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Jagd auf El Chapo: Wie ein Undercoveragent den mächtigen Drogenbaron fasste
Jagd auf El Chapo: Wie ein Undercoveragent den mächtigen Drogenbaron fasste
Jagd auf El Chapo: Wie ein Undercoveragent den mächtigen Drogenbaron fasste
eBook383 Seiten15 Stunden

Jagd auf El Chapo: Wie ein Undercoveragent den mächtigen Drogenbaron fasste

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Über dieses E-Book

Andrew Hogan ist der Special Agent, der den mächtigen und legendären Drogenboss Joaquín Archivaldo Guzmán-Loera, kurz El Chapo, ins Gefängnis gebracht hat. Zunächst kannte Hogan El Chapo nur aus eingängigen mexikanischen Liedern über den Mann, den keine Gefängniswände halten können und der an der Spitze des größten Drogenkartells Mexikos die Fäden zieht. Aber während der acht Jahre dauernden Undercoverarbeit gelangt Merell in den inneren Kreis - und bringt El Chapo schließlich auf spektakuläre Weise zu Fall.

SpracheDeutsch
HerausgeberHarperCollins
Erscheinungsdatum3. Apr. 2018
ISBN9783959677493
Jagd auf El Chapo: Wie ein Undercoveragent den mächtigen Drogenbaron fasste
Autor

Andrew Hogan

Andrew Hogan ist der Special Agent der amerikanischen Drogenvollzugsbehörde DEA, der die Ermittlungen gegen El Chapo Guzmán geleitet und ihn verhaftet hat. Hogan arbeitet jetzt in der Privatwirtschaft und lebt an einem geheimen Ort.

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    Buchvorschau

    Jagd auf El Chapo - Andrew Hogan

    HarperCollins®

    Deutsche Erstausgabe

    Copyright © 2018 für die deutsche Ausgabe by HarperCollins

    in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

    © 2017 by QQQ, LLC.

    Originaltitel: »Hunting El Chapo – The Inside Story of the American Lawman

    Who Captured the World’s Most-Wanted Drug Lord«

    erschienen bei: HarperBooks,

    an imprint of HarperCollins Publishers, US

    Covergestaltung: HarperCollins Germany / Deborah Kuschel,

    Artwork HarperCollins Publishers USA, 2017 / James Lacobelli

    Cover: ALFREDO ESTRELLA / AFP/Getty Images, Jair Cabrera

    Torres/NurPhoto/REX/Shutterstock

    Redaktion: Stefanie Höfling

    ISBN E-Book 9783959677493

    www.harpercollins.de

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ANMERKUNG DES AUTORS

    Dies ist ein Sachbuch. Alle geschilderten Ereignisse haben sich wirklich so abgespielt, und die Personen sind real. Die Namen der Staatsanwälte und der Mitarbeiter der US-Strafverfolgungsbehörden – sowie der Mitglieder des mexikanischen Militärs – wurden verändert, es sei denn, sie sind bereits der Öffentlichkeit bekannt. Aus Sicherheitsgründen wurden die Namen verschiedener Örtlichkeiten, Fabrikate von Fahrzeugen, Nachnamen und Aliasnamen ebenfalls verändert. Alle Dialoge sind nach bestem Wissen und Gewissen so wiedergegeben worden, wie Andrew Hogan sie in Erinnerung hat.

    WIDMUNG

    Für meine Frau und meine Söhne

    A. H.

    PROLOG

    EL NIÑO DE LA TUNA

    PHOENIX, ARIZONA

    30. Mai 2009

    Es war kurz nach Mitternacht in Mariscos Navolato, einem schummrigen mexikanischen Schuppen an der North 67th Avenue im Stadtteil Maryvale in West Phoenix, als ich die Legende über Chapo Guzmán zum ersten Mal hörte. Mein Partner Diego Contreras, der zusammen mit mir bei der DEA Narcotic Task Force arbeitete, schmetterte mir gerade die Übersetzung eines Songs ins Ohr:

    Cuando nació preguntó la partera

    Le dijo como le van a poner?

    Por apellido él será Guzmán Loera

    Y se llamará Joaquin.

