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Stadt ohne Licht: Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
Stadt ohne Licht: Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
Stadt ohne Licht: Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
eBook522 Seiten7 Stunden

Stadt ohne Licht: Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

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Über dieses E-Book

Als sie erfährt dass ihr Leben auf einer Lüge beruht bedauert sie nicht auf das gehört zu haben, was ihre Mutter ihr zu sagen hatte. Allerdings beeinflusst dieses Wissen ihre künftige Entscheidung in einem Maße, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Und sie ahnt nichts von der Gruppe der alten Männer, die seit Jahren ein Ziel verfolgt, welches bereits ihre Väter verfolgten.
Es ist eine Gruppe von Unbelehrbaren, deren Ziel es ist, ihre völkischen Gedanken und Ziele zu verbreiten. Hass, Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments gegen Andersdenkende sollen dazu beitragen etwas Neues zu erschaffen, etwas was vor mehr als sechzig Jahren durch die Feinde ihres Landes zerstört worden war.
Das Zusammentreffen der Entscheidungen unterschiedlicher Gruppen führt dazu, dass neben glücklichen Momenten auch überbordender Rassismus und Hass zum Tod vieler Unschuldiger führen. Während ein Teil der Menschen trauert, glaubt sich ein anderer Teil auf dem richtigen Weg zum Ziel.
In unserer Gesellschaft werden von sogenannten "Rattenfängern" immer wieder Ängste geschürt die weder bestimmbar noch nachvollziehbar sind.
Es ist genau die Problematik, die in "Stadt ohne Licht" beleuchtet wird. Es ist die Geschichte von Unbelehrbaren, von Menschen, die nicht bereit sind, Lehren aus unserer Vergangenheit zu ziehen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum31. Jan. 2015
ISBN9783737526371
Stadt ohne Licht: Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

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    Buchvorschau

    Stadt ohne Licht - Ernst Meder

    1. Kapitel

    Seit Stunden stand er vor dem Gebäude, betrachtete jede Person, die das Haus verließ oder es betrat. Die Gesichter, die er sah, kamen ihm nur teilweise bekannt vor, eine Vielzahl der Mieter, kannte er von gelegentlichen Treffen zu unterschiedlichen Gelegenheiten. Er wartete auf eine bestimmte Person, von der er mit Sicherheit wusste, dass diese noch immer in dem Gebäude wohnte. Woher er die Gewissheit nahm, diese Person war der Eigentümer dieses Gebäudes. Auch wenn diese Person, wie er vor kurzem erfahren hatte, auf ziemlich dubiose Weise in dessen Besitz gelangt war.

    Lange hatte er überlegt, ob er es wagen sollte, aber er wollte von ihm erfragen, weshalb er mehr als vier Monate unschuldig im Gefängnis hatte zubringen müssen. Weshalb dieser alte Mann etwas so falsch dargestellt hatte, dass er die letzten einhunderteinundvierzig Tage in einem Untersuchungsgefängnis zubringen musste. Warum hatte er bei seiner Aussage nichts von dem Überfall auf Elisabeth Schlüter erzählt, der alten Dame, die in der Wohnung neben ihm wohnte. Dass sie zugleich seine Vermieterin war, erwies sich im Nachhinein als Segen, da er während seines Gefängnisaufenthaltes keine Miete zahlen konnte. Auf all diese Fragen, so hoffte er, würde er heute eine Antwort erhalten.

    Mit einem freudlosen Lächeln dachte er an die Zeit zurück, als er Elisabeth Schlüter zum ersten Mal traf, als er sie kennenlernte. Es war im Sommer des vorigen Jahres als er, auf der Suche nach einer Wohnung auf das Inserat in der Wochenendausgabe einer Berliner Zeitung stieß. Kleine Wohnung wartet auf Studierenden, der zugleich ein angenehmer Nachbar ist, so der Inhalt dieses Inserates.

    Anrufen kann nicht schaden, dachte er noch, als er sich die Wohnungssituation für Studenten vor Augen führte. Die Bestätigung seiner Immatrikulation an der Technischen Universität lag inzwischen vor, nun war er auf der Suche nach einer günstigen Unterkunft. Inzwischen war er einer Panik nahe, da alle bisherigen Versuche, wenigstens eine Bleibe für das Wintersemester zu finden, im Sande verlaufen waren. Seine Hoffnung war, wenn er vorläufig ein Zimmer in einer WG fände, könnte er während des laufenden Studiensemesters in Ruhe eine Wohnung suchen.

    Sie musste das Vibrieren in seiner Stimme vernommen haben, welches die Angst erzeugt, denn sie lud ihn noch am gleichen Tag zu einer Besichtigung der Wohnung ein. Natürlich wollte sie ihn bei dieser Gelegenheit einer Prüfung unterziehen, ob er würdig war, ihr neuer Nachbar zu sein.

    Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, so aufgeregt stand er vor dem klassizistischen Gebäude, in dem er sich in der zweiten Etage melden sollte.

    Er war natürlich viel zu früh angekommen, sodass er durch die Gegend geschlendert war. Er wollte die Umgebung sehen, wollte fühlen, wie es sich anfühlte, wenn er in dieser Umgebung wohnen würde. Vor einem Mahnmal blieb er stehen, blickte auf den Eisenbahnwaggon, der auf einer freien Fläche stand. Interessiert war er zur Rückseite des Waggons gegangen, wo er auf eine Rampe blickte, auf der sich eine Marmorskulptur befand. Erst nach längerem Hinsehen erkannte er, was diese Skulptur darstellen sollte. Es waren zusammengeschnürte Menschen, die über die Rampe in den Waggon getrieben wurden. Sofort erschien dieses Bild vor seinem inneren Auge, ein Bild, wie er es in einer Fernsehsendung oder einem Film gesehen hatte, er konnte sich nicht mehr genau erinnern. Menschen, die von Menschen in Uniform gewaltsam und unter Schlägen in einen Waggon getrieben wurden. Bei den Fällen, wo man auf Gewalt verzichtete, unterlagen die Menschen jüdischen Glaubens der falschen Annahme, die Deportationen erfolgten nur in Sammellager, wo sie Zwangsarbeit verrichten sollten.

