Auf dem Fahrrad macht man keinen Mittagsschlaf: Unterwegs am Main
Von Heinz Engelhardt
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Auf dem Fahrrad macht man keinen Mittagsschlaf - Heinz Engelhardt
Heinz Engelhardt
Auf dem Fahrrad
macht man keinen Mittagsschlaf
Unterwegs am Main
Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Impressum:
© Verlag Kern GmbH, Ilmenau
© Inhaltliche Rechte beim Autor
1. Auflage, Oktober 2017
Autor: Heinz Engelhardt
Umschlag/Layout/Satz: B. Winkler, www.winkler-layout.de
Bildquelle Cover: www.fotolia.com | © VRD
Illustrationen: Heinz Engelhardt, Karina Engelhardt (S. 46)
Lektorat: Dorothea von der Höh, Kevelaer
Sprache: deutsch, broschiert
ISBN: 978-3-95716-228-1
ISBN E-Book: 978-3-95716-244-1
www.verlag-kern.de
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Entnahme von Abbildungen, Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, Speicherung in
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Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Einführung
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
Einführung
Helmut hat die Fünfzig bereits überschritten und möchte noch mal richtig durchstarten. Radfahren ist sein neues Hobby.
Er ist bereits den vierten Tag auf dem Drahtesel unterwegs, um seine Cousine in Hessen zu besuchen. Mit Leichtigkeit auf ebenen Radwegen dahingleiten und dabei die herrlichen Landschaften genießen – so hat sich Helmut aus Südthüringen seine Tour vorgestellt. Es läuft nicht alles glatt.
Zu seiner Verblüffung ist der Kampf mit den kleinen Tücken des Alltags die eigentliche Herausforderung. Hitze, Erschöpfung, Durst und immer neue Missgeschicke trüben die Stimmung. Gelegentlich plagen den reiselustigen Senior Selbstzweifel. Ist er schon zu alt? Immer wieder muss er sich motivieren.
Die arteigene Denkweise des Autors verleiht vielen Episoden eine groteske Note. Selbst die Schilderungen von Banalitäten haben einen gewissen Unterhaltungswert und manche Desaster nehmen kuriose Wendungen an. Gratis liefert er subjektive Lebensweisheiten und seine arglose Weltsicht durch eine ostdeutsche Brille.
I
Krach! Bremsen quietschen. Plötzlich laute Rufe! Erschrocken vernehme ich hinter mir ein kratzend rutschendes Geräusch. Und wieder lautes Quietschen.
Eine Männerstimme ruft mehrmals: „Halt! Halt! Hallo! – Anhalten!" Ich zucke heftig zusammen.
Eine Fahrradklingel bimmelt stürmisch und die Männerstimme hinter mir ruft nochmals: „Anhalten! – Hallo, Sie da vorn!" Der meint mich! Beängstigt sehe ich nach hinten. Eine graue Staubwolke entfaltet sich. Ich erblicke drei Radfahrer, die wohl soeben stark gebremst haben. Knapp hinter mir halten sie. Ich trete kräftig in den Rücktritt. Nach kurzem Rutschen auf dem sandigen Radweg bringe ich mein Fahrrad zum Stehen. Auch meine Staubwolke entfaltet sich und weht nach hinten. Gespannt wende ich meinen Kopf den Männern zu. Was werden die denn so Aufregendes mitzuteilen haben? Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert!, denke ich und spekuliere, warum diese Herren mir einen solchen Schreck eingejagt haben.
Ich lehne mein Fahrrad rechts an einen Metallgartenzaun, um den drei Radlern zu Hilfe zu eilen. Augenblicklich ertönt lautes Hundegebell. Es kommt vom Gartengrundstück hinter dem Zaun. Aus der Haustür eines schmucken Einfamilienhauses flitzt ein grauweißer Zwergschnauzer aufgeregt in meine Richtung. Wild springt er an der Umzäunung hoch und beißt dabei in den Lenkergriff meines Fahrrades, der durch den Zaun in sein Revier ragt. Sofort nach diesem Angriff kreischt es markerschütternd durch die dichte mannshohe Hecke im Garten: „Rudi! Ruudiii!"
