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Single Malt Weihnacht
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eBook375 Seiten4 Stunden

Single Malt Weihnacht

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Über dieses E-Book

Single Malt Weihnacht
Weihnachten, ein Fest für viele nur mit der Familie. Mit unserer Anthologie haben wir ein (Vor-)lesebuch geschaffen, das Sie alleine, mit der Familie oder auch mit Freunden in dieser Zeit genießen können. Gerne laden wir Sie auch dazu ein, sich dazu ein edles Tröpfchen einzuschenken.
Lassen Sie sich auf das Vorlesen mit Freunden und Familie ein.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum27. Nov. 2021
ISBN9783754925966
Single Malt Weihnacht

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    Buchvorschau

    Single Malt Weihnacht - Matthias Deigner

    Stressfreie Weihnachtszeit

    Marten Petersen

    Es beginnt bereits im September. Dann kommt meine Frau vom Einkaufen nach Hause und stöhnt: »Unmöglich, bei Aldi und Co. sind die Regale schon voll mit Weihnachts-Süßigkeiten. Und dabei hat der Herbst noch nicht einmal begonnen.«

    »Na ja, du musst ja noch nichts kaufen«, lautet meine offensichtlich etwas dümmlich erscheinende Antwort. Denn sie wird mit einem schrägen Blick von der Seite quittiert. »Und wenn dann das Beste weg ist, bist du dich mal bequemst?«

    Was soll man dagegen sagen? In Familien- und Freundeskreis nennt man sie schon das ›christkindlichste aller Christkinder‹. Sie empfindet dies als Ehrentitel, ich bin da nicht so sicher.

    Ein paar Tage später bringe ich so unauffällig wie möglich ein Argument ins Gespräch: »Letztes Jahr haben wir doch beschlossen, nicht so viele Geschenke zu kaufen. Das sollten wir dieses Jahr umsetzen.«

    »Nicht so viel auf einmal«, lautet prompt die Korrektur meines lieben Christkindes, »daher habe ich auch schon einen Teil meiner Liste abgearbeitet!«

    »Eine Liste? Welche Liste denn?«

    »Ach weißt du, ich mache mir ab Neujahr einen Zettel und schreibe Geschenkideen auf. Im Laufe der Zeit kommen weitere dazu, andere werden wieder gestrichen. Auf diese Art habe ich dann rechtzeitig zum Fest einen Geschenkeplan.«

    »Aha, und diesen Plan hast du schon abgearbeitet?«

    »Bei Weitem nicht alles, aber doch schon einen Teil. Ich habe schon die alte Truhe ausgeräumt und die gekauften Sachen reingepackt.«

    Ich erwiderte nichts, denn Anfang Oktober schon eine heiße Diskussion über Sinn und Unsinn von Weihnachtsgeschenken zu führen, das will ich nicht.

    Anfang November traue ich meinen Augen nicht. In unserer Stadt ist eine ganze Horde von Elektrikern und Arbeitern dabei, Lichterketten quer über die Einkaufsstraßen und rund um den Marktplatz zu installieren. Wegen der vielen Leitern und der herumliegenden und -hängenden Leitungen und Kabeln ist der Straßenverkehr ziemlich eingeschränkt. Fußgänger müssen die Fahrbahn benutzen, an anderen Stellen werden die Autos über den Bürgersteig umgeleitet. Mit einer guten Stunde Verspätung komme ich zu Hause an. Ich berichte meiner Frau davon. Sie beschwichtigt mich mit den Worten:

    »Aber eingeschaltet wird die Weihnachtsbeleuchtung erst am Montag nach Totensonntag.«

    Wie beruhigend, also erst ab Monatsende.

    »Muss man denn schon so früh an Weihnachten denken?«, zweifle ich.

    »Na klar, und dann beginnt auch die schöne ruhige Vorweihnachtszeit. Denk nur an all die schönen Gerüche vom Backen, die durch die Wohnung ziehen. Zimt, Nelken, Rosenwasser und so weiter.«

    Na, so weit ist es ja noch nicht, denke ich und erinnere mich an voriges Jahr. Gebacken wurde bis spät in die Nacht. Mindestens zwölf Sorten Kekse mussten es schon sein, zwei Tabletts von jeder Sorte.

