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Der Richter: Bücher des Ewigen - Band 2
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Der Richter: Bücher des Ewigen - Band 2
eBook526 Seiten6 Stunden

Der Richter: Bücher des Ewigen - Band 2

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Über dieses E-Book

Das Letzte, was Kien Lantec am ersten Tag seines Militärurlaubs erwartet hatte, waren Marschbefehle von seinem Schöpfer, dem Ewigen. Befehle, die nichts mit Zerstörer-Pferderennen oder der Liebe seines Lebens, Ela, zu tun haben.
Zu Kiens Frustration kommt hinzu, dass die vom Ewigen auferlegten Pflichten wenig mit seinen Fähigkeiten als Militäranwalt und Richter in Ausbildung zusammenhängen. Er soll die Menschen von ToronSea davor warnen, dem Ewigen den Rücken zu kehren, um eine neue Göttin zu verehren.

Aber warum Kien? Wäre das nicht die Aufgabe eines wahren Propheten, wie der Prophetin Ela von Parne?
Auf der Suche nach Antworten besucht Kien Ela und stellt fest, dass sie von einer verheerenden Vision geplagt wird. Ihr Geburtsort, Parne, hat sich von seinem Schöpfer abgewandt und wird sich schon bald seinem Urteilsspruch stellen müssen. Auf getrennten Wegen müssen die beiden nun versuchen, der Führung des Ewigen zu folgen ... und hoffen, dass Er sie bald wieder vereinen wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum23. Nov. 2020
ISBN9783965880412
Der Richter: Bücher des Ewigen - Band 2

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    Buchvorschau

    Der Richter - R.J. Larson

    Verlags

    Karte

    Allen Abenteurern,

    die sich wünschen,

    ein riesiger Zerstörer

    würde sie nach Hause begleiten.

    Liste der Charaktere

    Kien Lantec / Ki-en Lan-teck / Militäranwalt und -richter

    des Tracelands

    Ela Roeh / El-la Ro-eh / Prophetin Parnes

    Ara Lantec / A-rah Lan-teck / Rade Lantecs Frau, Kiens Mutter

    General Rol / Roul / General der traceländischen Armee

    Tamri Het / Tam-ri Het / Bürgerin Munras und Siphras

    Tzana Roeh / Tza-na Ro-eh / Elas Schwester

    Beka Thel / Bek-ka Tell / Jon Thels Frau, Kiens Schwester

    Jon Thel / Dschonn Tell / Ein militärischer Kommandant des Tracelands, Bekas Ehemann

    Rade Lantec / Räid Lan-teck / Kiens Vater, einer der

    vorherrschenden Staatsmänner des Tracelands

    Ruestock / Ru-stock / Exilierter Ex-Botschafter Siphras

    in Traceland

    Tsir Aun / Sir Aun / Istgards Premierminister, Tek Laras Ehemann

    Bel-Tygeon / Bell-Tei-dschin / König von Belaal

    Akabe Garric / A-ka-be Gä-rick / Früherer Rebell Siphras,

    vom Ewigen erwählter König Siphras

    Zade Chacen / Tsäid Tschäi-sen / Seines Amtes enthobener, ehemaliger Hohepriester Parnes

    Sius Chacen / Sei-us Tschäi-sen / Ältester Sohn von

    Zade Chacen

    Za’af Chacen / Za-aff Tschäi-sen / Zweiter Sohn von

    Zade Chacen

    Dan Roeh / Dan Ro-eh / Elas Vater

    Kalme Roeh / Kal-me Ro-eh / Elas Mutter

    Ninus / Nei-nes / König der Inselstadt Adar-iyr

    Matrone Prill / Prill / Elas Begleiterin und Anstandsdame

    Ishvah Nesac / Isch-wa Ness-ack / Vom Ewigen erwählter Hohepriester Parnes

    Siyrsun / Sair-san / Belaals General der Armee

    1

    Kien Lantec hob das Kinn und drückte mit seinen Fingern gegen die nasse Haut, um sie zu spannen, bevor er mit dem Rasiermesser langsam an seinem Kehlkopf entlangfuhr – im gleichen Moment hallte plötzlich die Stimme des Ewigen durch seine Gedanken.

    Geh nach ToronSea!

    „Au!" Erschreckt von der Stimme japste Kien, bevor er im nächsten Augenblick einen Schritt zurücksprang, damit die ihm aus der Hand geglittene Klinge ihm nicht die Zehen abschnitt. Sie landete klirrend auf dem Fliesenboden. Die Stimme seines Schöpfers zu hören, barg offensichtlich ungeahnte Risiken. Kien atmete tief durch und drückte eine schwitzige Hand gegen sein Herz. Ganz ruhig!

    ToronSea? Warum? Er war gerade erst für einen Heimaturlaub von seiner Militärausbildung zurückgekehrt. Sein erster Urlaub! Und ToronSea lag mitten im Nirgendwo. Außerdem wurde es von einer Horde dickköpfiger, unsozialer Kerle regiert, die eigentlich zivilisierte Traceländer sein sollten. Kien riss sich zusammen und strich etwas Balsam auf die blutige Kerbe an seinem Hals. „Ich soll nach ToronSea gehen?"

