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ZwischenZeiten: Ein Kriegsenkel: Von Wurzeln und Früchten
ZwischenZeiten: Ein Kriegsenkel: Von Wurzeln und Früchten
ZwischenZeiten: Ein Kriegsenkel: Von Wurzeln und Früchten
eBook359 Seiten5 Stunden

ZwischenZeiten: Ein Kriegsenkel: Von Wurzeln und Früchten

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Über dieses E-Book

Aufgewachsen nach dem Krieg in einfachen Verhältnissen mit den Belas-tungen als ›Kriegsenkel‹ möchte der Autor Klaus Ohlau zeigen, dass es möglich ist, auch unter schwierigen Situationen zu überleben und zu leben. Mit vielen seelischen Verletzungen und Traumata gelingt es ihm mit Jesu Hilfe wieder ins Leben zurückzukehren. Dieses Buch soll Menschen ermutigen und stärken, die in ähnlichen Situationen aufgewachsen sind und die Ähnliches erlebt haben.

Dieser Friedhof. Ein einschneidender Ort in seinem Leben und jetzt 40 Jahre später bei der Trauerfeier seiner Mutter wieder. Hier ist der Start für eine Rückschau, in der er sein ganzes Leben Revue passieren lässt. Puzzlestein um Puzzlestein fügt sich im Laufe der Zeit zusammen. Die emotionalen Übergriffe, die Härte, mit der er erzogen wurde. Weggabelungen, an denen er falsch abgebogen war. Mehr und mehr fügt sich das Bild. Seine eigenen traumatischen Erfahrungen, das Unfassbare mit seinem Bruder, Familiengeheimnisse. Seine seelische Zerbrochenheit, die ihn fast das Leben kostete. Als er erkennt, dass er sich ändern muss und nicht mehr so sein will, wie er ist, ändert sich alles. Erstaunliche Begegnungen mit Jesus helfen ihm, ins Leben zurückzufinden.
Immer wieder zeigt er uns auch die Verhältnisse kurz nach dem Krieg auf. In einfachen Verhältnissen aufgewachsen, in einem einfachen Haus, ohne Warmwasser, ohne Telefon, ohne Auto, ohne Wärme, ohne Liebe. Die technische Entwicklung nach dem Krieg und die Veränderungen im Umfeld werden uns bewusst. ZwischenZeiten nennt er das. Von der ›Steinzeit‹ in das ›High-Tech-Alter‹ durchläuft er. Aber auch von ›Ewigkeit zu Ewigkeit‹, eben in der ›ZwischenZeit‹.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Dez. 2023
ISBN9782959148934
ZwischenZeiten: Ein Kriegsenkel: Von Wurzeln und Früchten
Autor

Klaus Ohlau

Aufgewachsen nach dem Krieg in einfachen Verhältnissen hat Klaus Ohlau am eigenen Leibe erlebt, wie Krieg und Vertreibung und Kriegsgefangenschaft auch nach dem Krieg noch jahrzehntelang Auswirkung auf das Leben haben. Alle durch den Krieg traumatisiert, erlebt er selbst auch durch traumatisierte Eltern emotionalen Missbrauch und Manipulation. Er entwickelt sich zu einem »Arschloch«, dass er im Laufe der Jahre nicht mehr sein will. Durch lange Leidensprozesse, die Hilfe von Mitmenschen und letztlich die Hilfe von Jesus und dessen Hilfe kann er sein Leben ändern.

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    Buchvorschau

    ZwischenZeiten - Klaus Ohlau

    Langsam, wie von Geisterhand bewegt, schloss sich die Klappe des schwarzen Vans, bis sie mit einem satten schmatzenden ›Klack‹ einrastete und damit zeigte, dass sie tatsächlich geschlossen war und dieses Kapitel zu Ende. »Bis vor kurzem wären dafür noch zwei kräftige Hände notwendig gewesen, um das Ding zuzumachen«, sinnierte er. Jetzt ging das automatisch. Dieser Van hätte auch eine Familienkutsche sein können. Groß genug für Vater, Mutter und sieben Kinder, wenn es denn heute noch so etwas gab. Aber der hier war anders, für einen anderen Zweck. Mercedes Vito. Die Marke hatte sich in vierzig Jahren nicht geändert. Früher sahen die anders aus. Auch schwarz, niedriger, mit zwei Heckflügeltüren. An den hinteren Seitenscheiben geraffte Plastikvorhänge, auf den Scheiben aufgeklebte Ornamente, Palmwedel darstellend. Sinnbild für die Ewigkeit und Erhabenheit aber eben auch so etwas wie Glaube. In der Mitte meist ein Kreuz. Das war selbstverständlich, denn damals gab es nur zwei Gruppen von Menschen, die diese Fahrzeuge nutzten. Die eine war evangelisch, die andere katholisch. Sicher, es gab noch eine winzige Minderheit von Menschen, weder der einen noch der anderen Gruppe zugehörig, im gesellschaftlichen Leben spielten die jedoch keine Rolle. Man war evangelisch oder katholisch und je nach Landstrich prägte die eine oder die andere Konfession das Leben in der Gegend. Klare Grenzen wurden gezogen, und so war auch die Prägung des gesellschaftlichen Lebens. Immer schon.

