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Eine sonderbare Stille: Warum der Tod ins Leben gehört
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Eine sonderbare Stille: Warum der Tod ins Leben gehört
eBook199 Seiten2 Stunden

Eine sonderbare Stille: Warum der Tod ins Leben gehört

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Über dieses E-Book

Einst war er fixer Bestandteil des menschlichen Daseins und des gesellschaftlichen Alltags: Heute wird der Tod verdrängt, jeder Gedanke an das unweigerliche Ende so lange wie möglich hinausgeschoben. Während Sterbende der High Tech-Medizin überlassen werden und Trauern keinen Platz findet, diskutiert man auf politischer Ebene über die Suizidbeihilfe. Dazwischen stehen Fragen, die uns alle betreffen: Wie wollen wir uns dem Thema Tod wieder annähern? Wie können wir Alte und Sterbende besser versorgen? Und: Wie wollen wir selbst sterben? In ausführlichen Gesprächen mit Ärzten, Pflegenden und Angehörigen sucht die Autorin nach Antworten und kommt zu dem Schluss: Die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit schärft den Blick auf das Leben.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Feb. 2016
ISBN9783710600289
Eine sonderbare Stille: Warum der Tod ins Leben gehört
Autor

Katharina Schmidt

Katharina Schmidt, geb. 1992, war von 2017 bis 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitarbeiterin im von der DFG geförderten Projekt „Die Medienbiografien der bundesdeutschen Kanzler und der Kanzlerin“. Sie studierte von 2011 bis 2017 Geschichte und Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit Auslandsaufenthalten in Maastricht und Washington D.C. 2023 wurde sie mit einer Arbeit über den Wundermann Ludwig Erhard promoviert. Sie war Stipendiatin der Promotionsförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Zeitgeschichte, politische Geschichte der Bundesrepublik und politische Kommunikation in historischer Perspektive.

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    Buchvorschau

    Eine sonderbare Stille - Katharina Schmidt

    durchzugraben.

    I.„ALS OB NIEMAND STÜRBE" – DIE MODERNE GESELLSCHAFT UND DER TOD

    „War der Tote ein Erwachsener, so schlugen die Leute mit den Totenknochen eines Greises in die Trommel, war es ein Kind, so mit einem Kindertotenknochen. Die Trommeln waren an den Rändern mit schwarzem Flor verhüllt, und an den beiden Schlagseiten stand in schwarzer Farbe PAX. Drei Tage lang wurde im Sterbehaus nicht gekocht. Die Nachbarn schickten den Hinterbliebenen warme Schokolade und kalten Fisch. Die Leichen der armen Leute wurden splitternackt im Kanal versenkt, von wo aus sie ins Meer trieben."¹

    Es gibt wohl kaum einen Autor der europäischen Gegenwartsliteratur, der sich so eindringlich, schonungslos und nachhaltig mit dem Thema Tod und Sterben beschäftigt wie der Kärntner Josef Winkler. In diesem Fall schildert er ein Totenritual in Süditalien, unvergessen sind auch seine beklemmenden Abrechnungen mit seinem Kärntner Elternhaus oder die Schilderung der indischen Bestattungskultur am Ganges. Als reflektierter, moderner Mensch fühlt man sich von dem Beschriebenen schlicht nicht betroffen. Denn der Tod als Teil des Lebens ist heute – zumindest in der westlichen Welt – von eben diesem abgekapselt und weggesperrt. Um ein Beispiel aus der Arbeitswelt zu nennen: Bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Bundesbedienstete oder auch Journalisten bei Tages- und Wochenzeitungen haben Anspruch auf Sonderurlaub, wenn ein naher Angehöriger stirbt. Das ist ein Vorteil gegenüber anderen Berufsgruppen, allerdings wird hier eine zeitliche Abstufung vorgenommen, die geradezu grotesk anmutet: Wenn Ehegatten oder Kinder, die im gemeinsamen Haushalt leben, sterben, darf man drei Tage zu Hause bleiben, bei Eltern zwei Tage, sind die Kinder schon erwachsen und leben nicht im gemeinsamen Haushalt, so muss man nach einem Tag wieder im Büro erscheinen – nach Möglichkeit voll funktionsfähig. Natürlich ist dieses Beispiel keinesfalls repräsentativ für den Umgang der Gesellschaft oder auch nur der Dienstgeber mit dem Tod, aber es zeigt ungewollt doch deutlich, wie meilenweit wir heute von einer Kultur des Abschiednehmens entfernt sind. Wie sollen die tote Oma oder der Schwiegervater drei Tage zu Hause aufgebahrt² werden, wenn ich laut Kollektivvertrag nur einen Tag zu Hause bleiben darf? Tagsüber müssen wir funktionieren, doch was ist, wenn es um uns herum still wird?

