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Glückszeit auf dem Glaserhof
Glückszeit auf dem Glaserhof
Glückszeit auf dem Glaserhof
eBook250 Seiten2 Stunden

Glückszeit auf dem Glaserhof

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Über dieses E-Book

Eine romantisch turbulente Lebens- und Liebesgeschichte mit Herzklopf-Garantie. 

 

Bei Andreas, der seit vielen Jahren in Kenia lebt, stehen acht Wochen Heimaturlaub bei seiner Familie im kleinen schwäbischen Dorf Biberach an. Mit gemischten Gefühlen sieht er dieser Zeit entgegen. Unverhofft führt ihn dann auch noch das Schicksal zurück auf den einsam gelegenen Glaserhof, wo er bereits früher eine glückliche Zeit verbracht hat, der ihn aber auch gleichzeitig an seine schmerzliche Vergangenheit erinnert. Viel Zeit zum Nachdenken hat er aber erst mal nicht, denn spontan muss er sich dort um die kleine Jara, den halbwüchsigen Mats und Opa Klaus kümmern. Außerdem gibt es noch jede Menge Tiere zu versorgen und ein Café zu wuppen. Als er dann auf die rührige Hofbesitzerin Edda trifft, steht seine Welt auf einmal völlig kopf...

 

Dieser Roman ist in sich abgeschlossen.

 

Weitere Bücher der Autorin:

Tanz im Staudenbeet - Roman

Langosch zum Frühstück - Roman

Sekt und Lederhose - Roman

Ex und Servus - Roman

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum1. Sept. 2023
ISBN9783755451662
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    Buchvorschau

    Glückszeit auf dem Glaserhof - Coco Eberhardt

    Prolog

    Abends war es hier immer am schönsten. Nach einem langen warmen Sommertag verließen die Menschen schlagartig den See. Eine unsichtbare Kraft schien sie nach Hause zu ziehen. Langsam wich das Kreischen von Kindern und der Geruch nach Sonnencreme, dem Summen der Insekten und dem Duft nach frischem Heu. Der leichte warme Sommerwind trieb leise Wellen an das Ufer. Das Schilf wippte im Takt dazu, ebenso wie der lange Vorhang der Trauerweide, der über mir hing. Entspannt lag ich auf der Decke im Gras. Meine Finger berührten sanft die ihren. Ein Kribbeln breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Ich fühlte mich so stark, so erwachsen und irgendwie auch unsterblich. Gleichzeitig war da dieses Gefühl von Glück, Liebe und völliger Zufriedenheit, von dem ich mir nicht vorstellen konnten, dass es je vergehen würde. An ihrem Lächeln erkannte ich, dass sie ähnlich empfand. Ich atmete tief ein und schaute ihr in die Augen. Diese wunderschönen Augen. Sie trug ihr Bikinioberteil und dazu diese fransigen Hotpants. Eine Strähne ihres langen blonden Haars streifte meine Brust. Ich richtete mich kurz auf, um ihr einen Kuss auf den Bauch zu geben.

    „Das kitzelt."

    Frech grinste ich sie an, bevor sich mein Mund auf ihre weichen Lippen drückte, die noch ein wenig nach dem Erdbeereis schmeckten, das ich uns vorhin am Kiosk geholt hatte. Zart berührten sich unsere Zungen. Die Sonne verabschiedete langsam den Tag und ließ den Himmel in verschiedenen Rottönen leuchten. Ich schloss meine Augen und genoss ihre Nähe. Irgendwo am anderen Ufer spielte jemand mit der Gitarre. Knockin' on Heaven's Door.

    „Ich glaube, wir sollten langsam nach Hause. Nicht, dass Mama sich noch Sorgen macht", flüsterte sie mir schließlich leise ins Ohr.

    „Okay. Willst du heute fahren?"

    „Oh, welche Ehre. Ich darf deine heilige Quickly fahren?"

    Ihre Augen blitzten mich an. Ich drückte sie kurz zurück auf die Decke und küsste sie ein letztes Mal, bevor wir unsere Sachen ausschüttelten und in den Rucksack packten. Die Grillen zirpten munter um uns. Es war immer noch sommerlich warm, obwohl die Sonne mittlerweile fast ganz verschwunden war. Lagerfeuer flammten am gegenüberliegenden Ufer auf. Beim Gehen warf ich eine Dose in einen Abfallbehälter, der fast überquoll.

