Ein Kind begreift die Welt nicht mehr: Mami Bestseller 57 – Familienroman
Von Cornelia Waller
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Über dieses E-Book
Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt!
»Wir bekommen demnächst Besuch aus Südamerika, Frau Lindes. Es ist der Direktor eines großen Werkes, mit dem wir künftig eng zusammenarbeiten werden, ein gebürtiger Deutscher übrigens. Bitte, kümmern Sie sich um Zimmer im ›International‹, und zwar mit allem Komfort. Na ja, und so das übliche eben, wenn wir ausländische Gäste haben. Sie wissen ja Bescheid.« Dr. Cordes zog an seiner Brasil und unterschrieb die Akte, die Juliane ihm gerade vorgelegt hatte. »Wann kommt der Herr?« fragte sie sachlich, wie es sich für eine gute Sekretärin gehörte. »Und wie viele Begleiter bringt er mit?« »Am Montag. Und es sind drei Herren insgesamt.« »Erwarten Sie sie selbst am Flugplatz?« Meistens ließ sich der Chef das nicht nehmen, wenn es sich um bedeutende Besucher handelte. »Das geht leider nicht. Meine Frau kommt in die Klinik und würde… Also ich muß sie natürlich begleiten«, erwiderte der Gewaltige etwas kleinlaut. Beinahe hätte Juliane gelächelt. Es war ja bekannt, daß Dr. Cordes ziemlich unter dem Pantoffel seiner besseren Ehehälfte stand.
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Buchvorschau
Ein Kind begreift die Welt nicht mehr - Cornelia Waller
Mami Bestseller
– 57 –
Ein Kind begreift die Welt nicht mehr
Was ist bloß mit Daniels Mutter los?
Cornelia Waller
»Wir bekommen demnächst Besuch aus Südamerika, Frau Lindes. Es ist der Direktor eines großen Werkes, mit dem wir künftig eng zusammenarbeiten werden, ein gebürtiger Deutscher übrigens. Bitte, kümmern Sie sich um Zimmer im ›International‹, und zwar mit allem Komfort. Na ja, und so das übliche eben, wenn wir ausländische Gäste haben. Sie wissen ja Bescheid.«
Dr. Cordes zog an seiner Brasil und unterschrieb die Akte, die Juliane ihm gerade vorgelegt hatte.
»Wann kommt der Herr?« fragte sie sachlich, wie es sich für eine gute Sekretärin gehörte. »Und wie viele Begleiter bringt er mit?«
»Am Montag. Und es sind drei Herren insgesamt.«
»Erwarten Sie sie selbst am Flugplatz?« Meistens ließ sich der Chef das nicht nehmen, wenn es sich um bedeutende Besucher handelte.
»Das geht leider nicht. Meine Frau kommt in die Klinik und würde… Also ich muß sie natürlich begleiten«, erwiderte der Gewaltige etwas kleinlaut.
Beinahe hätte Juliane gelächelt. Es war ja bekannt, daß Dr. Cordes ziemlich unter dem Pantoffel seiner besseren Ehehälfte stand.
»Wenninger vertritt mich, und damit auch eine charmante Dame dabei ist, dachte ich, daß Sie ihn begleiten. Die Südamerikaner fliegen ja auf hübsche blonde Frauen. Sie werden also sozusagen strategisch eingesetzt.« Er lächelte.
Juliane seufzte komisch.
»Ja, ja, so wird man zweckentfremdet. Ich werde doch um eine Gehaltserhöhung nachsuchen müssen, Herr Doktor.«
»Einverstanden«, antwortete ihr Chef so umgehend, daß Juliane ihn verblüfft ansah. »Wenn diese Verbindung zustande kommt, werden Sie in Form einer Erhöhung honoriert. Also seien Sie nicht so sparsam mit Ihrem Charme.«
»Und auf welche Namen soll ich die Zimmer bestellen? Oder geht das über unsere Firma?«
»Selbstverständlich, Frau Lindes. Und nun machen Sie mal Feierabend, es ist schon wieder später geworden, wie ich sehe.«
Ja, das wurde es eigentlich immer, dachte Juliane Lindes und seufzte insgeheim. Nur geruhte der Chef es selten zu bemerken. Dann beeilte sie sich aber, ihre Schreibmaschine im Vorzimmer abzudecken und mit ein paar Handgriffen Ordnung auf ihrem Arbeitstisch zu machen.
