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Die Tasyar-Chroniken: Vergessenes Reich
Die Tasyar-Chroniken: Vergessenes Reich
Die Tasyar-Chroniken: Vergessenes Reich
eBook458 Seiten6 Stunden

Die Tasyar-Chroniken: Vergessenes Reich

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Über dieses E-Book

Ein Königreich, vor dem Rest der Welt verborgen. Eine junge Frau auf der Suche nach der Wahrheit. Eine Reise voller Antworten und Gefahren. Wie hat Sanya es geschafft, als normaler Mensch in das streng geheime Land Tasyar zu gelangen? Und was hat es mit dem Magier Derek auf sich, der eine unerklärliche Anziehungskraft auf sie ausübt? Auf ihrer Suche nach Antworten gerät sie in ein Komplott gegen den König. Erst war sie die unbekannte Fremde, jetzt ist sie Tasyars größter Feind. Sanya kann nicht mehr in ihr altes Leben zurück, denn die wahren Verräter müssen enttarnt werden. Sonst ist nicht nur sie selbst, sondern das gesamte Volk Tasyars verloren.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum4. Dez. 2019
ISBN9783750483934
Die Tasyar-Chroniken: Vergessenes Reich
Autor

Jana Ulmer

Jana Ulmer wurde 1992 in Mainz am Rhein geboren, in dessen Nähe sie bis heute lebt. Die Begeisterung zum Lesen hat sie von Kindesbeinen an begleitet; vor allem das Genre Fantasy hat es ihr angetan. Die Fantasie ging auch mit ihr durch, und sie begann, eigene Geschichten zu schreiben. Ihr erster Roman hat lange nur auf ihrem Computer geschlummert, bevor sie sich an die Veröffentlichung gewagt hat. Bis heute ist sie froh, diesen Schritt gegangen zu sein.

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    Buchvorschau

    Die Tasyar-Chroniken - Jana Ulmer

    1

    Ich streifte durch eine kahle und verlassene Landschaft. Hier und da waren ausgetrocknete Bäume zu sehen, ansonsten wuchs nichts in dieser felsigen Einöde. Der Himmel war von schwarzen Wolken bedeckt, doch sie brachten keinen Regen. Die Luft war schwer und brannte nach jedem Atemzug in meiner Lunge.

    Trotz dieser Trostlosigkeit empfand ich nur den Drang, voranzukommen. Ich schritt immer weiter, es schien kein Ende zu nehmen. Obwohl die Landschaft eben war und ich sie deshalb bis weit in die Ferne überblicken konnte, war keine Veränderung auszumachen. Keine übrig gebliebene Blume, wenn hier je welche gewachsen waren, nicht mal ein Grashalm oder ein Keimling, der aus der Erde spross. Nichts.

    Irgendwann spürte ich eine Anwesenheit. Ich entdeckte niemanden, war mir aber absolut sicher, dass ich beobachtet wurde. Mit einem Mal überkam mich ein Gefühl der Bedrohung. Ich wusste, dass das, was hier war, keine guten Absichten hatte.

    Meine Schritte wurden immer schneller, mein Herz schlug heftig, ich begann zu rennen. Aber es war nutzlos, ich entkam dem unsichtbaren Verfolger nicht. Als mir das klar wurde, blieb ich keuchend stehen.

    Ich zuckte zusammen, als eine tiefe Stimme von überallher hallte. »Es wird Zeit, komm an meine Seite.«

    »Nein!«, hauchte ich.

    Ein Beben erschütterte die Landschaft: Dieses unsichtbare Etwas war wütend. Ich stolperte und fiel auf den steinigen Boden. So plötzlich, wie es gekommen war, klang es wieder ab. Durch den Sturz waren beide Knie und Ellbogen aufgeschürft, und ich rappelte mich unter Schmerzen auf.

    Dichter Staub lag in der Luft. Meine Sicht war begrenzt, doch ich erkannte etwas. Die Silhouette eines hoch gewachsenen und breitschultrigen Mannes. Sein Gesicht blieb mir verborgen, bis auf seine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen. Energisch kam er auf mich zu und streckte einen Arm in meine Richtung. Augenblicklich durchzuckte ein heftiger Schmerz meinen Kopf und zwang mich in die Knie. Ich hielt mir die Hände an meine pochenden Schläfen. Vergeblich, der Schmerz wurde nur heftiger; und schließlich war ich zu nichts anderem mehr fähig, als zu schreien.

    Schreiend schreckte ich aus dem Schlaf. Kerzengerade und zitternd saß ich in meinem Bett und atmete schwer durch den Mund. Nur am Rande bemerkte ich, dass meine Kleidung an mir klebte, ebenso wie meine Haare.

    Ich blickte in alle Ecken meines Zimmers. Durch die zugezogenen Gardinen schienen die ersten Sonnenstrahlen spärlich hinein. Wie spät war es? Mein Handy auf dem Nachttisch zeigte mir exakt sieben Uhr morgens an. Viel zu früh. Dennoch ließ ich den Versuch bleiben, wieder einzuschlafen.

    Ich lehnte mich an das Kopfteil des Bettes und massierte mir die Schläfen.

