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Sterben. Des Lebens heller Schatten: Gespräche
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eBook427 Seiten4 Stunden

Sterben. Des Lebens heller Schatten: Gespräche

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Über dieses E-Book

Wie leben wir mit dem Tod? Was ist ein guter Tod? Was wird bleiben von uns?
Angesichts des Verlustes einer geliebten Person, im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit erhält das Leben einen tieferen Sinn. Die positiven Einstellungen der Interviewten zum Tod überraschen.
In einfühlsamen Gesprächen mit der Journalistin Astrid Kofler erzählen unheilbar Kranke, Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, Begleiterinnen der Hospizbewegung und Notfallseelsorge, Theologen, Therapeutinnen, Menschen unterschiedlichen Glaubens und Alters von ihren Hoffnungen und Ängsten, von Erfahrungen im Umgang mit Sterbenden und der Trauer danach.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Raetia
Erscheinungsdatum23. Okt. 2023
ISBN9788872839089
Sterben. Des Lebens heller Schatten: Gespräche
Autor

Astrid Kofler

Freischaffende Journalistin, Filmemacherin und Autorin. Studium der Germanistik und Theaterwissenschaften in Wien sowie an der Burda-Journalistenschule in München. Bei Edition Raetia: „Zersprengtes Leben. Frauen in den Südtiroler Bombenjahren“ (2003), „Alles gut. Gespräche mit 90-Jährigen“ (2019) und „Alles wird gut. Gespräche mit 90-Jährigen“ (2021).

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    Buchvorschau

    Sterben. Des Lebens heller Schatten - Astrid Kofler

    „Die Trauer braucht Zeit."

    Geboren 1958 in Tscherms, studierte Kunstgeschichte und Komparatistik, Psychologie und Pädagogik. Ehemalige Waldorfmama, systemische Supervisorin, Coachin und Lebensberaterin, begleitet freiberuflich Menschen im beruflichen Veränderungskontext sowie auf schwierigen Lebens- und Trauerwegen. Sie ist seit 20 Jahren in der Trauerbegleitung tätig, leitet eine Selbsthilfegruppe für trauernde Eltern, ist Koordinatorin der Caritas-Hospizbewegung in Meran.

    Trauern ist ein schwerer Weg, doch ein Weg, der das Leben mit neuer Tiefe beschenkt, er kann uns Menschen weiterbringen. Es gibt oft ein Vorher und ein Nachher. Ein Vater erzählte mir nach dem Tod seines Sohnes, dass er nun neue Freunde habe, andere Schwerpunkte im Leben und immer gehe es in Richtung Lebenstiefe und Lebenssinn.

    Ich selbst frage die Trauernden nie, ob sie nachträglich im Ereignis einen Sinn sehen. Das steht mir als Außenstehende nicht zu. Ich kann es höchstens unterstützen, in diese Richtung zu gehen. Viele Trauernde fragen sich aber irgendwann selbst, was hat das für einen Sinn, dass es so geschah, was will mir das sagen. Das ist auch etwas, das sich Sterbende oft am Lebensende fragen. Was hatte es für einen Sinn?

    Das Trauern umschreibe ich oft gerne mit einem Bild. Es ist eine Landschaft, die man durchwandert. Es braucht Zeit. Am Anfang gleicht es dem anstrengenden Aufstieg auf einen hohen Berg, dann ist es wieder ein abrupter Abstieg. Es geht hinauf und hinunter, manchmal führt der Weg durch eine enge Schlucht. Dann weitet sich wieder der Blick auf die Landschaft. Es wird leichter mit der Zeit, aber bleibt ein Leben lang ein Prozess. Es gibt Tage oder Momente, Weihnachten oder Allerheiligen, der Geburtstag oder Todestag, dann ist das Trauern wieder intensiv.

