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Der liebestolle Beagle und die 45 Nachthemden: und andere haarsträubende Fälle aus meiner Tierverhaltenspraxis
Der liebestolle Beagle und die 45 Nachthemden: und andere haarsträubende Fälle aus meiner Tierverhaltenspraxis
Der liebestolle Beagle und die 45 Nachthemden: und andere haarsträubende Fälle aus meiner Tierverhaltenspraxis
eBook240 Seiten2 Stunden

Der liebestolle Beagle und die 45 Nachthemden: und andere haarsträubende Fälle aus meiner Tierverhaltenspraxis

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Über dieses E-Book

Frau Doktor, Sie sind unsere letzte Rettung! Wir haben schon alles versucht!" Diese Sätze kennt Ulrike Werner nur zu gut. Die Berliner Tierärztin hat sich auf Verhaltensmedizin und Tierverhaltenstherapie spezialisiert. Ihre Praxisräume sind immer dort, wo sie gebraucht wird: vor Ort. Wenn Hundebesitzer nicht mehr weiter wissen oder Haustierärzte um Hilfe bitten, kommt Ulrike Werner vorbei und findet dabei das eigentliche Problem: Weshalb nur wird der süße Welpe Knut in der Großstadt zum beißwütigen Bello? Warum will die Schäferhündin Blanca bei Sturm aus dem Fenster springen? Und weshalb knabbert Karlchen alles an und zerlegt die ganze Wohnung? 26 faszinierende Geschichten von Hundebesitzern und ihren "Sorgenkindern" und wie sie mit der fachkundigen Hilfe von Dr. Werner wieder zueinanderfinden.
SpracheDeutsch
Herausgebermvg Verlag
Erscheinungsdatum14. Feb. 2014
ISBN9783864156434
Der liebestolle Beagle und die 45 Nachthemden: und andere haarsträubende Fälle aus meiner Tierverhaltenspraxis

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    Buchvorschau

    Der liebestolle Beagle und die 45 Nachthemden - Dr. med. vet. Ulrike Werner

    Vorwort

    Ein Vor­wort? Le­sen Sie gern Vor­wor­te? Mich lang­wei­len sie zu­meist. Also fas­se ich mich kurz, denn ich habe et­was mit Ih­nen vor.

    Hier­mit, lie­ber Le­ser, lie­be Le­se­rin, lade ich Sie herz­lich ein, mich in mei­nem Pra­xis­au­to zu 24 Haus­be­su­chen zu be­glei­ten.

    Sie wol­len wis­sen, mit wem Sie auf die Rei­se ge­hen? Mein Name ist Ul­ri­ke Wer­ner, ge­bo­re­ne Gie­ser. Als Tier­ärz­tin füh­re ich mit gro­ßer Lei­den­schaft eine mo­bi­le Pra­xis für Ver­hal­tens­me­di­zin und Ver­hal­tens­the­ra­pie in Ber­lin und Bran­den­burg. Ja, Sie ha­ben rich­tig ge­le­sen: Psy­cho­the­ra­pie für Vier­bei­ner un­ter deut­schen Dä­chern. Bis­wei­len wer­den Sie auch mei­nen drei Hun­den Vi­tus, Jarda und Mo­ses be­geg­nen, mei­nen Hel­fern auf vier Pfo­ten.

    Ich wäre ir­gend­wann ge­platzt, wenn ich die­ses Buch nicht ge­schrie­ben hät­te. Denn das, was ich tag­täg­lich er­le­be, ist un­ter­halt­sam, ko­misch, ver­rückt, tra­gisch, ab­son­der­lich, manch­mal trau­rig oder skur­ril, oft kaum zu glau­ben – und nie lang­wei­lig!

    Nein, dies ist kei­nes der üb­li­chen Hun­de­er­zie­hungs­bü­cher. Es rich­tet sich nicht aus­schließ­lich an Hun­de­hal­ter und Hun­de­lieb­ha­ber. Es ist auch ge­schrie­ben für Nicht-Hun­de­hal­ter, Hun­de­has­ser und für Men­schen, de­nen Hun­de re­la­tiv egal sind, die aber er­fah­ren möch­ten, was Men­schen so al­les mit ih­ren Haus­tie­ren an­stel­len.

    Oft er­le­be ich Hun­de, die mehr für »ih­ren« Men­schen sein sol­len als nur ein fröh­li­cher, gu­ter, vier­bei­ni­ger Freund und Be­glei­ter; die als Pro­jek­ti­ons­flä­che für un­ge­still­te Sehn­süch­te die­nen und da­her viel zu viel tra­gen und er­tra­gen müs­sen.

