Alles ist Arbeit: Mühe und Lust am Ende des Kapitalismus
Von Mareile Pfannebecker und James A. Smith
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Über dieses E-Book
Packend zeichnen Mareile Pfannebecker und James A. Smith nach, wie sich ein Regime etablieren konnte, das sie »Lebensarbeit« nennen. Dabei stützen sie sich auf soziologische Erhebungen, philosophische wie politische Theorien, Berichte von Arbeiter*innen und Popkultur – von Adorno zu Tiqqun, von Jean-Luc Nancy zu Amy Winehouse.
Weil jeder Aspekt des Lebens von Arbeit kolonialisiert wird, ohne dass diese noch unseren Lebensunterhalt garantiert, müssen wir neue Fragen stellen: Kann uns ein nostalgisches Bild davon, wie Arbeit früher war, heute noch weiterhelfen? Wie konnten Arbeit und Arbeitslosigkeit gleichermaßen zu prekärem »malemployment« werden, und wie können wir unsere Sehnsüchte der kapitalistischen Verwertung entziehen? Und schließlich: Wie lässt sich eine Post-Arbeits-Gesellschaft denken, in der wir auch tatsächlich leben wollen – in einer Zeit, in der das Ende der Arbeit und eine vollautomatisierte Zukunft gleichermaßen von Tech-Ideolog*innen aus dem Silicon Valley wie auch von sozialdemokratischer Politik und linker Theorie proklamiert werden?
»Eine provokante und wichtige Auseinandersetzung damit, wie Arbeit und ihre Anforderungen unsere Sehnsüchte und unsere Imaginationen von Zukunft durchdringen.« Nick Srnicek
»Ein einzigartiger Überblick über die derzeitigen Paradoxien der Anti-Arbeits-Politiken.« Sophie Lewis
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Buchvorschau
Alles ist Arbeit - Mareile Pfannebecker
MAREILE PFANNEBECKER, geboren 1981, ist Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin in Manchester. Sie schreibt zu Shakespeare sowie zur Gegenwartskultur und den Themen Arbeit und Feminismus.
JAMES A. SMITH, geboren 1985, lehrt Literatur und Theorie an der Royal Holloway University of London. Sein letztes Buch ist Other People’s Politics. Populism to Corbynism. Er kommentiert Politik und Kultur in englischen Medien und in seinem Podcast »The Popular Show«.
MAREILE PFANNEBECKER UND JAMES A. SMITH ALLES IST ARBEIT MÜHE UND LUST AM ENDE DES KAPITALISMUS AUS DEM ENGLISCHEN ÜBERSETZT VON MAREILE PFANNEBECKER EDITION NAUTILUSDie Originalausgabe des vorliegenden Buches erschien 2020 unter dem Titel Work Want Work. Labour And Desire At The End Of Capitalism bei Zed Books.
© Mareile Pfannebecker und James A. Smith 2020
Diese Übersetzung wurde in Übereinstimmung mit Bloomsbury Publishing Plc. publiziert.
Edition Nautilus GmbH
Schützenstraße 49 a
D - 22761 Hamburg
www.edition-nautilus.de
Alle Rechte vorbehalten
© Edition Nautilus GmbH 2021
Deutsche Erstausgabe März 2022
von den Autor*innen aktualisiert
und durch ein neues Vorwort ergänzt
Umschlaggestaltung: Maja Bechert
www.majabechert.de
Satz: Corinna Theis-Hammad
www.cth-buchdesign.de
Porträts der Autor*innen
auf Seite 2: © privat
1. Auflage
ePub ISBN 978-3-96054-291-9
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Einleitung: Alles wird zu Arbeit
Lebensarbeit
Nicht-Bäcker-Sein
Arbeitsnostalgie
Was tun in der Post-Arbeits-Utopie?
Literarischer Kommunismus
Arbeit als Vertreibung
Das Ende der Arbeitslosigkeit
»Ich möchte lieber nicht.«
Missbeschäftigung und Entschäftigung
Wir Jungen-Mädchen
Die Geschichte des Jungen-Mädchens
Amy oder Peaches?
