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Bauchspeck Frust und Liebeskummer
Bauchspeck Frust und Liebeskummer
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eBook321 Seiten4 Stunden

Bauchspeck Frust und Liebeskummer

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Über dieses E-Book

Cornelia hat ihr Kunststudium erfolgreich abgeschlossen, aber ein verantwortungsvoller Job lässt auf sich warten. Ihr Vater hat die monatliche Zahlung gestrichen. Während einer Alkohol-Frust-Orgie fackelt sie ihre Bude ab und landet mit einer Rauchvergiftung im Krankenhaus. Ihre Retterin, die Rentnerin Frau Härtel, bietet Cornelia als Gegenleistung für etwas Hilfe im Haushalt, finanzielle Unterstützung an. Cornelia erkennt, dass sie ihr Leben selbst in den Griff bekommen muss. Ihre Idee, eine Event-Management-Agentur aufzubauen, stürzt Cornelias feste Beziehung zu Christopher, der sie nicht als aufstrebende Jungunternehmerin sieht, sondern in die Schublade „Kinder, Küche, Haushalt“ stecken will, zunächst in eine schwere Krise.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpielberg Verlag
Erscheinungsdatum30. Apr. 2009
ISBN9783954520145
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    Buchvorschau

    Bauchspeck Frust und Liebeskummer - Claudia Kejwal

    23

    1

    »Freddie, was soll das denn? Hör auf! Komm doch endlich weiter!«

    Es wollte kein Ende nehmen.

    »Hör auf und komm, Frauchen will jetzt nach Hause.«

    Wie durch Wattebäusche gedämpft, drangen menschliche Laute und das Gebelle und Gejaule in meinen schmerzenden Kopf, quälten sich durch viele Hirnwindungen, bis ein klarer Gedanke Gestalt annahm:

    ›Was machen die vor meiner Tür?‹

    Dann wurde es wieder schwarz um mich, ich glaube, ich hustete mir die Seele aus dem Leib, aber vielleicht war das alles auch nur ein böser Traum. Ein tiefer Traum – und ich sank in ihn hinein wie in einen Sack flauschiger Daunen, aus dem schwarze, verräucherte Dampfwolken aufstiegen.

    ›Wo bin ich bloß? Und was soll das ständige Piepsen?‹

    Plötzlich standen zwei weiß gekleidete Personen neben mir.

    »Können Sie uns Ihren Namen nennen?«

    ›Ja klar, ich bin doch nicht verblödet!‹ dachte ich mir zwar, aber das Reden fiel mir schwer, vor allem weil meine Lunge und mein Hals so schmerzten. Nach einigem Räuspern und Husten brachte ich dann aber doch meinen Namen raus: »Ich heiße Cornelia Leberer, aber wo bin ich und wer sind Sie?«

    Mein Kopf hämmerte und pochte wie nach einem zweistündigen Rockkonzert.

    »Gut! Freut uns, dass Sie wieder mit uns sprechen können!«

    »Konnte oder wollte ich das vorher nicht?«

    »Nun, seit Sie gestern in die Notaufnahme eingeliefert wurden, nein! Sie hatten eine starke Rauchvergiftung und ein wenig zu viel Alkohol im Blut. Erinnern Sie sich?«

    Soweit es meine brennenden Augen zuließen, schaute ich die beiden skeptisch an: »Nein, nicht wirklich. Ich kann mich nur an ein ständiges Hundebellen erinnern. Das kann aber kaum hier aus dem Krankenhaus gekommen sein!«

    Der Arzt nickte der Krankenschwester lächelnd zu:

    »Na wie schön, sie schafft schon wieder klare Schlussfolgerungen! Schwester Rita, machen Sie bitte weiter, ich schaue schon mal nach nebenan zu dem Nasenbeinbruch.«

    Die Schwester hob geschickt meinen Oberkörper an, schüttelte das Kopfkissen auf, klappte das Bettoberteil in Sitzposition und überprüfte dann den korrekten Anschluss meiner Infusionsschläuche.

    »Was ist mit mir passiert?« Meine Stimme klang wie ein Reibeisen.