    »Ja so musste vor vierzig Jahren der Wagen ausgesehen haben«, dachte er jetzt. Diese alten Mercedesse fuhren jahrein jahraus mit ihrer Fracht. In weiß dienten sie dem Krankentransport, in schwarz dem Transport von Leichen. Und dieser Mercedes Vito hier war nun für den Transport von Leichen für den ortsansässigen Bestatter, der in aller Regel auch Tischler oder Schreiner war oder der Schreiner, der auch Bestatter war. So war das. Immer schon.

    Und eben gerade hatten die Sargträger – die ebenfalls vom Bestatter oder Schreiner oder Tischler gestellt wurden – den einfachen Fichtensarg in den Van geschoben. Alte Männer zumeist, schon in Rente, die sich ein Zubrot erwarben durch ihren Dienst auf dem Friedhof. Hatten immer Zeit, waren immer erreichbar, für jeden Termin, auch wenn die Beerdigung vormittags war. Jeder im langen schwarzen Mantel, eine Prinz-Heinrich-Mütze auf dem Kopf, die beim Herablassen des Sarges in die Grube abgenommen wurde.

    Einen einfachen Sarg wollte sie. Nicht so teuer. Wurde ohnehin verbrannt. Denn verbrannt werden wollte sie. Um dann als Urne unter dem grünen Rasen begraben zu werden, damit niemand mit der Gießkanne hinter ihr herlaufen müsse. Sie hatte krasse Aussprüche in ihrem Leben geprägt. Ihre letzte Fahrt würde sie im Ganzen antreten, um dann in einem vasenähnlichen Gefäß als Handvoll Asche zurückzukehren an diesen Ort, würde etwa einen halben Meter tief eingegraben werden, hier wo auch die anderen alle schon lagen. Immer schon.

    Sparsam war sie gewesen, hatte das Geld zusammengehalten. Das Grab hatte sie schon zu Lebzeiten bis zum Ende der Laufzeit bezahlt. Und immer wieder nachgekauft, wobei gekauft das falsche Wort war. Denn es gab kein Eigentum hier. Weder für die, die hier lagen, noch für die, die für ihre Angehörigen hier ein Stück Land erwerben wollten. Es war gemieteter Platz, an dem die Menschen nach ihrem Tode verwahrt wurden bis die Liegezeit abgelaufen war. Nachgekauft hatte sie, weil sie immer noch lebte und den Platz bisher nicht in Anspruch nahm. Sie wollte keinem zur Last fallen. Und sehnte sich doch immer nach Anerkennung, die sie nie ausreichend bekommen hatte. Sie wollte alles versorgt wissen, keiner sollte sich nach ihrem Tod um sie kümmern müssen, sie konnte alles allein. Musste sie. Immer schon.

    Er hatte sie geliebt. Und er hatte sie gehasst. In den letzten Jahren hatten sie eine Art Hassliebe zueinander entwickelt. Nein, keine Hassliebe. Die ursprüngliche Liebe, die doch nur Abhängigkeit war, hatte sich entfernt, sich irgendwie aufgelöst, war aus seinem Leben nach und nach gewichen, wie eine kleine Kumuluswolke in der Entstehungsphase, die sich dann doch langsam, fast unmerklich wieder auflöste, und hatte einem Gefühl der Gleichgültigkeit Platz gemacht. Mehr und mehr hatte er sich von ihr distanziert, suchte nicht mehr ihre Nähe, sondern den Abstand. Schwer gefallen war ihm das am Anfang, doch die letzten Jahre ging es besser. War die Verbindung zu ihr doch elementar, am Anfang lebensnotwendig und Trennung lebensbedrohlich. Und dennoch konnte er mehr und mehr Distanz aufbauen. Hatte Abstand gesucht. Und trotzdem ließ sie ihn nicht los. Das würde sie auch in Zukunft nicht. Er kannte sie genau. Sie würde an ihm festhalten, nicht aus ihrem Griff lassen. Würde ihn nicht loslassen, ihn immer noch festhalten, sich in seinen Gedanken einnisten. Würde weiterhin sein Leben bestimmen auch wenn er das nicht wollte und es immer besser fertigbrachte, sich aus der Umklammerung zu lösen. Auch wenn sie jetzt tot war. So viel Kraft hatte sie immer noch. Würde sich auch weiterhin in ihm festkrallen. Das wusste er genau, als der Leichenwagen jetzt langsam den Friedhofsweg von der Kapelle aus zur Straße fuhr. Zum Krematorium in der Kreisstadt.

