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You Are My WAY: Roman
You Are My WAY: Roman
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eBook472 Seiten6 Stunden

You Are My WAY: Roman

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Über dieses E-Book

Der erste Band der neuen dreibändigen Way-Truth-Life-Serie von Felicitas Brandt im Genre Faithful New Adult bringt viel Romantik und Humor sowie einen Hauch Spannung in die Gegend der Sächsischen Schweiz. Bisher hatte Emma noch nie einen Ort, den sie Zuhause nennen konnte. Nun führt ihr Weg sie nach Bibertal, in einen kleinen Buchladen und einen gemütlichen Bungalow unter dichten Tannen. Was Emma nicht weiß: Die Unterkunft wurde ihr ohne Zustimmung des Besitzers vermietet und der empfängt sie nun nicht gerade freundlich. Seit ein Unfall seine Karriere zerstört hat, lebt Finn zurückgezogen, widmet sich seinen Pferden und seiner kleinen Nichte und versucht innerlich zu heilen. Doch durch Emma und ihren Kater Shakespeare wird sein Ruheort ordentlich durcheinander gerüttelt und bald fliegen zwischen Teetassen, Büchern und Pferdehufen nicht nur lautstarke Fetzen, sondern auch bunte Funken. Doch während Finn seine Vergangenheit hinter sich lassen will, wird Emma von eben dieser eingeholt gerade als sie spürt, dass sie in Bibertal vielleicht das finden wird, was sie immer gesucht hat
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Sept. 2023
ISBN9783765578366
You Are My WAY: Roman
Autor

Felicitas Brandt

Felicitas Brandt, 1990 in Schwerte geboren und Autorin der Faith.Hope.Love Serie, hegte schon früh eine große Faszination für Bücher, die sie - hin und wieder zum Leidwesen von Familie und Freunden -so gut wie überall mit hinschleppte. Mit dem Schreiben begann sie während des Abiturs und veröffentlichte neben ihrer Ausbildung ihre erste Trilogie. Wenn sie nicht gerade mit Protagonisten über den Fortlauf ihrer Geschichte diskutiert - meistens mit Hans Zimmer Soundtracks auf den Ohren -, verbringt sie am liebsten Zeit mit ihren Freunden, kämpft sich durch Escape Rooms, veranstaltet Serienabende oder taucht an ihrem Lieblingsplatz im elterlichen Garten mit einem koffeinhaltigen Schokoladengetränk in Geschichten ein. Mit ihren Romanen möchte sie Menschen berühren, sie zum Nachdenken bringen und vielleicht eine kleine Pause vom Alltag schaffen. You Are My Way ist der erste Band der Way.Truth-Life-Serie.

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    Buchvorschau

    You Are My WAY - Felicitas Brandt

    Prolog

    Der Regen prasselte unbarmherzig auf das Auto. Es schien, als würden die dicken Tropfen mit aller Macht versuchen, ins Innere zu gelangen. Dahinter ballten sich dunkle Wolken zu einer undurchdringlichen Wand zusammen. Finn Iversen blickte konzentriert in das Unwetter hinaus und drehte das Radio leiser. Vom Rücksitz duftete es verführerisch nach geschmolzenem Käse und Oregano.

    Bei seinem Aufbruch und auch bei der letzten Rast vor etwa zwei Stunden war von diesem Szenario hier nichts zu erahnen gewesen. Jetzt ging es bereits gegen Abend. Die Sonne war gänzlich hinter schwarzen Wolken verschwunden und die Bäume am Rand der Straße bogen sich unter dem Wind.

    Finns Magen knurrte, doch bei seiner momentanen Geschwindigkeit würde die Pizza kalt sein, ehe er zu Hause ankam. Bei dem Gedanken an das enttäuschte Gesicht seiner Nichte zog Finns Magen sich zusammen.

    Ein langjähriger Freund hatte ihn um Hilfe gebeten, weswegen Finn ohne zu zögern eine Tasche gepackt und die 600 Kilometer nach Österreich gefahren war. Sein Aufenthalt hatte länger gedauert als geplant, doch das hatte ihm überraschend wenig ausgemacht. Ganz im Gegenteil. Die ruhige Gegend, in der Christopher und seine Frau lebten, und der Tapetenwechsel hatten ihm gutgetan, ebenso wie die Arbeit mit dem Pferd, das Christopher Sorgen bereitete. Der Palomino war noch jung und wunderschön, doch sein voriger Besitzer hatte ihn nicht gut behandelt und das Tier war bissig. Finn hatte einige Zahnabdrücke auf seiner Haut davongetragen, aber inzwischen vertraute der Wallach seinem Besitzer und war auf einem so guten Weg, dass Finn sich entschlossen hatte, die Heimreise anzutreten.

    Ein Blitz zuckte über den Himmel und Finn schickte eine stille Bitte zum Himmel, dass er sicher zu Hause ankommen möge. Hoffentlich hatte Aylin die Pferde rechtzeitig von den Weiden geholt. Bestimmt hatte Lexie ihr geholfen und –

    Etwas Helles tauchte am Straßenrand auf.

    Finn stutzte. War das ein … Koffer? Er nahm den Fuß vom Gas und spähte angestrengt durch die Scheibe, auf der sich die Regentropfen drängten. Da stand eindeutig ein Koffer am Straßenrand!