    Du wirst die Gläubigen dort vor meinem Zorn warnen, weil sie sich mit den Anbetern Ateas eingelassen haben. Sag dem, den sie als ihren Anführer gewählt haben, dass er mir treu sein und meinen Willen suchen soll. Außerdem sollst du auch mit einigen Geblendeten sprechen, die Atea lieben. Sag ihnen, dass ich um ihre Fehler weiß und in ihre Herzen sehe. Die Weisen werden mich in deinen Worten erkennen.

    Anbeter der Atea? Waren das nicht die, welche versuchten, Vorhersagen aus den Todeskämpfen der Menschen zu treffen, die sie in rituellen Strangulationen ermorden ließen?

    Verstörend! Kien hoffte, dass die hartnäckigen Gerüchte keine wahre Grundlage hatten. Er würde es vorziehen, nicht das Ziel solch eines Wahrsagerituals zu werden. „Aber, Ewiger, ich bin kein Prophet. Ich bin ein –"

    Bist du mein Diener?

    Entwaffnet, bevor er auch nur versuchen konnte, eine Verteidigung aufzubauen. „Ja. Ich bin Dein Diener. Kien meinte jedes Wort, aber er musste sich trotzdem nicht unbedingt wohl dabei fühlen, oder? Er leckte sich über die Lippen, bevor er fragte: „Bedeutet das, ich soll die Ausbildung zum Militäranwalt und -richter abbrechen?

    Abwartende Stille antwortete ihm. Kien seufzte, bückte sich nach seinem Rasiermesser und versuchte, eine Frage zu stellen, auf die er eine Antwort erwarten konnte: „Soll ich heute noch aufbrechen?"

    Ja.

    „Werde ich überleben?"

    Noch mehr allmächtige Stille. Sein Überleben sollte offensichtlich nicht seine erste Sorge sein. „In Ordnung. Ich rasiere mich zu Ende, organisiere ein paar Dinge und packe meine Sachen zusammen. Wird eine Tasche ausreichen?"

    Er hielt inne. Nichts. Es schien, als müsste er die meisten seiner Fragen selbst beantworten. Und davon hatte er viele. Zum Beispiel: Warum sandte der Ewige nicht Seine wahre Prophetin, Ela von Parne, um ToronSea die Warnung zu überbringen? Andererseits war es völlig inakzeptabel für Kien, sie in eine Situation gehen zu lassen, die lebensbedrohlich für sie werden könnte. Um Ela zu schützen, würde er lieber selbst nach ToronSea gehen.

    Ela … Kien grinste sein Bild im polierten Metallspiegel schelmisch an, während er seine Rasur fortsetzte. Jetzt hatte er die perfekte Ausrede, um die bezauberndste und faszinierendste Person in East Guard zu besuchen. Ela würde zweifelsohne –

    „Kien? Die Stimme seiner Mutter hallte die spiralförmige Steintreppe hinauf bis zu seinem Turmzimmer. „Kiiii-en!

    Eilig tupfte er sein Gesicht trocken und strich seine Tunika glatt, bevor er den Raum durchquerte und die Tür öffnete. Ara Lantec stieg gerade die letzten Treppenstufen hinauf und blieb vor ihm stehen. Normalerweise war sie die Gelassenheit in Person, aber jetzt verengten sich ihre kühlen, grauen Augen. Mit verschränkten Armen stand sie dort und fixierte ihn voller mütterlicher Wut. „Dein Zerstörer frisst meinen Garten! Meinen ganzen Garten! Wenn du dein Biest nicht unter Kontrolle bringst, wird dein Vater es von den Bogenschützen abschießen und zu Eintopf verarbeiten lassen!"

    Kien sah die letzten sechs Monate seines Militärgehaltes vor seinen Augen verschwinden – verschlungen von der Völlerei eines riesigen Schlachtrosses. „Tut mir leid! Ich komme für den Schaden auf."

    Ara schäumte. „Den Garten zu bezahlen wird mir heute Abend nicht helfen. Mein Empfang ist ruiniert!"

    Er würde sich nicht dazu hinreißen lassen, Hilfe für den Empfang seiner Mutter anzubieten, zu dem sie die Elite der Frauen Tracelands eingeladen hatte – mit ihren Töchtern, denen Kien mit aller Leidenschaft entkommen wollte. Zweifellos würden seine Eltern anderenfalls in dem Moment beginnen, seine Hochzeit zu planen, in dem er es auch nur wagte, eines dieser verwöhnten Mädchen anzulächeln. Kien küsste seine Mutter auf das perfekt frisierte, dunkle Haar in der Hoffnung, sie zu versöhnen. Sie schnaubte nur.

    Barfuß lief er die Treppe hinunter. „Keine Sorge! Du wirst mich und den Zerstörer bis heute Mittag los sein. Ich wurde auf eine Mission geschickt."

    „Was? Du bist doch gerade erst von sechs Monaten Dienst zurückgekehrt."

    „Es ist ein Notfall. Und diesem Notfall stellte er sich hundertmal lieber als dem Zorn seiner Mutter, ganz zu schweigen dem von ihr geplanten Empfang. Einige Stufen unter ihr blieb er zögernd stehen und drehte sich um. „Ich dachte, du willst mich loswerden?

    „Nein, ich will nur, dass du diesen Zerstörer um die Ecke bringst!"

    „Ach so, alles klar. Kien hoffte, dass sie seinen Sarkasmus nicht gehört hatte. Das Biest anzuketten, anstatt es zu töten, musste ausreichen. Eilig stieg Kien die restlichen Stufen hinunter und rannte durch die an das Treppenhaus angrenzende Halle. „Sense!

