Der Apparat der Liebe
Von Hans Fallada
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Hans Fallada, eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen (1893-1947) war ein deutscher Schriftsteller. Bereits mit dem ersten, 1920 veröffentlichten Roman "Der junge Goedeschal" verwendete Rudolf Ditzen das Pseudonym Hans Fallada. Es entstand in Anlehnung an zwei Märchen der Brüder Grimm. Der Vorname bezieht sich auf den Protagonisten von "Hans im Glück" und der Nachname auf das sprechende Pferd Falada aus "Die Gänsemagd": Der abgeschlagene Kopf des Pferdes verkündet so lange die Wahrheit, bis die betrogene Prinzessin zu ihrem Recht kommt. Fallada wandte sich spätestens 1931 mit "Bauern, Bonzen und Bomben" gesellschaftskritischen Themen zu. Fortan prägten ein objektiv-nüchterner Stil, anschauliche Milieustudien und eine überzeugende Charakterzeichnung seine Werke. Der Welterfolg "Kleiner Mann – was nun?", der vom sozialen Abstieg eines Angestellten am Ende der Weimarer Republik handelt, sowie die späteren Werke "Wolf unter Wölfen", "Jeder stirbt für sich allein" und der postum erschienene Roman "Der Trinker" werden der sogenannten Neuen Sachlichkeit zugerechnet.
Hans Fallada
Hans Fallada, eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen (* 21. Juli 1893 in Greifswald; † 5. Februar 1947 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller. Bereits mit dem ersten, 1920 veröffentlichten Roman Der junge Goedeschal verwendete Rudolf Ditzen das Pseudonym Hans Fallada. Es entstand in Anlehnung an zwei Märchen der Brüder Grimm. Der Vorname bezieht sich auf den Protagonisten von Hans im Glück und der Nachname auf das sprechende Pferd Falada aus Die Gänsemagd: Der abgeschlagene Kopf des Pferdes verkündet so lange die Wahrheit, bis die betrogene Prinzessin zu ihrem Recht kommt. Fallada wandte sich spätestens 1931 mit Bauern, Bonzen und Bomben gesellschaftskritischen Themen zu. Fortan prägten ein objektiv-nüchterner Stil, anschauliche Milieustudien und eine überzeugende Charakterzeichnung seine Werke. Der Welterfolg Kleiner Mann – was nun?, der vom sozialen Abstieg eines Angestellten am Ende der Weimarer Republik handelt, sowie die späteren Werke Wolf unter Wölfen, Jeder stirbt für sich allein und der postum erschienene Roman Der Trinker werden der sogenannten Neuen Sachlichkeit zugerechnet. (Wikipedia)
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Der Apparat der Liebe - Hans Fallada
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DER APPARAT DER LIEBE
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DER APPARAT DER LIEBE
Hans Fallada
l’Aleph
Copyright
Hans Fallada
DER APPARAT DER LIEBE
Edition l’Aleph — www.l-aleph.com
© Wisehouse — Schweden 2020
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form
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ISBN 978-91-7637-799-4
Inhaltsverzeichnis
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Ich glaube, ein junges Mädchen, das einmal Lehrerin war, wird die Nachwirkungen dieser Tätigkeit im guten wie im bösen Sinne ihr Leben lang spüren. Dabei spreche ich natürlich nur von den wirklichen Lehrerinnen, nicht von denen, die nur so, um eben nicht zu Haus zu sitzen, den Beruf ergriffen. Ich wenigstens verdanke meiner Ansicht nach den ausgesprochenen Sinn für Ordnung und Pünktlichkeit, den Hang, alles in ein System zu bringen – und nicht nur das Äußerliche – sicher meinen Lern- und Lehrjahren. Nichts ist mir verhaßter als Unordnung und Faselei, und ich glaube, alles ertragen zu können, selbst das Schlimmste, wenn ich mir die organische Ursache, die es bedingt, nur klarzulegen vermag.
Das ist ein seltsamer Anfang für eine, die es sich vorgesetzt hat, auf den nachfolgenden Seiten von ihren ehelichen und nebenehelichen Erlebnissen mit einigen Männern zu erzählen. Man wird ja auf diesen Blättern meine Stellung zum Ehebruchsproblem, soweit es mich angeht, klargelegt finden, ohne daß ich darüber viel Worte zu machen brauchte: die Tatsachen sprechen für sich, wie man sagt.
