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Gegen Ende der Nacht
Gegen Ende der Nacht
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eBook92 Seiten1 Stunde

Gegen Ende der Nacht

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Über dieses E-Book

Es gibt jetzt Mütter, die ihre adrett gekleideten Kinder auf die Wangen küssen und zur Schule schicken, den Duft frischen Brotes, den dampfenden Teekessel, unter dem Schnee erblühte Blumen. Keimende Samen, Fohlen, die sich auf Rennen vorbereiten, Küken, die gefüttert werden. In alten Filmen, in denen Freiluftkinos vorkommen, gibt es schöne Frauen mit Hüten, denen schmalbärtige, elegante Männer die Tür aufhalten. Irgendwo gibt es ganz bestimmt Deans Lieder, die jemand hört. Es gibt das Gestern, das Heute, vielleicht auch das Morgen. Es gibt Blumentöpfe, die an den Fenstern von Erkerhäusern gedankenverloren in den Himmel schauen, es gibt Tulum-Käse, Trauben-Raki, schwebende Ballons. Es gibt Doppeldecker Cabriobusse, schicke Schiffe, die mit den Delfinen um die Wette fahren, wehmütige Züge, die sich auf ihren Gleisen ausruhen. Es gibt Menschen, die unter uns sind und solche, die nicht mehr sind. Es gibt Schuhputzer, fliegende Händler, die Simit, Fisch oder Lutscher verkaufen. Einen Neuanfang, indem man alles vergisst oder ohne irgend etwas zu vergessen, gibt es bestimmt auch.

SpracheDeutsch
HerausgeberTexianer Verlag
Erscheinungsdatum1. Feb. 2021
ISBN9781393740452
Gegen Ende der Nacht

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    Buchvorschau

    Gegen Ende der Nacht - Merih Gunay

    Gegen Ende der Nacht

    Merih Günay

    aus dem Türkischen von

    Hülya Engin

    Gegen Ende der Nacht

    Merih Günay

    aus dem Türkischen von

    Hülya Engin

    © 2021 Merih Günay

    Texianer Verlag

    Tuningen, Germany

    www.texianer.com

    Genau genommen sind das Schmerzlichste nicht die Enttäuschungen, sondern es ist das Glück, das nicht gelebt wurde, obwohl es möglich gewesen wäre.

    Dostojewski

    Das Fenster stand offen. Das war das erste, was ich sah. Ich zog die Decke bis über die Nase und spürte die Wärme meines Körpers. Dieses wohlige Erschaudern, mit dem das Leben eine grundlose, aber unanfechtbare Hoffnung suggeriert, schien zu rufen: „He! Es ist nicht so, wie du denkst. Es ist nicht zu Ende. Das Leben geht weiter.‟

    Der Tag war noch nicht angebrochen. Ich drehte den Kopf zur rechten Seite. B. schlief im anderen Bett an der Wand, das Gesicht mir zugewandt.

    Ich drehte mich vorsichtig um und betrachtete sie eine Weile. Wie wenige Nächte hatten wir gemeinsam in einem Bett verbracht, dachte ich, unserer emotionalen Intensität zum Trotz. Genau dreizehn Nächte. Dreizehn lange Nächte, eine ungeduldiger und aufregender als die andere, in den letzten sechs Monaten, an unterschiedlichen Orten, verbracht dreizehn Jahre nach dem Kennenlernen. Jetzt aber lag ich in der Almhütte ihrer verstorbenen Großmutter in dem Bett, in dem sie als Kind geschlafen hatte, während sie in deren Bett lag, wie immer in tiefem Schlaf.

    Wären ihre Augen geöffnet und hätte sie mich gefragt, ob ich etwas brauche, hätte ich mich zunächst gefreut, dass sie erwacht ist und dann ‟Mein Schmetterling!‟ gesagt, „ein halbes Glas warmen Wein, eine einzige Zigarette und Vivaldi, bitte.‟ Sie schlief. Der Schlaf kümmert sich nicht um die Liebe, nicht um Monate und Jahre, auch nicht um den Tod. Ich wurde erfüllt von dem Wunsch, sie zu wecken, sie mit meine Küssen schier zu ersticken. Mit dem Wunsch, ihr die Augen zu öffnen, sie ins Leben zurückzuholen, sie zu mir und unserer Liebe zurückzuholen. Um festzustellen, ob ich in der Lage wäre, mich aufzurichten, kontrollierte ich mit winzigen Bewegungen meinen Körper, und als ich es nicht wagte, legte ich mich notgedrungen wieder auf den Rücken.

