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Am Ende bin ich - ich selbst
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eBook221 Seiten3 Stunden

Am Ende bin ich - ich selbst

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Über dieses E-Book

Sie ist tatkräftig. Sie ist kreativ. Sie ist fleißig. Patricia Hemberger, geboren als Patricia Holländer in Speyer am Rhein, blickt voller Energie auf ihr Leben zurück. Viele Abschnitte kommen ihr vor wie ein Schleudergang zwischen Freundschaft und Gegnerschaft, Unterstützung und Betrug.
Früh litt sie unter der Scheidung ihrer Eltern, wuchs unter dem strengen Regiment der Großmutter auf. Sie durchlebte familiäre Konflikte und kämpfte sich über berufliche Hürden. Mit der Ausbildung zur Verwaltungsangestellten zeichnete sich ein solides, ruhiges Berufsleben ab, doch das reichte ihr nicht. Nebenbei führte ein kleines Handarbeitsgeschäft, machte eine Ausbildung zur Gästeführerin, fing an für Designer zu arbeiten, entwarf eigene Kreationen für Tanzsportvereine. Eine Krankheit gebot ihr innezuhalten – sie stellte die Weichen neu. Jetzt ist sie ihr eigener Chef und will sich nur noch dort einsetzen, wo ihr Respekt und Achtung begegnen.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Kern
Erscheinungsdatum7. Dez. 2020
ISBN9783957163585
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    Buchvorschau

    Am Ende bin ich - ich selbst - Patricia Hemberger

    Kapitel 1

    Kinder haben keine Wahl

    Wir kommen ungefragt auf diese Welt. Die Frage ist nur: Was erwartet uns auf unserem Lebensweg? Jeder Mensch ist geprägt von seiner Kindheit und jede Familiengeschichte wiederholt sich irgendwann im Laufe der Jahre in einer der folgenden Generationen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mir schon in frühen Kindheitstagen die Frage gestellt habe, warum in meiner Familie so viel gestritten wurde.

    Jeder Feiertag, jedes Fest, jede gut vorbereitete Einladung von Gästen – ich weiß nur, dass ich irgendwann damit aufgehört habe, mich auf besondere Anlässe zu freuen, aus Angst, ich könnte ja doch enttäuscht werden, und vorher oder danach gäbe es „dicke Luft". Ein Streit, der oft tagelang seine Schatten über unser Leben legte. Grauenvoll, wenn ich heute daran denke.

    Meine Kindheit war bis zu meinem achten Lebensjahr sehr schön – zumindest das, was mir davon noch in Erinnerung geblieben ist. Dennoch bereitet es mir immer ein unbehagliches Gefühl, an diese Zeit zu denken. Trotzdem möchte ich davon erzählen.

    Im August 1966, das Jahr, als Ludwig Erhard Bundespräsident war, einen Tag nach dem letzten Auftritt der Beatles in San Francisco, kam ich im Sternzeichen der Jungfrau zur Welt. Jungfrauen sagt man nach, dass sie mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität stehen. Leider neige ich oftmals dazu, vom Boden abzuheben, besonders wenn ich von einer Idee total begeistert bin.

    Meine Mutter hat meinen Vater sehr jung geheiratet, und sie hat nach kurzer Zeit entschieden, dass sie ein Kind wollte. Ich war wohl ein Wunschkind, zumindest seitens meiner Mutter. Mein Vater war damals noch beim Bund, und beide hatten noch keine eigene Wohnung. In dieser Zeit muss es für meine Eltern nicht einfach gewesen sein. Meine Mutter lebte noch bei meinen Großeltern in einer Dreizimmerwohnung und mein Vater wohnte während seines Urlaubs auch dort, oder bei seinen Eltern, die ein eigenes Haus besaßen. Dann gab es noch die Schwester meiner Mutter, die etwas jünger war. Sie wurde in das Wohnzimmer ausquartiert und musste sich fortan damit abfinden, dass das Wohnzimmer oft bis spätabends belegt war und sie ihr Klappbett erst dann herunterlassen konnte, wenn alle anderen im Bett waren.

    Heute kaum vorstellbar, dass es trotzdem genug Platz für alle gab.

