Im Namen meines Vaters
Von Navis
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Buchvorschau
Im Namen meines Vaters - Navis
Vorwort
Ich sammelte mich auf, wie die Scherben eines kaputten Glases. Jahrelang habe ich für das Flicken gebraucht. Nichts ist so wie einst. Das Glas kann niemals so rein sein wie früher. Die Narben sind nach wie vor zu sehen. Worte habe ich gesucht, Kombinationen, um die richtigen Situationen zusammenzufügen. Vielleicht ist es jetzt etwas ganz anderes geworden, an die Form erinnere ich mich selbst nur noch wage. Lücken durchziehen das ganze Konstrukt. Risse habe ich in Schwerstarbeit zu vermeiden versucht. Ich quälte mich, suchte nach dem richtigen Weg. Hoffte, spuckte, verzweifelte. Letztendlich war es ausgestanden. Vielleicht ist das Ergebnis nicht wie erwartet, vielleicht entspricht es nicht annähernd der Wahrheit, aber immerhin ist es etwas. Es liegt nun vor mir. Ich habe es ausgestanden. Allem Zweifeln zum Trotz.
I. Teil
I. Teil
Vater, Staat
Vater, Staat
Die ganze Zeit habe ich mich dagegen gewehrt, ich wollte nicht so werden wie meine Nachbarn, meine Bekannten, mein Vater. Ich habe versucht etwas Besonderes zu sein, jemand, der seinen eigenen Weg geht. Ich wollte herausragen, etwas Neues darstellen, ich wollte rebellieren, gegen die Obrigkeit, meinen Vater, seine ganze spießige Welt. Niemals wollte ich ohne Ideale leben, nie mein Leben vom Alltag bestimmen lassen, ich wollte entscheiden. Ich wollte ein Jemand sein und nicht ein Niemand im System. Eine Zahl, eine Nummer. Mein Name sollte etwas bedeuten, mit ihm sollte man ein Gesicht verbinden. Sei es auch ein berüchtigtes Gesicht, so doch wenigstens eins. Ich wollte niemals ein gewöhnlicher Fisch im Schwarm sein, der bloß um seine Existenz zu sichern, mit anderen Fischen schwimmt. Ich wollte leben, sei es auch als ein vereinsamter Wal, der letztlich irgendwo strandet. Ich wollte so viel erreichen, viel mehr als mein Vater, als alle anderen Menschen zuvor und ich dachte, ich sei dazu in der Lage. Ich hatte Hoffnungen, nein, ich war zuversichtlich, dass ich anders bin, dass ich eine eigene Existenz habe, ein eigenes Ich, dass ich fern ab von allen, von meinem Vater lebe und denke.
Nichts davon. Irgendwann musste ich erfahren, dass selbst mein langweiliger Vater ähnliche Wünsche hatte, einst als er jung war. Irgendwann musste ich feststellen, dass auch mein spießbürgerlicher Vater einer dieser gescheiterten Revoluzzer ist. Er wollte die Welt verändern, ist mit anderen Studenten auf die Straße gerannt, hat Flaschen auf Polizeiautos geworfen, Zäune aufgerissen. Er war für die freie Liebe und folgte irgendwelchen selbsternannten Gurus. Er war einer der Studenten, die alle Bücher auswendig lernten, um genug Argumente gegen das faschistische Vaterregime aufbringen zu können. Nur damit konnte er damals Eindruck schinden. Dann änderte sich eines Tages alles: Sein Studium holte ihn ein. Jura. Im Laufe seines Studiums lernte er, dass er mit seinen Argumenten weitaus größeren Eindruck auf die Professoren machte als auf die zugekifften Menschenmassen. Und vor allem, und das war wohl für ihn entscheidend, zog der Eindruck bei den Professoren Folgen nach sich. Positive Folgen. Seine Noten wurden immer besser. Das änderte alles. Plötzlich war er einer der Kommilitonen, die glaubten, aus der Materie etwas anderes machen zu können, als sie schon ist. Am Ende ist er zu dem systemtreuen Egoisten geworden, den er zuvor bekämpft hatte. Aus der freien Liebe wurde schließlich Ehe, aus Flaschen Stifte und aus Faltblättern das BGB. Dank der neuen Einstellung hat er sehr schnell einen Aufstieg erlebt, hat sehr schnell Geld verdient. Folglich raubte ihm diese Materie jedweden revolutionären Gedanken aus der Seele. Er wurde Vater von drei Kindern, wobei das dritte ein Unfall war. Ich bin dieser Dritte. Und genau hier fangen wir an, uns zu unterscheiden. Meine Revolte wurde mir in die Wiege gelegt, während seine ein Massenphänomen war. Als Einzelkind trat er auf, ich war der dritte von drei Söhnen. Der, mit dem niemand gerechnet hatte und mit dem niemand rechnen wollte. Das ist nicht unser einziger Unterschied.