Eilig schlüpfte sie in ihren Mantel und nahm die Umhängetasche. Ein Blick in den Spiegel sagte ihr, daß ihr Äußeres tadellos wie immer war. Das halblange blonde Haar fiel locker und seidig, ihr schmales Gesicht umrahmend, herunter, das dezente Make-up hob die tiefblauen Augen strahlend hervor, und die Lippen, weich und sanft geschwungen, erhielten nach einem Strich mit dem Lippenstift auch wieder die nötige Farbe.
Es war kein Wunder, daß der jungen Frau auf der Straße bewundernde Männerblicke folgten, wie sie langbeinig und in der ihr eigenen beschwingten Art ausschritt.
Juliane Lindes war knapp dreißig, aber man schätzte sie gut und gern fünf Jahre jünger. Daß sie bereits einen achtjährigen Sohn hatte, traute ihr auf den ersten Blick wirklich keiner zu.
Ihr Sohn! Ein leises Lächeln lag um ihre Lippen, ihr Schritt wurde noch schneller. Daniel wartete gewiß schon auf die Mami! Er befand sich, während sie arbeitete, in einer Kindertagesstätte.
Es war ein großes Glück für sie, ihn hier ganztägig untergebracht zu haben; denn wer hätte das Kind betreuen sollen, nachdem ihre Mutter vor zwei Jahren plötzlich verstorben war, die bis dahin liebevoll für den Kleinen gesorgt hatte.
Nach der Schule ging er dorthin, seine Aufgaben wurden überwacht, und er hatte Spielgefährten. Juliane wußte ihn versorgt und konnte unbelastet ihrer Arbeit nachgehen. Sie verdiente gut als Sekretärin, sie hatten eine hübsche Dreizimmerwohnung, und materielle Sorgen kannte sie eigentlich nicht. Natürlich gab es offene Wünsche, die hatte schließlich jeder, aber mancher ledigen Mutter ging es weitaus schlechter als ihr.
Ja, Juliane war unverheiratet, Daniel ein sogenanntes uneheliches Kind! Da war einst ein Mann gewesen, den sie geliebt hatte, der erste Mann ihres Lebens! Aber Harald Heuser hatte Abenteuerblut in den Adern gehabt, von fremden Ländern hatte er geträumt, von kühnen Pioniertaten, die er vollbringen wollte.
Eines Tages hatte er ihr gestanden, daß er sich um eine Auswanderung nach Südamerika bemüht hatte. Südamerika! Nun wußte Juliane auch, warum sie auf dem Heimweg an ihn denken mußte. Der Geschäftsbesuch kam ja auch dorther.
Nie wieder hatte sie von Harald gehört, seit eines Tages sein Schiff von Genua abgegangen war. Sie war zu stolz gewesen, ihn halten zu wollen, und sie hatte sich gefragt, ob sie mit einem Mann glücklich werden konnte, der ihretwegen große Pläne aufgegeben hätte!
Und dann – seit seinem Fortgang waren drei Wochen vergangen – merkte sie, daß sie ein Kind erwartete! Noch heute stand in ihrer Erinnerung die Panik, die sie überfallen hatte!
Da schwamm der Vater ihres Kindes irgendwo auf den Weltmeeren, sie wußte nichts weiter, als daß er nach Buenos Aires in Argentinien fuhr! Was sollte sie tun?
*
Das weiße langgestreckte Haus inmitten von Kinderspielplätzen und Rasenflächen machte schon einen stillen Eindruck. Die kleinen Gestalten, die es den ganzen Tag bevölkerten, waren verschwunden.
Juliane legte noch einen Schritt zu. Da wartete die nette Schwester Martha wohl wieder ihretwegen mit dem Nachhausegehen. Schon als sie das Gartentörchen öffnete, ging die Tür auf, und Daniel stürzte heraus.
»Mami! Mami!« schrie er und flog in ihre Arme.
Juliane schwenkte ihn herum.
»Tag, mein Herzle! Gelt, ich bin wieder arg spät heute? Hat Schwester Martha nicht schon geschimpft?«
»Schwester Martha schimpft nie«, versicherte der kleine Blondschopf mit den blauen Augen der Mutter ernsthaft.