    »Sonst sieht der bunte Teller ja nicht bunt aus!« Ist die christkindliche Logik meiner Frau. Eine gute Woche Nachtarbeit steht uns also bevor. Ich sage uns, denn ein bisschen helfe ich immer mit. Ich will ja auch kein Spielverderber sein. Und das ist immer noch besser als ein Streit. Meine Frau belohnt meinen Eifer mit einem abendlichen Single Malt.

    Als Erstes krame ich zwölf unterschiedlich große, aber allesamt mit Weihnachtsmotiven versehene Blechdosen hervor. Der darin befindliche Restbestand vom Vorjahresweihnachtsfest wird einmal durch die Getreidemühle gejagt. So haben wir genügend Vogelfutter für einen durchschnittlichen mitteleuropäischen Winter.

    Es ist Anfang Dezember, meine Liebste kommt von der Arbeit nach Hause. Sie hat einen Plan: Die Wohnung soll nicht so stark auf Weihnachten dekoriert werden, eher dezent, überwiegend in Rot gehalten. Es soll nichts an Dekomaterial hinzugekauft werden, die Schränke sind ja voll davon, man könnte damit drei Wohnungen ausstatten. Erst verblüfft, dann erfreut stimme ich ihr zu. Das hört sich gut an.

    »Ich werde aber eine neue Holzwand bauen und sie nahe beim Ofen montieren. Dann werde ich eine zweieinhalb Meter lange Girlande aus Buchsbaum und Tanne winden und an der neuen Holzwand befestigen. Dazu kommen einige kleine Regale. So kann ich eine ganz individuelle Weihnachtsdekoration anbringen!«

    Mir schwant schon, dass ich das Tannengrün besorgen soll. Die Holzkonstruktion macht meine Liebste selber. Sie ist handwerklich sehr begabt und vor allem: So wird das Werk so, wie sie es haben will. Meine Liebste geht lieber in den Baumarkt als in die Parfümerie, trägt lieber den Makita-Werkzeugkoffer als eine feine Gucci-Handtasche. Mir dagegen bleibt nur die Rolle des Handlangers. Ich hole also Handkreissäge, Hobel, Werkzeugkiste und die Kiste mit Schrauben, Dübeln und Nägeln hervor. Während meine Frau werkelt, darf ich nur einige wenige Handreichungen leisten. Danach gehe ich in den Garten und schneide das notwendige Grünzeug für die Girlande.

    »Das hast du fein gemacht. Mache eine Pause, ich mache noch weiter.«

    Das Angebot nehme ich doch gern an und lege mich auf die Couch.

    »Fertig! Schluss für heute, morgen geht es weiter.« Ich schrecke aus meinem Halbschlaf auf.

    »Schon?«, frage ich verschlafen.

    »Ja. Und zum verdienten Feierabend gibt es deinen geliebten Single Malt, den hast du dir verdient.« Ist das ehrlich gemeint? Oder es doch nur ehrlicher Sarkasmus?

    Weihnachten findet auch draußen statt! Vor dem Haus wird die Herbstdekoration durch Tannengrün, durchsetzt mit einer Lichterkette, ausgetauscht. Ein paar Laternen, ein Weihnachtsmann, einige rot-gelb angemalte Holzkerzen vervollständigen die sparsame Dekoration außen.