    Jeder trauert anders. Das Abschiednehmen ist eine Herausforderung, die 80 Prozent der Hinterbliebenen alleine schaffen, mit Freunden, mit der Familie, mit eigenen Kräften, mit dem Glauben, mit der Natur. Manche aber brauchen Begleitung, und es ist richtig, wenn sie Hilfe suchen. Mitmenschen können Trauernde unterstützen, indem sie sie ernst nehmen, in ihrer Trauer gut wahrnehmen, sie nicht in Abhängigkeit bringen, sie nicht nur bemitleiden. Wenn eine Person in ihrer Trauer verharrt, ist es angebracht, sie dahingehend zu unterstützen, dass sie sich professionelle Hilfe sucht. Aber es darf nicht wertend vermittelt werden in dem Sinne: Du musst jetzt in professionelle Hände.

    Früher hieß es stets: loslassen.

    Loslassen ist für mich schon fast ein Unwort. Loslassen muss ich einen Sterbenden. Ich kann ihm sagen, ich lass dich gehen auf deinem Weg. Aber zu Trauernden darf man nicht sagen, sie sollten loslassen. Trauernde berichten immer wieder, das sei so, wie wenn jemand sagen würde, du musst jetzt vergessen. Das geht nicht. Vielleicht könnte ich raten, lass es sein, nimm es an, wie es ist, versuch den Weg unter diesem neuen Aspekt zu gehen.

    Was ich loslassen kann, ist, wie die Person im Leben war. Was bleibt, ist das Herzensbild. Ich behalte dieses bei mir, in Erinnerung an diese Person, die mir lieb war, oder vielleicht auch nicht immer lieb war, aber zumindest eine wichtige Bezugsperson. Trauerbegleitung bedeutet für mich, einen Menschen darin zu unterstützen, Erinnerungen zu schaffen. Das tut auch innerhalb von Familien gut, miteinander über den Verstorbenen zu reden. Oder eben auch alleine, ein Tagebuch zu schreiben, Momente zu notieren.

    Man sprach auch lange von vier Trauerphasen, dem ersten Schock und dem Nicht-wahrhaben-Wollen, der Wut und Verzweiflung, der Suche nach Antworten, der Annahme und der Neuorientierung.

    Heute spricht man auch in der Wissenschaft nicht mehr von Phasen. Weil die Trauernden in Schwierigkeiten gerieten, wenn man ihnen vermittelte, du bist jetzt nicht in der „richtigen" Phase, du solltest jetzt so trauern oder anders. Es kann passieren, dass diese Phasen gleichzeitig ablaufen. Auch wurden die Trauernden damit ein wenig in die Passivität gedrängt, als müssten sie den Ablauf dieser Phasen einfach überstehen. Von den Phasen ging man weg zu den Aufgaben nach William Worden. Dieser amerikanische Trauerforscher hat ein Modell mit fünf Traueraufgaben entwickelt, um Menschen nach dem Verlust einer geliebten Person zu helfen, ihre neue Situation zu akzeptieren. Trauer als Prozess, aber nicht als Zustand. Aber da hat man ein wenig den Eindruck, als ob man etwas schwer erarbeiten müsste, erst dann ist es vorbei.

    Wir sprechen heute weder von Phasen noch von Aufgaben, sondern einfach vom Trauerweg. Oder dem „Trauer-Erleben". Wir wissen, dass alles zugleich sein kann. Wir wissen, dass es am Anfang schwer ist, diese Situation anzuerkennen. Wir wissen, dass am Anfang ein Schock da ist und diese Schocksituation auch später momenthaft wieder da sein kann, wir wissen, dass es Momente gibt, wo ich es nicht annehmen kann und dann doch wieder annehme. Ich erwache am Morgen und denke mir, es ist nichts geschehen, und nach einer Stunde weiß ich, es ist doch geschehen. Es gibt eine Gleichzeitigkeit von Situationen, die den Menschen überfallen, und dann doch wieder ein lineares Weitergehen. Die Trauer braucht Zeit. Wir sprechen nicht mehr von einem Trauerjahr. Wir sprechen heute von mehr oder weniger vier Jahren akuter Trauerzeit, das zu wissen, ist tröstend.