    Während vorhin noch der ganze Platz voll Fahrräder, Roller und Mopeds war, stand meine rote NSU Quickly TTK Baujahr 1961 nun einsam und alleine da. Sie war mein ganzer Stolz. Wir zogen uns die Helme auf den Kopf und stiegen auf das Moped. Ich umschlang ihre schlanke Taille, die immer noch unbedeckt war, und legte mein Kinn kurz auf ihre Schulter.

    „Ich liebe dich."

    Sie sagte nichts und startete das Moped. Gemütlich fuhren wir die lange Straße entlang, die uns zu ihr nach Hause bringen würde. Die Sichel des Mondes leuchtete uns den Weg und ich fühlte mich unendlich glücklich.

    Zwölf Jahre kein Winter

    Unsanft wurde ich aus dem Schlaf gerissen. Wobei es fast schon an ein Wunder grenzte, dass ich überhaupt etwas Ruhe gefunden hatte. Das Dauerrauschen der Triebwerke hatte mich schon immer nervös gemacht. Doch hatte ich diese Unannehmlichkeit, die das Fliegen so mit sich brachte, völlig verdrängt gehabt. Mein letzter Langstreckenflug lag mehr als drei Jahre zurück. Das war noch bevor die Welt für kurze Zeit den Atem anhalten musste. Die Einreisebestimmungen waren mir zu kompliziert gewesen, außerdem hatten sie sich ständig geändert, sodass mir dieser Umstand eigentlich ganz recht gewesen war, um nicht nach Hause fliegen zu müssen. Wobei ich mir schon länger die Frage stellte, ob meine alte Heimat überhaupt noch mein zu Hause war.

    Seit über zwölf Jahren lebte ich jetzt schon in Kenia und außer meiner Familie und jährlich vier Wochen im Sommer verband mich mit Deutschland nicht mehr viel. Klar war es schön, sie alle wiederzusehen. Gleichzeitig strengte mich ihre Lebensart zunehmend an. Es wurde mir immer unverständlicher. Und jetzt, nachdem ich so lange nicht mehr hier gewesen war, wusste ich nicht, wie ich es überhaupt aushalten sollte. Außerdem waren es diesmal nicht nur vier Wochen, sondern doppelt so viele. Schuld daran war Tomas, der diverse Entwicklungshilfeprojekte vor Ort in Kenia koordinierte. Er hatte sich nicht davon abbringen lassen, mich so lange in den Heimaturlaub zu schicken.

    „Erhol dich gut. Du wirst deine Kräfte noch brauchen", hatte er lachend zu mir gemeint, als er mich zum Flughafen in Nairobi begleitet hatte.

    Der Bau einer kleinen Dorfschule stand für dieses Jahr auf seinem ehrgeizigen Plan, wofür jede helfende Hand benötigt wurde.

    „Die Arbeit ist meine Erholung", hatte ich ihm erwidert, was er schmunzelnd hinnahm.

    Eine Stewardess bahnte sich mit ihrem Frühstückswagen den Weg durch die engen Reihen der Sitze. Ich nahm ein abgepacktes Sandwich und ein Glas Orangensaft. Mir war kalt. Beim Abflug hatte das Thermometer warme 30 Grad angezeigt, doch hier im Flieger lief die Klimaanlage auf Dauerbetrieb und ich war nur mit einer kurzen Hose und einem T-Shirt bekleidet. Wehmütig schaute ich aus dem Fenster. Lediglich ein paar Wölkchen trübten die Sicht, die von der aufgehenden Sonne in ein warmes Orange getaucht wurden.

    Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen und stellte mir vor, wie ich jetzt auf den Stufen vor der kleinen Hütte saß, in der ich wohnte, meine Schüssel mit Brei aß, während neben mir eine Tasse mit Tee vor sich hindampfte. Ich sah mich mit Mahbub, einen Einheimischen, der mir in all den Jahren zum Freund geworden war, durch die trockene Landschaft wandern, deren Grasbüschel wie Schorf auf der rotbraunen Erde wirkten. Mahbub war wie ich Mitte 30 und verstand sich auf die Kunst des Fährtenlesens. Dank ihm hatte ich es mittlerweile zu einer beachtlichen Sammlung von Tierfotos gebracht. Das Fotografieren war eines der wenigen Hobbys, die ich pflegte. Die Gedanken daran wärmten mich.

