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Tomoji: Thriller
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eBook286 Seiten4 Stunden

Tomoji: Thriller

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Über dieses E-Book

Er lässt seine Opfer aussehen wie Emojis. Es sind Frauen. Nur Frauen.
Als Eliah Nommsen den ersten Tatort betritt, beginnt die Jagd nach dem Emoji-Mörder und damit ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn eines ist ab dem dritten Mord nicht mehr abzustreiten: Irgendjemand von der Polizei unterstützt den Killer.
Tomoji spielt in einer Welt aus Frauenhass und fehlgeleiteten Gefühlen. Eine Welt, die wirklich existiert.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum18. Jan. 2021
ISBN9783753150796
Tomoji: Thriller

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    Buchvorschau

    Tomoji - Lukas Kellner

    Lukas Kellner

    Tomoji

    Thriller

    Waiter Serves Productions

    www.ws-productions.de

    Originalausgabe Januar 2021

    © Lukas Kellner, 2021

    Covergestaltung: Lukas & Daniela Kellner

    Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Autors wiedergegeben werden.

    Verlag: Waiter Serves Productions - Lukas Kellner

    Stossberg 4, 87490 Haldenwang

    www.ws-productions.de, info@ws-productions.de

    Lektorat: Vanessa Schediwy

    Korrektorat: Martyna Jończyk

    Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    Für Männer, die hassen und wissen müssen wieso.

    Für Frauen, die sich fragen warum.

    Dieses Buch beginnt mit…

    Kapitel 2 - Lächle!

    Gemeinsam wäre das alles viel einfacher gewesen. Nicht allein, sondern im Team. Und eigentlich hätte er sich durchaus als sozialen Menschen beschrieben. Zumindest wenn die anderen ihm die Chance dazu gaben. Dann konnte er sich stundenlang mit ihnen unterhalten, lachen, trinken, albern sein. Ja, er würde sich stets als witzige Person bezeichnen, jemand mit dem man doch gerne ab und an die Zeit totschlägt. Er war vielleicht nicht der Interessanteste oder Intelligenteste oder Schönste, dennoch unterhaltsamer und vielversprechender als das schnöde Samstagabend-Programm in der Glotze. Trotzdem, ab einem gewissen Punkt gingen sie ihm eigentlich immer auf die Nerven, raubten ihm fast den Verstand und ließen ihn tobend vor Wut zurück. Weil sie so dumm waren, weil sie sich stark, erhaben und groß fühlten, obwohl es ihnen unmöglich war über den Dingen zu stehen, das zu sehen und zu verstehen, was er schon lange erkannt hatte. Jetzt gerade konnte er die Beherrschung bewahren, Atmung und Puls unter Kontrolle behalten, doch das gelang ihm nicht immer. Er lehnte sich in dem schwarzen Ledersessel zurück und ließ seinen Blick schweifen.

    Es war Nacht. Das Mondlicht schien von draußen durch die heruntergezogenen Jalousien und warf dabei lange, silbrige Linien über den ganzen Raum. Links von ihm stand ein gläserner Schreibtisch. Er war blank poliert. Nicht das kleinste Staubkrümelchen zierte seine glatte Oberfläche. Da lagen nur verschiedene Akten, zwei eingerahmte Bilder, ein Füllfederhalter und ein Notebook. Fast hätte man denken können, dass hier ein mächtiger Geschäftsführer oder die angesehene Führungskraft eines Großkonzerns arbeitete.

    Das Einzige, was an diesem Bild störte, war der leere Raum dahinter. Da war keine Schrankwand mit erlesenen Whiskys und kubanischen Zigarren, sondern mehrere, fast mannshohe Exemplare weithin bekannter Motivationswandbilder. Ein Bild von Oprah Winfrey, die dröhnte: „The biggest Adventure you can take is to live the life of your Dreams. , von Michelle Obama: „There is no Limit to what we as women can acomplish. Schließlich Beyoncé, die da schnatterte: „The most alluring thing a women can have is confidence." Er vergrub seine Finger im kalten Leder des Sessels. Er wünschte sich eine andere Welt, eine andere Realität, in der er das alles nicht tun musste, in der sie ihn nicht dazu zwangen, aber es gab sie nicht. Sie waren selbst Schuld, wenn sie ihm keine Ruhe ließen, keine Sekunde, niemals.