    Sie hatten ein symbiotisches Verhältnis. Sie konnten nicht miteinander. Und ohneeinander auch nicht. Sie hatte ihn manipuliert, er hatte sie missachtet. Er stellte sich zwischen sie und ihren Mann, versuchte sie zu beschützen und doch hatte sie immer mehr Kraft als er. Hatte ihn immer in der Hand. Eine Zeitlang saß er bei ihr abends auf dem Sofa. Früher, ganz früher, sie lag da, ausgestreckt und wenn sie dann schlimme Wadenkrämpfe bekam, massierte er ihre dicken Beine, bis es wieder besser wurde. Einmal, oder mehrmals – wie oft, daran erinnerte er sich nicht mehr – hatte sie ihn da gefragt ob er ihr nachspringen würde, wenn sie tot sei und der Sarg in die Grube gelassen würde. Er wusste darauf keine Antwort. War noch zu jung, um das zu begreifen, was das war. Tot. Die Frage blieb letztlich unbeantwortet, hatte ihn jedoch jahrelang beschäftigt. Jetzt wusste er, dass er das nicht machen würde. Erstens war kein Sarg da, der in eine Grube gelassen würde, um ihm nachzuspringen, zweitens würde das Erdloch, in das die Urne versenkt werden würde, nun wirklich zu klein für ihn sein und drittens hatte er bereits vor längerer Zeit beschlossen, dass er das nicht tun würde. Er hatte mehr und mehr den Abstand gesucht und gefunden. Und doch kam es immer wieder vor, dass sie ihn doch noch beeinflusste, früher, indem sie ihn um etwas bat, was sie selbst hätte machen können oder ihn wieder manipulierte, ohne dass er es merkte. Erst hinterher bekam er das dann manchmal mit und ärgerte sich. Über sich. Nicht so sehr über sie. Sie war wie sie war und änderte sich nicht. Ärgerte sich, dass er wieder einmal drauf reingefallen war. Und immer und immer wieder übte sie starken Einfluss auf ihn aus. Immer noch.

    Dieses Second-Hand-Leben hatte er satt. War dessen so überdrüssig. Dieses Leben, das sie ihm vorgab. Diffizil war das, was sie mit ihm machte, schwer durchschaubar, was sie vorhatte. Manipulativ. Erst als er nach und nach ihre Muster, ihr Verhalten erkannte, hatte er versucht, die alten Schemata zu durchbrechen. Manchmal gelang es ihm, meistens nicht.

    Sauer war er auf sich, wenn es nicht gelang und er immer und immer wieder in dieselbe Falle getappt war. Aber das war dann auch wieder ein Puzzlesteinchen in seinem Erkenntnisbild. Das zu hinterschauen, fiel ihm schwer. Und Änderungen herbeizuführen noch mehr. Erst als er erkannte, wie sie tickte und ihn da mit hineinzog, beschloss er zu leben. Ein eigenes Leben zu führen, nicht das von ihr vorgezeichnete, kein Abklatsch, kein Abziehbild, keine Projektion ihrer Wünsche oder Wahrnehmungen. Und hier auf dem Friedhof, wo doch alles ein Ende hat oder haben sollte, hier auf diesem Friedhof, wo doch der Tod regierte, hier in diesem Augenblick, bot sich wieder die gute Gelegenheit, dass er sich dieses Versprechen gab: »Ich will leben!«

    Das Eis sei die Wände hochgekrochen. Ob das so stimmte, war für ihn später nicht nachvollziehbar. Es klang auf jeden Fall echt. So wie sich alles echt anhörte, was sie sagte. Erst sehr viel später wurde ihm bewusst, dass sie eine Meisterin in der Konstruktion von kreativer Wahrheit war. Das Leben hatte sie so geformt. Aus Schutz oder was auch immer. Jedenfalls wurde sie nicht müde, immer und immer wieder bei jeder passenden oder passend gemachten Gelegenheit zu erzählen, dass das Eis die Wände hochgekrochen sei an jenem kalten Februartag des Jahres Neunzehnhundertsiebenundfünfzig, als er geboren wurde. So genau ließ sich das später nicht feststellen. Recherchen im Internet ergaben für den Zeitraum an diesem Ort durchaus milde Temperaturen. Aber auch gefühlte Wahrheit konnte Wahrheit sein.