    Vorsichtig betrat er die Rampe, er wollte auch sehen, was sich im Inneren verbarg. Er musste sich bücken, um nach innen zu gelangen, wo ihn steinerne Figuren empfingen. Es wirkte beklemmend, so zwischen den steinernen Figuren zu stehen und das Licht durch die offenen Stirnseiten zu sehen.

    Es war ein bedrückendes Gefühl, trotzdem schloss er die Augen, dabei versuchte sich vorzustellen, was die Menschen damals empfunden haben mochten. Zusammengepfercht hatte man Männer, Frauen und Kinder tagelang in diesen verschlossenen Waggons transportiert, ohne dass diese die Umgebung sehen konnten.

    Zuerst ganz leise dann langsam lauter werdend drang ein Gemurmel an sein Ohr. Er hörte das Flüstern von Stimmen, dazwischen das Weinen kleiner Kinder, sie alle litten unter der drückenden Hitze oder schneidenden Kälte. Aus einer anderen Ecke des Waggons das Gebet von mehreren Personen, die um ein gerade verstorbenes Familienmitglied trauerten. Plötzlich glaubte er sich gefangen in einer anderen, einer fremden Realität, die sich in seinem Unterbewusstsein festsetzte. Ein stechender Geruch, der sich in dem Waggon breitmachte, erinnerte ihn daran, dass diese Menschen gezwungen waren ihre Notdurft in Eimern zu verrichten.

    Mühsam versuchte er sich von diesen Bildern aus der Vergangenheit zu befreien, riss gewaltsam seine Augen auf. Alles war unverändert, ungläubig rieb es sich über das Gesicht, dann bemerkte er die Feuchtigkeit in seinem Gesicht, die Tränen verursachen.

    Er fühlte, wie sich Kälte in ihm ausbreitete, obwohl die Sonne schien und die Temperatur an diesem Tag achtundzwanzig Grad betrug. Auf dem Weg nach draußen sah er die im Boden eingelassenen Metallplatten die, wie er später herausfand, die nicht mehr existierenden Synagogen abbildeten. Noch von dem Eindruck gefangen starrte er auf eine hohe Eisenplatte, in die die einzelnen Transporte in die Konzentrationslager eingestanzt waren. Erst zu einem späteren Zeitpunkt erfuhr er weitere Einzelheiten, die das Düstere des Denkmals erklären sollte.

    Noch immer beeindruckt von der Dimension der Verbrechen an die er bei der Besichtigung des Mahnmals erinnert wurde stand er nun vor dem Hauseingang. Vorsichtig drückte er auf den Klingelknopf, als ob er davor zurückscheute, jetzt zu stören. Das unmittelbare Summen des Türöffners ließ vermuten, dass Frau Schlüter ihn schon erwartete. Ohne den Aufzug zu beachten, trat er in das Treppenhaus, um zur zweiten Etage zu gehen. Er hoffte bis dahin, dieses Gefühl der Beklommenheit wieder besser kontrollieren zu können, er wollte seine Gefühle nicht so offen zur Schau stellen.

    An der Eingangstür erwartete ihn eine Frau, die ihn an eine jüngere Version von Loki Schmidt erinnerte, im Gegensatz zu der Frau des ehemaligen Bundeskanzlers waren ihre kurzen Haare in einem melierten Grau. Ihre Augen blickten neugierig, wie er nervös die letzten Stufen bewältigte, dabei wurde ein Lächeln sichtbar, welches bis zu ihren Augen reichte.

    ›Sie sind Jo Berger‹, fragte sie mit einer tiefen Stimme, die ihn überraschte.

    ›Frau Schlüter, ich freue mich, dass Sie mich eingeladen haben. Eigentlich heiße ich Johann, aber meine Freunde nennen mich Jo. Jetzt hoffe ich, dass Sie nicht zu viele Einwände an mir finden‹. Sein verlegenes Lächeln, noch geprägt von dem vorherigen Eindruck, wirkte etwas bedrückt.

    »Jetzt kommen Sie erst mal herein, wir werden uns schon vertragen«, damit trat sie zur Seite um ihn vorbei zu lassen, dann schloss sie bedächtig die Tür. »Setzen Sie sich ruhig auf das Sofa, ich habe uns Kaffee zubereitet«. »Sie haben doch nichts dagegen, dass ich mit ihrem altmodischen Vornamen vorlieb nehme, und werten dies nicht als Ablehnung ihrer Person.«

    Als er ihren fragenden Blick mit einem Nicken bestätigte, nahm sie eine Tasse vom Tisch und goss mit ruhiger Hand den Kaffee in die Tasse. »Zucker und Milch nehmen Sie sich bitte selbst«.

    »Sie waren bei dem Mahnmal«, die Frage kam so unerwartet, dass er Milch auf den Tisch verschüttete, so erschrocken hatte ihn die Frage. »Ich habe es bereits gesehen, als Sie die Treppe hochgekommen sind«, die Erklärung erfolgte eher beiläufig, es war in Ihrem Gesicht ablesbar. »Wenn man sich ein bisschen mit der deutschen Vergangenheit befasst und nicht alles verdrängt, dann springen einen diese Schreckenstaten regelrecht an. Vor allem wenn man die Enge im Inneren fühlt, vergisst man dieses Gefühl nie wieder«.

    Johann Berger blickte zu dieser schlanken Frau, die ihn mit intelligentem Blick innerhalb weniger Minuten seziert hatte. »Ist es Ihnen auch so ergangen«, die Frage kam krächzend, obwohl er versuchte seinen Hals freizubekommen.