    Wenn er sein Handy anmachte, waren sie da, die ganze Zeit, permanent und unausweichlich. Sie waren alle so laut und selbstbewusst und heuchlerisch – und anstrengend. Er erinnerte sich an die Zeit, als er noch Schuldgefühle deswegen empfand, sich schämte, weil er froh war, dass mit dem Tod der Mutter sein Vater endlich aufblühen konnte, frei von all dem Druck, all den Vorwürfen. Ja, sogar von der körperlichen Gewalt. Es hatte lange gedauert und einige schmerzhafte Erfahrungen gebraucht, bis er es endlich verstanden und damit Frieden geschlossen hatte. Es war nicht einfach, sein Wissen jemand anderem zu erklären. Einem Mann hätte er es wohl mit einem Vergleich näher gebracht. Er strich sich über das Kinn und überlegte, welche Worte er wählen würde.

    Stell dir vor, du bist mit einer Frau zusammen, ihr seid ein Paar. Ein richtiges Gerät! Aber sie lässt dich einfach nicht ran, niemals, und du gibst dir alle Mühe, du lädst sie zum Essen ein, du schreibst ihr liebevolle Sachen, denkst an sie, hörst ihr zu, du machst den ganzen Bullshit. Aber sie will einfach nicht. Und die ganze Welt sagt, dass es nur ihren Willen gibt, dass du nichts zählst, gar nichts. So geht das sehr lange. Tage, Monate, Jahre. Und irgendwann... Nimmst du dir einfach, was dir zusteht, so wie es dir gefällt. Zum ersten Mal!

    Er grinste während er auf den nackten Körper vor sich auf der schwarzen Couch blickte. „Sag mir... hättest du da Schuldgefühle?", flüsterte er ins Dunkel hinein, wohlwissend, dass sie ihn gar nicht hören konnte. Er musste über seine eigenen Gedanken lachen. Ein richtiges Gerät, so würde er niemals reden oder denken. Das war nur die Art und Weise, wie er mit anderen Männern kommunizierte. Für ihn war es, wie eine fremde Sprache zu erlernen: Man konnte sie zwar sprechen, aber es wird nie die eigene sein, nie die Muttersprache. Es war einfacher von ihnen akzeptiert zu werden, wenn man so redete wie sie, konnte man das nicht, war man zu anders. Und ,anders’ war nunmal schlecht.

    Er hätte seine Probleme damit gehabt, es einer Frau zu erklären. Er hatte kein Problem, mit ihnen zu kommunizieren, im Gegenteil, meist empfand er es als weniger anstrengend als mit Vertretern seines eigenen Geschlechts, aber er verstand sie nicht; ihre Motive, ihr Handeln, ihr Wesen. Vor allem der dominierende Mythos, der sich um sie herum gebildet hatte, war ihm ein unlösbares Rätsel und gleichermaßen Quelle für die überschwemmende Wut in ihm, die sein ganzes Leben bestimmte und die er nie offen zeigen durfte.

    Nein, ihm fiel kein passender Vergleich ein, wie er es hätte diesen Dingern erklären sollen. Aber das musste er ja auch nicht. Die Zeit der Rechtfertigung war für ihn schon lange passé! Er hatte sich daran gewöhnt, dass alles und jeder um ihn herum zu schwach, zu beeinflusst von Trieb und Lust war, um ihn zu verstehen.

    „Na dann…", seufzte er und erhob sich aus dem Sessel.

    „Lass es uns tun!"

    Er musste dafür sorgen, dass sie wach war. Es war viel besser, wenn sie wach waren! Er schlug ihr auf die Wange. Keine Reaktion. Er schlug erneut zu und erneut und erneut. Das Klatschen hallte durch den Raum. Sie riss die Augen auf, begann jämmerlich zu schreien, zu weinen, zu flehen. Sie wollte weg, ganz woanders sein, entkommen, doch sie hatte keine Chance. Es waren die letzten Momente in ihrem Leben. Ein Leben, das er jetzt vor sich sah.

    Ja, reiß deine Augen auf‘, schoss es ihm durch den Kopf, während der Rausch sein Inneres vernebelte und seine Finger in ihren Schädel eindrangen. Man konnte im Dunkeln keinen Tropfen Blut sehen. Nur die silbernen Streifen des Mondlichts. Und seine freudestrahlenden Augen.