    Neunzehnhundertdreiundfünfzig hatten seine Eltern gebaut. Ein einfaches Haus für einfache Leute. Flüchtlinge, die in diesem Dorf gestrandet waren. Von der Verwaltung, den Behörden, von wem auch immer, hier abgeladen, nicht eingepflanzt. Ausgekotzt. Von den ortsansässigen Dorfbewohnern, die immer schon hier waren, missmutig und argwöhnisch beäugt. Nicht mal ungeliebt, nur gehasst. Noch nach Jahrzehnten die Flüchtlinge genannt. Sie hatten sich also ein Haus gebaut. Auf einem Grundstück, das ihnen zugewiesen wurde. Direkt an der Bahnlinie. Dort, im neuen Teil des Dorfes, jenseits des Flusses, der den alten ursprünglichen Teil vom neuen trennte, in dem nun die ganzen hereingespülten Vertriebenen, Geflüchteten, Heimatlosen abgeladen wurden. Menschliches Strandgut, aus der Weite des Ostens durch das Schicksal hier im Westen angeschwemmt. Hin und hergetrieben durch die Gezeiten der politischen Sturmfluten.

    Das Haus direkt an der Bahnlinie. Ein Doppelhaus, das war billiger als ein einzelnes. Die Lage wurde mit den Nachbarn ausgelost, wer die Seite nach Süden bekam und wer die Seite nach Norden. Sie hatten das Los nach Norden gezogen. Natürlich. Weniger Licht, weniger Sonne, weniger Wärme. Das war, wie er später feststellte, auch das, wie ihr ganzes Leben war. Und seins. Weniger Licht, weniger Sonne, weniger Wärme. Als wenn das Schicksal oder wer auch immer oder was auch immer, ihnen dieses Siegel sichtbar aufgedrückt hätte, um zu zeigen: Das ist euer Leben!

    Einfache Wände, einfach verglaste Holzfenster, weiß gestrichen. Und wenn sie meinte, das Eis sei die Wände hochgekrochen, dann mochte das so sein. Später war dieser Raum in dem er geboren wurde nach mehreren Umzügen im Haus sein Kinderzimmer und im Winter – es gab noch richtige Winter mit viel Schnee und viel Kälte und viel Eis – waren die Fenster häufig von unten bis oben mit dicken Eisblumen zugefroren, die er wegzaubern konnte, wenn er dagegen hauchte oder mit dem Finger Muster darauf malte.

    Das Schlafzimmer war ungeheizt, es gab dort keinen Ofen. Es musste gespart werden. Jeder Pfennig ging für das Haus drauf. Sie hatte später erzählt, dass sie als Putzfrau fünf Mark die Stunde verdiente. Ihr Mann, sein Vater, nahm während der Bauzeit das Geld und kaufte Briketts von ihrem Putzlohn, für den Herd in der Waschküche, den frischen Putz an den Wänden zu wärmen, damit der nicht gefror und runterfiel. Hatte ihren Lohn verheizt. Sie hätte heulen können.

    Aber Sparsamkeit hin oder her, der Junge sollte es warm haben. Sie hatten sich schließlich sehr auf ihn gefreut und sie musste monatelang liegen, um das Kind nicht zu verlieren. Und damit der am Ende nicht noch erfror, besorgte der Vater einen Ofen. So sagte sie es jedenfalls immer und immer wieder. Mit der Schubkarre zog er zu Ofen-Gabler, der verkaufte nicht nur Öfen im Ort, auch Haushaltswaren und Bücher. Später, sehr viel später, kaufte er dort seine geliebten Putzi-Bücher.

    In diesem bis dahin ungeheizten Schlafzimmer kam er also im Februar des Jahres Neunzehnhundertsiebenundfünfzig zur Welt. In diesem Haus, direkt an der Bahn, auf der in regelmäßigen Abständen die Züge fuhren, von starken Dampfloks gezogen, die direkt am Grundstück vorbeidonnerten, oft mit schrillem Pfeifen oder mit ohrenbetäubendem Lärm, wenn sie zischend und fauchend den Überdruck an Dampf abließen. Eine der Hauptstrecken in diesem östlichen Teil von Niedersachen, von Braunschweig nach Goslar oder Göttingen. Oftmals fauchten oder ratterten dröhnend Güterzüge mit bis zu fünfzig Waggons, schwer beladen mit Eisenbahnachsen, Eisenbahnschwellen, Stahl oder Zuckerrüben am Haus vorbei. Tausende Tonnen schwer. Kaum zu bremsen.

    Das Haus. In einer Reihe mit anderen, gleich gestalteten, gleich aussehenden. Die ganze Straße entlang. Jedes dieser Häuser war ein Flüchtlingshaus hier in dieser Straße. Alle die hier wohnten, waren entwurzelt und hier einigermaßen zur Ruhe gekommen. Von einer getriebenen unruhigen Ruhe, jeder hatte immer irgendwas zu tun. Die Arbeit hörte nie auf. Ruhe gab es eigentlich nicht. Oder kaum. Vielleicht am Sonntagnachmittag, wenn sich sein Vater auf die Gartenliege unter einen Schatten spendenden Baum im Garten legte.

