlich handelte es sich um Frank Mowen, der gekommen war, um mich aus der Gefängniszelle zu holen, aus der Untersuchungshaft, in der Dad steckte. Ich musste ihn jetzt alleine lassen, so merkte ich.

    »Vivian? Vivian Hardt?« fragte Mowen und öffnete die Gefängniszelle. »Es wird Zeit.«

    Er klang ebenfalls betroffen – so wie Dad und ich auch. Ich konnte gut verstehen, wieso. Immerhin waren Dad und Frank wirklich gute Freunde. Es war schwer zu glauben, dass einer Polizist war und einer Mörder.

    Aber Dad war kein Mörder.

    Dad würde niemals ein Mörder sein.

    Jeder, der Dad kannte, musste doch wissen, dass es ein Fehler gewesen war. Bloß weil Annabelle in Dads Haus aufgetaucht war und bloß weil Dad kein Alibi hatte, hieß es noch lange nicht, dass er sie ermordet hatte. Und dann war da natürlich noch die andere Sache, an die ich nicht gerne dachte.

    Anscheinend hatte es noch weitere Beweise gegeben, doch bisher war ich noch im Unklaren darüber geblieben, was es genau für welche waren. Ich wusste nur von drei Beweisen: das fehlende Alibi, der Tatort und... die Waffe. Aber das mit der Waffe beunruhigte mich immer zu sehr, als dass ich daran denken konnte.

    Egal, wie, es war jemand anderes gewesen. Ich war mir zu hundert Prozent sicher.

    Doch bis auf Mom und Frank glaubte das sonst keiner. Nicht einmal Joe. Erst recht nicht Joe.

    Im Gegenteil. Er hatte auf jede einzelne meiner Facebook-Nachrichten keine Antwort gegeben und das, obwohl er sie gelesen hatte – das hatte mir Facebook verraten.

    Ich war mit meinem Leben so ziemlich am Ende der Welt angekommen. Dass man meinen Vater – meinen Vater! – für einen Mörder hielt, war so, als hätte man mich selbst beschuldigt.

    Ich stand auf. »Bis bald, Dad!« sagte ich und blinkte meine Tränen aus den Augen. Ich wollte nicht wie eine Heulsuse dastehen.

    Ich wollte mich gerade von Dad abwenden, doch er stand ebenfalls auf und packte mich am Arm. »Vivian, versprichst du es mir?« fragte Dad und ich konnte etwas Verzweiflung in seinen Worten hören.

    Für mich klang die Frage eher wie eine Forderung, auf die es nur eine Antwort geben konnte: Ja, ich verspreche es dir.

    Aber ich konnte es Dad nicht versprechen.

    Wenn ich das tun würde, würde er beim Gerichtsprozess für schuldig erklärt werden. Und niemand würde daran zweifeln. Bis auf Mom – die ohnehin nichts dazu beitragen würde – und mir würde jeder Dad für Annabelles Mörder halten.

    Fälschlicherweise.

    Betroffen zog ich meinen Arm von Dads Hand und lief zum Gitter, zum Ausgang, weg von dieser dunklen Hölle. Als ich fast bei Frank angekommen war, drehte ich mich nochmal zu Dad um. Ich sah ihm nicht in die Augen, ich konnte mich nicht dazu bringen. Stattdessen starrte ich einfach auf den grauen Boden unter unseren Füßen. Was ich als Nächstes tun sollte – ich konnte es nicht tun.

    »Ja, ich verspreche es dir.«

    Sofort breitete sich Erleichterung in Dads Gesicht aus und ich musste aufgrund meiner Schuldgefühle wegschauen. Wie konnte ich nur...

    »Bis bald, Dad« flüsterte ich in leisem Ton, doch Dad schien mich trotzdem zu verstehen.

    »Wir sehen uns.« Dad lächelte mir zuversichtlich zu.

    Ich sah noch ein letztes Mal zu Dad, bevor ich mich umdrehte und Frank aus der Zelle folgte. Hinter mir hörte ich, wie das Schloss zuklickte und ich wollte mich nochmal umdrehen, doch ich wagte es nicht.

    Auf dem Weg zum Aufzug holte mich Frank ein. »Es tut mir wirklich leid« sagte er etwas zögernd, als wüsste er nicht genau, wie er anfangen sollte. »Ich bin der festen Überzeugung, dass Rick – dass dein Vater – nichts damit zu tun hat. Und ich werde alles daran setzen, seine Unschuld zu beweisen. Du hast mein Wort.«

    Es beruhigte mich etwas, doch inwiefern Frank etwas bringen würde, konnte ich auch nicht sagen.

