Seewölfe - Piraten der Weltmeere 413: Geusenblut
Von Roy Palmer
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Buchvorschau
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 413 - Roy Palmer
9
1.
Die Nacht hatte sich über Havanna gesenkt. Don Antonio de Quintanilla, seines Zeichens Gouverneur von Kuba, lag satt und zufrieden in seinem warmen, weichen Bett und schlief sorglos ein. Was sollte ihm jetzt auch noch Kummer oder Kopfzerbrechen bereiten? Er war wieder daheim und machte es sich in seiner Residenz so bequem wie möglich. Vor allem brauchte er nicht mehr um sein Leben zu zittern und zu bangen.
Das war noch bis vor wenigen Tagen der Fall gewesen. Kaum hatte er sich von dem Verband des Don Garcia Cubera heimlich getrennt und war somit dem vernichtenden Untergang entronnen, hatte das Schicksal gewollt, daß er mit seinen Kumpanen auf der Insel Great Inagua festsaß. Jemand hatte ihnen die Schaluppe entführt, und er wußte bis heute nicht, daß es Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, gewesen war.
Schließlich hatte er seine Flucht doch mit Vargas, dem Bootsmann, fortgesetzt, sich aber dieses Vargas’ unter Verwendung einer Pistolenkugel entledigt und war in Baracoa an Bord eines anderthalbmastigen Handelsseglers gegangen, der ihn nach Havanna mitgenommen hatte. Doch es war einem ungeheuerlichen Zufall zuzuschreiben, daß Caligula und zwei Spießgesellen diesen Segler hatten kapern können.
Aber auch dieses Problem hatte Don Antonio zu lösen gewußt. Die Piraten hatten die reguläre Besatzung des Anderthalbmasters getötet – ihn aber hatten sie verschont, obwohl Caligula ihn aus Haß und Rache hatte erstechen wollen. So war das neue Bündnis geschlossen worden: Don Antonio „arbeitete jetzt mit der Black Queen zusammen, und er hatte ihr versprochen, ihr so viele Schiffe zu beschaffen, wie sie haben wollte. Nicht nur das: Er hatte ihr auch bereits ein hübsches Sümmchen „Betriebskapital
übergeben, das sie an Bord des Anderthalbmasters hatte schaffen lassen.
Ein Schiff war nun auch requiriert, und zwar die „Zeehond", eine holländische Fleute, die seit ein paar Tagen an einer der Piers vertäut hatte.
Ein weiteres Schiff hatte das Interesse der Queen erregt: die „Wappen von Kolberg", die an der Pier vor dem Handelshaus von Manteuffel lag. Aber die war ihr entgangen. Die Deutschen waren unvermittelt wieder ausgelaufen, ehe Don Antonio die Galeone kaufen konnte, wie er es Arne von Manteuffel vorgeschlagen hatte.
Sie hatten nun mal Angst, diese Deutschen. So jedenfalls hatte es Arne von Manteuffel bei seinem Besuch in der Residenz dargestellt. Und Don Antonio hatte nicht den geringsten Grund, an seinen Worten zu zweifeln, denn bisher waren sie immer prächtig miteinander ausgekommen. Welchen Grund hatte der deutsche Handelsherr schon, ihm etwas vorzuschwindeln? Nicht den geringsten. Und er hatte auch diesmal ein kostbares Geschenk mitgebracht, ein wunderschönes Stück Bernstein, das „Gold der Ostsee".
Angst hatten sie, diese biederen deutschen Handelsfahrer, und zwar vor den englischen Piraten, die nach der Niederlage des Kriegsschiffverbandes leicht von ihrem Schlupfwinkel aus nach Havanna vordringen konnten. So dachten sie, und keiner schien sie davon abbringen zu können.
Don Antonio indes glaubte nicht an einen englischen Angriff auf Havanna. Die bleiben auf ihrer verfluchten Schlangen-Insel und räumen erst einmal auf, dachte er noch, bevor er friedlich einschlummerte, und die haben vom Kämpfen vorläufig auch die Nase voll.
Was nun die „Wappen von Kolberg betraf, so war auch das kein Problem. Die Queen würde sich damit abfinden müssen. Außerdem würde Don Antonio ihr sehr schnell ein anderes Schiffchen besorgen. Arne von Manteuffel hatte sogar angekündigt, daß er bei der Suche nach passenden Seglern behilflich sein würde. Wobei er allerdings annahm, daß der Gouverneur plane, eine Art „Reederei
zu eröffnen, zu welchem Zweck auch immer. Er ahnte nichts, so schien es, und es bestand kein Grund, ihn in die Pläne einzuweihen, die er, Don Antonio, bezüglich der Queen hatte.
