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Verschwinden ist keine Lösung: Ein Dave Robicheaux-Krimi, Band 23
Verschwinden ist keine Lösung: Ein Dave Robicheaux-Krimi, Band 23
Verschwinden ist keine Lösung: Ein Dave Robicheaux-Krimi, Band 23
eBook512 Seiten6 Stunden

Verschwinden ist keine Lösung: Ein Dave Robicheaux-Krimi, Band 23

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Über dieses E-Book

Der Mafia-Spross Johnny Shondell hat sich in die Tochter eines rivalisierenden Clans verliebt. Isolde Balangier soll als Friedensangebot verheiratet werden – allerdings nicht an Johnny. Daraufhin tauchen die beiden unter. Als Dave Robicheaux mit der Suche nach dem verschwundenen Paar beauftragt wird, werden er und sein bester Kumpel Clete Purcel in die gefährliche Welt des organisierten Verbrechens gezogen. Nicht nur, dass das eingespielte Team zwischen die Fronten gerät; Dave verliebt sich fatalerweise auch noch in die Frau des Mafiosi Adonis Belangier. Bald schon sieht sich der Detective mit den Grenzen seines Verstandes konfrontiert, als die Ankunft eines mysteriösen Fremden innere Dämonen weckt, von denen Dave dachte, dass er sie längst überwunden hätte ...
SpracheDeutsch
HerausgeberPENDRAGON Verlag
Erscheinungsdatum22. März 2023
ISBN9783865328564
Verschwinden ist keine Lösung: Ein Dave Robicheaux-Krimi, Band 23
Autor

James Lee Burke

James Lee Burke, 1936 in Louisiana geboren, wurde bereits Ende der 1960er Jahre als neue Stimme aus den Südstaaten gefeiert. Mitte der 1980er Jahre begann er Kriminalromane zu schreiben, in denen er die unvergleichliche Atmosphäre von New Orleans mit starken Geschichten verbindet. »America’s best novelist«, schrieb »The Denver Post« über James Lee Burke. Er wuchs an der Golf-Küste auf, schlug sich nach dem Studium mit diversen Jobs durch, u. a. bei einer Ölfirma, als Journalist, Englischdozent und Sozialarbeiter. Burke schrieb 26 Kriminalromane, Kurzgeschichten und wurde mit zahlreichen Preisen bedacht, wie z. B. zwei Mal mit dem Edgar Allan Poe Award und mehrfach mit dem Hammett Prize sowie mit einer Nominierung für den Pulitzer-Preis. Seinen internationalen Durchbruch hatte er mit der außergewöhnlichen Krimi-Reihe um den Polizisten Dave Robicheaux. Robicheaux gehört zu den sperrigsten Ermittlern der Kriminalliteratur. Innerhalb der Dave-Robicheaux-Reihe veröffentlichte Burke seit 1987 insgesamt 23 Bände. Im Pendragon Verlag werden in den nächsten Jahren regelmäßig Kriminalromane der Robicheaux-Reihe erscheinen. Aus der Dave-Robicheaux-Reihe wurden zwei Krimis verfilmt: Mississippi Delta – Im Sumpf der Rache (Originaltitel: »Heaven’s Prisoners«) mit Alec Baldwin in der Hauptrolle und »Mord in Louisiana« (Originaltitel »In the Electric Mist …«) mit Tommy Lee Jones und John Goodman Burke wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet, zuletzt 2015.

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    Buchvorschau

    Verschwinden ist keine Lösung - James Lee Burke

    1

    Ihr wisst ja, wie das ist, wenn man zu lange auf dem Globus herumgewandert ist und sich schon zu oft mit vier Fingerbreit Jack im Humpen und einem Bier oder mit irgendeinem anderen Fusel, den man gerade zur Hand hat, die Birne weggeballert hat. Und wenn das nicht reichte, man am nächsten Morgen vielleicht mit einem halben Dutzend Bechergläsern voll zerstoßenem Eis, Kirschen, Orangenscheiben und Wodka noch eins draufsetzt, um die Schlangen und Spinnen zurück in den Keller zu treiben.

    Wow, wie irre. Wer hätte gedacht, dass wir je sterben würden?

    Aber wozu all das Geschwafel? Ich sag euch, was das soll. Ich rede von diesen Augenblicken, wenn man seine Rüstung ablegt, zugedröhnt oder nicht, und sich in der Unermesslichkeit der Schöpfung verliert und zu tief in unsere Vergänglichkeit blickt, in unseren Hang zur Gier und der Bereitschaft, den großen blauen Planeten zu zerstören, und einen kurzen Moment lang erschrickst du dich so sehr, dass du dich fragst, warum du dein Porridge nicht schon vor langer Zeit an der Decke verteilt hast.

    Einmal überkam mich dieses Gefühl, als ich im Sonnenuntergang auf einem Pier in Texas stand, während die Wellen unter mir entlangrollten und so hart wie Blei gegen die Pfähle schlugen. Der Wind blies eine eiskalte, schimmernde Gischt auf meine Haut und Kleidung, die Wolken erstrahlten in grüngoldenem Licht, so hell wie Acetylen-Fackeln, vom Vergnügungspier schallte Dampforgelmusik und das Ploppen von Schießbuden herüber. Es war einer der Augenblicke, in denen man zwischen Leben und Tod hängt und sich danach sehnt, gleichermaßen an der Erde und der Ewigkeit festzuhalten, und jene Tage und Nächte bereut, die man über das Seitendeck gekippt ist, während man gerade dabei war, sein Leben zu zerlegen.

    Ich rede von der Erkenntnis, sterblich zu sein, aber nicht von der Art, die einen im Hospiz beschleicht, oder beim Krächzen der Aasvögel auf einem Schlachtfeld, oder wenn ein betrunkener Fahrer über einen Bordstein donnert und auf einen Spielplatz zuhält. Ich rede davon, zu sehen, wie das siebte Siegel gebrochen wird und eine Reihe mittelalterlicher Leibeigener, Lehnsherren und Jungfrauen sich auf den Weg über einen Hügel begibt, in ein Tal so dunkel wie Öl, und ihre Silhouetten wie Kohlestücke vom Wind verweht werden.