    Zu jedem Haus gehörte natürlich ein großer Garten. Nutzgarten. Kein Park, kein Ziergarten mit kurzgeschorenem Rasen, der jede Woche gemäht wurde, keine Pergola mit Tischchen und Stühlchen für einen Plausch oder Kaffeekränzchen mit Freunden oder Nachbarn, nein, ein richtiger Nutzgarten, der die Familie mit Gemüse versorgen musste. Alles war knapp, man musste sehen, wo man bleibt. Auch wenn seit Kriegsende jetzt schon knapp zwölf Jahre vergangen waren (was sind schon zwölf Jahre?!), das Entsetzen und die Not waren immer noch allzu präsent. Jeder musste für sich selber sorgen. Der Vater hatte Bäume angepflanzt. Apfelbäume, Pflaumenbäume, Kirschbäume. Und jede Frucht (jede!) an jedem Baum wurde verwertet. Nichts wurde weggeschmissen. Und wenn Scharen von Staren wieder einmal die Ernte der Kirschen zunichtemachen wollten, indem sie die Kirschbäume abräumten, so hängte sein Vater tote Heringe in die Bäume, deren bestialischer Verwesungsgestank sollte die Diebe vertreiben. Genutzt hatte es nichts.

    Zu tief saßen noch die Entbehrungen des Krieges. Stachelbeersträucher und Johannisbeersträucher wurden angepflanzt. Später als Kind musste er hin und wieder die Sträucher abernten, die spitzen Dornen der Stachelbeeren bohrten sich erbarmungslos in seine Arme oder seinen nackten Oberkörper. Mit Widerwillen pflückte er die Beeren. Es nutze nichts. Was getan werden musste, musste getan werden.

    Und natürlich gehörte ein Schweinestall zu jedem Haus in dieser Straße. Zwei Boxen für jeweils bis zu drei Schweinen. Die Schweine kaufte sein Vater bei einem Bauernhof im Ort, einem großen Saatzuchtbetrieb mit Schweinezucht. Dort kaufte er jeweils drei Läufer, halbwüchsige Schweine, keine Ferkel mehr. Transportiert wurden sie in der Gummikarre, die Karre, mit der er später immer Schweinefutter holen musste.

    Eines der Schweine wurde im Winter geschlachtet. Zur Versorgung der Familie mit Fleisch, Wurst und Schinken. Die anderen an den ortsansässigen Metzger verkauft. In der Einliegerwohnung im oberen Stockwerk wohnte ein Ehepaar. Er war Maurer, mit ihm zusammen hatte sein Vater den Stall gebaut. Die Futterrinnen aus halbierten Tonrohren, so wie sie für Abwasserleitungen genutzt wurden. Wohl aus dem Lagerbestand der Baufirma, bei der der Vater arbeitete. Die Mauern, die den Boxen und den Schweinen die Grenzen aufzeigten, etwa einszwanzig hoch. Hoch genug, damit die Schweine nicht drüber springen konnten. Oft genug stellten sich diese Monster an der Mauer auf, wenn es Futter gab. Ohrenbetäubend war ihr Quieken. Für seine Ohren kaum auszuhalten. Für ihn sahen sie immer gefährlich aus mit den vorstehenden, ständig suchenden Rüsseln, den kleinen gefährlich wirkenden Augen. Durchdringend ihn anstarrend. Schweinsäuglein.

    Die Wände wurden jedes Jahr oder alle zwei Jahre gekalkt. Löschkalk, mit Wasser angerührt und mit einem Quast auf die Wände aufgetragen. Gestrichen. Ja. Aber vorsichtig musste man sein, damit die Brühe nicht in die Augen lief. Denn immer noch ätzend war der Kalk. Einen Kittel, einen groben grauen Kittel, zog sein Vater dann an. Im Unterschied zum Blaumann, den er sonst den ganzen Tag trug. Auf der Arbeit und Zuhause. Zuhause war auch immer Arbeit. Und einen grauen, einfachen Hut mit breiter Krempe hatte er auf beim Kalken des Schweinestalls. Nach dem Krieg war das die übliche Kopfbedeckung. Wichtig war das Kalken. Desinfektion. Und gegen Fliegen, die sich im Stall gerade im Sommer explosionsartig in der Schweinescheiße vermehrten. Er erinnerte sich, dass er an einem warmen Sommertag mit seinem Hausschuh etwa einhundert Fliegen an der Tür zum Schweinestall erschlagen hatte. Er musste damals also schon so alt gewesen sein, dass er bis Hundert zählen konnte.