    Be­glei­ten Sie mich also zu den Zwei­bei­nern und ih­ren vier­bei­ni­gen Hal­tern – sor­ry, ich mein­te na­tür­lich, zu den Vier­bei­nern und ih­ren zwei­bei­ni­gen Hal­tern.

    Und nun bit­te ein­stei­gen! Vi­tus, Jarda und Mo­ses sind schon an Bord.

    Ul­ri­ke Wer­ner,

    im Winter 2014

    Tatze.tif

    Karl­chen, ein ­grö­ßen­wahn­sin­ni­ger Zwerg

    Ein Kol­le­ge aus Ber­lin-Wilm­ers­dorf rief mich ei­nes Mor­gens an. Es ging um ei­nen sei­ner Pa­ti­en­ten, der drin­gend mei­ne Hil­fe brauch­te. Die Be­hand­lungs­mög­lich­kei­ten in sei­ner Pra­xis sei­en im Fall von Karl­chen, dem Yorks­hire-Ter­ri­er-Zwerg­da­ckel-Mix von Hans P., aus­ge­schöpft. Viel­leicht käme ich da wei­ter, mit ei­nem Haus­be­such und mei­nem ver­hal­tens­the­ra­peu­ti­schen An­satz.

    Er be­rich­te­te mir, dass Hans P., ein freund­li­cher, ziem­lich über­ge­wich­ti­ger äl­te­rer Herr, be­reits seit Jah­ren mit sei­nem Hund in die Pra­xis kom­me. Au­ßer re­gel­mä­ßi­gen Zahn­sa­nie­run­gen in Nar­ko­se habe es bis­lang kei­ne nen­nens­wer­ten Prob­le­me ge­ge­ben. Karl­chen stam­me aus dem Tier­heim, Hans P. habe ihn nach dem Tod sei­ner Frau zu sich ge­holt. Ei­gent­lich habe der Hund ein freund­li­ches We­sen, aber Hans P. be­kla­ge sich in letz­ter Zeit im­mer öf­ter da­rü­ber, dass Karl­chen in der Woh­nung ran­da­lie­re, selbst wenn er ihn dort nur kurz al­lei­ne lie­ße.

    Mit sei­nen zar­ten sechs Ki­lo­gramm Kör­per­mas­se habe es die­ser Zwerg ge­schafft, zwei So­fas und eine Mat­rat­ze aus­ei­nan­der­zu­neh­men, Vor­hän­ge he­run­ter­zu­rei­ßen, Tep­pi­che an­zu­knab­bern so­wie eine alte Ak­ten­ta­sche und di­ver­se Kabel zu zer­bei­ßen. Ach ja, und er habe im­mer wie­der schlei­mi­gen Dick­darm­durch­fall, der ein­fach nicht in den Griff zu be­kom­men sei. Wohl ein Fall für den See­len­klemp­ner, wie mich mein Kol­le­ge gern scherz­haft nennt. Hans P. wür­de sich bei mir mel­den.

    Tags da­rauf rief die­ser an. Ich sei sei­ne letz­te Ret­tung. Na­tür­lich, das bin ich im­mer. Er schil­der­te mir die Zer­stö­rungs­wut sei­nes Hun­des, und al­les hör­te sich noch deut­lich schlim­mer an als von mei­nem Kol­le­gen be­schrie­ben. Wir ver­ein­bar­ten ei­nen Ter­min für die da­rauf­fol­gen­de Wo­che. Den ver­hal­tens­the­ra­peu­ti­schen Fra­ge­bo­gen konn­te er nicht von mei­ner Home­pa­ge he­run­ter­la­den, denn er hat­te kein In­ter­net – so et­was Neu­mo­di­sches käme ihm nicht ins Haus!

    Kein Pro­blem. Für sol­che Fäl­le gab es im­mer noch die Post.

    Ich be­rei­te­te mich gründ­lich vor. Die Ver­dachts­di­ag­no­se lau­te­te: »Se­pa­ra­ti­ons­pho­bie; Typ: Zer­stö­ren«, also Tren­nung­sangst. Mal se­hen, was die Vor-Ort-Anam­ne­se ans Licht brin­gen wür­de.