    Finn warf einen Blick in den Rückspiegel, doch er war schon seit einer ganzen Weile keinem anderen Auto begegnet. Er befand sich mitten im Wald, das nächste Haus ein gutes Stück entfernt, von einem Hotel oder Bahnhof ganz zu schweigen. Und warum sollte bei diesem Wetter –

    In diesem Moment registrierte er die Bewegung vor ihm auf der Straße und trat auf die Bremse. Der Wagen rutschte ein Stück auf der nassen Fahrbahn und kam dann ruckartig zum Stehen. Erschrocken starrte Finn auf die Frau, die mit ausgebreiteten Armen mitten auf der Fahrbahn stand und ihn aus aufgerissenen Augen anstarrte. Rotes Haar klebte an ihrem Gesicht, ihre Kleidung war völlig vom Regen durchnässt und nicht im Geringsten wettertauglich. Hinter ihr lag ein dunkler Umriss auf dem Asphalt.

    In Finns Bauch ballte sich ein ungutes Gefühl zusammen.

    Diese Pizza würde definitiv nicht warm bei Auri ankommen …

    48 Stunden vorher und einige Kilometer weit weg

    Yuna:

    Wir vermissen dich! Grace guckt sich die ganze Zeit suchend um und Tacco wartet an der Tür, dass du kommst. Sogar die Eichhörnchen vor dem Haus vermissen dich.

    Rahel:

    Grace ist ein Baby! Guten Flug, Em ♥

    Deutschland war laut.

    Laut und wuselig und irgendwie … anders. Kühler, als ich es in Erinnerung hatte. Niemand hatte eine Sonnenbrille im Haar, keine Cappys. Dafür Handys, die an bunten Kordeln um den Hals baumelten, und um die Hüften geknotete Pullover. Die Sprache begrüßte und irritierte mich gleichzeitig. Es war eine Weile her, dass ich jemanden Alter, krass! hatte brüllen hören. Und ich hatte es auch eigentlich nicht vermisst.

    Irgendwie hatte ich mir Heimkommen anders vorgestellt. Glanzvoller. Vielleicht in Zeitlupe wie im Film. Stattdessen schwappte ich ziemlich müde mit einer ganzen Horde plappernder Menschen auf die Schiebetüren zu, die uns hinaus in die Welt entlassen würden. Shakespeare bewegte sich unruhig in seinem Katzenkorb, den ich auf dem Koffer festgeschnallt hatte. Die Konstruktion schien eine ganze Tonne zu wiegen, bewegte sich aber ziemlich geschmeidig über den frisch gewischten Boden.

    Die Türen öffneten sich für uns und ich erhaschte einen Blick nach draußen. Hellblauer Himmel mit grauen Wolken verziert.

    Frankfurt, Deutschland.

    Ich war zurück.

    Vor fast genau einem Jahr war ich durch diese Türen in ein Abenteuer aufgebrochen. Und jetzt war ich wieder da. Mein Herz machte einen aufgeregten Satz, den mein Magen mit einem hungrigen Grummeln kommentierte. Das Abschiedsessen mit Yuna, Dylan und der kleinen Grace lag viel zu weit zurück. Ich schob den Gedanken beiseite, ehe mir die Tränen in die Augen schießen konnten. Der Abschied von den dreien war schrecklich schwer gewesen.

    Zügig bewegte ich mich mit der Menge, durchquerte die Türen und landete in der von Stimmengewirr erfüllten Halle. Begrüßungsschreie wurden laut, ein Junge neben mir brüllte „Opa!" und wetzte, so schnell er konnte, zu einem grauhaarigen Mann herüber, der mit breitem Grinsen in die Knie ging, um den Knirps aufzufangen.

    Mein Innerstes zog sich bei dem Anblick wehmütig zusammen. In meiner Hosentasche vibrierte mein Handy wie verrückt. Ich würde versuchen, mir irgendwo in diesem Getümmel eine ruhige Ecke zu suchen, meine Nachrichten checken, etwas essen und dann überlegen, wie ich weiter vorgehen wollte. Vielleicht –

    Moment … was war das?

    Während ich meine innere To-do-Liste geschrieben hatte, war mein Blick über die Wartenden gehuscht und saugte sich jetzt an einer Gestalt fest.

    Der Mann stand ganz still neben einer wild winkenden Familie. Seine Haare waren kürzer als auf dem letzten Foto und ich konnte selbst auf die Entfernung die Ringe unter seinen Augen erahnen. Er hielt ein Schild aus gelbem Fotokarton in den Händen, wie der, den man in der Schule bekam, wenn es darum ging, ein Plakat zu gestalten. Hi Nervensäge stand in akkuraten Buchstaben darauf. Er hatte eine wunderschöne Handschrift, während es bei mir nur für schiefes Gekritzel gereicht hatte. Gideon fing meinen Blick ein und grinste breit, während er das Schild umdrehte. Du hast mir gefehlt!

    Eine Mischung aus Quietschen und Schluchzen kam über meine Lippen, während ich meine Schritte beschleunigte und mich schließlich in die Arme meines Zwillingsbruders warf. Lachend fing Gideon mich auf und drückte mich so fest an sich, dass mir die Luft wegblieb. Mein Bruder umarmte immer auf diese Art – fest und warm –, und er löste damit jedes Mal ein Gefühl purer Geborgenheit in mir aus.