    Seit einem halben Jahr kam dieser Traum immer wieder, seit kurzem sogar jede zweite Nacht. Bei dem Gedanken an Schlaf wurde mir mittlerweile schlecht.

    Wie immer, wenn ich daraus erwachte, flüsterte ich mein Mantra: »Es war nur ein Traum, Sanya, nichts davon ist real. Du bist zu Hause, in deinem Zimmer, in Sicherheit.« Das wiederholte ich einige Male.

    Danach versuchte ich, mich wieder in die Realität zurückzubringen, indem ich überlegte, was für ein Tag heute war. Der erste Juni.

    Noch drei Monate, dann würde ich auf das Cabrillo-College hier in der Stadt gehen. Bei dem Gedanken schaffte ich ein Lächeln und entspannte mich; wenn auch nur ein wenig.

    Dass das Cabrillo mich aufgenommen hatte, war optimal. So musste ich Monterey nicht verlassen, um Literatur zu studieren, wie ich es mir seit meiner Kindheit erträumt hatte. Obwohl mich eine Universität mehr gereizt hätte. Doch weder ich noch meine Eltern waren dazu fähig, das zu bezahlen – und meine durchschnittlichen Leistungen in der Schule hatten für ein Stipendium sowieso nicht ausgereicht.

    Der größte Vorteil war, dass meine beste Freundin Casey ebenfalls dort aufgenommen worden war, sich aber für den Bereich Psychologie entschieden hatte.

    Nachdem wir vor einem Jahr die Highschool absolviert hatten, hatten wir uns für ein Sabbatjahr vor dem Studium entschieden. Seitdem arbeiteten sie und ich im Sandwichladen ihrer Familie und hatten uns von dem Geld sogar einen zweiwöchigen Sprachkurs in Mexiko letzten Winter leisten können.

    Für den kompletten Sommer hatten uns ihre Eltern Urlaub gegönnt, diesmal war jedoch keine Reise geplant. Während des Studiums würden wir unser Geld weiterhin damit verdienen.

    Mein Magen grummelte, weshalb ich mich dazu überwand, aufzustehen. Ich putzte mir die Zähne und nahm eine kalte Dusche. Jedes Mal, wenn ich aus dem Albtraum erwachte, dauerte sie viel zu lange. So auch jetzt.

    Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee zog mir in die Nase, während ich die Stufen nach unten stieg. Ich hörte, wie ein Stuhl verrückt wurde. Da meine Eltern verreist waren, konnte das nur Greg sein. Ich betrat die Küche, als er gerade die Tasse zu Mund führte. Auf dem Teller vor ihm lag ein Erdnussbutter-Marmeladensandwich.

    Wir waren zweieiige Zwillinge und sahen uns, bis auf die dunkelbraune Haarfarbe, nicht ähnlich. Greg war außerdem über zwei Köpfe größer als ich und hatte haselnussbraune Augen. Meine waren smaragdgrün. Er hielt sie für glubschig und viel zu groß für mein Gesicht – woran er mich immer wieder gerne erinnerte.

    »Guten Morgen, Sanya!«, begrüßte er mich mit hochgezogenen Brauen.

    Erst in unserem Abschlussjahr hatte er damit aufgehört, meinen Namen absichtlich falsch auszusprechen. Die meisten Lehrer hatten ihn beim ersten Mal zweisilbig aus dem Klassenbuch vorgelesen, obwohl drei Silben darin enthalten waren: Sa-ni-ja. Mit Betonung auf dem Ypsilon. Für Greg war es deshalb immer der Höhepunkt des Tages gewesen, wenn wir einen neuen Lehrer oder einen zur Vertretung bekommen hatten.

    Das Aussprechen meines Nachnamens Taylor hatte nie jemandem Schwierigkeiten bereitet. Jedenfalls niemandem innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika, wo er vollkommen gewöhnlich war. Ich war Halbrumänin mütterlicherseits, aber auch dort war mein Vorname nicht gerade verbreitet.

    »Morgen«, nuschelte ich, während ich zur Küchenzeile ging, um mir auch etwas Kaffee einzuschenken und ein Marmeladentoast zu schmieren. Als ich mich setzte, waren auf Gregs Teller nichts als Krümel übriggeblieben.

    Wie ein Scheunendrescher.

    »Und … wie geht’s?«, fragte er mich mit einem gewissen Unterton, den ich nur allzu gut kannte. Dazu dieses dämliche Grinsen.

    »Auf was willst du hinaus, Greg?«, kürzte ich sein Spiel ab.

    »Was meinst du damit?«

    Ich rollte nur mit den Augen.

    Er lachte auf. »Also gut. Ich habe dich gehört.«

    Ich verschluckte mich fast am Kaffee. »Was meinst du damit?«

    »Ich lag heute Nacht wach, und da habe ich dich im Schlaf reden hören.«

    Sein Grinsen wurde breiter, während ich spürte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich. Meine Befürchtungen hatten sich bestätigt. Gregs Zimmer lag neben meinem, und die Wände waren dünn. Ich hatte mich oft gefragt, ob ich im Schlaf sprach und er es hören konnte.

    »Und was habe ich gesagt?« Ich achtete darauf, die Frage beiläufig klingen zu lassen.