    Kapitel 3 - Die lachende Frau

    Eliah zog an der Zigarette. Er war komplett übermüdet, nachdem er sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen hatte und sich am Morgen nur in aller Hast die gewohnte Jeans, das schwarze Hemd und die uralte, braune Lederjacke überwerfen konnte. Zeit, sich das dicke schwarze Haar herzurichten, war keine geblieben, was ihn aber auch nicht weiter störte. Wenigstens musste er sich dann die grauen Strähnen nicht näher ansehen, die in letzter Zeit wie Unkraut auf seinem Kopf gediehen. Sogar seine Augen waren rot unterlaufen, obwohl sie sonst immer im bläulichen Grün hervorstachen und damit im harten Kontrast zu seiner Haut standen, die durch Veranlagung und nicht zuletzt durch die Jahre des Rauchens ein gräuliches Braun angenommen hatte. Dabei besaß Eliah das Talent, nie nach Zigaretten oder Rauch zu riechen, ganz egal wie viele Glimmstängel er am Tag konsumierte. Ein Polizist ihrer Dienststelle, der mittlerweile schon gar nicht mehr dort arbeitete, hatte deswegen sehr neidisch einmal behauptet, dass Eliah entweder ein Hexer war oder alle seine Zigaretten vorsorglich in Rasierwasser einlegte oder beides. 

    Eigentlich war es sein freier Tag gewesen, doch schon um neun hatte bei ihm das Telefon geklingelt. Zu dem Zeitpunkt befand sich bereits eine grobe Beschreibung der Vorkommnisse in seinem Email-Postfach. Nach allem, was er gelesen hatte, war es wohl einer der brutalsten Morde der letzten fünf Jahre, wenn man von dem Blutbad des ‚Augenreissers‘ einmal absah. Trotzdem war das aus seiner Sicht kein Grund, ihn derart anzufauchen, und das noch vor seinem ersten Kaffee!

    „Guter Gott, Sie sind der Leiter der Abteilung für Kapitalverbrechen und liegen um diese Zeit noch im Bett?", kreischte ihm die Kripo-Chefin entgegen, Frau Dr. Irene Palfrader

    „Es ist mein freier Ta..."

    „Sie müssen immer bereit sein! Ich habe ihnen den ersten Bericht der Beamten vor Ort bereits zukommen lassen. Sie sind so schnell es geht am Tatort. Ich kümmere mich darum, dass sie etwas Abstand zu den Zecken bekommen."

    Mit einem leisen Klicken legte sie auf. Telefonate mit ihr waren selten angenehm. Ihre Stimme war schon immer energisch und bestimmend, das brachte ihr nicht ausnahmslos Sympathien ein, auch, weil die meisten nicht bedachten, unter welchem Druck sie stand. Palfrader hatte mehr Ehrgeiz, war immer ein bisschen schneller als die anderen, ein bisschen wacher und motivierter. Sie musste so sein. Aber das konnte einem zuweilen auch ganz schön auf die Nerven gehen. Trotzdem war Eliah dankbar, dass sie sich um die ‚Zecken’ kümmerte. Er konnte jetzt wirklich keine Journalisten gebrauchen, die ihm Fragen stellten. Er hatte immer noch Kopfweh und hoffte, dass sein Magen das Ganze mitmachen würde. Immerhin sah es am Tatort wohl aus wie bei einem Schlachter.

    „Gott, was macht er denn so lang?", knurrte er dem Zigarettenstummel hinterher, den er gerade ins Gebüsch geschnipst hatte. Als hätte er ihn gehört, bog Marvin um die Ecke. Sein Kollege war etwas kleiner als der männliche Durchschnitt. Wenn auch nicht außergewöhnlich muskulös, war ihm dennoch anzusehen, dass er regelmäßig Sport trieb. Sein Gesicht war kantig, die Kieferknochen ausgeprägt, doch ein Bart wuchs ihm nie. Seine Augen waren groß und die Pupillen von bernsteinfarbenem Braun. Obwohl er erst Ende zwanzig war, hatte er bereits jetzt schütteres Haar. Marvin trug wie immer eine marineblaue Jeans mit braunem Gürtel, ein hellblaues Hemd und graues Sakko.

    „Da, ohne Milch, ohne Zucker, ohne Liebe!", sagte er und reichte Eliah einen Becher dampfenden Kaffee.

    „Danke dir!", antwortete Eliah und führte den Becher zum Mund. Auch wenn er es manchmal ganz lustig fand, ihn herumzukommandieren und wie einen Sklaven zu behandeln, so schätze er Marvin doch ungemein. Der Junge war von der Universität zu ihnen gekommen; er hatte dort Psychologie und Kriminologie studiert. Zwar fehlte ihm noch ein wenig die Praxis und Erfahrung, aber er war auf einem guten Weg.