    „Was tust du hier?", japste ich und drückte, so fest ich konnte, zurück.

    „Na was wohl? Meine kleine Schwester vom Flughafen abholen!"

    „Klein?" Das Wort verlor sich in einem Quietschen, als Gideon mich hochhob und einmal im Kreis schwang. Ich war genau eine Minute älter als dieser Angeber, aber körperlich hatte ich ihm nicht so viel entgegenzusetzen. Als meine Füße endlich wieder den Boden berührten, klammerte ich mich an ihm fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

    „Du hast mir auch gefehlt!, nuschelte ich in seine Schulter. Die wild winkende Familie neben uns begann zu klatschen und ich drehte neugierig den Kopf, nur um festzustellen … „Meinen die uns?

    „Sieht so aus." Mein Bruder löste sich ein Stückchen von mir und winkte grüßend. Ich schmunzelte in den Kragen meines Hoodies und machte einen Knicks. Die Familie wirkte einen Hauch enttäuscht, hatten sie etwa einen spektakulären Filmkuss erwartet? Dass wir Zwillinge waren, war ja wohl kaum zu übersehen. Gideon und ich teilten uns unsere Gesichtszüge und die grünen Augen. Da er seine Haare kurz trug, waren sie nicht so auffällig wie meine kastanienrote Mähne und wirkten viel dunkler, aber damals als Kind hatten sie mit den meinen um die Wette geleuchtet.

    „Ist das alles an Gepäck? Gideon beäugte meinen Koffer und bückte sich dann, um in Shakespears Korb zu spähen. „Hey, Plüschie. Mein Kater fauchte und Gideon verzog das Gesicht. „Er mag mich immer noch nicht."

    „Könnte daran liegen, dass du ihn Plüschie nennst", gab ich mit einem Achselzucken zurück. Der Maine Coon und ich pflegten schon seit knapp fünf Jahren eine Wohngemeinschaft, in der ich das Essen heranschleppte und er mich dafür mit Zuneigung überschüttete. Wir teilten unsere Abneigung zu Schlagermusik und die Liebe zu Büchern (er in dem Sinne, dass er gerne auf ihnen schlief oder sich den Bauch kraulen ließ, während ich durch die Buchwelten streifte) und eine Vorliebe für Lachs.

    Allerdings hatte er eine Schwäche – er konnte meinen Bruder nicht leiden, den ich wiederum über alles liebte. Gideon schob es auf eine gewisse Eifersucht, ich jedoch argwöhnte, dass es vielleicht etwas mit Männern an sich zu tun hatte. Er hatte auch Dylan nicht gerade mit Zuneigung überschüttet, sondern seine Nähe gemieden, was meine Theorie untermauerte.

    „Ist es, beantwortete ich etwas verspätet Gideons Frage. „Yuna schickt mir meine Bücher nach und alle Sachen, die ich hoffentlich nicht direkt brauche. Der Moment, als ich mein kleines Bücherregal voller Schätze auf der anderen Seite des Ozeans hatte zurücklassen müssen, hatte mein Herz noch ein bisschen schwerer gemacht, als es ohnehin schon gewesen war.

    Gideon schenkte mir einen wissenden Blick und schnappte sich meinen Koffer. „Irgendwelche Wünsche für die nächsten zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten, bis dein Zug kommt?"

    „Irgendwas mit viel Essen, aber wenig Aufmerksamkeit?" Ich hatte keine große Hoffnung. Der Flughafen wirkte völlig überlaufen. Eine ruhige Ecke würden wir hier wohl kaum finden. Gerade in diesem Augenblick wurde eine weitere Welle Neuankömmlinge in die Halle gespült.

    „Keine Sorge. Gideon griff nach meiner Hand und blinzelte mir zu. „Ich weiß da genau das Richtige.

    Rahel:

    Laut der Website deiner Fluggesellschaft bist du schon gelandet. Willkommen zurück in meiner Zeitzone, Schwester! ♥

    Yuna:

    War der Flug okay? Ich vermisse dich in meiner Zeitzone!

    Rahel:

    Wir wissen, dass Gideon dich abholt, wo steckt ihr?

    Emma:

    Auf der Feuerwache des Flughafens, angeblich der einzige ruhige Ort in diesem Zirkus

    Emma:

    Was soll das bitte heißen, ihr wusstet davon???

    „Die Mädels sagen Hi", richtete ich meinem Bruder aus, streckte meine Beine und drückte den Rücken durch. Flugzeuge mochten ja praktisch sein, aber sie waren ganz und gar unbequem.

    Gähnend schielte ich zu dem gewaltigen Feuerwehrwagen hinauf. Gideon hatte mich zu der Feuerwache am Frankfurter Flughafen gebracht. Eine blonde Frau hatte uns mit breitem Lächeln begrüßt und sich als Kyra vorgestellt – anscheinend hatten Gideon und sie vor wenigen Jahren zusammengearbeitet. Unter freundlichem Nicken von allen Seiten hatte sie uns in eine geräumige Garage geführt. Hier stand Betsy, ein Löschfahrzeug, das nur noch für Übungszwecke benutzt wurde. Zwei Stühle und ein einfacher Klapptisch, daneben der größte Picknickkorb, den ich je gesehen hatte – Gideon hatte an alles gedacht.