    »Ist es – ich meine, wäre es möglich, dass sie mir sagen, wieso Dad verhaftet worden ist?«

    Frank grinste etwas verlegen und bekam rote Ohren. Ich fragte mich, wieso er eigentlich Polizist geworden war, wenn er immer so schüchtern war. »Also um ehrlich zu sein dürfte ich dir davon nichts verraten« sagte er und kratzte sich am Kopf. »Ich meine, dass man Annabelle in seinem – eurem – Haus gefunden hat, trägt zum Großteil dazu bei, dass er verhaftet worden ist. Rick hat aber auch kein Alibi und außerdem...« Frank hielt inne und ich fragte mich, ob der letzte Teil womöglich eine Information war, die ich nicht wissen durfte. Dass mit der Waffe wusste ich schon. Was sollte es dann also sein? Und wieso durfte ich es dann nicht wissen?

    »Und außerdem?« hinterfragte ich, in der Hoffnung, noch mehr Informationen aus ihm fischen zu können.

    »Vergiss es lieber« murmelte Frank Mowen und wies mich in den Aufzug. Ich stieg hinein und die Türen schlossen sich, sodass die unangenehme Sicht des Reviers aus meinen Augen versperrt wurde.

    Ich fragte mich, ob ich weiter nachhaken sollte. Ich wollte wirklich gerne wissen, was der dritte beziehungsweise eigentlich vierte Punkt war. Vielleicht konnte ich diesen Punkt ja sogar widerlegen und Dads Unschuld dadurch beweisen. Es war nur eine kleine Vorstellung, eine kleine Hoffnung in dieser vollkommenen Dunkelheit, doch es ließ mein Herz trotzdem schneller schlagen.

    »Ich will es aber nicht vergessen« sagte ich etwas leise. Dann schwiegen wir eine Weile.

    Frank schreckte mich plötzlich aus meinen Gedanken. »Vivian? Alles okay?« fragte er und sah mir in die Augen. Er sah ziemlich besorgt aus. Und müde. Als hätte er in letzter Zeit keinen Schlaf gehabt.

    »Jaja, alles bestens« murmelte ich. Die Aufzugtüren öffneten sich und Frank schob mich sanft aus dem Aufzug in den grauen Gang. Ich konnte bereits den Ausgang sehen. Die Glastüren am anderen Ende des Korridors, durch die helles Sonnenlicht hindurchdrang und das Revier etwas aufhellte.

    »Ich meine es Ernst« sagte Frank. »Ich werde alles tun, um die Unschuld deines Vaters zu beweisen. Du musst dir darüber wirklich keine Sorgen machen. Ich sehe, dass du den Schlaf gut gebrauchen kannst.«

    Wir hatten mittlerweile die Glastüren erreicht. Ich seufzte. »Danke« sagte ich. »Danke, dass Sie das für Dad machen.«

    »Ich mache das nicht nur für ihn« sagte Frank und lächelte mir noch zu, als die Glastüren schon hinter mir zufielen. Ich wollte ihn gerne fragen, was er damit gemeint hatte, doch er hatte sich bereits umgedreht.

    Ich dachte wieder an Dad. Das Versprechen.

    Ich drehte mich um und sah auf die Straße vor mir. Ich würde mein Versprechen nicht halten.

    2. Kapitel

    Es hatte bereits mehrfach an der Tür geklopft, doch ich war nicht in der Stimmung, mit jemandem zu reden. Glücklicherweise war Mom nicht Zuhause, sondern einfach weg (ich wusste nicht, wo sie eigentlich war, doch das war bei uns beiden nichts Besonderes). Irgendwann stand ich doch auf, um die Tür zu öffnen, denn ich hielt das Geklopfe nicht mehr aus. Es war Henry, so stellte ich fest. Und er war ganz schön hartnäckig gewesen.

    »Hey Viv« murmelte Henry etwas verlegen.

    »Henry?« Ich war etwas erstaunt, denn ich hatte nicht mit ihm gerechnet. »Wieso hast du nicht geklingelt?« fragte ich.

    »Eure Klingel ist kaputt.« Typisch Moms Wohnung. Das war ja schon fast zu erwarten gewesen. »Ist ja auch egal. Ich wollte fragen, wie es dir denn geht nach dem, was passiert ist...« Henrys Blick wanderte mit einer gewissen Unsicherheit vom Boden herauf zu mir.

    »Komm rein.« Wir gingen in mein Zimmer, wo wir uns beide auf meinem Bett breit machten. Ich wusste nicht genau, wo ich anfangen sollte, also begann ich einfach mit dem Gedanken, der die ganze Zeit schon durch meinem Kopf kursierte. »Die Sache ist Folgende, Henry. Mein Dad ist wegen mir verhaftet worden! Es ist allein meine Schuld.«

    Henry legte seinen Arm um meine Schultern und drückte mich an ihm. Das Gewicht seines Arms war irgendwie beruhigend. »Das ist doch gar nicht wahr. Du kannst überhaupt nichts dafür, dass Annabelle plötzlich in eurem Haus gewesen ist. Und dass du die Polizei angerufen hast, hat ja eigentlich nichts damit zu tun, das weißt du doch auch.« Schön wäre es ja. Aber die Schuldgefühle wollten einfach nicht verschwinden.

