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Müde in der Seele: Ich schreibe für die Traurigen
Müde in der Seele: Ich schreibe für die Traurigen
Müde in der Seele: Ich schreibe für die Traurigen
eBook310 Seiten4 Stunden

Müde in der Seele: Ich schreibe für die Traurigen

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Über dieses E-Book

Die Geschichte einer grundehrlichen, hilfsbereiten, wunderschönen jungen Frau, die so müde in der Seele ist, dass sie sich als lebende Tote durchs Leben bewegt, geschickt ihre Show abzieht, sodass niemand etwas bemerken solle. Die Kindheit verbracht in einer Alkoholiker-Familie, total überfordert von der kindlichen Liebe zum Vater, der jeden Abend mutierte vom liebevollen Hochbegabten zum verabscheuungswürdigen Psychopathen. Die Jugend nur durch Zufall überlebt, schon damals resigniert angesichts all der Lügen, des Neids und der Tatsache meist nur nach Äußerlichkeiten beurteilt und als Lustobjekt gebraucht zu werden. Erst die Geburt einer Tochter gibt dem tristen Dasein ein wenig Sinn, jedoch meint das Schicksal die junge Frau sei auserkoren um ewig zu lernen und so wollen die Sorgen nicht enden. Als das Kind auch noch an Krebs erkrankt, beginnt ein erbitterter Kampf um Leben und Tod, der die junge Mutter sehr schwächt. Eine bildhübsche tapfere Frau, die letztendlich zerbricht als sie sich noch einmal auf eine neue Liebe einlässt. Dieser Mann beraubt sie endgültig all ihrer Kraft.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum16. Feb. 2021
ISBN9783753164168
Müde in der Seele: Ich schreibe für die Traurigen
Autor

Emma Dolores Dragon

Eine einfache Frau aus den Bergen, aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen. Zerrissen schon in der Kindheit durch die Liebe zu ihrem Vater, den der Alkohol jeden Tag mutieren lies vom herzensguten Hochtalentierten zur verabscheuungswürdigen Bestie. Sie hatte nie Gelegenheit zu studieren, ihr Lehrmeister war das Leben. Durch viele harte Prüfungen entwickelte sie sich zur Eremitin und zog sich aus der Gesellschaft zurück, verlor all ihren Humor und fast jeglichen Glauben an die Menschheit. Trotz allem geht sie weiter ihren Weg als gutmütiger Herzensmensch, ausgestattet mit viel zu viel Gefühl. Und: "Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid", meinte einst Leonardo da Vinci.

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    Buchvorschau

    Müde in der Seele - Emma Dolores Dragon

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    „Dieses Buch widme ich euch, die ihr euer Leben meistern müsst, begleitet von einer großen Traurigkeit. Einer Traurigkeit, über die man nicht spricht, die keiner hören will, die nicht Betroffene nervt. Euch, die ihr den Sinn nicht finden könnt, euch, die ihr Schmerzen ertragen müsst, die ihr nicht fähig seid zu erklären, oder zu beschreiben. Euch, die ihr geboren wurdet mit zu viel Gefühl, eigentlich nicht fähig, in dieser Welt zu bestehen."

    Die Geschichte beschreibt die Metamorphose einer einst sehr liebenswerten, gutmütigen, grundehrlichen jungen Frau, die niemals wirklich daran glaubte, der wahren ewigen Liebe zu begegnen und im Unterbewusstsein doch beharrlich ihr ganzes Leben damit verbrachte, diese Liebe trotz Allem zu suchen, zu einer lebenden Toten! Meine Geschichte!

    Die Autorin

    Emma D. Dragon hatte nie Gelegenheit zu studieren.

    Eine sehr einfache Frau aus den Bergen - Lehrmeister das Leben – Worte aus dem Herzen.

    Sie illustrierte dieses, ihr erstes Werk mit Fotos der eigen geschaffenen Kunstwerke aus Keramik, durch die sie ihren Schmerz auszudrücken versucht.

    Ihr Körper ist noch am Leben – die Seele seit vielen Jahren schwer krank.