    Aber nicht nur gegen die Fliegen war das Kalken gut. Die Schweine machten Mist. Die Boxen wurden mit Stroh ausgestreut. Strohballen wurden von einem befreundeten, nein, besser von einem bekannten Bauern geliefert. Die Schweine sollten es warm haben. Auch wenn die Biester meistens nur in eine Ecke schissen, bekamen die Wände auch so genug Schweinescheiße ab. Und beschissene Schweinestallwände wurden gekalkt. Die Boxen mit Betonfliesen ausgelegt. Gefurcht, mit dazwischenstehenden Klötzchen, damit sie sicher laufen konnten und sich nicht die Beine brachen. Das wäre eine Katastrophe gewesen. Ein Schwein mit gebrochenen Beinen. Notschlachtung, Wertverlust. Die Betonplatten sahen wie Legosteine aus. Diese Klötzchen erinnerten ihn an seine Legosteine.

    Etwa alle zwei Tage wurde ausgemistet. In die Schubkarre wurde der Mist geladen, dann in der Mistkuhle im Hühnerzwinger aufgeschichtet. Ein Karree aus vor Ort gestampftem Beton. Stabile Mauern. Zwei mal zwei Meter im Quadrat, ein Meter tief. An den Ecken Stahlprofile. Wenn die Mistkuhle fast voll war, wurden Aufsatzbretter eingelegt, dann war mehr Volumen möglich. Im Herbst wurde die Mistkuhle ausgeräumt, auf dem Acker verteilt. Erst im Hausgarten, dann als die Bäume größer wurden und nichts mehr wuchs außer Rasen, im Schrebergarten. Umgegraben wurde der Acker. Mit dem Spaten wurde der erste Stich gesetzt. Sorgfältig abwägend. Der erste Stich war entscheidend. Den Spaten einstechen, am unteren Ende des Stiels nach unten hebeln, den Boden herausheben, mit beiden Händen den Spaten anheben, die Spatenplatte umdrehen und dann etwas weiter vorne auf dem nicht umgegrabenen Stück ablegen. Das gab eine saubere Sohle, wenn man es richtigmachte. Etwas zur Seite treten. Der nächste Stich. Einstechen, abhebeln, anheben, umdrehen, ablegen. Das zog sich so, bis die erste Reihe fertig war. Wie mit der Schnur gezogen lag die Furche da. Jetzt mit der Mistgabel den Mist säuberlich in der Furche verteilen, in die Furchensohle, etwas anpressen, mit den Gummistiefeln nachtreten, festtreten. Jetzt von der anderen Seite der Reihe wieder den Spaten einstechen, abhebeln, umdrehen, die Scholle sauber über die Furche legen, so dass der Mist teilweise abgedeckt wurde. Einen Schritt zur Seite. Die Prozedur von vorn. In der nächsten Reihe würde der Mist ganz verschwunden sein. Ökologisch könnte man sagen, nachhaltig, natürlich, alle Ressourcen nutzend. Ökologie oder Nachhaltigkeit waren kein Thema. Jeder hatte Hunger, überall war das Geld knapp, es ging darum, dem verfügbaren Boden maximalen Ertrag abzuringen, um die Versorgung zu sichern. Mist war vorhanden, den die Schweine machten und damit den Boden düngten. Und weil das nicht reichte, um den Ertrag zu maximieren, wurde auch ordentlich mit Blaukorn gedüngt. Maximaler Ertrag eben.

    Über dem Schweinestall, unter dem Dach, war das Strohlager. Nach der Getreideernte organisierte der Vater beim Bauern eine Fuhre Stroh. Damals noch recht kleine Ballen, etwa einen Meter lang, sechzig breit, vierzig hoch, sauschwer. Später wurden große Hochdruckballen gepresst, etwa zwei mal ein Meter oder Rundballen. Damals jedoch immer noch die kleinen Ballen. Etwa fünfzig davon passten unter das Dach in das Strohlager. Wenn alles verstaut war, war kein Platz mehr dort oben. Durch eine Luke im Boden konnte das Stroh in Ballen direkt in den Stall geworfen werden. In eine Bucht neben den Boxen. Zusammengebunden mit Plastikschnur, reißfest, Sackband genannt. Die Schnüre wurden aufgehoben, alles wurde gebraucht, später zum Verschnüren der Kartoffelsäcke nach der Ernte. Wenn das Strohlager sich etwas lichtete, nachdem schon einiges an Stroh im Stall verschwunden und durch Schweinescheiße zu Mist geworden war, konnte er dort herrlich spielen. Buden bauen, sich seine Welt zurechtträumen. Häufig allein. Meistens allein.

    Und natürlich hatte jedes dieser Häuser in dieser Straße einen Schuppen. Für Werkzeuge, Gartengeräte und für den Hühnerstall. Etwa zehn Hühner sorgten für die Versorgung der Familie mit Eiern und ab und zu einen Hühnerbraten. Und Federn. Die wurden geschlissen, die Federn wurden vom Kiel getrennt und in Kopfkissen gestopft.

    Aber alles das wusste er noch nicht, als er im Februar dieses Jahres zur Welt kam.