    Die Trauer ist so viele Jahre lang akut?

    Das ist die Dauer, in der die Trauer sehr nahe ist. Das zweite Trauerjahr – so haben wir beobachtet – ist eine der schwierigsten Zeiten. Da beginnt erst die wirkliche Anerkennung dessen, was passiert ist. Dann kommt so langsam der Weg, wo man es annehmen kann, wo man zu überlegen beginnt, es gibt auch ein Leben und Überleben ohne den geliebten Menschen.

    Es gibt ganz unterschiedliche Reaktionen und Emotionen. Einige werden wütend und machen sich deshalb dann Vorwürfe. Andere werden still …

    Wenn wir von der emotionalen Betroffenheit ausgehen, so haben wir die ganze Palette an Gefühlen: Sehnsucht, Freude, Wut, Aggression, Rückzug. Wir können Menschen suchen oder meiden, körperlich stumm werden oder aktiv. Ich habe einmal ein Mädchen begleitet, das tanzen musste, um seiner Trauer Ausdruck zu verleihen.

    Wir müssen uns verdeutlichen, dass wir in einem sozialen Netz sind und doch alleine, auch das ist ein Zwiespalt. Ich bin in der Trauer umgeben von lieben Menschen und doch betrifft die Trauer nur mich. Es gibt kein falsches Emotionserleben in der Trauer, weil die Trauer so ausgerichtet ist, wie ich als Mensch auf dem Weg bin. Und das ist individuell.

    Natürlich ist es gekoppelt mit einem schlechten Gewissen oder mit Schuldgefühlen, wenn die Gesellschaft diesen individuellen Trauerweg nicht anerkennt. Das Umfeld ist manchmal nicht sehr verständnisvoll, wenn es sagt, der tut nix, der trauert nicht, der geht ins Fitnesscenter. Die Trauer ist ein emotionales Gewebe, kann aber einen körperlichen Ausdruck finden.

    Männliche und weibliche Trauer: Gibt es da Unterschiede?

    Meine Erfahrung zeigt mir, dass sich männliche und weibliche Trauer oft unterschiedlich äußern. Männliche Trauer geht häufig ins Tun. Der Vater eines verstorbenen Sohnes sagte mir, zuerst muss ich meinen Körper müde machen und dann kann ich erst nachdenken, zuerst habe ich auf meine Frau geachtet und dann kam ich. Das ist wichtig zu wissen, für beide, du trauerst so und ich so. Die Frauen ziehen sich eher zurück oder suchen Gespräche, sie haben Rituale, zünden eine Kerze an. Für Männer kann das zu viel an Emotion, zu eng werden. Wenn beide wissen, dass sie unterschiedlich trauern, dann können sie einen Weg suchen, den sie gemeinsam gehen, einmal geht er mit ihr und einmal sie mit ihm. Ein junges Paar, Eltern eines totgeborenen Kindes, erzählte mir, einen Sonntag gehen wir kuscheln, den nächsten auf den Berg.

    Wir sehen keine Toten mehr, ist das Trauern deshalb schwierig geworden?

    Wir haben das Projekt „Hospiz macht Schule", wo wir mit Kindern über das Sterben reden. Kinder sind überfordert, doch wenn das System rundherum gut zurechtkommt, wenn die Eltern es mitnehmen zur verstorbenen Großmutter, mit zum Begräbnis, dann kann ein Kind verstehen. Viele behalten heute die Urne zu Hause. Ich sehe das etwas skeptisch. Ich glaube, wenn ich tagtäglich die Urne sehe, muss ich immer wieder die Frage stellen, warum ist das passiert. Da kann ich mich nicht auf den Weg machen, es so sein zu lassen.