    „Also, wollen wir?"

    „Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben", seufzte Marvin.

    „Na dann…", entgegnete Eliah und streckte seine Hand aus. Das Gebäude vor ihnen war sehr imposant, groß und hoch. Mindestens zehn Stockwerke konnte er von unten erkennen. Schon von außen schrie einem das Klischee von Reichtum und Elite entgegen. Stein war hier Marmor, Messing war Gold und das Grün, welches den breiten Eingang umsäumte, wie mit der Nagelschere getrimmt. Der Haupteingang war eine blank polierte, gläserne Drehtür. Danach kam man in eine hohe Eingangshalle und hatte dort die Wahl: Entweder die Rolltreppe hinauf zu einem kleinen Café, in dem man sieben Euro für ein Glas Wasser bezahlte, oder aber links abbiegen und einen der beiden Aufzüge nach oben nehmen. Marvin hatte anscheinend auf beides keine Lust und lief instinktiv an den Rolltreppen vorbei in Richtung Treppenhaus.

    „Was machst du da?". Eliah sah seinen Kollegen halb fassungslos, halb aufgebracht an.

    „Nach meinen Informationen sind es nur acht Stockwerke."

    „Nach meinen Informationen sind das neun Stockwerke zu viel."

    „Das macht keinen Sinn."

    „Nicht?"

    „Nein, macht es nicht."

    „Okay… Also ich nehm den Aufzug, wenn du einen auf Usain Bolt machen willst, dann…". Eliah fuchtelte unbestimmt mit der Hand in Richtung Treppenhaus. Marvin sah ihn fragend an, als hätte er den Sarkasmus nicht so recht verstanden, trottete dann zu ihm zurück und stellte sich neben ihn in die Kabine des Fahrstuhls, der in der Zwischenzeit angekommen war. 

    „Acht Stockwerke!", murrte Eliah, während sich die Türen vor ihm schlossen. Im Aufzug waren sie allein. Eliah war sicher nicht in der Stimmung bedeutungslosen Smalltalk zu betreiben, also begann er, einen gelb leuchtenden Knopf vor sich zu fix-ieren und zu studieren, so als sei ein spannendes Geheimnis dahinter verborgen, das nur er sehen konnte. Er bemerkte nicht, dass Marvin ihn dabei leicht grinsend beobachtete. Für Marvin waren solche Situationen faszinierend. Er liebte es Menschen zu beobachten und quasi von einer erhöhten Position aus zu sehen, wie sie sich verhielten. Ein häufiges Phänomen bei Psychologen, mit einem entscheidenden Haken: Es ist schwierig sich in ein soziales Umfeld zu integrieren, wenn man gleichzeitig versucht emotional über der Situation zu stehen und seine Mitmenschen zu analysieren. Das war wie Aus- und Einatmen gleichzeitig.

    „Wusstest du, dass Aborigines die Fähigkeit besitzen, gleichzeitig in ihr Instrument, in das so genannte Didgeridoo blasen zu können, während sie einatmen?".

    Eliah blickte vom gelben Knopf vor ihm auf und starrte Marvin an.

    „Das ist… interessant. Ich finde es interessant, fügte Marvin kleinlaut hinzu, nachdem Eliah nur mit einem geknurrten „Hm., geantwortet hatte.

    Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich und sie wurden augenblicklich erschlagen von einem Wirrwarr an Stimmen und Knippsgeräuschen. Ein langer Gang mit grauem Filzboden und glatt verputzten, weißen Wänden erstreckte sich vor ihnen. Viele Mitarbeiter der Spurensicherung und Kripo waren bereits seit Stunden am Tatort. Sofort sprang ihnen Herbert Bakus entgegen. Er tapste ungestüm an einem Mann in weißem Ganzkörperanzug vorbei, drehte sich empört zu ihm um und ging kopfschüttelnd auf Eliah zu. Marvin würdigte er dabei keines Blickes.