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    Impressum

    Emma Dolores Dragon: Müde in der Seele

    Copyright: Emma D. Dragon

    Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Schriftsatz, Fotos und Buchcover: Emma D. Dragon

    Es begann in den Sechzigerjahren, in einer notdürftig ausgebauten Scheune, bittere Kälte erfüllte den Raum und die Hebamme wurde schon sichtlich nervös. Es war zwar schon das dritte Kind, das meine Mutter gebären sollte, aber ich wollte anscheinend gar nicht so unbedingt heraus zu den Menschen in diese schöne Welt. Nur der Kopf war schon da und der lief schon blau an. Ich würde wohl ein stattlicher Junge werden mit schönen breiten Schultern.

    Und dann endlich war es soweit, ein gesundes wunderhübsches kleines Mädchen, über und über bedeckt von einer wohlig wärmenden Fettschicht, erblickte das Licht der Welt.

    Das also war mein Start in ein sehr bewegtes, chaotisches, unvergleichliches Leben erfüllt von Freude und Schmerz, endend in einer totalen Katastrophe! Kein außergewöhnliches Leben, ich war keine Wüstenblume, kein Straßenkind, hatte niemals Hunger und immer ein Dach über dem Kopf und niemand schlug mich mit Fäusten, eigentlich ein ganz normales Leben, aber trotzdem möchte ich euch meine Geschichte erzählen.

    Viele Passagen meines Weges konnte mein total überfordertes Gehirn irgendwann leider nicht mehr speichern und an meine Kindheit kann ich mich nur vage erinnern.

    Wir wohnten am Land, bei meiner Großmutter im Haus, unten waren Tante, Onkel, Cousins und Cousinen einquartiert, im oberen Stockwerk hatten wir zwei Zimmer zur Verfügung. Sehr einfach eingerichtet, die Möbel fast alle selbst gebaut von meinem Vater, der Zeit seines Lebens ein begnadeter Handwerker war und es verstand, mit primitivstem Arbeitsgerät und aus einfachsten Materialien wunderschöne, gemütliche Sachen zu bauen und auch mich zu begeistern von seinen vielen Talenten. Schon in früher Kindheit interessierte ich mich meist für alle Arbeiten die eigentlich von Männern verrichtet werden sollten, was mich jedoch keineswegs davon abhielt diese auch zu erlernen. Mauern, verputzen, Fliesen legen, Wände malen, Holz hacken, welches Handwerk auch immer, es war für mich immer eine Freude mich darin zu versuchen und da mein Vater großes Vertrauen in mich setzte und auch viel Geduld für mich aufbrachte, wurde aus mir dann auch eine sehr geschickte Handwerkerin.

    Wir, das waren meine Eltern und mein älterer Bruder (es gab auch noch eine ältere Stiefschwester, die hatte man jedoch meiner Mutter nach der Scheidung von ihrem ersten Mann weggenommen und ich sollte sie erst kennenlernen, als sie schon achtzehn Jahre alt war). Es war ein sehr einfaches Dasein, im Kindesalter noch völlig unbeschwert zumal man alles ja eigentlich gar nicht richtig verstand und in der kindlichen Unbeschwertheit auch nichts hinterfragte.

    Beeindruckend war für meinen Bruder und mich zum Beispiel, wenn es an den Adventsonntagen im Untergeschoß für die Kinder eine kleine Schale gefüllt mit ein paar Nüssen und einer Mandarine gab, das konnten wir uns nicht leisten. Kurz vor Heilig Abend verschwand jedes Jahr meine Puppe auf sehr mysteriöse Weise, damit meine Ma ihr ein neues Kleid nähen konnte. Und einmal wurde eine Fotografie von meinem Bruder und mir gemacht, da musste ich mir von meiner Cousine eine „schöne" Puppe leihen, für das Bild! Aber das alles war selbstverständlich für uns und es war eine wunderbare Zeit gefüllt von Abenteuern, die wir beim Herumtollen in der Natur erfuhren, ganz ohne Spielsachen, Computer oder Hightech.

    Nur hatte ich schon immer eine panische Angst vor dem Alleinsein und erinnere mich, dass ich oft völlig durchnässt von Angstschweiß unter der Decke lag, mich nicht einmal getraute, sie leicht anzuheben, um zu atmen. Die Angst war mein ständiger Begleiter und ich hasste die schlimmen Träume, die mich verfolgten. Das Resultat daraus war wohl, dass ich bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr Bettnässerin war und mich dazu noch jeden Tag abgrundtief schämte.

