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Ice Crime
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eBook279 Seiten4 Stunden

Ice Crime

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Über dieses E-Book

Am Tag nach dem regionalen Eislaufwettbewerb von New Willows, einem kleinen Städtchen in Amerika, findet Vivian Hardt heraus, dass ihre Konkurrentin Annabelle spurlos verschwunden ist. Nachdem sie deren Leiche im Wald entdeckt und dann auch noch mehrmals von jemandem bedroht wird, beschließt sie, gemeinsam mit Annabelles älterem Bruder Joe dem Fall auf die Spur zu gehen. Das entpuppt sich allerdings nicht nur wegen dessen arroganten Charakters als schwieriger als erwartet...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Okt. 2020
ISBN9783752920109
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    Buchvorschau

    Ice Crime - Annika Siry

    Inhalt

    Grafik 12

    Annika Siry

    Ice Crime-Trilogie

    Ice Crime

    Frost Fight

    Snow Down

    2. Auflage 2020

    Copyright © 2016 Annika Siry

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlaggestaltung, Illustration: Annika Siry

    Lektorat, Korrektorat: Deborah Siry

    Verlag: Annika Siry, Nightingalestraße 3, Heidelberg, annika.siry@gmail.com

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    DEBORAH,

    das ist für dich.

    Ohne deine Unterstützung

    wäre das niemals was geworden.

    PROLOG

    Das alles wäre vielleicht gar nicht passiert, wenn ich mich nicht so dumm angestellt hätte. Na ja, einiges davon wäre passiert, doch vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie es letztendlich war. Doch dann denke ich mir, dass es doch viele positive Seiten hatte. Aber manchmal überwiegen einfach die negativen.

    Es begann alles damit, dass ich den Lehrern auf der privaten High School in Seattle zu sehr auf die Nerven ging. In anderen Worten: Ich flog von der Schule. Die Auswirkungen waren leider fataler als ich gedacht hätte. Mom war richtig sauer auf mich und meinte, dass sie sich in Seattle nicht mehr blicken lassen konnte. Das gewöhnliche Blabla. Dabei schien ihr wohl nicht klar zu sein, dass Seattle etwas größer war als sie es kannte. Als ob jemand da wissen würde, dass ihre Tochter von der Schule geflogen war. So oder so war das Endergebnis davon leider, dass wir nach New Willows zogen.

    New Willows, ich finde, der Name sagt schon alles. Eine kleine Stadt in der Nähe von Seattle, etwa eine halbe Stunde weit weg. New Willows ist sogar so klein, dass es nur zwei High Schools hat. Das einzig Positive an diesem kleinen Dorf ist, dass es eine Eissporthalle hat. Für mich mein zweites Zuhause. Und da wäre noch etwas: Ich hatte endlich die Möglichkeit, mehr Zeit mit meinem Dad verbringen zu können. Er wohnte nämlich zu dem Zeitpunkt schon seit zwei Jahren in seiner eigentlichen Heimatstadt. Meine Eltern ließen sich voneinander trennen, als ich vierzehn war. Und Dad zog daraufhin nach New Willows.

    Dennoch freute ich mich irgendwie doch ein bisschen auf diesen Neuanfang. An meiner alten Schule hatte ich zwei beste Freundinnen gehabt – Kathy und Fiona. Kathy war immer im Mittelpunkt von allem und allen gewesen. Fiona und ich blieben da oftmals im Schatten links liegen. Ich war nicht unbeliebt, nein, aber beliebt war ich auch nicht. Leider versprach ich mir zu viel. Als ich das erste Mal in meinen Englischkurs kam, krachte erstmal mein Stuhl zusammen. Dank zwei idiotischen Jungs namens Dave und Joe, die die Beine des Stuhls zersägt hatten. Joe ist eigentlich ein Fall für sich. Jedenfalls wäre da dann noch Henry. Mein erster Sitznachbar an der St. Crester High School. Und mein bester Freund. Wir waren irgendwie gleich befreundet gewesen, einfach so. Im Nachhinein betrachtet war das eigentlich gar nicht mal einfach so, doch im Nachhinein ist ja sowieso alles letztendlich anders. Weil man später immer schlauer ist. Wäre ich das bloß schon davor gewesen, ich hätte mich nie darauf eingelassen. Meine Hoffnungen, beliebter zu sein als in Seattle, entpuppten sich als viel zu optimistisch. Ich wurde nämlich gleich zum absoluten Loser des Jahrgangs. Dank den zwei Jungs von vorhin. Und ihren behämmerten aufgeschminkten Freundinnen namens Tracy Stele und Cassandra Cole. Glücklicherweise hatte ich noch Henry, der liebe Henry. Er stand mir immer zur Seite, auch jetzt noch. Zugegebenermaßen schien alles ziemlich düster auszusehen. Doch das war es gar nicht mal. Immerhin habe ich auch einige positive Ereignisse erlebt. Mit Leuten, mit denen ich zuvor kein Wort hatte reden wollen. Mit Leuten, die mich immer genervt hatten. Und am Ende entpuppen sich manchmal die schlimmsten Menschen als die nettesten.