    »Oh ja, dazu kommt, dass ich die Synagoge noch kannte, die früher da gestanden hat. Wissen Sie, dass es eine der größten Synagogen in Berlin war, die fast zweitausend Personen aufnehmen konnte. Die große Eisenplatte, in die man die Transporte zu den Konzentrationslagern gestanzt hat, die ist etwa so hoch, wie die Synagoge damals war«.

    Wie um eine böse Erinnerung abzuschütteln, nahm sie mit ruckartiger Bewegung eine Tasse um sich selbst Kaffee einzugießen. »Auch in meiner Vergangenheit kam es zu diversen Berührungen, aber dazu vielleicht später mehr. Jetzt wollen wir uns erst mal kennenlernen, dazu erzähle ich ihnen in Kurzform meine Vita, danach reden wir über Sie«.

    »Also meinen Namen kennen Sie bereits, ich heiße Elisabeth Schlüter und bin bereits neunundsechzig Jahre alt. Ich habe immer als Musiklehrerin gearbeitet, war allerdings nie in einer Schule angestellt. Wenn ich an einer Schule gearbeitet habe, dann erfolgte dies stets auf Honorarbasis, ich wurde für Stunden bezahlt. Aus persönlichen Gründen habe ich Berlin nach dem Tod meiner Mutter in den sechziger Jahren verlassen und habe in der Folgezeit in Kiel gelebt«.

    »Nach dem Tod meines Mannes in den achtziger Jahren habe ich mich entschlossen, wieder in meine Geburtsstadt zurückzukehren. Natürlich wollte ich in die Gegend, die ich seit meiner frühesten Kindheit kannte, als habe ich mich hier nach Wohnungen umgesehen. Damals war es gerade groß in Mode Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Kurz entschlossen habe ich unsere Ersparnisse genommen, um die beiden Wohnungen zu kaufen«.

    »Damals dachte ich, wenn ich alle meine Einkünfte zusammennehme, dann kann ich mir ein ruhiges Leben machen. Als es mir zu langweilig wurde, habe ich wieder begonnen Kindern Geigenunterricht zu erteilen. Jetzt habe ich nur noch zwei Schülerinnen und leiste mir den Luxus junge Menschen in meiner Nähe zu haben. Nun haben Sie meine Gründe erfahren, weshalb ich an Studenten vermiete, obwohl doch absehbar ist, dass die spätestens nach dem Ende des Studiums wieder ausziehen«.

    Lächelnd fügte sie hinzu, »aber das ist auch nicht so schlecht, wenn man berücksichtigt, dass ich immer wieder neue interessante Menschen kennenlerne. So, nun aber zu Ihnen, wie kommt es, dass Sie in Berlin studieren, nach dem Dialekt hätte ich Sie eher in südlichen Gefilden erwartet«.

    Mit einem Lächeln hatte er ruhig begonnen zu erzählen, hier befand er sich wieder auf bekanntem Terrain. »Die ersten beiden Semester habe ich in München studiert, ich dachte, es ist eine gute Idee, da ich aus einem kleinen Ort in der Nähe komme. Mein Vater und seine Frau betreiben dort ein kleines Elektrogeschäft mit dem sie sich mühsam über Wasser halten können. Ihre Hoffnung war, dass ich Elektrotechnik studiere, um später den Familienbetrieb zu übernehmen«.

    »Ihre Mutter lebt nicht mehr«?

    Die Frage überraschte ihn, er hatte nichts von dem Tod seiner Mutter erwähnt, die vor sechs Jahren an fortgeschrittenem Brustkrebs gestorben war. Sie hatte sich lange Zeit geweigert einen Arzt aufzusuchen, da sie genau das befürchtete, was später geschah. Trotz der Amputation ihrer Brüste war es bereits zu spät, da sie den Arzt zu spät aufgesucht hatte. Ich hatte Angst, mich nicht mehr als Frau zu fühlen hatte sie ihm kurz vor ihrem Tod gesagt. Im Nachhinein tut es mir leid, ich habe zu wenig an Dich gedacht.

    »Sie ist vor sechs Jahren an Krebs gestorben, mein Vater hat vor vier Jahren seine jetzige Frau geheiratet«.

    Er stockte kurz, dann fuhr er die ursprüngliche Erzählung fort. »Meine Leidenschaft waren jedoch Motoren, deshalb habe ich mich im Bereich Maschinenbau eingeschrieben, um später meiner Leidenschaft frönen zu können. Im zweiten Semester hat mein Vater mitbekommen, dass ich eigene Pläne für meine Zukunft verfolgte, dass ich sein Geschäft nicht wollte«.

    »Er hat Ihnen den Unterhalt gestrichen«. Erneut überraschte sie ihn, da die eigentliche Frage bereits wie eine Feststellung klang.

    »Ja, er hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass er nicht gewillt sei, meine, wie er es nannte, Extravaganzen zu finanzieren. Wenn ich unbedingt Maschinenbau studieren wolle, dann soll ich gefälligst das Erbe meiner Mutter dafür verwenden. Meine Mutter ist auf einem großen Bauernhof aufgewachsen, als sie meinen Vater heiratete, hat sie sich auszahlen lassen. Die eine Hälfte ihres Erbes hatte sie meinem Vater für das Geschäft gegeben, die andere Hälfte hatte sie so angelegt, dass mein Vater keinen Zugriff darauf hatte«.

    »Als es geschäftlich weniger gut lief, hat er versucht sie zu überreden auch den Teil in das Geschäft zu stecken. Er hat es ihr, aber auch mir übel genommen, dass sie es immer abgelehnt hat. Als meine Mutter starb, wurde das Geld bis zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag von einem Treuhänder verwaltet. Als Treuhänder hatte sie ihren Bruder eingesetzt, der meinen Vater nicht ausstehen konnte. Bei dem hatte er noch weniger Glück, wenn er nach dem Geld fragte«.

    »Nun bot sich ihm die Gelegenheit, es mir zu zeigen. Du hast genug Geld für ein Studium, du musst uns nicht auch noch auf der Tasche liegen. Ich habe dann meine Klamotten zusammengepackt und bin bis zum Ende des Semesters bei einem Freund untergekommen. Zugleich habe ich mich hier in Berlin um einen Studienplatz beworben. Dass es so schwierig wird, eine Wohnung zu finden, habe ich mir allerdings auch nicht vorgestellt«.