    Die Verdrängung des Todes

    Es ist eine paradoxe Angelegenheit: Auf der einen Seite nimmt die Zahl der Toten, deren Bilder ganz selbstverständlich jeden Tag über die Fernsehbildschirme flimmern, kontinuierlich zu. Rasend schnell verbreiten sich über soziale Medien wie Twitter und Facebook Fotos von Toten wie zum Beispiel jenes des im September 2015 an der türkischen Küste angespülten Flüchtlingskindes Aylan Kurdi. Früher wie heute wurde in den Redaktionen der Zeitungen und Fernsehstationen intensiv darüber diskutiert, ob und wenn ja man in welchem Zusammenhang solche Bilder abdrucken oder ausstrahlen darf. Muss den Lesern und Zuschauern der Tod so drastisch nahegebracht werden? Ist es notwendig, dass Bilder wie dieses, das sich bald als Symbolbild für das Versagen Europas in der Flüchtlingskrise durchgesetzt hat, von den Medien gezeigt und erklärt werden, um Politik und Bevölkerung aufzurütteln? Überlegungen wie diese waren vielleicht vor Jahren sinnvoll, als die Medien eine Art Filterfunktion der Nachrichtenflut wahrnahmen. Doch durch die sozialen Medien hat eine Demokratisierung der Nachrichtenströme stattgefunden: Jeder entscheidet selbst, was er konsumiert, weiterleitet und mit seinen Freunden teilt. Wenn also eine Redaktion beschließt, keine Fotos von Kriegsopfern und auf der Flucht Verstorbenen zu zeigen, dann dient das heute vor allem der Verdeutlichung der Linie des jeweiligen Mediums, kann aber nicht mehr darüber bestimmen, ob diese Bilder tatsächlich an die Öffentlichkeit gelangen. Wenn wir also nicht gerade – neue und alte – Medien verweigern, so sind wir einer kontinuierlichen Flut von Bildern ausgesetzt, die Tod, Gewalt und Trauer zeigen. Der Tod ist fixer Bestandteil unseres medialen Wahrnehmungsalltags.

    Trotzdem sind wir nicht dazu in der Lage, ihn als fixen Bestandteil unseres Lebensalltags zu akzeptieren und zu integrieren: Während wir uns einerseits inzwischen an die Massen von Leichen in unseren Wohnzimmern gewöhnt haben, erscheint uns gleichzeitig unsere eigene Sterblichkeit und die unserer nahen Verwandten so fremd und surreal wie wohl noch nie in der Menschheitsgeschichte. Ein ungeschriebenes Gesetz des gesellschaftlichen Miteinanders verbietet es uns, den Tod zu erwähnen – am besten denken wir noch nicht einmal daran, sonst werden wir ob unserer vermeintlich düsteren Gedanken kritisch von unseren Mitmenschen beäugt. In der Literatur finden sich ganz unterschiedliche Erklärungsansätze für diese Tabuisierung, die in den vergangenen Jahren nur durch die in unterschiedlichen Intensitäten wiederkehrende Debatte über Sterbehilfe oder allenfalls noch durch die kollektive Trauer am Tag eines Staatsbegräbnisses unterbrochen worden ist. So sieht der niederösterreichische Gemeindearzt und Autor Günther Loewit die generelle „Lebenssucht der Gesellschaft als Ursache für deren Weigerung, den Tod als gegeben anzunehmen. „In der Spaß- und Lustgesellschaft unserer Tage werden negative Emotionen in der Öffentlichkeit weder gerne gesehen noch gehört³, schreibt Loewit – und dadurch sterbe es sich eben auch schwerer. In einer Welt, in der negative Emotionen keinen Platz haben, ist es kaum verwunderlich, dass die Trauer – sozusagen als die Mutter der negativen Gefühle – kaum eine Rolle spielt.