    Plötzlich prasselte Regen nieder, der sich sogleich in Hagel verwandelte. Die Hagelkörner klopften erst an die Fensterscheiben, dann in das Zimmerinnere. Die Fensterflügel tanzten knarrend im Wind hin und her und der Vorhang gesellte sich mit seinen Schößen dazu. B. wird diese Laute nicht hören und ich werde nicht aufstehen können, dachte ich und lächelte. Dann hörte der Hagel auf, es donnerte und die in kurzen Abständen zündende Blitze erhellten das Zimmer. Ich drehte den Kopf nach links und rief: „He, mürrischer Alter! Was brummelst du wieder?‟

    Ihr unschuldiges Gesicht, das in der Helligkeit für Momente zu sehen ist und dann verschwindet. Ihre Erscheinung, die in meinem Geist wandelt, während die reale Entfernung zwischen uns bloß drei Meter beträgt. Ihr warmer Körper, der Flügel bekommt und sich mit einem Satz an mich klebt, als sie mich auf dem Platz zwischen den Leuten ausgemacht hat. Ihre riesigen Augen, die mir tief in die Seele schauen, wenn sie den Kopf hebt, ihre weiche Hand, die mir durch meinen nun gänzlich ergrauten Bart streicht. Die müden Treppen, die wir hinunterlaufen, die Hände so fest ineinander gekettet, dass wir einander bis auf die Knochen spüren. Meine Hände, die in den Wellen ihrer langen Haare baden, während sie in meinen Armen schläft und ihre wütende Stimme, die vor etwa einem Monat in meinem Ohr klang:

    „Das Timing. Das Timing war schlecht. Das hast du gesagt, als wir ohnehin mitten in einer anderen Krise steckten!‟

    „Na und? Was kann uns schon eine einzelne Krise anhaben? Es war ein unschuldiger Wunsch, hättest du ihn erfüllt, hätte sich alles zum Guten gewendet.‟

    „Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du 'Verpiss dich!' sagtest!‟

    „Ich habe es gesagt, weil du so bockig warst!‟

    „Hättest du dich entschuldigt und den Wunsch höflich geäußert, hätte ich's getan.‟

    „Mich entschuldigen? Du hättest wohl gern, dass ich darum bettele, meine Schöne!‟ „Dann eben nicht. In meiner Welt ist das so.‟

    „Ach ja?‟

    „Ja.‟

    „Dann verpiss dich!‟

    Das Gewitter hörte auf. Regen setzte wieder ein. Dabei war das Wetter gestern, als wir auf der Alm ankamen, ziemlich gut, klar und mild gewesen. Und ich hatte tagsüber keinerlei Beschwerden gehabt, mit dem in den Abendstunden beginnenden blutigen Husten und dem Schweiß, der mir aus allen Poren, einschließlich der Kopfhaut, brach, fühlte ich mich allmählich völlig entkräftet. B. hatte auf mich eingeredet, zum Krankenhaus zu fahren, aber weil ich wusste, dass sie mich dabehalten hätten, hatte ich sie mit Mühe und Not überreden können, es auf den nächsten Morgen zu verschieben.

    „Es ist vorbei. Ich verlasse dich!‟

    „Nur zu. Geh zum Teufel.‟ „Wie kann man es so erschweren, eine Beziehung aufrechtzuerhalten? Du hältst die Liebe wohl für Krieg oder so was.‟

    „Und du wahrscheinlich für Kinderspiel.‟

    „Unverschämt! Mein Leben ist nicht dein Schlachtfeld, taktloser Kerl!‟

    „Hau ab, hab ich gesagt!‟

    Nach ihrer Ansicht sind auf unseren Karten unsere Monde entgegengesetzt. Das sorgt für reichlich Zündstoff. Auseinandersetzungen sind unvermeidlich. Und zwar auf ewig. Ständig haben wir versucht, einander umzukrempeln, den Anderen so zu machen, wie wir selbst sind.

    Und sind dabei nicht einen Deut weitergekommen.

    „Unsere emotionalen Bedürfnisse sind unterschiedlich. Unmöglich, einander zu verstehen, einen gemeinsamen Nenner zu finden‟ „Hätten wir's doch beim Alten belassen. Wären Freunde geblieben.‟

    „Du bereust es also ...‟

    „Natürlich bereue ich es. Als ob du sehr zufrieden wärest!‟

    „Natürlich bin ich über die Komplikationen, die du grundlos verursachst, nicht erfreut.‟

    „Grundlos, ja? Wir geraten wegen der kindischen Nichtigkeiten aneinander, die du vom Zaun brichst!‟

    „Von wegen! Ich mache nichts falsch. Das ist alles wegen all dem, was es nur in deiner Einbildung gibt.‟

    Sie schläft. Jetzt nimmt sie den Regen nicht wahr, mich nicht, das offene

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