    Zeitgleich und pünktlich vor dem ersten Advent wird die Wohnung dezent umdekoriert: Rot-weiße Tischdecken, Geschirrtücher aus eben denselben Farben, sogar eine rote Klobürste wird angeschafft (die Alte muss vorübergehend ihr Dasein in der Garage fristen). Sie passt ausgezeichnet zum weihnachtlichen Dekor auf der Papierrolle. Auf dem Rand des Waschbeckens finden sich fein drapiert zwei frische Seifenstückchen mit Goldstaub, ein silberner Engel und ein roter Weihnachtsmann. Dann viele gläserne Tannenzapfen, bunte Farben aussendende Prismen, lang gezogene Glastropfen, pausbäckige himmlische Wesen, Weihnachtsmänner und Rentiere aus verschiedenen Materialien, klitzekleine Lichterketten, Weihnachtssterne aus Stroh und diverse rot-grüne Blumen werden in der Wohnung unauffällig und zurückhaltend verteilt. Die bisherigen Sofa- und Stuhlkissen werden gegen andere, überwiegend in Rot und Grün gehaltene Weihnachtskissen ausgewechselt. Die alten Fotos der Großeltern müssen Stickbildern mit Weihnachtsmotiven weichen, wenn auch nur vorübergehend bis nach Neujahr. Die Katze fühlt sich in ihrem rot-grünen Strickpullover nicht wohl. Noch nerviger findet sie aber das ewige Gebimmel der kleinen Glasglöckchen, die an ihrem Schwanzende angebracht sind. Am meisten Zeit nimmt aber das Umwickeln sämtlicher zweiundvierzig Blumentöpfe mit dünnem Weihnachtspapier in Anspruch. In sämtlichen Töpfen Amaryllis und Weihnachtsstern.

    Auch das neue weihnachtliche Sammelgebiet meiner Frau entwickelt sich erfreulich-erschreckend: Sie sammelt Trinkbecher aus Porzellan, die mittlerweile etwa fünfzehn Exemplare umfassende Sammlung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Wand der Becher plastisch ausgeformt ist, und natürlich – wie könnte es anders sein – jeweils einen pausbäckigen Weihnachtsmann darstellt. Als sie mir das neueste Exemplar zeigt, ist es gefüllt – mit einem Single Malt! »Prost mein Liebling!«, flötet mein Christkind.

    Mittlerweile haben wir den Ton der Haustürglocke vom wohlbekannten »Avon-Ding-Dong« auf das weihnachtliche »Jingle Bells« umgestellt. Unter dieser gravierenden Veränderung hat unsere Katze sehr zu leiden. Passend dazu habe ich den Briefkasten an der Gartenpforte ausgetauscht. Der übliche Kasten mit dem Posthorn muss dem »Weihnachtskasten« weichen: Die Front ist mit einem zauberhaften »Winter-Wonderland-Motiv« versehen.

    Zum zweiten Advent ist die Wohnung trotz dieser nur dezent und sehr gefühlvoll vorgenommenen Dekorationen nicht sofort wiederzuerkennen. Aber ich will auch etwas zur perfekten Weihnachtsstimmung beitragen und entwickele eine Schneeberieselungsanlage für das Wohnzimmer. Ähnlich einer Sprinkleranlage, kombiniert mit einer Gefrierzerstäubungstechnik, werden wir somit in den Genuss frischen Schnees vor dem Kaminofen kommen.

    Da werden sich dann auch die beiden Stroh-Elche ganz wohl fühlen. Zur Belohnung für meine Kreativität stellt mein liebstes Christkind mir ein Gläschen Schnaps hin – Single Malt natürlich. Ich genieße ihn.

    Kurz vor dem Fest kommt mir dann noch eine kleine Idee, unserer weihnachtlichen Wohnung ein authentisches Aussehen zu verleihen: Der Freund des Schwagers eines Kollegen aus dem Fußballverein lebt auf einem Bauernhof auf dem Lande. Neben vielen anderen Tieren hat er auf seinem Hof auch ein Eselspaar, das vor Monaten Nachwuchs bekommen hatte. Dieses kleine Eselchen kann ich ausleihen und bereite ihm in der Nähe des Christbaumes ein Heulager. Das permanente I-aaa, I-aaa stört uns nicht allzu sehr in unserer Nachtruhe.

    Das i-Tüpfelchen aber ist auf dem Klo zu finden. Sobald der Sitz sich durch Hautkontakt auf 30 Grad erwärmt hat, ertönt ein schmetterndes »Halleluja« aus Händels Weihnachtsoratorium. Ich habe es ausprobiert, mit einem Glas Single Malt in der Hand. Es funktioniert, auch wenn dabei ein paar Tropfen des guten Whiskys verschüttet wurden.

    Wenn mein Christkind glücklich ist, bin ich es auch. »Das wäre es für dieses Jahr«, sagt meine Liebste und reicht mir ein weiteres Glas meines Lieblingswhiskys. Die vielen Gläser Single Malt zeigen erste Folgen. Fröhlich singe ich statt »Jingle Bells, Jingle Bells« jetzt »Single Malt, Single Malt«.

