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Mein langer Weg zur Moni B.: Eine erzählte Biografie
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Mein langer Weg zur Moni B.: Eine erzählte Biografie
eBook283 Seiten4 Stunden

Mein langer Weg zur Moni B.: Eine erzählte Biografie

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Über dieses E-Book

Die authentisch erzählte Biografie läßt den Leser durch die Augen eines Menschen blicken, der verzweifelt versucht, zu seinem Geschlecht und seiner Sexualität zu finden. Vielleicht gerade deswegen stürzt er sich ins pralle Leben. Man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, wenn er reihenweise Missetaten begeht und laufend bei der Gesellschaft aneckt. Man fühlt und leidet mit, denn die innere Zerrissenheit ist als Triebfeder nur zu gut verständlich. Es bedarf erst eines abenteuerlichen Lebens mit vielen spannenden Wendungen, um bei sich selbst anzukommen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum14. Nov. 2013
ISBN9783732271481
Mein langer Weg zur Moni B.: Eine erzählte Biografie
Autor

William Prides

William Prides ist ein moderner Konservativer, der von der rheinländischen Toleranz und Offenheit angesteckt wurde. Er hat auf seinem Lebensweg viele interessante Menschen getroffen. Aus diesen Begegnungen schöpft er die Ideen für seine Bücher.

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    Buchvorschau

    Mein langer Weg zur Moni B. - William Prides

    er.

    Wie dieses Buch entstand

    Eines Tages traf der Autor zufällig Moni, die er so anders als alle Menschen fand, die ihm bisher begegnet waren. Sie blieb für ihn stets unberührbar, doch beide erkannten den Wert der aufrichtigen Freundschaft, die sich zwischen ihnen entwickeln sollte. Es wurde beschlossen, daß der Autor versuchen sollte, ihr ihre Lebensgeschichte von der Seele zu schreiben, was in langen Gesprächen und unter Einsatz von ungezählten Zigaretten, Tassen Kaffee und Sahnetortenstücken dann auch geschah.

    Moni hatte in ihrem Leben viele Lebensläufe verfassen müssen, für Ärzte, Psychologen, Gutachter, Krankenkassen und andere. Sie hatte dabei zwar nie gelogen, aber durch Weglassen stets dem Publikum gegeben, was es lesen wollte. Für jemand auf der Suche nach sich selbst, der mitunter mit Selbstverleugnung zu kämpfen hatte, war das kein haltbarer Zustand. Die Menschen, die ihr etwas bedeuteten, sollten erstmals die ganze Geschichte erfahren statt immer nur einzelne Episoden zu hören. So könnten sie Monis von außen betrachtet teils seltsam anmutenden Reaktionen endlich verstehen und ihr vielleicht manchen Ausrutscher verzeihen. Es wäre auch schlicht unmöglich gewesen, jemand diese Geschichte vollständig und in der richtigen Reihenfolge mündlich zu übermitteln.

    Wir diskutierten, ob wir es veröffentlichen sollten. Wir entschieden uns dafür. Sicher gibt es eine Randgruppe, die sich darin wiederfinden wird, manche werden es vermutlich als frei erfunden abtun. Es geht die Gesellschaft etwas an, deswegen gehört diese Erinnerung festgehalten. Irgendwann werden sich folgende Generationen nicht mehr an die späten 1980er und beginnenden 1990er Jahre erinnern, als man noch nicht im Internet nachlesen konnte, was mit der eigenen Sexualität los ist und nur schwer Gleichgesinnte oder Leidensgenossen finden konnte. Als gesellschaftliche Ausgrenzung und allgemeine Unwissenheit, die heute mittelalterlich anmutet, noch an der Tagesordnung war. Nur mit diesem Bewußtsein weiß man die heutige freiere und tolerantere Gesellschaft zu schätzen und sollte sich engagieren, diese zu erhalten. Sowohl Moni als auch der Gesellschaft wäre viel erspart geblieben, wenn sich die Dinge damals positiver entwickelt hätten.