    »Das ging nicht lange, aber du warst verdammt laut. Etwas wie: ›Lass mich in Ruhe, du sollst verschwinden!‹ Gegen Ende hast du sogar richtig geschrien. Ich habe mir überlegt, ob ich dich wecken soll, war aber zu faul, aufzustehen.«

    »So, dann habe ich im Schlaf gesprochen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Kommt vor.« Ich biss in das Sandwich.

    »Was hast du überhaupt geträumt? Klang für mich nicht nach einem Traum von einer Wiese, auf der Blümchen blühen und Vögelchen singen.«

    Offensichtlich amüsierte ihn das Ganze, im Gegensatz zu mir.

    »Das weiß ich nicht mehr, es war bestimmt nichts Besonderes.«

    »Hat sich für mich angehört, als wäre es besonders erschreckend. Aber ich möchte dich ja nicht beim Essen stören. Ich wollte mich jetzt sowieso für den Strand fertig machen.«

    »Du fährst so früh an den Strand?«

    »Ja, mit Ray. Wenn wir später gehen, ist es wegen der Hitze überfüllt. Möchtest du mit uns kommen? Du kannst Casey fragen, ob sie auch Lust hat.«

    Obwohl der Sommer nicht einmal begonnen hatte, herrschte bereits seit einigen Wochen eine Hitzewelle in Nordkalifornien.

    »Nein, mir ist nicht nach dem Strand.« Ich zwang mir ein Lächeln auf. »Aber, danke.«

    »Na gut, dann gehe ich jetzt packen. In einer halben Stunde fahre ich los, vielleicht überlegst du es dir bis dahin.«

    Er verließ die Küche, und einen Augenblick später hörte ich im oberen Stockwerk eine Tür zufallen.

    Eigentlich hatte ich keinen Appetit mehr, zwang aber in kleinen Bissen alles in mich hinein. Und was jetzt? Sollte ich den ganzen Tag im Haus verbringen mit nichts als diesem widerlichen Gefühl in meiner Magengegend, das sich mit dem vermischte, von unsichtbaren Augen verfolgt zu werden? Ohman, langsam wurde ich paranoid. Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht würde mir der Strand tatsächlich guttun.

    Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und rief Casey an. Es klingelte beinahe eine Minute durch, bis sie endlich verschlafen ranging. Dennoch ließ sie sich dazu überreden, mitzukommen.

    Unterwegs mit dem Auto meiner Mutter holten wir zuerst Ray ab, der vor seiner Haustür wartete. Ein breites Strahlen bildete sich auf seinem Gesicht, während wir angefahren kamen. Es galt Greg und weniger mir. Dennoch wurde ich davon angesteckt.

    Greg sprang aus der Fahrertür heraus und sprintete zu ihm hin. Ich stieg aus und beobachtete schmunzelnd, wie sich die beiden inniger in die Arme fielen, als ein Liebespaar in einer Schnulze. Wir hatten ihn seit Monaten nicht mehr gesehen.

    Ray studierte Architektur an der Columbia-Universität in New York, während Greg nach der Highschool ein halbes Jahr als Tankwart gearbeitet hatte, bis er den Job hingeschmissen hatte. Er würde im Herbst auf dem Cabrillo einige Kurse belegen. Welche genau, wusste ich nicht, da wir nie darüber gesprochen hatten.

    »Sagt schon, werde ich hier vermisst?«, fragte Ray, nachdem er und ich uns mit einer weitaus leichteren Umarmung begrüßt hatten.

    »Von mir auf jeden Fall«, erwiderte Greg. »Die Frage ist doch eher, ob du Monterey vermisst.«

    Ray nickte. »O ja, ich vermisse es. New York ist eine tolle Stadt, aber mir persönlich viel zu hektisch. Nach dem Studium kehre ich endgültig hierher zurück. Und euch alle habe ich sowieso vermisst. Besonders dich.« Er haute Greg auf die Schulter. »In ganz New York gibt es keinen so großen Trottel wie dich. Glaub mir, ich habe die Augen offen gehalten.«

    Währen sie lachten, ersparte ich mir die Bestätigung zu Rays Kommentar, der mir auf der Zunge lag.

    »Kommt, lasst uns fahren«, sagte ich stattdessen. »Casey wartet bestimmt schon.«

    Vor ihrem Haus warteten wir jedoch eine Ewigkeit, bis Casey endlich aus der Tür gehechtet kam. Ihr rückenlanges schwarzes Haar band sie sich beim Laufen zu einem Pferdeschwanz zusammen.

    »Tut mir leid für die Verspätung«, entschuldigte sie sich und stieg neben Ray auf den Rücksitz. »Hi Ray! Wie läuft das Studium?«

    »Läuft gut«, antwortete er. »Bei dir geht es auch bald los, wie ich gehört habe.«

    »Ja, ich bin schon ganz aufgeregt.«

    Zu einer Umarmung zwischen ihnen kam es nicht, was mich auch gewundert hätte. Sie hatten kaum etwas miteinander zu tun. Ich kannte Ray nur besser als sie ihn, weil er in der Schultzeit oft bei uns zu Besuch gewesen war – selbstverständlich wegen Greg.

