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Mine-Dine-Use und andere Generationengeschichten
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eBook167 Seiten2 Stunden

Mine-Dine-Use und andere Generationengeschichten

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Über dieses E-Book

Mine-Dine-Use und andere Generationengeschichten
Der zweite Band aus der Ausschreibung Generationen des Baltrum Verlages.
Mine-Diese-Use ist ein plattdeutscher Begriff für eine Patchworkfamilie. Hier erleben Sie einzelnen Geschichten aus den Spannungsfeldern der Generationen, zusammengefügt wie eine Patchworkfamilie, ein Buch mit nachdenklichen Geschichten, aber auch mit Humor.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum14. Apr. 2021
ISBN9783754107690
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    Buchvorschau

    Mine-Dine-Use und andere Generationengeschichten - Matthias Deigner

    Mine-dine-use*

    Ann-Cristin Ney

    *plattdeutsch: Patchworkfamilie

    Ich strickte für meine drei Töchter in meinem Leib Jacken für den Winter, damit sie keine Zündhölzer anzünden und Maronen für ihre kalten Hände kaufen müssten.

    Für die Erste strickte ich aus der schönsten Wolle, die ich auf dem Dachboden finden konnte, eine warme Jacke, die ihre Wangen rosig und ihre Lippen rot machten. Für ihre Schönheit würde sie stadtbekannt werden und es würde ihr alles in den Schoß fallen. Von Freundschaft, Liebe bis hin zu den Äpfeln aus Nachbars Garten. Er war im Krieg, musst Du wissen. Die Frauen erschoss er am liebsten mit Genickschuss.

    Dein Vater kam in der Nacht. Er war der Jäger. Das Blut an seinen Händen kam vom Zerwirken. Er schlug mich aus der Decke.

    Für die zweite Tochter strickte ich aus Honiggelb und Korngelb einen Mantel, der sie so strahlen ließ, wie die Sonne. Du warst wie Dein Vater – er kam am Mittag.

    Jeder mochte ihn, war er doch herzlich, warm, und als Du jedem Deine Wärme abgegeben hattest, starbst Du mit maisgelben Zähnen.

    Für meine letzte Tochter, für die ich fast am Kindbett starb, für sie nähte ich ein Mantel aus den stärksten Leinen und legte sie auf ihre knochigen Schultern.

    Sie war die Ärmste von allen. Kam ihr Vater am Abend von der Arbeit zu uns ins Bett. Ich betete drei Rosenkränze und eine Bibel, dass Daddy mich heute Abend nicht besuchen kommt. Ich betete, dass mein Kinderzimmer ein Krankenhaus war – die Besuchszeiten schon längst vorbei. Und als ich in ihre pechschwarzen Augen sah, so wusste ich, dass sie die Ärmste von allen sein wird, denn schwach sein ist ein Luxus, der ihr in diesem Leben nicht vergönnt sein wird. Ich legte ihr den Mantel um, bevor ich ihr die Augen schloss und tiefstem Schnee davon ging.

    Wir lassen den Sarg auf.

    Ich möchte keine Lilien als Sargschmuck.

    Wird es in meinem Herzen nie wieder Frühling. Tränen fallen wie das Laub von den Bäumen im Herbst.

    Im Sommer gehen wir wieder ins Freibad, ja.

    Tempo

    Susanne Speth

    Menschenskind. Immer diese alten Frauen in der Schlange. Um die Kasse zu blockieren. Mit voller Absicht möchte man meinen. Schließlich könnten sie auch in der Mittagszeit einkaufen. Oder besser Home Service. Die kommen in der modernen Welt sowieso nicht mehr zurecht. Werden alle Nase lang umgemöbelt von Fahrrädern, Scootern oder was weiß ich. Also daheimbleiben, schön fernsehgucken und auf den Enkeltrick reinfallen. Das war jetzt nicht freundlich. Aber zu mir ist auch keiner nett. Und in zehn Minuten geht die Bahn.

    Aber nein, einkaufen um 18 Uhr. Genau dann, wenn die arbeitende Bevölkerung zackzack ihre Sachen erledigt. »Könnten Sie bitte mit dem Kleingeld helfen? Die Augen. Oh, das Wiegen hab' ich vergessen, tut mir leid.« Und dann endloses Verkramen von Katzenfutter, Margarine und Hakle-Feucht in der übergroßen Tasche. Die Kassiererin ist gefasst. Gute Schulung. Das hier ist Minuten-Akkord. Deshalb wurden die großen Ablagen für den Einkauf extra abgeschafft an den Kassen.

    Alte Männer sehe ich nicht so oft beim Einkaufen. Meistens sind das die Ungewaschenen mit den Pfandflaschen. Essen alte Männer nicht mehr? Nur noch saufen? Oder sind das die Ehemänner der Blockade-Frauen? Kriegen das Essen seit 50 Jahren von der Frau hingestellt. Kommt sie nicht zurück, flott erwischt vom E-Bike, fallen sie einfach irgendwann tot vom Stuhl. Dieser Generation ist nicht mehr zu helfen. Meiner müsste mir mal so kommen.