    Die Welt, die kein Verständnis hat

    Ich wurde 1967 geboren. Im Alter von fünf bis acht Jahren lebte ich mit meinen Eltern und meiner älteren Schwester im rechtsrheinischen Köln. Es war ein Stadtteil, der sich seinen ursprünglich dörflichen Charakter bewahrt hatte. Zu dieser Zeit begann mein Kopf zu arbeiten und die Ereignisse ihren Lauf zu nehmen. Ich fand das, was Jungs wie ich üblicherweise spielten und wie sie sich gaben, richtig doof. Ich spielte viel lieber mit den Puppen meiner Schwester, als Fußball. Ich nutzte außerdem jede Gelegenheit, ihre Kleidung zu stibitzen, um sie selbst anziehen zu können. Das war nicht besonders schwer, weil meine Schwester ihre Sachen oft schlampig in allen Ecken verstreut herumliegen ließ, so daß es nicht auffiel, wenn etwas fehlte.

    Mein Vater war Handwerksmeister und Ausbilder an einer Schule für Metallfachhandwerk. In dieser Männerwelt ließ es sich für ihn Anfang der 1970er Jahre angenehm leben. Meine Mutter aber durfte kein eigenes Geld verdienen, nicht den Führerschein machen oder auch nur alleine schwimmen gehen. Für die Hausarbeit und die Betreuung der Kinder war sie gut genug. Mein Vater verdiente gut. Wir wohnten im eigenen Haus, er besaß eine Segelyacht, ein Segelflugzeug und er hatte stets das neueste Automodell vor der Tür stehen. Er verwirklichte seine Hobbies, die Familie war nur das Gefolge, das mitzumachen hatte. Jedes Jahr fuhren wir sechs Wochen in den Spanien-Urlaub.

    Von mir als einzigem Sohn wurde scheinbar erwartet nachzuahmen, was mein Vater mir vorlebte. Er nahm mich gezielt zu Veranstaltungen mit, die er für mich als passend empfand, ins Fußballstadion oder auf die Pferderennbahn. Ein Theater sah ich beispielsweise niemals von innen. Aus seinem Sohn sollte einmal ein ganzer Kerl werden, das hatte er sich fest vorgenommen.

    Doch alle diese Dinge interessierten mich nicht. Ich spürte, daß es noch andere Welten geben müßte, die man mir vorenthielt. So entsprach ich in keiner Weise seinen Erwartungen. Ich konnte das alles nicht. Erst erntete ich Unverständnis, dann setzte es Prügel, am Ende wurde ich nur noch verachtet. Als ich wieder einmal in den Wagen steigen sollte, um zu einer Veranstaltung mitzukommen, die ich absolut nicht mochte, trat ich in seinen fast neuen Ford Taunus hinten seitlich am Kofferraum eine ordentliche Beule.

    Einmal hatte er nachmittags noch etwas in der Schule zu erledigen, in der er tätig war. Da ich seiner Meinung nach wieder einmal eine Strafe verdient hatte, nahm er mich kurzerhand mit. Das Schulgebäude lag inmitten dichter Bebauung und hatte einen großen Hinterhof, der von hohen Mauern umgeben war. Der einzige Zugang führte durch das Schulgebäude. Mein Vater verbannte mich in diesen Hof, schloß die Hoftür ab und ging in ein Zimmer im oberen Stockwerk, wo er am offenen Fenster arbeiten und mich dabei stets im Blick haben konnte. Ich kam mir wie abgestellt vor. Ich war von allen isoliert, konnte mit niemand spielen und langweilte mich. Warum?