    Meine Großeltern waren dabei sehr anspruchslos. Sie haben uns allen ein Nest gegeben – und mir ganz besonders. Ich weiß auch, dass Großmutter und Großvater dabei auf vieles verzichtet haben. Ich muss dabei erwähnen, dass ich eigentlich noch eine Tante hätte, die nur wenige Jahre älter gewesen wäre als ich. Meine Großmutter verlor ein paar Jahre vor meiner Geburt ihr drittes Kind. Heute weiß ich, dass ich für sie der Ersatz für dieses Kind war. Ich war ihr Kind. Ihre „Trizi, ihre „Trizel, wie sie mich oft rief. Nur wenn sie auf mich zornig war, wurde ich mit meinem Namen „Patricia" gerufen.

    Nun, ich war ganz schnell ein Oma-Opa-Kind. Wie das Leben so spielt, wurden meine Eltern bereits kurze Zeit nach meiner Geburt geschieden. Mein Vater wollte unbedingt in das Haus seiner Eltern ziehen, was meiner Mutter nicht passte. Das soll angeblich zur Trennung geführt haben. Später habe ich noch gehört, dass mein Vater sich eine andere Frau angelacht hatte. Ich muss sagen, ich habe die meisten Informationen von meiner Großmutter über diese Geschehnisse. Leider hat meine Mutter bis heute nie so richtig über diese Zeit gesprochen. Ich suche immer noch nach Antworten.

    Nachdem die Ehe schließlich geschieden war, verschwand mein Vater schon wieder aus meinem Leben. Genauer gesagt: Ich habe zwar ein Bild von ihm, kenne seine Adresse, aber er ist für mich ein fremder Mann geblieben. Bis zum heutigen Tag habe ich die Hoffnung nie aufgegeben und immer wieder Versuche gestartet, diese Situation zu ändern. Leider ohne Erfolg!

    Dennoch fehlte es mir nicht an Essen, Trinken, Spielsachen, schöner Kleidung. Nein, ich kann sogar sagen, dass ich immer wie aus dem Ei gepellt ausgestattet war. Da meine Mutter ganztags berufstätig war, hatte meine Großmutter die volle Verantwortung für mich. Zu dieser Zeit hatte sie noch eine Putzstelle inne und gab diese auf, da sie mich zu hüten hatte und dadurch meine Mutter weiter zur Arbeit gehen konnte. Alles was mich daran erinnert, sind immer ihre Worte in den Jahren meiner Kindheit bis hin zum Erwachsenendasein: „Wegen dir habe ich so wenig Rente. Hätte ich dich nicht großziehen müssen, dann hätte ich meine Arbeit nicht aufgegeben."

    Oft taten mir diese Worte weh. Ich habe dazu immer geschwiegen, bis zu dem Tag, an dem ich sagte: „Du hättest das doch nicht tun müssen, das war doch nicht meine Schuld." Obwohl ich immer wieder gegen diese Worte kämpfte – innerlich hatte ich Schuldgefühle und natürlich ein schlechtes Gewissen. Sie war sich bestimmt nicht bewusst, wie tief sich diese Worte in meine Seele eingebrannt hatten.

    Auch konnte sie mir bei vielen anderen Gelegenheiten ein schlechtes Gewissen machen. Leider hat sich das wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen. Um sie besser zu verstehen, brauchte es für mich Jahrzehnte.

    Ja, das liebe, schlechte Gewissen, das habe ich noch heute in vielen Situationen meines Lebens. Was sich als Kind einprägt, das kann man als Erwachsene schwer ablegen, es sei denn, man lernt, es auszuhalten. Es ist ein langer, steiniger Weg, bis man es gelernt hat. In all den folgenden Jahren haben mich die damit verbundenen Ereignisse immer wieder verfolgt, aber später mehr dazu.

    Heute weiß ich, dass meine Großmutter aus ihrem Verhaltensmuster nicht heraus konnte. Ganz besonders dann nicht, wenn sie sich in Rage geredet hatte. An Sturheit konnte ihr keiner was vormachen. Außer ich, vielleicht ein wenig. Mir wurde immerzu gesagt, dass ich so stur wie mein Vater sei. Wenn ich etwas nicht wollte, dann habe ich das nicht gemacht. Alles Aussagen von meiner Familie. Irgendwann habe ich das auch über mich gedacht. Ich bin stur und daran ist mein Vater schuld. Wer mich heute kennt, weiß, dass ich so stur gar nicht bin. Ich versuche immer, schnell einzulenken, wenn es einen Konflikt gibt. Allerdings kann ich auch stur sein, wenn ich merke, dass mein Gegenüber nur mir die Schuld zuweist und nicht merkt, dass immer zwei dazu gehören.