    Die Menschen, die diese Momente metaphysischer Klarheit erleben, gehören für mich zu den Mitgliedern des Drei-Prozent-Clubs, denn meiner Meinung nach sind das ungefähr die drei Prozent, die ein paar ihrer Hirnlappen verbrutzeln und hinterher in der Lage sind, darüber zu reden. Du kannst deine Schulden auf vielerlei Arten begleichen: auf einem Nachtmarsch gespickt mit chinesischen Landminen und zu Sprengfallen umgebauten 105-mm-Blindgängern; im Strafarbeitslager von Angola; auf den Knien und mit einem Rosenkranz um die Fingerknöchel gewickelt auf dem harten Boden eines Klosters; oder den Stimmen in deinem Kopf lauschend, die so laut sind wie Megafone. Die Umgebung spielt keine Rolle. Du sitzt für den Moment in einer Blackbox. Du schwitzt sprichwörtlich Blut. Das einen Motherfucker zu nennen, trifft’s nicht mal annähernd.

    Wenn du mit der langen Nacht der Seele durch bist oder sie mit dir durch ist, bist du nicht mehr dieselbe Person. Die irdischen Ängste verschwinden, als wäre ein fettes Gewicht von der Waage genommen worden. Du hast keinen Bock mehr, zu streiten oder einen Groll zu hegen; Introvertiertheit wird zur Lebensweise; während einer gewöhnlichen Unterhaltung wach zu bleiben, fällt schwer.

    Der Nachteil ist, dass man allein ist. Der einzige Bewohner einer Kathedrale, in der man hört, wie das Echo des eigenen Herzschlags von den Wänden hallt.

    Was hat das alles mit Johnny Shondell zu tun? Ich sage es euch. Er war aus einer anderen Epoche – eine Epoche, die wir ständig wiederauferstehen lassen wollen, ob wir es nun zugeben oder nicht – selbst wenn er mehr ein Symbol als ein Teil davon war. Jesus hat über die Menschen gesprochen, die im Mutterleib anders erschaffen werden. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Vielleicht waren manche Leute nie in einem Mutterleib. Sie schwebten in einer goldenen Blase herab und wurden irgendwie für den Rest von uns zu einer Ikone. Das zumindest dachte ich von Johnny und Isolde. Nennt es Betrug oder die Dummheit der Masse, wen kümmert’s? Die einzige Realität, die du hast, ist die, an die du glaubst. Und den Rest schmeiß einfach weg, sage ich.

    Damals, in dieser anderen Epoche, als Amerika noch Amerika war, im Guten wie im Schlechten, waren Präsidenten Männer wie Harry Truman und Dwight Eisenhower; es gab keine tägliche Ankunft des Clown-Autos. Manche behaupten, das sei nur nostalgisches Gerede. Doch sie irren sich. Für uns in Louisiana war es die Zeit der Musik, der Autokinos, des Himmels voller Sterne und der Landstraßen, die endlos zwischen Wiesen, Eichen und Louisiana-Moos mäanderten. Wenn ihr mir nicht glaubt, fragt meinen Freund Clete Purcel. Er wird euch davon erzählen. Ich kann ihn förmlich hören: „Es war alles in bester Ordnung, mein Guter. Das kann ich dir sagen. Ich würd’ dich nicht verarschen."

    Aber kehren wir zurück zu jenem Sommerabend vor vielen Jahren auf dem Pier. Ich hatte am nächsten Tag eine Verabredung im Huntsville Pen, über die ich nicht nachdenken mochte, also ging ich hinunter auf den Vergnügungspier und sah Johnny Shondell zu, der oben auf der Bühne stand und für eine Schar Teenagerinnen schmetterte, deren Gesichter nicht nur vor Bewunderung glühten, sondern auch mit einer Verletzlichkeit, bei der man sich danach sehnte, sie in den Arm zu nehmen und zu beschützen.

    Johnnys Eltern waren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, als er noch sehr jung war, und sein Onkel Mark hatte ihn großgezogen. Ich hatte verfolgt, wie er in New Iberia aufwuchs, so wie man Kinder eben im Auge behält, die in einer Kleinstadt aufwachsen: Man trifft sie beim Gottesdienst, in einem Café, wo sie Flipper spielen, sieht sie einen Baseball schlagen, bei den State Finals als Quarterback spielen, beim Schulball abrocken, im Golden Gloves beim Boxen oder wie sie Autos klauen oder in grausame und hasserfüllte Tätigkeiten verwickelt sind wie zum Beispiel dem Nigger-Knocking, sowie bei Misshandlungen der Ärmsten der Armen. Johnny passte in keine Schublade. Sein musikalisches Talent war kurz davor, kosmisch zu sein und nachdem man ihn das erste Mal spielen und singen gehört hatte, wusste man, dass er, wenn er am Schweif eines Kometen hinge, er beidem, der Sterblichkeit und dem Unmöglichen, trotzen würde. Jep, genauso war’s. Auf seiner Reise über den Himmel würde er den Rest von uns mit Sternenstaub besprenkeln, obwohl er zur Shondell-Familie gehörte, zu den millionenschweren Lügnern und Pennern, die sie waren. Die Shondells hatten Geld, darauf könnt ihr einen lassen, tonnenweise, doch wie die meisten Reichen unserer karibischen Kultur haben sie es auf dem Rücken Anderer verdient und hatten Familiengeheimnisse, bei denen es um Sex mit anderen Ethnien und die Ausbeutung der außerehelichen Kinder ging, die sie zeugten. Seid nicht schockiert. In Louisiana haben wir keine Konföderierten auf den Dachböden. Bei uns sind sie überall, einschließlich im Keller und in den Nebengebäuden, den Zisternen und manchmal liegen sie sogar zwischen den Astgabeln unserer Virginia-Eichen auf der Lauer.