    Während der Fahrt redeten Greg und Ray ununterbrochen miteinander. Nur einmal schaute ich von meinem Platz auf dem Beifahrersitz nach hinten, weil mir auffiel, dass ich Casey seit der Begrüßung kein einziges Wort hatte reden hören. Sie war eingeschlafen, den Kopf an das Fenster gelehnt.

    Am Strand war, bis auf wenige spazierende Senioren, niemand sonst da. Wir stellten das Auto auf einem fast leeren Parkplatz ab. Die Klimaanlage war voll aufgedreht, weshalb mir beim Aussteigen die feuchte Hitze umso mehr entgegenschlug.

    »Das ist ja unerträglich«, presste ich heraus. Ich griff mir eine der Flaschen aus der Kühlbox, die Greg aus dem Kofferraum geholt hatte, trank ein paar Schlucke und befeuchtete Gesicht und Hals.

    »Wow, mal den ganzen Strand für uns!«, stellte Ray fest, als wir uns vom Auto entfernten.

    »Ja, es ist ruhig«, erwiderte Casey. »Vielleicht kann ich noch ein bisschen schlafen.«

    Greg lachte. »Hast du nicht schon genug geschlafen?«

    »Nein, ganz sicher nicht.«

    Wir belegten einen Platz nahe am Meer. Die Jungs rannten zum Wasser, während ich mir jede Körperstelle, die nicht von meinem Bikini verdeckt wurde, mit Sonnenmilch einrieb. Casey döste bereits auf ihrem Strandtuch und zog verträumt mit dem Finger Kreise über ihren Bauchnabel.

    Ich legte mich neben sie, schloss die Augen und lauschte dem Rauschen der Wellen, die seicht an das Ufer schwappten.

    Die verdörrte Landschaft tauchte vor meinem inneren Auge auf, ich hörte die Stimme, die mich aufforderte, mich ihr anzuschließen.

    Nur ein Traum. Es ist nur ein Traum.

    Trotz der Hitze fröstelte es mich plötzlich.

    »Ist alles in Ordnung mit dir, Sanya?«

    Ich hatte gehofft, Casey würde mich das nicht schon wieder fragen. Aber natürlich bemerkte die Person, die mich als einzige in- und auswendig kannte, ganz genau, wenn ich ihr etwas verschwieg.

    Ich zögerte einen Augenblick, denn ich hatte mir geschworen, es niemandem zu erzählen. Andererseits war Casey meine beste Freundin.

    Mit einem tiefen Atemzug setzte ich mich auf und schob meine Sonnenbrille auf den Kopf. Sie tat es mir gleich.

    »Na gut«, begann ich, und Caseys mandelbraune Augen blitzten auf. »Bis jetzt weiß niemand davon, aber … seit ungefähr einem halben Jahr habe ich immer öfter denselben Albtraum. Heute Nacht kam er wieder.« Ich schilderte ihr alles, bis ins kleinste Detail.

    Ich brauchte länger, als nötig gewesen wäre, pausierte lange, bevor ich einige Stellen ansprach. Casey gab mir geduldig die Zeit, die ich brauchte.

    »Wow, das klingt echt unheimlich«, bemerkte sie, nachdem ich geendet hatte.

    »Ist es auch. Am Anfang hatte ich diesen Traum nur alle paar Wochen, dann wurden die Abstände immer kürzer. Bis es letzte Woche damit anfing, dass er alle zwei Nächte gekommen ist.« Meine Hände vergruben sich im feinen Sand. »Ich meine, das ist doch nicht mehr normal.«

    »Ich wusste doch, dass mit dir etwas nicht stimmt. Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?«

    Meine Augen richteten sich auf den Boden. »Ich hatte Angst, dass das alles zu real wird, wenn ich darüber spreche.«

    »Sanya, ich bin deine beste Freundin, du kannst mir alles anvertrauen.« Sie tätschelte mir die Schulter. »Über sowas zu schweigen, macht einen früher oder später verrückt.«

    »Ja, kann sein.«

    Casey zog eine Grimasse und sagte mit tief verstellter Stimme: »Jetzt lach mal wieder!«

    Damit entlockte sie mir zumindest ein Schmunzeln.

    »In letzter Zeit habe ich mir so oft über die Bedeutung Gedanken gemacht, aber mir fällt nichts ein.«

    »Hmm …« Sie brauchte einen Moment, bevor sie etwas erwiderte. »Dafür kann es eine einfache Erklärung geben: Wahrscheinlich, weil eine Veränderung in deinem Leben bevorsteht. Wir werden bald aufs College gehen und fremde Menschen kennenlernen. Das stresst dich unterbewusst vielleicht dermaßen, dass dieser Traum immer wieder hochkommt.«

    »Und was ist mit diesen Schmerzen? Sie fühlen sich so echt an.«

    »Das kann sein, weil dir das alles real erscheint. Manchmal macht uns unser Gehirn etwas vor. Hör einfach auf, das Ganze so ernst zu nehmen und irgendeine Bedeutung darin finden zu wollen.«

    Dass es nur Stress war, glaubte ich nicht. Was daran lag, dass ich das alles zu beängstigend fand, um es mit etwas Normalem wie Stress zu verbinden. Aber ich entschloss mich, das Thema sein zu lassen.