Die harte Arbeit des Jungen-Mädchens
Drei Mal Wollen nach dem Kapitalismus
Der Jetsons-Fehlschluss
im Anti-Arbeits-Diskurs
Was will das Silicon Valley?
Repurpose your desire:
Umfunktioniertes Verlangen
Epilog: Teile deine Grenzen
Anmerkungen
Quellenverzeichnis
Namensregister
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Die englische Erstausgabe unseres Buches wurde Mitte März 2020 veröffentlicht, genau zu dem Zeitpunkt, als Länder auf der ganzen Welt weitreichende Lockdowns verkündeten. Jede Autorin und jeder Autor, die oder der das Pech hatte, in dieser Anfangsphase der Covid-19-Pandemie ein politisches Sachbuch neu herauszubringen, war zu der gleichen Aussage verdammt: »Die Pandemie hat die Trends, die in diesem Buch beschrieben werden, nur noch verstärkt und beschleunigt!« Das mag nach eigennütziger Berechnung klingen, und dennoch ist die Behauptung in den meisten Fällen gerechtfertigt. Wie der französische Schriftsteller Michel Houellebecq zu Beginn der Pandemie bemerkte: »Wir werden nach dem Lockdown nicht in einer neuen Welt aufwachen. Sie wird dieselbe sein, nur ein bisschen schlimmer.«¹ Die Pandemie kam Houellebecq zufolge den großen kulturellen und wirtschaftlichen Trends westlicher Gesellschaften zu Beginn des Jahres 2020 gerade recht.
Wir schrieben Alles ist Arbeit als hoffnungsvolle Beobachter des linken Aufwinds, der in den 2010er Jahren in Europa und den USA eine wachsende Wählerschaft fand, und in Opposition zur Sparpolitik nach der Finanzkrise von 2008. Das Buch begrüßt die Wiederbelebung linker utopischer Ideen, die zu dieser Zeit ihren Anfang nahm, und übt zugleich konstruktive Kritik an ihnen. Unser besonderes Interesse galt der Anti-Arbeits-Literatur, deren Ziel es ist, sich dem von uns beschriebenen Phänomen, bei dem jeder Teil unserer Existenz zu Arbeit gemacht wird, zu widersetzen. Als unser Buch dann erschien, war Jeremy Corbyn in Großbritannien erledigt und Bernie Sanders pfiff in den USA aus dem letzten Loch. Zu dieser Zeit des herben Erwachens hofften trotz allem einige Linke, dass die Pandemie ihre siegreichen Gegner dazu zwingen würde, die Rolle des Staates in der Wirtschaft, die Notwendigkeit sozialer Absicherung und den Wert der Arbeit anzuerkennen, ähnlich wie es ihre eigenen Projekte und Wahlprogramme gefordert hatten. Wir riefen damals in der britischen Zeitung The Independent zu mehr Skepsis auf. Die Anleihen, die Staaten zur Pandemiebekämpfung aufnahmen, sahen vielleicht wie eine Umkehr der harten Sparpolitik nach 2008 aus. Wir warnten jedoch, dass ein Staat, der mehr Geld ausgibt, durchaus in der Lage ist, gleichzeitig die im Rezessionsjahrzehnt entstandenen Formen der Marginalisierung und Ausbeutung weiter voranzutreiben.² In der Tat zeigte sich das Covid-Regime in der Folge als »dasselbe wie vorher, nur ein bisschen schlimmer«.