    1. KAPITEL

    Meisterklasse Nr. 1, beste Eiskunstläuferin des Vereins, schon ein Dutzend Pokale und Medaillen gewonnen und schon tausendmal in der Zeitung gewesen: Annabelle Grayburn. Wow. Wenn jemand im Eislaufen einmalig war, dann sie.

    Im Gegensatz zu mir. Heute fand der regionale Pokal-Wettbewerb für Eiskunstlauf statt und ich hatte die große Ehre, gegen Annabelle antreten zu dürfen. Nicht, dass ich diese Ehre haben wollte.

    Der Wettbewerb beschränkte sich auf New Willows und dessen Nachbarstädte. Dummerweise – zumindest für mich – kam Annabelle aus Elder Grove, dem Bombenviertel von New Willows. Diesen Pokal würde sie also unter keinen Umständen sausen lassen. Immerhin war hier gerade die Rede von Annabelle. Ich wollte ja nicht gemein klingen, aber sie war total hochnäsig, angeberisch und sah auf jeden einzelnen Menschen herab.

    Und ich sprach aus Erfahrung.

    Schon seit Längerem waren wir im gleichen Verein und sahen uns deswegen leider so ziemlich jedes Wochenende. Meine Begeisterung, sie immer auf der Eisfläche zu sehen, hielt sich jedes Mal aufs Neue in Grenzen, denn sie meinte immer, man müsse ihr beim Trainieren aus dem Weg gehen, weil sie ja so toll sei.

    Gegen Annabelle anzutreten war für mich nichts Neues. Als ich noch in Seattle gewohnt hatte, hatte ich bereits das Vergnügen gehabt. Die mittlerweile 18-jährige Tussi war damals noch 15 gewesen – und ich 12 – und hatte eben, genauso wie ich, an einem bundesweiten Wettbewerb teilgenommen (er hatte in Seattle stattgefunden) und – wer hätte es gedacht – gewonnen. Damals waren wir noch in der gleichen Kürklasse gewesen, obwohl sie deutlich älter gewesen war. Jetzt war sie natürlich viel besser als ich. Aber dieser Wettbewerb wurde natürlich nach Alter und nicht nach Kürklasse geordnet.

    Mir war mehr als bewusst, dass ich heute keine Chance auf den ersten Platz hatte, was ich allerdings nicht weiter als schlimm empfand. Natürlich wäre eine goldene Medaille ganz nett, aber ich war ja nicht nur aufs Gewinnen ausgesetzt. Mein Name war ja nicht Annabelle.

    Aufgeregt stach ich mit der Spitze meines weißen Eiskunstlaufschuhs in den Boden. Obwohl ich schon an zahlreichen Wettbewerben teilgenommen hatte, konnte ich diese Anspannung nicht verhindern.

    Mein Blick wanderte zu Annabelle, die voller Selbstvertrauen am Eingang stand und eifrig darauf wartete, dass sie aufgerufen wurde. Von Nervosität keine Spur.

    Irgendwo bewunderte ich Annabelle. Ihr Talent, ihr Selbstbewusstsein… Sie hatte die perfekten Voraussetzungen für eine Profieiskunstläuferin. Zwar hatte ich andere Zukunftspläne, aber ich wollte nicht gerade zu den Schlechten dazugehören.

    Aber ich sollte mir andere Gedanken machen. Beispielsweise Aufwärmen, das wäre jetzt eine ganz gute Idee.