    Der Strand füllte sich allmählich, als ich die Jungs aus dem Wasser kommen sah. Ray rief zwei mir unbekannten Mädchen im Vorbeigehen etwas zu, die daraufhin kicherten und mit den Haaren spielten. Als er mit Greg weiterzog, sahen sie ihm enttäuscht nach.

    Ich rollte mit den Augen. Typisch Ray: Ein Anmachspruch war nötig, selbst wenn er kein Interesse an einem Mädchen hatte.

    Dann tippte eine Frau mittleren Alters Greg von der Seite auf die Schulter. Es sah so aus, als ob sie nach dem Weg fragen würde, was ein typischer Anblick für unsere kleine Touristenstadt war.

    Bei ihr war ein Mann, vermutlich ihr Ehemann oder Partner.

    Greg antwortete ihr und zeigte weiter in Richtung Strand. Die Frau nickte, während der Mann ihn eindringlich betrachtete.

    Als Greg mit seiner Erklärung endete, nahm ich an, dass sie sich verabschiedeten. Stattdessen redete die Frau wieder und zeigte zu den Hügeln am Rande der Stadt. Dort oben gab es zwar beliebte Wanderwege, welche Touristen gerne nutzten, aber diese lagen in einem anderen Teil. Dort, wo sie hinzeige, gab es zwar Schotterwege, aber nichts Außergewöhnliches zu sehen. Sie tauchten in keiner Touristenmappe auf.

    Greg und Ray kniffen die Augen zusammen, der Mann starrte Greg nach wie vor eindringlich an. War er etwa eifersüchtig, weil seine Frau mit ihm sprach? Wenn ja, war das krankhaft.

    Nachdem sie sich verabschiedet hatten, standen Greg und Ray weiter da und besprachen etwas. Erst danach stießen sie wieder zu uns.

    »Was wollten diese Leute von euch?«, fragte ich.

    »Das waren Touristen aus England«, antwortete Greg. »Sie wollten wissen, wie man zum Bay Aquarium kommt.«

    »Und über was hat diese Frau so viel geredet, als sie auf die Hügel gezeigt hat?«

    »Sie hat erzählt, dass sie gestern bei der alten Hütte waren.«

    »Seit wann interessieren sich Touristen für die alte Hütte?«, nahm Casey meine nächste Frage stirnrunzelnd vorweg.

    Die alte Hütte stand hoch auf einem Hügel am Rande der Stadt. Viele mieden es, ihr nahe zu kommen, und das zu Recht, wie ich fand. Niemand wusste, wieso diese Lehmhütte mit dem von Gras und Unkraut bewachsenem Dach dort stand und wofür sie erbaut worden war. Sie sah nicht aus, als ob sie jemals jemand bewohnt hatte. Vor allem, weil keine Fenster eingebaut waren, nicht einmal ein Guckloch. Nur eine schlichte Holztür gab es – na ja, wobei schlicht für diese Tür der falsche Ausdruck war.

    Vor einigen Jahren sollte an der Stelle, an der die Hütte stand, ein Wellnesshotel erbaut werden. Die Bauarbeiter hatten es jedoch nicht geschafft, sie einzureißen. Mit allen Mitteln hatten sie es versucht, zuletzt sogar mit einer Abrissbirne.

    Einer der Bauarbeiter hatte nachsehen wollen, ob es eine spezielle Konstruktion in ihrem Inneren gab. Er hatte die Tür aber einfach nicht aufbekommen, selbst mit Hilfsmitteln. Nicht einmal ein Schlüsselloch gab es, für das man einen passenden Schlüssel hätte fertigen lassen können.

    Die Stadtverwaltung sah ein, dass es unmöglich war, die Hütte einzureißen. Das Wellnesshotel war somit an einer anderen Stelle erbaut worden.

    Von da an erzählte man sich hier in der Umgebung von Albert Shipleys Fluch.

    Er war der Legende nach ein Goldgräber, welcher vor rund zweihundert Jahren die Hütte erbaut hatte, um seinen enormen Fund an Goldnuggets in ihrem Inneren zu verstecken. Seit seinem Tod haust Albert Shipleys Geist in der Hütte und lässt niemanden hinein. Das Gold bleibt somit auf ewig in seinem Besitz.

    Die Geschichte verbreitete sich schnell, und die alte Hütte wurde für die Teenager von Monterey der perfekte Platz, um Halloween-Partys zu veranstalten. Einmal war ich dabeigewesen, als ich sechzehn Jahre alt gewesen war. Viele hatten versucht, die Tür zu öffnen – darunter die vollkommen betrunkene Casey. Wie erwartet, hatte niemand es geschafft.

    Ich wusste nicht, ob ich an Geister und Flüche glauben sollte, aber diese Geschichte ergab für mich ohnehin wenig Sinn. Nach dem, was ich gehört hatte, gab es keine Beweise, dass ein Mann namens Albert Shipley jemals in Monterey gelebt hatte. Zudem sah die Hütte für mich deutlich älter aus als zweihundert Jahre.