    „Sehr geehrte Passagiere. Wir befinden uns in Kürze im Landeanflug auf den Flughafen in München", brachte mich die Stimme der Stewardess wieder zurück in die Realität.

    Ich riss meine Augen auf und schaute aus dem Fenster. Eine weiße Decke überzog die Landschaft unter mir. Ich brauchte ein paar Sekunden, um das zu verstehen. Lange hatte ich keinen Schnee mehr gesehen. Zwölf Jahre. Bisher war ich nur im Sommer hier auf Besuch gewesen. Zwölf Jahre kein Winter. Was hatte sich Tomas nur dabei gedacht, mich mitten im Februar hierher zu schicken? Und wie hatte ich den Winter nur vergessen können?

    Gänsehaut zog sich langsam über meine unbedeckten Arme und erst jetzt fiel mir auf, dass die anderen Passagiere mit ihren dicken Westen und langen Hosen wesentlich besser auf diese Situation vorbereitet waren als ich. Ich erinnerte mich, dass ich eine langärmlige Jacke in meinen Koffer gestopft hatte. Doch der befand sich noch im Rumpf des Flugzeugs und war momentan unerreichbar. Mit einem sanften Rumpeln setzte die Maschine auf der Landebahn auf.

    „Bitte bleiben Sie noch angeschnallt auf Ihren Sitzen, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben", erfolgte eine erneute Durchsage.

    Schwer atmend schaute ich den Schneeflocken zu, die vor dem kleinen Fenster tanzten. Aufregung machte sich in mir breit. Kaum war die Maschine endgültig zum Stehen gekommen, strömte eine Unruhe durch den Raum. Hektisch holten die Leute ihr Handgepäck aus den Fächern über ihnen. Ich blieb noch eine Weile auf meinem Platz sitzen. Als sich die Reihen langsam lichteten, packte ich meine wenigen Habseligkeiten zusammen. Ich erntete ein paar argwöhnische Blicke, die mir wohl mein saisonal unpassender Kleidungsstil eingebracht hatte. Ein Bus wartete bereits mit laufendem Motor auf die Passagiere. Schnell spurtete ich die wenigen Meter dorthin. Dabei trafen mich die Schneeflocken wie ein Bombardement.

    „Sie haben wohl Hitzen", kommentierte ein älterer Mann im Bus mein luftiges Outfit.

    Meine Antwort war lediglich ein verhaltenes Lächeln, während sich der Schnee auf meinen Schultern in der Wärme des Busses augenblicklich in Wasser verwandelte. Ich war froh, als ich endlich im Flughafengebäude angekommen war und vor dem Laufband auf meinen Koffer wartete. Eilig packte ich ihn und kämpfte mich durch die Menschenmengen in Richtung Schalterhalle, wo bereits meine Eltern auf mich warteten. Schon von Weitem winkten sie mir zu. Schnurstracks bahnte ich mir meinen Weg zu ihnen.

    „Hallo Andi. Schön, dass du endlich da bist", empfing mich meine Mutter, die fast zwei Köpfe kleiner war als ich.

    Dabei nahm sie mich stürmisch in den Arm und drückte mich so fest, dass mir beinahe die Luft wegblieb. Ihr vertrauter Duft, der mich augenblicklich fünfzehn Jahr jünger werden ließ und das Gefühl von Geborgenheit vermittelte, stieg mir in die Nase. Es war doch schön, sie nach all der Zeit wiederzusehen, obwohl wir den Kontakt auch in den letzten Jahren immer sporadisch über Telefon und Internet gepflegt hatten. Die ein oder andere Falte war in ihrem Gesicht dazugekommen und auch so manches graue Haar, das sie wie immer zu einem geflochtenen Dutt hochgesteckt hatte. Aber aus ihren klaren Augen blitze noch immer eine Jugendlichkeit, die sie sich bis heute bewahrt hatte.

    „Servus Andreas", begrüßte mich auch mein Vater auf Augenhöhe mit einer kurzen Umarmung, die aber nicht weniger herzlich gemeint war als die von meiner Mutter.