    »Das sag ich mir ständig auch, aber hätte ich mich nicht so angestellt und wäre erst nach unten gegangen, hätte ich auch einfach dafür sorgen können, dass niemand von Annabelle erfährt und dann wäre Dad nicht – und alles wäre noch in Ordnung.« Ich hielt kurz inne. Dann fuhr ich in etwas bitterem Ton fort. »Aber nein, natürlich nicht, nein, ich hab mich einfach nur dämlich angestellt, siehst du nicht Henry, es ist alles meine Schuld!« Ich musste erneut anhalten, ich musste meine Gedanken sortieren. Es war alles so schnell gegangen. Es waren bloß zwei Tage, doch es schien wie so viel mehr.

    »Hey, ganz ruhig.« Henry drehte mich zu ihm, dass wir uns beide direkt in die Augen sahen. »Ganz ruhig. Vivian, es ist nicht deine Schuld. Es ist allein die Schuld von dem Mörder von Annabelle und der ist nicht dein Vater. Okay?«  

    Mein Blick wanderte nach unten auf meine zitternden Hände. »Ach Henry, wenn ich nur immer so einen kühlen Kopf behalten könnte wie du.« Ich seufzte und musste sogar leicht schmunzeln, doch eher melancholisch als glücklich.

    »Und ich meine, was haben die Polizisten denn schon gegen deinen Vater in der Hand?« Henry lächelte verlegen. Er versuchte, ein nervöses Lachen von sich zu geben und scheiterte dabei. Ich musterte nachdenklich sein Gesicht.

    »Na ja Henry, das ist ja genau das Problem. Zuerst haben die Polizisten Annabelles Leiche in Dads Haus gefunden, bei einer Befragung kam raus, dass Dad kein Alibi hat und außerdem–« Ich schluckte. »Außerdem waren zwei Kugeln von Dads Waffe verschwunden und weißt du, wo sie aufgetaucht sind? Die einzige Kugel in Annabelles Rücken entspricht genau Dads Waffe, welches auch Pulverrückstände auf dem Austrittsloch aufweist. Man hat sogar den Tatort gefunden. Anscheinend wurde Annabelle in unserer Waschküche umgebracht – es gibt Blutspuren und man kann ziemlich deutlich sehen, dass Annabelle erschossen wurde – ein Fehlversuch, das ist die zweite Kugel, welches sich in der Wand bemerkbar gemacht hat – und dann wurde sie ins Wohnzimmer getragen – es gibt Bluttropfen im Gang. Ich weiß echt nicht, was ich noch machen soll, ich meine, es spricht eigentlich überhaupt nichts gegen meinen Vater und... was soll ich denn jetzt machen?« Ich brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass ich gerade scheußlich aussah. Meine Gedanken waren nicht gerade besser. Genauso wenig Dads Aussichten.

    »Das klingt wirklich gar nicht gut, Viv. Aber was ist mit dem Motiv? Dein Vater hat doch gar kein Motiv! Er hat keinen Grund, Annabelle umzubringen.«

    »Ein Motiv...?« Ich musste nicht lange überlegen. »Oh doch. Sogar das hat er. Ich. Ich bin sein Motiv. Annabelle ist meine Konkurrentin beim Eiskunstlauf. Schau, ich bin an allem schuld, Henry, an allem.« Ich seufzte erneut. Natürlich musste es alles so gut passen – es sollte mir ja nicht leicht fallen, Dad irgendwie aus der Patsche holen zu können. Es war eigentlich das erste Mal, dass ich so ausplauderte, was letztendlich alles passiert war. Und es fiel mir nicht leicht, das alles einzusehen und zu verdauen.    

    »Aber dein Dad hat doch bestimmt ein Alibi von dem Abend, als du die Schüsse gehört hast. Da war er doch am Arbeiten, oder? Ich meine, er ist mit den anderen Polizisten zu euch nach Hause gefahren.«

    »Schön wär’s.« Ich starrte betroffen auf mein ungemachtes Bett. »Er ist aber nicht im Revier gewesen.«

    »Und wo dann?« fragte Henry verwirrt. Verwirrt, das war ich auch.

    »Keine Ahnung. Ich wollte Dad nicht fragen, das wäre irgendwie... Du weißt schon.« Ich hatte Dad nicht verletzen wollen. Denn wenn ich hinterfragte, wo er gewesen war, hieß es ja praktisch, dass ich auch Zweifel an seiner Geschichte hätte.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1