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Vinzent und die Tote in der Villa: Fall Nummer 1
Vinzent und die Tote in der Villa: Fall Nummer 1
Vinzent und die Tote in der Villa: Fall Nummer 1
eBook295 Seiten3 Stunden

Vinzent und die Tote in der Villa: Fall Nummer 1

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Über dieses E-Book

Ein spannender, schwäbisch angehauchter Cosy-Krimi mit skurriler Note und Schmunzelfaktor von der Autorin der Kultkrimireihe "Konstantins unfreiwillige Fälle".

Vinzent Merkle ist Fotograf und hat eine Vorliebe für Lost Places. Als ihn sein bester Freund Dario zu einer nächtlichen Erkundungstour in die verlassene Molfenter-Villa animiert, ist er inklusive seiner Dackeldame Dietlinde sofort dabei. Doch dieses Abenteuer soll nicht ohne Folgen bleiben, denn am nächsten Morgen wird dort eine tote Frau gefunden. Die beiden Freunde meinen zwar, dass sie nichts mit der Sache zu tun haben, doch da irren sie sich gewaltig. Schneller als sie es begreifen können, werden sie mitten hineingezogen in diesen Fall und versuchen zusammen mit einem unkonventionellen Pfarrer, der eine Vorliebe für Privatermittlungen hat, ihre Unschuld zu beweisen. Dabei führen die Spuren von der schwäbischen Provinz bis nach Berlin. Als wären das nicht schon genug Probleme, herrscht auch im Privatleben von Vinzent ein komplettes Gefühlschaos, weil er immer noch an der Trennung von Julia knabbert, aber gleichzeitig zarte Gefühle für seine Tanzlehrerin Winnie entwickelt. Und kann es wirklich sein, dass sein Vater ein Doppelleben führt?

Dieser Roman ist in sich abgeschlossen.

Weitere Bücher der Autorin:
Konstantins Erbe - Sein erster unfreiwilliger Fall
Konstantins Dilemma - Sein zweiter unfreiwilliger Fall
Konstantins Antrag - Sein dritter unfreiwilliger Fall
Konstantins Affäre - Sein vierter unfreiwilliger Fall
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum6. Apr. 2024
ISBN9783755473800
Vinzent und die Tote in der Villa: Fall Nummer 1

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    Buchvorschau

    Vinzent und die Tote in der Villa - Coco Eberhardt

    Kapitel 1

    „Hey", drang eine Stimme im Gleichklang mit metallischem Geklapper ganz langsam in mein Bewusstsein.

    Mein Körper rebootete sich in Zeitlupe, wobei meine halbgeöffneten Augen sich nur schwer offenhalten ließen und lediglich verschwommene Umrisse wahrnahmen. Ich lag auf dem Bauch, die Hände gerade am Körper und mein Kopf war seitlich auf ein buntes Kissen gebettet. Ein kleiner Sabberfleck hatte sich darauf gebildet, dessen eklig kalte Flüssigkeit ich kurz mit meiner Lippe streife. Obwohl es sich dabei nur um meine eigene Spucke handelte, musste ich reflexartig meinen Kopf schütteln. Doch genau, als ich das tat, spürte ich ein Summen in meinem Kopf, das an einen Schwarm Hornissen erinnerte. Nur wenige Millisekunden später fühlte ich, wie der Hornissenschwarm sich durch meine Schädeldecke bohrte und mein Kopf kurz vor einer Explosion stand. Meine Hände bahnten sich den Weg zu meinen Schläfen, was zwar keinerlei Nutzen hatte, mir jedoch immerhin eine gewisse Sicherheit gab, dass sich dadurch mein Kopf nicht in zwei Hälften spalten und mein Hirn auf den Boden purzeln würde. Ausgehend von den Schmerzen in meinem Kopf breitete sich zu allem Überfluss auch noch eine gnadenlose Übelkeit in meinem Magen aus. Wo war ich und was war passiert, fragten sich die wenigen Gehirnzellen, die unter diesen Umständen überhaupt noch in der Lage waren, Fragen zu stellen.

    „Hey, Vinz", drang wieder diese Stimme in mein Bewusstsein, erneut gefolgt von diesem metallischen Geklapper.

    Ich nahm die verschwommenen Umrisse einer Person direkt vor mir wahr und versuchte mit meinen auf Notstrom laufenden Energiereserven den Autofokus meiner Pupillen auf scharf zu stellen. Doch es wollte mir nicht so recht gelingen. Plötzliches lautes Gebell führte zu einem erneuten Anstieg meines Schmerzlevels im Kopf und ehe ich es so richtig begriff, schleckte mir eine warme Hundezunge über mein Gesicht.