    Der einzige Lichtblick war meine Mutter. Sie war zu schwach, um gegen meinen Vater anzukommen, hatte aber Verständnis und Zuneigung für mich. Wenn Vater zur Arbeit war und nichts davon mitbekam, duldete sie, daß ich in Mädchenkleidung durchs Haus lief. In meinem kindlichen Selbstverständnis fand ich nichts dabei, mich so auch draußen zu zeigen. Die anderen Kinder lachten mich aus und verspotteten mich, was mir sehr wehtat. Mit der Zeit fand mein Vater natürlich heraus, was ich tat und zunehmend beschwerte sich auch meine Schwester über das permanente Verschwinden ihrer Sachen. Zwischen meinen Eltern gab ein Wort das andere. Die Sache schaukelte sich hoch und am Ende verboten sie mir gemeinschaftlich, mich zukünftig als Mädchen anzuziehen. Ich fand es total ungerecht, denn es tat niemand weh und mein Bedürfnis danach war ungebrochen. Mit der Zeit wuchsen meine Haare immer länger, worauf ich sehr stolz war. In meiner Not stahl ich mich als Mädchen alleine in das nur einen Steinwurf von zu Hause entfernte kleine Wäldchen. Ich suchte mir ein großes Gebüsch und konnte wenigstens dort so sein, wie ich mich fühlte. Ich spielte für mich alleine, was mir nichts ausmachte. Irgendwann wurde das von Nachbarn beobachtet, meinen Eltern zugetragen und es gab eine heftige Tracht Prügel. Dieses Leben im ständigen Ausnahmezustand verhinderte, daß sich mein Sozialverhalten auf normale Art entwickeln konnte.

    Dieser Mangel entlud sich einmal so: Zur Vorbereitung auf die Kommunion sollte ich in die Kirche zur Beichte gehen. Das weckte in mir äußerstes Mißtrauen und die Vorahnung, daß wenn ich die Wahrheit über mein Gefühlsleben offenbaren würde, es wieder neuen Ärger und Prügel geben würde. Da man mich inzwischen aber für gestört hielt, wurde keine Rücksicht genommen und mir regelrecht befohlen, gefälligst innerhalb der nächsten Tage am Beichtstuhl vorstellig zu werden. Meine Angst trieb mich, noch bevor es soweit kommen konnte, zu einer Verzweiflungstat. Da ich begriffen hatte, daß es ohne einen Beichtstuhl auch keine Beichte geben würde, schlich ich mich tagsüber in die leere Kirche, nahm eine brennende Kerze und platzierte sie unter dem hölzernen Beichtstuhl. Um es kurz zu machen, ich wurde nicht erwischt, aber die Feuerwehr mußte ausrücken und hatte große Mühe, ein Übergreifen der Flammen auf den Rest des Kirchenschiffs zu verhindern.

    Ungefähr als ich Acht war, gab es heftigen Streit zwischen meinen Eltern. Vermutlich war ich nicht der einzige Grund, aber sicher habe ich dazu beigetragen. Die Auseinandersetzung war nicht zu überhören und ich war aufgeweckt genug um bald zu bemerken, daß meine Mutter danach öfter abends nicht da war und außerhalb übernachtete. Mein Vater war ein Schwein. Ich beobachtete, daß er abends absichtlich den Haustürschlüssel innen im Schloß stecken ließ. Sollte die nachts möglicherweise doch noch reumütig heimkehrende Ehefrau doch draußen auf der Straße stehen bleiben. Ich wünschte mir nichts mehr, als daß meine Mutter zurückkäme, also schlich ich mich hinunter und zog den Schlüssel heimlich wieder ab. Daß dies die nächste Prügelorgie nach sich zog, versteht sich von selbst.

    Meine Mutter unternahm trotz der schwierigen Situation immer noch Versuche, mich und meine Wesensart vor meinem Vater zu beschützen. Vergeblich, am Ende wurde sogar sie geschlagen. Meine Schwester war immer schon auf Papa fixiert gewesen und hielt zu ihm. Als es unerträglich wurde, nahm meine Mutter mich zur Seite:

    Ich muß ausziehen, es geht nicht mehr. Ich habe schon heimlich nach einer neuen Bleibe gesucht und sie auch gefunden. Es sind noch ein paar Dinge zu regeln, deine Oma hilft mir dabei. Du mußt tapfer sein, ich verspreche dir, dich in ein paar Tagen nachzuholen.

