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Die Rache des Analogen: Warum wir uns nach realen Dingen sehnen
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Die Rache des Analogen: Warum wir uns nach realen Dingen sehnen
eBook430 Seiten10 Stunden

Die Rache des Analogen: Warum wir uns nach realen Dingen sehnen

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Über dieses E-Book

Ein leidenschaftliches Plädoyer für die realen Dinge des Lebens

Auf dem Weg zur digitalen Utopie geschieht etwas Eigenartiges: Wir entwickeln wieder eine Schwäche für analoge Produkte und Ideen, deren Überfl üssigkeit die TechGurus beschworen hatten. Branchen, die vor Kurzem noch altmodisch anmuteten – von der Schallplattenproduktion bis hin zum Buchladen um die Ecke –, sind nun gefragter denn je. Die Rache des Analogen ist da. Unternehmern, Inhabern von kleinen Geschäften und großen Konzernen, gesprochen, die einen Markt abseits von Apps oder virtuellen Lösungen bedienen: Sie verkaufen echte Produkte zum Anfassen. Sax' Buch offenbart, dass eine durch und durch digitale Existenz wenig erstrebenswert und eine Zukunft in der wirklichen Welt für uns alle attraktiv ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum28. März 2017
ISBN9783701745500
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    Buchvorschau

    Die Rache des Analogen - David Sax

    hat.

    TEIL 1

    DIE RACHE ANALOGER DINGE

    1.

    DIE RÜCKKEHR DES VINYLS

    Die Fabrik United Record Pressing (URP) in Nashville erinnert an einen mächtigen schnaufenden Drachen. In dem relativ kleinen Labyrinth aus Betonräumen zischen, husten, brummen und schleifen 22 Pressen und spucken schließlich Schallplatten sämtlicher Genres, Farben und Größen aus. Gleich neben einem Album der Dave Matthews Band werden klassische Wiederveröffentlichungen von Primus, Pearl Jam und dem Wu-Tang Clan hergestellt, Verkaufsschlager von Lana Del Rey, bunte Sammlereditionen der Band Iron Maiden, eine Nachpressung von »Elvira, Mistress of the Dark« und Elektro-Funk von Chromeo. Ein Geruch nach heißem Metall, saurem Wasser und der süßlich beißende Gestank von warmem Plastik liegen in der Luft.

    Dutzende Arbeiter überwachen die Maschinen und füttern sie mit Dampf, Wasser, Fett, Strom und schwarzem Polyvinylchlorid-Granulat (PVC alias Vinyl). Sie sortieren die Platten, die vom Band laufen, auf lange Metallspieße, um Platz für neue Tonträger zu schaffen, die sich bereits anhäufen. Die Maschinen – riesige unförmige Monster mit enormen hydraulischen Schaltflächen, Rohren, Schläuchen und dicken Metallplatten, die vor langer Zeit gebaut wurden – erzeugen ein derartiges Getöse, als würden sie nicht bloß Schallwellen in geschmolzenes Vinyl pressen, sondern auch einem Urschrei gleich sämtliche Musik herausbrüllen, die an diesem Ort vergraben liegt. Das analoge Revival ist derart unerbittlich, dass diese alten Vinylpressen bis zum Gehtnichtmehr beansprucht werden.

    Hätte man United Record Pressing im Jahr 2010 besucht, wäre alles noch viel beschaulicher gewesen. Die meiste Zeit über standen die Pressen still und warteten auf einen neuen Auftrag, und zwei Drittel der Arbeiter, die man heute sieht, waren noch woanders beschäftigt. Damals befand sich United Record Pressing auf seinem Tiefpunkt: Nur noch wenige Sechs-Stunden-Schichten wurden an einigen Wochentagen von etwa 50 Leuten erledigt. Die Eigentümer mussten Kredite aufnehmen, sonst wären sie Bankrott gegangen. An einem durchschnittlichen Tag presste URP einige tausend Schallplatten, und mit der Zeit wurden es immer weniger, so wie weltweit seit Anfang der 1990er-Jahre bei den meisten Unternehmen, die Tonträger aus Vinyl herstellten.

    Schon vier Jahre später, als ich zwischen diesen Maschinen stand und der melodiösen Kakophonie lauschte, produzierten sie jeden Tag 40 000 Tonträger, und dreimal so viele Angestellte wie im Jahre 2010 kümmerten sich um einen reibungslosen Ablauf. Man arbeitete 24 Stunden an sechs Tagen die Woche, nur am Sonntag standen die Maschinen still. Heute stapeln sich die Aufträge bei URP sowie brandneue Alben in den Kisten zum Versand: Als großes Label muss man mit zwei bis drei Monaten Wartezeit rechnen, unabhängige Label müssen noch viel mehr Zeit einkalkulieren. Bis vor Kurzem wurde das Unternehmen derart mit Aufträgen überhäuft, dass es gar keine neuen Kunden mehr aufnahm. Bei URP können die Platten gar nicht schnell genug vom Band laufen, weswegen das Unternehmen wachsen muss, damit es noch mehr Schallplatten pressen kann. Die Musikfans sind hungrig. Der Appetit auf Vinyl ist unersättlich, und eine Diät ist derzeit nicht in Sicht.