    Ich hielt nach Shakespeare Ausschau. Gideons ehemalige Kollegin hatte ihn voller Verzückung bewundert und gleich mit Wasser und Futter versorgt. Warum sie das hier hatten, hatte mich zwar gewundert, aber ich nahm es dankbar an.

    Gideon beobachtete mich. „Bereust du es?"

    „Wieder hier zu sein? Ich schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern und schüttelte wieder den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Ich freue mich auf etwas Neues, aber …

    „Aber Neuanfänge haben auch immer etwas mit Überwindung zu tun", beendete Gideon meinen Satz, als ich es nicht tat. Er hatte inzwischen den kleinen Tisch mit einer bunten Mischung aus Snacks gefüllt, bei dessen Anblick mein Magen umso lauter knurrte.

    „Du hättest das wirklich nicht tun müssen, wiederholte ich. „Das alles hier und die lange Fahrt … du musst doch irre früh aufgestanden sein. Gideon wohnte und arbeitete außerhalb von München bei der dortigen Feuerwehr. Ich hatte nach einem Flug nach München gesucht, aber keinen guten gefunden. Mein Budget ließ da nicht gerade großen Spielraum zu. Was auch der Grund war, warum ich eine Woche eher zurückgeflogen war, als ursprünglich geplant. Die Preise waren so in die Höhe geschossen, dass ich quasi den nächstbesten hatte nehmen müssen, der einigermaßen bezahlbar gewesen war.

    „So früh war es gar nicht, wehrte er ab. „Außerdem bist du meine Lieblingsschwester.

    Ich verdrehte die Augen, doch Gideon streckte mir grinsend seine Hände entgegen. Ich ergriff sie und wir senkten die Köpfe. „Vater, ich danke dir, dass du Emma heile zurückgebracht hast, betete Gideon. „Dass du sie bewahrt hast in dem letzten Jahr und mit ihr warst. Bitte hilf ihr auch jetzt bei dem Neuanfang, hilf Yuna und Dylan, ohne sie zurechtzukommen, und segne die kleine Grace. Danke für das Essen und bitte schenk uns eine gute Zeit. Amen.

    „Amen", wiederholte ich und ein warmer Schauer rieselte durch mich hindurch. Gideon und ich teilten unseren Glauben seit unserer Kindheit und ich war froh, inmitten dieser großen Welt in ihm einen treuen Verbündeten zu haben in allen Fragen und Gedanken.

    Schweigend machten wir uns über das Festmahl her. Ich betrachtete Gideon. Er trug ein langärmeliges Shirt, in einem schlichten Blau, das seine Augen leuchten ließ. Die Müdigkeit überdecken konnte es aber nicht.

    „Viel los auf der Arbeit?"

    „Bei uns geht so ein Virus um, ich habe Extraschichten geschoben. Mein Zwilling fuhr sich über das Gesicht. „Gerade sind viele Kollegen krank. Darum kann ich dich auch nicht bringen, wie ich es vorhatte.

    „Das ist okay, ich bin ewig nicht mit dem Zug gefahren und freue mich auf die Lesezeit."

    „Natürlich. Gideon schüttelte belustigt den Kopf. „Wirst du die erste Buchhandlung überfallen, die dir begegnet, oder wartest du bis zu der, in der du arbeiten willst?

    „Das ist gut möglich. Bei dem Gedanken an Regale voll mit Büchern juckte es in meinen Fingerspitzen. „Wie ist es zu Hause? Wie geht es Nora?

    „Gut, sie lässt dich grüßen. Die Muffins sind von ihr." Er wies auf die kleinen Schokoküchlein, die mit bunten Perlen verziert waren.

    „Sie backt dir Muffins??"

    „Die sind für dich. Gideon verdrehte die Augen und deutete mit einem Stück Gurke auf mich. „Spar dir den Unterton.

    „Wann lerne ich sie kennen?"

    „Wenn du mich auf der Arbeit besuchst vermutlich. Wir sind Kollegen, Emma, nichts weiter."

    „Du verbringst Zeit mit ihr."

    „Weil sie ein wundervoller Mensch ist."

    „Ach wundervoll? Im nächsten Moment prallte eine kleine Tomate gegen meine Stirn und ich duckte mich hastig, aber viel zu spät zur Seite. „Hey! Man wirft nicht mit Essen!

    „Dann hör auf, so einen Blödsinn zu reden! Du klingst wie die Tanten in meiner Gemeinde. Und wie mein Chef."

    „Ich bin deine Schwester, ich habe ein Recht darauf zu erfahren, wenn es etwas zu erfahren gibt."

    „Gibt es aber nicht. Wenn dem so wäre, würde ich es dir sagen. Gideon sammelte die Tomate ein und warf sie sich in den Mund. „Was ist mit dir? Einen netten Cowboy getroffen?

    „Nö, auch keinen Ölbaron, Tellerwäscher oder angehenden Musikstar. Amerika ist nicht das, was die Filme sagen."

    Gideon lachte in sich hinein, stützte die Ellenbogen auf den wackeligen Tisch und musterte mich über seine verschränkten Hände. „Du hast mir gefehlt. Skypen ist nicht das Gleiche wie das hier."