    Er fand das schwarze Monsterpferd mitten im penibel angelegten Garten seiner Mutter, wo es gerade dabei war, genüsslich Blatt um Blatt eines karmesinroten, kleinen und unsagbar teuren Gewürzbäumchens zu verspeisen. Das riesige Tier drehte Kien den Rücken zu und schlug mit dem Schweif.

    Kien knurrte. „Ich weiß, dass du mich hörst. Wage es nicht, dich von mir abzuwenden!"

    Sense schwang seinen großen Kopf herum und sah Kien gereizt und immer noch kauend an. Kien stöhnte und ergriff das Halfter. „Nicht einen einzigen Bissen mehr! Dein Frühstück ist beendet. Beweg dich! Sofort! Gehorche!"

    Immerhin hörte der Zerstörer auf den Befehl ‚Gehorche!‘, auch wenn es seine Einstellung nicht verbesserte. Der überdimensionale Rüpel schnaubte empört, als Kien ihn in Richtung Stall zerrte. Um ihn zur Mitarbeit zu bewegen, sagte Kien: „Ich mach mich eben fertig und dann besuchen wir Ela."

    Senses große Ohren zuckten. „Ela", wiederholte Kien lockend, denn er wusste, dass sie die größte Schwäche des Tieres war. Genauso wie Kiens. „Ich bin sicher, dass die Sträucher um ihr Haus herum in den letzten sechs Monaten hoch genug gewachsen sind, um selbst deinen Hunger zu überleben."

    Er sprach weiter von Ela, während er den widerwilligen Sense an einem Eisenring festkettete, der im Hof des Stalls in den Stein eingebettet worden war. „Warte hier. Ich bin gleich wieder da." Diese Runde hatte er gewonnen. Zumindest gegen den Zerstörer.

    Seine Mutter und der Ewige waren eine andere Geschichte.

    Doch die Anhänger Ateas in ToronSea und ihre tödlichen Wahrsagerituale verlangten nach seiner Anwesenheit.

    Kien hoffte nur, dass er dieses Abenteuer überleben würde.

    ***

    Ela Roeh rutschte auf ihrer gewebten Matte in der Nähe der alten Steinruinen des Tempels des Ewigen hin und her, während sie ihre Schüler betrachtete.

    Fünf junge Frauen saßen modisch gekleidet in pastellfarbigen Tuniken und weichen Mänteln vor ihr. Ihre ordentlich frisierten Köpfe mit den hochgesteckten Haaren über die morgendliche Lektion gebeugt, bewegten sich ihre Schilfrohrfedern über die Schreibtafeln aus Wachs, während das Licht der frühen Herbstsonne auf sie fiel.

    Es machte Ela zu schaffen, dass ihre Schülerinnen allesamt in ihrem Alter waren. Innerlich fühlte Ela sich älter als Achtzehn, wenn auch nicht älter als ihre liebe, achtzigjährige Begleiterin. Sie warf einen Seitenblick auf Tamri Het, eine Siphrerin, die sie vor sieben Monaten ins Traceland begleitet hatte. Tamri, die nicht weit entfernt saß, wirkte vollkommen harmlos. Wer konnte ahnen, dass diese Urgroßmutter die Anführerin einer Revolution gewesen war? Besonders in diesem Moment, in dem sie wie ein kleines Mädchen vor sich hin summte, während ihr Kopftuch leicht im Wind flatterte.

    Hmm. Vielleicht war sie im Geiste doch älter als Tamri. Nicht, dass es wichtig gewesen wäre.

    Alt im Geiste oder nicht, alle Propheten Parnes starben jung. Der Ewige hatte es ihr bestätigt. Ela kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sicherlich würde ihr Tod den Zielen des Ewigen dienen. Aber wann?

    Tzana, Elas zerbrechlich wirkende, kleine Schwester, setzte sich neben sie auf die Matte. Ihr schmales, vorzeitig gealtertes Gesicht zeigte Falten, die nicht nur von ihrer unheilbaren Erkrankung, sondern auch von Sorge hervorgerufen worden waren. „Du siehst traurig aus", flüsterte Tzana.

    Ela beugte sich zu ihr herunter und flüsterte zurück: „Bin ich nicht."

    Doch sie war rastlos. Ela strich Tzana eine ihrer dünnen Locken hinters Ohr und zwang sich zu entspannen. Tzana kuschelte sich zitternd an Ela, die sie eng an sich drückte. Das kleine Mädchen mochte die kühle Herbstluft nicht. Ela konnte es ihr nicht verübeln. Tzana war an das wärmere Klima in Parne gewöhnt und die hier herrschenden, feuchten Meeresbrisen verschlimmerten ihre Arthritis. Heute Abend würde sie mehr von der Salbe zubereiten, die Tzanas schmerzenden Gelenken Linderung brachte, beschloss Ela.

    Ein weiteres Flüstern ertönte – dieses Mal aus den Reihen ihrer Schülerinnen.

