Tattoogeschichten
Von Edo Popović und Igor Hofbauer
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Buchvorschau
Tattoogeschichten - Edo Popović
Er war nicht konzentriert genug gewesen, das war es. Er war einfach nicht konzentriert genug gewesen. Er hatte sein Gehirn einfach nicht angeschaltet. Nach dem Motto: Atme tief durch, zähl bis zehn, und denk über die Situation nach. Nein. Die Hand war ihm ausgerutscht, scheiß Hand, und deshalb sitzt er jetzt im Flur der Polizeiwache in der Bauerova. Statt zu Hause zu sein oder sonst wo, sitzt er hier bei den Bullen mit einem blutigen Verband um den Kopf und wartet darauf, dass er an die Reihe kommt. Er macht sich Sorgen, natürlich macht er sich Sorgen, es gibt nur selten Situationen, in denen einem der Gedanke an die Bullen gefällt. Mila ist schon im Büro und macht ihre Aussage. Die Damen haben den Vortritt, nicht wahr. Was sie nur diesem Bullen da drin erzählt? Sagt sie zu ihm: Ich habe diesen Schrei gehört und bin hingerannt und hab den Pudel auf dem Boden liegen sehen, und dann ist das ganze Durcheinander entstanden … Das reicht nicht, denkt Rudi, und blickt dabei auf die Tür des Büros. Der Bulle kann auf verschiedene Gedanken kommen und daraus seine eigenen Schlüsse ziehen, wenn er nur diesen Teil hört. Eine Anzeige fehlt ihm noch. Er wird seinen Job verlieren, ganz sicher wird er ihn verlieren, sie haben ihm doch gesagt, dass das damals die letzte Scheiße war, sie werden ihm nichts mehr durchgehen lassen. Ziemlich beschissen. Um sich ein richtiges Bild machen zu können, muss man die Dinge als Ganzes sehen. In der größtmöglichen Totale. Die Dinge auseinanderdividieren, die Ursachen auf die eine, die Folgen auf die andere Seite. Genau so. Es ist nicht fair, mit dem Pudel auf dem Boden zu beginnen. Einerseits ist das nur ein Detail, andererseits ist dieses kleine Detail auch die Folge, deren Ursache man nicht sieht. Außerdem hat sie ihn nach dem Treffen im Club auf der Straße eingeholt, und sie bestand darauf, dass sie einen trinken gehen.
Lass uns einen kippen, sagte sie.
Das Wort kippen klingelte in seinen Ohren.
Wie meinst du das – kippen? Was kippen?
Na ja, einen Saft.
Er sagte ihr, dass man nur etwas Konkretes kippen könne.
Aber sie sagte, dass Veteranen einen Saft, einen Kaffee oder auch einen Tee kippen könnten. Das hätten sie sich doch wohl verdient.
Zuerst gingen sie in ein Café in der Martićeva. Er trank Mineralwasser und Mila Apfelsaft. Er trank das Mineralwasser wie einen Kurzen, mit einem schnellen Wurf des Kopfes in den Nacken. Auch sie hatte ihre Alkoholikerbewegungen beibehalten: Während sie ihren Apfelsaft trank, bewegte sich der Ellenbogen der Hand, in der sie das Glas hielt, genau auf Stirnhöhe. Sie hielten sich dort nicht lange auf. Wenn der Mensch nicht trinkt, werden Kneipen zu ziemlich langweiligen Orten. Wie Kirchen. Es gibt keine action, nur Quatschen, nur dummes Quatschen. Sie sprachen über irgendwas, er weiß nicht mehr, worüber. Wahrscheinlich das übliche Standardgesülze. Die schlecht angepasste Wirklichkeit und solche Sachen. Nicht einen Moment lang hatte er sich gefragt, was sie von ihm will. Warum hatte sie ihn eingeladen? Das ist ihm in letzter Zeit nicht oft passiert. Auch früher nicht. Dass eine Frau Interesse an ihm zeigt. Aber das war ihm nicht weiter aufgefallen. Als wäre es das Normalste von der Welt. Mann, war er unvorsichtig gewesen.
Und dann lud sie ihn zu sich nach Hause ein.