    Hans P. brauch­te viel Zeit, ehe er mir die Tür öff­ne­te. Ge­schätz­te 140 Ki­lo­gramm be­we­gen sich lang­sam. Karl­chen hin­ge­gen war sehr schnell. Ver­dammt schnell: Er zwäng­te sich durch die Tür, stell­te sich vor mich hin, grumm­elte ein­mal kurz, hob das Bein, pin­kel­te mich an, scharr­te wild mit den Hin­ter­bein­chen auf dem Tep­pich im Flur, wetz­te zu­rück, hol­te ei­nen gro­ßen Kunst­stoff­kno­chen, der etwa drei­mal so groß wie er selbst zu sein schien, und prä­sen­tier­te sei­ne Beu­te.

    Was für ein Kerl, dach­te ich! Wow! Ein grö­ßen­wahn­sin­niger Zwerg! Hans P. hat­te das Harnmar­kie­ren sei­nes schnel­len Hünd­chens an mei­nem Ho­sen­bein nicht be­merkt, lä­chel­te mich an und sag­te: »Er freut sich im­mer so über Be­such!« Wir setz­ten uns ins Wohn­zim­mer und be­gan­nen mit der Anam­ne­se.

    Sei­ne Woh­nung bot ein Bild der Zer­stö­rung. Kaum ein Mö­bel­stück, das nicht an­ge­knab­bert oder an­ders­wie be­schä­digt war: die Sitz­ge­le­gen­hei­ten, alle Stuhl- und Tisch­bei­ne, die Vor­hän­ge, die Bett­de­cken bis hin zu den Tisch­de­cken. Aber Hans P. war des­halb nicht böse auf Karl­chen. Er war eher be­sorgt um sei­nen klei­nen Prin­zen. Was hat­te er bloß, der Klei­ne?

    Für die Anam­ne­se hat­te ich zwei­ein­halb Stun­den ein­ge­plant. Sie ver­lie­fen je­doch völ­lig an­ders als er­war­tet. Karl­chen kratz­te an der Ter­ras­sen­tür. So­fort be­weg­te sich Hans P. dort­hin und ließ Karl­chen hi­naus in den Gar­ten. Nur we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter flitzte Karl­chen zu­rück in die Kü­che und schnapp­te sich sei­nen Blech­fut­ter­napf. Hans P. mar­schier­te hin­ter­her und füll­te den Napf mit Fleisch­wurst.

    Kaum war das Fres­sen er­le­digt, be­gab sich Karl­chen zum an­ge­knab­ber­ten Sofa und bell­te auf­for­dernd. Wo­rauf sich Hans P. aus dem Ses­sel er­hob, zum Sofa hi­nü­ber­ging und dort den Klei­nen aufs So­fa­kis­sen hob. Dort thron­te Karl­chen dann – für die nächs­ten 15 Mi­nu­ten. Dann sprang er wie­der he­run­ter, hol­te sei­nen Stoff­ha­sen und ver­such­te, ihn Hans P. auf den Schoß zu le­gen. Die­ser mach­te be­reit­wil­lig mit.

    Als Karl­chen kurz da­rauf kei­ne Lust mehr zum Spie­len hat­te, schnapp­te er mal kurz nach Hans P. – und trug dann sei­nen Stoff­ha­sen zu­rück ins Körb­chen. Was wür­de Karl­chen wohl als Nächs­tes ein­fal­len? Nun be­gann er wie­der an der Ter­ras­sen­tür zu krat­zen, und das Spiel ging von vor­ne los. Hans P. öff­ne­te ihm die Tür, ging dann in Rich­tung Kü­che, um sich ein Glas Was­ser zu ho­len. Doch Karl­chen fand den Gar­ten nun nicht mehr so in­te­res­sant. Lie­ber lief er sei­nem Herr­chen un­ent­wegt vor den Fü­ßen hin und her, so­dass die­ser dau­ernd aus­wei­chen muss­te.

    In­zwi­schen war etwa eine Stun­de ver­gan­gen. Um Punkt 13 Uhr lief Karl­chen zur Woh­nungs­tür. Hans P. stand auf und zog sei­ne Ja­cke an: »Ent­schul­di­gung, dass wir un­ter­bre­chen müs­sen, aber jetzt ist Karl­chens Zeit. Ge­nau um 13 Uhr muss er kurz raus. Wir sind aber in zehn Mi­nu­ten wie­der da.«

    Da saß ich nun al­lein in die­ser Woh­nung und muss­te un­will­kür­lich schmun­zeln. Karl­chen, ein Bon­sai-Ter­mina­tor! Tren­nung­sangst hat­te die­ses klei­ne Schätz­chen nun wirk­lich nicht, aber da­für ei­nen mas­si­ven Kon­troll-Kom­plex-Zwang. Bei so et­was wür­de ich auch stress­be­ding­ten Dick­darm­durch­fall be­kom­men!