    Alte Männer sterben früher. Sie können also gar nicht massenhaft Zonen und Schalter besetzen. Das machen die Witwen. Sie zwingen den Rest der Welt in die Zeitlupe. Wie soll das erst in ein paar Jahren werden? 70 % Alte, 20 % Pfleger, 10 % unter vierzig. Einfach erschießen geht nicht. Das leuchtet mir ein. Aber irgendwas muss sich irgendwer ausdenken. Sonst wird irgendwann die Ungeduld übermächtig, das kann ich Euch sagen.

    »Ich glaube, Sie sind dran, junge Frau.« Die Omma hinter mir. Frech, oder? Jürgen hat nur kurz gesimst wegen der Chips.

    Vaters Fest

    Gergana Ghanbarian-Baleva

    Also findet die Jubiläumsfeier zum 70. Geburtstag meines Vaters doch statt. Der isländische Vulkan, dessen Namen ich weder richtig schreiben noch aussprechen kann (Eyjafjallajökull), hat allen, die aus dem Ausland einfliegen sollten, einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Wir sind zwar nicht vollzählig, aber meinem Vater zu Liebe wird doch ein Tisch in einem Restaurant reserviert.

    Die älteste Tochter, der Schwager und der dritte Enkel meines Vaters sind in Bilbaó geblieben. Seine Schwester und Ihr Sohn haben niemanden gefunden, der die Tiere auf ihrem kleinen Bauernhof in den Bergen versorgen konnte. Also feiern wir nur mit der Familie meines Halbbruders, dem Sohn meines Vaters aus erster Ehe. Die Namen seiner Söhne kenne ich nicht einmal. Seine Frau habe ich schon mal gesehen und sie scheint sympathisch zu sein.

    Am Tisch nimmt auch mein Onkel mütterlicherseits zusammen mit seiner schwererziehbaren, puber- tierenden Tochter Platz. Mit ihren blondierten Haaren, den üppigen Brüsten und den viel zu kurzen Rock sieht sie wie eine drittklassige Erotiktänzerin aus.

    Mein Mann, der kein Wort bulgarisch spricht, und ich vervollständigen die unvollständige Geburtstags- feiergesellschaft.

    Mein Vater ist traurig, obwohl er wie üblich versucht, mit Scherzen davon abzulenken. Denn sein Name ist Spaß.

    Er ist traurig, weil seine älteste Tochter - sein ganzer Stolz – nicht dabei sein kann. Genau so wie er nicht an der Verleihung Ihres Doktortitels, bei der Geburt seines dritten Enkels und bei ihrer Hochzeit sein konnte.

    Meine Mutter ist ebenso traurig, denn es wird mindestens ein Jahr vergehen, ehe sie ihren ersten Enkel sehen kann. Und fliegen fällt ihr immer schwerer, Flugangst hatte sie schon immer, aber seitdem sie zunehmend Herzbeschwerden hat, ist es schlimmer geworden.

    Mein Onkel beobachtet mich und meine Eltern und das, was er sieht, macht ihn traurig. Denn es erinnert ihn daran, dass er seit Jahren den Kontakt zu seinem Sohn verloren hat. Dass die Frau, für die er seine Musikkarriere an den Nagel gehängt hat, mit einem Griechen durchgebrannt ist. Ihm ist nur seine freche, faule und frühreife Tochter geblieben.

    Mein Mann wird traurig, wenn er uns so zusammen am Tisch sitzend sieht. Das erinnert ihn an seiner großen Familie im Iran, die er zuletzt vor 18 Jahren so zusammen um einem Tisch herum sitzend gesehen hat. Besonders schlimm ist es für ihn, da dieses Jahr seit langem die Menschen auf die Straßen gehen, für ihr Recht demonstrieren und schon von den ersten Toten in den Nachrichten berichtet wird. Seine Neffen und Nichten, die ein, zwei Jahre alt waren, als er das Land verließ, gehören der Studentenschaft an, von der aus die Proteste ausgehen.

    Mein Halbbruder, der etliche Jahre älter ist als ich, beobachtet meinen Vater und wird traurig, dass er so viele Jahre auf ihn verzichten musste, dass er als Kind ohne ihn aufwuchs. Seine Söhne langweilen sich zu Tode, denn sie kennen keinen hier und würden viel lieber skaten oder Playstation zu Hause spielen.

    Ich befinde mich, als geborener Diplomat, in meiner üblichen »Spagatposition«. Ich bemühe mich, zwischen fernen Ufern eine Brücke zu bauen, eine harmonische Stimmung dort herbeizuzaubern, wo nichts zueinander passt.