Wenn die Pandemie auch nur Entwicklungen verstärkte, die bereits im Gange waren, hat sie doch manche der Bruchlinien unserer Arbeitswelt, um die es in diesem Buch geht, ins Licht gerückt. Während des ersten Lockdowns wurde der Applaus zu Ehren des Krankenhaus- und Pflegepersonals in vielen Ländern der Welt zu einer einstudierten Geste. Im Vereinigten Königreich wurden Momente des politischen Zorns, ausgelöst durch den Skandal mangelnder Schutzkleidung sowie die Forderungen nach besserer Bezahlung für Pflegepersonal, bald durch ein besonders ernsthaft und ausdauernd betriebenes wöchentliches Ritual des Applauses für den Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) ersetzt – pünktlich um acht Uhr jeden Donnerstagabend, mit blauen NHS-Fähnchen in vielen Fenstern und NHS-Herzgraffiti an jeder Straßenecke. Auf Facebook wurden prompt diejenigen an den Pranger gestellt, die nach Ansicht ihrer Nachbar*innen nicht kräftig genug geklatscht hatten. Warum applaudierten wir nicht den Supermarktarbeiter*innen und Lieferant*innen, oder gar den Arbeiter*innen in der Lebensmittelproduktion, die ähnliche Risiken eingingen, um nicht minder systemrelevante Arbeit zu verrichten? Schließlich hatte die Prekarität von Gig-Economy-Beschäftigten wie denen von Uber, Lieferando und Amazon sowie von Saison- und Gelegenheitsarbeiter*innen in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelverarbeitung in einer Welt der Masseninfektion eine erschreckend physiologische Dimension angenommen. Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass wir den Glauben daran brauchen, dass Krankenpfleger*innen, Ärzte und Ärztinnen nicht einfach des Geldes wegen arbeiten. Anderen zu helfen ist ihr Traumberuf. Es war daher leicht, der Vorstellung zu verfallen, dass die neuen Risiken im Gesundheitswesen eine Art heroisches Opfer darstellten. Im Gegensatz dazu ist die sogenannte niedrigqualifizierte Arbeit in vielen anderen systemrelevanten Bereichen, wie wir stillschweigend annehmen, selten etwas anderes als eine Verdienstquelle. Die Tatsache, dass diese Arbeitnehmer*innen nun ähnliche Risiken eingingen, um miese Arbeit zu einem erbärmlichen Lohn zu verrichten, war einfach zu ungeheuerlich, um sie uns selbst einzugestehen. Für das britische Gesundheitspersonal an der Covid-19-Front, das ohne ausreichende Schutzkleidung in einer Gesundheitsinfrastruktur am Rande des Abgrunds zu kämpfen hatte, war der Traumjob inzwischen zum schlimmsten aller Albträume geworden. Wie eine Krankenschwester in einem Interview bemerkte: »Uns als Helden zu bezeichnen heißt nur, dass es okay ist, wenn wir sterben.«³
Zur gleichen Zeit erlebten jene, die den Lockdown zuhause verbrachten und versuchten, mit Kindern in der Wohnung zu arbeiten, dass Hausarbeit und Kinderbetreuung wahre Arbeit sind – und das eindrucksvoller als in den feministischen Traktaten, die wir in diesem Buch besprechen. Wer das Glück hatte – in Kurzarbeit oder ähnlichen Regierungsprogrammen –, bezahlt von der Arbeit freigestellt und gleichzeitig ohne Betreuungsaufgaben zu sein, lernte indessen aus erster Hand ein grundlegendes philosophisches Problem kennen, das wir in diesem Buch ansprechen: Wie kann man seine Existenz organisieren, wenn sie nicht länger entlang der kommodifizierten Arbeit strukturiert ist? Auch wenn die kurze, von Sorge und Einschränkungen durchwachsene Pause keine Utopie darstellte, ist eines unbestreitbar: Menschen auf der ganzen Welt verbrachten plötzlich viel Zeit damit, die gleichen Fernsehsendungen zu sehen. Eine der Serien, die uns gleich zu Beginn der Pandemie von den digitalen Medienplattformen aufgedrängt wurde und in vielen Ländern Rekordzuschauerzahlen brachte, handelte dann doch wieder von unserem Verhältnis zur Arbeit. Die Netflix-Doku-Serie Tiger King (2020) zeigte uns Arbeiter*innen in dem kaum regulierten Sektor der kleinen Zoos und Gnadenhöfe für Großkatzen im US-amerikanischen Süden. Wir folgen diesen Tierpfleger*innen durch lange Arbeitstage zu niedriger