    »Als er auf die Welt kam, fragte die Hebamme: ›Und, wie wollt ihr ihn nennen?‹«, brüllte Diego, sein Atem heiß und scharf von dem Glas Don Julio, das er gerade heruntergekippt hatte. »Mit Nachnamen heißt er Guzmán Loera, und sie werden ihn Joaquín nennen …«

    Diego und ich arbeiteten seit Anfang 2007 zusammen bei der Phoenix Task Force, zwei Jahre später waren wir schon wie Brüder. Ich war der einzige Weiße in dieser Mainacht in Mariscos Navolato und spürte, wie alle mich von oben bis unten musterten. Doch da ich direkt neben Diego saß, nahm ich die Sache locker.

    Diego hatte mich gleich am Anfang unserer Bekanntschaft in die mexikanische Kultur in Phoenix eingeführt. Wir hatten bei einer señora in der gemütlichen Küche, die auch als Behelfsrestaurant diente, birria von Plastiktellern gegessen, hatten mango raspados bei einem Verkäufer bestellt, der sein Wägelchen durch die Straßen schob, während wir die ganze Zeit alle Narcocorridos ¹ anhörten, die es in Diegos CD-Sammlung gab. Obwohl ich eindeutig nicht aus Mexiko stammte, erklärte mir Diego, ich würde mich langsam in einen güero verwandeln – einen hellhäutigen, blonden, blauäugigen Mexikaner –, und bald würde mich niemand mehr für einen gringo halten.

    Dröhnender norteño erfüllte den Raum – gespielt von Los Jaguares de Culiacán, einer vierköpfigen Band, die direkt aus der von Gewalt beherrschten Hauptstadt des Bundesstaates Sinaloa kam und auf Tour im Südwesten war. Das polkaähnliche oompa-loompa der Tuba und des Akkordeons hatte eine fremde und doch ansteckende Anziehungskraft. Ich konnte nur wenig Spanisch, aber Diego brachte mir eine ganz neue Sprache bei: den Slang der Barrios, der Narcos, den aus den »Kriegsgebieten« wie Ciudad Juárez, Tijuana und Culiacán. Was diese Narcocorridos so krass machte, wie mir Diego erklärte, waren nicht die ausgelassene Tuba, das Akkordeon und die Gitarre, sondern die mitreißenden Geschichten, von denen die Lieder erzählten, und die rücksichtslose Killerattitüde, die die Strophen zum Ausdruck brachten.

    Eine dunkelhaarige Kellnerin in hautengen weißen Jeans und High Heels brachte uns einen Eimer mit eiskalten Flaschen La Cerveza del Pacifico. Ich griff mir eine aus dem Eis und löste die feuchte Ecke des kanariengelben Labels ab. Pacifico – der Stolz von Mazatlán. Ich lachte in mich hinein. Wir befanden uns zwar im Herzen von West Phoenix, doch für mich fühlte es sich an, als wären wir irgendwie über die Grenze geschlüpft und würden 800 Meilen weiter südlich in Sinaloa sitzen. In der Bar wimmelte es von Drogenhändlern – Diego und ich schätzten, dass drei Viertel der Leute in den Handel mit Kokain und Meth verwickelt waren.

    Die Drogenhändler mittleren Alters waren leicht an ihren Cowboyhüten und Alligatorstiefeln zu erkennen – manche arbeiteten auch legal als Viehrancher. Dann gab es die jungen Narcos – die neue Generation –, die aussahen wie Collegekids aus Arizona, mit ihren Lacoste-Shirts und den Designerjeans. Allerdings trugen die meisten protzige Uhren, die sich ein 20 – Jähriger normalerweise nicht leisten konnte.

    Am Rand der Tanzfläche entdeckte ich ein paar Männer, die aussahen, als hätten sie bereits getötet; Vollstrecker des Kartells, mit stahlhartem Blick. An der Bar hingegen saßen Dutzende braver, hart arbeitender Bürger – Anstreicher, Sekretärinnen, Landschaftsarchitekten, Chefs, Kindermädchen, die einfach nur den Klang dieser Drogenballaden aus Sinaloa liebten.

    Diego und ich hatten den ganzen Tag mit einer nervtötenden Observation verbracht, und nach zehn Stunden ohne Essen kippte ich hastig das erste Pacifico hinunter und atmete langsam aus, als ich spürte, wie es in meinem Magen aufschlug.

    »Mis hijos son mi alegría también mi tristeza«, schrie Diego so laut, dass mir fast das Trommelfell platzte. »Meine Söhne machen mir Freude, aber auch Kummer.« »Edgar, te voy a extrañar«, schmetterte Diego gemeinsam mit dem Bandleader der Jaguares. »Edgar, ich werde dich vermissen.«

    Fragend warf ich einen Blick zu Diego.