    »Sie gefallen mir junger Mann, ich glaube, wir beide werden uns vertragen«. Diese Zusage kam so unvermittelt, dass ihm der Atem stockte, dann zog eine leichte Röte über sein Gesicht.

    »Danke, wir werden uns bestimmt vertragen« stieß er mit einer Begeisterung heraus, die sie schmunzeln ließ.

    »Nun kommen Sie erst mal mit, wir müssen die Wohnung noch besichtigen, vielleicht gefällt sie Ihnen nicht«.

    Die Wohnung entsprach ziemlich genau seinen Anforderungen, auch wenn der Grundriss der Wohnung etwas ungewöhnlich war. »Das liegt daran«, hatte sie ihm erklärt, »dass in der Nachkriegszeit die Wohnungsnot in Berlin so groß war, dass aus ursprünglich zwei hochherrschaftlichen Wohnungen je Etage, drei Wohnungen geschaffen wurden«. »Um die schlimmste Wohnungsnot zu lindern, hatte man von den ursprünglich zwei Wohnungen jeweils Zimmer weggenommen, um damit eine dritte Wohnung zu schaffen«.

    Als er auf den Balkon trat, verstand er die Bedenken seiner künftigen Vermieterin, aus dem eigentlich sehr großen Balkon hatte man einen kleinen Teil für die Wohnung abgetrennt.

    »Jetzt verstehen Sie, weshalb ich so großen Wert auf eine angenehme Nachbarschaft lege. Ich möchte mich nicht ärgern müssen, wenn ich meinen Balkon benutze und den mit jemandem teilen muss, mit dem ich im Streit liege«.

    Sie hatten sich sehr schnell über die Modalitäten geeinigt, sodass er bereits drei Tage später mit seinem Einzug begonnen hatte. Von den befürchteten Unterrichtsstunden für die Geigenschülerinnen nahm er nichts wahr, also spielten diese so leise, dass er nichts hörte. Wann immer er mit seiner Vermieterin zusammentraf, erwies sich ihr Zusammentreffen als angenehm. Er freute sich, wenn er dieser preußisch anmutenden Frau bei kleinen Handreichungen oder Besorgungen helfen konnte.

    Dass die Schulferien zu Ende waren, wurde er schmerzlich gewahr, als er eines Nachmittags hörte, wie jemand auf unnachahmliche Art eine Geige quälte. Auch für seine musikalisch ungeübten Ohren war sofort erkennbar, dass hier kein neues Wunderkind die Umgebung verzückte.

    Als Entschädigung hatte Elisabeth, mit der er sich inzwischen darauf geeinigt hatte, auf die förmliche Anrede zu verzichten, ihn zum Kaffee eingeladen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hatte sie ihm von der ehrgeizigen Mutter erzählt, die ihrem unmusikalischen Kind zusetzte, um aus diesem einen Star der klassischen Musik zu machen. Sie habe bereits erste Anzeichen zu einer neuen Anne Sophie Mutter erkannt, deshalb wolle sie ihrem Kind die Gelegenheit geben sich dahin zu entwickeln.

    »Das Einzige was sie erreicht, ihr Kind wird irgendwann beginnen, die Musik zu hassen. Aber versuchen sie dass einer über die Maßen ehrgeizigen Mutter zu erklären. Mein erster Versuch, ihr zu erklären, dass ihr Kind vielleicht doch nicht so begabt ist, hat sie mit der Bemerkung beiseite gewischt. Wenn Sie nicht in der Lage sind, die Fähigkeiten meines Kindes zu erkennen, sollte ich mich nach einer qualifizierteren Musiklehrerin umsehen«.

    »Wie ist Deine zweite Schülerin«, innerlich bereitete er sich bereits darauf vor, die Zeiten festzulegen, wann er nicht in der Wohnung sein würde.

    »Sie ist das Gegenteil der Schülerin von heute. Sie hat das Talent und die musikalische Begabung einmal als Geigerin ihr Publikum zu verzaubern. Aber wie es so ist im Leben, die eine Mutter hat ein untalentiertes Kind, dafür hat sie das Geld für den Musikunterricht. Die andere Mutter würde ihr Kind lieber Heute als morgen aus dem Unterricht nehmen, da sie sich den nicht leisten kann«.

    Verschmitzt fügte sie hinzu, »also habe ich einen Kompromiss für mich geschlossen«. »Eigentlich wollte ich in meinem Alter nur noch ein Kind unterrichten, jetzt unterrichte ich das eine Kind und muss für das zweite Kind nur noch die Hälfte meines Honorars in Rechnung stellen. Das ist meine Form der Unterstützung von Musik, ich lasse eine Stunde meine Ohren malträtieren, um sie danach zu erfreuen«. Jetzt lächelte sie in sich hinein, so als ob sie an die zweite Schülerin dachte.

    Wie aus einem Traum erwachend sprach sie aus, was aus ihrem Gesicht bereits ablesbar war. »Vergiss was Du gerade gehört hast, sie spielt bezaubernd, obwohl sie erst neun Jahre alt ist«.

    Elisabeth hatte nicht übertrieben, die Gefühle die dieses neunjährige Mädchen mit ihrer Geige auszudrücken vermochte, klangen auch für seine ungeübten Ohren außergewöhnlich. Zuerst zögernd, dann jedoch von dem Mädchen überrascht, hatte er sich auf den Balkon gesetzt, um besser zuhören zu können. In seinem Elternhaus war klassische Musik eher eine Seltenheit, der einzige Mensch, der je klassische Musik hörte, war seine Mutter. Zum ersten Mal konnte er den entrückten Gesichtsausdruck seiner Mutter nachvollziehen, als er jetzt hörte, wie jemand mit einem Streichinstrument Trauer, Freude aber auch die Leichtigkeit des Seins ausdrückte. Alles, was Elisabeth über dieses Mädchen gesagt hatte, traf zu, es war, er dachte an die Aussage von Elisabeth, eine Freude für die Ohren.