    Hans P. kam schwit­zend zu­rück, ent­schul­dig­te sich noch­mals für die Un­ter­bre­chung und setz­te den Klei­nen wie­der aufs So­fa­kis­sen. »Was kann ich denn nur mit mei­nem Karl­chen ma­chen? Ich bin et­was rat­los, wie …« Er un­ter­brach sich, als das Te­le­fon zu klin­geln be­gann.

    »Oh, jetzt wird es schwie­rig!«, mein­te er und be­weg­te sich eher zö­ger­lich auf das Te­le­fon zu, das auf sei­nem Schreib­tisch stand. Has­tig zog er dort sei­ne Pan­tof­feln aus und schlüpf­te schnell in Holz­pan­ti­nen, die dort schon be­reit stan­den. Zeit­gleich sprang Karl­chen vom So­fa­kis­sen hi­nun­ter und ver­such­te wü­tend, von vorn in die Holz­schu­he zu bei­ßen. Er tob­te re­gel­recht. Ich war be­ein­druckt.

    Hans P. be­grüß­te sei­ne Schwes­ter am an­de­ren Ap­pa­rat. Als er nach ei­nem kur­zen Ge­spräch den Hö­rer wie­der auf­leg­te, war Karl­chens Wut­aus­bruch au­gen­blick­lich vor­bei. Der Hund schüt­tel­te sich und »be­glei­te­te« Hans P., der nun wie­der sei­ne Pan­tof­feln trug, zum Tisch ­zu­rück.

    Die­ser Haus­be­such hat­te so viel Un­ter­hal­tungs­wert, dass ich rich­tig Spaß be­kam, ihn voll aus­zu­kos­ten. Ich schick­te Hans P. nach drau­ßen, ohne Karl­chen.

    »Nun tun Sie mal kurz so, als ob Sie ein­kau­fen ge­hen woll­ten. Blei­ben Sie drau­ßen in Sicht­wei­te. Und ich sehe mir hier drin­nen an, was der Hund in Ih­rer Ab­we­sen­heit so al­les an­stellt.«

    Hans P. war we­nig be­geis­tert von mei­nem Plan. Es fiel ihm schwer, Karl­chen al­lein zu las­sen.

    Ich ver­such­te, die an­ge­spann­te Si­tu­a­ti­on ein we­nig zu ent­schär­fen: »Wenn Sie jetzt nicht ge­hen, habe ich ja gar kei­ne Ge­le­gen­heit, Ihre Kre­dit­kar­ten und Ähn­li­ches zu klau­en!«

    Da­mit hat­te ich ihn; er lach­te und zog nun doch da­von.

    Mit ei­nem lau­ten ›Klack‹ fiel die Woh­nungs­tür ins Schloss. Hans P. be­fand sich nicht mehr in Karl­chens Kon­troll­be­reich und es trat ein, was ich ge­ahnt hat­te: Karl­chen tob­te. Er knurr­te, sprang an die Woh­nungs­tür, biss in die Fuß­leis­ten, rann­te knur­rend zum Fens­ter, sprang auf die So­fa­leh­ne, biss ins Kis­sen, sprang wie­der hi­nun­ter. Er rann­te in die Kü­che, schlepp­te den Fut­ter­napf durch den Flur, knurr­te den Napf an, riss die Ta­ges­de­cke vom Bett, knurr­te den Klei­der­schrank an und biss zu ­gu­ter Letzt in die hol­län­di­schen Pan­ti­nen.

    Ich ging zum Fens­ter und rief Hans P. zu, doch wie­der in die Woh­nung zu kom­men. Ich such­te nach Wor­ten und be­gann zu er­klä­ren, was mir auf­ge­fal­len war. Es wür­de schwie­rig wer­den für Hans P., das war mir klar. Ich be­gann da­mit, dass ich ihm ge­nau be­schrieb, wie ich sei­nen Hund er­lebt hat­te.