    „Dietlinde. Aus", krächzte ich wehrlos zu der Dackeldame, deren flauschige Ohren meine Nase kitzelten.

    Ich musste also zu Hause sein, ratterten meine grauen Zellen weiter, während die kastanienfarbene Hündin meinen Befehl ignorierte und mich weiter abschlabberte.

    Zu Hause. Das war in meinem Fall ein großes, altes, jedoch gut gepflegtes Haus mit großem Garten mitten in der schwäbischen Stadt Weißenhorn, die am Rande von Bayern lag. Ich wohnte direkt im Altstadtviertel an der Promenade des Stadtparks, der mit seinen alten knorrigen Lindenbäumen ein beliebter Treffpunkt war und wo ich regelmäßig Dackeldame Dietlinde Gassi führte. Viel schöner hätte man eigentlich nicht wohnen können. Doch wie bei den meisten schönen Dingen gab es dabei natürlich einen Haken. Ich lebte hier nämlich nicht allein, sondern mit meinen Eltern, was eigentlich auch ganz okay war. Aber ich war mittlerweile 29 und die böse drei rückte in unmittelbare Sichtweite, was mir emotional etwas zu schaffen machte. Da ich allerdings schwäbische Gene in mir hatte, ließ mich mein angeborener Sparsinn die elterliche Wohngemeinschaft, die ich immerhin schon einmal für ein paar Jahre verlassen hatte, dann doch ertragen. Dafür musste ich mir nur wöchentlich die Mietkosten für vergleichbare Objekte bei den Wohnungsanzeigen anschauen und ich war sofort wieder zufrieden. Mietfrei gestanden mir meine Eltern immerhin mein eigenes Reich in Form eines großzügigen Zimmers unter dem Dach zu, während meine Mutter den mittleren Stock bewohnte und mein Vater das Pattere. Dass meine Eltern auf unterschiedlichen Ebenen wohnten, lag nicht etwa daran, dass sie getrennt waren, sondern lediglich daran, dass sie noch nie ein Paar gewesen waren. Ein Umstand, der mir erst im Laufe meiner späten Kindheit so richtig bewusst geworden war, der mich aber auch nie weiter groß belastet hatte.

    Die beiden kannten sich schon immer und waren quasi miteinander aufgewachsen. Was sie dazu bewogen hatte, meine Wenigkeit in die Welt zu setzten, hatte ich mich jedoch schon öfter gefragt. Angeblich wäre meine Mutter etwas nostalgisch geworden, als mein Vater ihr damals eröffnet hatte, dass er auf Weltreise gehen würde. Behauptete Papa zumindest. Er war schon immer ein Abenteurer gewesen. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Laut der Version meiner Mutter hatte er kurz vor der Abfahrt mit dem Abschiedsschmerz zu kämpfen, womit sie ihm die Verantwortung für meine Existenz gab. Die Wahrheit lag wohl irgendwo dazwischen. Fakt war, dass die beiden ganz gut miteinander klarkamen und ich mit ihnen auch.

    Mein Vater war ein Fotograf, der in seiner Arbeit vor allem eine Kunst sah. Früher hatte er mich immer auf seine Fotoexkursionen in die Natur und zu alten Ruinen mitgekommen, was wohl schon recht früh meinen Blick für die kleinen Dinge geschärft hatte, die andere Menschen gar nicht wahrnahmen. Es war also kein Wunder, dass ich diesbezüglich in seine Fußstapfen getreten war, was für mich nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit gewesen war. Er war ein sportlicher Typ, knapp über 50 und seine Haut war auch im Winter sonnengebräunt, weil er sich in irgendwelchen heißen Ländern herumtrieb und Fotos für seine Ausstellungen machte. Dass sein kurzes, aber volles Haar bereits grau meliert war, machte ihn in Kombination mit seinem Dreitagebart nur noch interessanter und brachte vor allem seine blauen Augen zum Strahlen.