    »Edgar ist einer der Söhne von Chapo. Er wurde auf einem Parkplatz in Culiacán niedergeschossen«, erklärte Diego. »Er war der Lieblingssohn, offenbar sein Erbe. Als Edgar ermordet wurde, ist Chapo ausgerastet. Dieser pinche cabrón hat eine Menge Leute fertiggemacht …«

    Es war erstaunlich, wie Diego einen Raum beherrschte. Nicht durch seine Größe – er maß höchstens 1,64 Meter –, sondern durch sein Selbstbewusstsein und seinen Charme. Ich bemerkte, dass eine der Tänzerinnen mit ihm flirtete, obwohl sie mit ihrem Partner, der Alligatorstiefel trug, auf der Tanzfläche herumwirbelte. Diego war kein typischer Drogen-Cop mit T-Shirt und ausgebeulten Jeans. Oft trug er ein frisch gebügeltes Hemd, egal ob zu Hause oder bei der Arbeit auf der Straße.

    Diego nötigte jedem sofort Respekt ab, wenn er sprach, vor allem auf Spanisch. Geboren am Stadtrand von Mexico City, kam er als Kind mit seiner Familie nach Tucson. Später zog er nach Phoenix und wurde 2001 Streifenpolizist beim Mesa Police Departement. Genau wie ich hatte er sich einen Ruf als aggressiver Straßenbulle verdient. Diego war so geschickt darin, Drogenermittlungen durchzuführen, dass er 2006 zum Detective befördert wurde. Ein Jahr später wurde er von seinem Chief für einen Eliteauftrag bei der DEA Phoenix Narcotic Task Force Team 3 ausgewählt. Genau in der Zeit habe ich ihn kennengelernt.

    Als wir Partner wurden, war von Beginn an klar, dass wir uns in unseren Stärken ergänzten. Diego hatte ein angeborenes Gefühl für die Straße. Ständig hatte er jemanden in der Mangel. Einen vertraulichen Informanten, einen Gauner – und selbst seine Freunde. Oft jonglierte er mit vier Handys gleichzeitig. In der Rolle als Undercover-Ermittler blühte Diego richtig auf. Er stand an vorderster Front und bestritt die Gespräche allein. Auch ich liebte es, auf der Straße zu arbeiten, hielt mich jedoch immer im Hintergrund, so wie an diesem Abend auch. Während ich an unserem Tisch saß, merkte ich mir jedes Detail, studierte jedes Gesicht und prägte es mir ein. Ich wollte nicht im Rampenlicht stehen. Meine Arbeit hinter den Kulissen sprach für sich selbst.

    Diego und ich hatten gerade damit begonnen, eine Bande von jungen Narcos aus Phoenix ins Visier zu nehmen. Sie standen im Verdacht, Kokain, Meth und große Ladungen von cajeta – hochwertiges mexikanisches Marihuana –, die in Sattelschleppern transportiert wurden, für das Sinaloa-Kartell zu vertreiben.

    Obwohl wir nicht vorhatten, die Zielpersonen an diesem Abend hochzunehmen, war Diego gekleidet wie ein Narco-Junior, mit schwarzem Hemd von Calvin Klein, das über seiner mitternachtsblauen Jeans hing. Dazu trug er eine Uhr von Movado mit schwarzem Ziffernblatt und schwarze Ledersneakers von Puma. Ich sah mehr wie ein Collegeschüler aus Kalifornien aus, mit meiner schwarzen Hurley-Baseballmütze, dem schlichten grauen T-Shirt und den passenden Schuhen von Diesel.

    Meine Söhne machen mir Freude, aber auch Kummer, wiederholte ich im Stillen. Der Text dieses derzeit beliebtesten Narcocorridos – Roberto Tapias El Niño de La Tuna – enthielt sehr viel emotionale Schlagkraft. Ich sah die Leidenschaft in den Blicken der Leute, die jedes Wort mitsangen. Es schien, als wäre El Chapo für sie eine Mischung aus Robin Hood und Al Capone.

    Ich sah zu Diego hinüber und nickte, als würde ich voll und ganz verstehen, dabei hatte ich bis jetzt keinen blassen Schimmer.