    „Fertig!" Beka Thel, Kiens Schwester, legte ihre Feder und die Tafel beiseite. Beka war so klug wie ihr Bruder. Und ebenso charmant. Mit glänzenden, braunen Augen warf Beka Ela ein schelmisches Lächeln zu, das dem Kiens so ähnlich war, dass Ela seufzte. Kien …

    Sie erwiderte Bekas Lächeln, doch während sie darauf wartete, dass die anderen vier Mädchen ebenfalls ihre Aufgabe beendeten, schimpfte Ela innerlich mit sich selbst. Sie durfte nicht an Kien denken. Warum sich selbst quälen? Und doch dachte sie unentwegt an ihn. Keine anständigen Gedanken für eine Prophetin. Sie sollte besser über den Ewigen nachdenken.

    Ela schloss die Augen und betete still zu ihrem Schöpfer, bis sie von plötzlicher Unruhe ergriffen wurde. Eine dunkle, verunsichernde Angst. Was geschah?

    Ewiger?

    Stille. Doch sie spürte, dass Sein Geist ihr nah war. Entschlossen konzentrierte Ela sich auf ihr Gebet und den Ewigen. Vielleicht antwortete Er nicht dann, wenn sie es gerne hätte, doch Er antwortete immer. Sie musste nur durchhalten und Seine Entscheidungen akzeptieren.

    Ewiger, wie lautet dein Wille?

    Bevor Ela nach Luft schnappen konnte, wurde sie in eine Vision gesogen, die sie innerlich wie in einer Windhose umherwirbelte und nach Parne brachte. Nach Hause. Aber nicht zu ihrer Familie. Ela zitterte, als sie ihre Umgebung erkannte. Sie stand auf dem steinernen Aussichtsturm der Wache auf Parnes hoher Stadtmauer. Viel zu hoch! Gegen den Schwindel ankämpfend, konzentrierte sie ihre Gedanken auf ihre Atmung und darauf, die Qualen der Vision zu ertragen. Ewiger!

    Kind des Staubes, murmelte der Ewige, was siehst du?

    Aus Angst hinunterzusehen, heftete Ela ihren Blick auf den westlichen Horizont – auf ein schreckliches, albtraumhaftes Bild, das sich von Norden über den ganzen Himmel bis in den Süden erstreckte. Kaum in der Lage, Worte über die Lippen zu bringen, flüsterte Ela: „Ich sehe einen riesigen Kessel am Himmel … der kochendes Öl über Parne ausgießt."

    Ihr Zuhause stand kurz vor der Zerstörung!

    Als Ela sich etwas gesammelt hatte, sagte ihr Schöpfer: Mein Volk hat mich verlassen! Sie verbrennen Rauchopfer für andere Götter und beten Götzen an, die sie mit ihren eigenen Händen geschaffen haben.

    „Nein …"

    Eine Katastrophe wird Parne ereilen und alle, die dort leben.

    „Nein!" Alle, die dort leben? Vater. Mutter. Und ihr kleiner Bruder. Wo war Tzana? Elas Arme und Beine fühlten sich an, als wären sie zu Stein erstarrt. Es war ihr unmöglich, Tzana zu erreichen … obwohl sie ihre Schwester wie aus der Ferne rufen hören konnte.

    Bilder wie aus einem bösen Traum erwachten hinter ihren Augenlidern und in ihren Gedanken zum Leben. Die Vision erweiterte sich mit solcher Kraft, dass Ela aufschrie, während eine Flut von Gesichtern, geflüsterten Worten und Schrecken auf sie einströmte. Dann fiel sie vornüber vom Wachturm.

    Eine Finsternis, dichter als alles, was sie je erlebt hatte, zog ihre Seele unter die Erde und begrub sie lebendig. Als sie innerhalb ihrer Vision an den feuchten Wänden kratzte und den grässlichen Gestank des Todes einatmete, sprach der Ewige erneut: Bereite dich vor.

    Die Qualen der Vision zogen sich noch enger um sie zusammen und drohten, sie zu erdrücken. In dem verzweifelten Versuch, ihre Familie und Parne zu retten, kämpfte Ela um ihr Bewusstsein. Doch sie versagte.

    2

    Sense beschwerte sich mit tiefen Kehllauten, als Kien ihn vor General Rols weitläufigem, niedrig eingemauertem Haus zum Stehen brachte. Kien ignorierte die schlechte Laune des riesigen Pferdes, stieg ab und kettete das unruhige Tier an den gesetzlich vorgeschriebenen Zerstörer-Stein – einen massiven, bis zur Hälfte eingegrabenen Felsbrocken, in den zwei riesige Metallringe eingelassen worden waren. Obwohl er den Zweck eines solchen Kettensteins verstand, ärgerte Kien sich, wann auch immer er einen sah.

    Es war gut und schön, dass sein Vater und die Große Versammlung des Tracelands solch teure Maßnahmen für die neu erworbenen Zerstörer des Landes erlassen hatten. Da sie an so viele zivilrechtliche Vorschriften gebunden waren, kosteten Zerstörer unter Garantie mehr als ein gewöhnlicher Landbesitzer sich leisten konnte. Schlimmer noch: Die Kettensteine taten nichts, um das aufbrausende Temperament der mächtigen Kreaturen zu bändigen.

    Ironischerweise würde jedes der Tiere bis in alle Ewigkeit warten, wenn der Besitzer ihm befahl, sich nicht vom Fleck zu rühren. Mit oder ohne Futter und ganz ohne die Hilfe eines Kettensteins.

    Kien streckte die Hand aus und strich über Senses glänzenden, schwarzen Hals. „Warte hier. Es dauert nicht lange. Der General muss wissen, warum ich fort sein werde. Iss nichts und niemanden, während ich drinnen bin."