    Auf jeden Fall habe ich eine ausgeglichene sture Seite, wie wohl jeder normale Mensch. Das braucht man auch in manchen Lebenslagen.

    Meine Großmutter hat auf jeden Fall viele Dinge erlebt. Sie hat oftmals ihre Verbitterung zum Ausdruck gebracht. Ich habe das nicht immer verstanden. Mittlerweile ist sie 97 Jahre alt und trotz vieler Schlaganfälle und ihrer Demenz immer noch eine stattliche Frau. Man sieht ihr das hohe Alter und die Strapazen ihres Lebens nicht an. Niemals hätte ich gedacht, dass ich über alles schreiben kann, was sich in unserer Familie zugetragen hat. Heute kann ich es, weil ich mein Leben geordnet habe. Nicht alleine, wie ich noch berichten werde, sondern über viele Umwege und mit großer Unterstützung von Menschen, die mir nie gesagt haben, was ich ändern soll, sondern die mir klargemacht haben, dass ich das Recht dazu habe, etwas zu ändern.

    Dabei musste ich lernen, wieder jenes schlechte Gewissen auszuhalten. Und gar nicht selten, eigentlich fast täglich. Heute bin ich weitgehend frei von solchen Zwängen. Ich habe das Schönste auf Erden gefunden – meine Zufriedenheit. Ich war ein ruheloser Mensch, der an vielen Strängen gezogen hat. Manchmal habe ich noch Träume, die von meiner Kindheit handeln. Ich bin sowieso ein Mensch, der ganz viel träumt. Viele Träume sind dabei so real, als wäre ich erst gestern in der entsprechenden Situation gewesen. Wie man so schön sagen kann: „Ich ackere da richtig in der Nacht". Am Tag bin ich oftmals erschöpft von diesen Erinnerungen. Gerade jetzt, wo ich mich mit all dem nochmals beschäftige, habe ich das Gefühl, dass ich alles noch einmal im Traum durchlebe. Dabei gibt es natürlich auch schöne Träume. Einer zum Beispiel hat mich zum Lachen gebracht; allerdings weiß ich nicht, ob ich es selbst erlebt habe oder ob mir nur durch die Erzählung meiner Familie dieser Traum kam.

    Ich sah meine Großeltern, meine Mutter und mich in unserer Küche. Meine Großmutter hatte eine Küchenschürze an, die sie immer im Haus trug, wenn sie daheim war. Es gab Knödel und Schweinebraten. Irgendwie war ein Streit ausgebrochen, und meine Großmutter schimpfte gewaltig, bis Großvater wohl der Kragen platzte. Er hatte gerade einen Knödel mit der Gabel aufgespießt und wollte etwas entgegensetzen. In seiner Wut berücksichtigte er wohl nicht die Flugkraft eines Knödels. Der Knödel flog samt sämiger Soße mit voller Wucht durch die Küche und blieb für kurze Zeit an der neu tapezierten Küchenwand hängen, bis er schließlich ganz langsam an der Wand nach unten rutschte. Was für ein Ärger sich da anbahnte, kann man sich vorstellen. Großmutter benutzte Worte, die ich besser nicht wiederhole, und ich weiß, dass alle anderen Anwesenden, die lachten, auch nicht verschont blieben.

    Nun, das war zwar mein Traum, aber passiert ist es wirklich, und lustig war es schon. Nach Jahren konnte sie auch darüber lachen.

    Ein anderer Traum war für mich ganz schrecklich, zumindest als Kind. Ich wurde schon mit knapp sechs Jahren ins Ballett geschickt. Da ich daheim immer zur Musik herumgetanzt bin, war es naheliegend, dass das Kind professionell tanzen gehen muss. Das kostete zu der damaligen Zeit nicht wenig Geld, und meine Großmutter hat Jahre danach immer wieder erwähnt, wie teuer meine Ballettstunden gewesen seien. Nun, auf jeden Fall war ich am Anfang nie so richtig begeistert, denn ich musste immer dann von der Straße geholt werden, wenn wir Kinder so schön herumstreunen konnten. Ich habe mich oft mit Händen und Füßen dagegen gewehrt und es erst einmal mit einer Heulattacke probiert. Das half alles nichts. Wer meine Großmutter zu der Zeit kannte, der weiß, dass sie der lieben Pflicht nichts entgegensetzte. Großmutter ging jede Woche mit mir in die Stadt zur Ballettschule und wartete während der Stunde in einem Raum in der zweiten Etage.