    »Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sie tausend Schutzengel gehabt haben müssen. Und wahrscheinlich war einer dieser Schutzengel der Hund, der den Rauch aus Ihrem Haus gerochen und so lange gebellt hat, bis seine Besitzerin aufmerksam wurde und die Feuerwehr anrief. Alles Weitere wird Ihnen die Polizei erzählen oder besser gesagt, das werden Sie denen erklären müssen. Die waren schon mal hier, Sie waren aber noch nicht ansprechbar.«

    Polizei? Feuerwehr? Krankenhaus?

    Ich konnte meine Gehirnzellen anstrengen wie ich wollte: Ich hörte nur immer wieder das Gebelle. Fühlte sich so ein Blackout an?

    »Darf ich aufstehen?«

    »Ja, aber vorsichtig.«

    Ich schleppte mich in die Badnische meines Krankenzimmers und wagte einen Blick in den Spiegel:

    Zerzauste Haare, geschwollene Augen, aufgesprungene Lippen, wenn ich mal von oben anfing.

    Rußreste in den Augenbrauen, Nasenlöchern und Ohrmuscheln, ein dünnes, weißes Krankenhaus-Nachthemdchen, das am Rücken nur lose zugebunden war und das vorne gerade eben meinen Schwabbelbauch verdeckte.

    Wie viele Leute hatten mich so gesehen? Und welche?

    So langsam dämmerte mir, dass ich vielleicht einige Stunden oder sogar Tage meines Lebens verpasst haben könnte. Ich überprüfte die Realität anhand meiner Armbanduhr, deren Datumsanzeige meinen Verdacht bestätigte: offenbar waren zwei ganze Tage vergangen, seit – oh Gott, ja! Seit ich eine der Wodka-Flaschen aus dem Barschrank in unserem Wohnzimmer geöffnet hatte.

    Schnell spritzte ich mir einige Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht. In meinem nun langsam wacher und aktiver werdenden Großhirn erschienen blitzartig einige Bildfetzen, wie von Scheinwerfern mit mehreren tausend Watt schmerzhaft hell ausgeleuchtet: eine Fernsehzeitung, achtlos zu Boden geworfen; brennende Teelichter und Kerzen im ganzen Haus; Glasscherben, aus denen selbst ein unbegabter Puzzlespieler auf die Schnelle eine Wodkaflasche um das blaue Markenzeichen herum zusammengebastelt hätte; ein weißer Pudel, der mir über das Gesicht schleckte.

    Ja, ich konnte mich jetzt langsam wieder an den Nachmittag erinnern, der dem Unglück vorhergegangen war; auch an das abschreckende Abendprogramm in der Fernsehzeitung und an meine wilde Entschlossenheit, mich ablenken zu wollen.

    Musste es denn gleich ein Absturz sein? Ein Filmriss?

    Ich schwöre, dass ich mit solch einem Tatbestand noch nie konfrontiert gewesen war.

    Bekannte von mir: ja.

    Männer, ja, klar.

    Im Kino, sowieso, das war Spannung pur für die Zuschauer.

    Aber ich?

    Eine sechsundzwanzigjährige Hochschulabsolventin!

    Eine ›Gstudierte‹, wie man hier in Bayern sagt! Eigentlich nicht die typische Säuferin!

    Was war bloß aus mir geworden?

    Mein Hüftgold kam ja nicht von ungefähr, sondern war angefuttert durch Frustkalorien und haften geblieben durch intensives Rumhängen auf dem Sofa: das Abschlusszeugnis als Kunsthistorikerin in der Tasche und seit über drei Monaten auf Jobsuche. Absagen auf meine Bewerbungen. Folglich Chips und Cola, Pizza vom Lieferservice und das eine oder andere Gläschen Rotwein. Um die Kalorien der direkt aus dem Glas gelöffelten Nuss-Nougatcreme zu verbrennen, hätte ich täglich zweimal einen Waldlauf absolvieren müssen. Stattdessen streckte ich mich nach den Strapazen meiner Ess-Orgien gemütlich vor dem Fernseher aus. Wehe, wenn dann das Angebot an Uralt-Wiederholungen größer war als an Telenovelas oder Serien: Dann tröstete ich mich schon mal mit einem großen Glas Baileys und einer Riesenportion Vanilleeis, meiner absoluten Lieblingskombination. Doch hochprozentigere Sachen aus dem Barschrank, der allen Mitbewohnern unserer Wohngemeinschaft zur Verfügung stand, rührte ich eigentlich nie an. Die Betonung musste ich ab sofort wohl auf das Wort ›eigentlich‹ legen, denn wenn die hier im Krankenhaus immer etwas von Feuerwehr und Rauchvergiftung faselten, dann musste da mehr dran sein. Zugegeben, ich sah aus, als wäre ich nach einem Grillfest bei starkem Wind in einen Regenguss geraten. Und so fühlte ich mich auch.