Gründlich waren diese Deutschen ja, und sicherlich würde von Manteuffel mit Eifer und Ehrgeiz bei der Sache sein. Don Antonio brauchte im Prinzip keinen Finger zu rühren. Er konnte beruhigt in seinem Palast weilen, kandierte Früchte essen und süßen, klebrigen Portwein trinken.
Was draußen vor sich ging, interessierte ihn nicht. Was ging es ihn an? Er war froh, daß er wieder mal sein Schäfchen im trockenen hatte. Die Queen würde für ihn arbeiten, und wenn sie die Sache mit der Schlangen-Insel in die Hand nahm, war ihm sein Anteil an dem großen Schatz bereits jetzt sicher. Also: Was scherte es ihn, was sich in Havanna tat? Solange sein wertvolles Gouverneursleben nicht in Gefahr geriet, hatte er damit nichts zu tun.
Von dem, was sich derzeit abspielte, ahnte er also nichts. Er träumte von der Black Queen und ihren großen, schwarzen Brüsten. Sie saß auf einem Berg von kandierten Früchten und Zuckerguß, breitete die Arme und Beine aus und lächelte ihm aufmunternd und einladend zu. Ihr einziges Kleidungsstück war eine gewaltige Kette, geschmiedet aus dem Gold der Schlangen-Insel.
Eine schönere Art von Traum, so fand Don Antonio, konnte es nicht geben – und fast jeder andere an seiner Stelle hätte ihm das bestätigt.
Der holländische Kapitän Wim de Bruijn stellte einen krassen Gegensatz zu Don Antonio de Quintanilla dar, sowohl äußerlich als auch innerlich. Er war ein stämmiger Mann mit wasserhellen Augen und einem von Wind und Wetter gegerbten, kantigen Gesicht. Vor allem war er ein aufrichtiger, geradlinig denkender Mann, dem man aus den Zügen jederzeit ablesen konnte, was gerade in ihm vorging.
Er war nicht fett und aufgedunsen und weder hinterlistig noch verschlagen und korrupt. Und er schlief auch nicht. Wie in den vergangenen beiden Nächten tat er kein Auge zu. Unablässig befaßte er sich mit seinen Flüchtplänen und ließ sich selbst keine Ruhe.
Er hockte mit dem Rücken gegen die feuchte Steinwand gelehnt auf dem Boden des Kerkers und blickte zu dem winzigen quadratischen Fensterloch auf. Hinter den Eisenstäben waren die Sterne zu erkennen, die wie silbrige Tupfer auf einem samtenen Umhang wirkten.
„Wir schaffen es, sagte de Bruijn. „Wir kommen hier raus, keine Sorge. Und sie werden sich wundern, diese verfluchten Hunde. Diese feigen, dreckigen Hunde.
„Du solltest dir aber doch ein wenig Schlaf gönnen, sagte Jost Heineken, sein Erster Offizier und Bootsmann, der rechts neben ihm saß und die Beine an den Leib gezogen hatte. „Hau dich endlich hin.
„Nein. Später, wenn wir wieder an Bord sind, kann ich genug pennen", brummte de Bruijn.
Ja, das war sein Plan: Er wollte ausbrechen und sein Schiff zurückerobern – sein rechtmäßiges Eigentum.
Heineken ließ aber doch nicht locker. „Ich meine nur – du solltest dich nicht zu sehr verausgaben. Du brauchst doch deine Energien noch."
„Ich bin so frisch und munter wie ein Fisch, sagte der Kapitän mit grimmiger Miene. „Und du, Jost Heineken, brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen. Ich kann eine Woche lang auf Schlaf verzichten, das weißt du.
„Ja, natürlich."
„Wir sitzen jetzt seit drei Tagen und zwei Nächten hier fest, und das ist bereits entschieden zuviel." De Bruijn lauschte den Schritten des Postens. Sie bewegten sich an der Bohlentür der Zelle vorbei, entfernten sich und verklangen dann ganz. Der Posten war seine gewohnte Runde gegangen und wieder ins Wachlokal zurückgekehrt.
Die Männer hatten sich an diese Kontrollgänge gewöhnt. Sie legten eine Verschnaufpause ein, wenn der jeweilige Wächter