    Der Prozentsatz an Musikliebhabern, die sich einen Plattenspieler und die dafür benötigten LPs kaufen, ist gestiegen. Dabei kann es sich auch um Dachbodenfunde handeln oder um alte Platten, die im Internet oder in Geschäften gekauft werden, sowie zunehmend um neue LPs, die täglich in Fabriken wie United Record Pressing hergestellt werden. Der Eigentümer einer Plattenfabrik in Europa schätzte, dass im Jahr 2015 auf der ganzen Welt annährend 30 Millionen neue Schallplatten gepresst wurden.

    Nirgendwo aber war die Wiederentdeckung von Vinyl umfassender oder dramatischer als in den Vereinigten Staaten von Amerika. United Record Pressing ist das landesweit größte Unternehmen, das Schallplatten herstellt, und gehört zu den drei umsatzstärksten Werken in diesem Sektor weltweit (nur Optimal in Deutschland und GZ in der Tschechischen Republik sind etwas größere). Nach dem Tiefpunkt im Jahr 2010 vervielfachte sich die Auftragslage von URP derart rasant, dass das Unternehmen Mitte 2014 erklärte, es werde eine zweite Fabrik eröffnen, die Vinylpressmaschinen von 22 auf 38 aufstocken und statt 150 über 250 Mitarbeiter beschäftigen. Ein eindeutiger Indikator für die Wiederauferstehung der Schallplatte, den ich bei June Records hautnah miterlebte, und damit auch ein Zeichen für das Wachstum der postdigitalen Wirtschaft, die eine neu entfachte Nachfrage nach analogen Gütern stillt.

    Nicht ohne Grund nennt man Nashville Music City. Wenn man dort mit einer Gibson-Gitarre unterwegs ist (die Traditionsfirma ist in Nashville zu Hause), wird man unweigerlich jemanden kennenlernen, der im Musikbusiness arbeitet. Angefangen vom Grand Ole Opry und dem Johnny Cash Museum bis hin zu Country-Bands, die auf der Honky-Tonk-Meile des Broadway spielen, dreht sich in Nashville alles um Musik. Das süße Wimmern einer Slide-Gitarre im Country-Stil steht nach wie vor für den typischen Nashville-Sound, allerdings sind neuerdings zahlreiche Rock- und Indie-Musiker in die Stadt gezogen, die aufgrund der niedrigen Mieten, des großen Angebots an Aufnahmestudios und der vielen talentierten Gleichgesinnten attraktiv für sie ist. Heute steht Nashville genauso für den rauen Roots-Rock von Jack White oder den Black Keys wie für Taylor Swifts ausdrucksvolle Popmusik oder Fiedeln und Lieder über Pick-ups.

    Direkt südlich von Downtown Nashville befindet sich in Wedgewood Hill, in einem Industriegebiet zwischen Lagerhäusern und Fabriken, die Produktionshalle von United Record Pressing. Am Eingang blickt man auf zwei übergroße Schallplatten, die in die Fassade eingelassen sind. Wenn man über den Parkplatz geht, knirschen kleine geschmolzene Vinylstückchen unter den Füßen. Im Inneren des Gebäudes scheint alles aus Vinyl zu bestehen: Schallplatten hängen eingerahmt an den Wänden und stapeln sich auf dem Boden, Stühle, Lampen, Schreibtische, Bodenfliesen und Wandverkleidungen mit Holzmaserung, alles ist aus dem schwarzen Kunststoff. Abgesehen von den Schallplattenhüllen aus Pappe, Metallpressen und vergilbenden Bildern von Künstlern wie Lionel Ritchie oder Rick James besteht so ziemlich alles an diesem Ort aus dem bearbeiteten Nebenprodukt von Erdöl, das im Dienste der Musik gepresst wird.

    Das Unternehmen fing im Jahr 1947 als Bullet Plastics an und war die erste Fabrik mit einer Vinylpresse in der Stadt. Einige Jahre später änderte Bullet seinen Namen zu Southern Plastics und schließlich zu United Record Pressing. Das aktuelle Gebäude dient seit 1962 als Produktionsstätte, und dort wurden einige der wichtigsten Schallplatten der Popmusik produziert: Singles von Elvis und Johnny Cash auf dem Label Sun Records, Platten aus der Blütezeit von Motown und Stax und sogar die erste Platte der Beatles, die in Amerika gepresst wurde. Wenn sich in den Staaten eine Scheibe auf einem Plattenspieler drehte, stammte sie höchstwahrscheinlich aus diesem Gebäude.

    An diesem Ort fühlt man sich wie in einer Raum-Zeit-Schleife. Auf der oberen Etage befindet sich ein Apartment mit Möbeln, das seit der Zeit der Kennedy-Regierung nicht verändert wurde. Es wird »Motown Suite« genannt und diente als Unterkunft für Größen aus der Musikbranche mit schwarzer Hautfarbe, als in Nashville noch Rassentrennung herrschte. In der »Suite« gibt es ein Schlafzimmer mit einem Paar schwarzer Lederschuhe auf dem Boden, die dort seit Jahrzehnten stehen, weil niemand weiß, ob sie einer berühmten Persönlichkeit wie beispielsweise Smokey Robinson gehörten oder ob einfach irgendein beliebiger Typ seine Schuhe vergessen hat.