Meine Brüder waren bereits Jungs als ich geboren wurde. Sie waren sich beide ziemlich ähnlich. Sie waren nicht nur Brüder, sondern auch beste Freunde. Ich besetzte von Anfang an die Rolle des Außenseiters, ich war der Störenfried, das fünfte Rad am Wagen, die Krücke in Händen eines gesunden Menschen. Das ließen sie mich bei jeder Gelegenheit spüren. Immer haben sie gezeigt, dass sie mit mir waren, nur weil die Eltern es so wollten, die Mutter. Aber das änderte sich, als sie in die Pubertät kamen. Von nun an waren sie mit Mädchen beschäftigt und mit ihren Pickeln. So konnte ich in Ruhe alleine spielen. Das ging so jahrelang. Ich habe auch nie wie sie Freunde, oder später ein Mädchen mit nach Hause genommen. Meine Eltern machten sich dann auch Sorgen, dass die Natur es mit mir anders gemeint hatte. Wobei es nicht schlimm gewesen wäre wenn, meinten sie.
Jungs haben mich generell nicht interessiert. Ich habe mich nie für das Wettbewerbsdenken begeistern können. Ich spielte wie alle anderen Kinder auch gern, (selbst Fußball), doch ich machte es nur so lange, bis es anfing von Schweiß zu triefen. Ich habe diesen Geruch gehasst. Die Mädchen hingegen dufteten zuckersüß. Mit den Mädchen kam ich besser zurecht. Ihre Präsenz war mir angenehmer. Ihr Duft, die langen Haare, der zauberhafte Blick, all das bewunderte ich. Bei dieser nackten Bewunderung blieb es zunächst auch. Als ein soziales Wrack konnte ich weder bei den Jungs, noch bei den Mädchen ankommen. Es blieb mir nur der Rückzug. In meinen vier Wänden, mit meinen Büchern, auf meinem Bett konnte ich meine kindliche Neugier stillen. Meine Fragen waren bei den Erwachsenen nicht willkommen. Einzig die Bücher beantworteten sie unermüdlich. Dafür war ich dankbar. Ich las wie verrückt. Selbst heute noch fühle ich mich bei den Büchern sehr wohl. Sie sind meine Zuflucht. Wenn irgendetwas aus den Fugen gerät, haben sie immer eine Antwort parat: das hat diesen Grund und diese Konsequenzen usw. Meistens behalten sie Recht.
Mein Vater hatte nie Zeit für mich. Er war so sehr mit seinem Beruf beschäftigt – auch wenn er zu Hause war. Immer wenn ich an ihn denke, sehe ich, wie er am Schreibtisch sitzt und irgendwelche Tabellen entwirft. Für mich waren es immer irgendwelche Linien und Kreise, die nichts anderes aussagen, als dass der Mensch alles für Geld tun würde. Und doch hatten wir mehr als genug davon. Meine Klassenkameraden beneideten mich immer, weil ich in einem Haus wohnte und mein eigenes Zimmer hatte. Sie mussten sich meistens mit einer Wohnung in irgendeinem Reihen- oder Hochhaus begnügen. Heute verstehe ich ihre Bewunderung. Sie war nichts weiter als der Wunsch in Frieden zu leben, ohne Geschrei im Treppenhaus und ohne Angst, der Aufzug könnte stecken bleiben.
Mein Vater hat zwei seiner Söhne so erziehen können, dass sie ihren Wohlstand bewahren und vermehren konnten. Er sorgte auch sehr früh dafür, dass sie die besten Erzieher, die besten Lehrer und nur die besten Professoren bekamen. Einer trat schließlich in seine Fußstapfen und wurde Anwalt. Der andere studierte immerhin Wirtschaftswissenschaften und wurde Manager. Für mich hingegen reichte eine einfache Gesamtschule aus. Sie befand sich nicht weit von unserem Haus und ich konnte