    „Ich habe dich auch vermisst." Ich sagte es mit einem Augenzwinkern, aber es war so viel mehr als nur Spaß. Er hatte mir unendlich gefehlt! Die Entscheidung, zu Yuna in die USA zu gehen, war innerhalb einer Woche gefallen. Wir kannten uns seit der zehnten Klasse, als ein Austauschprogramm uns zusammengewürfelt hatte. Sie, meine beste Freundin Rahel und ich waren schnell zu einem Trio verwachsen, das bis heute Bestand hatte.

    Als Yuna schwanger wurde, waren Rahel und ich vor Freude beinahe ausgeflippt. Doch relativ schnell ging es ihr schlechter und der Arzt verordnete strenge Bettruhe. Yuna rief mich an und weinte so sehr, dass ich kein Wort verstand. Ich verbrachte eine schlaflose Nacht und einen verregneten Morgen im Zwiegespräch mit meinem himmlischen Vater. Und dann buchte ich einen Flug. Job und Wohnung zu kündigen war alles andere als einfach und ohne Gideon, der mir sofort zu Hilfe eilte, hätte ich besonders mit Letzterem große Schwierigkeiten bekommen. Überhaupt war der Papierkram ein Albtraum, aber wir bekamen es hin und ich durfte für ein Jahr bei Yuna sein, durfte miterleben, wie Grace geboren wurde und die Welt ein Stückchen wundervoller machte.

    Oh, wie ich dieses kleine Wesen vermisse!

    „Hast du mal nach meinen Sachen gesehen?"

    „Ich war vor zwei Wochen in dem Lagerraum. Sah alles gut aus."

    „Danke, das ist lieb."

    „Tut mir leid, dass ich keinen Keller habe und du Lagerkosten bezahlen musst."

    Ich schnaubte. „Hat dein Vermieter dich schon rausgeworfen wegen deinem Urwald?"

    Gideon verzog missbilligend das Gesicht. „Zimmerpflanzen verbessern das Raumklima. Das ist erwiesen."

    „Natürlich. Ich nickte mit großer Geste. „Wer braucht schon Möbel, wenn man Pflanzenkübel aufstellen kann.

    „Du bist ganz schön frech geworden."

    „Und du kannst mich nicht mehr stummschalten."

    Gideon grinste, doch es verlor rasch an Kraft und mit einem Mal sanken seine Schultern nach unten. „Wann werden wir darüber reden?"

    „Worüber genau?" Ich gab mich ahnungslos, doch ich wusste, worauf er anspielte, und mein Magen zog sich augenblicklich zusammen.

    „Bibertal."

    „Bibertal. Ich nickte langsam. Der Name klang, als wäre er eine Erfindung von C. S. Lewis. Ein Kribbeln ging davon aus, glitt meine Wirbelsäule hinunter und entzündete kleine Funken überall an meinen Nervenenden. „Wie heißt der Typ noch mal, den du da kennst?

    „Finnegan Iversen. Es ist ziemlich lange her. Weißt du noch, als ich ein Jahr bei diesem Projekt gearbeitet habe, nach der Unwetterkatastrophe an der polnischen Grenze? Daher kenne ich ihn. Ich hatte dir damals ein Foto von ihm gemailt."

    „Stimmt, ich erinnere mich. Er hat dort gearbeitet?"

    „Nein, er war einer der Geldgeber. Er war damals im Reitsport ziemlich erfolgreich. Mehr als erfolgreich, er war … krass! Jedenfalls sagt man das – ich habe davon keine Ahnung. Aber sie haben so eine Wohltätigkeitsveranstaltung gemacht und da ist er auch geritten. Sein Hotelzimmer lag neben meinem, keine Ahnung, wir haben öfter mal geredet. Ich mochte ihn und wir sind ganz lose in Kontakt geblieben. Dann hatte er einen ziemlich schlimmen Unfall und ist von der Bildfläche verschwunden."

    „Okay, also so richtig nach besten Freunden klingt das nicht gerade."

    „Das habe ich auch nie behauptet."

    „Aber du kennst Bibertal?"

    „Ich war einmal dort, auf der Rückreise. Finn hat mich mitgenommen und ich wollte von da aus weiter. Dann haben wir uns verquatscht und ich bin noch eine Nacht geblieben. Wenn du ihn irgendwann treffen solltest, dann frag ihn, ob das Baumhaus noch steht. Er wollte es für seine Nichte bauen, aber der Typ ist wirklich kein Handwerker."

    „Im Gegensatz zu dir."

    Gideon drohte mir mit der nächsten Tomate. „Ich hab ihm bloß ein paar Tipps gegeben."

    „Aber klar doch."

    „Ich habe übrigens nicht nur Essen für dich. Gideon bückte sich zu seinem Picknickkorb und zog einen schmalen Stapel Umschläge hervor. Beim Anblick des schicken Papieres lag mir mein Brötchen plötzlich schwer im Magen. „Der Umschlag ganz oben kam an deinem Geburtstag.