    »Musik besteht bloß aus Schwingungen in der Luft«, sagte Jay Millar, der damalige Marketingchef von URP (er arbeitet nun beim Label Sundazed), der den Prozess des Vinylpressens erklärte. Wir befanden uns im großen »Wohnzimmer« im ersten Stock der Fabrik, das häufig für Liveaufnahmen mit Künstlern aus der Umgebung verwendet wurde; die Scheiben erschienen dann als limitierte Sondereditionen. »Wenn eine Platte abgespielt wird, reproduzieren die Rillen in der Platte diese Schwingungen; die Nadel nimmt sie auf und verstärkt sie.«

    Das hört sich einfach an und ist es auch, einerseits, und dann wieder doch nicht. Aber es ist auf jeden Fall ein guter Einstieg in die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um analoge Musik in ein physisches Produkt zu verwandeln. Schauen wir uns doch einmal Taylor Swifts Album 1989 an. Um die Schwingungen eines Liedes wie beispielsweise »Shake It Off« auf eine Schallplatte zu übertragen, sind verschiedene Schritte nötig. Zunächst müssen Swift und ihre Band das Album im Studio aufnehmen, wo der Produzent die bearbeiteten Lieder abmischt und ein Tontechniker die Lautstärke der einzelnen Spuren anpasst. Das Master-Recording wird dann durch eine Schneidemaschine in Rillenform in eine Aluminiumscheibe geschnitten; diese Maschine ist im Grunde ein umgekehrter Plattenspieler, der anstelle einer Nadel einen Kopf mit Diamantspitze hat. Die Aluminiumscheibe ist mit einem schwarzen Lack beschichtet, der an Nagellack erinnert, und die Rillen darin bilden die Höhen und Tiefen der Schallwellen jedes Songs ab: Diese kleinen Vertiefungen kann man auf einer Schallplatte sehen.

    Als Nächstes wird die lackierte Master-Disc in metallene Pressmatrizen umgewandelt. Dieser Prozess ist kompliziert und dafür braucht es chemische Bäder, Taschen voller Nickelnuggets, elektrischen Strom und verschiedene sich wiederholende Produktionsschritte. Die metallenen Pressmatrizen sowohl für die A- als auch die B-Seite einer Platte werden dann in einer Pressmaschine befestigt. Im Grunde genommen presst jede Maschine wie ein riesiges Waffeleisen mit etwa 2700 Kilo hydraulischem Druck die Rillen der Schallwellen von Swifts Lied in ein »Plätzchen« aus geschmolzenem PVC in Größe eines Hockeypucks. Etwa 30 Sekunden benötigt die Maschine pro Platte.

    Der Herstellungsprozess hört sich zwar automatisiert an, ist aber sehr komplex, weshalb viel menschliche Mitarbeit erforderlich ist. Von der Feuchtigkeit über die jeweilige Metallmischung in der Pressmatrize bis hin zur Beschaffenheit des PVC, alles kann die Qualität der Schallplatte beeinflussen. Mit Mikroskopen, an Hörstationen und mit dem menschlichen Auge kontrolliert URP die Tonträger ständig nach Unebenheiten, Kratzern oder anderen »Oberflächengeräuschen«, die eine Nadel aufnehmen würde. Bis zu 20 Prozent der produzierten Schallplatten müssen nach der Inspektion vernichtet werden. Die aussortierten Tonträger kommen in eine Maschine, die das Label ausstanzt und dann das Vinyl zerkleinert, damit es eingeschmolzen und wieder zu neuen Schallplatten gepresst werden kann.

    »Diesen Prozess kann man einfach nicht standardisieren«, sagte Millar und warf ein Metallica-Album mit einem schlecht aufgeklebten Label dumpf scheppernd in die Maschine. »Er ist einfach zu empfindlich. Jeden Tag taucht ein neues Problem auf. Wären wir Bäcker, müssten wir unsere Öfen und Backbleche täglich wechseln.« Musik ist die größte Variable. Platten verfügen über begrenzten Platz für Informationen, und je mehr man daraufpacken will (nehmen wir ein besonders lautes Heavy-Metal-Album als Beispiel oder basslastige Tanzmusik), desto mehr Informationen müssen in die schmalen Rillen gepresst werden. Das erfordert auf jeder Produktionsstufe kleine Änderungen.