    „Auch wenn sie euch tausendmal sagen: „Das gibt es doch gar nicht, du musst dich doch nicht fürchten! Ich kenne das Gefühl, das einem keiner zu nehmen vermag. Zu wissen, dass es dumm ist, es aber nicht abschalten zu können, es ist einfach da. Schämt euch nicht, sprecht darüber!

    Meine Mutter strahlte für mich immer sehr viel Ruhe aus und ich kann mich nicht erinnern, sie jemals schreien gehört zu haben. Nach ihren Erzählungen verließ sie bereits im vierzehnten Lebensjahr das Elternhaus da sie sehr streng erzogen wurde, ihr Bruder ständig der Bevorzugte war und sie die Schläge, im wahrsten Sinne des Wortes, einsteckte. Sie war später für mich das Schaf der Familie und mein Vater war in betrunkenem Zustand der Wolf. Manchmal wenn ich versuchte mein Wesen zu ergründen, stellte ich fest, viel von beiden zu haben und bezeichnete mich für mich selbst als „Scholf". Wie sehr mich diese Mischung zerreißen sollte erfuhr ich aber erst sehr viel später.

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    Einen Großteil der Erziehung übernahm unsere Großmutter, bei der wir uns sehr oft aufhielten, nachdem wir mit den Eltern in eine eigene Wohnung im Dorf gezogen waren. Eine sehr energische Frau, die ihr Leben als Geschiedene, was damals durchaus ein schweres Los war, bravourös meisterte.

    „Liebe Oma, was hast du nicht alles für uns getan, wie oft denke ich an dich und wünsche mir, du könntest mich manchmal unterstützen von dem Ort aus an dem du jetzt bist, sagt man doch, ihr könnt uns Energie schicken aus der Unendlichkeit. Wie schön, dass alle in den Herzen weiterleben dürfen!"

    Meine Mutter erklärte mir irgendwann, dass sie uns so oft zu Oma gab, weil sie uns schützen wollte, damit wir nicht so nah am „Geschehen" sein mussten. Irgendwann mussten wir dann ganz weg von der Großmutter und bekamen den vollen Überblick. Jeden Tag Tränen, jeden Tag dasselbe Ritual – warten bis mein betrunkener Vater hungrig wurde, damit er nach dem Essen gleich einschlief. Dann hieß es absolute Ruhe, denn wenn er aus seinem Schlaf aufschreckte bedeutete dies die Hölle für uns alle, er wurde unberechenbar, aggressiv, provozierte jedes Mal Streit, obwohl niemand wagte, auch nur ein Wort zu sagen oder gar zu widersprechen.

    Einmal schnappte er sich unseren geliebten kleinen Hund, erklärte uns, dass er ihn jetzt umbringen würde und ging mit einer Axt hinaus zur Werkstatt. Wir saßen im Wohnzimmer - weinten zusammen mit unserer Mutter - hatten aber nicht den Mut etwas zu erwidern - niemals! Er kam mit unserem Liebling, der sichtlich verstört war aber noch lebte, wieder zurück, denn so etwas brachte Vater wohl nicht einmal in betrunkenem Zustand fertig.

    Schlimme Erinnerungen blieben auch von dem Tag, als er sich ein Seil und einen Sessel schnappte, zum Dachboden ging und uns mitteilte, dass er sich erhängen wolle. Mein Herz klopfte bis zum Hals und die Tränen schossen nur so aus den trüben Kinderaugen, ich fasste all meinen Mut zusammen und zum ersten Mal schrie ich ihn an, schrie um sein Leben, schrie, um meinen geliebten Papa nicht zu verlieren. Auf einen Schlag war er nüchtern, nahm mich an der Hand und brach sein Vorhaben ab.

    Jedes dieser Ereignisse schnitt tiefe Narben in mein Herz, die wohl niemals heilen wollten und mein Erinnerungsvermögen hat sehr viele Momente „gestrichen, eine ausgesprochen positive Eigenschaft des Menschen, denn diese Chaossituationen standen bei uns an der Tagesordnung. Als wir noch kleiner waren versuchte uns unsere Mama immer verständlich zu machen, dass sie jeden Tag „Augenpflege mache, wenn sie weinte – und wir haben es geglaubt! Inzwischen hatte diese „Augenpflege" auch schon auf mich und meinen Bruder übergegriffen und wir verbrachten eine gestörte Kindheit – da waren wir sicher nicht die Einzigen! Wie viele grausame traurige Schicksale existieren wohl hinter verschlossenen Türen?