    »Die Frau hat gesagt, ihnen wurde die Legende vom alten Albert Shipley erzählt, die sie so interessant fanden, dass sie unbedingt dorthin wollten«, antwortete Ray augenrollend auf Caseys Frage. Er stand dieser Legende weit skeptischer gegenüber als ich.

    »Jedenfalls«, setzte Greg an, »hatte ich eine Idee, die ich gerade mit Ray besprochen habe.«

    »Und die lautet?«, fragte ich nicht gerade gespannt, da ich Gregs Art von tollen Ideen nur zu gut kannte.

    »Also, wir lassen uns im Laufe der nächsten Woche von Rays Cousin Preston Bier besorgen, das wir dann bei der alten Hütte trinken, wenn es dunkel ist.«

    Greg und Ray waren von diesem Einfall sichtlich begeistert, doch in den Gesichtern von Casey und mir suchten sie vergebens nach Enthusiasmus.

    »Wirklich?«, kam es von Casey.

    »Was wollt ihr bei der alten Hütte?«, fragte ich. »Vor allem nachts.«

    Abgesehen von der Geschichte, fand ich die Hütte an sich unheimlich. An Halloween damals hatte ich mich nur wegen der vielen Leute hinauf getraut, aber nur wir vier alleine? Niemals.

    »Kommt schon!«, bettelte Ray. »In drei Monaten werde ich wieder von hier weg sein und studieren, genau wie ihr. Ich weiß, Gregs Idee ist komplett sinnlos, aber gerade das ist es ja. Wer weiß, ob und wann wir das nächste Mal die Chance dazu haben, etwas Sinnloses zu unternehmen. Davon mal abgesehen habe ich noch nie versucht, die Tür zu öffnen und möchte das jetzt nachholen.«

    »Außerdem ist es dort an Halloween immer voller Menschen«, fügte Greg hinzu. »Aber wenn wir nächste Woche alleine da oben sind, trinken wir in aller Ruhe unser Bier und genießen die Aussicht auf die Stadt unter uns. Wir werden Spaß haben, ich verspreche es euch.«

    Ray hatte recht, aber wieso gerade dort? In Monterey gab es so viele Orte, an denen es uns möglich war, mit neunzehn Jahren Bier zu trinken, ohne dass es jemanden interessierte. Vor allem waren Gregs und meine Eltern zu meiner Großmutter nach Rumänien gereist. Das hieß, dass wir bei uns zu Hause ungestört waren.

    Aber ich beschloss, nicht die Spaßverderberin zu sein. Es war wirklich etwas anderes, als immer mitten in der Stadt oder zu Hause zu bleiben.

    Ich wandte mich grinsend an Casey. »Was meinst du? Ich möchte nicht verpassen, wie Ray daran scheitert, die Tür aufzubekommen.«

    Casey presste erst die Lippen zusammen, nickte jedoch schließlich. »Na gut, wir kommen mit.«

    Greg und Ray schauten sich strahlend an, bevor ersterer mit dem Finger auf uns zeigte und mit der Stimme eines Gameshow-Moderators sprach. »Ladies, ihr werdet es nicht bereuen. Und ihr werdet diesen Tag in eurem ganzen Leben nicht vergessen!«

    Casey und ich prusteten los.

    2

    Wir legten unseren Ausflug auf den nächsten Freitagabend. Währenddessen passierte nichts Erwähnenswertes, außer, dass ich meinen Albtraum Montagnacht auf Rumänisch und Mittwochnacht auf Englisch hatte. Mit diesen Sprachen wechselte er sich ab. Das machte ihn für mich merkwürdiger, als er es ohnehin war.

    Ich versuchte, Caseys Rat zu befolgen und aufzuhören, das Ganze ernst zu nehmen. Das gelang mir besonders dann nicht, wenn ich Langeweile hatte oder alleine im Haus war. Das war oft der Fall, denn außer Casey waren alle meine Freunde in den Urlaub geflogen. Casey selbst unternahm mit ihrer Familie von Dienstag auf Donnerstag einen Campingausflug.

    Greg und Ray waren am Abend vor unserem geplanten Ausflug mit Rays Cousin Preston in dessen Lamborghini unterwegs. Da er ein erfolgreicher Immobilienmakler war, konnte er sich solch ein Gefährt leisten. Sie fragten mich zwar, ob ich sie begleiten wollte, doch ich lehnte dankend ab.

    In dieser Nacht lag ich, mit einem Buch inklusive Leselampe ausgerüstet, so lange wach im Bett, bis ich Greg heimkommen hörte. Zu schlafen, wenn ich alleine im Haus war, behagte mir nicht.

    Sonst flogen Greg und ich immer mit nach Rumänien, aber diesen Sommer waren wir aus einem bestimmten Grund Zuhause geblieben.

    Ray war der Meinung, dass der Abschlussball unserer Highschool letztes Jahr als Abschiedsfeier nicht ausreichte. Deshalb würde er in zwei Wochen die Jahresfeier unseres Abschlusses bei sich daheim veranstalten und hatte alle aus unserem Jahrgang eingeladen. Es war die letzte Gelegenheit, dass wir alle noch einmal zusammenkamen.