    Zu einem ähnlichen Ergebnis wie Loewit kommt der Theologe Hans Küng, der schon vor mehr als 20 Jahren vor der „Erlebnisgesellschaft" warnte, die Sterben und Tod als Störfaktoren eben dieser Erlebnisse verdrängen würde. Erst wenn das Sterben selbst zum Erlebnis würde, könne man es auch wahrnehmen, meint Küng⁴ – und schielt ironisch auf die damals wie heute populären Schilderungen von Nahtoderlebnissen, mit denen es immerhin gelegentlich gelingt, eine schaurig-schöne Todesfaszination auszulösen. Diese geht dann freilich nicht über ein kurzes Strohfeuer hinaus.

    Weniger kulturpessimistisch spricht der US-amerikanische Meditationslehrer Stephen Levine davon, dass wir uns vorstellen, der Tod sei eine Katastrophe oder etwas Widerwärtiges. Er sieht also eine Art Ekel vor dem Tod und meint gleichzeitig, dass wir uns schuldig fühlen, weil wir sterben müssen, und daher nur hinter vorgehaltener Hand über das Thema sprechen.⁵ Aber sprechen wir denn überhaupt hinter vorgehaltener Hand darüber? Wäre das nicht schon ein Fortschritt gegenüber der aktuellen Situation? Denn über den Tod zu sprechen hieße ja, sich darauf einzulassen und damit auseinandersetzen zu müssen, und das gelingt oft nicht einmal den Menschen, die täglich damit konfrontiert sind. So sind Ärzte im Angesicht des Todes oft genauso sprachlos wie die Angehörigen oder die Patienten selbst. Denn auch oder gerade die Menschen, die selbst das Ende kommen sehen, haben oft Schwierigkeiten, sich anderen zu öffnen.

    Dass das nicht immer so war, zeigt der 1984 verstorbene französische Historiker Philippe Ariès in seinem Standardwerk zur Geschichte des Todes.⁶ Zu Beginn des 20. Jahrhunderts „[…] veränderte im gesamten Abendland […] der Tod eines einzelnen Menschen auf feierliche Weise den Raum und die Zeit einer sozialen Gruppe, die eine ganze Gemeinde umfassen konnte […].⁷ Wie man es aus alten Filmen kennt, rief der Mensch, der sein Ende nahen spürte, Freunde, Verwandte, Nachbarn zu sich. Letzte Aufgaben wurden verteilt, letzte Streitigkeiten beigelegt, vielleicht auch letzte Freundlichkeiten und Liebesbekundungen ausgetauscht. Dann starb der Moribunde, versehen mit dem Sakrament der Letzten Ölung, einen Tod, den man heute würdevoll nennen würde – und das trotz sicherlich schlechterer medizinischer Versorgung. Der Tod eines Einzelnen führte dazu, dass die gesamte (Dorf-)Gemeinschaft innehielt, es gab einen Trauerzug und Kondolenzbesuche, auch nach der intensiven Trauerzeit war es ganz normal und gesellschaftlich akzeptiert, dass zum Beispiel Witwen Trauer trugen. „[D]er Tod ist stets etwas Soziales und Öffentliches gewesen […], schreibt Ariès – doch im Laufe des 20. Jahrhunderts habe die Gesellschaft den Tod „ausgebürgert: Man lege „keine Pause mehr ein […]. Das Leben in der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe.⁸ Einzig das Totenmahl – der Leichenschmaus – nach der Beerdigung ist von den alten Traditionen übrig geblieben.