    Sie kam auf den Balkon, setzte sich auf den Stuhl und schwieg mit ihm. Obwohl sie dieses Kind jede Woche hörte, konnte sie nachvollziehen, wie er sich gerade fühlte. Nach einer Weile stand sie auf, um kurz darauf mit Kaffee und zwei Tassen zurückzukehren.

    Inzwischen hatte er seine Sprache wiedergefunden. »Es ist bedauerlich, wenn ein Kind mit solchen Fähigkeiten nur dann eine Chance hat, wenn das Elternhaus genug Geld hat, den Unterricht zu bezahlen«.

    »Die Mutter ist alleinerziehend, sie war damals noch verheiratet, als ihre Tochter geboren wurde. Der Vater, sie zuckte mit den Schultern, ich weiß nicht, ob sie selbst so genau weiß, wo der sich gerade aufhält«.

    Zwei Wochen später eröffnete Elisabeth ihm, dass sie zu der jährlich stattfindenden Geburtstagsfeier ihrer Freundin Hertha Sommer nach Kiel fahren würde. Sie bat ihn, während ihrer Abwesenheit, auf die Wohnung zu achten und ihre Pflanzen zu betreuen. Auch wenn diese jährlich einmal ausgetauscht werden mussten, da sie im Laufe ihres Lebens ihren grünen Daumen verloren haben musste. Wenn ich denn je einen gehabt habe, fügte sie lapidar hinzu, trotzdem bestand sie auf der Pflege ihres Restbestandes. Vielleicht würde es dieses Jahr gelingen, eine Pflanze länger zwölf Monate zu haben. Sie hatte dieses auf die Wohnung achten, so nachdrücklich betont, dass er eigentlich stutzig hätte werden müssen. Aber das sollte er erst zu einem späteren Zeitpunkt feststellen.

    Zwischenzeitlich hatte er einen Aushilfsjob in dem nahegelegenen Discounter gefunden, den er auch während des Semesters würde ausüben können. Jetzt im September war dies die letzte Möglichkeit etwas Geld für die nächsten sechs Monate anzusparen, da er nicht ausschließlich von seinem Erbe leben wollte. Erstens reichte es nicht bis zum Ende des Studiums, außerdem gab es bestimmt Perioden während seines Studiums, die er intensiver an der Universität würde zubringen müssen. Er freute sich trotzdem auf den Beginn der Vorlesungen, die Anfang Oktober beginnen sollten, damit er sich endlich wieder seinem Hobby widmen konnte, seinen geliebten Motoren.

    Am Mittwoch begleitete er Elisabeth zum Bahnhof, von wo aus sie ihre Reise nach Kiel antreten wollte. Da sie ihre Freundin Hertha sowie die noch lebenden Kolleginnen aus ihrer Kieler Zeit sich seit einem Jahr nicht gesehen hatten, verlängerten sie diese Feierlichkeiten immer um ein paar Tage. Erst am Mittwoch der kommenden Woche wollte sie wieder zurückkommen.

    »Wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen sollte, wirst Du nicht den Helden spielen, versprich mir das«.

    »Wieso, was soll schon geschehen, das einzig Unvorhergesehene kann nur sein, dass ich eine Deiner Pflanzen ertränke«, ergänzte er lächelnd, als er ihren ernsten Blick sah.

    »Bitte Johann, verspreche es mir, es ist mir wichtig. Wenn etwas geschieht, was nicht normal erscheint, dann wartest Du erst einmal ab«.

    »Meinetwegen, wenn es so wichtig ist, ich verspreche es«, dabei drückte er leicht Ihre Oberarme. »Oder verschweigst Du mir etwas«?

    »Nein aber«, sie zögerte, dann fuhr sie fort, »ich habe neben meinem Telefon die Adresse von Hertha notiert, wenn etwas sein sollte, dann kannst Du mich da erreichen. Ich werde die nächsten Tage auch bei ihr übernachten«.

    Dann gab sie ihm völlig überraschend einen leichten Kuss auf die Wange, streichelte kurz mit dem Rücken ihrer Finger darüber und wandte sich zu dem Waggon, in dem ihr Platz reserviert war.

    »Bis nächsten Mittwoch, denk an meine Blumen«, dann winkte sie ihm kurz zu und ging energisch zu ihrem Platz.

    Nachdenklich verzog er sein Gesicht, was hatte sie ihm damit sagen wollen, dass er vorsichtig sein sollte. Gab es etwas, was Elisabeth ihm verschwiegen hatte, was unmittelbar mit seiner Anwesenheit in ihrer Wohnung zusammenhing. Er zuckte mit den Schultern, was für verrückte Ideen setzten sich in seinem Kopf fest, wahrscheinlich war ihre Angst in einem Erlebnis begründet, welches in ihrer Vergangenheit zu suchen war.

    Um nicht jedes Mal über das Treppenhaus in die Wohnung von Elisabeth gehen zu müssen, wenn er ihre Pflanzen versorgte, hatte er in ihrer Wohnung die Balkontüre nur angelehnt. Der Spätsommer brachte keine sonderlichen Überraschungen, alle befürchteten Wetterkapriolen blieben aus. Die Temperatur betrug nachts immer noch fast zwanzig Grad, so dass er auch seine Balkontür geöffnet ließ.

