Himmelwärts
Von Elisabeth Klar
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Über dieses E-Book
Wir alle spüren es: Der Raum für die, die anders denken, anders aussehen und anders lieben, wird wieder enger, die Bedrohung größer. Noch gibt es das "Himmelwärts", die glitzernde Bühne der Dragqueens, der Zufluchtsort der Außenseiter und Nachtgestalten. Die gut versteckte Bar ist der einzige Ort, an dem sogar Sylvia sich sicher fühlt. Denn seit Sylvia, das Füchslein, auf der Flucht eine Menschenhaut von der Wäscheleine gerissen hat, lebt sie als Frau unter den Menschen, zusammen mit Jonathan, dem Träumer, dem Weltenretter. Doch als Jonathan ein gefiederter Tumor aus dem Rücken wächst und seine Verwandlung beginnt, wird klar: Nicht alles, was Flügel hat, fliegt, doch für die Utopie des "Himmelwärts" lohnt es sich allemal zu kämpfen.
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Buchvorschau
Himmelwärts - Elisabeth Klar
Danksagung
1
Für das Himmelwärts die weite Bluse, rostrot, die Hose dafür eng. Die schwarzen Armstulpen. Du schaust aus wie ein Strizzi, sagt Adin, du siehst aus wie das Füchslein, das du bist, sagt Ronaldo. Verschlagen, sagt Jonathan, das Verschlagene steht dir gut. Die Nägel immer so lang und scharf, für das Himmelwärts schwarz gefärbt, am Montag muss der Nagellack ab sein. Nicht zu sehr die Blicke auf die Krallen lenken.
Heute sitzen sie an der Bar, Adin, Jonathan und sie, Peter steht dahinter. Ronaldo auf der Bühne mit seiner Glitzerjacke, singt Playback zu einem Lied, das Sylvia nicht kennt. Er wiegt sich, streckt die Arme von sich, hebt den Kopf, den Scheinwerfern entgegen. Zwischen der Bar und Ronaldo die Tanzfläche, jetzt leer, weil die Drag-Show begonnen hat, nachher wird sie sich wieder füllen. An den seitlichen Tischen tratscht und trinkt das Publikum, während Ronaldo auf der Bühne die Hand weit öffnet.
»Bemüht sich nicht mehr genug«, sagt Adin, meint wohl Ronaldos Bartstoppeln, und dass er heute kein Mieder unter dem Abendkleid trägt. Man sieht seinen Bauch recht gut. Peter zapft noch ein Bier, nickt, Sylvia ist sich nicht sicher, ob er derselben Meinung ist oder ob er nur nickt, um zu nicken. Ob er überhaupt zuhört. Peter versinkt oft in eigene Gedanken, schüttelt dann Cocktails, als würde er dabei schlafen, manchmal die falschen. Sie weiß auch nicht, warum Ronaldo sich mehr bemühen soll. Hauptsache, es sind große Frauen überall um sie, mit Highheels sind sie noch größer.
Und Jonathan, mit seinen kleinen, wunderschönen Ohren. Er braucht am Anfang immer ein bisschen Zeit. Sitzt auf seinem Barhocker, beobachtet den Raum. Beobachtet Adin. Will etwas von Adin. Sie sieht das an seiner Hand, die auf halbem Weg zu Adin auf der Bar liegt, wie zu ihm ausgestreckt. Das Lied endet, die Drag-Show endet, Adin grinst, drückt sich dann weg durch die Männer und großen Frauen, die wieder auf die Tanzfläche drängen, oder an die Bar. Vielleicht geht er in die Garderobe, um sich die Flügel anzuschnallen? Er sieht gut aus mit ihnen.
»Tanzen, tanzen!«, ruft Sylvia und springt auf und ab.
Jonathan sieht sie an und lächelt.
»Man könnte meinen, du wärst unter der Woche nicht genug auf den Beinen.«
»Hey du«, sagt Ronaldo, der sich zu ihnen durchgekämpft hat, umarmt Jonathan. Er trägt heute diese Wimpern, die man aufkleben kann. Sylvia liebt die. So lang, so lang. Ronaldo will etwas von Jonathan. Sie sieht das daran, wie er Jonathan umarmt. Hört es an seiner Stimme. Wärmer. »Du solltest mehr essen, Kleiner.«
Ronaldo umarmt sie auch und sie drückt sich an seine Brust. Befühlt seine Hüften. Er wird weicher dort, fülliger, und wenn sie dürfte, würde sie seine Fleischfalten zwischen die Finger nehmen, sie fasst die so gerne an. Aber sie darf nicht, weil er sich dafür schämt.
»Kleiner, wenn du mich nur lassen würdest, dich würde ich auch gern mal schminken.«
Jonathan lacht: »Nicht jeder hat das Zeug zum Drag.«
»Aber kaum jemand wird nicht noch hübscher davon«, wirft Ronaldo zurück.
