Als Pascal sie verlies: Dr. Daniel 5 – Arztroman
Von Marie Francoise
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Mit recht langsamen, schleppenden Schritten verließ Saskia Felber das kleine Kinderheim, in dem sie bis heute gearbeitet hatte. Nun war sie also arbeitslos – wieder einmal. Allerdings hatte sie die Tätigkeit hier in den letzten Wochen zunehmend belastet. Ständig mit Kindern zu tun zu haben und gleichzeitig zu wissen, daß man selbst keine bekommen konnte, war nicht gerade einfach. Noch dazu, wo vor einem Jahr noch alles ganz anders für sie ausgesehen hatte. Gewaltsam schüttelte Saskia die trüben Gedanken ab. Es hatte keinen Sinn, weiter darüber nachzugrübeln. Das Baby ließ sich nicht mehr zurückholen, und auch Pascal hatte seine Entscheidung getroffen. Mit quietschenden Rädern schaukelte die Straßenbahn heran und blieb schließlich stehen. Saskia drückte auf den Knopf, der die Tür mit einem leisen Zischen aufgehen ließ, dann stieg sie ein – froh, dem gerade einsetzenden Regen entfliehen zu können. Trübsinnig starrte sie aus dem Fenster. Sie haßte die Stadt. Sie haßte jede Stadt, denn bis jetzt hatte ihr noch keine Glück gebracht. Und sie haßte das Wetter in der Stadt. Wenn die Sonne schien, dann wurde es schwül und stickig, und der Asphalt verwandelte sich in eine schmierige Masse. Wenn es regnete, dann war die ganze Stadt grau und trostlos, und im Winter – da wurde aus dem herrlichen Schnee in Sekundenschnelle schwarzbrauner, feuchter Matsch. Jetzt schien der Himmel seine Schleusen endgültig geöffnet zu haben. Es regnete in Strömen. Die Scheiben der Straßenbahn waren beschlagen, die Tropfen trommelten auf das Blechdach, und wahre Sturzbäche rannen über die Fenster. Drinnen roch es nach nassen Regenschirmen und feuchten Haaren.
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Als Pascal sie verlies - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 5 –
Als Pascal sie verlies
Marie Francoise
Mit recht langsamen, schleppenden Schritten verließ Saskia Felber das kleine Kinderheim, in dem sie bis heute gearbeitet hatte. Nun war sie also arbeitslos – wieder einmal. Allerdings hatte sie die Tätigkeit hier in den letzten Wochen zunehmend belastet. Ständig mit Kindern zu tun zu haben und gleichzeitig zu wissen, daß man selbst keine bekommen konnte, war nicht gerade einfach. Noch dazu, wo vor einem Jahr noch alles ganz anders für sie ausgesehen hatte.
Gewaltsam schüttelte Saskia die trüben Gedanken ab. Es hatte keinen Sinn, weiter darüber nachzugrübeln. Das Baby ließ sich nicht mehr zurückholen, und auch Pascal hatte seine Entscheidung getroffen.
Mit quietschenden Rädern schaukelte die Straßenbahn heran und blieb schließlich stehen. Saskia drückte auf den Knopf, der die Tür mit einem leisen Zischen aufgehen ließ, dann stieg sie ein – froh, dem gerade einsetzenden Regen entfliehen zu können.
Trübsinnig starrte sie aus dem Fenster. Sie haßte die Stadt. Sie haßte jede Stadt, denn bis jetzt hatte ihr noch keine Glück gebracht. Und sie haßte das Wetter in der Stadt. Wenn die Sonne schien, dann wurde es schwül und stickig, und der Asphalt verwandelte sich in eine schmierige Masse. Wenn es regnete, dann war die ganze Stadt grau und trostlos, und im Winter – da wurde aus dem herrlichen Schnee in Sekundenschnelle schwarzbrauner, feuchter Matsch.
Jetzt schien der Himmel seine Schleusen endgültig geöffnet zu haben. Es regnete in Strömen. Die Scheiben der Straßenbahn waren beschlagen, die Tropfen trommelten auf das Blechdach, und wahre Sturzbäche rannen über die Fenster. Drinnen roch es nach nassen Regenschirmen und feuchten Haaren. Von der gelben Ölhaut des neben ihr stehenden Mannes tropfte es beständig auf ihren Rock.