    Aber wie kam es dazu und warum? Am Anfang war die Lüge, meint Ariès. Bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts habe sich die Einstellung zur Aufklärung des Sterbenden über seine Situation radikal geändert – die Angehörigen hinderten die Ärzte daran, sogar der Priester wurde oft erst nach dem Tod gerufen, um den Sterbenden nicht zu ängstigen. Um dieser Unart entgegenzuwirken, hat die Kirche reagiert und die Letzte Ölung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Krankensalbung umbenannt.⁹ Neben der Lüge – beziehungsweise dem meist unzulänglichen Versuch, dem Erkrankten sein nahes Ende zu verheimlichen – sieht Ariès noch zwei weitere Entwicklungen, die seiner Ansicht nach zur Verdrängung des Todes beigetragen haben: Die Tatsache, dass der Tod plötzlich schmutzig und ungehörig wird.¹⁰ Er zeichnet diese Entwicklung anhand eines literarischen Werks nach, das wie kaum ein anderes die Verdrängung des Sterbens im 20. Jahrhundert verdeutlicht: Leo Tolstois „Der Tod des Iwan Iljitsch. Nachdem Iljitsch sein Zustand – freilich ohne den gewünschten Erfolg – verheimlicht worden war, schrie er drei Tage lang. Wurde der Tod noch im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit als Erlösung von den irdischen Unbilden wahrgenommen und war daher auch durchaus positiv besetzt, steht nun das Negative, das Abstoßende im Vordergrund. Ebenfalls schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sieht Ariès den Trend zur Auslagerung der Kranken und Sterbenden aus dem häuslichen Umfeld in eine eigene Einrichtung angelegt: eine der wohl einschneidensten Veränderungen der Sterbekultur des Abendlandes. Mit der Individualisierung der Gesellschaft und dem damit einhergehenden Fokus auf Aspekte wie die persönliche Hygiene und den Komfort seien die Menschen empfindlicher geworden, meint der Historiker. Dies, gepaart mit einem zunehmenden Desinteresse des sozialen Umfelds, habe dazu geführt, dass die „[…] physiologischen Begleiterscheinungen des menschlichen Lebens […] aus der Alltagswirklichkeit ausgebürgert […]¹¹ wurden – nämlich ins Spital, wo der arme Todgeweihte dann möglichst still und leise und, wie wir noch sehen werden, in vielen Fällen auch unter Vermeidung ärztlichen Zuspruchs verstirbt. Ebenso wie der Tod selbst in der medikalisierten Welt als Krankheit wahrgenommen wird, gilt auch die Trauer als Krankheit oder als Charakterschwäche. Weil aber die traditionellen Trauerbräuche verfallen und der Einzelne in seiner Trauer alleine gelassen wird, „[…] wird der Hinterbliebene zwischen dem Gewicht seines Schmerzes und dem des gesellschaftlichen Tabus zermalmt"¹², erläutert Ariès.

    Zu Beginn des 20. Jahrhunderts – in bäuerlichen Gegenden auch noch zur Jahrhundertmitte, wie man bei Josef Winkler nachlesen kann – wuchs ein Kind also noch ganz selbstverständlich mit der Sterblichkeit seiner näheren Umgebung auf. Damit war auch der Umgang mit Trauernden Teil der überlieferten Kultur. Heute besteht hier ein Defizit, das jeder schon einmal am eigenen Leib gespürt hat: Es gibt kaum eine unangenehmere Aufgabe im sozialen Zusammenspiel, als jemandem zum Tod eines nahen Angehörigen oder Freundes zu kondolieren und dabei weder mitleidig noch unernst zu wirken und bestenfalls noch echtes Mitgefühl zu vermitteln. Diesem modernen Problem begegnet das größte Bestattungsunternehmen der österreichischen Hauptstadt, die Bestattung Wien, mit einer geradezu grotesk wirkenden Maßnahme: Gemeinsam mit dem bekannten Benimmspezialisten Thomas Schäfer-Elmayer hat man eine Broschüre über „Das richtige Verhalten bei einem Trauerfall"¹³ herausgegeben. Darin finden sich unter anderem Tipps zur richtigen Kleiderwahl für ein Begräbnis, Vorlagen für Kondolenzbriefe und Informationen über das richtige Verhalten auf Friedhöfen. Immerhin: In Österreich ist es noch erwünscht, zu kondolieren, aber sogar das ist laut Ariès in vielen Ländern nicht mehr der Normalfall.¹⁴

