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Aqua Tofana
Aqua Tofana
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eBook227 Seiten3 Stunden

Aqua Tofana

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Über dieses E-Book

Der Mord an einer jungen Schauspielerin lässt weder ein Motiv noch einen Täter erkennen. Mit Sicherheit steht nur fest, dass die Mordwaffe sich Aqua Tofana nennt das bevorzugte Gift der Mörderinnen früher Jahrhunderte.Ein seit Jahren Verschollener scheint in diesem Fall eine wichtige Rolle zu spielen und so weiten sich die Ermittlungen bis in die USA aus.Als der Fall bereits kalt zu werden beginnt, ergibt sich unerwartet eine Aufklärung des Verbrechens, die dem leitenden Ermittler buchstäblich auf den Schreibtisch flattert: Eine Anwaltskanzlei in Bologna schickt ihm im Auftrag eines Detektivs Notizen, die den Mord in völlig unvermutetem Licht erscheinen lassen ...
SpracheDeutsch
HerausgeberKarina Verlag
Erscheinungsdatum30. Apr. 2019
ISBN9783966618946
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    Buchvorschau

    Aqua Tofana - Barbara Siwik

    www.karinaverlag.at

    Aqua Tofana

    McOath Castle verdiente diesen Namen eigentlich nicht. Es war nur ein kleiner Herrensitz, den ein großspuriger Vorfahre des derzeitigen Besitzers seine ›Burg‹ genannt hatte. Der Namensgeber war längst zu Staub zerfallen und vergessen, aber Castle hatte sich als Begriff für das Gebäude hartnäckig gehalten.

    Archibald McOath – ein Schotte von reinstem Geblüt – war neben dem Herrensitz auch Besitzer einer international bekannten Distillery in der Nähe von Edinburgh und Bo'ness.

    Die Brennerei befand sich seit ihrer Gründung im Besitz der Familie, denn ein männlicher Vertreter des großen McOath Clans fand sich immer, der das Handwerk von Grund auf erlernte und den Betrieb später übernahm. Mitunter waren sogar zwei gleichzeitig willens, dies zu tun, deshalb galt für die Übernahme der Distillery die Klausel: ›Bestmögliche Qualifikation auf dem Gebiet der Whiskyherstellung‹.

    In Archibald McOath' Fall hatte es in dieser Hinsicht Schwierigkeiten gegeben, denn sein Cousin besaß die gleiche Qualifikation wie er. Aber er war seinen Konkurrenten rechtzeitig und ohne sonderlich schlechtes Gewissen mit einem geschickten Schachzug losgeworden. Viel schwerer wog für ihn mit den Jahren die Tatsache, dass er in seinem Leben zwar Glück im Geschäft, doch wenig Glück in der Liebe vorzuweisen hatte – keine Frau, keine Kinder und also auch keinen Nachfolger. Der einst weitverzweigte McOath Clan würde mit ihm aussterben und die Distillery in fremde Hände übergehen, denn die Männer seiner Vätergeneration waren im Zweiten Weltkrieg zu Wasser, zu Land und in der Luft tapfer den Heldentod gestorben, noch ehe sie die Möglichkeit fanden, Kinder in die Welt zu setzen. Was die weiblichen Familienmitglieder der gleichen Generation betraf, so blieben sie – ebenfalls dem Krieg geschuldet – aus Mangel an Männern fast alle unverheiratet.

    Als in Archibalds Bekanntenkreis schon niemand mehr daran glaubte, dass der Herr auf McOath Castle je heiraten werde, brachte er von einer seiner Reisen aus Italien doch noch eine Frau mit – hübsch und wesentlich jünger als er, dazu Mutter eines halbwüchsigen Sohnes. Über die Herkunft der Lady erfuhr man nichts Genaues und daher kochte die Gerüchteküche. Die Vermutungen reichten von ›verarmte Adlige‹ bis ›Escort-Service‹.

    Die Vermählung fand im engsten Bekanntenkreis des Bräutigams statt, was bedeutete, es waren der Standesbeamte, zwei Trauzeugen mit ihren Frauen und der Pfarrer anwesend. Auch die schöne Felicia schien außer dem Sohn keine Familie zu besitzen.

    Nach der Vermählung lief alles wie eh und je, mit einer Ausnahme: Mrs. McOath brachte das heruntergekommene Castle in der Folge von innen und außen auf Vordermann. Geld spielte ja keine Rolle. Auch schien sie etwas vom Umgang mit den Kräften der Natur zu verstehen, denn im Gewächshaus, das zum Anwesen gehörte und bis zu ihrem Erscheinen ein verdorrtes Dasein geführt hatte, grünte und blühte es bald zur Freude des Hauspersonals, das aus einem Hausmeister, der Wirtschafterin und zwei weiteren weiblichen Angestellten bestand.