»Hey, Saskia! Mensch, bist du’s wirklich?«
Saskia blickte auf und direkt in die strahlend blauen Augen einer hübschen, blonden Frau.
»Kennst du mich noch?« wollte die wissen, und ein freundliches Lächeln erhellte ihr sympathisches Gesicht.
Saskia nickte. »Natürlich, Brigitte. Sollte ich meine Banknachbarin aus der Berufsschule etwa vergessen haben? Was machst du denn hier in Köln?«
Brigitte lachte und warf ihr wallendes blondes Haar zurück. »Du bist gut. Ich lebe hier. Seit drei Jahren bin ich verheiratet und schon Mutter. Meine Kleine habe ich gerade bei der Oma abgeliefert, weil ich zum Arzt muß.«
Saskia senkte den Kopf. Verheiratet und ein Kind. Ja, sie könnte auch schon verheiratet sein. Und ein Kind haben, wenn…
»Und du?«
Brigittes Stimme riß sie in die Wirklichkeit zurück.
»Ich habe bis heute in einem kleinen Kinderheim hier in der Stadt gearbeitet. Leider wird das Heim jetzt aufgelöst.«
»Noch nicht verheiratet?«
»Nein, noch nicht«, antwortete Saskia leise, dann stand sie abrupt auf. »Ich muß aussteigen. War nett, dich zu sehen, Brigitte. Mach’s gut!«
Sie sprang vom Trittbrett und lief durch den Regen. Innerhalb von Minuten war sie völlig durchnäßt. Das sonst so weiche, schwarze Haar hing in dicken, nassen Strähnen bis weit über ihren Rücken. Regentropfen liefen über ihr zartes Gesicht – Regentropfen undTränen.
Wieder einmal haderte Saskia mit ihrem Schicksal. Brigittes Fragen hatten alles wieder so gegenwärtig werden lassen. Mit dem Handrücken wischte Saskia über ihre Augen, doch das war ein sinnloses Unterfangen, denn immer wieder strömten neue Tränen nach – sie wußte, daß es Tränen waren, denn der Regen hatte so plötzlich aufgehört, wie er begonnen hatte.
»Warum?« fragte sie verzweifelt. »Meine Güte, warum nur?«
Noch immer konnte sie Pascals Reaktion von damals nicht verstehen. Wenn sie das Baby abgetrieben hätte… aber so, es war doch ein Unfall gewesen – ein Unfall, an dem sie völlig schuldlos gewesen war.
»Ist Ihnen nicht gut, Fräulein?« wurde sie in diesem Augenblick von einer Dame mittleren Alters angesprochen.
Saskia schüttelte den Kopf. »Alles in Ordnung, danke.«
»So sehen Sie aber nicht aus«, beharrte die Dame.
»Bitte… lassen Siemich…«, stammelte Saskia, riß sich los und rannte blindlings über die Straße. Ein Auto hupte, Bremsen kreischten, und die Dame, die Saskia noch hatte festhalten wollen, schrie entsetzt auf, dannlief sie auf die Fahrbahn und beugte sich über das am Boden liegende junge Mädchen.
Noch ein wenig benommen versuchte Saskia sich aufzurichten. Ihr rechtes Bein schmerzte, und aus einer Schürfwunde an ihrem linken Arm sickerte Blut.
»Ich konnte nichts dafür«, beteuerte der Autofahrer den herbeigeeilten Passanten gegenüber. »Sie ist mir direkt ins Auto gelaufen.«
»Lassen Sie mich durch!« ertönte jetzt eine energische Stimme. »Ich bin Arzt.«
Bereitwillig wurde dem Mann Platz gemacht, dann beugte er sich über Saskia und tastete ihren Körper ab.