    »Bisher hatte jeder meiner Jobs etwas mit Musik zu tun«, erklärte Millar, ein schlanker, gedrungener Enddreißiger. Er sprach mit einem Akzent, der irgendwo zwischen seiner Heimatstadt Detroit, New York (wo er viele Jahre gelebt hatte) und Nashville anzusiedeln war. Seine erste Stelle fand er in einem Plattenladen, anschließend arbeitete er für Polygram, BMG und Universal im Marketing. Er und seine Frau zogen 2006 nach Nashville, nachdem Millar dort ein Konzert von Tom Waits gesehen und sich in die Stadt verliebt hatte. Er wurde kurz darauf von United Record Pressing eingestellt und stieg ganz schnell zu einer Schlüsselfigur bei der Renaissance von Vinyl auf.

    »Ich bin eine sehr gute Verkörperung der Rückkehr zu Vinyl«, sagte Millar. »Ich habe Schallplatten, Kassetten, CDs und MP3s gehört. Ich habe alle meine Musiktonträger gratis bekommen und lebte damals in einer kleinen Wohnung in New York, wo sich CDs stapelten.« Als Millar aber seinen ersten iPod bekam, änderte sich etwas. Die Stücke von seinen CDs konnten nun auf verschiedenen Computern gespeichert werden, weswegen ihre physische Präsenz keine große Rolle mehr spielte, aber im Laufe der Zeit vermisste Millar den Bibliothekscharakter seiner Musik: die kunstvoll gestalteten Cover, die Haptik und den Anblick, den wahrnehmbaren Unterschied in der Tonqualität zwischen verschiedenen Alben.

    »Mir ging ein Licht auf. Ich erkannte, dass die Schallplatte all diese Dinge vereinte.« Millar verkaufte seine CDs und legte sich mit dem Geld LPs zu. »Digitalisierung ist wahnsinnig bequem, aber Vinyl ist der Gipfel des Musikerlebnisses auf allen Ebenen«, sagte er, erklärte dann aber direkt, dass er sich nicht auf Analoges versteift habe. Er höre ständig digitale Musik: im Auto, wenn er joggen geht oder wenn er seine Platten nicht zur Hand hat. Seine Frau arbeitet sogar als Produktionsmanagerin für digitale Medien bei Warner Music. »Beim Digitalen geht es darum, dass jeder seine Musik hören kann, der wahre Musikliebhaber aber kauft Vinyl.«

    Nichts davon erklärt allerdings die Rückkehr von Vinyl als wirtschaftliches und kulturelles Phänomen. Es ist eben nicht so, als wären Millars »wahre Musikliebhaber« ein winziges Grüppchen, das plötzlich auf zehnfache Größe anwuchs, so wie es in den USA und im Rest der Welt im Schallplattengeschäft seit 2007 geschehen ist. Wie war es zuvor um den Markt für Schallplatten bestellt, und warum expandierte er nun so schnell?

    Zunächst einmal ein wenig Geschichte: Kommerzielle Schallplatten wurden 1931 von RCA Victor erfunden; die Basis dafür waren Fortschritte im Bereich Kunststofftechnik, wodurch leichtere, robustere und widerstandsfähigere Platten hergestellt werden konnten als die damals verbreiteten spröden Wachs- und Schellackscheiben für Grammophone, welche mit 78 Umdrehungen pro Minute (UpM) abgespielt wurden. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich die neuen Platten durch, als Columbia 1948 die 12-Zoll-Schallplatte auf den Markt brachte, die 45 Minuten Musik mit 33 ⅓ UpM abspielen konnte. Ein Jahr später kam die 7-Zoll-Single heraus, die acht Minuten Musik mit 45 UpM spielte. Diese beiden Formate, 12-Zoll-Alben und 7-Zoll-Singles, wurden nach dem Krieg zu Standardgrößen für die Herstellung, den Verkauf und die Wiedergabe der neuen Popmusik, zu Hause, in Jukeboxen und auch im Radio.

    Vinylschallplatten hatten viele Nachteile; sie waren groß und schwer, außerdem war die Vinyloberfläche empfindlich: Sie bekam mit der Zeit Kratzer, die die Nadel springen ließen. Platten zogen Staub an und luden sich elektrisch auf, sie nahmen in Geschäften und zu Hause viel Platz ein und schmolzen in der Sonne. In einem Auto konnte man sie nicht abspielen, vom Joggen mit einer Schallplatte wollen wir gar nicht erst reden (allerdings joggte damals auch noch niemand). Dann, im Jahr 1979, brachte Sony seinen ersten tragbaren Kassettenrekorder heraus, den Walkman, vier Jahre später folgte die Compact Disc (CD). Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein Vater uns 1985 den neuen, magischen CD-Player vorstellte. Mit einem eleganten Surren öffnete sich automatisch die Lade, vorsichtig legte er eine kleine silberne Scheibe ein. Das Haus wurde von kristallklarem Klang erfüllt (George Bensons Beyond the Blue Horizon, immer noch eines meiner liebsten Jazzalben), und man konnte per Knopfdruck zwischen den Lieder hin- und herspringen. Dies war das musikalische Format für das heraufziehende Zeitalter des PCs, eine nüchterne, mysteriöse schwarze Kiste, die irgendwie mit Laser und durch digitale Verarbeitung Musik zum Klingen brachte. Wir waren in der Zukunft angekommen!