    Federico Pozzi, Felicias zwölfjähriger Sohn, war für das konservative Umfeld, in dem sein Ziehvater sich bewegte, etwas gewöhnungsbedürftig: Er tauchte überall dort auf, wo er nach Meinung des Hauspersonals nicht hingehörte und verstand eins mit absoluter Gründlichkeit – die herrschende Etikette zu missachten. Nein, Abkömmling eines ›Conte XY‹ war der Bursche sicher nicht.

    Archibald McOath schien Federicos unbekümmertes Verhalten nicht zu stören und falls doch, so übersah er es seiner Frau zuliebe, die ihm wenigstens dieses Kind in die Ehe mitgebracht hatte, wenn sie schon nicht schwanger wurde, trotz heftiger Bemühungen von seiner Seite.

    Er befand sich aus geschäftlichen Gründen viel auf Reisen. Felicia begleitete ihn häufig, vor allem aber nach Italien. Dafür hatte sie Gründe, von denen ihr Mann nichts ahnte. An geschäftlichen Gesprächen jedenfalls nahm sie nie teil, sondern vertrieb sich die Zeit mit Annehmlichkeiten, die sich eine Lady eigentlich nicht leisten durfte – sie besuchte ihren ehemaligen Geliebten. Archibalds Aktivitäten verlor sie dabei keineswegs aus dem Auge, denn sie hatte den Eindruck, dass er neben seinen Geschäften auf der Suche nach etwas zu sein schien, das nichts mit dem Vertrieb der Marke ›McOath Castle Scotch‹ zu tun hatte, sondern familiärer Natur war. Das beunruhigte sie.

    *

    Wie nicht anders zu erwarten, reihte sich Federico, als die Zeit für ihn gekommen war, in die Schar der Lehrlinge der Distillery seines Ziehvaters ein. Er erwies sich als geschickt und fleißig, entwickelte ein Gespür für Ingredienzien und wurde nach Abschluss der Ausbildung von Jahr zu Jahr mehr zu Archibalds engstem Mitarbeiter. Der Schotte übertrug seinem Ziehsohn schließlich wichtige Gebiete der betrieblichen Organisation. Kurz gesagt: Zwischen ihnen bestand eine ausgesprochen gute Vater-Sohn-Beziehung.

    Die Jahre gingen dahin ... und nun war etwas eingetreten, das der Herr auf McOath Castle bei allen für unabänderlich, doch in Bezug auf seine eigene Person für so gut wie unmöglich gehalten hatte: Er würde sterben.

    »Wie lange habe ich noch?«, fragte er mit ärgerlicher Stimme, als der Hausarzt das Stethoskop einpackte.

    Die Untersuchung hatte im häuslichen Arbeitszimmer stattgefunden und die Frage klang nicht anders, als werde Archibald durch einen seiner Mitarbeiter der Herstellungsverzug der beliebten Scotch-Marke gemeldet.

    »Einen Monat, vielleicht zwei«, erwiderte der Doktor und setzte nicht minder sachlich hinzu: »Treffen Sie Ihre Anweisungen, Sir.«

    »Muss ich nicht. Ist alles geordnet«, knurrte McOath.

    Aber das stimmte nicht. Es gab etwas, das er nur halbherzig verfolgt und Jahr für Jahr vor sich hergeschoben hatte ...

    Draußen versicherte der Doktor Felicia, sie solle sich keine Sorgen machen, das Alter ihres Ehemanns fordere seinen Tribut, manchmal eben schon bei Sechzigjährigen. Doch seine Blicke signalisierten etwas anderes.

    Tatsächlich hatte McOath dem Doktor verboten, Felicia die Wahrheit zu sagen. ›Sie traktiert mich sonst mit ihren Tränken und ich bin keine Laborratte‹, lautete seine Begründung.

    Am Tag darauf ließ Archibald sich wie stets in die Distillery fahren, kam jedoch bereits um die Mittagszeit und in Begleitung seines Rechtsanwalts zurück. Beide schlossen sich im Arbeitszimmer ein.