    Sie hielt Wort und holte mich nach drei Tagen ab. Sie erklärte mir, daß sie sich von meinem Vater getrennt hatte und daß ich nun bei ihr leben würde. Meine Schwester hatte sich entschieden, bei Papa zu bleiben. Ich sollte sie erst wiedersehen, als ich 19 war. Fortan lebten wir in einem einzeln an einer Landstraße gelegenen Haus in der Gegend von Dormagen. Täglich mußte ich mit dem Fahrrad drei Kilometer zur Schule fahren. Von Dingen wie Miete hatte ich als Kind keine Vorstellung, aber ich bekam schon mit, daß wir auf einmal arm wie die Kirchenmäuse waren. Heute weiß ich, daß mein Vater keinerlei Unterhalt zahlte, nicht einmal für mich, wenn schon nicht für meine Mutter. Das Wort Sozialamt hörte ich hier zum ersten Mal. Hunger wurde manchmal zum Problem, dann gingen wir bei einsetzender Dämmerung los und plünderten Kartoffeln und Gemüse aus den Schrebergärten der näheren Umgebung. Sogar unseren Vermieter verschonten wir nicht. Ich erinnere mich, daß wir einmal erwischt wurden, gerade in dem Moment, als meine Mutter gerade ihre Bluse ausgezogen hatte, um darin Kartoffeln zu transportieren. Zum Glück ließ man uns ziehen.

    Von der wirtschaftlichen Not abgesehen, war es eine Idylle. Dem Familientyrann waren wir beide entronnen. Meine Haare wuchsen und wuchsen und reichten schon fast bis zur Hüfte. Mit meiner Mutter machte ich ab, daß ich zu Hause Mädchen sein durfte. Sie half mir sogar mein Haar zu flechten und ich durfte Schminkversuche unternehmen. Sie legte mir aber nahe, mich so nicht draußen zu zeigen, woran ich mich ihr zuliebe auch hielt. Leider kaufte sie mir niemals einen Rock oder ähnliches, ich denke heute, mangels Masse. Aber immer wenn sie etwas Geld zur Verfügung hatte, durfte ich mir bei Woolworth Haarspangen und andere für ein Mädchen unverzichtbare Kleinigkeiten aussuchen. Diese Tage erwartete ich immer sehnsüchtig.

    Meine Mutter war jung, lebenshungrig und mit ihren Sorgen vollauf beschäftigt. Was sie tat, während ich in der Schule war, weiß ich nicht. Nachdem wir ungefähr ein Jahr in diesem Haus im Nirgendwo gelebt hatten, kam ich wie immer mit dem Fahrrad mittags aus der Schule zurück. Vor unserem Haus stand ein Polizeiauto. Als die beiden darin sitzenden Beamten mich sahen, stieg einer aus und fragte, ob ich Rainer wäre. Zwar hatte ich nichts ausgefressen, aber mit der Polizei wollte ich nichts zu tun haben, also trat ich kräftig in die Pedale und nahm Reißaus. Leider waren die Polizisten gut zu Fuß und die Flucht kurz. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind hier, weil deine Mutter nicht kommen kann. Wir fahren dich jetzt zum Jugendamt, dort wartet jemand auf dich.

    Und ob da jemand auf mich wartete. Eine unsympathische dicke Frau mit Locken und Brille. Die musterte mich abschätzig und fragte mich in strengem Ton: Wie kannst du nur so zottelig und verwahrlost herumlaufen?

    Nachdem man in dem Raum ein Telefon auf den Tisch gestellt und uns alleine gelassen hatte, hielt ich es nicht länger aus:

    Warum kann Mama nicht kommen?

    Deine Mutter sitzt im Gefängnis. Nicht weil sie etwas verbrochen hat, sondern weil ihr die Schulden über den Kopf gewachsen sind und sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Wir rufen jetzt deine Tante an, damit sie sich um dich kümmert.