Eine Frau kommt aufgeregt von der Hecke auf mich zugehastet. Ich ziehe mein Fahrrad eilig vom Zaun zurück. Rudi hört nicht auf zu bellen. Die drei Radler beobachten mich schelmisch.
„Guten Tag, ich hatte nur kurz mein Fahrrad an Ihren Zaun gelehnt", erkläre ich reumütig der Frau. Meine Entschuldigung wird vom lauten Kläffen des Hofhundes übertönt. Endlich hat sich der Köter beruhigt und verkrümelt sich in Richtung Hauseingang.
„Grüß Gott!, begrüßt mich die Frau hinter der Einfriedung mit freundlicher Stimme. Ich antworte ebenfalls mit „Grüß Gott
und schiebe mein Fahrrad dabei noch mehr vom Grundstück zurück. Jetzt erwarte ich einen Vorwurf, weil ich mein Fahrrad an den Zaun gelehnt habe, oder wenigstens eine Hundegeschichte über Rudi. Viele Hundebesitzer erzählen am Anfang einer Begegnung etwas über ihre Vierbeiner. Ihr Blick schweift jedoch neugierig zu den drei feschen Mannsbildern mit den Fahrrädern. Sie warten seit ihrem Radstopp bewegungslos auf mich.
„Sie haben Ihre Mütze verloren! Das ist doch Ihre!?", ruft einer der Radfahrer. Dabei zeigt er mit seiner in dunkelgraue Handschuhe gehüllten Hand in Richtung seines Hinterrades.
„Ach, die ist ja tatsächlich mir! Ich erkenne meine oliv-grünliche Stoffmütze mit Sonnenschild. Vor einigen Minuten hatte ich sie wegen des Fahrtwindes abgesetzt und an den Fahrradlenker gehängt. Wahrscheinlich haben sich die Druckknöpfe gelöst, mit denen ich die Mütze zusammengeklemmt hatte. So ist sie mir unbemerkt abgefallen. Bevor ich etwas sagen kann, hebt der hintere Radfahrer die Mütze auf und reicht sie mir zu. „Oh, herzlichen Dank, ich habe gar nicht gemerkt, dass ich sie verloren habe!
, begrüße ich das Radlertrio und bemerke ironisch: „Das war ja fast ein Auffahrunfall, die Bremsen haben laut genug gequietscht. Zum Glück ist Ihnen nichts passiert."
„Ist schon o. k."
Ich nehme meine zerknautschte Kopfbedeckung entgegen. Sie ist von mehrfachen Reifenspuren gezeichnet. Die drei jungen Männer, alle um die dreißig Jahre alt, schmunzeln anteilnehmend. Ihre gebräunten Körper sind elegant mit blau-schwarz gemusterten, kurzen Sportdresses bekleidet, die Sportschuhe farblich mit der Oberbekleidung abgestimmt. Abgerundet wird ihr Erscheinungsbild durch feine Lederhandschuhe, aus denen die Finger hüllenlos herausragen. Ihre Helme glänzen ebenso in der glühenden Sonne wie ihre Sporträder und die Schweißperlen auf ihrer Haut. Kerle wie aus einem Hochglanz-Sportmagazin.
„Angebertypen, murmle ich, „da kann ich nicht mithalten.
Bin ich neidisch oder verachte ich sie?
Wie auf Kommando schließen alle drei die Riemen ihrer Fahrradhelme.
„Wo soll es denn noch hingehen?", fragt mich der Anführer der Gruppe.
„Richtung Aschaffenburg, nach Sulzbach, antworte ich. „Na dann viel Spaß noch
, verabschieden sich die Rennfahrer gönnerhaft. Nach einem mitleidigen Blick auf meine unprofessionelle Radfahrerkleidung treten sie kräftig in die Pedale. Sie hinterlassen einen angenehmen Duft nach Sonnenöl. Schnell und dicht hintereinander rollend tauchen sie in eine Mulde ab und überqueren kurz darauf ein Bahngleis. Nach wenigen Augenblicken sind sie nur noch als drei kleine Punkte in der Ferne zu erkennen.