    Die Reiselust meines Vaters teilte meine Mutter überhaupt nicht. Schon allein deshalb, weil sie, seit ich denken konnte, ein Unterwäschegeschäft in der Hauptstraße der Altstadt betrieb, das an sechs Tagen die Woche geöffnet hatte. Dafür goss sie geduldig jedes Mal, wenn er fortgefahren war, seine Zimmerpflanzen, die in seinem Wohnzimmer bereits zu einem regelrechten Dschungel aus großblättrigen Schlingpflanzen, Kakteen und Sukkulenten herangewachsen waren. Mama war fast gleichalt wie Papa und trug bevorzugt schwarze enganliegende Etuikleider, die ihre geschwungene, attraktive Figur vorteilhaft linierten. Sie war allerdings nicht gerade die Größte. Ihr dunkel gefärbtes, schulterlanges Haar war mit dezenten roten Strähnen versetzt. Die einzigen zwei Menschen, die meine Mutter wohl jemals ungeschminkt gesehen hatten, waren mein Vater und ich. Meist trug sie dicke Wimperntusche und einen sinnlichen Lippenstift. Ihre auffällige Brille verlieh ihr einen wachen Blick.

    Und das Resultat dieser beiden Menschen war dann also ich: Vinzent Merkle, der in diesem Moment immer noch mit starken Orientierungsschwierigkeiten zu kämpfen hatte.

    Dietlinde hatte mittlerweile von mir abgelassen und mein Blick wurde langsam wieder etwas klarer. Ich lag ganz offensichtlich auf der bequemen, hellbraunen Cord-Couch im urbanen Wohnzimmer meines Vaters und hatte einen furchtbaren Kater. Die Sonne, die durch die großen Terrassentürfenster schien, blendete mich auf erbarmungslose Weise. In einem Drehsessel aus Jeansstoff saß mir mein bester Freund Dario gegenüber, der mit einem Schlüssel vor meinem Gesicht klapperte.

    „Na, Vinz. Wie siehts aus? Lust auf ein Abenteuer?"

    Dietlinde bellte sofort zustimmend, während ich nur ein wehleidiges Grummeln hervorbrachte. Dario kannte ich bereits seit dem Kindergarten. Er war zwar hier geboren und aufgewachsen, hatte jedoch kroatische Wurzeln. Der Schopf seines blonden kurzen Haars reichte mir gerade bis zum Kinn. Seine Statur war relativ schlank, doch seit er verheiratet war, setzte er ein bisschen am Bauch an. Außerdem hatte er eine besondere Gabe dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen, weswegen bei dem Wort Abenteuer aus seinem Mund sofort alle Alarmglocken bei mir zu läuten begannen. Es bedeutete für mich Verlockung und Vorsicht zugleich. Die besten Momente meines Lebens hatte ich wohl ihm zu verdanken. Leider ebenso die peinlichsten. Zum Beispiel als wir nachts versucht hatten, über die akkurat gepflegte Buchsbaumhecke unseres Nachbarn zu springen. Eigentlich war mir sofort klar, dass das niemals klappen würde. Denn obwohl wir uns in der Blüte unserer Jugend befanden, waren wir leider nur halb so gelenkig, wie wir gedacht hatten. Das Loch, das wir dort hinterlassen hatten, brauchte Jahre, bis es wieder zugewachsen war. Dafür hatten wir zur Buße ein halbes Jahr lang fast wöchentlich den Rasen unseres Nachbarn mähen müssen. Der Spaß war es trotzdem wert gewesen. Noch heute konnten wir herzhaft darüber lachen.

    „Sehe ich etwa so aus, als wäre ich in Abenteuerlaune?", wimmerte ich, während sich der Schmerz weiter in mein Gehirn hämmerte.

    „Ehrlich gesagt, siehst du ein bisschen derangiert aus, stellte er amüsiert fest und ließ dabei den Jeanssessel lässig hin und her schwingen. „Hast wohl dieses Wochenende zu viel gefeiert.

    „Ich habe gearbeitet", protestierte ich.

    „Gearbeitet?, lachte er laut auf. „Was denn bitte?

    „Ich war auf einem Junggesellinnenabschied in Berlin", brummte ich zu ihm.

    „Junggesellinnenabschied in Berlin? Und das soll Arbeit sein? Scheint eher ein feuchtfröhliches Partywochenende gewesen zu sein."

    „Dieser Auftrag hat meinen vollen körperlichen Einsatz gefordert, versuchte ich ihm zu erklären. „Ich war damit beauftragt Fotos vom JGA zu machen. Dafür braucht man wirklich Ausdauer.

    „Sieht mir nach einer fetten Sause aus", grinste Dario, während ich meine Schläfen massierte.

    „Julia war auch dabei, wurde ich ernst. „Das war eine echte Überraschung.

    „Julia? Hast du etwa immer noch ein Problem mit ihr? Ich dachte, ihr kommt mittlerweile ganz gut miteinander aus. Zumindest hatte ich den Eindruck."