    „Herbert, schön dich zu sehen!", sagte Eliah. Bakus schüttelte seine Hand und eines seiner hochgekrempelten Hemdsärmel rutschte ihm wieder bis zum Handgelenk hinunter. Herbert war sehr groß, hatte welliges, volles Haar und buschige, schwarz-graue Augenbrauen. Sein weißes Hemd spannte sich fest über den prallen Bauch. Die Größe und das Volumen seines Körpers, gepaart mit der stets viel zu lauten Stimme führten dazu, dass es unmöglich war, ihn zu übersehen, ganz egal ob im Büro, einem Tatort oder mitten auf der Straße. Eliah wusste, dass Herbert schon immer scharf auf seine Position gewesen war. Auf eben diesem Neid schien sich auch der Respekt ihm gegenüber zu begründen.

    „Folgt mir", sagte er daraufhin, ignorierte Marvin weiterhin vollständig und lief los.

    Es war nicht weit. Fünf Meter den Gang entlang und dann links in das Büro. Die Tür stand weit offen. Als sie gerade hineingehen wollten, kam ihnen ein Mann in einem weißen Schutzanzug entgegen und drängte sich vor ihnen aus dem Raum heraus. Eliah blickte ihm nach, während er einen Schritt ins Innere tat.

    Die SpuSis waren schon immer unfreundliche Säcke!‘, dachte er, wendete seinen Blick kopfschüttelnd wieder nach vorn und erschauderte. Auch Marvin blieb neben ihm abrupt stehen. Er spürte, wie seine Poren zu kribbeln begannen und wischte sich reflexartig mit der Hand über die Stirn.

    Vor ihnen lag ein Büro stolzer Größe. Die Fenster waren mit Jalousien abgedeckt und versperrten dem Sonnenlicht den Weg. Das Licht kam von den vielen, kreisrunden Strahlern an der Decke, die grelles LED-Licht in jeden Winkel des Raumes warfen. Im hinteren Teil stand ein gläserner Schreibtisch. Links von ihnen zwei schwarze Sessel, noch ein kleinerer gläserner Tisch und die schwarze Couch. Darauf kamen ihnen zuerst schneeweiße Füße entgegen, gefolgt von wunderschönen, langen Beinen, einem durchtrainierten Bauch, prallen Brüsten und dann... ihr Gesicht.

    Das Kinn sah unversehrt aus, genauso wie der weich geformte Hals und die seidig blonden Haare.

    Soweit alles normal und schön anzusehen. Das, was aus dem Rahmen fiel, war ihr Mund. Tote lachten nicht, Freude lag ihnen fern. Sie hingegen schien den schönsten Tag ihres Lebens zu feiern. Ihre Mundwinkel waren weit in die Wangen gezogen, damit es so aussah, als würde sie bis über beide Ohren grinsen. Zwei Angelhaken und Nylonschnüre, über den Kopf hinweg gespannt, zwängten ihr die Glückseligkeit auf. Dennoch waren diese Haken – durch die Mundwinkel gerissen und zurückgezogen – nicht das Schrecklichste daran. Eliahs Blick wanderte höher und machte bei ihren Augen halt. Alles in ihm zog sich zusammen, als er feststellte, dass beide fehlten. Da waren keine Pupillen, keine Iris, aber auch keine Augenhöhlen – nichts, was irgendwie an diese Stelle gehört hätte. Stattdessen hatte man ihr zwei faustdicke, von Blut triefende Herzen ins Gesicht gerammt. Herzen! Herzen, die aus etwas Lebendigem herausgerissen worden waren und jetzt ihren toten Körper zierten. Man konnte die Aorta sehen, die Venen, die ungleich aus dem Fleischklumpen herausragten und im Nichts endeten. Das dunkle Rot des Muskelfleisches und das milchige Weiß der dünnen Faserhaut, die das Organ umgab. Tropfend und triefend, am falschen Ort platziert und nach seiner einstigen Umgebung schreiend. Marvin löste sich als Erster aus der Starre.

    „Das ist ein Emoji!", japste er in einer Mischung aus Entsetzen und Faszination.

    „Ein was?", keifte Bakus.

    „Meinst du das, was man auf WhatsApp verschickt?", fragte Eliah und kniff dabei die Augen zusammen. Marvin öffnete einen seiner Chatverläufe, rief die Emoji-Palette auf und wählte das Herz-Emoji aus. Er ging zwei Schritte auf das Opfer zu und hielt das Display direkt neben ihr Gesicht.