    Greg und ich versprachen unserer Großmutter, sie in den nächsten Semesterferien im Herbst zu besuchen. Es gefiel mir zwar in dem verschlafenen Kartpatendorf, in dem sie wohnte. Aber ich war auch erleichtert, weil mir fürs Erste die Reinigung erspart blieb.

    Jedes Jahr, wenn wir in Rumänien waren, besuchten wir für einen Tag eine alte Freundin meiner Großmutter. Sie hieß Aurica und war angeblich eine Heilerin, die meine Mutter, Greg und mich jedes Jahr reinigte. Dabei schlossen wir die Augen, während sie mit den Händen über unseren Köpfen herumfuchtelte. Der Prozess an sich bereitete keine Mühe, zudem mochte ich Aurica gerne. Das, was mich innerlich zum Protestieren brachte, war die Frage nach dem Warum?

    Es war ein Schutz vor dem Bösen, den man jedes Jahr um dieselbe Zeit erneuern musste. Das war jedenfalls die Antwort, die Greg und ich auf unsere früheren Fragen nach dem Grund immer bekommen hatten.

    Als ich meinen Vater einmal als Achtjährige gefragt hatte, warum meine Großmutter und er nicht von dem Bösen gereinigt wurden, hatte er nur gemeint, sie bräuchten so etwas nun mal nicht.

    Von da an ließ ich es jedes Jahr kommentarlos über mich ergehen, obwohl ich es für Schwachsinn hielt. Genauso unnötig war es, unsere Eltern zwei Stunden lang zu überzeugen, uns diesen Sommer alleine daheim zu lassen. Sie hatten nur unter der Bedingung zugestimmt, dass unsere Großmutter einverstanden war – was eine weitere halbe Stunde Überzeugungskraft gekostet hatte.

    Nicht etwa, weil sie uns vermisste, sondern weil wir die Reinigung nicht pünktlich bekamen. Zum Schluss waren sie alle einverstanden, als wir versprachen, uns im Herbst reinigen zu lassen. In dem anschließenden Telefonat zwischen meiner Mutter und meiner Großmutter hatte ich zwar etwas herausgehört, von wegen, das würde knapp werden, hatte aber nicht nachgefragt. Das hätte nur zu Diskussionen mit anschließendem Frust geführt.

    Als ich an dem Tag unseres Ausfluges aus dem Schlaf schreckte, zeigte mein Handy mir kurz vor zwölf Uhr Mittags an. Wenigstens war es diesmal nicht früh am Morgen.

    Ich sagte mein Mantra auf und nahm im Anschluss eine kalte Dusche. Während das eiskalte Wasser an mir herabfloss, schloss ich die Augen. Es war, als ob es nicht nur meinen Schweiß, sondern ebenso die Bilder, die Angst, die Schmerzen, all die Erinnerungen an letzte Nacht fortspülte. Wenigstens für den Augenblick.

    Zwar öffnete ich nach einer Weile wieder die Augen, bewegte mich aber eine Zeitlang weder vom Fleck, noch stellte ich das Wasser ab. Sobald ich auch nur eins von beidem tat, das wusste ich, holte mich der Traum wieder ein.

    In diesem Haus hatten wir den Vorteil, dass jedes Schlafzimmer sein eigenes Badezimmer hatte. So war mein Wasserverbrauch zwar hoch, aber ich war ungestört. Niemand sonst, der hier hineinmusste. Erst als meine Lippen zitterten, überwand ich mich dazu, aus der Wanne zu steigen.

    Von meinem Zimmer aus hörte ich den Fernseher unten. Greg war mal wieder lange vor mir aufgewacht.

    Ich wunderte mich, als mir auf dem Weg die Treppe hinunter der Geruch von Pfannkuchen in die Nase wehte. Außer einfachen Gerichten, bereitete Greg sonst nie Essen zu. Dann sah ich auf der Wohnzimmercouch neben seinem braunhaarigen Hinterkopf einen weiteren, rasierten, sitzen. Aha, das Rätsel war gelöst.

    »Morgen, Sanya!«, begrüßten mich Greg und Ray wie aus einem Mund.

    »Morgen! Warst du über Nacht hier, Ray?«

    »Ja, ich habe spontan auf eurer Couch geschlafen. Bei uns sind Verwandte aus Chicago angereist. Mein achtjähriger Cousin hat mein Zimmer für sich beansprucht und seine Eltern unsere Couch. Ich hatte aber keine Lust, auf einer Luftmatratze zu schlafen. Hab übrigens Pfannkuchen gemacht, in der Küche gibt es noch welche.«

    »Danke!«

    »Das ist so typisch für dich, Sanya«, bemerkte Greg, als ich von der Küche mit einem Teller voller Pfannkuchen und einer Tasse Kaffee zurückkam. »Du bleibst zu Hause, gehst früh schlafen und stehst trotzdem später auf als wir.«

    »Ach ja, wie war die Stadtrundfahrt?«, fragte ich, während ich mir extra viel Ahornsirup über den Turm aus Pfannkuchen goss.