    »Komisch«, dachte er so bei sich (wobei komisch nicht der richtige Ausdruck war, es hätte eher merkwürdig heißen müssen), als er jetzt auf dem Friedhof stand und dem sich entfernenden Leichenwagen nachsah. »An meine Kindheit habe ich fast keine Erinnerung.« Er konnte sich tatsächlich nur an sehr wenige Ereignisse in seiner frühen Kindheit erinnern. An einen Ausflug mit seinem Vater. Der hatte ihn einmal im Handwagen, einer Art Leiterwagen aus Holz mit geschlossenen Seitenteilen, durch die Feldmark gefahren. Dieser Handwagen stand im Schuppen. Gleich links neben der Eingangstür. Die Türen des Schuppens aus roh behauenen Bohlen, dürftig zusammengenagelt, mit grüner Ölfarbe gestrichen. Später würde er den Farbton schrebergartengrün nennen. So war auch der Holzzaun gestrichen, der den kleinen Hof vom Garten abgrenzte. Und vorne am Haus bildete auch solch ein Holzzaun die Grenze zur Straße. Wenn er sich an gemeinsame Zeiten mit seinem Vater erinnerte, dann war das immer mit Arbeit verbunden. Wenn sein Vater einen Holzschuppen baute, war er dabei. Wenn sein Vater im Schrebergarten die kleine Veranda für die Laube mit einem Sichtschutz oder Spalier versah, dann sah er sich dort auch. Die Laube war keine Laube. Sie war Werkzeugschuppen für allerlei Gartengeräte. Und es roch muffig und nach Chemikalien. Oder wenn sie aus dem Schrebergarten mehrere Ladungen Glasflaschen herausholten, die der Vorgänger zur Begrenzung der Wege eingegraben hatte.

    Er musste so vier oder fünf gewesen sein, wann das war, daran konnte er sich nicht erinnern. Er konnte sich nur erinnern, dass es so war. Einmal saß er mit seinem Vater in der Badewanne. Ja, ein Bad hatten sie. Im Keller. Für zwei Familien. Eine gusseiserne Emaille-Badewanne auf vier Füßen und einen Badeofen. Der wurde mit Kohle befeuert, auf den Ofen aufgesetzt ein Boiler, in dem das Wasser aufgeheizt wurde. Das Volumen war begrenzt und eine genaue Einteilung nötig, wer wann baden durfte. Zudem in der Einliegerwohnung im ersten Stock auch noch eine Familie wohnte. Später, als er groß genug war, durfte er allein in die Wanne. Und durfte auch nochmal warmes Wasser nachlaufen lassen. Der Ofen bullerte, neben Holz wurden Briketts verfeuert, die den kleinen Ofen fast zum Glühen brachten. Es machte ihm riesigen Spaß aus der Wanne aufzustehen und auf den Ofen zu pinkeln. Es zischte. Dampfwolken stiegen auf, er liebte diesen warmgelben Geruch von verdampfender Lulle.

    Sonnabend war Badetag. Nicht Samstag, diesen Namen verwandte er erst später. Es war Sonnabend. Da wurde gebadet. Und dann war Wochenende. Unter der Woche baden ging nicht. Man wusch sich im Waschbecken im Klo. Mit kaltem Wasser, eine Warmwasserheizung gab es nicht. Und wenn ausnahmsweise die Haare unter der Woche gewaschen werden mussten, so machte man das in der Küche über dem Ausguss, so hieß die Spüle, und mit einem Becher wurde das warme Wasser aus dem Topf geschöpft, der auf dem Küchenherd stand, dem Kohleherd. Der Topf stand immer auf dem Herd, heißes Wasser konnte man immer gebrauchen.

    Kaltes Wasser auch in der Toilette. Als Kaltwasserhahn, der direkt an der Wand montiert war. Und es gab einen hochhängenden Spülkasten für die Toilettenspülung. Er erinnerte sich an einen Besuch bei Bekannten in der Heide, die ihren Lokus im Schweinestall hatten. Das war als Plumpsklo ausgeführt und musste regelmäßig ausgemistet werden. In dem Haus gab es auch keine Wasserleitungen, im Keller stand eine Handpumpe, mit der wurde jeder Liter Wasser mühsam aus dem Brunnen heraufgepumpt.

    Sonnabendabend. Abendessen. Ein festes Ritual. Es gab Kakao und Würstchen, meistens Wiener oder Boullion-Würstchen und Brötchen. Unter der Woche gab es auch Abendbrot, meistens warm, wenn der Vater von der Arbeit kam. Oder halt später, weil noch zu tun war.