    Felicia wanderte währenddessen beunruhigt durch die kostspielig eingerichteten Zimmer des Castles. Sie hatte seit Beginn ihrer Ehe damit gerechnet, dass Archibald vor ihr sterben werde. Nicht sein Tod bedrückte sie daher: McOath hatte ihr Jahr um Jahr versprochen, Federico zu adoptieren, doch es war bisher beim Wollen geblieben. Hoffentlich machte er heute sein Versprechen wahr. Dies würde für die Zukunft vieles vereinfachen.

    Als der Rechtsanwalt einige Stunden später das Haus verließ, fing sie ihn auf der Freitreppe ab. »Ging es um die Adoption, Mister Gates?«, fragte sie hoffnungsvoll.

    Das Gesicht des Rechtsanwalts blieb unbewegt, als er sagte, er dürfe ihr leider im Detail keine Auskunft erteilen. »Aber im Prinzip wird sich alles zu Ihrer Zufriedenheit regeln, Madam«, versicherte er und strebte dem bereitstehenden Auto zu, der sicheren Zuflucht vor weiteren unbequemen Fragen.

    Der Doktor irrte sich in seiner Prognose in Bezug auf die Lebensdauer: Archibald hielt sich sogar noch ein halbes Jahr aufrecht, ehe er von seiner geliebten Distillery und McOath Castle für immer Abschied nahm. Dies erledigte er nicht anders als seine Geschäfte – kurz und bündig, ohne überflüssigen Schnaufer.

    Er hinterließ seiner Witwe und dem Ziehsohn testamentarisch einen Teil seines Vermögens, aber auch einen Passus mit Anweisungen darüber, wie mit dem anderen Teil des Erbes zu verfahren sei ...

    Archibald McOath hatte Federico nicht adoptiert!

    Nach Ansicht des Anwalts waren die Gründe dafür durchaus ehrenwerter Natur. Felicia freilich sah das anders. Sie fühlte sich nach dem Tod ihres Mannes als legitime Eigentümerin von McOath Castle und der Distillery und wollte nicht nur mit einem Pflichtteil abgespeist werden, wie umfänglich es auch sein mochte. Dass Federico nach all den Jahren treuer Pflichterfüllung die Brennerei zustand – wer wollte das bestreiten?

    »Nehmen Sie es gelassen, Madam«, sagte der Anwalt begütigend, als sie dies in langer Rede vorbrachte. »Dem Recht muss Genüge getan werden. Die Klausel ist akzeptabel und verliert mit jedem Tag, der vorübergeht, ein wenig mehr von ihrer Beschränkung. De facto gehört Ihnen doch alles, denn es ist unwahrscheinlich, dass sich nach so langer Zeit des Schweigens noch irgendein Miterbe meldet. Sir Archibald und ich haben alles gründlich bedacht und exakt formuliert.«

    Federico sah es ähnlich. »Die Zeit arbeitet für dich, Mama.«

    Ihm war es im Prinzip völlig gleich, ob er als Haupt- oder Miterbe galt, solange ihn niemand aus der Firma und dem Castle vertrieb.

    Felicia verzog sich nach der Testamentseröffnung ins Gewächshaus zu ihren Blumen und Kräutern. Das tat sie immer, wenn etwas sie stark beschäftigte oder ärgerte. Sie goss hier, beschnitt da, prüfte den Blütenstand in den Hochbeeten und in ihrem Labor die neu angesetzten Mixturen.

    Bilder der Kindheit stiegen in ihr auf ... das Dorf in den Abruzzen ... die Großmutter, von der die Leute behaupteten, sie sei eine Hexe gewesen ...

    Felicia hatte mit der alten Frau auf vertrautem Fuß gestanden und so dies und das von der ›nonna‹ gelernt.

    Allmählich beruhigte sich wieder. Federico hatte recht – die Zeit arbeitete für sie. Dennoch schadete es nicht, sich selbst ein wenig umzutun …

    *

    Felicia McOath gewöhnte sich schnell an die Witwenschaft. Für sie änderte sich ja kaum etwas. Die Verbindung mit Archibald hatte von ihrer Seite nicht auf Liebe basiert.

    Begegnet waren sie sich anlässlich eines Empfanges in Bologna, den der Chef der ›Grappa-Brennerei Brottolini‹ für seinen schottischen Gast ausrichtete. Sie hatte damals ihre Chance wahrgenommen, als der angegraute Schotte sich für sie interessierte, und ihrem Liebhaber Adriano Segna, der in der Stadt eine nur mäßig florierende Detektei betrieb, den Laufpass gegeben. Welche Frau blieb schon freiwillig eine schlecht verdienende Laborantin mit halbwüchsigem Sohn, wenn sie eine reiche schottische Lady werden konnte? Eine gewisse Sympathie empfand sie ja für Archibald. Die musste ausreichen, zumal diesem wohl ebenfalls vor allem daran gelegen war, sich eine Familie zuzulegen – möglichst mit eigenen Nachkommen. Dass dies für ihn im Verlauf der Jahre ein unerfüllter Wunsch blieb, dafür sorgte sie, denn sie verfolgte ihren eigenen ehrgeizigen Plan, den sie ›Federicos Zukunft‹ nannte.