    Recht grob riss ich das Papier auf. Eine hübsche Geburtstagskarte lag darin. Rasch überflog ich den Inhalt. Floskeln und leere Worte – wie jedes Jahr. Darunter eine verschnörkelte Unterschrift wie die eines Filmstars. Ich warf einen Blick auf den Scheck und verdrehte die Augen. Es war dieselbe Summe wie seit Jahren. „Sie hat sogar selbst unterschrieben."

    „Und für dich angerufen."

    „Ich weiß, hab ihre Mail gelesen."

    Sabine Keller war eine Reporterin, die unter dem Pseudonym Fleur Martine eine beeindruckende Karriere hingelegt hatte. Angefangen hatte sie als Praktikantin, dann hatte sie sich die guten Artikel geschnappt, wichtige Interviews geführt und war innerhalb von fünf Jahren ein bekanntes Gesicht geworden. Egal wie heiß die Story war, sie scheute sich nicht, sie anzufassen.

    Außerdem war sie die Frau, die uns geboren hatte.

    Damit hatte es sich aber auch schon mit den Familienbanden.

    Ich suchte Shakespeare und entdeckte ihn auf einer Fensterbank, wo er sich die Sonne aufs Fell scheinen ließ. Er wirkte ziemlich entspannt, scheinbar hatte ihm der Flug nichts ausgemacht. Hoffentlich traf das auch auf die Zugfahrt zu, wir hatten noch ein paar Stunden vor uns.

    „Emma. Gideon lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf sich. „Du musst das nicht tun.

    „Was meinst du?"

    „Direkt dorthin ziehen. Du kannst erst mit zu mir kommen. Dich einleben."

    „Und auf deiner Couch schlafen? Wohnt da nicht immer noch dieser Typ?"

    „Er wohnt im Gästezimmer. Aber ich könnte ihn auf die Couch umquartieren. Gideon rieb sich über die kurzen Haare. „Adri hat sich fast wieder gefangen, das wird.

    „Und dann willst du dir ein neues Häufchen Elend zulegen? Ich schüttelte den Kopf und trank von meinem Wasser. „Du weißt, ich verabscheue Großstädte.

    „Ich kann mich wegbewerben. Wir können uns gemeinsam etwas Neues suchen."

    „Du liebst die Wache. Und was würde aus Nora werden? Und Adri? Sie brauchen dich."

    „Und du?"

    Ich auch, wollte ich sagen, doch ich biss mir auf die Zunge und schluckte die Worte hinunter. Ein Jahr ohne Gideon zu sein war der Horror gewesen. Aber ich hatte es geschafft.

    Die Wahrheit war, ich war eine Nomadin. Ziellos. Meine letzten Jobs hatte ich nie länger als sechs Monate gehabt. Dazwischen viel zu lange gar nichts. Mein Lebenslauf war ein Albtraum. Es lag nicht daran, dass ich faul war, ich war nur … unstetig? Unsicher? Eine Pflanze, ohne Halt. Seit Jahren suchte ich einen Platz, an dem ich Wurzeln schlagen konnte. Doch es trieb mich immer wieder fort.

    „Ich dachte, du fändest die Idee gut, dass ich nach Bibertal gehe. Du hast gesagt, die Stelle passt zu mir."

    „Ich … Gideon seufzte. „Das tut sie! Du liebst Bücher, ich kann mir gut vorstellen, wie du in einem Buchladen arbeitest, Bücher empfiehlst, Kunden zwingst, all deine Lieblinge zu kaufen und all das. Du wirst das gut machen. Und du wolltest es schon immer.

    Wollte ich. Ich hatte eine Ausbildung als Bibliothekarin gemacht und auch einige Zeit in dem Beruf gearbeitet. Bis sie die Bibliothek geschlossen hatten. Vielleicht war das der Zeitpunkt gewesen, an dem ich es vermasselt hatte. Den Absprung. Den Übergang. Oder was auch immer.

    Vielleicht war es mir aber auch immer bestimmt gewesen.

    Ich warf einen Blick auf den Umschlag auf dem Tisch und wollte ihn gerne anzünden. Alles, was diese Frau anging, trieb trübe Gedanken in mein Gehirn. Gedanken, von denen ich eigentlich frei war.

    „Hey. Gideon streckte einen langen Arm über den Tisch und tippte mir gegen die Nasenspitze. „Noch da?

    „Klar. Ich rieb mir über die Augen. „Hör zu, ich liebe dich und ich habe dich vermisst. Aber ich kann nicht mit nach München. Ich muss mein eigenes Ding finden. Irgendeinen Ort, wo ich bleiben kann. Es wird langsam Zeit. Vielleicht ist es Bibertal, vielleicht auch nicht. Aber ich kann nicht den Rest meines Lebens zwischen dir, Rahel und Yuna hin und her pendeln und mich in eure Leben drängen. Ich möchte selbst etwas aufbauen. Ich möchte … Hilflos hob ich die Hände und ließ sie zurück in meinen Schoß sinken. „Ich möchte jemand sein. Irgendwo. Und irgendwie. Und außerdem habe ich lange darüber gebetet und bin mir sicher, das Richtige zu tun."

    Gideon musterte mich ernst. Die Sorgenfalte über seinem linken Auge war mir vertraut. Ich mochte es nicht, wenn sie wegen mir auftauchte. „Dein Lebenslauf definiert dich nicht, Emma. Du bist wundervoll. Ganz egal, ob du kellnerst oder die Finanzwelt eroberst. Das ist es nicht, was dich ausmacht." Während er sprach, wählte er jedes Wort mit Bedacht und legte sein Herz hinein.