    Die Feier hat längst begonnen, auch wenn keiner dies merkt und etwas dazu beisteuern will. Das türkische Restaurant wurde uns als vorzüglich empfohlen. Tatsächlich schmeckt das geschmorte Lamm mit Okra hervorragend und der schwere Wein aus Südbulgarien betäubt die schwarzen Gedanken der nahen und fernen Verwandten. Mein Hals ist wie zugeschnürt, kein einziges Wort kann ich über die Lippen mehr bringen. Langsam rollen die Tränen, heiß wie Lava, meine Wangen hinunter. Dieser Anblick von einzelnen Menschen, die nur wegen meines Vaters hier sitzen, aber unter einander nichts mehr und nie etwas Gemeinsames hatten, machte mich traurig. Und wenn ich morgen meine schweren Koffer mit bulgarischen Köstlichkeiten zum Flughafen schleppe, werde ich nie gewiss sagen können »Bis bald!«. Denn jedes Treffen kann unser Letztes sein.

    Hätte ich dich gekannt ...

    Sabine Riedel

    Bühler war der Fahrer unseres Schulbusses.

    Er war stets pünktlich auf die Minute und hatte in all der Zeit, seit ich ihn kannte, nicht einen Tag gefehlt.

    Und gerade das, hatte es mir damals so unerträglich gemacht.

    Bühler.

    Wenn ich heute an meine Schulzeit zurückdenke, erinnere ich mich, wie ich jeden Morgen die Hoffnung hegte, dass ich sein Gesicht nicht sehen müsste. Oder besser: dass er mich nicht sah, wenn ich die Stufen des Busses erklomm.

    Aber immer war er es, der auf dem Fahrersessel saß.

    Klein und so dick, dass sein Bauch ihn beim Lenken behindern musste. Er hatte kaum Haare auf dem Kopf, dafür aber einen üppigen Schnurrbart, der sich mit den Jahren von braun zu grau verfärbte.

    Kein Tag ohne ihn, seit der Grundschule.

    Jeder Mensch, musste doch auch einmal krank werden, dachte ich damals oft. Oder Urlaub haben?

    Er nicht.

    Alle gingen unbehelligt an ihm vorbei.

    Mareike, Nadine, Julia. Keine würdigte er eines Blickes. Aber kaum war ich eingestiegen, erfassten mich seine feuchten, roten Augen.

    Sofort verzog sich sein, unter Schnurbarthärchen halb versteckter Mund, zu einem Grinsen. »Morgen Mathilda.«

    Ich kochte vor Wut. Jedes Mal!

    Am Anfang habe ich noch versucht, den Irrtum richtigzustellen.

    »Ich heiße Leonie!«, habe ich mit Kleinmädchen- stimme zurück gepiepst.

    Aber mit den Jahren war ich fest davon überzeugt, dass es pure Absicht war, nur um mich zu ärgern.

    Hätte ich einen richtigen Vater gehabt, er hätte Bühler bestimmt eine reingehauen.

    Das habe ich mir zumindest immer vorgestellt.

    Warum ausgerechnet ich es war, die Bühler immerzu ärgern musste, wusste ich nicht.

    Lag es an meiner Brille? Den Sommersprossen?

    Sah mein brauner Lockenkopf komisch aus?

    Jedenfalls habe ich vieles versucht, damit er aufhörte.

    Ich fauchte ihn an, dass Mathilda nicht mein Name sei; ich zischte, er solle mich in Ruhe lassen. Unzählige böse Blicke habe ich ihm in den Jahren geschenkt, bis ich einfach nur noch resigniert an ihm vorbei trottete und mir wünschte unsichtbar zu sein. Aber er sah mich immer.

    »Ist der Rock nicht ein bisschen zu kalt heute, Mathilda?« Ich habe ihn gehasst!

    Schließlich aber, kam der erste Schultag nach den Sommerferien, als ich in die zehnte Klasse kam.

    Ich wappnete mich geistig, als ich in den Bus stieg und setzte ein finsteres Gesicht auf, als ich meine Fahrkarte vorzeigte.

    Aber Bühler war nicht da!

    Erschrocken blieb ich stehen.

    Hinter dem Steuer saß ein junger, schlaksiger Mann mit blondem Pferdeschwanz unter seiner Fahrermütze.

    Er sah mich an und wünschte mir einen guten Morgen.

    F. Neumann, stand auf seinem Namensschildchen.

    »Äh, alles ok bei dir?«

    Ich erwachte aus meiner Starre und wurde rot, weil ich ihn mit offenem Mund angestarrt hatte.

    »Ja«, sagte ich und eilte meinen Freundinnen hinterher.

    Den ganzen Weg über, beobachtete ich den Fahrer misstrauisch durch den Rückspiegel und grübelte.

    War Bühler krank? Oder – ich rechnete im Geiste die Jahre – konnte es sein, dass er schon in Rente gegangen

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