Ruhm der frühen Jahre: Der Arzt vom Tegernsee 52 – Arztroman
Von Laura Martens
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Über dieses E-Book
Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen.
Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird.
Gustav Maurer erwachte von einem nagenden, bohrenden Schmerz in seinem Magen. Er richtete sich auf dem Strohlager auf, das er sich am Abend zuvor gemacht hatte, und starrte durch das schmale Fenster der verfallenen Scheune nach draußen. Seit er vor einer Woche seine Uhr gegen Brot und einige Wurstdosen getauscht hatte, lebte er quasi ohne Zeit, andererseits konnte er sich auf sein Gefühl verlassen, das ihm bis auf eine Stunde genau sagte, wie spät es war. Der Mann griff nach der Wasserflasche, die er neben sein provisorisches Lager gestellt hatte, und nahm einen langen Schluck. Bis auf ein paar angefaulte Äpfel hatte er seit über vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen. Es wurde allerdings höchste Zeit, daß er etwas in den Magen bekam. Woher nehmen und nicht stehlen, dachte er sarkastisch. Gut, er konnte am nächsten Morgen nach Tegernsee gehen und sich an das dortige Sozialamt wenden, um ein wenig Geld zu bekommen, aber er haßte es, bei Ämtern vorzusprechen. Es gab nur zwei Alternativen: Entweder, er mußte zusehen, daß er einen Gelegenheitsjob bekam, was sich als immer schwieriger erwies, oder er mußte betteln. Gustav beschloß, es erst einmal mit einem Gelegenheitsjob zu versuchen. Falls er keine Arbeit fand, konnte er sich immer noch mit seiner Mundharmonika und seinem Hut vor das Tegernseer Schloß setzen. Er preßte die Hände auf seinen Magen. Selbst, wenn er Glück hatte und einen Job fand, würde es noch endlos dauern, bis er etwas zu Essen bekam, nur so lange konnte er nicht mehr warten. Sein Magen machte ihm in letzter Zeit ohnehin Schwierigkeiten. Er brauchte etwas zwischen die Zähne! Gustav Maurer stand auf, packte seine wenigen Habseligkeiten in einen verschlissenen Rucksack, schnallte auf ihm die Decke fest, die schon so dünn geworden war, daß sie nur noch illusorische Wärme spendete, und verließ die Scheune. Sein Blick glitt den Berg hinunter nach Tegernsee. Bis auf die Straßenbeleuchtung lag die Stadt in tiefster Dunkelheit. Es war kalt, kälter, als man es in einer Oktobernacht erwarten durfte. Fröstelnd rieb er sich die Hände.
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Ruhm der frühen Jahre - Laura Martens
Der Arzt vom Tegernsee
– 52 –
Ruhm der frühen Jahre
Laura Martens
Gustav Maurer erwachte von einem nagenden, bohrenden Schmerz in seinem Magen. Er richtete sich auf dem Strohlager auf, das er sich am Abend zuvor gemacht hatte, und starrte durch das schmale Fenster der verfallenen Scheune nach draußen. Seit er vor einer Woche seine Uhr gegen Brot und einige Wurstdosen getauscht hatte, lebte er quasi ohne Zeit, andererseits konnte er sich auf sein Gefühl verlassen, das ihm bis auf eine Stunde genau sagte, wie spät es war.
Der Mann griff nach der Wasserflasche, die er neben sein provisorisches Lager gestellt hatte, und nahm einen langen Schluck. Bis auf ein paar angefaulte Äpfel hatte er seit über vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen. Es wurde allerdings höchste Zeit, daß er etwas in den Magen bekam.
Woher nehmen und nicht stehlen, dachte er sarkastisch. Gut, er konnte am nächsten Morgen nach Tegernsee gehen und sich an das dortige Sozialamt wenden, um ein wenig Geld zu bekommen, aber er haßte es, bei Ämtern vorzusprechen. Es gab nur zwei Alternativen: Entweder, er mußte zusehen, daß er einen Gelegenheitsjob bekam, was sich als immer schwieriger erwies, oder er mußte betteln. Gustav beschloß, es erst einmal mit einem Gelegenheitsjob zu versuchen. Falls er keine Arbeit fand, konnte er sich immer noch mit seiner Mundharmonika und seinem Hut vor das Tegernseer Schloß setzen.
Er preßte die Hände auf seinen Magen. Selbst, wenn er Glück hatte und einen Job fand, würde es noch endlos dauern, bis er etwas zu Essen bekam, nur so lange konnte er nicht mehr warten. Sein Magen machte ihm in letzter Zeit ohnehin Schwierigkeiten. Er brauchte etwas zwischen die Zähne!
Gustav Maurer stand auf, packte seine wenigen Habseligkeiten in einen verschlissenen Rucksack, schnallte auf ihm die Decke fest, die schon so dünn geworden war, daß sie nur noch illusorische Wärme spendete, und verließ die Scheune.
Sein Blick glitt den Berg hinunter nach Tegernsee. Bis auf die Straßenbeleuchtung lag die Stadt in tiefster Dunkelheit. Es war kalt, kälter, als man es in einer Oktobernacht erwarten durfte. Fröstelnd rieb er sich die Hände.
Ich muß irgendwo etwas zu essen finden, dachte er und überlegte, in welche Richtung er sich wenden sollte. Hinunter nach Tegernsee gehen, um in ein Lebensmittelgeschäft oder eine Bäckerei einzubrechen, erschien ihm irrsinnig. Eher konnte er sich in die Küche eines Bauernhofes schleichen, allerdings auch nur, wenn es dort keinen Wachhund gab. Vor Hunden hatte er sowieso ziemlichen Respekt, seit er vor fünf Jahren von einem Rottweiler angefallen worden war.
