Geplant ins Chaos: Imaginäres Tagebuch einer realen Fahrradtour
Von Ernst Meder
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Über dieses E-Book
Je näher der nächste Termin kam, desto fieberhafter begann ich, wie jedes Jahr, die Suche nach einer Ausrede.
Da die Zeit nicht nur an meinem Fahrrad, sondern auch an mir nagte, war abzusehen, dass es von Jahr zu Jahr schwieriger werden würde, wenn ich es weiter vor mir herschieben sollte.
Als langsam die Ausreden zur Neige gingen, musste ich mich entscheiden, wollte ich den lang gehegten Wunsch umsetzen oder sollte ich so ehrlich sein und das Vorhaben endgültig einstellen.
Die Gewissheit, eine endgültige Entscheidung treffen zu müssen führte dazu, nach wie auch immer gearteten Lösungen zu suchen.
Ich wollte meinen Traum verwirklichen, würde die Fahrradtour nicht so einfach aufgeben.
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Buchvorschau
Geplant ins Chaos - Ernst Meder
1. Kapitel
Die Vorbereitung
Es war der erste Sommertag in diesem Jahr. Ein paar weiße Kumuluswolken zogen langsam über den Himmel und je länger man ihnen zusah, desto häufiger verwandelten sie sich in Tierfiguren, die sich träge bewegten. Die Sonne schien, als habe man ihr verschwiegen, dass der Monat April Teil des Frühlings ist und die Temperaturen eigentlich erst zum Sommer erwartet werden.
Als wären sie dem Aufruf eines Radiosenders gefolgt so erschienen wie von Zauberhand die Berliner in sommerlicher Kleidung auf den Straßen und nahmen – wie selbstverständlich – die Straßenkaffees in Besitz. Dabei war es unerheblich, wie alt sie waren oder zu welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlten, sie wirkten alle gelöster. Unbefangener, das Lächeln fröhlicher und die ursprünglich verkniffenen Züge befreiter, erschien es wie ein Wunder, das sich Jahr für Jahr wiederholte und trotzdem nie langweilig wurde.
Beobachtete man die vielen Spaziergänger und Passanten, dann fragte man sich unwillkürlich, wo waren sie in den vergangenen fünf bis sechs Monaten. Hatten sie sich in ihrer Wohnung eingeschlossen um das Ende der Tristesse abzuwarten, waren sie verreist oder hatten sie sich einfach nur verkleidet.
Die Wirkung die so ein paar Sonnenstrahlen nach langer Zeit der Dunkelheit hervorrufen, lässt sich nicht mit einfachen Worten beschreiben. Es ist das Leuchten in den Augen, die Sehnsucht nach der Sonne und die Hoffnung auf den baldigen Sommer. Dabei ist es unerheblich, wie alt man ist oder sich fühlt, mit der ersten Sonne schmelzen die eingefrorenen Gesichtszüge und der Umgang miteinander ist, als würde man mit einem Mal zurück versetzt in den Sommer wie man ihn bereits ein Jahr zuvor erlebte.
Jeder nutzte diesen unerwarteten Temperaturanstieg auf seine Weise, Fußwege und naheliegende Parks waren überfüllt wie seit langem nicht mehr und die Straßenkaffees platzen aus ihren Nähten. Junge Mütter schoben stolz erhobenen Hauptes und mit einem verklärten Lächeln im Gesicht ihren Transporter mit dem gerade geschlüpften Nachwuchs. Um von anderen Passanten wahrgenommen zu werden, blieben sie nach ein paar Metern stehen, beugten sich über den Wagen zupften an der Decke und vergewisserten sich, ob die Ursache des Lächelns noch vorhanden ist.
Keiner wollte an so einem Tag an die Unberechenbarkeit des Monats April denken, alle wollten diesen Tag nur genießen.
Ich hatte bereits einige Tage vorher meinen betagten Lastesel aus dem Winterschlaf geweckt, auch wenn dies von Jahr zu Jahr schwieriger wurde. Da meine handwerklichen Fähigkeiten begrenzt sind, dauerte es auch von Jahr zu Jahr immer länger ihn aus dem Winterschlaf zu wecken, um ihn fahrtauglich zu machen.
Trotzdem konnte ich nie vermeiden, dass meine anschließenden Fahrten mit diesem Fahrrad immer wieder einiges an Überraschungen zum Vorschein brachten. Ob es der Ausfall der Beleuchtungsanlage in der abendlichen Dämmerung war oder der Überraschungsmoment bei den Schaltvorgängen der nicht besonders präzisen Sachs Huret Schaltung, vor unerwarteten Ereignissen war man bei diesem Fahrrad nie gefeit.
In diesen Tagen meldete sich wieder ein Gedanke, der sich in meinem Unterbewusstsein eingegraben hatte und den ich längst in meinem weiteren gedanklichen Unrat vergraben glaubte. Eine Fahrt mit dem Fahrrad von Berlin bis an die Ostsee. Diese Eingebung aus grauer Vorzeit, es lag bestimmt zwei oder drei Jahre zurück, wagte sich in den Vordergrund, begann sich erneut in meinem Unterbewusstsein festzusetzen und zu verselbstständigen.