    »Guten Tag, Frau Leberer, ich bin von der Regensburger Polizei«, meldete sich eine junge Uniformierte in meine Gedanken hinein zu Wort, deren gertenschlanke Figur selbst in der Einheitsuniform im Vergleich zu meiner Unförmigkeit doppelt bis dreifach so gut wirkte.

    »Geht es Ihnen schon wieder so gut, dass ich ein paar Fragen zu dem Tathergang stellen kann?«

    Das Klopfen an der Tür musste ich wohl überhört haben. Ich eilte zum Bett zurück, um mein erschreckendes Äußeres bis zum Kinn unter der Bettdecke zu verstecken, wobei ich merkte, dass hektische Bewegungen meinem Kopf noch gar nicht gut taten.

    Ob es eine gute Idee war, mir nüchterne Fragen auf nüchternen Magen zu stellen? Aber schnell, viel zu schnell wurde auch mein Gehirn klarer und nüchterner:

    »Das Erdgeschoß, das Sie im Haus Ihres Vermieters bewohnen, ist halb ausgebrannt. Wie ist das passiert?«

    Lieber Gott, gib mir schnell die nächste Ohnmacht!

    Doch nicht alle Stoßgebete werden erhört, und da ich auf alle Fragen nur mit ›Ja‹ oder ›Daran kann ich mich nicht mehr erinnern‹ antworten konnte, musste ich mir anhören, was Feuerwehr und Polizei bereits rekonstruiert hatten:

    »Die brennenden Kerzen müssen ein Feuer entzündet haben, das Sie durch Ihren Alkoholkonsum nicht bemerkt haben und somit auch nicht bekämpfen konnten.«

    »Sind wir nun alle obdachlos?«, fragte ich die Beamtin, während ich mir beide Zeigefinger in die Augenwinkel presste, um die Tränen zurückzuhalten.

    »Ihre Mitbewohner mussten sich die ersten beiden Nächte bei Freunden einquartieren, doch seit heute morgen sind sie dabei, die größten Schäden zu beseitigen. Das Haus ist noch bewohnbar, aber gemütlich sieht es dort zurzeit nicht gerade aus. Am besten werden Sie schnell wieder fit und helfen kräftig mit! Dann haben Sie das Chaos schneller beseitigt als Sie denken! Nur Mut!«

    Schön hatte sie das gesagt. Lernte man das auf der Polizeischule? Wenn die wüsste, wie wenig scharf ich auf die Vorwürfe meiner Freunde war! Da blieb ich lieber noch in der sicheren Obhut des Krankenhauses, unter dem Schutz der Weißgekleideten, die für mein Wohlergehen verantwortlich waren!

    Die Beamtin war aber noch nicht fertig:

    »Seien Sie bloß froh, dass durch Ihre Unachtsamkeit keine Personen zu Schaden gekommen sind. Mit Ihrem Vermieter werden Sie sich als nächstes auseinandersetzen müssen.«

    Nach Erledigung der Formalitäten wünschte sie mir gute Besserung und ging.

    Ich fiel in einen Dämmerschlaf, bis mich der nächste Besuch weckte: Vor mir standen drei verschwitzte, verstrubbelte Gestalten, die wie müde Schornsteinfeger-Gesellen aussahen.

    »Mann, du kannst echt von Glück reden!« Olli tätschelte mir zur Begrüßung die Wange und spazierte zum Fenster, wo er sich mit dem Rücken ans Fensterbrett lehnte, so dass ich sein Mienenspiel im Gegenlicht nicht genau erkennen konnte.