    Der junge Pozzi spürte Archibalds Fehlen in der Distillery an allen Ecken und Enden. Die Belegschaft war dem Senior-Chef sehr zugetan gewesen und betrachtete Federico nur als eine Art Übergangslösung. Man begegnete ihm mit Freundlichkeit und Respekt, setzte auch seine Anordnungen gewissenhaft um, jedoch in dem Bewusstsein, dass dies eben kein echter McOath war. Dass die Leute so dachten, ergab sich aus dem im Testament festgehaltenen Grund, der sich – der Himmel mochte wissen, wie es geschehen konnte – in der Distillery herumgesprochen hatte.

    Oder existierten da noch Erinnerungen?

    Felicia bemerkte die abwartende Haltung der Belegschaft und versuchte, sich mit Grundsatzerklärungen einzumischen. Der sonst so friedliche Sohn fuhr ihr indes energisch in die Parade. »Willst du mich vor den Leuten lächerlich machen?«, hielt er der Mutter vor. »Wie sollen sie mich respektieren, wenn sie mich, dank deinem Verhalten, als ›mummie's boy‹ erleben? Kümmere dich um dein Gewächshaus und das Castle. Ich werde mit meinen Schwierigkeiten allein fertig.«

    Felicia kümmerte sich also auf ihre Art und ließ sich nach Edinburgh chauffieren. Einige Wochen darauf führte sie mit ihrem Liebhaber Adriano ein langes Telefongespräch und lud ihn zu einem Besuch nach Schottland ein. Er sagte ohne Zögern zu.

    Felicia hatte nichts anderes erwartet. Sicher rechnete Adriano sich nach Archibalds Tod in Bezug auf ihre Person nun wieder Chancen aus. Man würde sehen …

    *

    Adriano Segna konnte es sich eigentlich nicht leisten, für längere Zeit zu verreisen. Er war als ›Schnüffler‹ zwar viel unterwegs, aber eben freischaffend, also mit schwankendem Einkommen. Schon deshalb reizte es ihn, Felicia wiederzusehen. Er hatte ihr damals nicht wirklich übelgenommen, dass sie ihm zugunsten des reichen Schotten den Laufpass gab. Jeder war sich selbst der Nächste und ihre Bindung ohnehin nur eine lose. Hoffentlich entwickelte sich diesmal etwas Festeres.

    Bei seiner Ankunft am Airport in Edinburgh erwartete ihn ein Wagen mit Chauffeur. Felicia selbst empfing ihn im Castle mit einem exzellenten Dinner.

    Federico interessierte sich nur höflicherweise für den Gast, obgleich er ihn aus seiner Kindheit kannte. Als möglichen Vater hatte er ihn schon damals nicht betrachtet. In gewisser Weise war er jedoch froh über Adrianos Anwesenheit, denn es bedeutete, dass die Mutter für eine Weile von ihrem Lieblingsprojekt abgelenkt wurde, das sie als ›seine Zukunft‹ bezeichnete. Gleich nach dem Dinner verschwand er daher in Archibalds Arbeitszimmer, seinem bevorzugten Aufenthalt.

    Für Felicia und Adriano verging der Abend in der Bibliothek bei Scotch und dem Plaudern über alte Zeiten.

    Zwei Tage lang unterhielt Madam ihren Besuch mit Ausflügen in die Umgebung, einem Trip nach Bo'ness und mit der Besichtigung der Distillery. Endlich, am Abend des zweiten Tages – wiederum beim Scotch – kam sie auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen.

    Adriano war nicht dumm. Schon während des Gesprächs über Sterben und Erben am Abend seiner Ankunft hatte er schnell begriffen, dass Felicia ihn nicht aus neu erwachter Leidenschaft nach Schottland gerufen hatte. Auch zeigte sie keine Neigung, die Nacht mit ihm gemeinsam zu verbringen.