    Ab den 1970er-Jahren wurden langsam immer weniger Platten verkauft, weil sie von 8-Spur-Kassetten und Kompaktkassetten verdrängt wurden. Zwar erreichten Singles im Jahr 1973 mit 228 Millionen verkauften Exemplaren in den USA noch einen Höhepunkt; Alben waren 1978 mit 341 Millionen Verkäufen auf ihrem Zenit. Aber der rasante Aufstieg der CD ließ die Schallplatten bald alt aussehen; die Verkäufe fielen zwischen 1984 und 1988 um die Hälfte, und auch danach ging es stetig bergab. Verkäufe von LPs brachen am dramatischsten ein (der Tiefpunkt war 1993 erreicht, als in den USA nur 300 000 Alben verkauft wurden), Singles hingegen, die immer noch in Jukeboxen, von DJs und bei Radiosendern verwendet wurden, hielten sich etwas länger über Wasser. Dennoch waren die Verkaufszahlen bis weit in das 21. Jahrhundert hinein rückläufig, als CDs erst MP3-Downloads und dann dem iPod wichen. 2006 war der absolute Tiefpunkt von Vinyl erreicht. Weltweit wurden in jenem Jahr insgesamt bloß 3 Millionen neue Schallplatten verkauft, nur 900 000 davon in den Vereinigten Staaten; das war in etwa ein Viertel der Verkäufe, die Disneys Filmsoundtrack High School Musical als CD und Download verbuchen konnte.

    Mark Michaels, der Eigentümer und CEO von United Record Pressing, hatte das Unternehmen im Jahr 2007 gekauft, nach einer erfolgreichen Karriere als Berater für globales Management und außerbörsliches Eigenkapital. In seiner Freizeit sammelte Michaels Schallplatten, und er hatte das Gefühl, dass URP im Laufe der Zeit ein schönes, stabiles Geschäft sein und Geld abwerfen würde. »Der Marktanteil von kommerziellem Vinyl innerhalb der Industrie hatte sich auf ein Minimum reduziert«, erinnerte er sich bei unserem Telefonat in seinem Büro in Chicago. Aber Plattenlabels pressten nach wie vor Platten zur Promotion jeder neuen Single, und das war das Kerngeschäft von URP. »Dieser Anteil war klein und stabil«, erinnerte sich Michaels, aber ihm war nicht bewusst, wie plötzlich das Geschäft mit Schallplatten zu Promotionzwecken ins Bodenlose stürzen würde. »Ich habe es nicht kommen sehen, aber die Labels schauten sich Geschäftsmodelle an und ihnen wurde klar, dass es sich nicht rechnete, 20 000 Platten zu verschenken.« Als die Weltwirtschaftskrise ein Jahr später zuschlug, war das Unternehmen am Ende. Michaels flehte die Kreditgeber um Geduld an und entließ den Großteil der Angestellten von URP. Viele der Maschinen waren nicht ausgelastet.

    Die Schallplatte war ganz offiziell tot. Wie es ein alter Hase aus der Musikbranche mir gegenüber formulierte: Sie waren zu jener Zeit eine statistische Anomalie, ein Rundungsfehler in der Bilanz von Plattenfirmen, der Bruchteil eines Bruchteils von einem Prozent verkaufter Produkte. Bis zum Jahr 2007 befand sich die Musikindustrie mitten im Kampf gegen illegale Downloads und Piraterie, und die Zukunft – mochte sie noch so unsicher und turbulent sein – schien klar: digitale, körperlose Musik, die kabellos zu jeder Zeit überallhin übertragen werden konnte. Auch die CD-Verkäufe fielen ins Bodenlose, und sogar bezahlte digitale Downloads stagnierten, weil Streamingdienste wie Spotify immer beliebter wurden. Physische Tonträger waren auf dem absteigenden Ast. Vinyl war bloß das erste Opfer.

    Dann kam seine Rückkehr.

    »Nach allem, was man hört, wurde Vinyl ganz offensichtlich von der Industrie durch ein ›besseres‹ Produkt ersetzt, es sollte eigentlich heutzutage ausgestorben oder zumindest nur noch in Museen und Antiquariaten als altmodische Inkunabel vorhanden sein«, schrieben Dominik Bartmanski und Ian Woodward 2015 in ihrem faszinierenden Buch Vinyl: The Analogue Record in the Digital Age. »Stattdessen geschah aber etwas anderes … Vinyl erlebte eine Renaissance in einer viel größeren Gesellschaftsgruppe, zu einem Zeitpunkt, als die digitale Revolution gerade vollendet schien.«

    Gemäß der Recording Industry Association of America wuchs der Versand von LPs allein in den Vereinigten Staaten von 990 000 im Jahr 2007 auf mehr als 12 Millionen im Jahr 2015; die jährlichen Wachstumsraten betrugen mehr als 20 Prozent. Verschiedene Quellen berichteten, dass Vinyl im Jahr 2015 fast ein Viertel der Einnahmen aus Musikverkäufen ausmachte und damit werbefinanziertes Streaming überholt hatte, während die Verkaufszahlen von bezahlten Downloads und CDs weiterhin sanken. Der Verkauf von neuen Schallplatten generierte allein im Jahr 2014 einen Umsatz von 346,8 Millionen Dollar für die Musikindustrie, und der Handel mit gebrauchten Schallplatten, der nach wie vor den Großteil des Geschäfts ausmachte, wahrscheinlich ein Vielfaches dieses Betrags.