    „Ich respektiere deine Wünsche. Und ich träume deine Träume. Das weißt du. Fahr nach Bibertal. Ich werde noch einmal versuchen, Finn zu erreichen, damit er dich empfängt. Ich besuche dich in ein paar Wochen. Und wenn irgendetwas ist, genügt ein Anruf und ich hole dich da raus. Er lächelte schief. „Meine Couch wird immer dir gehören.

    „Awww. Ich drückte die Hände gegen meine Brust und schmolz dahin. „Hast du das vor dem Spiegel geübt?

    „Mach dich nur lustig, brummte Gideon und bückte sich erneut nach seinem Picknickkorb. „Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass uns nur ein paar Bundesländer trennen und kein Ozean.

    Im nächsten Moment warf er mir etwas zu, das ich nur in allerletzter Sekunde aus der Luft fischen konnte. Entgeistert starrte ich auf das Trinkpäckchen in meiner Hand. „Ist das Capri-Sonne?!"

    „Orange. Deine Lieblingssorte."

    „Du bist der beste Bruder, den es gibt!" Behutsam pfriemelte ich den Strohhalm aus seiner Hülle. Der erste Schluck schmeckte nach Kindheit, Sonne und süßen Erinnerungen. Und nach sehr, sehr vielen künstlichen Zusatzstoffen.

    „Ich ekle mich ein bisschen vor mir selbst, weil mir die immer noch schmeckt", gestand ich.

    „Beruhigend, kommentierte mein Gegenüber trocken, schnappte sich sein eigenes Trinkpäckchen und hielt es mir entgegen. „Auf Neuanfänge?

    „Auf Neuanfänge, bestätigte ich. „Und auf kleine Städtchen mit hübschen Namen, deren Google-Fotos wirklich beeindruckend sind. Und auf Buchladen-Jobs.

    „Auf dich. Darauf, dass du sehr viel mutiger bist als ich."

    Kopfschüttelnd drückte ich mein Trinkpäckchen gegen seines.

    Bibertal.

    Es klang nach Narnia.

    Und nach einem Neuanfang.

    Finn

    Geistesgegenwärtig schaltete Finn das Warnlicht ein und stieg aus dem Wagen. Der Regen war kälter als erwartet und raubte ihm für einen Moment den Atem, während er auf die Frau zuhastete. „Sind Sie verletzt?"

    Sie schüttelte den Kopf und deutete hinter sich. „Sie aber!"

    Sie war in dem Fall ein Reh. Das Tier lag auf der Straße und bemühte sich aufzustehen. Erfolglos. Finn zog sich der Magen zusammen angesichts dieser verzweifelten Hilflosigkeit.

    „Ich weiß, man darf sie nicht anfassen, aber … Die Frau klang verzweifelt und gleichzeitig wild entschlossen. „Ich habe hier kein Netz. Haben Sie ein Handy dabei?

    „Die funktionieren in diesem Teil des Waldes meistens nicht. Finn wandte sich zurück zum Wagen und rief über die Schulter. „Ich rufe Hilfe! Sein Bein protestierte, als er zum Wagen zurückrannte. Die letzten Tage war alles gut gewesen, aber Wetterumschwünge machten ihm immer zu schaffen. Er stieg ein und griff nach dem Funkgerät. „Hier ist Finn. Ich befinde mich auf der alten Waldstraße. Hier sind eine Frau und ein verletztes Reh. Hört mich jemand?"

    „Finn, ich höre dich. Die Stimme seines besten Freundes Amal drang umgeben von Rauschen aus dem Gerät. „Ist die Frau verletzt?

    „Nein", erwiderte Finn und spähte durch die Windschutzscheibe. Die Frau stand dicht bei dem Tier. Es sah beinahe aus, als würde sie mit dem Reh sprechen. Sie war klatschnass und eindeutig nicht aus der Gegend. Was machte sie hier? Hatte er also wirklich einen Koffer gesehen? Ihren?

    „Hier ist Ian, was kann ich tun?, ertönte eine zweite Stimme aus dem Funkgerät. „Ich habe den Anhänger der Schmidts am Wagen. Hilft das?

    „Negativ, erwiderte Amal. „Der Doc und ich sind auf dem Weg. Wo genau bist du, Finn?

    „Kurz vor dem Graben, wo du deinen Fiat damals versenkt hast", gab Finn zurück.

    „Alles klar. Wir kommen. Haltet euch von den Bäumen fern, dieser Sturm ist übel."

    Wie um seine Worte zu bestätigen, krachte ein gewaltiger Donner, der Finn bis in die Knochen zu gehen schien. Er beugte sich zum Rücksitz, griff nach seiner Jacke und stieg erneut aus dem Wagen. „Setzen Sie sich in mein Auto, rief er der Frau zu, die noch immer neben dem Reh stand. „Sie müssen aus diesem Regen raus.

    „Kommt jemand?, rief sie zurück, ohne auf sein Angebot einzugehen. „Ich glaube, sie wird schwächer.