    Ich weiß nicht, wie andere Familien mit ihrem überzogenen Weihnachtstohuwabohu zurechtkommen. Da lobe ich mir das Minimalprinzip meiner Frau.

    Weihnachten – niemals ohne

    Single Malt

    Brigitta Rudolf

    Ian hatte sich damit abgefunden, dass sein Leben eine Wendung genommen hatte, nachdem Caitlin ihn verlassen hatte. Nicht ohne Grund, zugegebenermaßen. Aber danach hatte er komplett den Halt verloren und war endgültig auf der Straße gelandet. Er hatte unter den Tippelbrüdern sogar Verbündete gefunden. Meistens zogen sie zu dritt los und hatten auch einen Platz unter einer Brücke, den sie miteinander teilten. Das Leben als Obdachloser war nicht ganz ungefährlich in einer Stadt wie dieser. Allerdings gab es mindestens einen Tag im Jahr, an dem er sich komplett von seinen Freunden abschottete. Das war der Heilige Abend. Dann übermannte ihn der Kummer über seine scheinbar ausweglose Situation jedes Mal von Neuem. Früher, ja früher, da hatte er am Heiligen Abend mit seiner Frau Caitlin daheim in ihrem gemütlichen kleinen Haus vor dem Kamin gesessen. Sie hatten sich an ihrem Weihnachtsbaum gefreut und zum krönenden Abschluss des Tages hatte er die Flasche Single Malt geöffnet, die er von ihr erhalten hatte. Dieses Geschenk erhielt er seit Jahren zu jedem Weihnachtsfest. Und er kam lange damit aus, er war kein Trinker. Damals nicht. Seitdem er auf der Straße lebte, sah das anders aus. Es waren selten harte Sachen, die seine Freunde und er tranken, aber der Alkohol half ihnen letztlich auch die kalten Winternächte zu überstehen. Gelegentlich setzte er sich an den Eingang des großen Einkaufszentrums und erbettelte sich etwas Geld. Seinen Malt zu Weihnachten, den brauchte er einfach. Allerdings hielt die Flasche nie lange, sondern war spätestens nach dem ersten Feiertag leer. Dann kehrte Ian zu seinen Freunden zurück. Die kannten seine Marotte und stellten keine Fragen mehr. So hatte er es auch in diesem Jahr geplant. Nachdem er sich von Tom und John verabschiedet und zwei Flaschen seiner Lieblingsmarke besorgt hatte, suchte er seinen geheimen Platz auf. Dort ließ er sich nieder, breitete eine Decke aus und setzte die Flasche gleich an den Hals. Heute wollte er sich betrinken. Seine Gedanken kreisten, wie immer zu Weihnachten, auch um Caitlin. Wie mochte es ihr gehen? Wie und wo mochte sie jetzt leben? Er hatte seit Jahren nichts mehr von ihr gehört. Wenn ich doch nur noch einmal mit ihr sprechen könnte, dachte er sehnsüchtig. Aber sie hatte viel zu lange Geduld mit ihm gehabt, und als sie endgültig gegangen war, konnte er es ihr im Grunde nicht einmal verübeln. Er wusste, er war oft sehr unzuverlässig gewesen, und das bereute er nun zutiefst. Nur aus diesem Grund hatte er diverse Jobs verloren, deshalb hatte Caitlin eines Tages die Nase voll gehabt und ihn verlassen. Wieder nahm er einen tiefen Schluck aus der Flasche. Die meisten Leute saßen jetzt in der Kirche oder zu Hause und feierten Weihnachten mit ihrer Familie. Er fühlte sich einsam, wie immer an diesen Tagen. Jetzt begann es auch noch zu schneien. Dicke Flocken fielen vom Himmel, schnell hatte der Schnee auch über ihn ein weißes Laken gebreitet. Ian begann zu frieren und wickelte seine Decke fester um sich. Auch dagegen half der Whisky, also trank er noch einen Schluck und noch einen. Es dauerte nicht lange, da war die erste Flasche leer. Er warf sie achtlos fort und öffnete die zweite. Langsam verschwamm die Welt um ihn immer mehr und er sank zur Seite und schlief ein.