    Die Augen des Zerstörers funkelten und er schnaubte. Unterdrückte Wut? Unterdrückter Appetit? Kien wollte es gar nicht so genau wissen. Er betrat die Residenz des Generals, wurde dort von einem Diener erkannt, begrüßt und direkt in General Rols Versammlungsraum geführt.

    „Lantec! Der General blickte von seinem Stuhl hinter einem breiten, überladenen Tisch auf. Sein silbernes Haar war zerzaust, seine schwere Tunika zerknittert und in seinem dürren, strengen Gesicht stand ein toternster Ausdruck. „Ich wollte gerade nach dir schicken. Er räusperte sich und schloss seine durchdringend blickenden, braunen Augen für einen Moment. „Gib dein Schwert ab."

    Unwillkürlich griff Kien nach dem Griff seines Militärschwertes. „Bei allem Respekt, Herr, was habe ich getan, um –"

    Der General schnitt ihm die Frage mit erhobener Hand ab: „Du hast gegen die geltenden Vorschriften verstoßen. Ungeduldig winkte Rol mit der Hand. „Dein Schwert!

    Kien fügte sich, schnallte seinen Schwertgurt ab und schob sich das lederne Wehrgehänge von der Schulter. Er wurde nach nur einem offiziellen Dienstgang aus dem Militär entlassen. Wie sollte er das seinen Eltern erklären? Noch während Kien sein Schwert und die dazugehörige Scheide auf den Tisch legte, überlegte er, was als Nächstes zu tun sei und welche beruflichen Optionen für seine Zukunft offenständen. Wenn das Militär ihn so schnell und unfair rausschmiss, dann …

    General Rol öffnete eine lange Holzkiste, hob ein Schwert heraus und trat um den Tisch herum, um Kien in die Augen zu sehen. „Nun erfüllst du die geltenden Vorschriften."

    Kien schaute auf das ihm überreichte Schwert und lachte auf. Anscheinend wurde nur sein Schwert aus dem Dienst genommen. Diese neue Waffe aus Azurnit mit ihrer prachtvollen, blauen Klinge, die wie Wasser aussah, war den Streich des Generals mehr als wert. Nur die wohlhabendsten Bürger in East Guard besaßen diese außergewöhnlichen Waffen. Bis jetzt. „Ich werde nicht unehrenhaft entlassen?"

    „Nein. Rol grinste wie ein kleiner Schuljunge. „Die erste Lieferung der Schwerter kam heute Morgen rein. Ich habe dich ganz schön reingelegt, oder?

    „Ja, Herr, das hast du." Gut, dass er keine Schimpftirade auf den General losgelassen hatte.

    „Nun, bewaffne dich, Soldat! Wenn ich die Zeit hätte, würde ich dich zu einem Übungskampf herausfordern."

    „Ich bedaure deinen Zeitmangel, Herr." Kien verbarg ein Lächeln, als er das neue, schwarze Wehrgehänge über die Schulter legte und den Gürtel um seine Taille schwang. Glücklicherweise war Rol zu sehr auf die neuen Waffen fixiert, um Kiens Grinsen zu bemerken.

    „Diese Schwerter, kombiniert mit unserem, beinahe exklusiven, Besitz der Zerstörer, macht Traceland zu der dominierenden Macht weithin. Kein anderes Land kann es mit uns aufnehmen! Weder Istgard noch Siphra noch Belaal."

    „Das stimmt zweifellos, meinte Kien. Das mächtigste Militär zu besitzen, würde jedoch auch Probleme garantieren – wie Neid und Verschwörungen eben dieser anderen Länder. Kien schob seine Bedenken beiseite. „Bei allem Respekt, Herr, bitte gib mir dein Wort, dass du auch alle anderen Untergebenen so hinters Licht führen willst.

    „Ich beabsichtige, meinem gesamten Stab und jedem meiner Kommandanten diesen Streich zu spielen – jedem einzelnen. Der General rieb die Hände Ränke schmiedend aneinander. „Ich verbiete dir, irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen.

    „Ich werde schweigen wie ein Grab, versprach Kien. Er unterdrückte einen plötzlichen Schauder, als er die neue, schwarz umbundene Scheide an seinem Gürtel befestigte. Was, wenn er doch ein Prophet war und gerade sein eigenes Ableben vorhergesagt hatte? „Tatsächlich, Herr, werde ich gar nicht hier sein, um den Spaß zu verderben oder ihn mit dir zu genießen. Ich breche noch heute nach ToronSea auf.

    „ToronSea? Diese Seepocke auf einem Stein? Wozu das?"

    „Auf Befehl des Ewigen. Ich soll die Anhänger des Ewigen dort aufsuchen und sie auf den richtigen Weg zurückbringen. Außerdem soll ich einige Anhänger Ateas dort auffordern, den Ewigen zu suchen."

    Rol runzelte die Stirn. „Der Ewige, hm? Obwohl der General sich nie zu seinem Schöpfer bekannt hatte, leugnete er die Existenz des Ewigen nicht. „Nicht, dass ich deinen Auftrag in Frage stellen möchte, aber wäre das nicht Ela von Parnes Aufgabe? Sie ist die Prophetin und Botin, mein Junge – die kleine Königreich-Stürzerin. Oder bist du plötzlich auch zu einem Propheten geworden?

    „Ich hoffe nicht."