    „Doch ihr seid nicht allein! Meine Gedanken begleiten euch und ihr sollt wissen, dass nicht alle Menschen euer Leid ignorieren, ihr hilflosen verängstigten Geschöpfe, ich wünschte ihr fändet alle die Kraft euch aufzulehnen und zu flüchten, bevor auch eure Seelen Schaden nehmen!"

    Mein Vater – ein sehr intelligenter, dominanter Mann, eine verpatzte Existenz, ein riesengroßes Herz – eine lange Geschichte!

    In der Nachkriegszeit verbrachte er eine sehr harte Kindheit in bitterer Armut mit sieben Geschwistern und einer viel zu stolzen Mutter, den Vater hatte er im Kampf gegen den Krebs verloren als er selbst gerade einmal zehn Jahre alt war. Es gab nichts zu essen und alles was barmherzige Menschen geben wollten wurde aus Stolz verweigert. Im vierzehnten Lebensjahr versuchte er sein Glück beim Heer, wo man dem Kind mit einem Schmunzeln auch prompt das Rauchen beibrachte und es mit dem Alkohol bekannt machte, wovon der Junge sein Leben lang nicht mehr loskommen sollte und sich somit niemals die Chance gab seine vielen Talente zu nutzen, wohl oder übel Zeit seines Lebens unglücklich dahinvegetierte und niemals fertig wurde mit dem Wissen nichts erreicht und eigentlich versagt zu haben.

    So zogen wir also durch die Gegend wie Zigeuner, immer wenn es zu Differenzen mit Vermietern kam, brachen wir unsere Zelte wieder ab. Diese ständige Angst, es könnte an der Tür klingeln, wenn mein Vater zu viel getrunken hatte, Streit war vorprogrammiert und das Ergebnis war Flucht, er hatte nie verstanden, dass er vor sich selbst nicht flüchten kann und log sich natürlich sein Leben lang vor, dass er kein Alkoholiker sei und man ihm sowieso nichts anmerkte – weit gefehlt! Wie sehr hatte ich mir gewünscht irgendwo sesshaft werden zu dürfen und gute Freunde zu gewinnen. Leider blieben meine Träume unerfüllt und irgendwie setzte sich das Nomadenleben dann bei mir auch im Erwachsenenalter fort, so, als ob ein Fluch auf mir lastete.

    Schon bald bemerkte ich, dass mein Sinn für Gerechtigkeit und mein Drang zu helfen sehr stark ausgeprägt waren. Wenn meine Cousine einen Käfer fing, um ihm einen Strohhalm in den Körper zu bohren, damit sie belustigt beobachten konnte, wie er versuchte damit zu fliegen, rastete ich völlig aus vor Entsetzen. Bis zu meiner Jugend stellte ich dann fest, dass mir die Gesellschaft und die Menschen mit ihrer Grausamkeit überall in der Welt derartige Schmerzen bereiteten, dass es mir unmöglich war einen Sinn im Leben zu erkennen. Ich schämte mich, eine von denen zu sein und wünschte mir oft ein Gesicht voller Narben, um nicht ständig den Schlägen auf meine Seele ausgesetzt zu sein. Umgeben von Lügen, Eifersucht und Heuchelei versuchte ich, die Menschen in ihrem Handeln zu verstehen. Von niemandem vorbereitet auf die Härte, die Berechnung, den Neid und den mangelnden Respekt der menschlichen Rasse vor allem Leben und der Natur begann mein Albtraum des Erwachsenwerdens.

    „Wie viel Leid habt ihr mir bereitet, was habe ich euch getan? Wollte doch nur geliebt werden und versuchte jedem alles recht zu machen. Liebe Welt, liebe Tiere, es tut mir so unendlich leid, dass ich aus lauter Schwäche nicht im Geringsten fähig bin euch zu helfen. Welche Qualen fügen wir euch zu, welche Arroganz versteckt sich in der Aussage: Wir Menschen sind intelligent?"