    „Ja. Eigentlich schon. Trotzdem ist es komisch, wenn du in einen Bus nach Berlin mit lauter gut gelaunten Junggesellinnen steigst und die einzige Person, die du wirklich kennst, deine Ex ist", erklärte ich ihm.

    Mitfühlend tätschelte er meine Schulter.

    Julia kannte ich in etwa so lange wie Dario. Wir waren zusammen zur Schule gegangen. Sie war für mich immer die Schwester gewesen, die ich nie hatte. Früher war sie oft bei uns. Ich erinnerte mich an unbeschwerte Nachmittage in unserem wildwüchsigen Garten, wo wir Verstecken gespielt hatten oder mit einem Flutschfinger-Eis im Baumhaus gehockt waren. Papa hatte mit uns Waffeln gebacken oder war mit uns ins Kino gegangen. Es war eine schöne Kindheit und Julia war ein großer Teil davon. Wir waren schon 19 und sie steckte mitten in ihrer Polizeiausbildung, als sich plötzlich alles änderte und wir uns mit anderen Augen sahen. Ich konnte mich noch gut an unseren ersten Kuss erinnern. Es war ein Abend an einem Wochenende und wir lagen beide in meinem Bett und schauten einen Harry-Potter-Film an. Keine Ahnung, was in uns gefahren war, aber auf einmal knutschten wir miteinander. Nur wenige Monate später zogen wir zusammen in eine kleine Wohnung und ich dachte, das mit Julia wäre etwas fürs Leben. Sieben Jahre später wurde ich auf schmerzliche Weise eines anderen belehrt.

    „Dann wäre ein bisschen Ablenkung ja genau das Richtige für dich, meinte Dario genüsslich zu mir und wedelte erneut mit dem Schlüsselbund vor mir. „Weißt du, wo die reinpassen?

    Ich schüttelte den Kopf. Nach Ratespielen stand mir augenblicklich nicht der Sinn.

    „Sag schon", wollte ich wissen.

    „Die Molfenter-Villa."

    Mit großen Augen blickte ich ihn an.

    „Die Molfenter-Villa, wiederholte ich fast schon ehrfürchtig. „Wie bist du an diese Schlüssel gekommen?

    „Ein Bekannter arbeitet dort auf der Baustelle. Er schuldet mir noch einen Gefallen."

    Keine Ahnung, wie alt die Villa war, aber sie schien wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, das dem Fortschritt trotzte. Früher wohl das Schmuckstück eines weitläufigen Holz- und Sägewerkareals, war sie heute eingekesselt vom Freibad, einem Verbrauchermarkt und der städtischen Realschule. Auf mich hatte sie schon immer eine magische Faszination gehabt, obwohl der Putz bereits von der Fassade bröckelte, Scheiben zu Bruch gegangen waren und wilde Büsche und Bäume das Areal zu vereinnahmen versuchten. Ich konnte mich nicht erinnern, wann die Villa zuletzt bewohnt gewesen war. Ein Lost Place mitten in der Stadt, der jedoch bald keiner mehr sein würde, da die denkmalgeschützte Villa nach langen Jahren des Leerstands renoviert werden und in neuem Glanz erstrahlen sollte. Und als Dario mir nun die Schlüssel vor die Nase hielt, lief mir förmlich das Wasser im Munde zusammen und ich wusste, dass ich dieser Versuchung nicht widerstehen konnte.

    „Bist du dabei, Vinz?", fragte er mich erwartungsvoll.

    „Ich fürchte ja. Wann gehts los?"

    „Wäre vielleicht besser, wenn es schon dunkel ist. Wir sollten keine große Aufmerksamkeit erregen. Wie wäre Mitternacht?"

    „Mitternacht. Okay."

    Eine leichte Gänsehaut überzog plötzlich meine Arme und ich wurde erfüllt von einem Gefühl von Aufregung und kindlicher Neugier. Es war, als wäre Weihnachten mitten im Sommer. Mein Kater vom Junggesellinnenabschiedswochenende war mit einem Mal so gut wie weggeblasen und ich konnte es kaum noch erwarten, bis die Kirchturmglocken zur Geisterstunde läuteten.