    „Gut. Ich hoffe es auch nicht. Ich habe dich zum Militärdienst eingeteilt. Deine Aufgabe ist es, Verträge mit unseren Feinden und Verbündeten zu schließen! Und die rechtlichen Interessen unserer Soldaten zu verteidigen. Wahrsagerei gehört nicht zu dieser Liste an Aufgaben. Hast du das verstanden?"

    Wahrsagerei? Kien war sich nicht sicher, ob ihm dieser Begriff gefiel. „Klar und deutlich, Herr."

    Rol hob eine silberne Augenbraue, als sein Blick auf Kiens Kiefer fiel. „Hast du dich mit dem Rasiermesser geschnitten?"

    Kiens Gesicht wurde heiß und er konzentrierte sich darauf, das neue Schwert in die Scheide zu schieben. „Ja, General. Ich wurde beim Rasieren unterbrochen."

    „Ich mache mir Sorgen um dich, Lantec. Vielleicht sollte ich das Schwert konfiszieren, bis ich sicher bin, dass du damit umgehen kannst. Wie lange wirst du fort sein?"

    „Ungefähr fünf Tage." Kien hoffte, dass diese Schätzung realistisch war. Sein Militärurlaub betrug sechs Wochen. Wenn er zwei Reisetage pro Strecke und einen Tag in ToronSea selbst einplante, könnte er sich danach auf beinahe fünf Wochen Werben um Ela freuen. Und es würde noch genügend Zeit übrigbleiben, um mit seinem Schwager Jan Bogenschießen zu üben und mit ihren Zerstörern ein paar Rennen zu veranstalten.

    Die Stimme des Generals wurde ernster. „Es wird doch nicht etwa eine Revolte oder ähnliches geben, oder?"

    „Ich … ich weiß nicht, gab Kien zu. „Ich habe nicht viel mehr Informationen erhalten, als die Anweisung, heute abzureisen.

    „Also nicht einmal die grundlegenden Dinge?"

    „Nicht einmal das, Herr."

    „Das ist nicht gut. Der General blies die Backen auf und ließ die Luft langsam entweichen, bevor er fortfuhr: „Ich habe Berichte über Ärger in ToronSea erhalten – Raubüberfälle und so. Bist du sicher, dass keine militärische Beteiligung notwendig sein wird? Muss ich deinen Urlaub aussetzen?

    „Ja, Herr. Und nein, Herr!"

    „Hmpf. Ich werde jegliche Kenntnis dieses Gespräches leugnen, sollte das Schlimmste passieren, Lantec. Faire Warnung."

    „Warnung erhalten, General."

    „Und verlier dein Schwert nicht. Sonst liegst du in Ketten, sobald wir dich erwischen."

    Ketten? Erinnerungen an seine Monate als politischer Gefangener in Istgard, dem westlichen Nachbarland des Tracelands, wurden geweckt. Kien erschauderte. Bevor er sich wieder einsperren ließe, würde er fliehen … oder kämpfen. „Einverstanden, Herr." Bedeutete das, der General erteilte Kien inoffiziell die Erlaubnis, das Schwert aus Azurnit mit nach ToronSea zu nehmen? Nun, er hatte es Kien auf jeden Fall nicht ausdrücklich verboten, das Schwert mitzunehmen. Es könnte eine Art unausgesprochener Befehl des Vorgesetzten gewesen sein. Großartig …

    Rols mürrischer Gesichtsausdruck spiegelte Kiens eigene Unzufriedenheit wider. „Halte mich über die Ereignisse in ToronSea auf dem Laufenden. Unauffällig. Wir können nicht zulassen, dass unsere Bürger sich bedroht fühlen, oder?"

    „Nein, Herr." Kien verbeugte sich und ging.

    Draußen zog Sense enge, unruhige Kreise um den riesigen Kettenstein. Als er Kien sah, blieb er stehen und stampfte mit dem Huf auf, als wollte er Kien zur Eile drängen. Kien löste das Ende der Kette, mit der er den Zerstörer an dem Stein befestigt hatte, und schnallte sie wieder an das ledernde Kampfgeschirr des Tieres. „Ist ja gut. Jetzt besuchen wir Ela."

    Kien schwang sich mithilfe der Schlaufen des Geschirrs auf Senses Rücken, auf dem eine Satteldecke lag. Kaum hatte Kien die Spitzen seiner Stiefel in die Reitschlaufen geschoben und die Zügel aufgenommen, da schoss der Zerstörer auch schon vorwärts wie ein Pfeil, der sein Ziel sucht.

    „Hey! Kien griff mit einer Hand in das Kriegsgeschirr und hielt den Atem an. Bei dieser Geschwindigkeit würde das Biest noch jemanden auf East Guards Straßen niedertrampeln. Er nahm die Zügel kürzer. „Sense, was ist dein Problem? Langsamer!

    Der Zerstörer reagierte nicht. Seine Hufschläge donnerten durch die Straßen und hallten so laut von den stattlichen, öffentlichen Gebäuden mit ihren Säulengängen wider, dass es Kien in den Ohren klingelte. Auf der mit Steinen gepflasterten Straße vor ihm schrien die Bürger auf und stoben, in berechtigter Angst um ihr Leben, aus dem Weg. Ein schwarz gekleideter Gelehrter stolperte, konnte sich aber gerade noch fangen und Sense aus dem Weg springen.