    »Nr. 11: Grayburn Annabelle, bitte auf das Eis. Nr. 11: Grayburn Annabelle« sagte der eine Kerl aus der Jury. Durch das zerkratzte Fenster konnte man ihn nicht wirklich gut erkennen, aber auf jeden Fall hatte er schwarze Haare, die so lang waren, dass er sie zusammen gebunden hatte. Zusätzlich trug er noch einen Anzug, welches ebenfalls schwarz war. Sah ganz schön düster aus, so komplett in schwarz. Angeblich, so das Infoblatt über den Wettbewerb, war er früher einmal ein professioneller Eiskunstläufer gewesen. Hatte sogar mal Amerika bei den Olympischen Spielen vertreten. Mit 30 hatte er aber einen Bandscheibenvorfall gehabt und war seitdem Mitglied der Jury. Tolle Entschädigung!

    Annabelle drehte sich noch ein letztes Mal zu ihren Eltern und ihrem Bruder um, hob ihre Daumen nach dem Motto ›Ich hab sowieso schon gewonnen‹ hoch und betrat dann das mittlerweile schon zerkratzte Eis, ehe sie einen äußerst eleganten Knicks in Richtung Jury machte.

    Ich wollte nicht so richtig zuschauen, weil es nicht gerade meinen Nerven gut tat, aber bei Annabelle war das schon fast ein Muss. Bei ihr hatte man tatsächlich das Gefühl, sie würde über das Eis schweben.

    Die ersten Töne eines Musikstücks aus Schwanensee ertönten und Annabelle begann, zuerst mit einem dreifachen Salchow und einem dreifachen Toeloop, angeschlossen von Pirouetten und Rittberger-Schritten mit einem anschließenden zweifachen Axel.

    Wow. Ich konnte da nur staunen.

    Ich musste weggucken. Mein Blick wanderte zu den Zuschauern. Annabelles Eltern, die sie eifrig anfeuerten, ihr doofer Bruder Joe, der in meinem Jahrgang war und mir tierisch auf den Geist ging. Und dann war da natürlich Henry, mein einziger Fan im ganzen Eisstadion und gleichzeitig mein bester Freund. Ich winkte ihm zu.

    Unwillkürlich suchten meine Augen wieder nach Annabelle. Man konnte sich einfach nicht von ihr wenden. Zumindest für längere Zeit.

    Mittlerweile machte sie eine Biellmann-Pirouette, die natürlich perfekter als perfekt aussah. Wieso sie überhaupt noch trainierte, war mir ein Rätsel. Sie konnte doch sowieso schon alles.

    Ich hatte irgendwo das Gefühl, bei den Olympischen Spielen dabei zu sein, so wie Annabelle gerade ihre Kür durchlief. Eigentlich war das gar nicht mal so abwegig – immerhin war es ja Annabelles Traum und Ziel, bei der Olympia mitzumachen. Ich war echt überzeugt davon, dass sie es irgendwann schaffen würde. Wirklich.

    Annabelles blonde, eigentlich ja schon fast goldene Haare wehten im Wind bei ihrem Tempo und ihr weißes Trikot drehte sich zu einem wunderschönen Kreis bei jeder Pirouette, die sie machte. Es war, als würde man einen Engel beim Fliegen beobachten. Sie sah so unglaublich aus, dass ich einen Moment lang meine ganze Aufregung vor meinem eigenen Auftritt vergaß und einfach zusah, wie reizvoll Annabelle über das Eis glitt.

    Wow...

    Als sie dann aber fertig war, schien es mir, als würde ich gerade von einem Traum aufwachen. Ich war zurück in der grauen Realität. Und ärgerte mich über meine dahinschmachtenden Gedanken. Denn es war immer noch von Annabelle, der Oberzicke, die Rede.

    Mit dieser ganzen Ablenkung hatte ich beinahe meinen Auftritt vergessen. Ich war ja nach Annabelle dran. Grayburn und dann Hardt. Toll. Nach dieser Show würden meine Künste wie ein Flop wirken.

    Ich sah, wie meine Trainerin mir zuversichtlich zulächelte. Bonny (so hieß meine Lehrerin) blieb in solchen Fällen immer optimistisch. Aber deswegen hatte ich sie ja auch so gern.