    Ich war ein junger Special Agent aus Kansas, der mit harter Kost wie Metallica, Tim McGraw und George Strait aufgewachsen war. Und ich hatte an diesem Abend mit Diego in Mariscos Navolato eine Menge zu verarbeiten.

    Auf den fünf Flachbildschirmen, die oben an den Wänden hingen, lief ein wichtiges mexikanisches Primera-División-Fußballmatch – Mérida stand gegen Querétaro offenbar eins zu null in Führung, was mir allerdings ziemlich egal war. Die Jukebox war voller CDs mit banda und ranchera. Die Wände waren gepflastert mit Postern von Modelo, Tecate, Dos Equis und Pacifico, selbst gemachtem Flan und bevorstehenden Norteño-Konzerten. Dazwischen hingen Tafeln, auf denen in Handschrift die Spezialitäten des Marisco angeboten wurden, wie zum Beispiel almeja Reyna, ein beliebtes Muschelgericht aus Sinaloa.

    »El Chapo?« Der Kleine – sollte das ein bedrohlich klingender Spitzname sein? Wie war es möglich, dass ein Junge mit schlechter Schulbildung aus der winzigen Stadt La Tuna in den Bergen der Sierra Madre, der seine Familie mit dem Verkauf von Orangen auf der Straße unterstützt hatte, jetzt als der berühmteste Drogenboss aller Zeiten gefeiert wurde? War Chapo wirklich noch mächtiger als der Präsident von Mexiko, wie die Legenden und Corridos es erzählten?

    Wie immer die Wahrheit über El Chapo auch aussehen mochte, ich behielt die jungen Narcos, die an einem Tisch am hinteren Ende der Bar saßen, fest im Blick. Einer hatte einen militärischen Bürstenhaarschnitt, zwei andere einen Fake-Irokesenschnitt, und der Vierte trug stolz eine Baseballkappe der Arizona State University zur Schau. Diego und ich vermuteten, dass sie bewaffnet waren.

    Wenn die jungen Narcos raus zu ihren Wagen gehen würden, dann würden Diego und ich ihnen folgen.

    Diego warf zwei 20 – Dollar-Noten auf den Tisch, winkte der Kellnerin und erhob sich. Jetzt kam Leben in die Narcos. Einer stand auf, rückte den Rand seiner Kappe zurecht und drehte sich auf den Sohlen seiner Air Jordans um wie ein Aufbauspieler beim Basketball.

    Diego kippte den letzten Schluck seines Pacifico hinunter und bedeutete mir, das Gleiche zu tun. Die Band spielte jetzt noch lauter. Diego lachte mit der ganzen Bar, während sie zusammen das Crescendo des Songs brüllten:

    Ich mag klein sein, aber ich bin mutig …

    Und ich begann ebenfalls zu grinsen, während ich meinen Stuhl zurückschob und aufstand.

    Der hypnotisierende Rhythmus hatte auch mich erfasst. Ich sang mit derselben Begeisterung mit wie all die Drogenhändler mit ihren Cowboyhüten:

    Yo soy El Chapo Guzmán!

    Denn ich bin El Chapo Guzmán.

    TEIL 1

    AUSBRUCH

    GUADALAJARA, MEXIKO

    24. Mai 1993

    Die plötzliche Explosion eines AK-47 – Sturmgewehrs durchschnitt die Stille eines friedlichen Frühlingsnachmittags und löste Panik auf dem Parkplatz des Flughafens von Guadalajara aus. Kardinal Juan Jesús Posadas Ocampo, der Erzbischof von Guadalajara, saß auf dem Beifahrersitz seines weißen Grand Marquis. Er wollte den päpstlichen Nuntius vom Flughafen abholen und wurde 14 – mal getroffen. Der 60 – jährige Kardinal wurde in die Mitte seines Wagens geschleudert, und Blut lief über seine Stirn. Er war sofort tot. Der Grand Marquis war durchsiebt von mehr als 30 Kugeln, und auch der Chauffeur des Kardinals befand sich unter den anderen sechs Toten.