Übrigens glaube ich nicht, daß ich mehr Erlebnisse als andere Ehefrauen in meinem Alter – ich bin Anfang der Vierzig – aufzuweisen habe. Diese drei Seitensprünge sind quantitativ meinen Beobachtungen nach eher unter als über dem Durchschnitt. Um so seltsamer ist die Krankheit, die mein Gefühlsleben infolge dieser wenigen Erlebnisse ergriffen hat und die ich »Routine des Gefühls« nennen möchte. Ich wundere mich über einige meiner Geschlechtsgefährtinnen, die sich unermüdlich von einem Abenteuer in das andere stürzen, ich verstehe sie nicht.
Meine Untemehmungslust in dieser Hinsicht ist wohl endgültig vorbei, ich fühle eine Lähmung meiner seelischen Spannkraft, einen Pessimismus im Hinblick auf das Neue, das mir das Leben etwa noch zu bieten hätte, der grenzenlos ist.
Eine boshafte Freundin hat einmal von mir gesagt, ich trüge auch seelisch einen Klemmer. (Ich benutze ein Glas.) Wenn sie dabei gemeint hat, ich verabscheute das Schrankenlose, das Vage, das Gefühlsduselige, das Chaos, so hat sie zweifellos recht.
Hat sie jedoch damit gemeint, ich könne mich nicht entschließen, die Konsequenzen meiner Erkenntnisse zu ziehen, meinem Mann und meinen Kindern Valet zu sagen und – eine andere Nora – in die Welt hinauszugehen, so hat sie wiederum recht.
Ganz abgesehen davon, daß über das Betrügen des Ehemannes mancherlei zu sagen bleibt, daß die ganze Redensart von dem auf einer Lüge aufgebauten Leben eben nur eine Redensart ist (denn welches Leben ist ohne Lüge?), gehört zu einem solchen Valet ein sehr handfester Glaube an das Leben. Und, so bedauerlich ich das auch für mich finde, diesen Glauben habe ich eben nicht mehr, ich kann nicht mehr mit gutem Gewissen dem Leben diese tiefe achtungs- und hoffnungsvolle Reverenz machen.
Nebenan tollen die Kinder, Ernst sechzehn, Emmi vierzehn und Franz zwölf Jahre alt. Mein Mann ist Gymnasialprofessor und unterrichtet in den alten Sprachen, unsere Wohnung hat fünf Zimmer – eigentlich viel zuwenig! – und liegt dort im Westen Berlins, wo er lange nicht mehr »fein« ist, wo er längst Steglitz heißt. Ich habe zu tun, um das Gehalt bis zum Vierteljahresletzten reichen zu machen.
Das wäre das äußere Drum und Dran bei Lauterbachs, und ehe ich nun recht eigentlich von mir zu reden anfange, muß ich von meiner Schwester erzählen und wie es kam, daß ich durch viele Jahre einen Abscheu vor der »Liebe« behielt.
Ich wurde aus dem Paradiese (wenn es schon so heißen soll) vertrieben, ehe ich noch den Apfel gegessen hatte.
2
Violet war, als dieses Ereignis sich zutrug, einundzwanzig Jahre, gute sechs Jahre älter als ich. Den ungewöhnlichen Namen hatte sie dem Vater zu danken, der zur Zeit ihrer Geburt grade für eine so benannte Heldin in einem sentimentalen englischen Roman schwärmte. Als ich geboren wurde, war er bereits drei Monate tot, und so heiße ich auch nur schlichthin Marie, gesprochen Mieze oder Mie. Ich bin ihm ebenfalls zu Dank verpflichtet, nämlich dafür, daß er sich in meine Benamsung nicht gemischt hat, denn ich möchte wohl wissen, was ich guter Durchschnitt, und im Aussehen kaum das, mit solch einem Namen hätte anfangen sollen.
Weio, denn so nannten wir sie natürlich und so schrieb sie sich auch, paßte er also vorzüglich, sie kleidete alles. Sie war das schönste Mädchen, das ich in meinem Leben gesehen habe, sehr groß und kräftig, blauäugig und mit einem Haarblond von der sanftesten Hanffarbe. Ihre Schönheit hatte etwas völlig Triumphierendes, sie war immer schön, so wie ein Sommertag ewig und ewig blau ist, und sie war so gesund wie ein Apfel an seinem Zweig. Heute weiß ich, daß am bezwingendsten bei ihr die völlige Reinheit war. Sie war, etwas ganz Seltenes bei einem jungen Mädchen, wissend rein, sie kannte die anderen Dinge dieser Welt, sie verurteilte und sie verabscheute sie nicht, sie betrafen sie gar nicht, ihre Luft war Reinheit und nur Reinheit.