    »Tag Conny!« Tom schleppte sich gleich auf einen Besucherstuhl.

    Beide wohnten im ersten Stock unseres Häuschens: Tom Wagner, der angehende Zahnmediziner, dessen hellblaue Augen mit seinem perfekten Zahnweiß um die Wette strahlten und Olli Kellermann, der im zweiten Semester Psychologie stand.

    Elfie Berger, die Germanistikstudentin, mit der ich seit drei Jahren das Erdgeschoß teilte, kam an mein Bett und umarmte mich: »Conny, was machst du denn für Sachen? Kaum lässt man dich mal alleine!«

    Meine Tränen kullerten nun, ohne dass Augendrücken oder Blinzeln oder Schlucken geholfen hätten. Ich schaute keinen speziell an und nuschelte in meine Bettdecke: »Bitte reißt mir gleich den Kopf ab, dann habe ich es hinter mir!« Dann aber setzte ich mich gerade auf und räusperte mich:

    »Könnt ihr mir jemals verzeihen? Es tut mir so unendlich leid! Was ist denn alles von den Flammen zerstört worden?«

    »Das Erdgeschoss sieht schon wild aus«, erzählte Tom, der auf seinem Stuhl hin und her rutschte, um eine bequeme Sitzposition zu finden, »aber das Löschwasser hat mindestens ebenso viel Schaden wie das Feuer angerichtet. Du wirst es nicht glauben, aber die Feuerwehrleute haben uns sogar ein Faltblatt mit Verhaltenstipps dagelassen. Von wegen gesundheitsschädlichem Kontakt mit Brandrückständen und so. Du siehst, wir sind up to date! Also haben wir erst mal alles Verbrannte zur Mülldeponie gebracht und mit Auskehren, Schrubben und Lüften die Zimmer wieder bewohnbar gemacht. Bei uns oben sind nur die Wände rußig und es riecht wie in einer Grillbude.«

    Olli, der sich Tee aus der Krankenhaus-Thermoskanne eingeschenkt hatte, fügte hinzu:

    »Unser Vermieter hat sich auch schon wieder beruhigt und will mit der Versicherung abklären, ob die in irgendeiner Weise für einen Teil des Schadens aufkommt. Sei froh, dass du seinen Zorn nach dem ersten Schock nicht miterlebt hast! Und beeil dich, hier wieder rauszukommen: Erstens kannst du ruhig auch noch etwas mitschuften und zweitens überlebst du diese ekelige Gesundheitsbrühe hier eh nicht.« Angewidert verzog er, der Gourmet unserer Wohngemeinschaft, die Lippen, stellte die Tasse wieder auf meine schwenkbare Tischplatte und schubste sie in Richtung meines Bettes.

    Ganz sachte verzog ich meine Lippen zu einem Lächeln und ließ das Tischbrett wieder zu ihm zurückschwingen: »Befreie mich von diesen Kabeln und Schläuchen und ich lege los!«

    »Nichts da«, bremste mich Elfie, »du erholst dich erst mal soweit, bis die Ärzte mit dir zufrieden sind. Bis dahin haben wir dann auch schon ein paar Mal geduscht und sind nicht mehr so kaputt wie heute.«

    »Oder wir lassen uns gleich mit einliefern«, mischte sich Tom ins Gespräch ein, den Nacken auf der Lehne, die Beine endlos lang ausgestreckt und schon halb in dem Stuhl liegend. »Lassen uns hier von netten Krankenschwestern bedienen und verwöhnen. Ah, ein Traum für meine müden Knochen! Schließlich stehen wir ja auch alle unter Schock. Das stell sich mal einer vor: du kommst heim und die Feuerwehr hat das Hausrecht übernommen, das glaubst du erst mal nicht!«

    »Tom, du bist und bleibst ein Weiberheld, in jeder Lebenslage!«, versuchte ich zu scherzen und nickte ihm zu. Zu kräftig, denn jetzt meldeten sich meine Schmerzen zurück: »Aua, entschuldigt bitte, aber ich habe das Gefühl, dass in meinem Kopf Wasserbomben zerplatzen. Ich lege mich lieber wieder etwas flach.«

    Elfie trieb die beiden Männer eilig aus dem Zimmer, kam aber zurück, drückte mir einen schnellen Kuss auf die Wange und meinte: »Mach so was nicht noch mal!« Und draußen war sie.