    Wir Menschen haben die Fähigkeit der Trauer mitbekommen, sie ist nicht das Problem, sie ist die Lösung. Dieses Gefühl hilft mir, diesen schweren Weg zu meistern.

    VERENA WACHTER SPIRIDON DOVAS

    „Auf den Tod des eigenen Kindes kann man sich nicht vorbereiten."

    Verena Wachter

    Geboren 1969 in Graz, in Bozen aufgewachsen, hat in Wien und Florenz Kunstgeschichte und Innenarchitektur studiert. 20 Jahre lang arbeitete sie im Amt für Film und Medien, jetzt beim Katholischen Familienverband.

    Spiridon Dovas

    geboren 1960 in Messolonghi in Griechenland. Er hat in Florenz Pädagogik studiert, ist Erzieher bei der Sozialgenossenschaft Südtiroler Kinderdorf.

    Sie leben am Ritten, haben zwei erwachsene Söhne. Tochter Dania, das jüngste ihrer Kinder, kam mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt, sie ist am 21. Dezember 2020, mit knapp 18 Jahren verstorben.

    spiridon dovas:

    Der Tod ist etwas Natürliches. Schwierig wird es, wenn die regulären Zeiten missachtet werden, wenn ein junger Mensch stirbt. Oder bei einer gesundheitlichen Situation, wie sie unsere Dania hatte. Man hofft dann doch immer, dass es noch ein Stückchen weitergeht und noch ein Stückchen. Als wir nach Padua fuhren, zu ihrer Herztransplantation, hatten wir nicht Angst. Wir waren voll Vertrauen, dass die Operation gut gehen würde, dass sie endlich das Leben führen könnte, das sie sich so sehr wünschte. Und wenn auch nur mit ihren Freundinnen tanzen zu gehen. Die Realität hat uns dann eingeholt.

    Wir kannten ähnliche Situationen, in denen alles gut gegangen ist. Wir haben bis zuletzt gehofft. Auf ein Wunder. Dass sie aufwacht, dass sie uns ein Zeichen gibt.

    Wir glauben doch, dass wir das Richtige getan haben, die Transplantation zu versuchen. Sonst wären ihre Schmerzen noch schlimmer geworden. In der Zeit vor ihrem Tod waren wir oft im Krankenhaus, ihr Zustand war prekär geworden. Wir waren auf dieser Liste und haben auf ein neues Herz gewartet.

    verena wachter:

    Es ist ganz schnell gegangen. Es war der 4. Dezember, spät am Abend, ich bekam einen Anruf von einer unbekannten Nummer und habe abgenommen, im Glauben, es sei Jannis, der zweite unserer Söhne. Er war nicht zu Hause und hat immer wieder mit unbekannten Nummern angerufen, wenn sein Handy einen leeren Akku hatte, das gab es öfters. Ich habe den Anruf entgegengenommen und gefragt: „Ja, was ist denn?, so beiläufig. Und dann hat eine Stimme auf Italienisch gesagt: „Signora Dovas? Ich bin Chirurg, wir hätten ein Herz für eure Tochter Dania. Es war ein Freitag, Dania war schon im Bett. Was tust du in diesem Moment? Spiridon ist zu ihr ins Zimmer. Sie war aufgeregt und begeistert. Große Aufruhr. Innerhalb einer Stunde haben wir sie hergerichtet, noch die Haare gewaschen, die Tasche gepackt, die Ambulanz gerufen.

    In jener Nacht hat es so unglaublich geschneit, so viel, dass ich unsicher war, ob sie mit der Ambulanz überhaupt fahren können. Um zwölf Uhr nachts haben wir sie dann ab unserer Eingangstür übergeben und Dania ist alleine nach Padua. Wir haben uns gefragt, was wir jetzt tun sollten. Gleich starten? Einige Stunden schlafen? Um acht, so hat es geheißen, stünde das Herz bereit. Sicherheit hat man ja erst, wenn die Ärzte das Spenderherz in der Hand halten und sehen, ob es denn wirklich geeignet ist oder nicht.