    Aus dem Baby das über und über mit einer Fettschicht bedeckt das Tageslicht erblickt hatte, war ein wunderschönes, schlankes, hochgewachsenes Mädchen geworden mit langem, dichtem, gewelltem hellbraunem Haar und rehbraunen neugierigen Kulleraugen, die sich ins Grüne verfärbten, wenn es zornig war. Ein Gesicht wie ein Engel und eine Figur, perfekt proportioniert, lange Beine, pralle Brüste, eine Wespentaille und natürlich immer noch die breiten Schultern. Hätte der Schöpfer diese junge Frau nur mit einem kleinen bisschen weniger Herz, Charakter und Gewissen ausgestattet, wäre aus ihr wohl eine sehr verwöhnte Dame eines vermögenden Gönners geworden.

    Die Vorsehung hatte aber ganz andere Pläne mit dem armen Ding!

    Ein ganzes Meer von Tränen und unbeschreibliche Schmerzen sollten ständige Begleiter meines Lebens werden.

    Die erste Liebe, so viel Geborgenheit, Zärtlichkeit, Zuneigung und das Gefühl einfach nur das Allerwichtigste für den geliebten Menschen zu sein. Jemandem meine überwältigende Liebe schenken zu dürfen und zu sehen, dass er sie annimmt, aufsaugt und völlig neue Welten entdeckt, das waren die Momente, in denen ich sagen konnte: „Ich lebe!"

    Es war ein sehr aufgeweckter lebenslustiger junger Mann, dessen zu Hause starken Einfluss nahm auf mein späteres Lebensziel. Er hatte sieben Geschwister, Vater und Mutter lebten in absolutem Einklang und hielten sich bei ihren Spaziergängen sogar nach vielen Ehejahren noch ganz verliebt an den Händen und stets gab es in der Familie ein buntes Treiben. Das war es, was auch ich anstrebte, das war meine Sehnsucht. Alles was ich je erreichen wollte, bestand darin eine Familie zu gründen und meinen Kindern all das zu geben, was mir leider nie zu Teil wurde. Das war alles, keine Karriere, kein Reichtum, nur eine Familie, einen Menschen, der mir jeden Tag mit kleinen Gesten zu verstehen gibt, dass ich die Welt für ihn bedeute, dass ich mich fallen lassen darf und nie mehr Angst fühlen muss!

    Der junge Mann war sehr geduldig mit mir, ich war bereits bekannt als „eiserne Jungfrau und er musste ein halbes Jahr warten, bis ich mich endlich „traute. Wir waren zu Besuch bei einer sehr guten Freundin und hatten beschlossen „es" in dieser Nacht zu wagen. Für mich war es sehr schmerzhaft und peinlich, das ganze Laken war voll Blut und die Vorstellung, dass dieses nun zur Wäsche der Familie kam erfüllte mich mit großer Scham. Es war nicht so, wie alle schwärmten, die romantische Vereinigung zweier Liebender, nicht so, wie es in den Romanen zu lesen war. Nein – ich empfand zwar unendliche Liebe im Herzen doch mein Körper fühlte anders! Auch die nächsten Male bereiteten mir große Schmerzen, so hatte ich es mir nicht vorgestellt. Aufklärung war damals eher tabu und alles was ich über Liebe wusste, oder mir einredete, war so romantisch und unbeschreiblich. Mein Freund hat nie erfahren, dass ich nur Schmerzen empfand.

    Die Beziehung hielt nur ein Jahr lang, ich hatte es nicht geschafft. Meine Eltern hatten unseren Wohnsitz ins Ausland verlegt und der Belastung der weiten Entfernung hatte ich nicht standgehalten und so die Freundschaft beendet. Die Liebe hatte aufgehört, einfach so, es gab keine Chance mehr für mich und dies war meine erste Entscheidung, die ich nicht treffen wollte. Warum in Gottes Namen konnte mir denn keiner helfen, mir sagen warum es so weit gekommen war und mir meine Entscheidung abnehmen. Zeit meines Lebens hasste ich nichts mehr als Entscheidungen zu treffen, da den Kampf um die Antwort bei mir immer das Herz gewann und niemals der Verstand, was natürlich fatale Auswirkungen mit sich zog. Niemand hatte mich vorbereitet auf die Realität, niemand hatte mir jemals erklärt, dass ich mich nicht in einem Roman befand, niemand hatte mich je „leben" gelehrt!

    „Mein Lieber, wie wäre wohl alles verlaufen, wenn mir damals schon bewusst gewesen wäre, wie krank meine Seele ist?"