    Wer würde am helllichten Tag derart dreist auf den Erzbischof zielen – einen der beliebtesten katholischen Kirchenobersten von Mexiko? Die Wahrheit schien viel prosaischer. Es wurde berichtet, dass Kardinal Posadas in eine Schießerei zwischen dem Sinaloa-Kartell und dem Tijuana-Kartell geraten war, die sich seit Monaten wegen einer lukrativen »plaza«, einer Schmuggelroute für Drogen nach Südkalifornien, bekriegten. Posadas hatte man irrtümlich für den Anführer des Sinaloa-Kartells gehalten, Joaquín Archivaldo Guzmán Loera alias »El Chapo«. Er sollte etwa zur gleichen Zeit in einem ähnlich aussehenden weißen Sedan auf dem Flughafenparkplatz ankommen.

    Überall auf der Welt wurden sofort Bilder gezeigt von der Schießerei, die wie aus dem Wilden Westen wirkte, während die Behörden und die Journalisten versuchten, sich einen Reim auf dieses Blutbad zu machen. »Helikopter kreisten über uns, als die Polizei etwa 20 von Löchern durchsiebte Wagen konfiszierte, darunter auch ein Wagen, in dem sich Handgranaten und automatische Feuerwaffen befanden«, berichtete die Los Angeles Times auf der Titelseite. Dass Kardinal Posados am helllichten Tag ermordet worden war, erschütterte die mexikanische Gesellschaft bis ins Mark. Präsident Carlos Salinas de Gortari war sofort vor Ort, um seine Anteilnahme auszusprechen und die Nerven der Nation zu beruhigen.

    Die Schießerei am Flughafen erwies sich als Wendepunkt in der modernen lateinamerikanischen Geschichte. Zum ersten Mal nahmen die Mexikaner wirklich davon Notiz, wie brutal die Drogenkartelle des Landes vorgingen. Die meisten Mexikaner hatten noch nie von dem kleinen Chapo aus Sinaloa gehört, dessen Alias ihm eher etwas Drolliges denn Gefährliches verlieh.

    Nach Posadas’ Ermordung erschienen überall in Lateinamerika primitive Darstellungen von Chapos Gesicht auf den Titelseiten der Zeitungen und Magazine. Jeden Abend tauchte sein Name im Fernsehen auf, weil er wegen Mordes und Drogenschmuggels gesucht wurde.

    Als er merkte, dass er im Hinterland der heimischen Sierra Madre oder im Nachbarstaat Durango nicht mehr sicher war, floh Guzmán Berichten zufolge nach Jalisco, wo er eine Ranch besaß. Danach tauchte er in einem Hotel in Mexico City unter und traf sich dort mit einigen Lieutenants des Sinaloa-Kartells, denen er für seine Familie zig Millionen Dollar in US-Währung gab, damit sie versorgt war, während er sich auf der Flucht befand.

    Verkleidet und mit einem falschen Pass, der auf den Namen Jorge Ramos Pérez ausgestellt war, reiste Chapo in den Süden von Mexiko und überquerte am 4. Juni 1993 die Grenze nach Guatemala. Begleitet wurde er von seiner Geliebten und einigen Bodyguards bei seiner heimlichen Flucht. Er plante offenbar, sich in El Salvador zu verstecken, bis die Wogen sich geglättet hatten. Später wurde berichtet, dass Chapo einen Officer des Militärs mit der großzügigen Summe von 1,2 Millionen Dollar bestochen hatte, die ihm die Flucht über die Grenze von Südmexiko sichern sollte.

    Im Mai 1993, etwa zu der Zeit, als Posadas ermordet wurde, befand ich mich 1.500 Meilen entfernt in meiner Heimatstadt Pattonville, Kansas, und versuchte mich an einem verzwickten Pass an meinen jüngeren Bruder. Wir waren Sweetness und der Quarterback Punky – komplett ausgestattet mit den blau-orangen Spielertrikots der Bears – und spielten im Vorgarten gegen ein Team, das aus meinen Cousins und Jungen aus der Nachbarschaft bestand. Meine Schwester und ihre Freundinnen trugen Cheerleader-Kostüme, wedelten mit selbst gemachten Pompons in der Luft herum und feuerten uns vom Spielfeldrand an.

    Mein Bruder Brandt übernahm immer die Rolle von Walter Payton. Ich war Jim McMahon – und alle zogen mich damit auf, dass ich genauso fanatisch sei wie er. Obwohl wir nur im Vorgarten spielten, musste für mich jedes Detail stimmen – bis zu dem weißen Stirnband mit dem Namen ROZELLE, den ich mit schwarzem Magic Marker draufgeschrieben hatte. McMahon hatte das Gleiche im Vorfeld zum Super Bowl 1985 getragen.