    Als er erwachte, beugte sich ein goldhaariger Engel über ihn. Träumte er oder hatte er sich durch den Suff schon ins Himmelreich katapultiert? Vorsichtig blinzelte er und murmelte: »Was is´n los?«

    »Das fragen Sie noch? Sie haben verdammtes Glück gehabt, dass einige Leute Sie gefunden und uns alarmiert haben. Diese Nacht ist kalt, Sie hätten erfrieren können. Aber jetzt nehmen wir Sie erst mal mit ins Krankenhaus«, antwortete der Engel.

    Ian schluckte. Er lebte also noch. Ob er sich allerdings darüber freuen sollte, wusste er nicht. Willenlos ließ er sich aufhelfen und auf eine Trage betten. Um dagegen zu protestieren, fühlte er sich zu schwach. Dann dämmerte er kurzfristig wieder weg. Als er zum zweiten Mal erwachte, lag er, mit einem Krankenhauskittel bekleidet, in einem weichen und sauberen Bett. Ein fast vergessenes Gefühl von Wohlbehagen stieg in ihm auf. Vorsichtig sah er sich um. Sein Schädel brummte und er erinnerte sich, dass er einige Stunden zuvor eine ganze Flasche Single Malt getrunken und sogar noch eine zweite angebrochen hatte. Gewohnheitsmäßig wollte er wieder danach greifen, aber die hatte man ihm wohl abgenommen. Stattdessen standen eine frische Flasche Mineralwasser und ein sauberes Glas auf seinem Nachttisch. Seine Kehle fühlte sich staubtrocken an, daher setzte er sich mühsam auf, öffnete die Flasche und trank einen Schluck Wasser. Brr, fast hätte er sich daran verschluckt. Wo hatte man seine Sachen hin geräumt? Einen Augenblick später fühlte er sich so weit, dass er aufstand und in dem schmalen Spind an der Wand nachsah. Stimmt, darin fand er seine Plastiktüten. Seine Kleidung lag ordentlich zusammengefaltet daneben, ganz hinten in der Ecke stand die angebrochene Flasche mit dem restlichen Whisky. Erleichtert griff er danach und nahm die Flasche an sich. Er wollte sich noch einen Moment ausruhen, dann würde er sich anziehen und das Krankenhaus verlassen. Was sollte er hier? Gerade, als er wieder auf dem Bett saß, klopfte es an der Zimmertür und im nächsten Moment stand die blonde Frau wieder vor ihm, die dabei gewesen war, als man ihn aufgegriffen hatte. Mit einem Blick erfasste sie die Situation. Sie ging schnell auf ihn zu, nahm ihm die Flasche sanft aus der Hand und sagte: »Das wollen Sie doch nicht wirklich. Heute ist Heiligabend und ich habe Feierabend. Deshalb wollte ich noch einmal nach Ihnen schauen. Wie fühlen Sie sich?«

    Ian schaute sie an. Schließlich raffte er sich auf und antwortete. »Wie soll es mir schon gehen? Lassen Sie mich in Ruhe, ich möchte mich anziehen und gehen.«

    »Wohin wollen Sie denn?«

    »Das kann Ihnen doch egal sein«, gab er genervt zurück.

    »Ist es aber nicht. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich bin ebenfalls allein. Wollen wir den Rest von Weihnachten gemeinsam verbringen?«

    »Aber«, stotterte Ian. »Sie kennen mich doch gar nicht ...«

    »Nein, aber ich finde, jeder hat eine zweite Chance verdient und Sie sehen aus wie ein anständiger Kerl. Ihre Blutwerte haben ergeben, dass Sie kein Gewohnheitstrinker sind. Sehen Sie, meinem Bruder konnte ich nicht helfen, als er vor einigen Monaten verschwand. Ich glaube, er ist in der Obdachlosenszene abgetaucht. Vielleicht können Sie mir sogar helfen ihn zu finden. Ich würde mich wirklich freuen, Sie, zumindest über die Feiertage, bei mir zu haben. Danach sehen wir weiter.«

    Ian glaube zu träumen, aber diese Frau schien es wirklich ehrlich zu meinen. Und hatte Caitlin nicht immer gesagt, dass zu Weihnachten noch immer kleine Wunder geschehen konnten? Stumm nickte er.