    So vergoss ich also die ersten Tränen der Liebe, eigentlich, weil es mir das Herz zerriss, jemanden verletzen zu müssen, weil ich es einfach nicht verstand! Was war bloß los mit mir? Niemand konnte mir jemals erklären, wohin die Liebe ging, oder mir helfen und es sollte für mich ein sehr trauriges, bewegtes, von Emotionen geleitetes Leben werden bis zum Schluss!

    Ich lebte bei meinen Eltern, wieder einmal in einer völlig fremden Stadt und traute mich nirgends allein hinzugehen, denn das schickte sich nicht für ein junges Mädchen. Meine extreme Schüchternheit war mir beim Knüpfen von neuen Kontakten auch nicht sehr hilfreich und so verbrachte ich meine Abende zu Hause und werkte fleißig kreativ vor mich hin.

    In dem fremden Land hatte ich den Einstieg ins neue Schuljahr verpasst und so musste ich auf den Beginn des neuen Schuljahres warten, um vielleicht in der neuen Schule Anschluss zu finden. Die Tage waren lang und die Nächte noch länger. Es ist sehr bedrückend für einen Teenager sich wertlos und ungebraucht zu fühlen und so kam es, dass ich ohne Schlaftabletten keine Ruhe mehr fand.

    „Wie funktionieren die Menschen eigentlich? Was würde ich alte Frau dafür geben, könnte ich der Jugend den Schmerz einer kaputten Liebe nehmen, könnte ich ihr erklären, dass die Zeit Wunden heilt, dass man Ruhe bewahren soll! In Gedanken muss ich alles noch einmal durchleben, denn ich fühle so sehr mit, kenne ich doch diese Qualen nur zu gut! Aber so ist es schon seit eh und je, jeder möchte seine eigene Welt durchleben auf seine Art und sich von niemandem etwas sagen lassen. Alte Menschen werden gütig belächelt, können jedoch die Gefühlswelt, die sie erforscht haben, nicht glaubhaft erklären und nicht ihr Wissen weitergeben, um andere Seelen vor Narben zu bewahren. Ich kann euch nicht helfen, aber ich fühle mit euch, so sehr, dass mich jeder Tag traurig macht und es mir schwer fällt immer wieder aufzustehen."

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    Damals hätte mir mein Herz schon gesagt, dass ich meine Berufung im Umgang mit Tieren finden könnte, aber niemals hätte ich es gewagt, allein in einer Großstadt zu wohnen, um dort eventuell den Beruf der Tierpflege zu erlernen. Meine Mutter ermöglichte mir stattdessen, auf eine private Wirtschaftsschule zu gehen, in der Hoffnung, dass aus mir einmal etwas würde. Die Arme bezahlte viel Geld dafür, mir eine bessere Zukunft als die ihre zu ermöglichen, sie wusste, dass ich klug war. Erst heute, nachdem ich selbst Mutter bin, kann ich nachvollziehen, wie viel Kummer ich ihr bereitet haben muss. Sie selbst war damals in einer schlimmen Situation, litt an Angstzuständen und bewegte sich an Rande des Wahnsinns. Keiner von uns wollte das sehen, keiner von uns konnte helfen, keiner erkannte die Ernsthaftigkeit ihrer Lage, ihre Verzweiflung, ihre Hilflosigkeit. Wir waren doch immer zu sehr beschäftigt mit uns selbst!

    „Arme Mama, ich hoffe du siehst  mich und hörst meine Gedanken, die sich so oft um dich drehen und dich um Verzeihung bitten, für all das, was ich nicht für dich getan habe und dafür, dass ich erst heute, nachdem ich selbst diese Schmerzen nachvollziehen kann, richtig verstehe!

    Wie sehr haben wir belächelt, wenn dir bei trauriger Musik immer gleich die Tränen über die Wangen kullerten. „Mama, das ist doch nur ein Lied. Damit wollen die Leute ein Geschäft machen, glaub doch nicht alles und nimm es dir nicht so zu Herzen!" Das waren unsere Kommentare und prompt würgtest du deine Gefühle ab, um uns ja alles recht zu machen. Heute kenne ich selbst den Schmerz, dieses unbeschreibliche Gefühl, diese Welle, die durch den ganzen Körper rollt, wenn eine Melodie oder eine Stimme einen Menschen im tiefsten Inneren berührt und das Herz anfängt zu klopfen, dass man Angst bekommt, es könnte irgendwann aufhören zu schlagen vor Aufregung, die Augen plötzlich feucht werden und du mitfühlst und dich irgendwo selbst wiederfindest im Text oder aber nur berührt wirst von einer unglaublich wärmenden Stimme, die dir den Brustkorb auf unerklärliche Weise zusammenpresst, du den Text nicht verstehst und trotzdem genau weißt worum es geht. Heute ist es für mich ein unergründliches Phänomen, auf der einen Seite schmerzhaft, auf der anderen unbeschreiblich schön zu den Glücklichen gehören zu dürfen, die so fühlen können.