    Keiner von uns wog damals mehr als 50 Kilo, aber wir nahmen unsere Spiele im Vorgarten sehr ernst, als wären wir tatsächlich McMahon, Singletary, Dent und all die anderen aus der Football-Mannschaft Monsters of the Midway. Außerdem konnte man in Pattonville – einem Städtchen mit 3.000 Einwohnern, das 52 Meilen außerhalb von Kansas City lag – nicht viel mehr tun als Fußball spielen oder auf die Jagd gehen. Mein Vater, er war Feuerwehrmann, jagte sein Leben lang Wasservögel. Als ich acht war, nahm er mich zum ersten Mal mit auf die Entenjagd, und als ich zehn wurde, kaufte er mir meine erste Flinte – eine Remington 870, natürlich ein Modell für Jugendliche.

    Alle erwarteten, dass auch ich Feuerwehrmann werden würde, wie schon mein Urgroßvater, mein Großvater und drei meiner Onkel. Ich war oft stundenlang in der Feuerwehrwache bei Dad, probierte seinen rußverschmierten Lederhelm aus und kletterte in den Trucks herum. In der fünften Klasse brachte ich einen Fragebogen aus der Schule mit nach Hause und zeigte ihn Mum:

    »Was ich eines Tages werden möchte – Feuerwehrmann, Polizist oder Detektiv.«

    Schon immer war ich felsenfest entschlossen, dass es für mich nur eines gab: Ich wollte Cop werden. Aber nicht irgendein Cop, sondern ein Kansas State Trooper.

    Mir gefielen die forschen Uniformen in Französischblau, die marineblauen Hüte aus Filz und die motorstarken Chevrolets, die sie fuhren. Jahrelang zeichnete ich wie besessen Polizeiautos. Es war nicht einfach nur ein Hobby für mich. Ich saß allein in meinem Schlafzimmer und arbeitete wie im Fieber. Musste all die richtigen Buntstifte und Marker haben, damit ich die Autos detailgetreu nachzeichnen konnte mit den Lichtbalken, Abzeichen, der richtigen Schattierung für die Räder. Alles musste haargenau dem Original entsprechen, bis hin zu den Antennen. Wenn ein kleines Detail nicht stimmte, fing ich wieder von vorne an. Ich zeichnete Ford Crown Vics und Explorer, aber mein Lieblingsmodell war der Chevy Caprice mit dem Corvette LT1 Motor und den geschwärzten Rädern. Während ich zeichnete, träumte ich oft davon, selbst hinter dem Steuer eines dröhnenden Caprice zu sitzen, während ich mir mit einem verdächtigen Räuber auf der US Route 36 eine heiße Verfolgungsjagd lieferte …

    Der Herbst war meine liebste Jahreszeit, weil ich dann mit meinem Dad und meinem Bruder auf Entenjagd ging. Oder Fußball spielte. Diese Vorgartenträume fanden irgendwann unter dem hellen Flutlicht eines Stadions statt. Unser Schulteam verbrachte die Donnerstagabende in einer Scheune oder auf einem Campingplatz in irgendeinem abgelegenen Waldgebiet. Wir saßen dann um ein Lagerfeuer herum und lauschten dem Motivationstrainer. Alle trugen orangefarbene Helme mit schwarzen Tigerpfoten seitlich, die in dem flackernden Feuerschein leuchteten.

    Das Leben in Pattonville drehte sich ganz um diese Spiele am Freitagabend. Überall an den Straßen wehten orangefarbene und schwarze Fahnen, und alle kamen, um sich das Spiel der Tigers anzusehen. Mein ganz eigenes Ritual vor dem Spiel bestand darin, mir eine Dosis Metallica über Kopfhörer zu verpassen:

    Hush little baby, don’t say a word

    And never mind the noise you heard.

    Nach der Highschool war ich fest davon überzeugt, dass ich in der gleichen Stadt leben würde wie meine Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten und meine Cousins. Ich wollte nirgendwo anders wohnen und konnte mir nicht vorstellen, dass ich Pattonville jemals den Rücken kehren würde, um in einer smogverseuchten Stadt mit mehr als 26 Millionen Menschen zu leben, die auf der historischen aztekischen Hauptstadt Tenochtitlán erbaut worden war …

    Mexiko? Hätte mein Spanischlehrer aus der dritten Klasse mich mit seinem ungeduldigen Blick in die Enge getrieben, hätte ich dieses Land vielleicht auf der Karte gefunden. Aber für mich hätte es ebenso gut Madagaskar sein können.