    Kapitel 2

    Ich war ein erwachsener Mann, der seine eigenen Entscheidungen traf. Deshalb erachtete ich es nicht als notwendig meine Eltern über jeden meiner Schritte zu unterrichten. Und erst recht nicht darüber, dass ich mich mit meinem besten Freund um Mitternacht in der alten Molfenter-Villa herumtreiben würde. Ich saß auf der Kante meines Futonbettes und checkte meinen Fotoapparat, mit dem ich hoffte, ein paar schöne Schnappschüsse für meinen Insta-Kanal zu schießen, auf dem ich unter einem Pseudonym immer wieder Bilder von Lost Places veröffentlichte.

    Mein Zimmer unter dem Dach hatte sich trotz der guten Isolation, die mein Vater vor wenigen Jahren anbringen hatte lassen, während des heißen Sommertages beträchtlich aufgeheizt. Obwohl es längst Nacht war, strömte durch das geöffnete Fenster immer noch Wärme herein. Lediglich ein leichter Wind sorgte dafür, dass es sich nach einer schwachen Abkühlung anfühlte. Ich stand vom Bett auf und verstaute meine digitale Spiegelreflexkamera in meiner Fototasche, die ich mir schließlich um die Schulter hängte. In die Taschen meiner Multifunktionshose stopfte ich mir noch eine altmodische batteriebetriebene Taschenlampe, deren Funktionstüchtigkeit ich kurz zuvor getestet hatte. Ich schlüpfte in meine Sneakers und versuchte lautlos die alte Treppe hinunterzuhuschen, was gar nicht so einfach war, da sie immer wieder leise knarzte. Gerade als ich die Haustür öffnen wollte, ertönte hinter mir ein heiseres Gebell.

    „Dietlinde?"

    Als Antwort erhielt ich ein weiteres Wuff. Schwanzwedelnd stand die Dackeldame vor mir und ich fürchtete, dass ich nicht umhinkam, sie mitzunehmen. Nicht, dass sie mich noch verraten würde. Schnell leinte ich sie an und trat mit ihr vor die Tür auf die Kopfsteinpflasterstraße der Altstadt, die noch die Wärme des Tages gespeichert hatte. Die Gasse wurde vom hellen Vollmond in ein seltsam weißes Licht getaucht. Neben unserer Haustür prangte Papas üppige Funkiensammlung, die er in großen Pflanztöpfen zog und auf die er sehr stolz war. Es brannten nur noch vereinzelt Lichter in den Nachbarhäusern. Dario lehnte bereits wartend an der Hausmauer. Auf dem Rücken trug er einen kleinen Rucksack.

    „Da bist du ja endlich. Und wie ich sehe, nicht alleine", meinte er gelassen zu mir, ging in die Knie und streichelte erst mal die Hundedame, der das zu gefallen schien.

    „Sie wollte unbedingt mit", meinte ich schulterzuckend.

    „Ist vielleicht gar nicht so schlecht", überlegte mein Freund laut.

    „Dann kann sie uns beschützen", ergänzte ich.

    „Quatsch. Dietlinde ist die optimale Tarnung."

    „Tarnung?"

    „Na ja. So sind wir nur zwei Typen, die ihren Hund Gassi führen. Total unauffällig."

    „Wieso? Wir machen doch nichts, wofür wir eine Tarnung nötig hätten. Einen Lost Place zu fotografieren ist doch keine Straftat."

    „Höchstens Hausfriedensbruch, meinte er lapidar. „Und jetzt aber los.

    Gerade als er das sagte, begann die Kirchturmuhr von Maria Himmelfahrt Mitternacht zu schlagen, was die leichte Aufregung, die ich eh schon verspürte, noch weiter beflügelte. Die Nacht war lau und die Stadt schien bereits zu schlafen. Wir spazierten durch die menschenleere Gasse zum Stadtpark. Glühwürmchen schwirrten vor den mächtigen alten Bäumen auf und ab. Mit forschem Schritt zog mich Dietlinde hinter sich her. Meine Müdigkeit hatte sich mittlerweile komplett verflüchtigt.

    „Von wem hast du den Schlüssel für die Villa?", wollte ich von Dario wissen.

    „Ich habe versprochen, Stillschweigen darüber zu bewahren."

    „Stillschweigen? Hm."

    Mittlerweile gingen wir auf dem Gehweg entlang der Straße. Die Villa lag bereits in Sichtweite, verborgen hinter einem verwilderten Gartengrundstück, eingegrenzt von einem alten rostigen Zaun, der wie eine Sammlung aufgereihter Pfeilspitzen wirkte, die zusätzlich mit einem Stacheldraht umflochten waren. Einladend wirkte das Ganze nicht gerade. Trotzdem konnte ich es kaum noch erwarten, in das Innere zu gelangen. Es war schwer vorstellbar, dass dieses heruntergekommene Gebäude in den nächsten Monaten in ein gemütliches Hotel umgebaut werden sollte. Zielstrebig liefen wir auf die Villa zu und kämpften uns durch das Dickicht, das uns den Weg versperrte.