    »Ich heiße Nancy«, stellte seine Wohltäterin sich vor.

    »Ian«, murmelte er.

    »Ich weiß«, sagte sie leise und begann damit seine Habseligkeiten zusammenzupacken, während er sich anzog.

    »Brauchen Sie den Whisky wirklich?«, fragte sie.

    Wortlos nahm Ian ihr die Flasche aus der Hand und schüttete sie ins Waschbecken. Erstaunt registrierte er, dass es ihm nicht einmal schwerfiel.

    »Gehen wir«, antwortete er.

    Jetzt lächelte Nancy: »Frohe Weihnachten, Ian!«

    »Frohe Weihnachten, Nancy.«

    Irish Wedding Wish

    Marylin Lonsdale

    Die Müdigkeit eines Langstreckenfluges inklusive Umsteigens in den Knochen, der ungewohnte Linksverkehr rund um Dublin und keine Ahnung, was er im Shop einer Whiskey-Destillerie kurz vor Ladenschluss kaufen sollte, lies Ryan Wilson den Kopf schwirren, als hätte er einen Hieb von einem gegnerischen Eishockeyspieler abbekommen. Unter seinen Füßen knarzte der dunkle Holzboden und es war ihm unangenehm, dass seine derben Boots kleine Pfützen hinterließen. Schnell wischte er mit dem Fuß darüber und hoffte, dass es niemand bemerkte. Der Laden war so übertrieben weihnachtlich geschmückt, dass er sich wie in einem Bostoner Einkaufszentrum fühlte. Lediglich die ohrenbetäubende Beschallung mit kitschiger Weihnachtsmusik fehlte.

    Ziellos griff Ryan nach einer Flasche mit bernsteinfarbenem Inhalt. Er überflog das Etikett und stellte sie wieder zurück. Ziemlich ratlos rieb er sich den Nacken. Was war besser: Einen möglichst teuren Whiskey oder lieber der Bestseller? Was würde Cathys Eltern imponieren? Ryan war überfordert mit der Auswahl eines passenden Geschenks für Professor Hurley und seiner Frau. Nicht das er noch nie Whiskey getrunken hätte. Nur eben nicht oft, und bei den wenigen Malen hatte er es am nächsten Tag bitter bereut, während er die Toilettenschüssel umarmt hatte. Schon bei dem Gedanken an die Nachwirkungen der gewonnenen Meisterschaft im letzten Jahr musste er schlucken. Es war widerlich gewesen und dazu noch schrecklich peinlich. Cathy hatte das ganze Badezimmer putzen müssen und ihn liebevoll mit Brühe und viel Wasser wieder aufgepäppelt, während er jammernd wie ein Baby auf der Couch gelegen hatte.

    Langsam ging Ryan an dem hohen Holzregal entlang und betrachtete die farbenfrohen Etiketten. Dabei erregte eine Flasche seine Aufmerksamkeit. Sanft strich er mit einem Finger über das Gefäß, dessen Inhalt die gleiche Farbe wie Cathys Haare hatte. Dieses sanfte Rotgold, das in der Sonne zu schimmern schien. Wenn ihre wilden Locken im Wind tanzten oder sich auf dem Kopfkissen neben ihm kringelten, gefiel es ihm noch besser. Leider hasste Catherine ihre Locken und benutzte oft ein Glätteisen oder steckte die Haare in einem strengen Knoten nach oben. Außerdem versteckte sie ihre Sommersprossen gerne unter einer Schicht Puder. Er liebte es, wie die kleinen Punkte auf ihrer Nase zu tanzen schienen und machte sich oft einen Spaß daraus sie zu zählen, was Cathy wahnsinnig machte.

    »Darf ich mal vorbei?«, erklang eine freundliche Stimme. Ryan, der in seinen Tagtraum abgedriftet war, fuhr zusammen, als ein Mann ihn ansprach und trat zur Seite. Er fühlte sich ertappt, weil er gerade an nicht jugendfreie Dinge gedacht hatte. Immerhin hatten sie sich seit drei Wochen nicht gesehen. Peinlich.