    Johnny trug eine weiße Hose und ein braunes Seidenhemd, das sich im Wind blähte. Von seiner Statur her war er schlank wie eine Gerte, sein dichtes, schwarzes Haar mit Pomade zurückgekämmt und glänzend; die Sterne über uns flimmerten kalt und weiß, als wäre der Hintergrund nur für diesen einen Moment erschaffen worden, einen homerischen, so unsinnig das klingen mag. Hey, selbst die Wellen unter dem Mond hatten einen Farbton wie dunkler Wein angenommen, als würde ich dem Ende oder dem Beginn einer neuen Ära zusehen.

    „Ich kenne Sie", sagte eine Stimme hinter mir.

    Ich drehte mich um. Das Mädchen, das gesprochen hatte, konnte höchstens 17 sein. Sie hatte weißlich-blondes Haar, ihr Teint die Farbe von Kreide, die Wangen rosa wie die einer Puppe. Ein Tattoo mit Rosen und Orchideen ergoss sich von ihrer linken Schulter herab (und das zu einer Zeit, als es braven Mädchen in New Iberia nicht erlaubt war, mit nackten Armen das Haus zu verlassen). „Erinnern Sie sich an mich?"

    „Tut mir leid, ich habe keine Brille dabei", log ich.

    „Ich bin Isolde Balangie. Sie kennen meine Familie."

    Oh, ja, dachte ich.

    „Sie sind Police Officer, sagte sie. „Sie sind immer in das Restaurant meines Vaters im French Quarter gekommen. Aber Sie sind aus New Iberia. Unsere Familie kommt auch daher. Ich meine, aus Italien.

    „Ich war Police Officer."

    „Sind Sie keiner mehr?"

    „Doch, manchmal schon."

    Sie hatte haselnussbraune Augen, die auf eine verschlafene Weise von einem wegdrifteten und dann zu einem zurückkehrten, als würde sie aus einem Traum erwachen. „Was heißt ‚manchmal‘?"

    „Ich wurde vom NOPD gefeuert. Gefeuert zu werden, ist mein Modus Operandi."

    „Wofür gefeuert?"

    „Ich war ein Säufer."

    „Das sind Sie jetzt aber nicht, oder?"

    „Einmal Säufer, immer Säufer." Ich versuchte zu lächeln.

    Ihr Blick blieb an Johnny Shondell hängen, ihre Lippen öffneten sich leicht und ich wusste, dass sie mir nicht länger zuhörte. Ich wusste auch, dass meine Probleme es nicht wert waren, darüber zu reden, und Teil des chemisch induzierten Narzissmus waren, den jeder Trinker mit sich führt wie eine heilige Flamme. „War nett, Sie zu sehen, Miss Isolde", sagte ich.

    „Glauben Sie an das Kismet?"

    „Woher wissen Sie denn, was Kismet ist?"

    „Aus dem Kino. Glauben Sie daran?"

    „Ich denke, es ist Arabisch und heißt ‚Gottes Wille‘. Ich bin kein Experte in solchen Dingen."

    „Meine Familie hasst die Shondells schon seit 400 Jahren."

    „Das ist ein wenig ungewöhnlich."

    Ihr Gesicht wurde ernst. „Sie haben meinen Vorfahren verbrannt."

    „Wie bitte?"

    „Auf einem Scheiterhaufen. In Ketten. Sie haben Nägel durch seinen Mund gestochen, damit er nicht sprechen konnte. Dann haben sie ihn auf jede erdenkliche Art so viel leiden lassen, wie sie nur konnten."

    Ich starrte sie an.

    „Sie glauben mir nicht?", fragte sie.

    „Doch."

    „Darum finde ich, dass die Shondells erledigt werden sollten."

    „Erledigt?"

    „Oder in die Luft gejagt oder so was."

    „Warum sind Sie dann hier und beobachten Johnny?"

    „Er liefert mich heute an seinen Onkel Mark aus."

    Ich wollte nichts mehr hören. Die Familie Balangie bedeutete Ärger, sie hatten eine obskure Art und manche sagten, sie betrieben Inzucht. „Pass auf dich auf, Kleine."

    „Das ist alles, was Sie zu sagen haben?"

    „Ja", entgegnete ich.

    „Dann ficken Sie sich."

    Es gibt kein menschliches Wesen, das böser werden kann als eine verletzte Teenagerin. Ich zwinkerte ihr zu und ging. In jener Nacht schlief ich bei geöffnetem Fenster in einem von Salz zerfressenen, holzgetäfelten Motelzimmer aus den 1940er-Jahren. Ich hörte die Wellen auf den Strand schlagen, wie sie den Sand verschlangen, als würde die Strömung sich zurückziehen und dabei sich selbst verspotten.

    2

    Eigentlich sollte ich um elf Uhr vormittags in Huntsville einen Sträfling besuchen, traf jedoch erst gegen vier Uhr nachmittags dort ein, weil ich den Morgen im Hermann Park Zoo vertrödelte und außerdem ein paar Jungs beim Softballspielen zusah. Ich war nicht direkt versessen auf mein Treffen mit einem Häftling namens Marcel LaForchette und hatte das Böse in all seinen Erscheinungsformen sowie unsere Versuche, seine Existenz zu begründen, gründlich satt. Wenn ihr je mit dem Bösen zu tun hattet, dem wahrhaftigen Bösen, persönlich und aus nächster Nähe, dann wisst ihr, was ich meine.

    Wie erklärt man die Hillside Stranglers oder Ted Bundy? Mit Kindheitstrauma? Vielleicht. Wenn man die Details ihrer Taten liest, steigt in einem eine Traurigkeit und ein Gefühl von Abscheu auf, bei dem man sich fragt, ob wir alle denselben Stammbaum haben.