Und da kam die Gute auch schon lächelnd heraus. Sie winkte ab, als Juliane sich entschuldigen wollte.
»Ich habe sowieso noch aufzuräumen, Frau Lindes. Der Daniel hilft mir immer fleißig, gelt, Kleiner?«
»Hm!« Er nickte und hüpfte von einem Bein aufs andere. »Und gebastelt haben wir was für dich, Mami. Aber das kriegst du erst am Muttertag.«
»Na, da bin ich aber gespannt«, lächelte Juliane.
Hand in Hand gingen Mutter und Sohn dann nach Hause. Es war von hier aus nicht weit, höchstens fünf Minuten durch eine Anlage.
Tief atmete Juliane ein. Es war die Zeit der Blüte, zarte Düfte erfüllten die Luft. Frühlingszeit, Zeit der Liebenden! Ach, was für dumme Gedanken! Juliane konzentrierte sich auf das muntere Geplauder ihres Sohnes.
Das Haus, in dem sie wohnten, war eines jener typischen Neubauten mit vielen Mietern. Nach dem Tod der Mutter hatte sich Juliane dieses neue Domizil gesucht, weil es der Tagesstätte und Schule näher lag. Aber die Wohnung hatte sie sehr individuell ausgestattet, modern, aber nicht kalt, zweckmäßig, aber nicht unpersönlich.
Daniel hatte ein wunderhübsches Bubenzimmer, das Reich für sich, das Kinder so dringend brauchen. Julianes Zimmer war praktisch ein zweites Wohnzimmer, mit der buntbezogenen Liege und den hübschen Anbaumöbeln, und der Wohnraum selbst war ihr ganzer Stolz, mit seinem Berberteppich, den olivgrünen Cordsesseln und dem Kirschbaumschrank, alt und wertvoll, von den Großeltern geerbt.
Die Küche war klein, aber ausreichend und mit einigen technischen Erleichterungen versehen, wie sie eine berufstätige Hausfrau zu schätzen weiß. Das Bad war winzig, aber groß genug für Daniels abendliche Überschwemmungen, die er darin veranstaltete.
Juliane bereitete ein leichtes Abendessen. Daniel aß in der Tagesstätte gut und sie selbst im Betrieb, dennoch kochte sie abends gern noch etwas.
»Heute gab’s ekelhafte Linsen«, hatte ihr Daniel gerade erzählt.
Da mußte natürlich noch ein kleines Leibgericht gekocht werden. Eierpfannkuchen zum Beispiel.
»Kommt Onkel Bertram heute?« erkundigte sich der Kleine, als sie einander am Eßtisch gegenübersaßen und sich die goldgelben Eierkuchen munden ließen.
»Nein, Herzle, heute nicht«, antwortete Juliane, und sie dachte, wie sehr Daniel doch an Bertram Jantzen hing.
Bertram war ein guter Bekannter, fast schon ein Freund. Sie kannten sich jetzt über ein Jahr, und Bertram liebte sie, das wußte Juliane.
Sie selbst war sich über ihre Gefühle nicht so im klaren. Sie schätzte ihn, mochte ihn sehr und wußte, sie konnte sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Aber das gewisse Herzklopfen, die Spannung der erotischen Anziehung fehlten bei ihr.
Bertram Jantzen war Lehrer an einem Gymnasium. Er unterrichtete in Sport und Mathematik und war ein glänzender Pädagoge, sehr beliebt bei seinen Schülern, weil er eine natürliche Autorität besaß, diese kaum ausspielte und mehr ein kameradschaftliches Verhältnis zur Jugend suchte.
Sie hatten sich auf einer kleinen Festlichkeit kennengelernt, die eine Freundin von Juliane gegeben hatte. Irgend jemand hatte den jungen Mann, der fremd in der Stadt war, mitgebracht. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen, hatten sich den ganzen Abend vorzüglich miteinander unterhalten. Da waren gleiche Interessen und Vorlieben herausgekommen, und es war eigentlich ganz natürlich gewesen, daß Bertram sie um ein Wiedersehen gebeten hatte.
Von da an hatten sie sich regelmäßig getroffen und waren miteinander in Theater und Konzert, in Ausstellungen