    „Aber sag mal, hast du eigentlich Lust, dir eine Lungenentzündung einzufangen?, bemerkte Mama auch sogleich, während sie aus einer großen Stofftasche eine dicke Jacke hervorkramte. „Dass du keine richtige Winterkleidung hast, habe ich mir fast gedacht. Aber mit einer kurzen Hose habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Das musst du jetzt leider aushalten, bis wir zu Hause sind.

    Dankbar schlüpfte ich in die Jacke und bekam von Mama noch eine passende Mütze dazu. So liefen wir gemeinsam zum Parkhaus, wo Papa mit seinem schwarzen Amarok parkte.

    „Schön, dass du wieder da bist", murmelte meine Mutter noch leise vor sich hin, bevor wir in das Auto stiegen und im Schneegestöber langsam nach Hause fuhren.

    Nummer drei

    Ein glückliches Seufzen entfleuchte meiner Mutter, als wir die Autobahn verließen. Obwohl uns die Schneeräumfahrzeuge im Dauereinsatz immer wieder begegneten, waren die winterlichen Straßenverhältnisse alles andere als optimal. Eine dicke Schneematschschicht hatte sich auf der Fahrbahn gebildet. Papa lenkte konzentriert den Wagen, dabei sprach er fast kein Wort mit uns. Aber er war von Haus aus kein gesprächiger Typ.

    „Wir haben fast doppelt so lange gebraucht wie normal", stellte meine Mutter schließlich fest, gerade als wir das Ortsschild von Biberach passiert hatten.

    Von Weitem konnte ich die zwei Türme des Klosters sehen, die bereits seit meiner Kindheit eine Faszination auf mich ausgeübt hatten. Ein magischer Ort, wenn es denn magische Orte gab. Gemächlich glitt das Auto die hügelige Straße hinunter, vorbei an der kleinen Dorftankstelle.

    Über die lange Fahrzeit konnte ich mich nicht so recht beschweren. Ich hatte immerhin einen Flug hinter mir, der letztendlich über 20 Stunden gedauert hatte. Da kam es auf zwei mehr auch nicht an. Außerdem hatte ich während meiner Jahre in Kenia ein anderes Gefühl für Zeit entwickelt. Papa hatte die Heizung hochgedreht, sodass mir auch mit meiner kurzen Hose im Auto noch warm geworden war. Er drückte auf das Gaspedal. Langsam schnurrte das Auto den Berg wieder hinauf. Ich konnte unser Haus bereits sehen. Nur noch eine Kurve. Wir bogen in die gepflasterte Hofeinfahrt ein. Papa öffnete das alte Scheunentor, das in den ehemaligen Stall führte, der gelb gestrichen war und schon lange als Garage für das Auto diente. Außerdem standen dort noch ein Anhänger und verschiedene Fahrräder herum. Mein Blick fiel auf die dunkelgraue Plane an der Wand. Ich musste kurz schlucken.

    „Alles aussteigen. Endstation", tönte Mama fröhlich, als wäre ich ein Zehnjähriger und riss mich aus meinen Gedanken.

    In diesem Moment schlug die Turmuhr der Kirche, die gleich neben unserem Haus stand, Viertel. Schnell stieg ich aus und holte mein Gepäck aus dem Kofferraum. Unser Haus war groß und lang. Sprossenfenster zogen sich in gleichmäßigen Abständen über die weiß gestrichene Fassade. Eigentlich ein Luxus, wenn ich an mein kleines Zimmer in Kenia dachte. Trotzdem wollte ich nicht tauschen. Mein Glück lag nicht in diesen Wänden, wenngleich ich auf eine schöne Kindheit zurückblicken konnte, die ich hier verbringen durfte. Ein kurzes Lächeln huschte mir übers Gesicht.

    Aus dem Brauereigasthof gegenüber entließ die Abluftanlage den vertrauten Geruch nach Braten und Hopfen. Mama sperrte die dunkelbraune Haustüre aus Holz auf, die mit zwei Milchglasscheiben vor neugierigen Blicken schützte. Zügig huschte ich hinter ihr ins Gebäude. Papa folgte uns. Draußen prasselte ein kleines Schneegestöber vom Himmel. Obwohl es erst Mittag war, hatte ich das Gefühl, dass die dicken, grauen Winterwolken jederzeit den letzten Rest Licht verschlucken würden.