    „Aua."

    Der Ast eines Busches knallte mir ins Gesicht.

    „Leise", mahnte mich Dario, was auch Dietlinde verstanden haben musste, denn sie machte keinen Mucks.

    Endlich standen wir vor der alten verwitterten Holztür, die trotzdem sie ihre besten Zeiten lange hinter sich hatte, immer noch herrschaftlich wirkte. Pathetisch hob Dario einen antiken Schlüssel in die Höhe und schaute mich mit großen Augen und einem breiten Grinsen an.

    „Dann wollen wir mal."

    Er steckte den Schlüssel ins Schloss und wenig später sprang die Tür mit einem lauten Knarzen auf. Eine kindliche Vorfreude machte sich in mir breit, als wir die Villa endlich betraten. Es war stockdunkel. Ich zückte meine Taschenlampe und leuchtete vorsichtig die Räumlichkeiten ab.

    „Faszinierend", kommentierte Dario mit leiser Stimme.

    „Irgendwie gruselig", meinte ich zu ihm und merkte, wie sich eine leichte Gänsehaut auf meinen Unterarmen bildete.

    Langsam schritten wir über den alten Fußboden durch die Räume des Untergeschosses. Die Zimmer waren noch möbliert, lediglich der Staub, den wir aufwirbelten, zeugte davon, dass hier wohl schon seit vielen Jahren niemand mehr gewohnt hatte. Spinnweben hingen von der Decke. Es fühlte sich an, als wären wir in einem Geisterhaus gelandet. Ich zückte meinen Fotoapparat und drückte ab. Das Blitzlicht durchzuckte das Dunkel der Räume. Ich erschrak kurz, als mich plötzlich von einem alten Ölbild an der Wand eine Frau anblickte. Meine Begeisterung für diesen Ort wuchs mit jedem Klicken. Ein mottendurchfressener Ohrenbackensessel stand mitten im Raum und wartete darauf, zu neuem Leben zu erwachen. Ich hatte das seltsame Gefühl, dass jeden Moment jemand hereinkommen und sich dort hinsetzen könnte, obwohl ich wusste, dass das wohl nicht passieren würde.

    „Wollen wir in den oberen Stock?", fragte Dario, nachdem wir schon eine Weile das Erdgeschoss inspiziert hatten.

    „Gerne", stimmte ich seinem Vorschlag zu und war schon voller Erwartung, welches Bild sich uns dort oben bot.

    Dietlinde schnüffelte wie verrückt, als hätte sie eine Fährte aufgenommen. Ich zog an ihrer Leine, doch sie ließ sich nicht so recht bewegen.

    „Komm schon, Dietlinde", redete ich ihr gut zu, doch es brauchte noch ein Leckerli aus Darios Rucksack, um sie umzustimmen.

    Wenig später schlichen wir die knarzige alte Holztreppe in das Obergeschoss hinauf. Der Putz bröckelte an manchen Stellen von den Wänden. Zerrissene Vorhänge hingen an den alten Sprossenfenstern. Mit lautem Quietschen öffnete Dario eine Tür, die in ein Schlafzimmer führte. Ein großes Doppelbett stand in der Mitte des Raumes, daneben zwei Nachtkästchen, die mit künstlerischen Schnitzereien verziert waren. Während ich damit beschäftigt war zu fotografieren, machte Dario es sich auf den Matratzen des Bettes bequem und kramte aus seinem Rucksack zwei Dosen Bier hervor.

    „Komm, lass uns anstoßen", meinte er zu mir.

    Ich verstaute meinen Fotoapparat in der Tasche und leuchtete mir mit der Taschenlampe den Weg zu ihm, bevor ich mich auf die Matratze setzte, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie mit Stroh gefüllt war. Dietlinde legte sich auf einen Bettvorleger.

    „Bequem ist anders", stellte ich fest.

    Dario drückte mir meine Bierdose in die Hand und lehnte sich entspannt zurück. Ich leuchtete noch immer die Ecken des Raums aus. Ein düster wirkendes altes Gemälde hing an der Wand. Daneben stand ein wuchtig wirkender Schrank. Ich schrak zusammen, als plötzlich ein lautes Zischen die Stille der Villa durchschnitt.

    „Musst du mich so erschrecken?", brummte ich in Darios Richtung,

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