Sylvia findet, er hat recht. Am liebsten mag sie Antonio, der nie auftritt, aber trotzdem von allen zu den Queens gezählt wird. Er ist glatzig, trägt immer Jeans und T-Shirt und schminkt sich nur die Augen, dafür so richtig. Ein Streifen Farbe geht quer über sein Gesicht, wie Fellzeichnung oder Federkleid, bunt glitzernd und gefährlich.
Sylvia will mit Antonio raufen, es muss gar nicht mehr sein als das. Aber raufen. Sylvia will Jonathan ein Ohr abbeißen. Oder mehr.
Schon als sie ihn das erste Mal getroffen hat. Wie Beute hat er gerochen. Sie ist ihm gefolgt, ist um ihn herumgeschlichen, auf der Straße vor dem Himmelwärts, während er mit Ronaldo geraucht und über die Arbeit gesprochen hat. Jonathan hat sich zu ihr umgedreht.
Hat sie angesehen, schief. Unsicher, was sie von ihm will. Hat ihr dann eine Zigarette angeboten.
»Eine Zigarette? Was soll ich dafür tun?«
Ein Tabakgeschenk. Du willst mir einen Handel anbieten, dachte Sylvia damals.
»Wie meinst du, was sollst du dafür tun? Gar nichts sollst du dafür tun. Warum tappst du so um mich rum?«
»Dann behalte sie.«
Auch wenn Jonathan die alten Regeln offensichtlich nicht kannte – eine vage Verpflichtung einzugehen war nie gut.
»Und weil du so schön tanzen kannst.«
»Wann hast du mich überhaupt tanzen gesehen?«
Hatte sie auch gar nicht, aber er scheuchte sie nachher nicht mehr fort, und Ronaldo war von Anfang an gut auf sie zu sprechen. Er nannte sie seinen kleinen Mephistopheles, bis sie einmal in der Garderobe eines von Adins Kostümen anprobiert hat.
Als sie das enge, blau glitzernde Top über den Kopf zog, haben sich die Armstulpen eingerollt und sind hochgerutscht. Da hat er dann recht schnell verstanden, was sie in Wahrheit ist.
»Mach dir keine Sorgen«, hat Ronaldo gesagt, »hier fällst du so und so nicht auf«, ihr dann aber am Smartphone gezeigt, welche Armstulpen sie kaufen könnte, die enger sind, die offene Stelle besser verstecken. Was sie machen kann, damit die besser haften.
»Bei sowas kannst du mich immer fragen«, hat er gemeint. »Beim Drag habe ich oft das Problem, dass irgendwas verrutscht.«
Jetzt klopft Jonathan mit dem Fuß auf den Boden. Er braucht am Anfang immer ein bisschen Zeit. Genau die Dauer eines Cocktails, dann geht es.
So viele bunte Vögel hier, und sie mitten im Hühnerstall. Peter bemerkt ihren Blick und schiebt ihr Erdnüsse hin.
Sie sagt: »Gib mir gleich einen Schinken-Käse-Toast.«
Damit sie keinem ein Ohr abbeißt, kann ja passieren.
Später springt sie mit Jonathan. Ein bisschen spielen. Sich bewegen. An Tagen wie heute wird sie unruhig, wenn sie zu lange sitzen muss. Jonathan blickt dorthin, wo Adin tanzt, mit seinen blauen Flügeln, die Schlaufen, mit denen Adin sie auf den Schultern trägt, glänzen vor Strasssteinen.
2
Jonathan geht nicht ans Telefon, er öffnet auch nicht, als sie klingelt, aber sie will spazieren gehen, es juckt sie, es treibt sie, laufen, laufen, dieser Enge entkommen, einfach nur laufen, aber er macht nicht auf. Also schließt sie auf, mit dem Ersatzschlüssel der WG, den sie ihm einmal gestohlen hat, vermutlich weiß er es, er hat nie etwas dazu gesagt. Er sagt selten etwas, wenn sie ihm etwas stiehlt, manchmal holt er es sich dann zurück. Den Ersatzschlüssel der WG hat er ihr gelassen. Vielleicht, weil er nicht einmal ihm gehört, sondern allen, oder keinem. Sie läuft das Stiegenhaus rauf, schließt auch die Wohnung auf. Die anderen sind noch nicht da oder nicht mehr.
»Jonathan, ich will gehen!«
Er liegt auf dem Sofa im Wohnzimmer und schläft, noch vollständig angezogen, auf dem Bauch und einen Arm unter dem Kopf, der andere liegt schlaff neben ihm.
»Jonathan!«
Sie legt sich auf ihn, er zuckt kurz zusammen, entspannt sich dann. »Mhm«, sagt er.