    Damit will ich nicht sagen, dass Marcel ein Ghul war, oder eine Frau oder ein Mädchen sexuell foltern und ermorden würde, so wie Bundy es getan hat. Marcel war aus einem anderen Holz geschnitzt, ich wusste nur nicht, aus welchem. Er war aus der Kleinstadt Jeanerette, von New Iberia aus ein Stück den Bayou runter, und seine Herkunft unterschied sich nicht sehr von meiner eigenen – arme, ungebildete Cajuns wie meine Mutter, die in einer Wäscherei arbeitete, und mein Vater, der Reusen auslegte, angelte und auf der Gestängebühne einer Offshore-Bohrinsel Rohre schleppte.

    Mit 17 beendete ich die Highschool. Im selben Jahr, im selben Alter, fuhr Marcel wegen schweren Autodiebstahls drei bis fünf Jahre in einem Erwachsenengefängnis ein. Noch als Frischfleisch wurde er kannibalisiert und musste für ein halbes Dutzend Degenerierter buchstäblich den Arsch hinhalten. Wisst ihr, was das Merkwürdigste an Marcel war? Er hat sich nie tätowieren lassen und das in einem Umfeld, in dem die Männer als Zeichen ihrer Knasterfahrung Sleeves vom Handgelenk bis zur Achselhöhle trugen.

    Das andere Seltsame an Marcel waren seine Augen. Sie waren türkis und in ihnen war ein so intensives Strahlen gefangen, dass man nicht darin lesen konnte. Seine Gedanken hätten von ätherischer Natur sein oder direkt vom Marquis de Sade stammen können, doch nur wenige Leute wollten das herausfinden. Marcel war ein Killer. Wenn er den ‚Aus‘-Knopf drückte, ging die Zielperson zu Boden wie ein Sack Frühkartoffeln.

    20 Meilen vor dem Knast, auf einer ruhigen Landstraße, sah ich hinter mir einen violetten Oldsmobile um die Kurve kommen. Ich meinte, ihn schon beim Zoo in Houston gesehen zu haben, war mir aber nicht ganz sicher. Ich hielt auf einem Parkplatz in einem Kiefernwäldchen. Der Olds fuhr an mir vorbei; getönte Scheiben, das Nummernschild mit Dreck verschmiert. Dann wurde ich Zeuge eines Phänomens, das ich schon zweimal zuvor erlebt hatte: Eine breite Reihe Taranteln überquerte die Straße wie ein Strom flüssigen Teers in einem Flussbett. Vor Jahren waren Taranteln auf Bananenfrachtern an die texanische Küste gelangt und hatten sich im Inland ausgebreitet, daher ihre Anwesenheit auf einem State-Highway weit weg von Galveston. Dennoch fragte ich mich, ob das, was ich da sah, ein Omen war und für meinen Besuch bei Marcel nichts Gutes verhieß, einem Mann, zu dem ich hätte werden oder der in meiner Haut hätte stecken können.

    Meine Beziehung zum Assistenten des Gefängnisleiters verschaffte mir Zugang, jedoch keine Sympathien. Ich hatte damals keinen guten Ruf, kam darüber hinaus zu spät, und was noch schlimmer war, zumindest für mein Gewissen: Ich hatte gelogen und dem Verwaltungsbeamten erzählt, ich würde im Zusammenhang mit einer Straftat in Louisiana ermitteln und erhoffe mir von Marcel Hilfe.

    Zwei bewaffnete Bullen führten ihn in Hüft- und Fußfesseln vom Hof herein und setzten ihn in einen kleinen Raum mit Betonboden, Holztisch und zwei Stühlen. Vom Fenster des Raums aus blickte man auf die Walls, den riesigen, roten Gebäudekomplex mit seinen Gefängnismauern aus rotem Backstein, einer architektonischen Erweiterung der ursprünglichen Struktur von 1848. Die beiden bewaffneten Wachen waren breitschultrige Männer mit großen Händen, kegelförmigen Cowboyhüten und dunklen Schweißringen unter den Achseln, ihre Gedanken hinter Sonnenbrillen verborgen.

    „Tut mir leid, euch Arbeit zu machen, Jungs", sagte ich.

    Einer von ihnen saugte an den Zähnen. „Haben sowieso nichts anderes zu tun", meinte er. Die Tür bestand aus zwei Riegeln und schweren Stahlplatten. Er warf sie in die Türlaibung und drehte einen winzigen Schlüssel im Schloss, wobei ihm ein Schweißtropfen vom Haaransatz rann.

    Marcel trug Arbeitsschuhe, die so steif und unbequem aussahen, als wären sie aus Eisen, dazu einen schmutzigen, weißen Pullover und weiße Hosen, an den Knien verdreckt. Er hatte eine gallische Nase, eine hohe Stirn und verschwitztes, grau-meliertes Haar; sein Körper war so straff wie eine Peitschenschnur. Er schenkte mir ein schiefes Lächeln, sagte jedoch nichts. Er blinzelte nicht, seine Pupillen kaum mehr als kleine schwarze Punkte, fast als starre er in gleißend helles Licht.

    „Warum die Ketten?", fragte ich ihn.

    „Wir sind hier in Texas und was die Milch der Nächstenliebe betrifft, werden wir nur von Arkansas übertroffen", antwortete Marcel.

    „Auf Ihrer Postkarte schrieben Sie, Sie hätten ein Geschenk für mich."

    „Informationen."

    „Aber vorher wollen Sie etwas dafür?"

    „Wissen Sie, wie es hier ist, wenn das Licht ausgeht? Zeigen Sie mal ’n bisschen Respekt."

    Ich sah auf meine Uhr. „Ich will noch heute Abend zurück nach New Iberia."

    Er renkte seinen Nacken ein, die Ketten klirrten. „Ich sitze elf Monate und 29 Tage, zwei Schocks in Folge. Kapiert?"

    „Nein."