Ich bemerke jetzt umso mehr meinen Schweißgeruch. Das ist nicht verwunderlich, denn mit Wollpullover und langer Hose entspreche ich nicht unbedingt den sommerlichen Temperaturen.
Aber was soll ich tun? An meinen Armen und Beinen haben sich durch die Sonnenglut schon Blasen auf der Haut gebildet. Ein luftiger, langärmliger Sportdress könnte mir helfen, so etwas habe ich aber nicht mit. Ich hatte keinesfalls mit Hitze und Sonnenbrand gerechnet – es ist erst Ende Mai. So bevorzuge ich, zwischen zwei Übeln wählend, das Schwitzen vor dem Verbrennen.
In der Zwischenzeit ist die Frau hinter dem Zaun wieder ihrer Gartenarbeit nachgegangen. Gemeinsam mit ihrem Hund Rudi durchstreift sie ihre ausgedehnten Blumenrabatten, um diese oder jene Pflanze zu begutachten oder an ihr herumzuzupfen. Einige Pfingstrosen mit weißen und pinkfarbenen Blüten zieren den breiten Weg zum Gartentor. Dazu leuchten die prächtigen Blüten von gelben Margeriten und feuerrotem Mohn. Es duftet nach Flieder und frisch gemähtem Rasen. Hier gefällt es mir. Die Äste eines großen verdorrten Baumes bieten mir ein wenig Schatten. Ich setze mich auf einen bequem geformten Feldstein und beschließe, mich kurz auszuruhen.
Es ist schon der vierte Tag meiner Radreise. Gestartet bin ich im thüringischen Zella-Mehlis. Da war noch kühles Wetter, zudem hatte es stark geregnet, fast die ganze erste Etappe.
Doch jetzt ist es wie im Sommer – es herrschen Temperaturen von über dreißig Grad. Die Natur zeigt sich in üppigem Grün. Dabei ist noch Frühling.
Ich habe bereits Ortschaften wie Mellrichstadt, Bad Kissingen und Hammelburg an der fränkischen Saale durchquert. In der verträumten Kleinstadt Gemünden endet die schmale fränkische Saale und mündet in den ausgedehnten Main. Seitdem fahre ich auf wunderschönen Radwegen in Fließrichtung mit dem Main. Meine Endstation soll morgen die hessische Stadt Maintal, direkt bei Frankfurt gelegen, sein. Dann werden insgesamt dreihundertzwanzig Kilometer Fahrradstrecke hinter mir liegen.
Ich wühle in der Lenkertasche nach meiner Lesebrille. Anschließend finde ich die Landkarte, meinen Streckenplan und den Kugelschreiber. Pedantisch schreibe ich in die vorbereitete Streckentabelle:
Donnerstag, 28. Mai 2005, 12.00 Uhr
Tachometerstand
– 27
km
, Hitze, wolkenlos
einzelne Gehöfte vor Kirschfurt, rechtes Mainufer
Zusätzlich vermerke ich:
Mütze verloren, drei Radler
Nach den Aufzeichnungen nippe ich aus meiner Wasserflasche. Das Wasser schmeckt abscheulich. Es hat sich bereits auf Stufe „lauwarm" aufgeheizt, löscht aber etwas von meinem Riesendurst.
Ich klopfe den Staub von der soeben wiedererlangten Mütze. Die Reifenspuren am Schild bleiben trotzdem. Da ich Hunger verspüre, entscheide ich, meine Pause auszudehnen, und verspeise einen Teil meiner Wegzehrung: ein zerdrücktes, von zerlaufener Butter durchtränktes Brötchen mit Wurst- und Käsebelag. Ich schwitze. Mein Wollpullover kratzt überall. Wenn nur dieser elende Sonnenbrand nicht wäre!