    Ohne sich weiter mit mir zu beschäftigen, tat sie dies und versäumte nicht, dieser ihren Eindruck von mir als kleinem dreckigen Etwas zu vermitteln. Meine Tante wohnte in der Eifel, es würde eine ganze Weile dauern, bis sie mich abholen käme. Währenddessen wurde ein Telefonat mit meiner Mutter ins Gefängnis organisiert. Ich war froh, mit ihr sprechen zu können, sie machte mir Mut, daß sie mich sofort abholen und sich wieder um mich kümmern würde, wenn sie in drei Monaten wieder entlassen würde. Eine für mich nicht faßbare Ewigkeit, aber ein Licht am Ende eines langen Tunnels.

    Die Tante war die Älteste von fünf Geschwistern und gewohnt, zu kommandieren, auch früher schon meine Mutter, die die Jüngste war. Überdies war sie Klosterschwester. Ihr erster auf mich gerichteter Blick nach dem Eintreten war schon eine Kriegserklärung. Mit dem heutigen Abstand zu den damaligen Geschehnissen denke ich, daß ich mit meinen wunderbar langen Haaren meiner erzkatholischen Tante wie die Verkörperung der 1968er-Bewegung erschienen sein muß, noch dazu gepaart mit meinem für sie unverständlichen Verhalten. Auf dieser völligen Fehleinschätzung wird vermutlich ihr Entschluß beruht haben, das vermeintliche Übel zu bekämpfen und auszurotten.

    In meinem Beisein sprach sie mit der dicken Frau ganz ungeniert schlecht über meine Mutter, die sich herumtreiben würde und ihren Verpflichtungen nicht gewachsen wäre. Man würde mir ansehen, wie verwahrlost ich wäre. Mir brach bei diesen Gemeinheiten das Herz. Ich war so getroffen, daß ich nur am Rande mitbekam, was sich dann abspielte. Es wurde ein zweites Telefonat zwischen meiner Tante und meiner Mutter geführt. Meine Tante erpreßte eiskalt meine Mutter, die ohnmächtig im Gefängnis saß. Ich nehme Rainer nur dann bei uns auf, wenn ich das Sorgerecht für ihn bekomme. Wenn nicht, muß er eben ins Kinderheim.

    Obwohl ich nicht alles verstand, was meine Mutter am anderen Ende erwiderte, bekam ich mit, daß sie sehr unglücklich war und nur notgedrungen mit schlechtem Gewissen schließlich zustimmte. Ich durfte noch ein letztes Mal kurz mit ihr sprechen. Sie flehte mich an, die Zähne zusammenzubeißen und auf ihre Entlassung zu warten.

    Mit der Tante fuhr ich, es dämmerte inzwischen, zu unserem Haus, um meine Sachen zu holen. Hier begann der Alptraum erst so richtig. Woran mein Herz hing, Puppen, Haarspangen, Mädchensachen, alles flog in die Mülltonne und sie packte nur die Kleidung ein, die ich sonst in der Schule anzog, um nicht aufzufallen. Meine Tante fand meine Art zu leben unmöglich und gottlos und hatte sich auf einen Kreuzzug begeben, dies zu ändern. Die anschließende Fahrt im Dunkel in die Eifel war unheimlich und lang. Ich war übermüdet und todunglücklich, aber das schien meine Tante nicht zu kümmern.

    Am nächsten Morgen wurde mir verkündet:

    Wir gehen für dich ordentliche Kleidung kaufen und zum Friseur mußt du auch.

    Es brauchte einen drei Tage dauernden Krieg, der sich von Geschäft zu Geschäft hinzog, Prügel in der Öffentlichkeit eingeschlossen, bis meine Tante meine neue Garderobe beisammenhatte. Ich verweigerte mich in jedem einzelnen Laden, diese überhaupt nicht zu mir passenden Sachen anzuprobieren. Die entscheidende Schlacht wurde am vierten Tag geschlagen, und ich verlor sie. Bildlich an den Haaren wurde ich ins Auto gezerrt und dem Friseur überstellt, der kurzen Prozeß machte und meine geliebten Haare kurz schnitt.