    Könnte ich meinem Kind simulieren, wie es sich anfühlt keine Mama mehr zu haben und alleingelassen zu werden mit diesem Gefühl sie vernachlässigt zu haben, dann………?"

    Eines Tages, es war kurz nach Beginn des neuen Schuljahres, nahmen mich ein paar Kumpels mit in ein Tanzlokal im Ort. Es sollte ein schicksalhafter Tag für mich werden, hier begann mein „Sterben"!

    „Armes, dummes, schüchternes, unerfahrenes, unheimlich gutaussehendes, ahnungsloses, liebesbedürftiges, krankes Mädchen vom Land - was kam hier auf dich zu……?"

    Eine altmodische, geschmacklos eingerichtete Bar mit Livemusik, eine One-Man-Band, so gar nicht mein Geschmack, aber es war eine lustige Runde, wir hatten Spaß! Den ganzen Abend umgarnte mich der Musiker, er sah aus wie ein Zigeuner, langes pechschwarzes gelocktes Haar, dunkelbraune Teddybäraugen, kräftige Statur, eine beeindruckende rauchige männliche Stimme, eine Art väterliche Vertrautheit.

    Er wartete bis alle meine Freunde gegangen waren und redete unentwegt auf mich ein, machte mir Komplimente, gab mir das Gefühl etwas ganz Besonderes zu sein und gab mir Alkohol. Plötzlich waren wir fast allein, nur noch das Personal schwirrte herum. Er flehte mich an noch zu bleiben und als ich ihm erklärte meiner Mutter das Versprechen gegeben zu haben nach Hause zu kommen - und ich würde niemals so ein Versprechen brechen - rief er einfach bei mir zu Hause an und versprach hoch und heilig, mich später höchstpersönlich abzuliefern. An den genauen Ablauf kann ich mich bis heute nicht erinnern. Auf jeden Fall stellte sich heraus, dass er der Besitzer dieser Bar war und er brachte mich in ein Hinterzimmer, in das er sich, wie er mir sagte, manchmal zurückzog um „zu ruhen"! Noch heute schäme ich mich dafür, dass er es auf eine mir unerklärliche Weise schaffte, mit mir zu schlafen.

    Ganz langsam hatte er sich vorgetastet. „Nur ein Kuss, nur ein wenig streicheln, nur ein ganz klein wenig in mich hineinfühlen – dann kam die volle Wucht des schweren Körpers, ich konnte nichts mehr tun - heute sehe ich es als Vergewaltigung eines unbeholfenen Kindes das nicht die Kraft hatte sich zur Wehr zu setzen. Für mich fühlte sich danach alles schmutzig, beschämend und ekelhaft an. Es gibt Situationen meines Lebens, die ich im Nachhinein unmöglich erklären kann.

    Fatal, aber wahr – für mich war eine Welt zusammengebrochen – ich hatte meinen ersten Freund nicht geheiratet, hatte keine Familie gegründet, mich mit einem irren Typen eingelassen! Das war mein „zweiter Mann", es gab keine andere Möglichkeit, ich musste bleiben, ich war doch selbst schuld, ich war doch freiwillig mitgegangen. Dass ich keine Chance hatte würde sicher niemanden interessieren! In der heutigen Zeit würde mich für diese Denkweise wohl jedes Mädchen belächeln und für geisteskrank erklären, aber für mich war es damals die bittere Realität!

    Jeden Abend stellte ich mich nun hinter die Bar in diesem Lokal und arbeitete, natürlich unentgeltlich, brav mit und versuchte meine Sorgen zu ertränken. Die Gäste hatten ihre Freude mit mir und spendierten mir etliche harte Drinks, ich begann sehr starke Zigaretten zu rauchen und versuchte mich so gut als möglich selbst zu belügen. Nach zwei drei Stunden Schlaf ging ich zur Schule, roch verraucht

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