    ›Lascia il gatto fuori dal sacco‹ sagte man in Italien, wenn jemand endlich zur Sache kam. Und an diesem Abend nun ließ Felicia ›die Katze aus dem Sack‹. Eigentlich war es schon ein zu Leopardengröße mutierter pechschwarzer Kater, der sich schnurrend und knurrend wie eine Schlinge um Adrianos Hals legte. Zugleich ließ Felicia durchblicken, dass aus ihnen beiden etwas werden könne, wenn sich die Sachlage mit der Distillery erst einmal geklärt habe.

    »Wir sind beide im besten Alter. Was hättest du in Bologna schon aufzugeben?«, schmeichelte sie.

    Nein! Adriano hatte weder etwas auf- und erst recht nicht viel auszugeben. Hier indes schien ihm das Glück gewissermaßen auf die Zehen zu treten. Nur – im Leben war eben nichts umsonst zu haben!

    »Ich glaube, du stellt dir die Sache zu einfach vor«, warnte er. »Es verbleiben nur wenige Monate, ehe die Frist abgelaufen ist, die im Testament vorgeschrieben wurde. Und was dir vorschwebt, benötigt Zeit.«

    Felicia schob ihm eine Art Tagebuch hin. »Ich habe nach Archibalds Tod seine persönlichen Aufzeichnungen gefunden«, sagte sie lächelnd. »Dadurch klärten sich für mich nicht nur einige Dinge, die mir bislang rätselhaft waren, die Notizen lieferten auch wichtige Anhaltspunkte für mein Vorhaben. Ich beauftragte umgehend eine größere Detektei in Edinburgh mit Nachforschungen. Was man herausfand, dürfte als Grundlage für weitere Aktivitäten ausreichend sein. Du als mein langjähriger Vertrauter bist dafür genau der Richtige.«

    Sie beugte sich zu Adriano hinüber und küsste ihn.

    Von da an gab es aus seiner Sicht keinen Grund mehr, Felicia irgendeinen Wunsch abzuschlagen.

    In dieser Nacht blieb das Bett im Gästezimmer unberührt, denn Adriano träumte in ihren Armen von Sorglosigkeit und Reichtum.

    ***

    Der Zuschauerraum des ›Frankfurter Schauspielhauses‹ war bis auf den letzten Platz gefüllt. Man gab Goethes ›Faust‹.

    Die Kerker-Szene näherte sich dem Höhepunkt und das Spiel damit dem Ende der Tragödie.

    Die Gretchendarstellerin Eliza Burger war eine bemerkenswerte Schauspielerin und die Vorstellung nicht zuletzt deshalb ausverkauft. Gleiches Interesse brachte das Publikum auch dem Faust-Darsteller entgegen, der sie soeben beschwor: »Besinne dich! Nur einen Schritt, so bist du frei!«

    Mephisto drohte ungeduldig, Faust zu verlassen, sofern dieser ihm nicht endlich folge. Dessen Blick aber war auf Gretchen gerichtet, die ihn wie einen Geist anstarrte. In ihren Augen lag blankes Entsetzen, als sie in höchster Not aufschrie:

    »Dein bin ich Vater … rette mich …

    ihr Engel … ihr heiligen Scharen ...

    lagert euch umher ...

    mich zu bewahren.«

    Röchelnd presste sie mit letzter Kraft aus sich heraus:

    »Heinrich … mir graut’s … vor dir!«

    Manchem Zuschauer lief bei diesem Szenario ein Schauer über den Rücken. Im grauen Büßerhemd, das Haar aufgelöst, sank Gretchen aufs Strohlager. Es schien, als wolle Faust zu ihr hineilen, aber Mephisto zerrte ihn mit sich.

    Langsam senkte sich der Vorhang, doch vergeblich wartete das textkundige Publikum auf den letzten, verzweifelten Ruf Gretchens:

    ›Heinrich … Heinrich …‹

    Nach einem Augenblick atemloser Stille brandete Beifall auf. Die Schauspieler erschienen jedoch lange nicht vor dem Vorhang, um den Applaus dankend entgegenzunehmen.

    Ungeduldig skandierte das Publikum schließlich: »Gret-chen, Gret-chen, Gret-chen ...«

    Endlich ließen sich Mephisto und Faust mit Frau Marthe sehen. Sie verbeugten sich mit einstudiertem Lächeln.

    Das Publikum applaudierte, wurde unruhig und skandierte erneut: »Gret-chen, Gret-chen ...«

    »Wir müssen's ihnen sagen«, zischte der Faustdarsteller Gert Becker, während er sich automatisch verbeugte. Sein Kollege Rolf Tender

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