    Ich drückte erschöpft, aber glücklich über den Besuch meiner Freunde die Klingel, um eine Krankenschwester zu rufen. Nach einer Schmerz- und Schlaftablette schlief ich trotz aller Schuldgefühle tief und traumlos durch, bevor ich mich nach dem Aufwachen an den eigentlichen Auslöser meines moralischen Absturzes erinnern konnte.

    Am nächsten Tag klopfte es kurz nach dem Frühstück. Mein Kopf pochte noch immer. Ich wollte niemanden sehen und rief deshalb auch nicht ›herein!‹. Dennoch öffnete sich die Tür und eine ältere Frau betrat das Zimmer, die ich irgendwoher kannte, deren Gesicht ich auf die Schnelle aber nicht einordnen konnte.

    »Schön, dass es Ihnen schon wieder besser geht!«, rief sie und streckte mir ihre Hand entgegen. »Ich bin die Frau Härtel von der Apotheke, erinnern Sie sich an mich?«

    Ja, da war was!

    »Ich gehe jeden Abend mit meinem Freddie an Ihrem Haus vorbei.«

    Plötzlich dämmerte mir etwas: »Sagen Sie bloß? Ist das ein weißer Pudel ...?«

    »Ja, das ist mein Freddie! Er hat den Rauch gerochen und nicht mehr aufgehört zu bellen.« Der pure Stolz sprach aus ihrer Stimme.

    »Wie kann ich Ihnen nur jemals danken?«

    »Lassen Sie's gut sein. Es ist ja alles noch mal glimpflich ausgegangen! Um die Scherereien, die auf Sie warten, beneide ich Sie allerdings nicht. Und erst die Kosten, oje! Aber sagen Sie, welchen Schmerz hatten Sie an jenem Tag auf der Seele?«

    Ich riss meine Augen weit auf. Woher konnte sie wissen, was passiert war?

    »Habe ich denn während meiner Ohnmacht geredet?«, fragte ich.

    »Zumindest nicht in meiner Gegenwart, aber so ganz grundlos haben Sie sich doch nicht betrunken, oder?«

    »Ach«, stöhnte ich und mein Brustkorb hob und senkte sich unter der leichten Bettdecke, »ich kann gar nicht darüber reden, ohne gleich wieder ...«

    »Verzeihen Sie mir«, unterbrach sie mich, »ich bin wieder einmal zu neugierig gewesen! Das tut mir leid! Schauen S' lieber, was ich Ihnen mitgebracht habe!«

    Sie öffnete einen dieser altmodischen Korbshopper mit Flechtdeckel, die wohl die Vorgänger der heutigen Einkaufstrolleys waren, und hob eine Leckerei nach der anderen heraus:

    »Eine Thermoskanne Kaffee, fürs Krankenhaus koffeinfrei, aber sicher besser als diese faden Tees hier, ja, ja, ich spreche aus Erfahrung; eine frische Butterbrezel und ...«, sie machte eine Kunstpause. »Eine Donauwelle!«

    »Nein, das kann nicht wahr sein!«, rief ich aus, setzte mich auf und schwang übermütig die Beine aus dem Bett. »Mmmh, das ist die allerleckerste Tortenspezialität der Welt! Ich liebe den weichen Rührteig und die erfrischenden Kirschen!«

    »Und sicher auch die leckere Sahne mit der knackigen Schokolade obendrauf!«, ergänzte sie und strahlte mich an. »Wusste ich doch, dass Ihre Lebensgeister wieder erwachen!«

    Sie stellte alle Mitbringsel auf mein Schwingtablett und verabschiedete sich, bevor ich mehr als »Tausend Dank« stammeln konnte:

    »Das Geschirr können S' mir nach Ihrer Entlassung zurückbringen. Sie wissen ja, ich wohne am Franziskanerplatz, in der Alten Apotheke. Gute Besserung weiterhin!«

    Fast war sie schon zur Tür draußen, als sie sich noch mal zu mir umdrehte und leise sagte: »Freddie würde sich über einen Besuch auch sehr freuen!«