    »Nr. 12: Hardt Vivian, bitte auf das Eis. Nr. 12: Hardt Vivian« hörte ich in meinem Hinterohr erklingen. Okay, mal schauen, wie es laufen würde. Auf jeden Fall würde ich mein Bestes geben. Ich musste einfach nur Vertrauen in mir haben. Du schaffst das, du bist besser als jeder Mensch auf der Welt – selbst wenn das nicht stimmt, aber ist ja auch egal – und du wirst garantiert den Pokal gewinnen, wer sollte es denn sonst gewinnen? Ich murmelte noch einige andere selbstverliebt klingende Sätze vor mich hin bis ich wirklich motiviert war. Ich würde die Jury umhauen! (Oder auch nicht... )

    »Viel Glück, Vivian!« zischte Annabelle in mein Ohr. »Aber der Pokal gehört mir sowieso.« Danke, das hatte ich ja gerade noch gebrauchen können. Mein ganzes Selbstvertrauen war wie weggeblasen. Na toll. Eigentlich hätte ich solch einen Kommentar von ihrer Seite ja irgendwie schon kommen sehen.

    Bevor ich ihr eine schnippische Antwort hinterherwerfen konnte, marschierte sie bereits zufrieden davon, auf dem Weg zu ihren Eltern und Joe. Joe ist ja nicht viel anders als seine Schwester. Mittlerweile Headboy und somit nicht nur inoffiziell der beliebteste Typ der Schule. Er hing immer mit den ›coolen‹ Leuten wie Dave, Tracy, Cassandra und noch ein paar anderen Jungs ab.

    Cool – eigentlich ja für mich schon fast ein Fremdwort. Eigentlich war ich so ziemlich das komplette Gegenteil von Joe. Also so uncool wie es nur geht. Loser des Jahrgangs. Nicht, dass ich irgendwie gemobbt wurde oder so, aber ausgegrenzt auf jeden Fall. Und keiner achtete auf mich. Natürlich gab es dann die ach so besonderen Schüler wie Joe und seine Clique, die meinten, sich immer über mich lustig machen zu müssen.

    Kein Wunder, dass ich mich nicht vor Joe blamieren wollte. Es sollte ja morgen nicht noch mehr Gesprächsstoff geben, als es sowieso schon geben würde.

    Mit roten Ohren sah ich zu, wie er seiner Schwester zulächelte und hoffte, dass er mich noch nicht entdeckt hatte und es auch nicht tun würde. Aber spätestens wenn ich auf dem Eis sein würde, wäre es dann mit dem Verstecken endgültig vorbei. Wenn er mich da nicht wiedererkannte, brauchte er eine Brille. Mit wirklich negativer Stärke.

    Okay, reiß dich zusammen und geh auf das Eis, du wirst die Show hinlegen, glaub mir, das wird der Hammer...

    Ich drehte mich um, betrat das Eis und machte einen Knicks an die Jury. Mein Herz machte mal wieder eins auf Hochtouren, sodass ich fast die ersten Töne der Musik verpasst hätte. Das Trommeln des Liedes ›Bolero‹ ertönten, die Töne, die ich in den letzten Wochen mehr als genug hören hatte müssen.

    Ich setzte einen Fuß nach vorne und den nächsten und schon war ich so schnell, dass die Luft in mein Gesicht peitschte und meine kastanienbraunen, schulterlangen Haare nach hinten wehten.

    Meine Anspannung und Angst wurden schwächer bis sie schließlich nach meiner ersten Pirouette verschwanden. Ein schöner zweifacher Rittberger, gefolgt von einem einfachen Toeloop. Es war ein großartiges Gefühl. Ich war vollkommen frei. Frei von allen Sorgen. Ich liebte es, wenn ich auf dem Eis sein konnte.

    Selbst der Axel – der schwerste Sprung für mich – bereitete mir keine Schwierigkeiten. Der Aufprall war ein klein wenig wackelig, aber mit etwas Glück hatte die Jury das gar nicht mal bemerkt. Ich hatte es geschafft.

    Den Rest, muss ich ganz ehrlich sagen, machte ich mit links. Ich wollte wirklich nicht angeben, es war nun mal so. Es war, als ob mir ein Stein vom Herzen gefallen war. Obwohl... Eigentlich war es ja nur ein Halber – immerhin stand mir noch die Siegerehrung bevor und das war für mich die reinste Qual.