    Aber sonst? Erinnerungen? Keine Erinnerungen an die Kindheit. Später auf Fotos sah er sich. Es wurde viel fotografiert in dieser Zeit. »Seht her! Was wir geschafft haben!«, sollten die Fotos sagen. »Wie gut es uns geht!« Als kleiner Knirps saß er da im kahlen Garten, alles noch sehr urtümlich. Die Bäume klein, die Gegend trostlos. So trostlos, wie ihm sein ganzes späteres Leben vorkam. Bilder von ihm im Kinderwagen. Ein Ungetüm aus Plastikpeddigrohr, mit stabilen Rädern und einem Schutzverdeck, das abzunehmen war, dann diente der Kinderwagen als Kinderkarre, Buggy würde man heute sagen. Es musste alles praktisch sein. Sonst keine Erinnerung.

    Während er diesem langsam abfahrenden Leichenwagen nachsah, sah er auch sein Leben wie in Zeitlupe an sich vorüberziehen. Oder war es im Zeitraffer? Keine Ahnung. Es waren wahrscheinlich nur Minuten oder auch nur Sekunden, die da jetzt gerade in einem Affentempo an ihm vorübergezogen waren und uralte Erlebnisse heraufbeschworen, die er in seinen Erinnerungen nicht mehr so richtig zusammenbrachte, die eher schemenhaft aufgetaucht waren. Wie aus einer anderen Welt, die sich in sein derzeitiges Leben wieder einschleichen wollten und ihn zurückholen in andere Zeiten und andere Orte. Ja, das musste wirklich nur in einigen Sekunden passiert sein. Denn obwohl der Bestatter ein angemessenes Tempo eingelegt hatte, Schritttempo, so wie es für eine abfahrende Leiche angemessen schien, war der Weg bis zur Straße doch nur etwa fünfzig Meter und irgendwann musste er dort ankommen. Aber da der Wagen immer noch nicht verschwunden war, musste sich das alles in Windeseile in seinem Inneren abgespielt haben. Das war ihm alles nicht bewusst. Immer noch sah er dem davonschleichenden Wagen nach und immer noch blitzten die Gedanken durch seinen Kopf.

    Alles stand still, keiner sagte etwas, alle sahen dem Wagen nach bis ihn eine schrille Stimme aus seinen Gedanken riss.

    »Fotos! Wir müssen Fotos machen! Damit man das hinterher noch sehen kann!«

    Er schüttelte sich kurz, urplötzlich wieder ins Hier und Jetzt hereingerissen, sah sich um, was da so unpietätisch kreischte. Tante Walli.

    Immer schon hatte sie dieses unsägliche Gespür für unpassende Momente. Sie konnte jede Situation eskalieren lassen. Eine herzensgute Frau und mit der Eigenschaft, ihn zur Verzweiflung zu bringen. Nur mit Mühe konnte er sie jetzt davon abhalten, mit lautem Gezänk auf ihren Fotos zu bestehen, indem sie die in vertrauter Traurigkeit dastehende Trauergemeinschaft vehement dazu bewegen wollte, sich endlich zu einem Gruppenfoto aufzustellen. Damit man dann später sehen konnte, wer alles da war, um ihr die letzte Ehre zu erweisen.

    Walli! Eigentlich Waltraud, die jüngere Schwester seines Vaters. Herzensgut, aber mit einem enorm großen Mundwerk. Sie wusste alles von allen und vor allem alles besser. Ihr zu widersprechen hatte im Allgemeinen keinen Sinn, sie hatte immer ein aber parat und konterte geschickt. Da hatte sie etwas gemeinsam mit seiner Mutter. Die beiden kamen wohl auch deshalb nicht immer so richtig gut miteinander aus. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

    Ihr Mann Willi war schon vor einigen Jahren am Herzinfarkt gestorben. Walli war bereits mit vierzehn Jahren Mutter geworden für die Tochter ihrer älteren Schwester. Die Eltern seines Vaters hatten in Schlesien einen kleinen Bauernhof. Klitsche sagte man auch dazu. Wenn es dieses Wort noch gab. Das Auskommen auf diesem Hof: zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Drei Kühe, ein Pferd zum Pflügen, drei Schweine, einige Hühner, Enten, Gänse, eine Kirschplantage, Getreide. Else, eigentlich Elsbeth, die ältere Schwester seines Vaters, war in der Kreisstadt als Zimmermädchen in einem Hotel angestellt und hatte sich von ihrem Arbeitgeber ein Kind andrehen lassen. Der Chef hatte eine günstige Gelegenheit gesucht, ihr beim Zimmermachen aufgelauert, und sich über sie hergemacht. Damals nannte man das nicht Sex, sondern über sie hermachen, wie die Umstände waren, darüber wurde nicht (nie) gesprochen, zu peinlich das alles. Aus der heutigen Sicht war das eine Vergewaltigung. Vor siebzig Jahren gab es das so noch nicht. Else hatte sich ein Kind andrehen lassen, ihre Mutter ging daraufhin in die Stadt, holte das Kind, gab es der Walli mit den Worten: »Erzieh das! Das ist jetzt dein Kind!« Walli war vierzehn und dieses Kind blieb ihr Leben lang

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