Plötzlich fiel ihm der Leinerhof ein, an dem er am Vortag auf seinem Weg in Richtung Neureuth vorbeigekommen war. Den Leinerhof hatte es schon gegeben, als er noch in Tegernsee gelebt hatte, allerdings befand sich inzwischen dort ein Tierpflegenest, wie er es auf dem Schild am Tor gelesen hatte. Ein Tierpflegenest konnte nichts anderes als ein Tierheim sein, und in einem Tierheim waren die Hunde bei Nacht in ihren Zwingern.
Gustav Maurer nickte entschlossen. Ja, er würde dem Leinerhof einen Besuch abstatten, sein knurrender Magen ließ ihm keine andere Wahl.
Der Mann schritt rasch aus. Der Mond schien in dieser Nacht so hell, daß er keine Mühe hatte, seinen Weg zu finden. Nach etwa einer halben Stunde erreichte er eine Koppel. Sie gehörte bereits zum Leinerhof. Sehnsüchtig betrachtete er das dazugehörige Stallgebäude. Auch wenn es ihm lächerlich erschien, beneidete er minutenlang die Tiere, die in ihm standen. Sie hatten es nicht nur warm und bequem, sondern vor allen Dingen auch bestimmt einen vollen Magen.
Leise schlich er am Stall vorbei und erreichte ein langgezogenes Gebäude, das so gebaut worden war, daß es einen Teil der ziemlich neuen Hofmauer bildete. Gleich daneben gab es eine schmale, hohe Tür. Sie war abgeschlossen, doch jahrelange Übung ließ ihn dieses Hindernis innerhalb weniger Minuten überwinden.
Gustav schlüpfte fast lautlos durch die Tür. Etwa zwanzig Meter von ihm entfernt erhob sich ein altes, einstöckiges Bauernhaus, dessen weiße Fassade mit Lüftlmalerei verziert war. Um den ganzen ersten Stock lief ein breiter Balkon. Einen weiteren Balkon gab es im Dachgeschoß. Rechts und links des Eingangs blühten in steinernen Kübeln noch ein paar einsame Geranien.
Er überlegte, ob er es wagen sollte, in das Haus einzudringen, oder ob es nicht besser sein würde, erst einmal in der Futterküche nach Eßbarem zu suchen. Sein Instinkt sagte ihm, daß sie sich in dem langgezogenen Gebäude befand. Allerdings riskierte er dann, womöglich die Hunde zu wecken.
Gustav schlich leise zum Haus. Mühelos fand er die Küche. Eines ihrer Fenster war nur gekippt. Vorsichtig griff er durch die Lücke und wollte das Fenster gerade entriegeln, als er hinter sich ein langgezogenes Knurren hörte. Erschrocken fuhr er herum und erstarrte. Etwa einen Meter von ihm entfernt stand ein großer schwarzer Hund mit hochgezogenen Lefzen. Es sah nicht aus, als würde er Spaß verstehen.
»Ich verschwinde schon«, flüsterte Gustav heiser. »Ich…« Statt sich langsam Zentimeter um Zentimeter auf die offene Seitentür zuzubewegen, begann er zu rennen. Der Hund jagte ihm kläffend nach. Er brauchte keine fünf Sekunden, um ihn einzuholen. Verzweifelt trat der Mann nach ihm, was sich schon im nächsten Moment als Fehler erwies, weil der Hund nach seinem Bein schnappte.
Gustav spürte einen brennenden Schmerz und stürzte hin. Sein Jammern ging in dem ohrenbetäubenden Gebell der anderen Hunde unter, die in ihren Zwingern Alarm schlugen. Im Hof wurde es mit einem Schlag fast taghell.
Ilse Gabler, die Besitzerin des Leinerhofes, erwachte aus tiefem Schlaf. Barfuß rannte sie auf den Balkon hinaus. Da ihr Schlafzimmer jedoch nach hinten lag, konnte sie nur sehen, daß die Hofbeleuchtung angegangen war. Eilig zog sie sich ihren warmen Morgenrock über, schlüpfte in ihre Hausschuhe und eilte zur Treppe.
Beate Riedl kam ihr aus dem Dachgeschoß, wo sie mit ihrem Enkel lebte, entgegen. Ilse lachte innerlich auf, als sie sah, daß ihre Wirtschafterin die schwere Taschenlampe, die sie ergriffen hatte, wie eine Waffe schwenkte.
»Da muß jemand in den Hof eingedrungen sein«, sagte Frau Riedl. »Klaus ist bereits nach draußen gelaufen.« Grimmig fügte sie hinzu: »Heutzutage ist man wirklich seines Lebens nicht mehr sicher.«
»Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen«, meinte Ilse
Gabler. »Schauen wir erst mal nach, was passiert ist.« Sie eilte die Treppe hinunter.
Klaus Riedl, Beates Enkel, hielt den großen schwarzen Hund, der Gustav Maurer angegriffen hatte, am Halsband fest, während Andrea Stanzl, die als Tierpflegerin auf dem Leinerhof arbeitete, neben Gustav Maurer kniete und sein Bein untersuchte.
»Sieht aus, als wollte dieser Mann bei uns einbrechen, Frau Gabler«, sagte Klaus, als Ilse in den Hof trat. »Gefährlich sieht er allerdings nicht aus. Ich nehme an, daß er nur etwas zu essen suchte. Borro hat ihn am Bein erwischt.«
»Am besten, du sperrst Borro erst einmal ein.« Ilse tätschelte den Hals des Hundes. »Hast fein aufgepaßt, Borro«, lobte sie ihn. »Aber jetzt ist es genug. Du hast deine