Ein Blick zu meinem Drahtesel machte mir die Vermessenheit dieses Gedankens bewusst, als ich mir das Unvorstellbare vorzustellen versuchte. Ein weiterer Gedanke erfolgte unmittelbar, wollte ich mir die zu erwartenden Strapazen wirklich zufügen oder war es der »jugendliche« Leichtsinn, der mich vor zwei Jahren dazu verführt hatte.
Nein, es war eine sehr gute Freundin, die spontan eine Radtour unternommen hatte, und später davon schwärmte. Ihre anfängliche Begeisterung konnte auch der häufige Regen nicht schmälern, sondern sie betrachtete es als besonderes Vergnügen, wenn dieser ausblieb.
Es war das Besondere an der Fahrt, sich ausschließlich mit sich selbst und der Natur auseinanderzusetzen und die alltäglichen Widrigkeiten auszublenden. Vielleicht war es eine besondere Form der Entschleunigung, denn der Alltagsstress schob sich immer mehr in den Hintergrund so ihre damalige Aussage. Die Vorstellung Urlaub in der Ruhe eines Klosters zu finden kam diesem Gefühl sehr nahe.
Sie klang begeistert, wenn sie davon erzählte, von den erfreulichen Begegnungen bei ungeplanten Übernachtungen die ihre Fahrt ohne Ziel mit sich brachte. Es war die Besonderheit, die Fahrt ohne ein bestimmtes Ziel begonnen zu haben und – vielleicht gerade deshalb – jedes der Ziele genossen zu haben, sich ohne Vorbehalt darauf eingelassen zu haben. Es muss an dieser Begeisterung gelegen haben, die in mir dieses Begehren ausgelöst hatte.
Nachdenklich betrachtete ich das vor mir stehende Zweirad, die Beulen, Kratzer und Rostflecken, für die größtenteils ich mit verantwortlich war, die erhebliche Zahl von Schäden die ich fast alle kannte. Dazu kam, dass sich der Zustand meiner Körperteile in einem ähnlich desolaten Zustand wie die Teile meines Fahrrades befanden.
Wir hatten sozusagen gemeinsam unsere beste Zeit hinter uns gelassen, Physis und Fahrradteile an ihre Grenzen geführt und warteten eher auf eine Abwrackprämie, als auf neue Höhenflüge. Ich wollte mir nichts vormachen, eher würde Moses wieder einen brennenden Dornbusch sehen, als dass ich mit diesem Vehikel bis an die Ostsee kommen würde.
Trotz der nicht besonders günstigen Voraussetzungen begann sich langsam ein Gedanke, ohne mein Zutun, in den Vordergrund zu schieben. Dabei wurden meine inneren Bedenken ignoriert, so als würde ein anderer den weiteren Fortgang bestimmen. Diese widerstreitenden Gefühle konnten nur eins bedeuten, ein bösartiges Subjekt hatte sich meiner Gedankengänge bemächtigt und ignorierte meine nicht unerheblichen Einwände.
Dieses Subjekt begann bereits mit den ersten Schritten einer fiktiven Planung, dessen Ziel sich noch im Nirgendwo befand. Obwohl ich versuchte dieser Planung Einhalt zu gebieten, schien dies niemand wirklich zu interessieren. Einwände wurden abgeschmettert Bedenken ignoriert oder man provozierte mich, indem man auf Vorschlägen beharrte, die ich für nicht durchführbar hielt.
Mein Hinweis auf meine langjährige Karriere als aktiver Nichtsportler ließ man abprallen, dann wäre es ja endlich Zeit mit sportlichen Aktivitäten zu beginnen. Lange genug hätte ich auf der faulen Haut gelegen. Mein Einwand, dass ich miese Laune verbreiten würde, wenn ich mit müden Beinen und einem grauenvollen Muskelkater zu Hause einträfe, schien kein Hindernis.
Spätestens, wenn ich den Anstieg der Endorphine bemerkte, würde ich mich ohne weiteren Antrieb auf das Fahrrad schwingen, um es zu wiederholen. Das wäre dann der Punkt, an dem ich den inneren Widerstand überwunden und die Veränderung genießen würde.
Sollte dieses eigenwillige Subjekt der sogenannte innere Schweinehund sein, vor dem man mich immer gewarnt hatte. Wenn es mir nicht gelang, diesen abzuwehren dann blieb mir keine Wahl. Ich musste diesen so schnell als möglich überwinden erst danach würde alles wie von selbst gehen. Es waren fast drei Tage - vor allem schlaflose Nächte - bis mein innerer Widerstand die weiße Fahne als Zeichen der Kapitulation schwenkte.
Eine der ersten Maßnahmen nach der Kapitulation bestand darin, das Internet nach Erfahrungsberichten zu durchsuchen. Wenn ich mich schon auf ein solches Abenteuer einließ, so wollte ich wenigstens vor den schlimmsten Überraschungen gefeit sein. Ich wollte mich nicht sehenden Auges auf ein Experiment einlassen, dessen Ende nicht vorhersehbar war.