    Vor Kiens innerem Auge flatterten bereits Zivilprozesse und Geldstrafen auf ihn zu und er rief: „Schritt!"

    Sense fiel in einen Schritt, doch er zitterte und stöhnte. Seine Erregung musste mehr bedeuten als bloßer Ärger, weil er vor dem Haus hatte warten müssen, während Kien beim General war. Nur eine einzige Sache konnte einen Zerstörer in solch einen emotionalen Aufruhr stürzen – ein Meister in Not. Kien, Senses derzeitiger Meister, war zwar aufgewühlt und fühlte sich gerade ordentlich durchgeschüttelt, dennoch war er wohl kaum in akuter, physischer Gefahr. Das musste bedeuten, dass Senses anderer Meister in Not sein musste. Vielleicht in Lebensgefahr! Schweiß bildete sich auf Kiens Haut. „Ela!"

    Mit zusammengebissenen Zähnen hielt Kien den Zerstörer im Zaum, solange sie sich durch die Straßen der Stadt East Guard bewegten. Sobald sie sich jedoch den breiten, waldbeschatteten Hängen des Tempelberges außerhalb der Stadt näherten, lehnte er sich vor, atmete einmal tief durch und ließ dem riesigen Pferd auf der unbefestigten Straße freien Lauf. „Aber es wird niemand niedergetrampelt! Los!"

    Die Bäume erzitterten und verschwammen vor Kiens Augen, als Sense den Weg zum alten Tempel hinaufschoss. Mit gewaltiger Kraft erklomm das Schlachtross mit weitausholenden Galoppsprüngen den Tempelberg und stürzte auf die breite Lichtung, wo es erst geringfügig langsamer wurde, als sie die Ruinen des Tempels erreichten. Eine Gruppe Mädchen kreischte auf und stob auseinander, als Sense sich ihnen näherte. Zurück blieben vier Figuren auf einer Matte im sonnenbeschienenen Gras. Sense steuerte direkt darauf zu. Kien rief: „Schritt!"

    Das Pferd beschwerte sich schnaubend, doch es gehorchte.

    Als Kien die vier Mädchen vor sich genauer betrachtete, erkannte er seine Schwester Beka sofort, die sich neben Elas winziger Schwester Tzana und Elas rüstiger, selbsternannter Aufpasserin Tamri Het befand. Alle drei knieten neben Ela, die zusammengerollt auf der Matte lag.

    Ela … Als Kien abstieg, beugte Sense seinen großen Kopf und strich mit seinen Nüstern über Elas aschfahles Gesicht.

    Sich neben seine Schwester hockend fragte Kien: „Was ist passiert?"

    In Bekas Augen standen Tränen. „Sie ist ganz bleich geworden, hat irgendetwas geflüstert und das Bewusstsein verloren. Aber bevor sie in Ohnmacht fiel, hat sie geschrien. Oh, Kien, ich habe noch nie jemanden so schreien gehört!"

    Tzana rieb mit ihrer kleinen, knorrigen Hand über den Arm ihrer Schwester, als wollte sie Ela aufwecken. „Ich denke, sie wacht bald auf."

    Kien drückte seine Fingerspitzen auf Elas kaltes Handgelenk, doch ihr Puls war kaum wahrnehmbar. Unter ihren Augenlidern rollten Elas Augäpfel hin und her. Kien nahm seinen Umhang von den Schultern und breitete ihn über Ela, während Sense zustimmend grummelte. Elas totengleiche Blässe und ihre eiskalte Haut gefielen ihm gar nicht. Wenigstens wusste er, warum sie das Bewusstsein verloren hatte. „Sie hat eine Vision. Obwohl ich noch nie gesehen habe, dass eine Vision sie mit solcher Wucht getroffen hat."

    Langsam näherten sich die anderen Mädchen wieder, warfen jedoch ängstliche Blicke in Richtung Sense. „Er wird euch nichts tun, versprach Kien. „Er sorgt sich nur um Ela.

    „Ach, und wir nicht?", antwortete eines der Mädchen schnippisch und Empörung klang in ihrer Stimme durch.

    Erschrocken vom Tonfall des Mädchens, warf Kien ihr einen Blick zu und erkannte sie sofort. Es war die hübsche und verzogene Xiana Iscove. Mit Nia Rol, der Tochter des Generals. Beinahe wäre Kien aufgesprungen. Na, wunderbar … Wenn es Ela nicht so schlecht gehen würde, nähme er die Beine in die Hand und würde fliehen. Ein Schlachtfeld wäre verlockender. Seine Eltern wollten, dass er eines dieser Mädchen heiratete.

    Niemals! Das würde auf keinen Fall passieren! Nicht einmal, wenn Elas Unterricht und ihr unglaubliches Vorbild den Charakter ihrer Schülerinnen um das Zehnfache verbesserten.

    Er fokussierte seinen Blick wieder auf Ela und betete laut, während sie warteten: „Ewiger, bitte gib sie wieder frei und lass es ihr gutgehen."

    Eine von Elas Händen lugte unter dem dunklen Umhang hervor. Gerade, als Kien den Saum des Mantels über ihre Finger ziehen wollte, blitzte ein blauweißes Licht in ihrer blutleeren Handfläche auf und nahm die Form eines dünnen, schillernden und verwitterten Rebenholzstabes an.