    „Der Richter hat mir einen Tag weniger als ein Jahr gegeben, damit ich meine Zeit in einem Bezirksbau absitze, wo sie Kohle pro Kopf kriegen. Nur, dass irgendwer Scheiße gebaut und mich nach Huntsville geschickt hat. Mein Rechtsanwalt stellt Antrag auf Bewährung. Aber ich muss meine Bewährung in Texas ableisten."

    „Und was hat das alles mit mir zu tun?"

    „Ich will zurück nach Louisiana. Ich will sauber bleiben."

    „Sie?"

    „Vielleicht könnte ich bei einem Sicherheitsdienst arbeiten. Oder als Privatdetektiv."

    „Sie waren Mechaniker, Marcel, ein Auftragskiller der Mafia."

    „Nein, ich bin in Brooklyn in einen Bandenkrieg geraten. Danach gab’s ein paar Probleme in New Orleans. Aber ich hab nie jemanden im Auftrag von irgendwem umgelegt."

    „Warum sind Sie dann in Ketten?"

    „Vor der Essensausgabe ist ein Mexikaner mit einem Shank erstochen worden. Ich stand in der Nähe."

    „Sie haben’s nicht getan?"

    „Würde ich kurz vor meiner Entlassung einen Kerl perforieren?"

    „Ja, würden Sie, wenn er Ihnen querkommt", sagte ich.

    Die Sonne war nur noch ein blasses Rot im Westen und ich konnte Staubteufel über ein Baumwollfeld wirbeln sehen, die im Wind auseinanderbrachen. Sechs bewaffnete Wächter standen als Silhouetten wie schwarze Scherenschnitte vor einem Horizont, der gut und gern auch der Rand zur Hölle hätte sein können. „Haben Sie nicht für die Familie Balangie gearbeitet?"

    „Kurz."

    „Ich bin gestern Abend Isolde Balangie begegnet. Auf einem Vergnügungspier. Sie war dort, um Johnny Shondell zu sehen."

    „Gibt’s doch nicht."

    „Teenagerinnen fühlen sich von Typen wie Johnny Shondell nicht angezogen?"

    „Die Familien Balangie und Shondell kommen so gut miteinander aus wie Scheiße auf Eiscreme."

    „Was, wenn ich Ihnen erzähle, dass Isolde Balangie an Mark Shondell ausgeliefert werden sollte?"

    „‚Ausgeliefert‘ im Sinne von entjungfert werden?"

    „Ich glaube kaum, dass sie in der Küche arbeiten wird", sagte ich.

    Ich stand auf und rüttelte an der Tür nach dem Schließer. Marcel atmete hörbar aus. „Ich brauche einen Paten, wenn ich außerhalb des Bundesstaates Bewährung bekommen will."

    „Ich habe einen schwerwiegenden Charakterfehler, Marcel, sagte ich. „Ich kann es nicht leiden, wenn Leute mich benutzen.

    „Ihre Mutter wurde wahrscheinlich von einer Whiskeyflasche geschwängert, aber Sie sind eine ehrliche Haut. Sie kennen die Leute der Bewährungskommission."

    „Sie sollten mal überdenken, wie Sie mit anderen Leuten reden, Marcel", sagte ich.

    „Kommen Sie, Dave. Ich hab Ihnen die Wa’heit gesagt. Ich will sauber werden."

    „Was für Informationen haben Sie?"

    „Setzen Sie sich."

    „Nein."

    Im Raum wurde es heißer. Ich nahm seinen Gestank wahr, den Dreck und das Baumwoll-Pestizid, die verschwitzten Socken, die vermutlich in seiner Zelle auf der Leine hingen und nie trocken wurden, den fermentierten Knastwein, ein ständiger Grund für Inkontinenz im Knast.

    „Ich verlang’ doch nicht viel", sagte er.

    Ich war nicht ehrlich zu ihm gewesen. Ich war weder aus Mitmenschlichkeit noch Dienstverpflichtung dort. Ich war dort, weil ich glauben wollte, dass das Böse eine erklärbare Ursache hatte, eine, die nichts mit unsichtbaren Kräften oder nicht mal einem kanzerösen Makel der Schöpfung zu tun hatte, und dass selbst die schlimmsten Männer wieder zum Licht finden konnten, welches sie aus ihren Seelen verbannt hatten. Ich nahm wieder Platz. Seine Augen sahen aus wie hunderte blaugrüne Glassplitter.

    „New Orleans war der Bereitstellungsraum für den Anschlag auf John F. Kennedy", sagte er.

    „Alter Hut, sagte ich. „Nein, nicht nur alt. Steinalt.

    „Ich kenne einen der Typen, der dabei war. Er war einer der Vollstrecker der Brooklyn-Mafia. Auf der Straße nannte man ihn Chicken Cacciatore. Kein Scheiß. Er ist in eine Sache mit der CIA und in einige Erpresser-Nummern in Miami reingeraten."

    Ich kannte den Namen des Mannes, über den er sprach. Er arbeitete für das Miami Better Business Bureau und erhielt zudem Gehaltschecks von einer unserer landesweiten politischen Parteien. Außerdem betrieb er einen Autodiebstahl-Ring. Ich wusste, dass es niemandem gleichgültiger sein könnte.

    „Und Sie gucken mich einfach nur so an?", fragte er.

    „Ich werde sehen, ob ich bei Ihrer Bundesstaat-Bewährungsproblematik etwas tun kann."

    „Kein Scheiß?"

    „Warum nicht? Sie sagten, Sie wollen sauber werden."

    „Also vielleicht könnten Sie mir sogar einen Job verschaffen?"

    „Haben Sie Autowascherfahrungen?"

    Er senkte die Augen. Dann zuckte er die Achseln. „Was immer nötig ist, ich bin dabei."

    „Das war ein Scherz. Sie verarschen mich besser nicht, Marcel."

    „Sind Sie immer noch dicke mit Clete Purcel?", fragte er.

    „Er ist mein bester Freund."

    „Das klingt, als würde jemand sagen, Tripper ist mein Lieblingsrosa."