Entlohnung und erfahren von bei der Arbeit erzwungenem Drogenkonsum, von sexueller Ausbeutung und von Verbrechen, bei denen die Beschäftigten zu Mittäter*innen werden. Die Show bot zugespitzte Versionen von Arbeitserfahrungen, von denen viele ihrer Zuschauer*innen durch Kurzarbeit vorläufig befreit waren. In Tiger King ist Joe Exotic der albtraumhafte Chef eines Tigerreservats, ein Angeber und Schwaller, der Musikvideos dreht, wie eine Vokuhila-Version von Michael Scott in The Office (US), während seine Angestellten und die Tiger, in unheimlicher Verschmelzung der ausgebeuteten Tier- und Menschenkörper, von der gleichen Ladung abgelaufenen, aus Walmart-Mülltonnen gestohlenen Fleisches essen. In einer bizarren Kristallisierung aller #MeToo-Erfahrungen am Arbeitsplatz werden weiblichen Angestellten eines rivalisierenden Zoos ungefragt Termine zur Brustvergrößerung zugeteilt, und wir erfahren, dass ihre beruflichen Aufstiegschancen davon abhängen, ob sie bereit sind, sich dem polygamen Haushalt des Besitzers anzuschließen. Doch wo der Zoo Zuschauer*innen im Lockdown nicht nur karikativ-überzeichnete Auswüchse der Arbeitswelt präsentierte, die sie vorübergehend hinter sich gelassen hatten, enthielt er gleichzeitig auch den Keim einer Post-Arbeits-Fantasie. Joe Exotic versprach arbeitslosen Obdachlosen in ihrem Kampf durch die Rezession der 2010er Jahre Erlösung. Immer wieder hören wir von Exotics Angestellten, dass die Arbeit mit den schönen Tigern ein »Traumjob« sei, eher eine Lebensaufgabe als kommerzielle Arbeit. Nachdem er von einem Tiger angegriffen wurde, lehnt ein Arbeiter sogar eine Behandlung im Krankenhaus ab, die seinen Arm vor der Amputation hätte retten können, um dem Zoo schlechte Presse zu ersparen und wieder mit den geliebten Tieren arbeiten zu können. Letztlich war die zentrale Frage, die von der Sendung aufgeworfen wurde, derjenigen nicht unähnlich, die dem Beifall für die Krankenpfleger*innen zugrunde lag: Wie kann eine Arbeit, die so gefährlich ist und sich so absolut von den bedeutungslosen Bullshit-Jobs unterscheidet, denen viele der Zuschauer*innen der Sendung nachgehen, überhaupt als Arbeit angesehen werden? Die Realitätsflucht, mit der Tiger King Menschen im Lockdown massenweise anzog, war eigenartig und bedrückend. Eine Post-Arbeits-Utopie/Dystopie, welche die Vorstellung, dass wir unserer defekten Arbeitswelt entkommen könnten, gleichzeitig ausmalt und im Keim erstickt.
Einen Moment lang hat die Pandemie sowohl soziale Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz als auch die Unzufriedenheit vieler mit ihrer Arbeit selbst sichtbar gemacht. Einige scheinen es nun sogar zu schaffen, all dem zu entkommen. Im ersten Kapitel gehen wir auf eine der hoffnungsvolleren Reaktionen auf eine zunehmend erniedrigende Arbeitswelt ein, auf die Subkultur der Arbeitsverweigerer. Diese scheinen im Jahr 2021 eine beträchtliche Erweiterung gefunden zu haben: In der »Great Resignation«, der größten Kündigungswelle seit zwanzig Jahren, schmissen vor allem amerikanische, aber auch europäische Arbeitnehmer*innen ihren Job hin. Zu den angegebenen Gründen zählen Angst vor dem Virus, Frustration über unzuverlässige Schulöffnungen und Kinderbetreuung, Ersparnisse aus der Lockdown-Zeit, die einen Neustart ermöglichen, und eine erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften in verschiedenen Bereichen. Sind dies die Anfänge eines breiteren Anti-Arbeits-Bewusstseins? Einige Kommentator*innen ziehen den Schluss, dass die pandemische Unterbrechung es endlich ermöglicht hat, die zentrale Bedeutung der Arbeit für unser Leben und unsere Identität zu hinterfragen. Diese Entwicklung passt in das historische Muster, das wir in Alles ist Arbeit aufzeigen: Post-Arbeits-Utopien machen sich in Zeiten großer Not und Ausbeutung am stärksten bemerkbar. Aber eben weil die Zeiten schlecht sind, besteht die Gefahr, die dunkleren Seiten des Verschwindens aus der Arbeit während der Pandemie aus dem Blick zu verlieren.