    Kien starrte darauf. Der Stab des Propheten – Elas Insigne. Er hatte schon einmal beobachtet, wie der Stab sich verwandelt hatte, aber er hatte nicht gewusst, dass sich das heilige Objekt auch einfach aus dem Nichts materialisieren konnte. Erstaunlich …

    Das Glühen des Stabes verstärkte sich und wurde wärmer. Zu Kiens Erleichterung umklammerte Ela den Stab plötzlich heftig, keuchte auf und öffnete die Augen. Eine ihrer jüngeren Schülerinnen brach in Tränen aus.

    Kien ignorierte sie und die anderen und beugte sich nach vorn. „Ela?"

    ***

    Ela blinzelte und holte erneut tief Luft. Nein! Sie wollte nicht leben! Nicht, wenn weiterzuleben bedeutete, nach Parne zu gehen. Sie schloss erneut fest die Augen und wünschte, sie könnte sich einfach in Nichts auflösen.

    „Ela?" Kiens Stimme lockte sie, leise und so besorgt, dass Elas Sehnsucht nach dem Tod verblasste. Vorerst … War Kien hier? Sie fürchtete sich, ihre Augen zu öffnen. Kien könnte einfach verschwinden und dann würde die Vision von Parne sicher zurückkehren.

    Warmer, feuchter Zerstörer-Atem wehte über Elas Wange und im nächsten Moment strichen weiche Pferdenüstern über ihr Gesicht. Sense … Pony.

    Der Zerstörer leckte ihr über den Hals und das Gesicht und seine Zunge war so rau, dass Ela abwehrend eine Hand hob. „Pony …, murmelte sie mit immer noch geschlossenen Augen. „Nicht lecken. Zerstörer-Sabber. Igitt! Zumindest roch sein Atem angenehm. Nach Blütenblättern. Und warmem Baumharz. Sie konzentrierte sich auf dieses Bild von Blütenblättern und Baumharz, das so viel erträglicher war als ihre Vision von Parnes Untergang. Ela strich über die weichen Nüstern des Zerstörers und fragte: „Was hast du gefressen?"

    „Den Garten meiner Mutter", antwortete Kiens Stimme direkt über ihr.

    Sie sah auf und blickte direkt in seine wunderschönen grauen Augen. Auf seine anziehenden Lippen. Oh nein! Überhaupt nicht prophetenhaft, sich so sehr von seinem gutaussehenden Gesicht und seinem bezaubernden Charme einnehmen zu lassen. Denk an etwas anderes. Genau! Pony hat Ara Lantecs vollkommenen Garten verspeist. „Den ganzen Garten?"

    „Jede Blüte und jedes Blatt. Mit Ausnahme von fünf Gewürzgummibäumchen."

    „Oh, Pony!", schimpfte Tzana mit enttäuschter Stimme mit Sense. „Hast du wirklich alle Blumen gefressen?"

    „Mutters wunderschöne Blumen?", fragte Beka entsetzt.

    Sense schnaubte unbeeindruckt und drehte den Kopf weg. Unter anderen Umständen hätte Ela vielleicht gelacht.

    Kien blickte den Zerstörer finster an. „Natürlich interessiert dich das überhaupt nicht, du Monster. Du bezahlst ja nicht für den Schaden. Oder doch?"

    Ela versuchte, hoffnungsvoll zu sein – zumindest, was den Garten betraf – und setzte sich auf. Ihr wurde schwummrig vor Augen und sie musste sich auf den Stab stützen. „Vielleicht hat Pony … Sense … einfach alle Pflanzen beschnitten und im nächsten Frühjahr werden sie umso prächtiger blühen."

    „Zertrampelte und zerrupfte Pflanzen sind nicht ‚beschnitten‘. Kien lehnte sich mit grimmigem Blick nach vorn. „Und du, Parnerin, weichst dem Thema aus, das wir eigentlich diskutieren wollen. Was hast du in deiner Vision gesehen?

    Xiana Iscoves gelangweilter Gesichtsausdruck hellte sich auf. „Ja, bitte sag es uns!"

    Sich der lauschenden Mädchen bewusst, berührte Ela ihre zerbrechliche, kleine Schwester an der Schulter. „Tzana, könntest du mir etwas Warmes zu trinken holen, bitte?" Allein die Erinnerung an die Vision ließ ihr einen kalten Schauder über den Rücken laufen – trotz Kiens schwerem Umhang.

    Neben Tzana meldete sich Tamri zu Wort: „Wo bin ich nur mit meinen Gedanken? Natürlich brauchst du etwas Warmes zu trinken nach solch einem Schock! Wir beeilen uns. Tzana, Liebes, komm und hilf mir." Die alte Frau stand so geschmeidig auf, dass Ela sie beneidete. Wie war es wohl, achtzig Jahre alt zu sein? Wirklich achtzig? Sie konnte es nur vermuten. Sie selbst würde dieses Alter niemals erreichen.

    „Danke, Tamri. In dem Moment, als Tzana außer Hörweite war, berichtete Ela leise: „Parne befindet sich nun in offener Rebellion gegen den Ewigen und wurde verurteilt. Ich muss meine Familie und Freunde warnen – und jeden, der zuhören wird. Vielleicht werden sie überleben.

    Die fünf Mädchen starrten sie ungläubig an. Beka runzelte die Stirn und ihre braunen Augen mit den langen Wimpern verengten sich. „Was überleben?"

    „Die Belagerung."

    „Eine Belagerung?" Kiens Gesichtsausdruck wurde

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