»Da hatten Sie aber Glück, junges Fräulein«, meinte er. »Es scheint nichts gebrochen zu sein.« Er blickte auf und direkt in das Gesicht des Autofahrers. »Ich nehme an, Sie wollen die Polizei holen, oder?«
Der Autofahrer zuckte die Schultern. »Besser wär’s wohl. Wegen der Versicherung und so.«
Der Arzt nickte. »Gut. Ich bin Dr. Schuhmacher, und meine Praxis befindet sich gleich in diesem Haus, 1. Stock. Ich werde das junge Fräulein mitnehmen, um die Wunden zu versorgen.«
Der Autofahrer nickte. »Ist in Ordnung. Ich schicke die Beamten dann zu Ihnen hinauf.«
Schwer auf den Arzt gestützt, erhob sich Saskia und ließ sich in die Praxis bringen.
»Ich weiß überhaupt nicht, was in mich gefahren ist«, erklärte sie, während Dr. Schuhmacher die Schürfwunde mit einem Antiseptikum bestrich.
Jetzt bedachte er Saskia mit einem prüfenden Blick. »Ich bin zwar kein Psychiater, aber auch ich sehe, daß Sie eine Menge Probleme mit sich herumzuschleppen scheinen.«
Saskia nickte.
»So ist es tatsächlich«, flüsterte sie.
Der Arzt griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Möchten Sie darüber sprechen?«
Saskia zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, Herr Doktor, ich glaube nicht.« Sie sah ihn an. »Sie denken doch wohl nicht etwa, daß ich Selbstmord begehen wollte?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe nicht gesehen, wie der Unfall passiert ist.« Er betrachtete sie forschend. »War es denn ein Selbstmordversuch?«
Saskia schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte nur in Ruhe gelassen werden.« Sie senkte den Blick. »Wissen Sie, eine Frau hat mich angesprochen. Sie war besorgt, aber…« Ein wenig hilflos zuckte sie die Schultern.
Der Arzt zögerte einen Moment, dann fragte er: »Sind Sie allein hier in Köln?«
Saskia nickte. »Seit einem Jahr. Vorher…« Sie beendete den Satz nicht, und der Arzt drängte sie auch nicht zum Weitersprechen.
»Und wo sind Sie zu Hause?« wollte er wissen.
»Nirgends.«
Mit einem gütigen Lächeln sah Dr. Schuhmacher sie an. »Das gibt es doch gar nicht. Jeder Mensch hat eine Heimat.«
»Eine Heimat«, wiederholte Saskia leise. »Ja, eine Heimat habe ich schon. Aber was soll ich da noch? Wahrscheinlich gibt es niemanden mehr, der sich an mich erinnert. Ich bin vor fast sieben Jahren weggegangen. Damals war ich achtzehn. Jetzt bin ich bald fünfundzwanzig.« Sie schüttelte den Kopf. »Was soll ich also dort?«
»Leben Ihre Eltern noch?«
Saskia schüttelte den Kopf. »Sie starben, als ich noch ein Kind war. Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen, aber die lebt inzwischen auch nicht mehr.«
Grenzenloses Mitleid erfaßte Dr. Schuhmacher. Dieses Mädchen war so alt sie seine eigene Tochter. Wenn er sich Kirsten in einer solchen Situation vorstellte…
»Vielleicht sollten Sie trotzdem in Ihre Heimat zurückkehren«, meinte er. »Ich bin sicher, daß es dort jemanden gibt, der sich an Sie erinnern wird. Schulfreunde vielleicht.«
Saskia senkte den Kopf.
»Stefan«, murmelte sie, dann sah sie Dr. Schuhmacher an und brachte plötzlich sogar ein Lächeln zustande. »Vielleicht haben Sie recht, Herr Doktor. Ich werde es versuchen.« Sie zuckte die Schultern. »Hier in Köln hält mich ohnehin nichts mehr. Ich bin seit heute arbeitslos, und das winzige Zimmer, in dem ich bisher gewohnt habe, wird mir bestimmt nicht fehlen.«
*
»Ricky?«
Noch im Halbschlaf tastete Marina Schermann mit einer Hand zu dem Bett ihres Mannes hinüber, dann wälzte sie sich mit einem mühsamen Ächzen auf die andere Seite. Der dicke Bauch war wirklich überall im Weg, undMarina sehnte den Geburtstermin herbei – auch wenn sie gleichzeitig