    „Sie werden sterben" – der Tod als Angstgegner der Medizin

    Nur weil wir den Tod verdrängen, bedeutet das freilich nicht, dass wir ihm nicht alle irgendwann ins Auge sehen müssen. Seit Beginn des Jahrtausends sterben in Österreich jedes Jahr zwischen etwa 74.000 und 79.000 Menschen, etwas mehr als die Hälfte von ihnen im Krankenhaus,¹⁵ also unter ärztlicher Überwachung. Man sollte folglich meinen, dass die Ärzte an den Sterbeprozess und den Tod gewöhnt sind. Weit gefehlt: Die Mediziner nehmen sich selbst in erster Linie in ihrer Rolle als Heiler wahr. Dass sie irgendwann aufgeben und akzeptieren müssen, dass sie nichts mehr für einen Patienten tun können, fällt ihnen schwer. Karl Bitschnau¹⁶, Vizepräsident des Dachverbands Hospiz Österreich, schildert etwa eine Begegnung mit einer Hausärztin, die sich nicht getraut hat, ihren Patienten eine Hospiz-Broschüre in die Hand zu drücken, weil das für sie einem Todesurteil gleichkam. „Ich habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass das nichts damit zu tun hat, was in diesem Folder steht, sondern mit der Einstellung derer, die den Folder übergeben", sagt Bitschnau.

    Die von Ariès erwähnte zunehmende Medikalisierung macht scheinbar immer mehr möglich – fast sieht es so aus, als könne man mit Medikamenten, Infusionen, Operationen und Transplantationen den Tod aufhalten. Mittlerweile lassen sich ja bereits Organe komfortabel im 3-D-Drucker nachbauen. Die Kulturhistorikerin Anna Bergmann spricht in diesem Zusammenhang davon, dass „[…] die moderne Medizin zunehmend auf eine fundamentale Modifikation der Gesetze des Lebens abzielt […]"¹⁷. Dass die Gesetze des Lebens aber eben nicht komplett zu modifizieren sind – sprich, dass jeder einmal sterben muss und dass auch noch so große Fortschritte in der Forschung auf absehbare Zeit daran nichts ändern werden – trifft die Mediziner in ihrem Innersten. Schließlich geht es hier um das identitätsstiftende Selbstverständnis einer ganzen Berufsgruppe.

    Der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio, der derzeit im Schweizerischen Lausanne lehrt, hat den Begriff vom Tod als „narzisstische Kränkung" des Arztes, als dessen ultimatives Versagen geprägt.¹⁸ Wohlgemerkt: Es geht hier rein um die Wahrnehmung der Ärzte selbst und nicht um die Fremdwahrnehmung durch Patienten oder Angehörige. Ein Grund für diese Selbstwahrnehmung ist ein Mangel in der Ausbildung. Zwar gibt es mittlerweile im Medizinstudium Kommunikationsseminare und Kurse zum Umgang mit Sterbenden. Gemessen an seiner Bedeutung spielt das Sterben in der Ausbildung der Mediziner aber nur eine untergeordnete Rolle. Auch existiert in Österreich immer noch keine Facharztausbildung in Palliativmedizin. Natürlich kommt es nicht selten vor, dass die Angehörigen die Ärzte noch um eine weitere Therapie

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