    Meine Eltern wohnten im Erdgeschoss. In einem ebenerdigen Anbau war die Schreinerwerkstatt meines Vaters untergebracht. Der vertraute Duft nach Harz stieg mir in die Nase. Der alte Holzfußboden knarzte unter meinem Tritt. Eine gemütliche Wärme kam mir entgegen, kaum dass wir in der Wohnung standen.

    „Hallo Oma", spurtete ein Kind freudig auf Mama zu.

    Ich nahm an, dass es sich dabei um meinen Neffen Laurin handelte. Bei meinem letzten Besuch war er noch ein Kleinkind gewesen. Mittlerweile ging er schon zur Schule. Als er mich entdeckte, stockte er kurz, versteckte sich hinter meiner Mutter und beobachtete mich von sicherem Posten aus. Große grüne Augen schauten mich mit ernster Miene an. Sein langes dunkelblondes Haar war zusammengebunden. Fest umklammerte er die Hüfte seiner Großmutter.

    „Das ist dein Onkel Andreas", erklärte sie dem Kind.

    Ich ging in die Knie und lächelte dem Jungen zu, der sich jedoch nur noch fester an Mama drückte.

    „Hallo Laurin, du brauchst keine Angst vor mir zu haben, versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken. „Kannst du dich nicht mehr an mich erinnern?

    „Der ist so cringe", tönte es plötzlich neben mir.

    Lässig bekleidet mit einem Hoodie und Jeans war meine Nichte Hanni aufgetaucht. Auch sie hatte sich ziemlich verändert seit meinem letzten Besuch. Das süße, quirlige Mädchen mit den langen Zöpfen hatte sich zu einem coolen Teenie mit Kurzhaarfrisur und einem leichten Akneproblem entwickelt.

    „Hi Onkel Andi", begrüßte sie mich kurz, bevor sie wieder in ihr Smartphone starrte und sich schwerfällig auf das Sofa in dem großen Wohn-Esszimmer plumpsen ließ.

    „Wohnt Martin etwa immer noch hier?", fragte ich rhetorisch.

    „Das Haus ist doch groß genug", verteidigte ihn Mama sofort.

    Mein Bruder war lediglich zwei Jahre jünger als ich. Doch im Gegensatz zu mir wohnte er bis heute mit meinen Eltern unter einem Dach. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er mit seiner Dauerfreundin Melli zwei gemeinsame Kinder hatte. Im Obergeschoss hatte er sich häuslich eingerichtet und lebte das Leben eines mittelmäßigen Schriftstellers. Seine Schriftstellerei betrachtete ich allerdings lediglich als Alibi, denn eigentlich war er der geborene Hausmann, der sich mit Herzblut um die Erziehung seiner Kinder kümmerte. Außerdem hielt er Melli, die als selbstständige Kunsttherapeutin arbeitete, beruflich den Rücken frei.

    „Ich gehe kurz in mein Zimmer. Mich umziehen", meinte ich zu Mama.

    Mein Zimmer war immer noch im gleichen Zustand wie damals, als ich es vor zwölf Jahren verlassen hatte, was ich ein wenig beklemmend fand. Immer wenn ich hier war, fühlte ich mich in die Vergangenheit zurückkatapultiert und ich wusste nicht, ob ich das wollte. Aber andererseits war es auch eine nette Geste meiner Eltern, dass sie mir nach all den Jahren immer noch meinen Platz im Haus einräumten. Geschafft von diesem Tag ließ ich mich auf mein Bett fallen. Ich sog die Luft tief in meine Lungen. An der Wand hingen Poster von der Bloodhound Gang und von Eminem. Ein alter Bauernschrank stand an der Wand. Ob ich darin vielleicht eine passende lange Hose finden würde? Schwerfällig erhob ich mich und öffnete die quietschende Tür. Ich entdeckte eine schwarze Jogginghose mit Druckknöpfen, wie sie in den 90ern modern gewesen waren. Genau das Richtige für mich in diesem Moment. Dankbar zog ich sie an und freute mich, dass sie tatsächlich noch bequem passte. Ich setzte mich an meinen alten Fichtenholzschreibtisch, der vor dem Fenster stand und schaute nach draußen. Lautlos fielen schwere Flocken auf die Erde. Auch wenn ich die letzten Jahre den Schnee nicht vermisst hatte, hatte er nun doch eine gewisse Faszination auf mich.

    „Möchtest du nicht zum Essen kommen?"

    Meine Mutter stand plötzlich im Zimmer.

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