Im Buch definieren wir Missbeschäftigung als Arbeit, die keine ausreichende Lebensgrundlage schafft oder das Wohlbefinden der Arbeitenden auf andere Art schädigt, und beschreiben Entschäftigung als eine Strategie, bei der Regierungen den Beschäftigungsstatus als Hebel einsetzen, um Teile der Bevölkerung aus den wirtschaftlichen Statistiken herauszuhalten und sogar aus der Staatsbürgerschaft, wie wir sie kennen, auszuschließen. Zu den Missbeschäftigten der Pandemie zählen Migrant*innen, die in wirtschaftsstarken Ländern die Mehrheit systemrelevanter Arbeitskräfte in den Bereichen Lebensmittelverarbeitung, Reinigung und Pflege ausmachen. In Deutschland, dem europäischen Spitzenreiter im Niedriglohnsektor, erlangten sie im Skandal um den industriellen Fleischproduzenten Tönnies 2020 einen Moment medialer Aufmerksamkeit. Hohe Covid-19-Infektionsraten in den Schlachtfabriken führten zur Aufdeckung unwürdiger Arbeits- und Lebensbedingungen sowie ausbeuterischer Leiharbeitsverhältnisse, und letztendlich sogar zu einem Verbot von Leiharbeit in der Branche im Januar 2021. Das öffentliche Interesse reichte allerdings nicht für eine Kritik an dem Trend aus, der dem Skandal zugrunde lag: die Tendenz wirtschaftsstarker Länder seit den 2010er Jahren, zunehmend Aufenthaltsgenehmigungen gesetzlich an die Bereitschaft zu Arbeit jeder Art zu binden (wie im deutschen Integrationsgesetz von 2016), und die gleichzeitige Entwicklung, auch innerhalb der EU, den Zugang zu sozialem Schutz für Nicht-Staatsbürger*innen immer weiter einzuschränken. Die überwiegend weiblichen Migrant*innen, die weiterhin die Massenschlachtungs- und Fleischverarbeitungsanlagen in Deutschland sauberschrubben, bleiben von dem neuen Gesetz gegen Leiharbeit ungeschützt und sind vorläufig weiterhin Teil des meist unsichtbaren Puffers zwischen einem Großteil der Staatsbürger*innen in den wohlhabendsten Ländern Europas und einem wachsenden Sektor unmenschlicher Arbeitsbedingungen.⁴
Ein Beispiel für Entschäftigung findet sich bei den Bewohner*innen von Alten- und Pflegeheimen. Schon vor der Pandemie waren Pflegeheime in vielen Ländern unterfinanzierte, schlecht organisierte Stätten der gröbsten privatisierungsbedingten Ausbeutung. Durch die Pandemie wurden sie vollständig zu Opferzonen: Fast ein Drittel der Covid-19-Todesfälle in 25 Ländern ereignete sich in diesen Einrichtungen.⁵ Anstatt Ressourcen gezielt für den Schutz der am stärksten gefährdeten Menschen einzusetzen, nutzten Boris Johnson in Großbritannien, Andrew Cuomo in New York und viele andere Entscheidungsträger*innen Pflegeheime, um kranke, aber ungetestete ältere Patient*innen zum Sterben in die Isolation zu schicken, während sie gleichzeitig andere Bewohner*innen und das Pflegepersonal infizierten. Dass sie nicht mehr Teil der Arbeitswelt waren, machte diese Menschen sowohl entbehrlich als auch unsichtbar; unterdessen bedeutete die Missbeschäftigung ihrer von Subunternehmen angestellten Pfleger*innen, dass diese, je nach Schichtplan, das Virus von Pflegeheim zu Pflegeheim weitergaben.