    Ich rüttelte wieder an der Tür und rief diesmal nach dem Schließer. „Machen Sie sich nicht zu viele Hoffnungen."

    „Kommen Sie her", sagte er.

    Da war es, das diktatorische Kommando, der selbstgefällige und herablassende Tonfall eines jeden Narzissten. Ich machte einen Schritt auf ihn zu. „Mäßigen Sie Ihren Ton", erwiderte ich.

    „Ich hab doch gesagt, ich hätt’ Informationen. Ich wollt’ Ihnen auf den Zahn fühlen. Ich kann nicht länger einsitzen. Ich hab zu viele schlimme Dinge in meinem Kopf. Vielleicht muss ich sie mir vom Gewissen reden."

    Es gefiel mir nicht, sein Beichtvater zu werden. Andererseits war ich auch kein Fan des texanischen Strafvollzugssystems. Ich stützte meine Arme auf dem Tisch ab, den Rücken zur Tür, und versperrte den Schließern die Sicht auf Marcel. Sein Gesicht war schmal und zerfurcht, die Wangen unrasiert und sie wirkten so schmutzig, als hätte man sie mit Ruß eingerieben.

    „Ich war der Fahrer bei einem Job für die Balangie-Familie, sagte er. „Der Typ war ein Kinderschänder. Er liegt jetzt im Sumpf auf der Nordseite des Lake Pontchartrain. Es gibt Leute in New Iberia, die wollen wissen, wo er geblieben ist.

    „Ich nicht."

    „Im Ernst?", fragte er.

    Wie die meisten Wiederholungstäter, hatte Marcel den größten Teil seines Lebens hinter Gittern verbracht und sein Wissen über die Welt da draußen war wie eine Sammlung alter Postkarten, die ihm jemand erklären musste.

    „Hey, hör’n Sie mir überhaupt zu?, fragte er. „Es gibt keine Verjährungsfrist für Mord.

    „Schreiben Sie’s in Ihre Memoiren", sagte ich.

    „Warum sind Sie hergekommen?"

    „Ich habe mich gefragt, ob Sie ohne Gewissen geboren wurden oder, ob Sie sich selbst zu dem gemacht haben, der Sie heute sind."

    „Sie Schwanzlutscher."

    „Ich werde sehen, was ich wegen Ihrer Bewährung ausrichten kann."

    „Ich will Ihre Hilfe nicht. Bleiben Sie mir vom Leib. Nehmen Sie meinen Namen nicht in den Mund."

    „Deal ist Deal, sagte ich. „Jetzt haben Sie mich an der Backe, Marcel. Noch ein respektloses Wort über meine Mutter und ich breche Ihnen den Unterkiefer.

    Zehn Minuten später, als ich draußen durch den roten Backsteinkomplex ging, fragte ich mich, in welchem Gebäude der elektrische Stuhl gestanden hatte, der von Leuten, die es lustig fanden, wenn man einem Menschen den Kopf rasierte, ihn auf einem Stuhl festschnallte, ihm dann eine Metallkappe auf dem Kopf befestigte und ihn lebend frittierte, Old Sparky genannt wurde. Außerdem fragte ich mich ein weiteres Mal, ob die Gesamtheit unserer Spezies aus derselben Ursuppe stammte. Ich vermute, dass unsere Herkunft sich weitaus stärker unterscheidet, aber ich glaube auch, dass die Wahrheit die meisten von uns in Angst und Schrecken versetzen würde. Was, wenn wir akzeptieren müssten, dass wir in unseren liebevollsten und romantischsten Augenblicken die Samen einer Eidechse weitergeben würden? Dass sich in unseren Augenwinkeln die Schuppen einer Schlange befinden, und dass der Blutdurst sein erstes Erwachen erfahren könnte, wenn das Baby den Nippel seiner Mutter findet?

    3

    Ich kehrte nach New Iberia in mein bescheidenes Shotgun-Haus an der East Maine zurück, nicht weit von der berühmten Vorkriegsvilla Shadows. Ich lebte damals, in den Tagen vor 9/11, das Leben eines Witwers, eines Einsiedlers, der versucht, sich vor seinen zerstörerischsten Abhängigkeiten zu verstecken, vor Jack on the Rocks mit einem Bier dazu und meiner Liebesbeziehung mit dem Bundesstaat Louisiana, auch bekannt als die große Hure Babylon. Für mich war sie immer die Verkörperung jedes Lasters auf der Speisekarte, angefangen mit Pferderennbahnen und Burré-Tischen, Kasinos, Seen von Gin, Wodka und Sour Mash, und Abschlepp-Läden mit einem Honky-Tonk-Spezialisten auf jedem Hocker, der sich danach sehnt, es im Viervierteltakt zu treiben.

    Denkt ihr, ich übertreibe? Farbige haben ein Sprichwort: Wenn du an einem Samstagabend schwarz bist, willst du nie wieder weiß sein. Dieselbe Denkweise trifft auf Louisiana zu, aber weiter gefasst und nicht auf der Basis von Ethnie oder Wochentagen. Die südliche Hälfte des Bundesstaates ist ein Äquivalent der Caracalla-Thermen; der einzige Unterschied sind die Cajun-Akzente und die Tatsache, dass die Bierhallen nie schließen. Ich kannte mal einen berühmten Country-Musiker, der in Carencro in ein Farmhaus zog, um wieder trocken zu werden, er lieferte sogar seine Wagenschlüssel bei seiner Frau ab. Ja, ich weiß, mit Hilfe und Unterstützung der Anonymen Alkoholiker passieren wahre Wunder und man kann überall wieder trocken werden. Das dachte auch die Frau des Musikers, bis Mardi Gras begann und ihr Mann auf dem Aufsitzrasenmäher die acht Meilen den Highway runter bis nach Lafayette ratterte, damit er bei der Parade mitmarschieren und sich total besaufen konnte.