    Er hatte gestern das letzte Training geschwänzt, nur um von Boston nach Dublin zu seiner Freundin zu fliegen und sie damit zu überraschen, dass er mit ihr und ihrer Familie Weihnachten feiern und um mit ihrem Vater dieses eine lebensentscheidende Gespräch führen zu können. Eines über das er seit Wochen nachgrübelte. Zum Üben hatte er sich sogar im Anzug mit seinem eigenen Spiegelbild unterhalten.

    Was würde Professor Hurley wohl über ihn denken?

    »Ach sieh mal einer an, da stiefelt ein ungehobelter Eishockeyspieler aus einem verpennten kanadischen Nest in mein Haus. Der Typ hat keinen Uniabschluss und weiß vermutlich nicht einmal, wie man das Wort Defibrillator schreibt. Und dann ist er auch noch so dreist, mich um die Hand meiner Tochter zu bitten. Dr. Catherine Hurley, Assistenzärztin in der sportchirurgischen Abteilung am Harvad MGH am House of Gods! Was denkt der sich? Ist der einmal zu oft mit dem Kopf an die Bande geknallt?«

    Ryan schluckte. Wahrscheinlich sah er auch noch aus wie ein armer Irrer oder man hielt ihn für einen Ladendieb. Mit dem dunklen Parker, der roten Santa Mütze und seinem Rauschebart.

    »Einen schönen guten Tag. Kommen Sie zurecht oder schauen Sie sich nur um, Mr. Santa?«

    »Meinen Sie mich?«, fragte er verwirrt und sah auf die kleine Frau neben ihm herab.

    »Ja, sehen Sie hier sonst einen bärtigen Mann mit einer roten Mütze?«, bemerkte sie lächelnd und rückte ihre dicke Hornbrille zurecht. Gegenüber ihr kam er sich vor wie ein Riese.

    »Ach so, ja entschuldigen Sie«, verlegen zog er sich die Mütze vom Kopf und stopfte sie in seine Jackentasche. Er hatte sie eben am Flughafen gekauft, um Cathy, die ein absoluter Weihachsfreak war, damit zu überraschen. Nun sah er sicher total dämlich damit aus.

    »Wegen mir müssen Sie die nicht ausziehen. Die Mütze ist sehr hübsch. Wir sind hier nicht im Restaurant oder der Kirche, mein Junge. Es ist ja bald Weihnachten.« Sie zwinkerte, dann stemmte sie die Hände in die Hüften und räusperte sich. »Also, was darf es denn sein? Sind Sie Whiskey Trinker? Haben Sie schon eine Vorstellung?«

    Ryan rieb sich wieder den Nacken »Na ja, ich suche ein Geschenk für einen Arzt«, sagte er und hätte sich am liebsten mit der Hand vor die Stirn geschlagen. Er kam sich wie ein Elefant im Porzellanladen vor: völlig fehl am Platz.

    Die alte Dame lächelte und zog ihre grüne Strickjacke zurecht, an der ein Namensschild ihren Namen verriet: Margret. Ein grauer Haarzopf wand sich um ihren Kopf wie ein Heiligenschein.

    »Ich nehme an, es soll zum Genuss sein und kein Desinfektionsmittel?«, fragte sie verschwörerisch grinsend. »Ach, Ihre Mütze ist aus Ihrer Tasche gefallen!«

    Ryan fluchte leise, hob die Mütze vom Boden auf und knete sie zwischen seinen großen Händen. »Vielen Dank, Ma´am«.

    Sie lächelte und rückte sich erneut die Brille zurecht »Ah Kanadier. Was treibt Sie auf unsere schöne Insel?«.

    »Das haben Sie gesehen?«, fragte er und wich erstaunt einen halben Schritt zurück.

    »Nein, gehört! In meinen jungen Jahren war ich Flugbegleiterin. Ich war auf der ganzen Welt unterwegs. Und hatte auch den ein oder anderen netten Abend mit Männern aus Kanada. Tja, aber nun bin ich zu alt für diese Arbeit. Ich helfe meinen Freunden hier im Laden aus, wenn Not am Mann ist. Ich hab ja sonst nichts zu tun, seit mein Patrick nicht mehr ist«, erklärte sie und sah zu ihm auf. »Sie erinnern mich ein wenig an ihn.«

    »Wirklich?« Wieder kam er sich doof vor. Heute redete er nur Schwachsinn. Das lag sicher am Jetlag.