    Grund für Schläge gab es aus Sicht meiner Tante täglich. Ich hielt mich mit dem Gedanken an die Rückkehr meiner Mutter aufrecht, die mich nach drei Monaten wieder abholen würde. Ich verkroch mich in mein Zimmer, las, schrieb meiner Mutter Briefe ins Gefängnis und biß mich durch. Sich irgendwie arrangieren und diese Zeit überleben, das war mein Ziel.

    Auch diese schwere Zeit verging und es kam der glückliche Tag, an dem ich auf dem Bahnsteig stand und meine Mutter aus dem Zug stieg. Nach der ersten Umarmung und meiner Wahrnehmung, daß Mutter blaß aussah, fragte ich sofort:

    Meine Sachen sind gepackt, wann fahren wir?

    Zu dieser Zeit hatte meine Mutter das Sorgerecht für mich noch nicht wieder neu beantragt. Meine Tante hatte sich inzwischen darum gekümmert, die finanziellen Angelegenheiten meiner Mutter zu regeln und mit ihren Gläubigern verhandelt. Sie setzte meiner Mutter knallhart auseinander, daß die erst einmal ihr eigenes Leben wieder auf die Reihe bekommen müßte, sich Arbeit und eine Wohnung suchen sollte, bevor sie sich wieder meiner annehmen könnte. Ich bekam dieses Gespräch mit und ahnte nichts Gutes. Die Schlinge zog sich zu. Als meine Mutter den Argumenten meiner Tante am Ende nachgab, brach für mich eine Welt zusammen. Es mag an dem siegesbewußten Grinsen meiner Tante gelegen haben, daß ich meine Mutter von einem Moment auf den anderen als feige verachtete. Ich hörte dem Gespräch nicht länger zu, zog meine Jacke an und ging hinaus in die Natur. Seit jenem schwarzen Tag habe ich meine Mutter nie wieder körperlich berühren können. Ich liebe sie auf eine Art immer noch, aber ich habe nie wieder wirklich zu ihr gefunden.

    Ich mußte also dort alleine wohnen bleiben und wurde in einer Grundschule in der Umgebung angemeldet. Das war ein Spießrutenlaufen. Mit Jungs konnte ich nichts anfangen. Ich suchte mir Mädchen zum Freund, aber auch denen ging ich oft zu sehr auf die Nerven. Meinen ersten Schulverweis handelte ich mir in der vierten Klasse ein, ohne recht zu begreifen, warum. Ich hatte mich beim Schwimmunterricht geweigert, mich mit den Jungs zusammen umzuziehen oder gar zu duschen. Mein Schamgefühl ließ es nicht zu, mich von Jungs anschauen zu lassen. Das Schlimmste wäre gewesen, wenn sie meinen Penis gesehen hätten, den ich haßte, weil er kein Teil von mir war, nur ein Fremdkörper, der mich verschandelte. Um Ruhe zu schaffen, nicht weil man meine Beweggründe verstand, wurde ich seitdem vom Schwimmunterricht befreit.

    So sehr ich mich redlich bemühte zu erklären wie ich war, niemand verstand meinen Alptraum. Es wurde diskutiert, ob man einen Psychologen hinzuziehen sollte, aber darunter konnte ich mir nichts vorstellen und hatte furchtbare Angst, so daß man von diesem Plan Abstand nahm, weil so nichts dabei herumkommen würde.

    Inzwischen war mein Leidensdruck so groß geworden, daß mir meine innere Stimme sagte, daß ich mir selbst helfen müßte, wenn ich sonst von allen Menschen verlassen wäre. In dieser Gemütslage fiel eines Tages mein Blick auf eine herumliegende große Paketschere, die ich ohne nachzudenken an mich nahm und ins Klo verschwand, mit nicht weniger als der festen Absicht, dieses Ding zwischen meinen Beinen abzuschneiden und für immer loszuwerden. Dann könnte ich endlich so sein wie ich es wollte und wie alle Menschen es durften, nur ich bislang nie. Ich würde mich nicht mehr in meine eigene Welt zurückziehen müssen, weil niemand mich haben wollte.