    Finn folgte ihrem Blick. Das Reh lag zitternd auf dem Asphalt. Zu gern hätte er versucht, das Tier durch Berührung zu beruhigen, doch er wusste, dass davon streng abgeraten wurde, weil die Tiere in ihrer Angst meist um sich bissen und noch mehr in Panik gerieten. Er ertappte sich bei dem Wunsch, Lexie an seiner Seite zu haben. Er hatte vielleicht Ahnung von Pferden, immerhin arbeitete er seit seiner Kindheit mit ihnen, doch er war nur Reiter, kein Arzt. Seine Nachbarin hatte zwar auch kein Medizinstudium, aber ein unglaublich umfangreiches Wissen durch ihre Arbeit und ihre bunte Vergangenheit. Lexie war eine Herausforderung, laut und unaufhaltsam. Aber gerade jetzt hätte er ihre Gegenwart wirklich zu schätzen gewusst.

    „Ich konnte keine Wunde finden, sprach die Frau weiter. „Aber ich denke, ihr Bein ist gebrochen.

    Er konnte sehen, dass sie zitterte. Ihre Jacke war vielleicht mal warm gewesen, aber dem Regen hatte sie nicht standhalten können. „Hey. Er tippte ihr gegen die Schulter, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ihr Blick ging ihm bis ins Mark. Ihre Augen waren weit aufgerissen und so grün wie Frühlingsblätter. Tiefrote Haarsträhnen klebten an ihrem Gesicht und sie hatte sich die Unterlippe zerbissen. „Wie heißen Sie?

    „Emma."

    „Hi, Emma, Sie sollten sich wirklich in meinen Wagen setzen. Dort ist es wärmer."

    Die Frau – Emma, verbesserte er sich innerlich – schüttelte den Kopf und sah wieder zu dem Reh. „Ich lasse sie nicht allein."

    Irgendetwas in ihrer Stimme sagte ihm, dass sie sich nicht würde umstimmen lassen, also nickte er. „Haben Sie gesehen, was passiert ist?", fragte er vorsichtig weiter und sie verzog das Gesicht.

    „Nein, aber ich habe den Knall gehört. Es war schlimm." Sie schauderte und diesmal nicht nur vor Kälte.

    „Ist das Ihr Koffer vorne an der Straße?"

    Sie nickte erneut, Regen tropfte von ihrer Nasenspitze. „Ich hab doch kein Warndreieck und irgendwie musste ich aber auf uns aufmerksam machen."

    „Ich werde Ihren Koffer holen und stattdessen ein Warndreieck aufstellen. In Ordnung?"

    Sie nickte. Ihr Blick hing weiter an dem Reh, dessen Bewegungen immer schwächer wurden. Finn schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Amal und Noah schnell hier sein würden. Bitte rechtzeitig, Vater!

    Scharfer Schmerz schoss auf den wenigen Schritten zum Wagen durch sein Bein. Finn presste eine Hand gegen die Hüfte und versuchte nicht zu humpeln. Das Warndreieck in der Hand ging er zu dem Koffer und wünschte, er hätte seinen Stock dabei. Gleichzeitig hatte er keine Lust auf neugierige Fragen. Aber vermutlich würde es Emma in ihrem Zustand gar nicht auffallen. Sie stand eindeutig unter Schock. Finn stellte das Warndreieck auf und zog an dem Koffer. Er war schwer. Ein Blitz zuckte über den Himmel, doch der Donner brauchte einige Herzschläge. Das Gewitter entfernte sich. Fragt sich nur, in welche Richtung, dachte Finn missmutig und öffnete den Kofferraum. Es war gar nicht so leicht, den tropfenden Koffer hineinzuwuchten, sein Bein protestierte energisch und Finn unterdrückte ein Stöhnen. Im nächsten Moment huschte ein Schatten an ihm vorbei und sprang in den Kofferraum. Finn zuckte zurück und starrte die riesige Katze an, die tropfnass und schlecht gelaunt seinen Blick erwiderte. „Und wer genau bist du?, brummte Finn und erntete ein unfreundliches Maunzen. „Emma!, rief Finn zu der Frau hinüber. „Gehört die Katze zu Ihnen?"

    „Ja, rief sie zurück und machte einen Schritt in seine Richtung. „Geht es ihm gut?

    „Nass, aber gesund würde ich sagen." Finn fischte eine Jacke von der Ablage, schloss vorsichtig den Kofferraum und ging mit eingezogenem Kopf zurück. Vielleicht war es Wunschdenken, aber der Regen schien nachzulassen.

    Bei Emma angekommen, reichte er ihr die Jacke. „Der Kater sitzt im Kofferraum neben Ihrem Koffer. Haben Sie noch mehr Sachen?"

    „Mein Rucksack. Sie nickte zum Straßenrand. „Shakespeares Katzenkorb habe ich unterwegs stehen lassen. Er war einfach zu schwer.

    „Der wird sich schon wiederfinden lassen." Finns Herz machte einen Satz, als Scheinwerfer vor ihnen über die Straße huschten. Endlich. Danke, Vater! „Da kommt unsere Hilfe."

    Emma blinzelte, sah ihn an, schien ihn erst jetzt richtig wahrzunehmen. Ihr Blick tastete über sein Gesicht und sie legte ein bisschen den Kopf schief. Rote Haarsträhnen klebten an ihrer

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