    2

    Nach zwei weiteren Tagen im Krankenhaus wurde ich entlassen und konnte in unser Häuschen zurückkehren. Wir wohnten in einer ruhigen Gegend, in einer parallel zur Donau verlaufenden Straße am Oberen Wöhrd. Wenn die Bäume wieder Laub trugen, konnte man nicht mehr so ungehindert auf die Innenstadtseite hinüberschauen wie jetzt, doch eigentlich hätte ich lieber überall hin geblickt, nur nicht ins Innere unseres Hauses. Es war zwar alt, aus den sechziger Jahren, aber eigentlich noch ganz passabel. Jetzt allerdings war sein Wert eindeutig gemindert worden.

    Wie sollte ich in so einer Räucherbude gesund werden? Natürlich erwarteten meine Freunde von mir, dass ich die Arbeiten in der verwüsteten Wohnung fortsetzte, die sie begonnen hatten: Aufräumen, Ausmisten und Aussortieren. Ich ging die Sache ohne großen Elan an, schließlich war ich ja noch rekonvaleszent – doch eine Tätigkeit machte mir so richtig Spaß: Gegen den Rauch, der sich in allen Ritzen und Fugen eingenistet hatte, sprayte ich großzügig und fast stündlich Raumduft der Sorte Meeresbrise. Die Zeit dazwischen verbrachte ich immer wieder am Küchentisch, wo ich die zahllosen Formulare, die mir unser Vermieter in den Briefkasten warf, geschäftig von einem Stapel auf den anderen sortierte, jedoch auch ein paar ausfüllte und lustlos unterschrieb. Dann war es auch schon wieder Zeit zu sprayen! Bei jedem ›Pffft‹ der Spraydose beamte ich mich in Gedanken aus diesen trostlosen Tagen heraus und hinein in eine Sandkuhle an irgendeinem griechischen oder italienischen Strand. Das wären perfekte Tage: halb Bildungsurlaub, von Ruine zu Ruine und von Museum zu Museum schlendernd, ein paar moderne Kunstgalerien gleich mit dazu – halb Strandurlaub, um das Erlebte in Ruhe geistig zu sortieren, am besten in einer gemütlichen Kneipe. So wie früher mit meinen Eltern, die in mir das Interesse an Kunst geweckt hatten. Aber beim Gedanken an meine Eltern, nein, genauer an meinen Vater, bekam ich unverzüglich Kopfschmerzen. Stopp, nicht schon wieder! Dann lieber mit einem weiteren »Pffft« zurück zu den Formularen!

    Nach den gemeinsamen Abendessen mit Elfie verzog ich mich regelmäßig in mein Zimmer, um ihr mit meinem Kummer nicht auch noch auf die Nerven zu fallen.

    »Willst du heute Abend wieder nicht mit mir quatschen?«, fragte sie zwar nach, aber ich schüttelte seit Tagen immer nur den Kopf. »Oder wenigstens gemeinsam fernsehen? Komm, irgendein Sender wird schon eine nette Schnulze bringen!«

    »Das ist lieb gemeint, Elfie«, antwortete ich ihr, »aber ich will mich gar nicht ablenken. Ich muss erst mal ganz viel nachdenken!«

    Das ging eine knappe Woche so, bis ich eines Abends den erlösenden Einfall hatte, den ich dann auch fast sofort, das hieß bei mir drei Nachmittage später, in die Tat umsetzte. Ich ging in die Tierabteilung eines Supermarkts, um ein Dankeschön für Freddie zu kaufen. Ich war erstaunt über die immense Auswahl an Leckereien für die lieben Vierbeiner und brauchte einige Zeit, bis ich mich für einen großen Hundeknochen entschloss. In der Geschenkabteilung besorgte ich eine breite rote Schleife, mit der ich ihn verzierte. Für Frau Härtel hätte ich beinahe zu Pralinen gegriffen, entschied mich dann aber für einen Abstecher in ein Blumengeschäft, da gekaufte süße Sünden sicher nicht an ihre hausgemachten Spezialitäten herankommen konnten.