    Mit halb geschlossenen Augen versuchte er mit einem Blick auf die Uhr festzustellen, wie spät es war. Irgendetwas musste ihn geweckt haben, dass er zu so einer ungewöhnlichen Zeit wach wurde. Müde rieb er seine Augen, versuchte herauszufinden, wie spät es tatsächlich war. Es ist erst fünf Uhr, stellte er erstaunt fest, als ein Geräusch aus der Nachbarwohnung ihn aufmerksam werden ließ. Er lauschte, was für ein Geräusch war das, in Gedanken versuchte er nachzuvollziehen, was dieses Geräusch verursacht haben möge. Sollte Elisabeth etwa schon zurückgekommen sein und wie sollte es zu so früher Stunde möglich sein. War etwas in Kiel dazwischen gekommen, sie wollte doch bis Donnerstag bei ihrer Freundin bleiben. Gab es Probleme mit ihrer Freundin oder weshalb war sie bereits zwei Tage später wieder abgereist.

    Je wacher er wurde desto unwahrscheinlicher erschienen ihm seine Überlegungen, es war Samstagmorgen, weshalb hatte sie ihn nicht angerufen, er hätte sie doch vom Bahnhof abgeholt. Immer noch verwirrt setzte er sich auf, gab es um diese Zeit überhaupt eine Zugverbindung zwischen Kiel und Berlin. Er wusste es nicht, es war jetzt auch gleichgültig, als Erstes wollte er von Elisabeth erfahren, weshalb sie bereits wieder hier war. Dass sie ihn nicht angerufen hatte, empfand er ebenfalls als eigentümlich.

    Ein leiser Knall sowie ein geflüsterter Fluch ließen ihn erstarren, das war nicht die Stimme von Elisabeth, die Stimme klang eindeutig männlich. Hätten die beiden Balkontüren nicht offen gestanden, hätte er die Geräusche wahrscheinlich nicht wahrgenommen.

    Er musste reagieren, es konnte doch nicht sein, dass während der Zeit in der er auf die Wohnung achtete, diese von Dieben ausgeräumt wurde. Leise zog er eine Jeans über, dann schlich er auf den Balkon. Obwohl der Sonnenaufgang erst in etwa eineinhalb Stunden erfolgte, verbarg die Morgendämmerung nichts mehr. Vorsichtig schlich er auf den Balkon, gottseidank hatte er seine Balkontüre offen gelassen, jetzt war er froh, es würde kein Geräusch verursachen, wenn er auf den Balkon trat.

    Langsam, jedes Geräusch vermeidend glitt er an der Wand entlang, bis er den Bereich des Balkons erreichte, von wo er in das Wohnzimmer von Elisabeth blicken konnte. Er sah einen hageren Jugendlichen, der vor dem Schrank stand, in dem Elisabeth ihre Unterlagen aufbewahrte. Er hatte die diversen Ordner bemerkt, als sie die Unterlagen für den Mietvertrag aus genau diesem Schrankteil entnommen hatte.

    Er betrachtete ihn genauer, sah den kahlen Schädel sowie im Nackenbereich eine Tätowierung, die er jedoch nicht erkennen konnte. Trotz der immer noch herrschenden Hitze trug er Lederjacke und Springerstiefel. Dann starrte er auf den Gegenstand, welches das Geräusch verursachte, das ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Es war ein Ordner, dieser musste ihm aus der Hand geglitten und auf den Boden gefallen sein, als er etwas darin suchte.

    Langsam spürte er, wie Wut in ihm hochstieg. Dieser kleine Wichser musste Elisabeth und ihn beobachtet haben, wie sie am Mittwoch zum Bahnhof gefahren waren. Nachdem er einen Tag gewartet hatte, ob Elisabeth eventuell wieder zurückkommen würde, hatte er sich entschlossen, in dieser Nacht einzubrechen. An der Stelle, an der er jetzt suchte, würde er nichts Wertvolles finden. Der einzig wertvolle Gegenstand der sich zu stehlen lohne, sei ihre Geige hatte Elisabeth ihm gegenüber behauptet. Allerdings nicht wegen ihres materiellen Wertes, da es keine Stradivari sei, sondern ausschließlich wegen des emotionalen Wertes. Aber das wollte sie ihm später einmal erzählen. Diese Geige lag jedoch im Schlafzimmer, da ihre Schülerinnen mit kleineren Schülergeigen spielten.

    Er wusste zwar nicht, was dieser kleine Gauner zu finden hoffte, diese Hoffnung würde er ihm jedoch nehmen. Vorsichtig schob er die nur angelehnte Balkontür auf, dann fragte er mit zornerstickter Stimme.

    »Suchen Sie etwas Bestimmtes«?

    Der Dieb erstarrte mitten in der Bewegung, dann flog sein Kopf herum zu seinem Gegner. Ein kurzer abschätzender Blick, dann entschloss er sich, das Weite zu suchen. Den Ordner auf ihn werfend, sich umzudrehen und loszulaufen geschah wie aus einer Bewegung.

    Jo Berger war kurz überrascht, aber dann reagierte auch er mit gleicher Geschwindigkeit. Von dem fliegenden Ordner überrascht, erwischte er den flüchtenden Dieb an seiner Lederjacke erst an der Wohnungstür. Mit dem Zorn des Gerechten hielt er die Lederjacke an dem Kragen fest, er würde ihn nicht entkommen lassen. Nach einem kurzen Winden sowie der Erkenntnis, heute auf einen stärkeren Gegner getroffen zu sein resignierte der Dieb. Er wand sich aus seiner Lederjacke, er würde diese zurücklassen müssen, dann jagte er mit großen Sprüngen die Treppe hinab, um zu entfliehen.

    Ehe Jo noch recht begriff, was vor sich ging, war der Vorsprung bereits so groß, dass er auf eine Verfolgung verzichtete. Da stand er nun, mit nackten Füßen und bloßem Oberkörper mit der Lederjacke des Diebes in der Hand.

    Als Nächstes untersuchte er die Beschädigung an der Wohnungstür und stellte sehr schnell fest, dass die Türe unbeschädigt war. Nachdenklich betrachtete er die Wohnungstür, er war sicher diese verschlossen zu haben, als er den Entschluss gefasst hatte, die Blumenpflege über den Weg des gemeinsamen Balkons durchzuführen. Der Dieb musste einen Schlüssel für die Wohnung besitzen, anders war es nicht möglich, so geräuschlos eine Wohnungstüre zu öffnen.