    »Der Wahnsinn!«, jauchzte Greg und beugte sich mit weit geöffneten Augen zu mir vor. »Mit dem Lamborghini war es wie auf einer Achterbahn. Am Old Fisherman’s Wharf haben wir kurz geparkt und haben irgendwelche Mädchen angemacht. Preston weiß ganz genau, wie das geht. Am Ende hat er uns hier abgesetzt und ist mit gleich zwei von denen nach Hause gefahren.«

    Ich zog die Augenbrauen hoch. »Tut mir leid, dass ich das jetzt so direkt sage, Ray, aber dein Cousin ist ein schlimmerer Macho als du, der sich außerdem zu viel auf sich einbildet.«

    Ray lachte. »Tja, so ist Preston nun mal.« Er schien meine auf ihn bezogene Aussage, als Kompliment zu nehmen. »Aber Spaß macht es mit ihm trotzdem, und dank ihm haben wir unser Bier für heute Abend. Drei Sixpacks in Dosen hat er uns ausgegeben, obwohl uns zwei gereicht hätten. Die stehen in eurem Kühlschrank.«

    »Gut, das ist mehr als genug«, stellte ich fest.

    »Ja, heute werden wir da oben Spaß haben«, sagte Greg. »Vor allem unternehmen wir ja sonst nichts zusammen, weil unsere Freundeskreise unterschiedlich sind.«

    Ich ließ ein belustigtes Schnauben ertönen. »Merkwürdig, warum ist das wohl so?« Darauf folgte eine Kunstpause. »Ah, jetzt fällt’s mir ein! Der riesengroße Unterschied besteht darin, dass ihr mit Leuten wie Megan Green befreundet seid, mit denen wir nichts zu tun haben wollen.«

    Megan Green war von der siebten Klasse an, bis zum Ende der Schulzeit, das Miststück unseres Jahrgangs gewesen. Sie war attraktiv, keine Frage: engelblondes Haar, eisblaue Augen, volle Lippen. Trotz ihrer zierlichen Figur besaß sie eine füllige Oberweite. Doch meiner Ansicht nach machte ihr Verhalten ihre Schönheit zunichte.

    Wer nicht mit ihr einer Meinung war, wurde als überflüssig und unbrauchbar abgestempelt. Was, wie ich fand, eindeutig besser war, als mit ihr befreundet zu sein. Die Mehrheit war da anderer Meinung gewesen.

    Casey, ich und ein paar andere Mitschüler hatten es sich von Anfang an bei ihr verscherzt. Einige wenige, die keine Lust mehr auf diese Clique hatten, kamen mit den Jahren hinzu.

    So war unser gesamter Jahrgang in zwei Lager gespalten. Die Tatsache, dass mein Bruder zu den anderen gehört hatte, frustrierte mich bis heute.

    »Gut, dass sie für drei Wochen mit ihren Eltern auf den Bahamas ist, deshalb die Abschiedsparty verpasst und danach wieder nach Boston verschwindet.«

    »Hey Sanya, komm schon«, sagte Greg. »Wir alle wissen, Megan hat einen komplizierten Charakter. Wenn man sie aber näher kennenlernt, merkt man, wie nett sie ist.«

    »Ja, als Ray und Megan ihre zweiwöchige Beziehung hatten, war sie in der Zeit bestimmt richtig nett zu ihm«, bemerkte ich, woraufhin Rays Gesicht rot anlief.

    Ich schaute zu Greg, der auf den Fernseher starrte. Oft hatte ich bemerkt, wie er Megan anschmachtete. Wie ich gehört hatte, führte sie momentan eine Beziehung mit einem Jungen namens Zach, der mit ihr zusammen in Harvard studierte. Dennoch hatte ich mitbekommen, wie Greg und sie in letzter Zeit öfter miteinander telefonierten, manchmal sogar per Videochat.

    Es durfte sich nichts zwischen ihnen entwickeln. Nicht nur, weil ich sie nicht ausstehen konnte, sondern weil ich oft genug mitbekommen hatte, wie sie ihre Männer behandelte.

    »So, ich muss dann mal nach Hause«, setzte Ray an und stand, meines Erachtens etwas eilig, von der Couch auf. »Ich habe meinen Eltern versprochen, Zeit mit ihnen und der Verwandtschaft im Country Club zu verbringen. Außerdem muss ich aus diesen Klamotten raus. Das Blöde an spontanen Übernachtungen ist, dass man nichts zum Umziehen dabeihat.«

    »Oh, im feinen Country Club«, bemerkte Greg. »Treffpunkt der Reichen und Schönen. Dann mal viel Vergnügen, du Snob!«

    »Idiot!« Ray schmunzelte und haute ihm spaßeshalber mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.

    Nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, saßen wir schweigend vor dem Fernseher.

    »Ach übrigens, wir haben Post von Mom«, unterbrach Greg nach einer ganzen Weile die Stille.

    »Post, wirklich?«, wunderte ich mich. »Wieso ruft sie nicht einfach an oder sendet uns Nachrichten?«

    Greg zuckte mit den Schultern. »Wegen des schlechten Mobilfunkempfangs dort, schätze ich. Weiß auch nicht, warum sie es nicht vom Festnetz aus versucht hat. Jedenfalls habe ich mir den Brief durchgelesen, als Ray gerade die Pfannkuchen gemacht hat. Klingt echt komisch, was da drinsteht.«

    Er hielt mir ein

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