    Eines Tages passierte das Peinlichste, was einem auch nur passieren kann: Ich hatte schon immer Angst vor Turngeräten, auch heute noch. Im Ballettsaal wurden Ringe von der Decke herabgelassen. Wozu das gut sein sollte, weiß ich bis heute nicht. Das hatte für mich wenig mit Tanzen zu tun – ich wollte ja schließlich keine Trapezkünstlerin werden. Mehrfach rief mich meine Ballettlehrerin auf, dass ich die Übung, die ein anderes Kind vormachte, nachmachen sollte. Alleine beim Zuschauen wurde mir schlecht. Nachdem ich nicht reagiert hatte, wollte mich diese Frau am Arm packen. Sie hatte nicht verstanden, dass ich einfach nicht wollte. Da mein Kopfschütteln nicht reichte, ließ ich „es schließlich laufen. Mir rann das „Pippi die Beine entlang, und ich stand da, wie zur Salzsäule erstarrt. Meine Großmutter bekam erst etwas davon mit, als eine Frau in den Aufenthaltsraum der Angehörigen stürmte und in Pfälzisch sagte: „Do hot äni in de Ballettsaal gepinkelt. Dabei ging sie einen Putzeimer und einen Wischmopp holen. Großmutter sagte nur: „Des werd doch net unseri gewese soi? Natürlich war es ihre. Auf jeden Fall habe ich Wochen danach noch den Spott der anderen aushalten müssen.

    Wenn ich aufwache, denke ich oft: „Gott sei Dank, nur ein Traum." Ich kontrolliere dann meist gleich mein Bett – man kann nie wissen.

    Kapitel 2

    Großmutter war schon immer eine starke Frau

    In Mutterstadt, in der Pfalz, kam meine Großmutter 1922 zur Welt. Ihr Vater war Bahnassistent, während der Eintrag ihrer Mutter im Melderegister als „gewerblos benannt ist. Das bedeutete, dass sie Hausfrau war. Die Familie wohnte und arbeitete im Bahnhofsgebäude. Meine Großmutter war das fünfte Kind und somit das „Nesthäkchen. Sie wuchs in einem kleinen pfälzischen Dorf auf, in „Goise (Geinsheim), wie die Pfälzer sagen. Geinsheim hat seinen Namen von der Bezeichnung „Gäu, nichts weiter als eine flache Gegend, die sich zwischen der pfälzischen Weinstraße und dem Rhein erstreckt. Hilda, meine Großmutter, die später immer Hilde gerufen wurde, wuchs zu einem gesunden Kind heran. Sie hatte langes Haar und trug immer zwei Zöpfe. Schnell hatte sie den Namen „Hildchen mit Zöpfen" inne. Bis ins hohe Alter haben wir sie manchmal so gerufen. Sie konnte darüber immer schmunzeln.

    Manchmal hat sie mir Geschichten aus ihrem Leben erzählt. Ich höre ihr heute noch gerne zu, auch wenn ich mehr Fragen stellen muss, damit sie überhaupt in ihrer Demenz an diese Zeiten Erinnerungen abrufen kann. So hat sie mir zum Beispiel von Arras erzählt, einem Hund, den einer ihrer Brüder aus Frankreich mit nach Hause gebracht hatte. Arras war nicht gerade ein einfacher Hausgenosse. Er hatte wohl Schlimmes erlebt und ließ nicht jeden an sich heran. Meiner Großmutter fraß er aus der Hand. Eines Tages gab es eine große Aufregung im Haus: Der Hund hatte sich am Fahrkartenschalter des Bahnhofs zu schaffen gemacht und einen Großteil der Fahrkarten zerbissen. Tagelang saßen meine Urgroßeltern da, um die Fahrkarten zu kleben. Die Fahrkarten hatten einen hohen Wert und Urgroßvaters Stellung stand dabei auch auf dem Spiel. Von da an durfte der Hund nicht mehr ins Haus und wurde draußen angebunden. Außerdem hatte er sich öfters aus dem Staub gemacht, um die Kaninchen des Nachbarn zu jagen.