    Er verschloss die Wohnungstüre erneut, er würde gleich morgen einen neuen Schließzylinder besorgen, um ihn einzubauen. Er schüttelte immer noch verwundert mit dem Kopf, während er die Eingangstür betrachtete. Dieser Leichtsinn oder war es der Glaube an das Gute im Menschen hatten wohl dazu geführt, dass Elisabeth auf weitere Schließvorrichtungen verzichtet hatte.

    Er lächelte, als er an die Schließvorrichtungen der Großmutter seines Kommilitonen dachte. Dieser hatte ihn gebeten ihn zu begleiten, als er seine Großmutter zum Geburtstag besuchen wollte, da ein Abschied sich sonst immer über Stunden hinzog. Da sie ihn immer großzügig bedachte, waren die Besuche manchmal unumgänglich, vor allem, wenn das Monatsende nahte. Als er nun die alte Dame an deren Geburtstag als Begleiter seines Kommilitonen besuchte, benötigte diese zum Öffnen ihrer Eingangstür fast zwei Minuten. Beim Betrachten der vielfältigen Schließvorrichtungen von innen wunderte er sich, dass die amerikanische Botschaft nicht angefragt hatte, ob sie einen Teil des Goldes von Fort Knox in dieser Wohnung lagern könne.

    Ein derartiger Aufwand war sicher übertrieben, eine weitere Schließvorrichtung konnte bestimmt nicht schaden. Nachdem er den Dieb abgewehrt hatte, befand er sich in einem Dilemma, über das er ein paar Stunden überlegen musste. Sollte er Elisabeth von dem Einbruch unterrichten? Wann sollte er sie unterrichten? Sollte er die Polizei wegen des Einbruchs hinzuziehen?

    Nach dem Frühstück hatte er sich zu einem teilweisen Handeln entschlossen. Er würde in jedem Fall den Zylinder sowie ein neues Schloss anbringen, deshalb musste er Elisabeth auch sagen, weshalb er dies für erforderlich hielt. Allerdings genügte es, wenn er ihr am Mittwoch Bescheid sagte, somit hatte sie wenigstens eine ungestörte Geburtstagsfeier sowie ein unbelastetes Treffen mit ihren ehemaligen Kolleginnen. Wenn er sie heute anriefe, würde sie bestimmt bitten, die nächste Verbindung nach Berlin herauszusuchen. Auf eine Anzeige bei der Polizei würde er ebenfalls verzichten, da diese meist im Sande verlief. Zudem bestand die Gefahr, dass die Polizei ihn auffordern würde, die Wohnungseigentümerin Elisabeth Schlüter zu informieren.

    Auf dem Weg in seine Wohnung stockte er, irgendetwas hatte er vergessen. Er war sicher, dass es wichtig war. Suchend glitt sein Blick im Wohnzimmer umher, dann ging er zurück in den Flur. Natürlich, die Lederjacke des Einbrechers, er musste sie unbedingt durchsuchen, vielleicht fand er einen Hinweis auf die Person. Schnell wendete er die Taschen nach außen, als ein zusammengefalteter Zettel auf den Dielenboden fiel. Er hob ihn auf, entfaltete ihn, dann blickte er verwundert auf das, was jemand mit zittriger Hand geschrieben hatte.

    Hier standen der Name und die Anschrift von Elisabeth in einer Handschrift, die ihn an seine Oma Katharina erinnerte, der Mutter seiner Mutter. Diese hatte ihm Liebesbriefe ihres späteren Ehemanns gezeigt, die er nicht lesen konnte. Daraufhin hatte sie ihn in die Geheimnisse der Sütterlinschrift eingeweiht, hatte ihm diese geheime Schrift beigebracht. Die Schrift dieses Notizzettels wies ein ähnliches Schriftbild auf, wie er es von seiner Großmutter kannte.

    Da er ausschließen konnte, dass seine Oma diese Notiz geschrieben hatte, sie war schon seit längerem tot, konnte es nur jemand geschrieben haben der sehr alt war. Weshalb sollte eine Person, die sehr alt war, einen Jugendlichen beauftragen bei Elisabeth einzusteigen, um etwas zu stehlen. Dieser Notizzettel bewies, der Einbruch erfolgte nicht zufällig, hier war jemand planvoll vorgegangen, um etwas Wichtiges zu entwenden. Dass es nicht um Wertgegenstände ging, hatte er inzwischen verstanden. Da der Dieb gezielt zwischen den Papieren gesucht hatte, ließ dies nur einen Schluss zu, es handelte sich, entweder um eine wichtige Urkunde oder ein belastendes Schreiben.

    Wer konnte ihr Böses wollen, wer fühlte sich von ihr bedroht. Er verstand nicht, was hier geschah. Die Elisabeth, die er kennen gelernt hatte, war zu keiner bösen Tat fähig. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie so schnell Vertrauen zu einer Person entwickelt wie zu Elisabeth. Entweder hatte sie ihn verhext oder sie hatte ihn verzaubert. Er glaubte beides nicht, weder fühlte er sich verwunschen noch betört, dann schon eher in den Bann gezogen von ihrer Persönlichkeit.

    Er beschloss nur in groben Zügen die Unordnung zu beseitigen, er fühlte, dass er nicht ungefragt in die Privatsphäre von Elisabeth eindringen durfte. Nach dem Wechsel des Schließzylinders sowie des Zusatzschlosses war er sicher, in diese Wohnung konnte der Einbrecher nicht so einfach wieder eindringen. Am Mittwoch, wenn er Elisabeth vom Bahnhof abholte, musste er ihr alles erzählen und die neuen Schlüssel überreichen. Außerdem wollte er sie fragen, wer eventuell noch einen Schlüssel für die Wohnung haben konnte.