    Bald war ich das schwarze Schaf – der einzige Cop in einer Familie von Feuerwehrmännern. Nachdem ich auf der Kansas State University meinen Abschluss in Strafrecht gemacht hatte, legte ich die schriftliche Prüfung für die Kansas Highway Patrol ab. Doch ein landesweiter Einstellungsstopp zwang mich in eine andere Richtung. Ein mürrischer alter Captain vom örtlichen Sheriffbüro bot mir einen Job als stellvertretender Streifenpolizist für Lincoln County an und öffnete damit für mich die erste Tür zum Polizeivollzugsdienst.

    Es war zwar nicht mein Traumjob, aber dafür bekam ich meinen Traumwagen: einen 1995er Chevrolet Caprice, mit diesem Kraftpaket unter der Kühlerhaube, dem Corvette-Motor – es war der gleiche Streifenwagen, den ich in meinem Schlafzimmer originalgetreu nachgezeichnet und bunt angemalt hatte, als ich zehn gewesen war. Jetzt konnte ich den Wagen mit nach Hause nehmen und über Nacht in der Einfahrt stehen lassen.

    Für jede Zwölf-Stunden-Schicht wurde mir ein ausgedehnter Bezirk von 20 mal 30 Meilen zugeteilt. Einen Partner hatte ich in meinem Streifenwagen nicht. Stattdessen deckte ich milchgesichtiger Deputy einen weitläufigen Landstrich ab, auf dem verstreut ein paar Farmen lagen und ein paar Städte. Das Gebiet, das der Deputy abdeckte, das meinem am nächsten lag, war genauso groß wie mein Bezirk. Befanden wir uns also an den entgegengesetzten Enden unserer Einsatzgebiete und brauchten Verstärkung, konnte es bis zu 30 Minuten dauern, bis wir einander erreichten.

    Was das tatsächlich bedeutete, wurde mir an einem Winterabend in meinem ersten Jahr klar, als ich mich einem 1,92 Meter großen, 260 Pfund schweren Verdächtigen gegenübersah. Er nannte sich »Beck« und war gerade aus der psychiatrischen Abteilung des Osawatomie State Hospitals geflohen. Ich hatte vor diesem Abend schon einmal mit Beck zu tun gehabt; er war in einer nahe gelegenen Stadt in einen Fall von Hausfriedensbruch verwickelt gewesen. Kurz nach acht Uhr abends piepte mein Funkgerät, und mein Sergeant teilte mir mit: »Hogan, du hast zwei Möglichkeiten: Entweder schaffst du ihn aus deinem Bezirk oder ins Gefängnis.«

    Ich wusste, dass ich auf mich allein gestellt war. Der Sergeant und die anderen Deputys waren mit einem Wagen beschäftigt, der im Fluss gelandet war. Also würden meine Kollegen mindestens 20 Minuten brauchen, bis sie bei mir waren. Als ich über die Landstraße aus Schotter fuhr, erfassten meine Scheinwerfer eine dunkle Gestalt, die am Seitenstreifen entlangmarschierte. Laut stieß ich die Luft aus und trat auf die Bremse.

    Beck.

    Wann immer ich das Gefühl hatte, dass sich die Sache zu einem Handgemenge entwickeln könnte, ließ ich den Stratton, meinen braunen Filzhut, auf dem Beifahrersitz liegen. Jetzt war es wieder so weit.

    »David zwanzig-fünf«, funkte ich zurück. »Ich brauche noch einen Wagen.«

    So gelassen wie möglich forderte ich sofortige Verstärkung an, obwohl ich wusste, dass kein anderer Deputy sich innerhalb eines Radius von 25 Meilen befand.

    »The Lone fuckin’ Ranger«, murmelte ich in mich hinein und stieg aus dem Caprice. Vorsichtig ging ich auf Beck zu, doch er marschierte weiter, sodass ich mich immer mehr von den eingeschalteten Scheinwerfern meines Einsatzwagens entfernte und immer tiefer in die Dunkelheit geriet.