Nicht einmal das kam ihm verdächtig vor. Überhaupt nicht. Wenn solch ein scharfer Zahn einen Typen wie ihn nach Hause einlädt, nimmt das meist ein schlimmes Ende. Er hätte es wissen müssen, er hat doch genug Erfahrungen mit solchen Dingen, bittere Erfahrungen. Aber nein, sein Verstand ließ ihn im Stich. Und auch sein Instinkt und alle Warnmechanismen. Er war wie ein Kind auf sie reingefallen, wie ein beschissener Grünschnabel hatte er gehofft, dass endlich auch in seiner Sphäre Wunder geschehen und dass es normal sei …
Und Mila ging sofort zur Sache. In medias res, oh Mann. Da war keine Zeit für große Worte, sofort action. Da war dieses Riesenbett, und es lag eine merkwürdige Atmosphäre in der Luft, eine elektrische Ladung entlud sich zwischen ihren Körpern …
Nur dieser Pudel.
Rudi hat nie behauptet, dass ihm Hunde sympathisch sind. Warum sollten sie ihm auch besonders sympathisch sein? Er ignorierte sie, so gut er konnte, er beachtete sie einfach nicht.
Aber dieser Pudel war zu präsent.
Er saß da mit heraushängender Zunge, mitten im Zimmer, hechelte, winselte und zuckte vorwärts, als wolle er jeden Moment durchstarten und in ihr Bett springen.
Rudi konnte sich nicht konzentrieren.
In letzter Zeit war es um sein Selbstbewusstsein schlecht bestellt gewesen. Er hatte aufgehört, die Tabletten zu nehmen, die ihn runterzogen und sedierten, aber er fühlte sich auch weiterhin leer. Beinahe tot – gerade in dieser Hinsicht. Technisch gesehen war er nicht impotent, das sicher nicht …
Blockade – das war es. Eine beschissene mentale Blockade. Einige Gläschen Schnaps würden diese Blockade sofort aufbrechen, sie würden sie ganz sicher aufbrechen, aber …
Und dann noch dieser Hund.
Er hatte sie doch gebeten, den Hund aus dem Zimmer zu bringen und die Tür abzuschließen, aber sie hatte nicht darauf gehört. Sie war ganz in ihrem Film, ganz darin gefangen, und sie versuchte ihn auch hineinzuziehen. Sie bemühte sich, Mann, sie hat sich wirklich bemüht. Sie hatte Verständnis für seinen Zustand, und dass das wohl mit dem Trinken, der Therapie und der Abstinenz zu tun hatte, aber er war wie gelähmt. Er spürte zwar ihre Finger und ihre Zunge unten an seinem Kleinen, er spürte auch ihren Atem, und ihr weiches Haar kitzelte ihn am Bauch, aber diese Informationen kamen nicht an der richtigen Stelle in seinem Hirn an. Sie bogen einfach irgendwo ab, in einen anderen Teil des Hirns.
Danach war sie weder wütend noch enttäuscht, keine Spur.
Nächstes Mal wird es schon gehen, sagte sie und ging ins Badezimmer um zu duschen.
Und er lag dort und starrte an die Decke, und er muss wohl für ein paar Augenblicke eingenickt sein, denn er erinnert sich nicht mehr daran, dass er sie hörte, als sie zurückkam. Aber er spürte wieder die Zunge und diesen warmen Atem auf seinem Kleinen, und verdammt noch mal, jetzt erst kam die Information am richtigen Ort an. Der Kleine begann sich zu regen. Und Rudi griff mit der Hand nach Mila, um sie auf sich zu ziehen, und er tastete sich durch dichte Locken – wo kommen die plötzlich her? – und dann hörte er genau in diesem Moment Milas Stimme aus dem anderen Zimmer und er heulte auf und schoss hoch und der Pudel jaulte und rollte auf den Boden und der Aschenbecher lag schon in Rudis Hand und im nächsten Moment traf er den Kopf des Pudels – und der brach lautlos zusammen. Mila aber stürzte mit einem Handtuch um ihre Brust ins Zimmer und begriff nicht sofort, sie stand da und starrte den Hund an, und dann kniete sie sich hin und versuchte ihn hochzunehmen, aber der Hund war schlaff und tot, definitiv tot, und dann sah sie den Aschenbecher und nahm ihn in die Hand und