    Um acht waren wir unten. Es war die Zeit von Corona, wir waren im Wartezimmer, Dania in einem geschlossenen Raum. Wir haben uns per Whatsapp-Anruf gesehen und geredet. Ich habe versucht, mir die blödesten Witze aus den Fingern zu saugen, um sie aufzumuntern. Wir waren angespannt und nervös. Plötzlich ist das Okay gekommen, dass Dania nun operiert werden kann. Sie wurde auf dem Krankenbett aus dem Zimmer gebracht, von der Ferne durften wir sie sehen. Wegen Corona wusste ich gar nicht mehr, ob ich sie denn umarmen durfte oder nicht.

    Das war der letzte Moment, in dem ich sie gesehen habe. Mein letztes Bild von ihr als Lebende ist, wie ihr auf der einen Seite eine Träne über die Wange rinnt.

    Die Operation hat 16 Stunden gedauert, wir haben kein Auge zugetan. Wir haben draußen gewartet, haben im Hotel gewartet, sind wieder im Gang gesessen. Nach 16 Stunden ist der Arzt aus dem Operationssaal gekommen. Das werde ich nie verstehen, wie er 16 Stunden lang operieren konnte. Er hat uns gleich gesagt, dass die Operation sehr schwierig gewesen sei und viele Transfusionen nötig gewesen seien, sie habe sehr viel Blut verloren. Ihr Herz war mit dem umliegenden Gewebe verklebt, mit der Lunge und der Lungenarterie, wegen der drei Operationen, die sie schon vorher gehabt hatte. Diese Verklebungen zu lösen war schwierig gewesen, viel Zeit war dabei verloren gegangen. Doch die Operation war fertig. Das neue Herz war transplantiert, es musste nur noch schlagen.

    Am nächsten Tag hatte es noch nicht zu schlagen begonnen. Auch nicht am übernächsten. Sie hing an der Herz-Lungen-Maschine, wir saßen im Wartezimmer und hofften. So ging das über Tage. Eine Turnusärztin schaute ab und zu vorbei, nicht der Arzt, der Dania operiert hatte. Sie hatte nie wirklich Informationen für uns. Das war schlimm. Sie sagte nur: „Ich muss euch sagen, dass es um eure Tochter sehr, sehr schlecht steht." Einmal wurde mir dabei dunkel vor den Augen und ich wurde bewusstlos.

    Wir haben immer in dieser Hoffnung gelebt, dass sie es schafft. Wir wollten gar nicht wahrhaben, dass sie es nicht schaffen könnte. Für uns war klar, dass sie es auch dieses Mal schaffen würde. Weil sie bereits drei Operationen am offenen Herzen überstanden hatte. Zwölf Herzkatheter. Sie war ja ständig im Krankenhaus. Sie hat alles so meisterhaft überstanden. Für mich war meine Tochter trotz der Schwere der Situation unbesiegbar. Dania stirbt nicht. Sie ist eine Kämpferin, sie schafft das. Sie ist in der Blüte ihres Lebens, jetzt geht es erst los. Diese Einstellung habe ich ihr vermittelt. Dania war auch immer positiv. Sie ist mit dieser Gabe geboren, stets lächelnd durch das Leben zu gehen.

    Es ist nicht dazu gekommen. Man würde sich denken, dass man Zeit hat, sich darauf vorzubereiten, weil das Kind ja schon krank auf die Welt gekommen ist. Für mich ist das Unsinn.

    Auf den Tod des eigenen Kindes kann man sich nicht vorbereiten. Das geht nicht und ich wollte das auch nicht.