Kauend rutsche ich auf meinem Steinsitz ein wenig zur Seite. So erhasche ich mehr Schatten von den dünnen Baumästen. Schön ist es hier. Vor mir in Sichtweite, kaum erkennbar zwischen dem üppigen Pflanzenwuchs, verläuft eine Eisenbahnstrecke. Darunter schlängelt sich der Radweg durch eine Unterführung. Zu meiner rechten Seite flimmert eine saftig grüne Wiese, mit vielerlei farbigen Blüten durchmischt. Sie zieht sich weit hinunter, bis zum Mainufer. Zwischen der bunten Pracht surren und schwirren unzählige Insekten. Auf der anderen Uferseite sind die Häuser des kleinen Ortes Freudenberg erkennbar. Weiter rechts breitet sich ein prächtig gelber Rapsfeldteppich aus, der sich bis zu einer Brückensilhouette am Horizont ausdehnt. Nachher werde ich dort den Main überqueren, um dem Radweg auf der linken Mainseite zu folgen.
Die wohltuende Ruhe wird jäh unterbrochen. Dröhnend, tosend und keuchend zieht eine Dampflok mit einer Reihe altertümlicher Waggons auf den Gleisen vorbei.
Wenig später bewegt sich eine lärmende Gruppe von etwa zehn Männern an der Bahnschiene entlang. Sie sind alle mit Kameras bewaffnet. Die langen Teleobjektive blinken in der Sonne. Anscheinend wollen sie die heute zahlreich fahrenden historischen Eisenbahnen fotografieren. Zwei Schafe grasen friedlich auf einer Koppel, gleich neben dem Gleis. Sie schenken diesem Rummel keine Beachtung.
Der Zug hinterlässt eine Spur gigantischer grauweißer Dampfschwaden und entschwindet leise schnaufend hinter einem kleinen Wiesenhügel. Langsam nach oben schwebend, lösen sich in der Ferne milchig weiße Wolken allmählich auf. Danach zieren nur noch wenige zarte, federartige Wölkchen den blauen Sonnenhimmel. Es sind die einzigen, die heute zu sehen sind. Eisenbahnromantik pur!
Am liebsten würde ich es den Männern gleichtun: ein bisschen an den Schienen umherrennen, auf gute Bilder lauern. Ich wüsste schon, wie und wo ich meinen Kamerastandpunkt aussuchen würde, wenn ich auf Bilderjagd wäre. Eine Weile blinzle ich mit den Augen in Richtung des Bahngleises, um so gedanklich tolle Fotos und Filmszenen aufzunehmen.
Jemand stupst mich ans Bein. Erstaunt entdecke ich Rudi, den Zwergschnauzer, neben mir. Anscheinend ist er aus dem Garten entwischt. Er verhält sich unauffällig und leise, um nicht von Frauchen entdeckt zu werden. Freudig wedelt er mit dem Schwanz, beschnuppert meine Gepäcktasche. Ich reiche ihm meine Landkarte zum Beschnüffeln entgegen. Daran zeigt er aber wenig Interesse und ist wenige Sekunden später irgendwo verschwunden.
Ich setze meine Mütze auf und geselle mich zu den Eisenbahnfreunden auf der Wiese neben den Bahngleisen. Ein Mann hat sich auf einem Getränkekasten postiert. Ein komischer Anblick. Er scheint sich, auf dem mickrigen Kästchen stehend, wie auf einem hohen Turm in schwindelerregender Höhe zu fühlen. Jedenfalls schwankt der Bildjäger so. Balancierend probt er unbeirrt immer neue Motiveinstellungen. Neben ihm harrt ein anderer Fotograf gleich mit fünf Kameras, die allesamt auf einem sonderbaren Holzstativ montiert sind. Ich gehe auf zwei Männer zu, die sorgsam etwas auf ihre Notizblätter schreiben. Eifrig plaudernd, vergleichen sie weitere Zugabfahrtszeiten. Dabei tauschen sie lautstark unverständliche Lokomotivbezeichnungen aus.
Ich besaß früher selbst eine elektrische Spielzeugeisenbahn –