    Als die Musik dann endlich vorbei war, machte ich mit einem breiten Lächeln erneut einen Knicks und raste dann mit roten Backen und einem schweißgebadeten Rücken zum Ausgang. War ja schon irgendwie etwas peinlich, dass ich noch immer keinen zweifachen Axel konnte. Immerhin hatte Annabelle den in meinem Alter schon gekonnt. Igitt, jetzt fing ich ja mal wieder an, mich mit Annabelle zu vergleichen. Ich wollte Annabelle in keinem Fall imitieren, nein! Doch nicht diese blöde Kuh! Wobei ich mir insgeheim schon gestehen musste, dass ich das manchmal tat.

    Nachdem ich meine grünen Kufenschoner angezogen hatte, machte ich mich wegen den dünnen Kufen langsam und vorsichtig auf den Weg zu meinem Sitzplatz in den oberen Reihen der Eissporthalle. Dort hatte ich eine Thermoflasche mit heißem Kaffee und eine Wolldecke, damit ich nicht in meinem weinroten Trikot frieren würde.

    So machte ich es mir da oben gemütlich, starrte auf Annabelle, die etwas weiter unter mir war und hoffte vergeblich darauf, dass Joe mich nicht sah. Na ja, er hatte mich wahrscheinlich – was hieß hier wahrscheinlich, er hatte mich bestimmt schon gesehen – und morgen würde die ganze Schule davon erfahren. Wow, das konnte ich ja gerade noch gebrauchen, eine Blamage hier und in der Schule. Ich hatte mich eigentlich nicht blamiert. Meiner Meinung nach war ich wirklich gut gelaufen. Aber das war ja auch nur meine Meinung. Für die Grayburns existierte ja nur der erste Platz. Der Rest hatte sich, wie gesagt, blamiert. Und man konnte sich ja gut vorstellen, wem man eher glauben würde – Headboy oder Loser.

    »Du warst voll gut« sagte jemand. Ich drehte mich um. Henry stand hinter mir. Seit ich in New Willows wohnte, war er mein Freund, mein einziger Freund. Zwar hört es sich jetzt so an, als würde ich immer einsam vor mich hin dümpeln, aber das stimmt nicht ganz. Henry und ich haben gemeinsam total viel Spaß. Und das ist doch das Wichtigste.

    »Danke Henry« sagte ich und musste grinsen. Er setzte sich neben mich auf einen der roten, ebenfalls zerkratzten Sitze. Selbst wenn ich wirklich schlecht gewesen wäre (ich wollte ja nicht angeben, aber schlecht war ich nicht gewesen... überragend aber auch nicht), hätte Henry gesagt, dass ich die Beste gewesen wäre. Henry war so was wie Subjektivität in Person.

    Wir redeten noch ein wenig miteinander, allerdings nicht besonders lange, da die Siegerehrung für meine Altersklasse ziemlich bald stattfand.

    Ich hasste Siegerehrungen. Ich hasste sie, weil immer alle nervös und verzweifelt auf dem Eis herumstocherten und möglichst unauffällig zu den Pokalen blickten, in der vergeblichen Hoffnung, einen davon später in der Hand zu halten.

    Leider – und ich hätte gerne etwas anderes von mir behauptet – erging es mir nicht anders.

    Alle anderen, mit Ausnahme von Annabelle, hatten ja zumindest Freunde zum Reden. Ich hingegen war ganz alleine und wieder einmal der Außenseiter. Die Einzige, mit der ich hätte reden können, war Annabelle. Igitt, als ob ich mich mit meiner Feindin zusammen tun würde!

    Vielleicht wären wir ja Freunde geworden, aber gleich in der ersten Stunde, als sich herausgestellt hatte, dass ich – laut meiner Trainerin Bonnie – ›unglaubliches Talent‹ hätte, hatte Annabelle mich niedergemacht. Ohne, dass ich ihr irgendwas getan hatte. Deswegen mochte ich sie auch nicht. Sie hatte es ja offensichtlich nicht anders gewollt.

    Zum Glück redeten die Preisverleiher nicht lange um den heißen Brei herum, sondern kamen ziemlich schnell auf den Punkt. Wenn ich dann einen Pokal haben würde – oder auch nicht, was ja auch nicht ganz unwahrscheinlich war – könnte ich mich dann schleunigst gemeinsam mit Henry aus dem Staub machen.

    Ich freute mich, als ich an die Vorstellung von Moms Wohnung dachte. Dies war allerdings ein Ausnahmefall, ich freute mich nie auf Moms Wohnung, welche sehr heruntergekommen und vermodert war. Und das war noch untertrieben.