    Eines Tages riss er sich los und rannte meiner Großmutter nach. Sie durfte ab und zu mit dem Zug zur Schule nach Neustadt fahren. Die Leute im Zug lachten, als sie sahen, dass ein schwarz-weißer Mischling neben dem Zug herrannte. Das war damals noch möglich, angesichts des Tempos dieser Züge. Auf jeden Fall hatte meine Großmutter keine andere Wahl – sie stieg in Neustadt aus, nahm den Hund auf den Arm und band ihn mit einem Gürtel ihrer Jacke vor der Schule an einem Geländer an. Als die Schule zu Ende war, machte sie sich auf den Heimweg. Wie sich herausstellte, war das nicht ganz unproblematisch. Sie musste Arras nahezu den ganzen Weg tragen und es waren nicht gerade wenige Kilometer. So ein Hund kann von Minute zu Minute schwerer werden. Nachdem ich meine Großmutter gefragt hatte: „Oma, was ist dann später aus dem Hund geworden?, antwortete sie mir: „Wir haben ihn irgendwann in einem Graben gefunden. Er wurde erschossen. Wir vermuten, dass es der Nachbar war, der war Jäger.

    „Wie war es bei euch in der Familie im Krieg?, fragte ich sie oft. „Es war furchtbar; oft musste ich mich auf dem Heimweg von der Schule mitsamt dem Fahrrad in den Graben werfen. Ich wusste nie, ob ich lebend daheim ankomme. Ich hab’ dann immer gehofft, dass die Bomben nicht in meiner Nähe einschlagen.

    „Was war mit deinen Brüdern? Du hast mir gesagt, dass zwei davon im Krieg gefallen sind. „Ja, erzählte sie mir. Dabei hielt sie eine Minute inne. „Das war entsetzlich. Erst kam die eine Nachricht Anfang August, dass Karl, und im Oktober 1944 die zweite Nachricht, dass Heinrich gefallen war. Meine Mutter hat das nicht mehr verkraftet und wir mussten sie beinahe in die Klapsmühle einliefern lassen." Damit meinte meine Großmutter die Psychiatrie Klingenmünster/Landeck.

    „Wie ist das dann weitergegangen bei euch, wenn deine Mutter so krank war?" Großmutter fuhr mit ihren Erzählungen fort:

    „Ich habe halt viel mitgeholfen. Nachdem ich an der Fahrkartenausgabe am Neustadter Bahnhof gearbeitet hatte, habe ich nach Feierabend immer daheim im Haus weitergearbeitet. Meine Mutter konnte teilweise nichts mehr machen. Sie hat sich aus dem Leben herausgezogen und das hat sich auch nicht mehr gebessert. Der Verlust meiner Brüder hat sie kaputtgemacht. Meine beiden anderen Geschwister haben dabei besser abgeschnitten. Meine Schwester war immer schon die Diva in unserer Familie und hat sich bei allem die Rosinen gepickt. Sie hat sich eher selbst noch von allen bedienen lassen und uns weniger unterstützt. Meine Schwägerin und mein Bruder haben sich da eher gekümmert, hatten aber selbst ihr Leben zu bewältigen.

    Ich war verlobt in dieser Zeit. Mit einem tollen Burschen im Ort. Irgendwann habe ich ein Mädchen getroffen, die behauptet hat, schwanger von ihm zu sein. Ich habe sofort die Verlobung gelöst, als sich herausstellte, dass es die Wahrheit war. Das habe ich ihm nicht verzeihen können. Ich habe dann halt deinen Opa geheiratet."

    Ich wurde stutzig und hakte nach: „Wieso ,halt‘? „Ja, eigentlich wollte ich ihn nicht richtig, so einen schwarzen Kerl. Damit wollte sie sagen, dass mein Großvater rabenschwarze Haare und dunkle Augen hatte. Außerdem war er behindert. Er hatte die Kinderlähmung gehabt und davon eine Gehbehinderung.

    Ich entnahm den Worten meiner Großmutter, dass mein Großvater nicht gerade die erste Wahl war. „Du hast ihn aber dann doch geheiratet. Musstest du heiraten?"

    Anstatt meine Frage zu beantworten, sagte sie: „Ich bin dann in die Stadt gezogen und habe mit ihm nach der Hochzeit den Lebensmittelladen seiner Eltern geführt." Ich merkte, dass sie auf meine klare Frage keine Antwort geben wollte – warum, erfuhr

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