    Nervös stand er am Bahnsteig, um auf Elisabeth zu warten, die in kaum zehn Minuten wieder in Berlin eintreffen sollte. Er hatte nichts von dem Einbruch erzählt, als sie angerufen hatte, um nachzufragen, ob alles in Ordnung sei und ob er sie abholen könne. Natürlich war alles in Ordnung und natürlich würde er sie am Mittwoch abholen, so das Resümee des Telefonats.

    Jetzt stand er hier am Bahnsteig und war immer noch nicht überzeugt, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er das nun folgende Vorgehen beschloss. Er wollte sie zu einem Kaffee hier am Bahnhof einladen, dabei wollte er ihr alles erzählen und die neuen Schlüssel übergeben. Er hoffte nur, sie würde nicht zu böse auf sein bisheriges Verhalten reagieren, da er eigentlich nur das Beste für sie gewollt hatte. Das redete er sich zumindest seit Tagen ein.

    »Schön das Du mich abholst«. Die Begrüßung fiel herzlicher aus, als er erwartet hatte, was die Angelegenheit nicht einfacher machte.

    Er nahm ihr, trotz ihres leisen Protests, das Gepäck aus der Hand, um sie in eine bestimmte Richtung zu dirigieren. »Ich möchte Dich zu einem Kaffee einladen«. Als sie aufbegehren wollte, setzte er schnell hinzu, »ich muss Dir etwas erzählen«.

    Nachdem der Kaffee vor ihnen stand, griff Jo in seine Tasche, dann legte er den neuen Schlüsselbund vor ihr auf den Tisch.

    »Was soll ich damit«, ihr Erstaunen ließ ihn einen Moment zögern.

    »Das sind die neuen Schlüssel zu Deiner Wohnung. Ehe Du Dich aufregst, höre mich bitte zuerst an«.

    Er erzählte von dem Einbruch sowie seinen anschließenden Überlegungen, wobei er in seiner Erzählung alles weniger dramatisch darstellte, als es tatsächlich abgelaufen war. Er schloss mit den Worten, zuerst wollte ich Dich anrufen und informieren, dann habe ich überlegt, was damit gewonnen wäre. Du hättest auf die Geburtstagsfeier sowie die Treffen mit Deinen Freundinnen verzichtet, da Du bestimmt sofort nach Berlin zurückgefahren wärst. Zudem konnte ich das Schlimmste verhindern, da nichts gestohlen wurde.

    Der Schreck in ihren Augen, als er von dem Einbruch gesprochen hatte, wechselte in Bestürzung, als er von seinem Eingreifen erzählte. Nun war die Angst zu sehen, obwohl noch nicht sicher war, wem diese Angst galt. Hatte sie Angst wegen des Einbruchs oder galt ihre Angst ihm.

    »Ich habe Dir doch ausdrücklich gesagt, dass Du nicht den Helden spielen sollst, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht«. Sie griff nach seiner Hand, »ich hätte mir ewig Vorwürfe gemacht, wenn Dir etwas geschehen wäre. Ich habe Dir doch gesagt, dass keine Reichtümer bei mir zu holen sind«.

    »Elisabeth Du verschweigst mir doch etwas, langsam gewinne ich den Eindruck, dass Dich der Einbruch weniger überrascht als Du zugegeben hast. Der Dieb hat nicht nach Reichtümern gesucht, er hat in Deinen Ordnern nach einem Schriftstück gesucht. Entweder eine Urkunde oder ein Vertrag oder was weiß ich. Er hat auf keinen Fall nach Schmuck oder Geld gesucht. Vielleicht hätte er das später noch gemacht, aber sein Hauptanliegen war das Schriftstück«.

    Elisabeth zuckte nur mit den Schultern, der Einbruch hatte sie zwar erschreckt, die Erleichterung, dass er unverletzt dem Gerangel entgangen war, schien größer. »Es gab schon früher Einbrüche, ein Mal hab ich den Einbrecher vertrieben, ein weiteres Mal hat er die Wut von Hertha zu spüren bekommen. Sie hatte mich spontan besucht, sodass ich noch einkaufen gehen musste. Während ich im Geschäft war, ist der Einbrecher wohl in die Wohnung eingedrungen. Hertha, die zuerst erschrocken auf den fremden jungen Mann gestarrt hatte, hat ziemlich schnell erfasst, dass der ungebetene Besuch sich an fremdem Eigentum bedienen wollte. Wie eine Furie hatte sie sich einen Besen geschnappt und auf den jungen Einbrecher eingeschlagen, der daraufhin das Weite gesucht hat«.

    »Schon damals habe ich vermutet, dass er mit einem Nachschlüssel in die Wohnung gekommen sein musste. Leider habe ich vergessen den Zylinder austauschen zu lassen, gab sie jetzt zerknirscht zu. Hertha und ich wir waren so von der Heldentat berauscht, dass wir das wohl verdrängt haben«.

    »Hast Du einen Schlüssel vermisst, wer hat oder hatte Schlüssel zu Deiner Wohnung«.

    »Niemand ich verteile doch nicht meine Schlüssel, allerdings, sie zögerte, man hat mal meine Handtasche gestohlen. Da sie ziemlich schnell wieder aufgefunden wurde und nur das Geld fehlte, habe ich dem keine Bedeutung zugemessen«.

    Johann schüttelte verständnislos mit seinem Kopf, dann legte er den Notizzettel aus der Lederjacke des Einbrechers auf den Tisch. »Kennst Du diese Schrift, den Zettel habe ich in der Jacke gefunden. Damit ist ja wohl klar, dass es sich um einen gezielten Einbruch bei Dir gehandelt hat. Die haben etwas gesucht, etwas was nichts mit Geld zu tun hat«.

    Nachdenklich griff Elisabeth den Notizzettel, betrachtete ungewöhnlich lange die Schrift dann legte sie ihn wieder auf den Tisch. »Ich kenne die Schrift nicht, ich möchte allerdings behaupten, dass die Hand, die das geschrieben hat, sehr alt ist und an einem männlichen Arm hängt«.

    »Wieso woran erkennst Du das,

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