    Am Abend angelte ich neben einigen Farbigen mit einer Bambusrute und sah zu, wie das Augustlicht aus dem Himmel sickerte, sich in den Eichen sammelte und als langes Messingband in der Oberfläche des Bayou verschwand, von dem ich als Kind glaubte, es sei die Schwelle zur Unendlichkeit. Vermutlich war es eine seltsame Lebensweise. Ich war aus drei Strafverfolgungseinrichtungen gefeuert oder suspendiert worden, und obwohl ich noch relativ jung war, spürte ich bei der abendlichen Tide das Zupfen der Erde und ein nagendes Loch in meinem Bauch sagte mir, dass die großen Rätsel für immer große Rätsel bleiben würden und die Natur und der Ursprung des Krieges zwischen Gut und Böse so gewaltig war, dass meine flüchtigen Bemühungen überhaupt nichts zu bedeuten hatten.

    Die Wochen vergingen, ohne dass ich irgendetwas von Marcel LaForchette hörte. Dann, an einem Sonntagnachmittag, als ich durch den City Park ging, sah ich zwei Männer in einem violetten Oldsmobile aufs Gras fahren, unter einer Eiche parken, aussteigen und eine Golftasche aus dem Kofferraum holen. Es waren stämmige Männer in den besten Jahren, gebräunt, vermutlich dank einer Mischung aus Sonne und Chemie, adrette Sportbekleidung; Männer der Sorte, die auf dem College vermutlich ein oder zwei Semester Football gespielt hatten und später Kleinlebensversicherungen vertickten, Ex-Sportler, die einem nur leidtun konnten.

    Bis man die Narben am Haaransatz erblickte oder die großen Hände mit zu vielen Ringen an den Fingern oder die weißen Zähne, die zu feucht waren, dazu ein Lächeln wie ein hungriger Mann, der aufs Grillgut stiert.

    Sie steckten Tees in den Rasen, schlugen zwei Bälle im Bogen über den Bayou und sahen ihnen hinterher, wie sie in einiger Entfernung ins Wasser platschten.

    „Entschuldigung", sagte ich hinter ihnen.

    Sie drehten sich um und stützten sich auf ihre Schläger, die Gesichter reinster Sonnenschein.

    „Das hier ist keine Driving Range", sagte ich.

    „Wir dachten, es hätte niemand was dagegen, sagte der Kleinere. Er hatte dicke Lippen und langes, geringeltes Haar, hell wie Gold, wie das eines professionellen Wrestlers, die Bizepse stramm wie Krocket-Kugeln. „Hättest du gedacht, es würde jemandem was ausmachen, Timmy?

    „Nicht, solange wir keinen Fisch auf den Kopf treffen", sagte Timmy.

    „Eine Menge Leute scheinen Louisiana für eine Müllkippe zu halten, sagte ich. „Wir haben überall im Bundesstaat jede Menge Abfall.

    „Jo, sagte der kleinere Mann. „Ist schon eine Schande, oder?

    „Er redet über uns, sagte Timmy. „Stimmt’s? Wollen Sie damit vielleicht sagen, wir seien Abfall? Sein braunes Haar sah weich aus, geschnitten und geföhnt im Kurzhaar-Stil der 1950er Jahre, und erinnerte an eine umgedrehte Schuhbürste. Das Lächeln verließ nie sein Gesicht.

    „Ich bin Polizist, sagte ich. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn ihr den Bayou nicht als Golfplatz benutzt. Das ist alles.

    „Wir wollen hier keinen Ärger, sagte Timmy. „Ganz im Gegenteil. Wir sind Problemlöser.

    Der Mann mit den goldenen Ringellöckchen leckte sich über die Lippen. „Stimmt. Wir wollen Ihnen das Leben ganz bestimmt nicht schwer machen, Sir."

    „Sehe ich aus wie ein alter Mann?", fragte ich.

    „Wir zeigen nur Respekt", sagte er.

    „Findet ihr Jungs Zoos gut?", fragte ich.

    „Jo, meinte Timmy. „Haben Sie hier einen?

    „Nein, aber in Houston ist ein schöner, sagte ich. „Im Hermann Park, an der South Main.

    „Diese Stadt könnte man ohne viel Aufwand auch in einen Zoo umwandeln, sagte der kleinere Mann. „Man müsste außenrum nur einen Maschendrahtzaun ziehen und dann Eintritt verlangen.

    „Jo, und unser Mann hier könnte den Laden wahrscheinlich wuppen, ergänzte Timmy. „Was sagen Sie dazu, werter Herr?

    Die Eiche über uns bauschte sich im Wind. Ein weißes Speedboot durchschnitt den Bayou in der Mitte, in dessen Kielwasser organische Abfälle über die Wurzeln des Bambus und der Zypressen schwappte, die wie halb vergrabene Knöchel entlang des Uferschlamms wuchsen. „Ich denke, ihr Jungs habt mich auf der Landstraße überholt, als ich rauf nach Huntsville gefahren bin, sagte ich. „Hunderte von Taranteln haben die Straße überquert. Das war wirklich ein Schauspiel.

    In der Entfernung heulte der Motor des Speedboots auf, wie eine Handkreissäge, die durch einen Nagel schneidet.

    „Wir sollen an Ihnen vorbeigefahren sein?, fragte Timmy. „Ich denke, da haben Sie uns mit jemandem verwechselt.

    „Ich bin derzeit nicht besonders beliebt, sagte ich. „Warum solltet ihr einen Kerl wie mich beschatten?

    „Weil Marcel LaForchette ein Killer der Jersey-Mafia ist, sagte der Mann mit dem goldenen Haar. „Weil er vor vier Tagen entlassen wurde. Weil Sie etwas mit seiner Entlassung zu tun hatten.

    „So viel Einfluss hab ich nicht", sagte ich.