    Nach den Einkäufen verließ ich die Innenstadt, um über die Steinerne Brücke wieder zum Oberen Wöhrd zu gelangen, wo Frau Härtel in der Alten Apotheke wohnte. Trotz meiner Dauer-Niedergeschlagenheit musste ich schon einige Meter vor der Brücke grinsen, da ich einen sogenannten Dauertest laufen hatte: Ich wollte ein einziges Mal im Leben an der berühmten ›Wurstkuchl‹, an diesem geduckt auf die nächste Überschwemmung der Donau wartenden Gebäude vorbeigehen, ohne den Geruch von Sauerkraut und Bratwürsten in die Nase zu bekommen. Ob Sie es als Ortsunkundige glauben oder nicht: die Mauern speichern den Geruch auch mitten in der Nacht, lange nach der Sperrstunde und geben ihn selbst bei Regen oder in touristisch schwachen Jahreszeiten in unveränderter Intensität an die Straße ab. Deshalb näherte ich mich der Steinernen Brücke stets mit einem für andere Mitmenschen unmotivierten Grinsen im Gesicht.

    Die beiden Biergärten auf der linken Seite der Brücke hatten zu dieser kalten Jahreszeit natürlich noch geschlossen, aber mit den ersten Sonnenstrahlen vor Ostern würden sich auch die ersten Gäste – Einheimische wie Studenten und Touristen – einfinden und das Leben bei einer Maß Bier und einer deftigen Brotzeit genießen.

    Sobald ich nach der Brücke links zu dem versteckt liegenden, kleinen Franziskanerplatz abgebogen war, steuerte ich gleich auf das richtige Haus zu, obwohl kein Schild mehr auf eine Apotheke hinwies. Das hohe, bogenförmige Eingangsportal zeugte von ehemals reger Kundschaft und das Fehlen von bodentiefen Schaufenstern ließ sich wohl damit erklären, dass die Apotheker früher ausschließlich Medikamente und noch keine Selbstbedienungsartikel führten und somit weniger oder keine Werbeflächen benötigten. Das ganze rein weiß getünchte Haus mit seinen heimeligen, durch Holzkreuze gegliederten Fenstern strahlte bis zu dem weich geschwungenen Giebel vor Sauberkeit. Die Madonnenfigur in einer Mauernische im ersten Stock verriet Frau Härtels Verwurzelung in den guten, alten Traditionen, die vor den Fenstern hängenden Blumenkästen, aus denen schon die ersten Tulpen hervorspitzten, aber auch ihre ganz spezielle Liebe zu ihrem Zuhause.

    Nachdem ich den Hundeknochen überreicht, das Geschirr zurückgegeben und die Anfangskonversation bei Kaffee und Apfelkuchen überstanden hatte, setzte ich mich kerzengerade hin:

    »An jenem Nachmittag hatte ich eine sehr unerfreuliche Auseinandersetzung mit meinem Vater. Der lässt mich auf einen Schlag finanziell in der Luft hängen!«, begann ich ohne Einleitung.

    »Sie meinen jenen Tag des Feuers?«, fragte Frau Härtel.

    »Ja genau, diesen Alptraumtag! Mein Vater hatte mir zugesagt, mich auch nach meinem Magisterabschluss zu unterstützen, damit ich in Ruhe eine passende Arbeitsstelle suchen kann.«

    »Seit wann sind Sie denn mit Ihrem Studium fertig?«

    »Seit drei Monaten bewerbe ich mich wie blöd, aber glauben Sie, der Postbote hätte auch nur ein einziges Mal einen Lichtblick für mich dabei? Sobald ich ein großformatiges braunes Kuvert sehe, kriege ich Magenkrämpfe, denn dann ist klar, dass man mir meine Bewerbungsunterlagen komplett wieder zurückgeschickt hat. Und in diesen Frust hinein ruft mein Vater mich an und sagt tatsächlich: ›Tut mir leid, meine Kleine, aber irgendwann musst du lernen, auf eigenen Füßen zu stehen!‹ Im Klartext heißt das: ab jetzt keine monatlichen Überweisungen mehr.«

    »Verstehe ich Sie richtig, dass Ihr Vater Ihnen aber auch schon während des Studiums unter die Arme gegriffen hat?«

    Da musste ich Frau Härtel Recht

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