Sein Rücken so warm. Dieser neue Geruch. Sie beugt sich zu ihm herab, legt ihr Kinn in seinen Nacken, zieht die Luft durch die Nase ein. Ja, sie ist sich sicher – in letzter Zeit riecht Jonathan anders, und zwar immer mal wieder ein wenig nach Huhn.
Als wäre sie nicht so schon hungrig genug nach ihm.
Und als sie ihn streichelt, ist der Rücken heiß dort bei den Schulterblättern, uneben. Sie fährt darüber, es ist, als würde etwas brodeln unter der Haut, sich bewegen, und er zuckt, als sie drückt.
»Komm schon, wach auf!«
Sie zieht sein T-Shirt hinunter, leckt über seinen Hals, er zuckt wieder, versucht, seinen Arm zu befreien, dreht sich dann auf den Rücken. Sie verlagert ihr Gewicht, stützt sich auf dem Sofa ab, um nicht herunterzurutschen, während er sich unter ihr dreht, lässt sich dann wieder auf ihn fallen. »Uff«, macht er. »Was machst du hier?«
Seine Augen sind klein und verschwollen, er sieht sie kaum an.
»Dich abholen – wir gehen spazieren.«
»Du gehst spazieren. Ich bin müde.«
»Unsinn«, sagt sie. »Es ist noch nicht einmal dunkel. Menschen sind tagaktiv.«
Mit einer Hand stützt sie sich auf seiner Schulter ab, mit der anderen kratzt sie über seine Arme. Sie merkt sich gut, welche Berührungen er mag, welche erlaubt sind. Um dann dazwischen wieder etwas Unerlaubtes zu machen – sich hinunterbeugen, seine Nase zwischen ihre Zähne nehmen.
»Lass das«, sagt er nasal.
Sie lässt es nicht. Er versucht, sie wegzuschieben, dabei richtet er sich auf, sie weicht zurück. Er sitzt dann. Der Kopf noch schwer.
»Bleib so.«
Sie holt seine Schuhe, kniet sich vor ihn hin, nimmt seine Füße, stopft sie in die Schuhe, schnürt die zu, steht wieder auf, nimmt seine Hand. Er lässt sich dann doch ziehen.
Sie zieht ihn zur Tür und aus der Tür hinaus, zieht ihn die Treppen hinunter. Unten blinzelt er in die Abendsonne und geht ohne Ziehen neben ihr, wenn auch langsamer als sonst.
»Wieso bist du so müde?«, fragt sie.
Er zuckt mit den Schultern.
»Die Arbeit. Warum willst du so dringend spazieren gehen?«
Sylvia denkt an das, was die Kollegen sagen, an die Gerüchte. Was die Kürzungen, die jetzt kommen, für sie bedeuten könnten. Sie mag ihren Job. Passanten beobachten, leichte Beute finden, abfangen, überreden. Irgendein Trick geht immer. Oder von Tür zu Tür. Manche Menschen sind verwundbar, wenn du sie in ihrem Bau antriffst, noch im Bademantel oder die Hose nicht ganz zugeknöpft. Sie hängen ihre Stacheln an der Garderobe auf, und es ist ihnen unangenehm, sie sich direkt vor dir wieder anzulegen. Manche wehren sich gerade dann am heftigsten. Am besten an jenen Türen läuten, an denen bereits die drei Könige ihr Zeichen mit Kreide gemacht haben, hat Sylvia schnell gelernt.
Den Prater, den vermisst sie manchmal. Das Anlocken mit lauten Rufen, das Abkassieren, das Abreißen der Karten. Ob man sie noch nehmen würde? Sie sollte mal wieder fragen. Sie ist bei den Kollegen beliebt gewesen, gerade wenn sie die Zähne gezeigt hat beim Grinsen. Bei den Geisterbahnen haben sie sie gern eingesetzt. Die hätten vermutlich sogar gemocht, was sich unter ihren Armstulpen versteckt, so wie Jonathan und Ronaldo es mögen.
Sie zuckt mit den Schultern.
»Die Arbeit«, sagt sie.
Laufen, laufen. Es treibt sie an solchen Tagen.
Sie gehen die Berggasse hinunter, über die Kreuzung in die Allee, dann an der Fakultät für Mathematik vorbei. Beim Donaukanal die Steintreppe hinab. Dort wohnen sie alle, die Mäuse, Eichhörnchen, Biber, Marder. Dem Jagdtrieb nicht folgen.
»Es wird einfach immer anstrengender im Heim«, sagt er. »Jedes Mal, wenn mein Dienst zu Ende ist, will ich nur noch schlafen. Jetzt haben sie wieder welche weggeholt, in das größere Zentrum. Wir, also ich mein, die anderen, kämpfen grad noch für ein paar von ihnen, du weißt schon, für die, die große medizinische Probleme haben, aber selbst bei denen … den einen Typ mit der Psychose haben sie, glaub ich, schon abgeschoben … Ich weiß nicht,