    Seit dem Tiefpunkt vor etwa zehn Jahren sind die Verkaufszahlen von Schallplatten rapid, dramatisch und stetig gestiegen. Eine beeindruckende Umkehrung. Aus verschiedenen Gründen haben Menschen in den vergangenen zehn Jahren mehr Schallplatten (neue und gebrauchte) gekauft als in den gesamten zwanzig Jahren zuvor.

    Warum?

    Zunächst einmal war die Schallplatte nie tot. Der Verkauf neuer Alben fiel zwar auf einen Tiefpunkt, da Tonträger aus Vinyl ursprünglich nahezu 100 Prozent der Musikverkäufe ausmachten, aber die vorhandenen Platten auf dem Markt, und die gab es milliardenfach, waren eine tatsächliche Größe und verschwanden nicht einfach. Sie hielten in Regalen, Kisten und Boxen in Plattenläden, auf Flohmärkten und in Kellern ihren Winterschlaf. Jeder Schallplattenspieler, der zu jenem Zeitpunkt existierte, war nach wie vor eine physische Realität. Die Infrastruktur war zwar stillgelegt, aber dennoch weitgehend funktionstüchtig. »Der Markt war immer gut«, sagte Heinz Lichtenegger, CEO des österreichischen Plattenherstellers Pro-Ject Audio Systems, der im Jahr 1991 sein eigenes Unternehmen gründete, das Plattenspieler aus dem mittleren und oberen Segment zu einer Zeit verkaufte, in der andere Hersteller wie Technics die Produktion einstellten. »Vom ersten Tag an hatte ich Lieferrückstände«, erinnerte er sich. Die Stammkunden von Pro-Ject waren treue Audiophile und unternehmenskritische Punks, deutsche Jungle-DJs und wohlhabende Sammler. Sie waren bereit, mehr für Schallplatten zu zahlen, und ermöglichten dadurch eine kleine Nische, in der viele Plattenläden, Presswerke und Hersteller von Plattenspielern die schlimmsten Jahre überdauern konnten.

    Es gab einige Wachstumsmärkte für Vinyl, besonders bei Underground-Genres wie Punk, Hip-Hop und Dance Music. Ton Vermeulen kaufte 1998 ein Sony-Werk am Rande von Amsterdam, das Dance Music für den riesigen europäischen Nachtclubmarkt auf Platte presste. »Als ich in das Geschäft einstieg, wuchsen wir rasant. Nicht weil der Absatz von Vinyl anstieg, sondern weil viele Presswerke gerade aufgegeben hatten.« Vermeulen schätzte, dass selbst damals im Jahr 2000 weltweit mehrere zehn Millionen Platten gepresst wurden, größtenteils für den Clubmarkt, der für die DJs neue Singles, Beats und Tracks benötigte.

    Zweitens half gerade das Digitale bei der Rettung der rein analogen Platte, deren Ende es doch fast herbeigeführt hätte. Nachdem Plattenläden schlossen, wurde der Vinylmarkt immer mehr zur Nische und die Fans nutzten das Internet, um Schallplatten zu kaufen und zu verkaufen. Millionen von Platten wurden auf eBay angeboten, bei Amazon und auf der riesigen Verkaufsplattform Discogs gehandelt. Inzwischen waren die Vorteile von digitaler Musik zu Nachteilen geworden. Die Einführung von MP3 traf CDs härter als Platten, und CDs (die keinen akustischen oder ästhetischen Vorteil gegenüber digitalen Dateien hatten) wurden zum obsoleten Zwischenstopp auf dem Weg zu mobileren und platzsparenden MP3s. Da das illegal heruntergeladene Album ohne Qualitätsverlust unendlich oft vervielfältigt werden konnte, unterschied es sich in keiner Weise von einem legal erstandenen. Napster legte diese Wahrheit 1999 offen, und die Musikindustrie erholte sich nie wieder davon. Sobald Musik von jedem physischen Objekt entkoppelt war, überstieg das Angebot die Nachfrage in einem derartigen Ausmaß, dass die Leute ganz einfach nicht mehr dafür zahlen wollten. Plötzlich war ein Album nicht mehr ein begehrenswertes Objekt, für das man gern Geld ausgab. Alle Hörer digitaler Musik sind gleich. Der Erwerb ist schmerzlos. Geschmack spielt keine Rolle. Auf einem Streamingdienst prahlt man nicht mit seiner iTunes-Bibliothek oder der Qualität seiner Playlisten. Musik wurde zu schieren Daten, zu Einsen und Nullen auf der Festplatte, die man weder sehen noch anfassen konnte. Nichts ist weniger cool als Daten.