Da waren Berichte über Touren, deren Wahrheitsgehalt ich bereits nach Lesen der ersten Zeile in Frage stellte. Manche Blogeinträge wurden wahrscheinlich mit dem Schweiß der Tour geschrieben, denn nach wenigen Worten war die Transpiration der Blogger zu sehen ja sogar zu fühlen. Wer genau hinsah, der konnte sich einem Kribbeln in der Nase nicht entziehen denn bereits beim Lesen stieg einem der Geruch der verschwitzten Kleidung in die Nase.
Als Krönung des Ganzen wurden die Verhältnisse der Radwege diskutiert, die von Asphalt über grobes Pflaster zu Betonplatten und Waldwegen mit sandigem Untergrund führten. An vereinzelten Stellen wurde man darauf hingewiesen, dass das Fahrrad getragen werden muss. Die Auseinandersetzung über die Steilheit der Anstiege in Brandenburg ließ vermuten, dass sich die Teilnehmer der Tour in den Alpen oder Pyrenäen befinden.
Damit wurde mir bereits beim Lesen bewusst, dass mehrere Annahmen von mir sich nach und nach in Luft auflösten. Weder hatte ich es mit mehr oder weniger plattem Land noch mit einem zweckmäßig ausgebauten Radwegfernwegesystem zu tun. Bei den weiteren Recherchen stellte ich sehr bald fest, dass die unterschiedlichsten Typen von Radfahrern die nach ihrer Ansicht allein seligmachende d. h. die von ihnen vertretene Sicht die einzig Richtige über die Nutzung des Fahrrades sei.
Ähnlich dem Typus Autofahrer, der sinnvollerweise in der Stadt einen kleinen PKW nutzt und der sich mit den unterschiedlichsten Größen von Fahrzeugen wie der Golf-Klasse bis zu einem panzerähnlichen Gefährt wie einem SUV auseinandersetzen muss. Zusätzlich waren erschwerend schnelle Sportwagen der unterschiedlichsten Marken unterwegs, die meist von Fahrern, die nach dem Motto »je älter der Fahrer desto schneller das Fahrzeug« gelenkt wurden.
Auch bei Radfahrern konnte man diese unterschiedlichsten Typen an ihrem Verhalten bzw. an ihrer Fahrweise festmachen. Da gibt es die »Schnellfahrer«, die während der Woche tief über Rennradlenker gebeugt, den Rucksack mit Bürokleidung vollgestopft ins Büro fahren. Am Wochenende werden dann die professionellen enganliegenden Trikots und die kurzen Radhosen dem Vorratsschrank entnommen, um sich mit Gleichgesinnten auf bekannten Fahrradstrecken zu privaten Radrennen zu verabreden.
Eine Untergruppe davon sind die nur an Wochenenden auf Landstraßen anzutreffenden Rennfahrer, die auf ihren Liegelenkern unterwegs sind und man sofort den Eindruck gewinnt, dass diese Fahrer, die symbiotisch mit ihren Zweirädern verschmelzen, sich bereits vor Längerem von ihrem Bett oder ihrer Liegestatt getrennt haben, um ausschließlich ihrer Leidenschaft zu frönen.
Nicht zu vergessen die Liege-Radfahrer, die nicht mitbekommen haben, dass die Entwicklung ihrer Fortbewegung mit der Kindheit nicht beendet ist. Wahrscheinlich gewaltsam von übereifrigen Vätern noch als Kleinkinder von ihren Bobby-Cars gerissen, um endlich das Fahrradfahren zu lernen. Dies führte offensichtlich dazu, dass es zu einer frühkindlichen emotionalen Störung mit Trennungsangst kam, und die nun im Erwachsenenalter durch diesen Bobby-Car-Ersatz kompensiert wird.
Eine weitere Kategorie in der Summe der Radsportler sind Mountainbiker oder solche, die sich dafür halten. Kein noch so kleiner Hügel oder Freitreppe wird ungenutzt gelassen, auch wenn dafür ein nicht vertretbarer Umweg hingenommen werden muss.
Dies zeigte man großspurig anderen Radfahrern, indem man Abkürzungen wählt, die diesen verschlossen sind, auch wenn dafür die eigentlich für die Stadt unbequemen grobstolligen Reifen in Kauf genommen werden müssen. Nur die wenigsten Biker sind tatsächlich darauf angewiesen diese Abkürzungen über Stock und Stein aus Zeitgründen zu wählen, außer man akzeptiert als Ausnahme Radkuriere, die in der Regel ebenfalls mit MTB’s unterwegs sind.
Eine Sonderform der Mountainbiker sind die sogenannten Kamikaze-Biker, die man an ihrer starren Haltung an dem extrem fokussierten Blick erkennt. Straßenverkehrsordnung oder Ampelanlagen sind aus deren Wortschatz gestrichen, es geht sogar