    Die, die schon aufgerufen worden waren, waren fast alle wirklich am Boden zerstört gewesen. Manche starrten unbemerkt zu den Schlechteren, manche zeigten ihre Trauer, anderen kamen sogar die Tränen. Erneut ein Beispiel, das mir zeigte, wieso Siegerehrungen einfach nicht mein Ding waren.

    »Und auf Platz Drei steht... Stella Smith!« rief der Preisverleiher. Eine Kunstpause nach der Anderen. Teilweise konnte ich sogar täuschend echten Trommelwirbel hören, der natürlich nur in meiner Phantasie existierte. So weit gingen die Preisverleihe dann auch wieder nicht.

    Und dann fiel es mir auf.

    Bis auf Annabelle und mir waren alle bereits aufgerufen wurden. Ich war tatsächlich so sehr in Gedanken verloren gewesen, dass ich von der Außenwelt nichts mitbekommen hatte.

    Obwohl ich eigentlich schon fast wusste, dass sie gewinnen würde und nicht ich, konnte ich den Gedanken an den ersten Platz einfach nicht wegstecken. Was wäre, wenn ich doch gewann? Wenn ich doch noch besser als sie war, dann war ich ja fitter für die Olympischen Spiele als sie. Ich könnte mich ja dann bewerben. Und was wäre, wenn die mich tatsächlich nehmen würden? Ich – ein Star bei den Olympischen Spielen, verewigt in der amerikanischen Sportgeschichte...

    »Und auf Platz Zwei steht... steht...« Ich warf dem Preisverleiher einen genervten Blick zu. Man konnte doch wohl kaum mit Pausen Spannung erzeugen! Das war ja kaum mehr erträglich.

    Nervös schob ich meine Kufen hin und her, sodass sich langsam unter mir ein Schneehaufen bildete. Vielleicht funktionierte das mit dem Spannung erzeugen ja doch ganz gut.

    »Annabelle Grayburn!«

    Was!?!

    Niemals! Ich doch nicht! Da war doch ein Fehler gewesen! Oder? Das hatte ich wirklich nicht kommen sehen.

    Ich merkte, wie meine Backen ganz heiß wurden, ich sah, wie gedemütigt Annabelle nach vorne lief, um ihre Urkunde und ihre Medaille zu holen, doch ich nahm es nicht wahr. Ich hörte nur mein pochendes Herz, die Aufregung war überall in mir zu spüren. Es war ein unglaubliches Gefühl.

    Wow! Vielleicht machte es ja tatsächlich Sinn, bei der Olympia teilzunehmen. Womöglich würden meine Phantasien von vorhin dann Wirklichkeit werden. Und dann würde Annabelle nicht mehr mit ihren dummen Sprüchen ankommen. Und ihr blöder Bruder erst recht nicht. Ich würde Seite an Seite mit Ashley Wagner stehen.

    Annabelle nahm ihre Urkunde und schrie auf. Riss mich vollkommen aus meinem Traum von glücklichen Gedanken. Sie war knallrot im Gesicht und Wut war in ihrem Gesicht geschrieben. Was war denn jetzt schon wieder mit ihr los?

    »Das ist falsch!« rief Annabelle empört. Und mit Schadenfreude, das war ja kaum zu überhören. Moment mal. Den ersten Platz hatte ich sicher!

    »Hier steht eindeutig drauf, dass ich den ersten Platz habe, nicht Vivian!« Meinen Namen sprach sie mit Verachtung aus.

    Es dauerte einen Moment, bis ich wahrgenommen hatte, was sie gesagt hatte. Nicht wirklich, oder? Hatte ich soeben ein tolles Gefühl gehabt, so war es jetzt blitzartig verschwunden. So etwas konnte aber auch nur mir passieren, oder?

    Der Preisverleiher verglich unsere Urkunden, wollte sichergehen, dass nichts faul war. Natürlich war etwas faul, war doch klar, dass Annabelle gewinnen würde. Als ob ich auch nur ansatzweise eine Chance hätte – vor allem gegen Annabelle.

    »Wir entschuldigen diesen Fehler.« So hörte ich nun die Ansage des Preisverleihers und wusste, dass meine Glücksmomente wirklich bald verschwinden würden.

    »Auf Platz Zwei steht Vivian Hardt!« Normalerweise hätte ich mich ja auf den zweiten Platz gefreut, aber nachdem man für

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