    „Nennen Sie mich Ray, sagte der Mann mit dem goldenen Haar. Er wickelte sich eine seiner Locken um den Finger. Seine Augen waren nicht auf gleicher Höhe, eines lag tiefer als das andere. „Wir sind Privatermittler. LaForchette ist eine Bestie. Unser Mandant ist ein Mann, der Grund zur Sorge wegen eines Kerls hat, der für Jimmy the Gent arbeitete. Sie wissen, wer das ist, oder?

    „Jep. Jimmy Burke, sagte ich. „Sitzt lebenslänglich in New York.

    „Er saß lebenslänglich, antwortete Timmy. „Jetzt schläft er bei den Würmern. Aber LaForchette ist immer noch da. Warum erzählen Sie uns nicht, was Sie ihm in Huntsville zu sagen hatten?

    „Ihr habt meine Beschattung nicht erst im Hermann Park Zoo aufgenommen, sagte ich. „Ihr wart am Abend davor auf dem Vergnügungspier.

    „Sie denken, Sie haben uns auf einem Vergnügungspier gesehen?", fragte Ray.

    „Vielleicht habt ihr mich mit einem Fernglas beobachtet. Aber ihr habt gesehen, wie ich mit Isolde Balangie geredet habe. Darum geht es hier doch, oder?"

    Ray rieb sich die Nase und schniefte durch ein Nasenloch. „Manchmal ist es nicht clever, raushängen zu lassen, dass man clever ist."

    „Ich habe nie behauptet, clever zu sein", sagte ich.

    „Haben Sie Ihre Marke verloren, weil Sie im Dienst getrunken haben oder weil Sie auf einer Schmierliste stehen?", fragte Ray.

    „Nennen wir’s ein Sabbatjahr", sagte ich.

    „Also haben Sie nichts dagegen?", fragte er.

    „Wogegen?"

    „Das hier. Er holte einen Driver aus der Golftasche und ließ drei Bälle auf den Rasen fallen. Dann schlug er sie hintereinander ab, sah dem Letzten hinterher, wie er in den Bayou platschte und bot mir dann den Schläger an. „Ich hab noch mehr Bälle im Wagen. Schlagen Sie ein paar. Wir wollten Ihnen nicht auf den Schlips treten. Ein junges Mädchen wird vermisst. Wenn sie nicht gefunden wird, werden ein paar Leute an ihren Därmen baumeln.

    Das einzige Geräusch war der Wind in den Bäumen. Timmys Augen leuchteten auf, als er mich nun direkt ansah. Er nickte, als wolle er die Aussage seines Freundes bestätigen, ein Finger tippte in die Luft. „Ich hab’s selbst gesehen. Fleischerhaken. Kannste glauben, Mann."

    „Ihr wisst also, wo ich wohne?", fragte ich.

    „Direkt auf der anderen Seite des Bayou", sagte Ray. „Ein Shotgun-Haus. Sie haben Wunderblumen und Kaladien um die Bäume im Garten."

    „Kommt nicht vorbei", sagte ich.

    „Stillhalten, sagte Timmy. Er schnipste mir ein Blatt vom Haar. „Wie ich höre, haben Sie eine Tochter auf dem College. Ich habe auch eine.

    Ich trat einen Schritt von ihm zurück und spürte, wie meine Hände sich an den Seiten öffneten und schlossen. „Ich werde jetzt gehen."

    „Er geht", sagte Timmy.

    „Jep, so machen die das hier, sagte Ray. „Sie gehen einfach. Sie wollen keinen Ärger in Lahmarsch City. Also gehen sie.

    Ich entfernte mich durch die Schatten der Bäume, ein wenig benommen und mit einem Klingeln in den Ohren, ging die einspurige Straße hinunter, die sich durch den Park schlängelte. Dann hörte ich, wie hinter mir ihr Wagen angelassen wurde. Der Oldsmobile schob sich langsam an mir vorbei, wobei der im Reifenprofil festsitzende Schotter auf dem Asphalt klickerte. Ray hockte hinter dem Lenkrad, eine Hand tippte im Beat zur Musik aus dem Radio, während Timmy auf dem Beifahrersitz saß, eine Zigarette mit lavendelfarbenem Papier und einer goldenen Filterspitze paffte und dabei Rauchringe blies wie jemand, der mit sich und der Welt im Reinen ist.

    Der Oldsmobile fuhr an einer Gruppe schwarzer Kinder vorbei, die auf dem Rasen mit einem großen blauen Gummiball spielten. Der Herbst stand bevor. Die Streifen orangefarbenen Feuers in den Wolken und die Schatten der Virginia-Eichen, der kühle Wind und der tanninhaltige Geruch geschwärzter Blätter ergaben zusammen das perfekte Ende eines Tages, oder, noch besser, den perfekten Anfang eines Indian Summers und einen Aufschub des bevorstehenden Winters.

    Doch wenn der Abend so wunderbar und die Uferszene so beschaulich war, die Anwesenheit der Kinder so ein offensichtliches Zeugnis für die Güte und Unschuld des Menschen, und wenn ich wirklich über den Pöbeleien von Misanthropen stand, warum war dann mein Durst so groß wie die Sahara und mein Herz von Dornen umwickelt?

    Am nächsten Tag lieferte ich Clete Purcel in einem New Orleans Saloon auf der Magazine eine Kurzfassung der Ereignisse auf dem Pier und am Bayou Teche. Clete war auf der Magazine aufgewachsen. Der Saloon hatte eine Decke aus gestanztem Blech, einen rauen Holzboden und eine lange Bar mit einer Messingreling. Der Besitzer lagerte die Bierkrüge im Eisschrank, sodass sie mit Reif überzogen waren, wenn er sie füllte, und aus all diesen Gründen nutzte Clete den Saloon als sein Büro, wenn er mal nicht in seinem eigentlichen Büro war.

    Während ich redete, hörte er aufmerksam zu, seine ruhigen grünen Augen starrten ins Leere, dann rieb er Kreide auf sein Queue, verteilte den 9-Ball-Rhombus und verfolgte mit den Augen einen einzelnen Ball, der in eine Tasche

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