Wenn Entschäftigung bedeutet, dass Regierungsbehörden Arbeit oder deren Mangel einsetzen, um den normalerweise durch Bürgerrechte gegebenen Schutz auszuhebeln, dann gilt unsere Kategorie auch für das schwarze Schaf der Pandemie. Während wir dieses Vorwort schreiben, werden Impfverweigerer weltweit auf unterschiedliche Art und Weise ausgesondert, durch den Entzug der Bewegungsfreiheit, des Krankengelds und der Krankenversicherung, aber auch durch den Entzug des Rechts auf Arbeit oder sogar des Aufenthaltsrechts ohne Zahlung monatlicher Strafgelder. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass in kürzester Zeit und auf globaler Ebene eine neue ethisch-rechtliche Kategorie geschaffen wurde, mit äußerst wenig demokratischer Prüfung. Ganz abgesehen von größeren Fragen – so wie jene nach dem Misstrauen in staatliche Medizin oder dem materiellen Problem einer Impfstrategie auf globaler Ebene – zeichnen sich aus dem Blickwinkel der Arbeit schon jetzt Folgeerscheinungen ab. Im zweiten Jahr der Pandemie hat eine weithin politisch polarisierende Debatte es ermöglicht, den Fokus von der Rolle der vielen strukturellen Schwächen einer globalisierten kapitalistischen Wirtschaft und schlecht auf Krisen vorbereiteter staatlicher Infrastrukturen auf den alleinigen Sündenbock der Ungeimpften zu lenken. Alles ist Arbeit argumentiert, dass Staaten wie Großbritannien nach 2008 mit experimentellen Sozialhilfesanktionen einen neuen Präzedenzfall für Methoden zum endgültigen wirtschaftlichen Ausschluss eines Anteils ihrer Bürger*innen geschaffen haben. Die Sanktionen und der Entzug von Rechten, die durch eine »Pandemie der Ungeimpften« (so die übliche Formulierung der Biden-Administration) ermöglicht werden, drohen dieses Projekt voranzutreiben, diesmal durch Schaffung einer zusätzlichen Ebene der biopolitischen Kontrolle. Nach ersten Untersuchungen der Kaiser Family Foundation in den USA haben 5 % der ungeimpften Arbeitnehmer*innen ihren Arbeitsplatz gekündigt, um sich nicht den Impfvorschriften beugen zu müssen.⁶ Eine nicht ganz unbedeutende Minderheit der »Great Resignation« scheint ihren Arbeitsplatz also nicht im Geiste einer utopischen antikapitalistischen Revolte verlassen zu haben, sondern weil sie effektiv gefeuert wurden.
Wir haben dieses Buch geschrieben, weil uns die Art und Weise, wie sich die Arbeit fast überall, von den elendsten bis hin zu den privilegiertesten Arbeitsplätzen, immer weiter verschlechtert, nicht mehr losließ. Wir sind davon überzeugt, dass sich aus den Details dieser verschiedenen Schauplätze ein Gesamtbild der Arbeit zusammenfügt, das weiterhin eines der besten Instrumente ist, um die Fahrtrichtung unserer Kultur, unserer Politik und unserer Wirtschaft anzuzeigen. In der Pandemie war Arbeit für niemanden mehr genauso wie früher – wenn sich auch nicht alles ändert, so schärft dies doch den Blick dafür, was die Arbeit aus uns macht.
Manchester, im Januar 2022
Einleitung: Alles wird zu Arbeit
Das ist das neue Regime der Lebensarbeit in der westlichen Welt: Du arbeitest immer, und alles, was du tust, kann sich zu Arbeit wandeln. Wenn du für Geld arbeitest, wird mehr von dir zu Geld gemacht, auf vielfältigere und effizientere Art und Weise als je zuvor. Sie kriegen dich in der Pause, sie kriegen dich auf der Toilette, sie kriegen dein Lächeln, deinen Charme, dein Selbstständig arbeiten, aber als Teil eines Teams, und sie kriegen dein Mitarbeiter*innenwohlbefinden. Du machst Sachen, die nicht dein Job sind, nicht Teil deiner Tätigkeitsbeschreibung, für die du nicht qualifiziert bist, und du tust Dinge, die früher der Job anderer Kolleg*innen waren. Wenn du arbeitslos bist, lassen sie dich weiter schuften, und jemand anderes wird daran verdienen. Nach der Arbeit kommt Schattenarbeit, und die