    »Sir, ich kann Sie entweder zur nächsten Tankstelle fahren oder ins Gefängnis«, sagte ich und versuchte, möglichst sachlich zu klingen. »Das müssen Sie entscheiden.«

    Beck ignorierte mich völlig, stattdessen ging er schneller. Ich begann zu laufen, schloss zu ihm auf und umfasste schnell seinen mächtigen Bizeps, um ihn in einen Armhebel zu nehmen. Lehrbuchmäßig – genau so, wie ich es in der Akademie gelernt hatte.

    Doch Beck war zu stark, um ihn festhalten zu können. Er machte einen Satz nach vorne und versuchte, seinen Arm zu befreien. Ich spürte, dass der Schotter unter uns eisig und rutschig war, während wir uns beide abmühten, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Beck umklammerte mich ungestüm. Wir atmeten beide stoßweise, und Atemwölkchen stiegen in der kalten Nachtluft auf. Für den Bruchteil einer Sekunde sahen wir uns an, unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ich hatte null Hebelkraft, weil meine Füße jetzt kaum noch den Boden berührten. Ich wusste, dass Beck mich gleich zusammenschlagen würde.

    Mir war klar, dass ich keine Chance gegen ihn hatte. Aber irgendwie schaffte ich es trotzdem, meinen rechten Arm aus seiner Umklammerung loszureißen. Ich schlug meine Faust in sein pockennarbiges Gesicht, dann noch einmal, bis eine dritte saubere Rechte Becks Kopf zurückschnellen ließ. Endlich lockerte er seinen Griff. Ich stellte mich in Position, um anzugreifen, wie beim Football, und rammte meine Schulter in Becks Magen, sodass er zu Boden ging. Wir wälzten uns in dem tiefgefrorenen Graben, während Beck versuchte, nach meiner .45 Kaliber Smith & Wesson zu greifen und die Druckknöpfe des Holsters aufzureißen. Fast hätte er es geschafft, die Waffe herauszuziehen.

    Endlich war ich über ihm, griff nach meinem Gürtel und sprühte eine große Dosis Pfefferspray in Becks Mund und Augen. Er brüllte wie am Spieß und griff sich an die Kehle. Ich schaffte es, ihm Handschellen anzulegen, ihn auf die Füße zu ziehen und ihn auf den Rücksitz des Caprice zu verfrachten.

    Wir hatten schon den halben Weg zum Bezirksgefängnis zurückgelegt, bevor die Unterstützung, die mir am nächsten war, auch nur die Chance hatte zu antworten.

    Noch nie hatte ich in meinem Leben so viel Angst gehabt – doch zwölf Jahre später sollte es noch viel schlimmer kommen, als ich Culiacán betrat, die berüchtigte Hauptstadt der mexikanischen Drogenunterwelt … Sinaloa.

    Trotz der Gefahren entwickelte ich schnell ein Gefühl für die Jagd. Bei Verkehrskontrollen wühlte ich unter den Sitzen und in den Handschuhfächern herum, auf der Suche nach Drogen. Meistens fand ich nur halb leere Nickeldöschen mit Gras und Kokainröhrchen. Bis ich eines Abends auf einem ruhigen Highway einen Jeep Cherokee wegen zu hoher Geschwindigkeit stoppte. Ein kleiner Aufkleber von Grateful Dead klebte an der Heckscheibe. Der Fahrer war ein 42 – jähriger Hippie mit weißem T-Shirt, auf dem Fettflecken prangten. Ich wusste genau, wie ich vorgehen musste. Ich spielte den ahnungslosen jungen Hinterwäldler-Cop, der über Funk die Genehmigung erhalten hatte, den Jeep zu durchsuchen. Ich fand drei Unzen Kokain und ein Geldbündel mit mehr als 13.000 Dollar.

    Die Verhaftung machte Schlagzeilen. In der Geschichte unseres Countys war noch nie eine so große Menge an Drogen und Bargeld beschlagnahmt worden. Bald war ich bekannt dafür, ein ausgebuffter und gerissener Streifenpolizist zu sein, der in der Lage war, Drogen aufzuspüren. Ich war sicher – dies würde mein Sprungbrett sein, um mein Ziel zu erreichen, ein Kansas State Trooper zu werden.

    Doch als ich eines Abends nach der Schicht mit meinem Caprice nach Hause fuhr, wartete ein kleiner weißer Briefumschlag auf mich. Das Highway Patrol Headquarter in Topeka hatte seine endgültige Entscheidung getroffen. Obwohl ich die Prüfung bestanden hatte, ich war einer von mehr als

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