    Meine Tante fand mich zufällig, gerade noch rechtzeitig als ich die Schere schon angesetzt hatte und tief Luft holte, um mir Mut zu machen. Natürlich zog ich im Moment des Entdecktwerdens die Schere sofort zurück und erwartete, daß meine Tante sie mir sofort wegnehmen und mich danach schlagen würde. Statt dessen verschwand sie wortlos für einen Moment, ich blieb ratlos zurück, unfähig etwas zu tun. Dann kam sie schon wieder zurück, setzte den Fotoapparat an und drückte ab. Mit diesem Beweisfoto, mit heruntergelassener Hose und der Schere noch in der Hand, erpreßte sie mich zukünftig. Wenn ich nicht parieren würde, würde sie es einem Arzt zeigen und der würde mich dann für verrückt erklären. Das Schicksal hat mich oft überleben lassen, aber zu welchem Preis.

    So verging die Zeit dort, bis ich ungefähr zwölf Jahre alt war. Ich hatte keine Freunde und versuchte so weit wie möglich den Schulbesuch zu umgehen. Mehr als einmal brachte mich die Polizei dorthin. Im Keller meines Onkels gab es einen Gitterverschlag, dort lagen auch Mengen an großen leeren Kartons herum. Die Gitterwände nutzend, baute ich mir eine Höhle aus den Kartons, die von außen nicht zu erkennen war, mit einem engen Durchschlupf als Eingang. Das war mein Versteck, mein Freiraum. Hier verkroch ich mich bei schlechtem Wetter, oft auch wenn ich morgens zum Schein zur Schule aufgebrochen und heimlich wieder zurückgekehrt war. Wenn es die Witterung erlaubte, ging ich mutterseelenalleine in den Wald. Angst hatte ich keine, nur den Wunsch, mich von den Menschen fernzuhalten. Mit zunehmendem Alter sonderte ich mich immer weiter ab. Es fiel mir immer schwerer, als Junge zu leben. Einzelne Vorstöße, mich anderen zu erklären, scheiterten, ich galt bald als nicht ganz richtig im Kopf.

    Dann verstand ich gar nichts mehr. Bei den Jungen in meinem Alter begannen die Haare an den Beinen zu wachsen, an ihren Oberlippen zeigte sich der erste Flaum und die ersten kamen in den Stimmbruch. Das hatte ich alles nicht. Bei mir begannen sich statt dessen nie gekannte Gefühlswelten zu öffnen. Ich hielt das geheim, dachte aber so bei mir, daß ich doch recht hatte und daß niemand würde aufhalten können, wie ich war und wie ich mich entwickeln würde. Es war nach langer Zeit ein inniges und gutes Gefühl. Ganz zart entwickelte sich ein kaum sichtbarer Brustansatz bei mir, ich genoß diese Entwicklung meines Körpers sehr. Ihr werdet es noch sehen und dann endlich verstehen, dachte ich mir.

    Dem Sportlehrer fiel meine Veränderung zuerst auf, er mußte wohl daraufhin heimlich meine Mutter angerufen haben. Ich kam nichtsahnend nach Hause. Ohne Vorankündigung und Schamgefühl zog mir meine Tante mein T-Shirt hoch. Ihr Gesicht versteinerte, als ob sie dem Teufel persönlich begegnet wäre. Das deckte sich in gewisser Weise mit meiner Erwartung, meinen Kampf doch am Ende noch zu gewinnen und ich sagte provozierend zu ihr: Siehst du, ich habe doch recht gehabt.

    Jetzt müssen sie mich so nehmen, wie ich bin, triumphierte ich innerlich.

    Abends kam meine Tante in mein Zimmer und sprach schmallippig:

    Morgen brauchst du nicht zur Schule zu gehen, wir gehen mit dir zum Arzt.

    Einfach so, ohne einen Grund zu nennen.

    Dieser Kinderarzt untersuchte meinen ganzen Körper. Er fand beim Abtasten meines Brustansatzes vergrößerte Brustwarzen. Bei der Untersuchung meiner Hoden bemerkte er, daß meine Hodensäcke leer waren. Endlich durfte ich mich wieder anziehen und

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