    »Was sind Sie denn so hibbelig? Müssen Sie zur Toilette oder noch weit fahren ?«, erkundigte sie sich.

    »Ich weiß gar nicht, wie weit ich noch fahren muss. Ich möchte meine Freundin und ihre Familie zu weihnachten überraschen. Ist Bantry in der Nähe?«, fragte er unsicher.

    »Bei dem Wetter noch ungefähr eine Stunde. Ich hoffe, dass Sie nicht so ein komisches Elektroauto haben wie der Sohn von James, dem der Laden hier gehört. Collin musste nämlich an der Haussteckdose laden. Das hat ewig gedauert und dann haben sie sich gestritten, wegen einer Wallbox. Was auch immer das sein soll.«

    Ryan musste lachen. In Boston hatte er wirklich einen Tesla. Dort war es allerdings nie ein Problem, zu laden. »Keine Sorge, ich habe mir einen Diesel SUV geliehen. Meine Freundin meinte, damit kommt man hier am besten klar, sie fährt auch einen.«

    »Schlaues Ding ihre Freundin. Die sollten sie sich warmhalten. Kennen Sie sich schon lange?«

    »Nicht so lange, wie ich es gern hätte. Wir sind jetzt etwas über zwei Jahre zusammen und ich musste echt lange auf sie einreden, damit sie mit mir ausgeht. Und dann musste ich mit ihr ins Museum und in einen riesigen Buchladen«, sprudelte es aus ihm heraus.

    Sie schnalzte mit der Zunge. »Oh, sie war nicht hingerissen von Ihnen? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Sie sind doch so ein stattlicher Kerl!«, stellte sie fest und ihre Wangen färbten sich rot.

    Ryan lachte und schüttelte den Kopf. Dabei klingelte das Glöckchen am Bommel seiner Mütze, die er wieder aufgesetzt hatte. »Im Gegenteil! Sie war stink sauer auf mich. Eigentlich hätte sie Feierabend gehabt und dann hat ihr Chef verlangt, dass sie mich versorgen soll. Sie hat mir eine fiese Narbe an der Augenbraue genäht. Dabei hat sie keinen Hehl draus gemacht, dass sie es fürchterlich fand, dass ich sie mir bei einer Schlägerei auf dem Eis zugezogenen habe. Sie hat die ganze Zeit vor sich hin gebrummt sowas wie »Rüpel« und »Höhlenmensch«. Dabei musste ich ihr die ganze Zeit in die Augen sehen. Als sie fertig war, musste ich sie einfach fragen, ob sie mit mir ausgehen will. Sie hat mir einen Vogel gezeigt und mir einen Eisbeutel empfohlen, für die Narbe und für meine Eier. Ich stand da wie der größte Depp aller Zeiten aber verdammt, ich hatte noch nie so wundervolle grüne Augen gesehen. Ihre Augen sind wirklich so grün wie das Gras hier, das ist unglaublich«, sprudelte es aus ihm heraus und sein Herz schlug einen Gang schneller.

    »Oh ja, hier in Irland gibt es das schönste Grün und die Frauen mit den schönsten Augen«, kicherte sie, dann nickte sie in Richtung des hinteren Verkaufsraumes. »Kommen Sie mal mit, ich glaube, wir sind hier falsch. Sie brauchen was Besonderes für den Vater dieser besonderen Frau.« Gespannt wie ein kleiner Junge folgte Ryan der Frau, die er mit seinen 1,93 um einiges überragte. Dabei musste er aufpassen nicht mit dem Kopf gegen einen Kronleuchter aus Whiskeyflaschen zu laufen.

    Dann folgte er ihr eine Treppe hinauf, die zu einer kleinen Empore führte. Hier standen noch mehr Regale mit Flaschen. In der Mitte des Raumes blieb sie schließlich vor einem riesigen, umgedrehten Fass stehen, auf dem drei Flaschen standen.

    Er beugte sich vor. Sie sahen sehr edel aus und der Inhalt jeder der aufwendig gestalteten

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