    Habt ihr die Zeit, die ihr hattet, aufgrund ihrer Erkrankung intensiver, bewusster gelebt?

    sd:

    Sie hat manchmal gefragt, warum das gerade ihr passiert ist. Diese Frage stellen sich alle. Wer mit einer solchen Krankheit geboren wird, fühlt sich benachteiligt. Vor allem wenn sie sich mit Freundinnen verglichen hat, die nicht ständig zu Arztterminen mussten, die sich keine Gedanken machten.

    Wir haben von ihrer Krankheit erfahren, als Verena im fünften Monat schwanger war. Die Ärzte haben uns gesagt, dass es nicht leicht werden wird, sie haben auch von Abtreibung gesprochen. Wir haben uns entschieden, sie zu behalten, wir haben zu ihr Ja gesagt. Wir wollten als Familie die Hoffnung nicht aufgeben. Natürlich war es eine Aufgabe mehr. Wer Kinder bekommt, hat Aufgaben. Das müssen keine Krankheiten sein, jeder hat etwas. Das Leben ist ja voll von Herausforderungen. Wir hatten also diese Aufgabe mehr. Wir haben in der Stadt gelebt, mit dem Krankenhaus in der Nähe. Also haben wir es so beschlossen, ganz bewusst, Dania sollte und wollte geboren werden.

    Ich glaube, ich bin überzeugt, ich hoffe, dass wir ihr niemals das Gefühl vermittelt haben, sie wäre eine Last. Wir haben dafür gesorgt, dass sie sich wohlfühlt, wir hatten nicht ständig Angst um sie. Sie konnte normal groß werden. Ja, sie musste Medikamente nehmen und öfters ins Krankenhaus. Aber auch im Krankenhaus konnte sie sehen, dass sie nicht die einzige Patientin war. Dort waren auch andere Kinder, eines älter, eines jünger. Du gewöhnst dich daran. Die Medizin ist eine große Hilfe, sie gibt dir Mittel, um weiterzumachen. Natürlich träumte sie vom Leben. Sie wollte reisen, sie wollte Ernährungswissenschaften studieren, sie wollte mit Nahrung arbeiten und Foodbloggerin werden, weil sie Essen wirklich genießen konnte. Sie war eine Feinschmeckerin. Sie konnte das Leben wirklich genießen. Sie freute sich über die kleinen Dinge des Lebens.

    Sie hat manchmal gefragt,

    warum das gerade ihr passiert ist.

    Diese Frage stellen sich alle.

    Man könnte annehmen, dass sie das Leben genießen wollte, weil sie nicht wusste, wie viel Zeit ihr blieb. Aber nein. Es war nicht so. Es war ihre Natur. Sie war so positiv. Als wir in der Nacht ihre Tasche packten, hat sie ihren Computer mitgenommen, damit sie sich vom Krankenhaus aus in den Unterricht einloggen konnte. Für sie war es eine Hürde, die sie überwinden musste, um weiterzugehen.

    vw:

    Auch sie hat an ein besseres Leben geglaubt.

    sd:

    Man weiß es ja nie. Auch der Arzt hat nach dieser komplizierten Operation gesagt, dass er sie nicht operiert hätte, wenn er gewusst hätte, wie verklebt ihr Herz war.

    vw:

    Der Arzt hat auch gesagt, dass sie sonst noch zwei Jahre zu leben gehabt hätte. Nicht mehr. Sie hatte eine zweite Krankheit entwickelt. Das Eiweißverlustsyndrom. Die Eiweiße werden durch den Darm ausgeschieden, der Körper kann sie nicht behalten. Das war der eigentliche Grund, warum sie auf der Liste ganz oben war, weil es für diese Begleiterkrankung keine Heilmethode gibt.

    sd:

    Diese Begleiterkrankung kommt von der Herzkrankheit, davon, dass das Blut nicht richtig zirkuliert. Wenn uns einer gesagt hätte, dass sie an einem neuen Medikament experimentieren, dass sie dabei wären, eine Heilungschance zu finden, mit der man dieses Eiweißverlustsyndrom heilen könnte, vielleicht hätten wir gesagt, gut, warten wir noch zwei Jahre mit der Herztransplantation. Aber diese Wahl hatten wir nicht. Wenn es die gegeben hätte, hätten wir vielleicht etwas länger überlegt. Wir hätten auch Nein sagen können. Aber sie wollte es machen. Sie war überzeugt, es konnte nur besser werden.