Wir wohnten in einem alten, weitläufigen Hause mit einem riesigen verwilderten Garten, dort in jener Gegend Berlins, wo jetzt die Landhausstraße die Kaiserallee kreuzt. An unser Grundstück stieß eine große Gärtnerei mit vielen Glashäusern, in die wir unsere Entdeckungsreisen zu machen pflegten.
»Komm, Mieze, wir wollen zu Viktor, ich habe rein keine Blumen mehr für die Vasen«, rief Weio, und wir faßten uns bei der Hand und eilten die düstere, mit Moos überwachsene Buchenallee hinab, bogen rechts schräg über eine Lichtung, wo das Gras schilfig und hoch, ganz mit Sauerampfer, Hundsschierling und Klette durchwachsen war, krochen durch eine Zaunlücke und liefen, laut »Viktor! Viktor!« rufend, zwischen den langen säuberlichen Gemüsebeeten auf das größte Glashaus zu.
Dann stand Viktor schon in der Tür und winkte uns mit seiner feinen kleinen Hand und lachte und rief: »Schnell, Weio! Lauf, Mieze! Ich habe euch etwas zu zeigen!«
Er hatte uns immer etwas zu zeigen, aber ehe es soweit war, küßte er stets erst lange und andächtig Weios Hand. »Nicht dir allein huldige ich damit«, hat er einmal gesagt, »ich huldige aller Reinheit und Schönheit dieser Welt. Es gibt gute Blumen und es gibt böse Blumen, es gibt reine Farben und es gibt unreine Farben, ich züchte die guten Blumen, ich pflege die reinen Farben, das ist mein Beruf. Sie alle grüße und liebe ich in dir.«
Natürlich waren die beiden verlobt und ein närrischeres Brautpaar als diesen kleinen mageren blassen blonden Blumenzüchter und meine große strahlende Schwester konnte es kaum geben. Sie hätten längst verheiratet sein können, am Auskommen lag es nicht, und unsere Mutter war schon damals stets krank und saß Tag und Nacht fröstelnd in ihrem Lehnstuhl und sagte zu allem ja und amen. Doch sie wollten noch nicht.
»Siehst du, kleine Mieze«, sagte Viktor einmal, als wir davon sprachen, »das große Geheimnis ist Wartenkönnen. Ich bin ein Gärtner, und in die großen Blumenhandlungen nach Berlin schicke ich den Flieder zu Weihnachten und die Maiblumen zu Neujahr. Die kommen aus den Treibbeeten. Aber man soll eben nicht treiben. Wie sieht der Flieder nach zwei Tagen aus, und die Maiblumen in einer Woche? Nicht nur die Blüten sind hin, nein, die ganze Pflanze stirbt. Ich liebe meinen Flieder zu Pfingsten, ich treibe nicht, ich warte …«
Und auch Weio hat es mir einmal in ihrer Art gesagt. »O Mieze!« hat sie gerufen, »du weißt ja nicht, wie schön das Leben ist! Morgens selig erwachen und etwas haben, von dem man träumen kann, und der Schlaf ist so leicht und leise und dünn wie ganz tiefes Atmen! Und immer steht hinten wie eine ganz schöne weiße Wolke am blauesten Sommerhimmel die Hoffnung auf etwas noch Schöneres, noch Seligeres! Kann es denn das Herz jetzt schon fassen, muß es nicht erst noch viel, viel weiter werden?«
Schöne, tote Schwester! Ich habe dich damals als dummes Schulmädel, das ich war, nicht recht verstanden und würde auch heute noch nicht handeln wie du. Später habe ich die Menschen immer in zwei Parteien geteilt. Die eine ißt den schönsten Apfel zuerst, die andere nimmt sich die wurmstichigen und angefaulten vor und spart sich den besten für den Schluß auf. Aber – weiß ich denn, ob ich nach dem wurmstichigen noch Appetit auf den guten Apfel haben werde? Doch! Ich, die ich mir nun den Magen an einer ganzen Menge wurmstichiger Lebensfrüchte verdorben habe, weiß, daß mir aller Hunger – auch nach den schönsten – völlig vergangen ist. Daß es aber so schlimm mit dir ausgehen werde, Schwester Weio, daß aus deiner weißen Sommerwolke solch böse schwefelfarbene Gewittertracht werden würde, das hätte keiner gedacht!
Eines Tages war Weio in die Stadt hineingegangen, den langen stillen Weg durch die Felder, um eine Besorgung zu machen, und war abends spät nach Haus gekommen. Ich