    „Sehen Sie, die Ähnlichkeit ist ungeschmälert!" Eliah und Bakus schauten beide entsetzt auf das Opfer. Marvin hatte Recht. Es war so pervers wie surreal. Links das Handy mit dem Emoji: Ein lachender Smiley, der statt zwei aufgerissenen Augen zwei große, schlagende Herzen besaß. Rechts die Frau. Auch sie grinste. Auch sie besaß keine Augen. Nur Herzen.

    Bakus, der mittlerweile kreidebleich angelaufen war, verließ, ohne ein weiteres Wort zu sagen, sehr zügig den Raum. Obwohl es ihm Eliah nur zu gerne gleichgetan hätte, hielt er der Versuchung stand. Er rieb sich die Augen und versuchte einzig durch den Mund zu atmen, um möglichst wenig vom ausdünstenden Tod riechen zu müssen.

    „Glaubst du wirklich, dass das da das Vorbild war?", fragte er, nachdem er widerwillig die Finger von den Augen genommen und zunächst nur Farbkleckse gesehen hatte.

    Marvin steckte sein Handy in die Tasche zurück und ließ seinen Blick schweifen. Er schien irgendetwas zu suchen, ein Indiz, welches seine Theorie stützen könnte. Er blieb mit dem Rücken zu Eliah stehen und deutete an das hintere Ende des Büros.

    „Ja, ich glaube schon.", murmelte er mit ausgestrecktem Zeigefinger.

    Auch Eliah konnte es jetzt sehen. Die entstellte Leiche hatte seine Aufmerksamkeit so sehr in Beschlag genommen, dass er noch keine Gelegenheit gehabt hatte, sich über die Eigenheiten seiner Umgebung bewusst zu werden. Hinter dem gläsernen Schreibtisch befanden sich drei große Bilder an der Wand. Sie waren mit einem schlichten, dünnen Rahmen aus Silber versehen worden. Jeder einzelne davon zeigte jeweils eine andere Frau. Eliah erkannte Michelle Obama und Beyoncé. Die dritte kannte er nicht. In die Bilder waren immer längere Schriftzüge eingebunden, Sätze, die wohl von den gezeigten Personen stammten. An sich klassische Motivationsposter, mit dem Unterschied, dass auf diese hier etwas geschmiert worden war. Dort, direkt auf Augenhöhe dieser erfolgreichen Damen, glänzten in angetrocknetem, kräftigem Purpur kleine, krakelige Kreise. Immer ein Kreis über jedem Auge.

    „Ganz schön dramatisch", flüsterte Eliah und drehte sich zur Tür um.

    „Ich glaube Herbert kommt nicht mehr…", seufzte er und zog sich ein paar Latexhandschuhe aus der Hosentasche.

    „Dann wollen wir mal", nickte er Marvin zu, atmete noch ein weiteres Mal durch den Mund ein und ging zu der toten Frau hinüber.

    Kapitel 4 - Der Künstler

    Jakob war müde. Verständlich. Er war die ganze Nacht wach gewesen. Aber er bereute es nicht. Sie verlangte es nun einmal von ihm. Sie war immer seine große Liebe gewesen, aber auch die Einzige, die ihn nie im Stich gelassen hatte und auf die er sich immer verlassen konnte. Sie war die Konstante in seinem Leben, die Titelei, das ‚Immer da‘. Die Kunst war seine ewige Begleiterin.

    Manche hielten ihn für verrückt, andere verschrien ihn als einen unverbesserlichen Träumer und Taugenichts, doch das war ihm egal. Denn er tat Dinge, die niemand anderes tun würde. Dinge, die für andere undenkbar wären, geradezu unvorstellbar, verrückt und unmenschlich. Es war ihm nur möglich, weil er sie verstanden hatte, ihrem Ruf gefolgt war. Sie hatte ihm stets zugeflüstert und alles, was er tat, war ihren Wünschen Folge zu leisten.

    Genauso oft, wie sie ihn einen Taugenichts schimpften, fragten sie ihn, woher er seine Inspiration nahm, dabei war die Frage eigentlich völlig falsch gestellt: Er nahm sie nicht, er bekam sie! Und alles was er dann tun musste, war sich ihr hinzugeben, alles Weltliche zu vergessen, um sich ihr voll und ganz zu widmen. Das bedeutete im Zweifel auch: Kein Schlaf, kein Essen, keine Pausen, nichts. Das war es, was sie von ihm im Gegenzug verlangte und er war willens, diesen Preis zu zahlen.

    Jakob hatte mit einem Wirtschaftsstudium angefangen. Sein Vater riet ihm einst

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