    Habt ihr euch deshalb einen Vorwurf gemacht?

    vw:

    Nein. Wir haben getan, was uns in jenem Moment als das einzig Richtige erschien. Wir haben getan, was uns die Ärzte rieten. Wir sind ja keine Ärzte. Sie hat so sehnsüchtig auf das neue Herz gewartet. Wir haben alle gehofft.

    Wann habt ihr die Hoffnung verloren?

    vw:

    Meine Hoffnung war so groß, und meine Überzeugung, dass sie es schafft, so vollkommen, weil ich an ein Wunder glaubte. Wenn es darauf ankommt, dann trifft der Spruch schon zu: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Zudem ist die Operation in die Weihnachtszeit gefallen, da habe ich Geburtstag, am 23. Dezember, und auch Dania. Am 27. Dezember wäre sie 18 geworden. Es war eben diese Zeit, in der wir aufgrund unserer christlichen Kultur noch offener für Wunder sind. Ich hatte ja schon Geschenke für sie gekauft, sie hatte ihrerseits Geschenke für ihre Freundinnen gekauft. Ich habe viele Dinge als Zeichen gesehen, sehen wollen. Am Abend, an dem wir den Anruf bekommen haben, ist das neue Album von ihrem Lieblingssänger Shawn Mendes erschienen. Wir haben jedes Lied miteinander angehört. Dann war dieser starke Schneefall. Ich habe das alles als gutes Zeichen interpretiert. Ich konnte nicht wahrhaben, dass es so weit kommt, dass sie stirbt.

    Sie ist zwei Wochen auf der Intensivstation gelegen. Wir haben gehofft, gehofft, gehofft. Wir waren immer da. Auch ihre beiden Brüder Alexander und Jannis sind gekommen, wir haben gemeinsam gewartet. Einen Tag nur war Spiridon aus beruflichen Gründen in Bozen. Als er schon auf dem Rückweg nach Padua war, rief mich der Arzt an. Ich war so überzeugt, dass er eine gute Nachricht für mich hätte, dass ich sofort zu ihm bin. Sonst hätte ich gesagt, warten wir noch, bis mein Mann kommt, er müsste bald da sein, dann kommen wir zusammen. Ich gehe also zu ihm, setze mich in sein Büro und er sagt: „Es tut mir so leid, wir können für Ihre Tochter nichts mehr tun. Sie hat ein Multiorganversagen erlitten. Es gibt keine Hoffnung mehr. Ihr müsst jetzt nur entscheiden, ob wir die Medikamente absetzen oder noch ein paar Tage warten, bis sie von alleine aufhört zu atmen." In diesem Moment dachte ich mir, er redet von jemand anderem, das betrifft mich nicht. Nur so konnte ich es aushalten.

    sd:

    Du bist dort, um etwas zu hören, das du nie hören wolltest. Du bist in einer anderen Welt, du glaubst, dass sie von jemand anderem reden, nicht von deiner Tochter.

    vw:

    Der Schmerz ist so groß. Das kannst du nicht verarbeiten.

    sd:

    Der Arzt war kalt. Er hat uns nur die Fakten erklärt. So ist das im Krankenhausbetrieb, es hat halt ihn getroffen, dass er es uns mitteilen musste. Vielleicht war es auch Selbstschutz. Vielleicht, wenn er mitfühlen würde, würde er es selbst nicht mehr aushalten. Er macht das halt professionell, fünf klare Worte, die sagen, was sie sagen müssen. Er redet nicht um den heißen Brei herum. Ich war auch nicht bereit, das zu hören. In diesem Moment war ich außer mir. Vielleicht hätte ich seine Tonlage in einem anderen Moment besser ausgehalten.