    Zwischenzeitlich wurden aus den einstigen Nachteilen von Vinyl reizvolle Assets. Platten sind groß und schwer, man muss für sie bezahlen, sie sorgsam behandeln, braucht Geschmack beim Erstellen einer Sammlung, und die Scheiben spielen sich nicht von allein ab; außerdem schreien sie geradezu danach, dass man sie genauer in Augenschein nimmt und Plattenkisten nach ihnen durchstöbert. Weil Hörer für ihre Platten Geld ausgeben, haben sie das Gefühl, ihnen würde die Musik gehören, und das macht sie stolz.

    Vinylschallplatten eroberten sich ihren Status in der Gegenkultur zurück, was sie wieder ins Zentrum der Jugendkultur katapultierte. »Die Kids kauften auf einmal Platten«, sagte Tom »Grover« Biery, ein Musikmanager aus Los Angeles, der bei Warner Music eine Schlüsselrolle innehatte, als die Verkaufszahlen von Vinyl wieder anstiegen. »Weil iPods und Facebook nun schon bei ihren Eltern angekommen waren, suchten die Kids nach etwas anderem. Wenn die Eltern etwas gut fanden, war es einfach nicht mehr cool … wie beim Rock ’n’ Roll. Und Vinyl war für die Eltern kein Thema mehr.«

    Im Rahmen einer britischen Studie aus dem Jahr 2015 fand man heraus, dass die stärkste Konsumentengruppe von Schallplatten 18- bis 24-Jährige waren, und die Forschungsgruppe MusicWatch kam zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte aller Käufer von Vinyl unter 25 waren. Keine alternden Retrohipster also. Keine mürrischen alten Kerle, sondern Kids, die Schallplatten neu entdeckten. Während die Eltern aus der Generation der Babyboomer von ihren neuen iPads und Spotify-Accounts schwärmten, entstaubten deren Kinder alte Plattenspieler und kauften neue Alben – mit echtem Bargeld. Schallplatten wandelten sich vom Retrofetisch zu einem coolen neuen Artikel. Plattenspieler tauchten in Werbekampagnen, Modemagazinen und Boutiquehotels auf. »Seit der Eröffnung im Jahr 2011 ist kein einziger Tag vergangen, an dem ich nicht Kids Anfang 20 gezeigt habe, wie man eine Nadel auf eine Schallplatte setzt«, erzählte Craig Brown, Inhaber des Plattenladens Heights Vinyl in Houston, Texas. »Diese jungen Leute haben zum ersten Mal in ihrem Leben eine Platte in der Hand. Sie sind unsere Kunden.«

    Der dritte wichtige Grund für den Wiederaufstieg war wohlüberlegt und trug den Namen »Record Store Day«. Dieser jährlich begangene Aktionstag der Schallplattenindustrie findet am dritten Samstag im April statt und scheint der letzte Anstoß gewesen zu sein, der das Vinylrevival in den Mainstream katapultierte. Im Jahr 2007 trafen sich einige wenige Besitzer von Plattenläden, die sich zu einer Vereinigung namens »Department of Record Stores« zusammengeschlossen hatten, im Keller des Sound Garden, eines Ladens in Baltimore zu ihrem jährlichen Meeting. Das Gespräch drehte sich um die Geschäftslage, und sämtliche Besitzer erzählten dieselbe Geschichte: Jeder hatte während der 1990er-Jahre brutale und mörderische Preistreiberei von großen Konzernen wie HMV, Tower Records und Virgin überlebt, und alle mussten im letzten Jahrzehnt mit sinkenden CD-Verkaufszahlen fertigwerden. Und dennoch liefen ihre Geschäfte nun gut und sie verdienten Geld.

    »Wir haben mehrere Geschäfte eröffnet und 20 Prozent jährliches Wachstum verzeichnet«, sagte Chris Brown, CFO von Bullmoose, einer Kette von Plattenläden in New Hampshire und Maine mit elf Niederlassungen. Zu jener Zeit verdoppelte Bullmoose die Größe seiner bestehenden Läden und riss Wände ein, um Platz für mehr Vinyl und Bücher zu schaffen. »Das widersprach völlig dem, worüber alle berichteten«, erklärte Brown. Obwohl diese Geschäfte Gewinn abwarfen, waren sie in den Augen der Öffentlichkeit fast schon tot. Regelmäßig kamen Kunden und fragten mitleidig: »Wie läuft es bei euch?« Plattenläden waren für alle ziemlich unwichtig geworden, außer für die leidenschaftlichsten Musikfans, und das beeinflusste ihre Identität.