    Zudem war das mit Corona. Wir durften nur allein in ihr Zimmer gehen. Ein, zwei Mal haben wir es geschafft, es zu zweit zu betreten, weil wir die Frau am Schalter flehend darum baten. Aber meistens durfte nur eine Person hinein und der Rest hat draußen gewartet. Die Großeltern und die Verwandten aus Griechenland haben am Handy auf unsere Nachrichten gewartet, weil sie ja nicht kommen konnten.

    vw:

    Es war so traurig, auch anstrengend, wenn man nie etwas Positives schreiben konnte.

    Wie habt ihr euch dann entschieden?

    vw:

    Wir wollten den Leidensweg nicht unnötig verlängern und haben uns dazu entschieden, die Medikamente abzusetzen. Am Tag bevor sie gestorben ist, sind wir alle vier zu ihr. Wir haben gebeten, sie in einen separaten Raum zu verlegen, damit wir unter uns sein konnten.

    sd:

    Wir waren dann am Freitagnachmittag und am Samstag den ganzen Tag bei ihr. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon unterwegs. Sie atmete noch, weil sie an die Maschinen angeschlossen war, aber sie war schon ganz gelb im Gesicht. Die Ärzte sagten, sie sei bereits hirntot, sie sei bereits ein anderer Mensch. Wir aber haben noch bis Freitag gehofft. Sie hat noch die Wimpern bewegt, wenn man sie berührte. Wir sagten zu ihr, wenn du uns hörst, gib uns ein Zeichen. Die Ärzte haben gesagt, dass das nur physische Reaktionen seien. Aber wir haben uns an allem festgehalten.

    vw:

    Sie ist die ganzen zwei Wochen mit halboffenen Augen im Bett gelegen, hat immer ins Leere gestarrt. Einmal schien mir, sie hört mich, sie sieht mich. Jetzt kommt sie wieder zurück ins Leben. Ich habe ein Spiel mit ihr gespielt. Ich habe zu ihr gesagt, blinzle, wenn du ja sagen willst. Und mir ist vorgekommen, dass sie bei den Fragen immer richtig geblinzelt hat.

    sd:

    Es war nicht genug, um sie wieder aufzuwecken.

    vw:

    Das neue Herz hat nie geschlagen.

    sd:

    Die Ärzte haben gesagt, das Wichtige sei, dass sie erwacht. Wenn sie das tut, wäre sie die Erste auf der Liste für ein neues Herz. Aber sie war zu schwach.

    vw:

    Sie konnten keine Magnetresonanz machen, aber es ist wahrscheinlich, dass ihr Gehirn eine Weile ohne Sauerstoff war. Vielleicht ist sie deshalb nicht aufgewacht. Vielleicht ist es deshalb – im Nachhinein – gut, dass sie gehen durfte. Wenn wir sie als Pflegefall zurückbekommen hätten, wäre das nicht in ihrem Sinne gewesen. Das ist ein winzig kleiner Trost.

    Sie war ein Geschenk, habt ihr mir einmal gesagt.

    sd:

    Wenn dir das Leben schwere Hürden beschert, wächst du als Mensch. Du gibst nur den wichtigen Dingen Wert. Du regst dich nicht über Kleinigkeiten auf, du weißt, was zählt. Aber du musst es leben, um zu verstehen, wie es sich anfühlt.

    Aber ja, sie hat 18 Jahre gelebt. Sie war ein Geschenk für uns. Sie hatte Pech am Ende, aber vielleicht war das ihr Schicksal, wenn wir daran glauben wollen. Es ist eben so gekommen. Diese Dinge passieren. Leute sterben aus so vielen Gründen. Das Wichtige für mich

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