    » Einst kämpften die Angestellten um Neuerscheinungen«, erinnerte sich Michael Kurtz, der das Department of Record Stores leitete. Der erste Zugriff auf ein neues Album war für einige der Grund, in einem Plattenladen zu arbeiten. »Nun war alles früher im Internet verfügbar als im Laden. Unsere eigenen Angestellten interessierten sich nicht mehr für uns. Die Zahl jüngerer Frauen, die in unseren Geschäften arbeiten wollten, sank auf null«, erinnerte sich Kurtz. »Wir waren plötzlich wie die Nerds aus den Comicläden.«

    Eric Levin spitzte die Ohren, als jemand bei dem Meeting im Sound Garden denselben Witz über Comicnerds riss. Levins Geschäft (Criminal Records in Atlanta) hatte erst vor kurzem eine Veranstaltung für den Free Comic Book Day ausgerichtet, eine Werbeveranstaltung der Comicindustrie, die sich als ungemein beliebt erwiesen hatte. Warum sollte man so einen Tag nicht auch in Plattenläden einführen, um der Öffentlichkeit und den Medien zu zeigen, dass diese Geschäfte immer noch existierten? »Ich hatte gelesen, wir wären tot; um uns sollte es noch schlimmer stehen als um Autohändler«, erklärte Levin und beschrieb damit die damalige gängige Meinung über Plattenläden. »Aber in meinem Laden hatten wir wirklich Spaß, stellten Leute ein, versicherten sie und verdienten Geld. Warum berichteten die Zeitungen so negativ über uns? Die Reporter wollten einen Beweis. Sie wollten einfach nicht an einen Erfolg glauben. Es passte nicht zu ihrer vorgefassten Meinung. Es widersprach ihren Berichten. Es war ungewöhnlich: ›Wie kann es euch denn gut gehen, Musik ist doch jetzt umsonst? Wenn sogar Tower zumacht? Wenn es Best Buy nicht gut geht?‹«, erzählte Levin. Obwohl die meisten Geschäfte immer noch weit mehr CDs als Platten verkauften, bestand Levin auf dem Schwerpunkt Vinyl, weil man so das Gespräch der Besucher auf die Läden als solche richtete.

    In den Monaten vor dem ersten Record Store Day besuchte Kurtz Tom »Grover« Biery in Los Angeles, den damaligen Geschäftsführer von Warner Music. Biery führte Warners neu entfachtes Interesse an Vinyl auf eine Begegnung mit Neil Young zurück, der Anfang der 2000er-Jahre in das Büro gekommen war, um sich eine digital bearbeitete Sammlung seiner größten Hits anzuhören, die Warner auf CD herausbringen wollte. Young war so enttäuscht von der Klangqualität, dass er eine leidenschaftliche Rede darüber hielt, wie es möglich war, dass beim Endprodukt niemand mehr für die Musik und die Künstler geradestand. »Damals trafen wir die bewusste Entscheidung, den Schwerpunkt auf Vinyl zu legen«, erklärte Biery. »Dabei ging es nie um Einnahmen. Uns war es egal, ob wir Geld verdienen oder verlieren würden, die Entscheidung war für unser Markenbewusstsein wichtig.« Warner war schon – wie sämtliche Plattenfirmen damals – finanziell ausgeblutet und hatte in dem Moment nichts mehr zu verlieren, als das Unternehmen das alte, aber bewährte Format entstaubte.

    Warner fing langsam mit der Veröffentlichung von kleinen Auflagen ausgewählter Alben an, die für Audiophile und Sammler oder als Merchandisingprodukt gedacht waren, das auf Tour verkauft werden konnte. Diese Alben wurden auf schwereres Vinyl gepresst, damit sie gediegener wirkten (und auch besser klangen, wie einige behaupteten). Es handelte sich um Platten von Wilco, den White Stripes und anderen. Nachdem Kurtz Biery von der Idee für den Record Store Day erzählt hatte, bewilligte Warner eine kleine finanzielle Unterstützung für das Marketing. Wichtiger war aber, dass Warner die Läden mit Platten in limitierter Auflage von Künstlern wie Death Cab for Cutie, R.E.M., Vampire Weekend und Jason Mraz versorgte, die dann nur am Record Store Day in sich beteiligenden Geschäften erhältlich sein würden. Etwa 300 Geschäfte in Nordamerika und Großbritannien nahmen am ersten Record Store Day am 19. April 2008 teil. Bemerkenswert war, dass Warner Metallica als offizielle Botschafter für den Record Store Day gewinnen konnte; die Bandmitglieder gaben Autogramme bei Rasputin Music in Mountain View, Kalifornien.

    Der Tag war ein voller Erfolg. »Zum ersten Mal haben Leute in Schlange angestanden, bevor der Laden überhaupt geöffnet war«, erinnerte sich Kurtz. »Das hat es noch nie zuvor gegeben.« Viele Geschäfte berichteten über Verkaufszahlen, die bis zu 50 Prozent höher lagen als sonst. Die Presse kam in Scharen, und die positive Berichterstattung war genau das, worauf Levin gehofft hatte. Der Record Store Day breitete sich weiter aus. Bis zum Jahr 2009 ließen die Verkaufszahlen an diesem einzigen Tag den Black Friday – den Freitag nach Thanksgiving, den Beginn der Weihnachtseinkaufssaison – oder Weihnachten alt aussehen. Weitere Geschäfte, Konzerte und exklusive Veröffentlichungen folgten. Sammler warteten über Nacht, um limitierte Record-Store-Day-Platten zu bekommen, die sie gleich danach für ein Vielfaches wieder im Internet verkauften. Zwar beschwerten sich die Inhaber der Läden und die Fans

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