    »Also, ganz ein­deu­tig: Karl­chen hat­te kei­ne Angst, al­lei­ne zu blei­ben. Ein Hund, der gro­ße Angst hat, wür­de he­cheln, hät­te ver­grö­ßer­te Pu­pil­len, wür­de stark zit­tern und sei­ne Rute ein­klem­men. Win­seln oder Wei­nen wäre auch ty­pisch für solch eine Angst­symptomatik. Aber ich habe nichts der­glei­chen bei Karl­chen fest­stel­len kön­nen. Was ich ge­se­hen habe, war: Wut! Wut! Wut! »Wü­tend sein« ist auch ein Symp­tom, aber für ein ganz an­de­res Pro­blem!«

    Hans P. hör­te er­staunt zu.

    Ich ver­such­te ihm den Un­ter­schied zwi­schen ei­ner be­hand­lungs­be­dürf­ti­gen Se­pa­ra­ti­ons­pho­bie, also ei­ner krank­haf­ten Tren­nung­s­angst, und ei­nem Kon­troll-Kom­plex-Ver­hal­ten zu er­klä­ren.

    Bei Tren­nung­sangst gibt es un­ter­schied­li­che Ty­pen. Es gibt Hun­de, die bel­len und heu­len, an­de­re zer­stö­ren; wie­der an­de­re set­zen un­kont­rol­liert Harn und Kot in der Woh­nung ab. Und im­mer ist Angst bis hin zur To­des­angst die Ur­sa­che für ein sol­ches Ver­hal­ten. Die be­trof­fe­nen Hun­de wol­len die Nähe zu ih­ren Be­zugs­per­so­nen wie­der her­stel­len, in­dem sie de­ren Schu­he an­na­gen, ihre Bril­len­­­e­tuis zer­stö­ren, Fern­be­die­nun­gen oder Han­dys an­knab­bern. Al­les Din­ge, die ihre Be­sit­zer oft in die Hand ­neh­men.

    Und wo lie­gen die Ur­sa­chen für die­se Ängs­te? Der Hund als hoch­so­zi­a­les Ru­del­tier ist nicht da­für ge­macht, al­lei­ne ge­las­sen zu wer­den. So wie wir ihn hal­ten, muss er das aber ler­nen. Das muss ihm vom Wel­pen­al­ter an be­hut­sam bei­ge­bracht wer­den.

    An­ders liegt der Fall bei ei­nem Hund mit Kon­troll-Kom­plex-Zwang. Er zer­stört auch, aber ein­fach nur, weil er wü­tend da­rü­ber ist, dass sich sein Be­sit­zer aus sei­nem Kont­roll­be­reich ent­fernt. Solch ein Hund zeigt kei­ner­lei Angst­symptomatik.

    Er ist ein­fach bloß au­ßer sich und tobt – so wie Karl­chen. Und das sind nur die Symp­to­me!

    Die ei­gent­li­che Ur­sa­che ist, dass Karl­chen den gan­zen Tag ›agiert‹ und Hans P. auf sein Hünd­chen ›re­a­giert‹. Im­mer muss Karl­chen sa­gen, was als Nächs­tes zu tun ist. Und dann ge­horcht Hans P. Er ori­en­tiert sich an Karl­chen, nicht um­ge­kehrt. Durch die­ses Ver­hal­ten wer­den dem klei­nen Kerl eine gan­ze Men­ge Jobs auf­ge­tra­gen. Er muss das Le­ben ei­nes ge­stan­de­nen Man­nes or­ga­ni­sie­ren – und ist da­mit na­tür­lich völ­lig über­for­dert. Das führt dann auch zu dem chro­ni­schen stress­be­ding­ten Dick­darm­durch­fall.

    Und wie war das mit den Beiß­an­grif­fen auf die Füße sei­nes Be­sit­zers? Beim Te­le­fo­nie­ren war al­les an­ders. Wenn Hans P. etwa mit sei­ner Schwes­ter te­le­fo­nier­te, schenk­te er Karl­chen nicht mehr 100 Pro­zent sei­ner Auf­merk­sam­keit, und das, ob­wohl er sich noch in sei­nem Kont­roll­be­reich be­fand! Das konn­te Karl­chen nun über­haupt nicht er­tra­gen.

    Hans P. wuss­te sich mit den Holz­schu­hen zu hel­fen. Wie er mir ge­stand, te­le­fo­nier­te er schon seit vier Jah­ren nur noch in Holz­schu­hen.

    Ja, mein Wilm­ers­dor­fer Kol­le­ge hat­te recht: Dies war ein Fall für den Ve­te­ri­när-See­len­klemp­ner. Hans P. und ich be­spra­chen Maß­nah­men, die das Welt­bild von Bon­sai-Ter­mina­tor Karl­chen na­tür­lich ge­hö­rig ver­än­dern wür­den. Aber ich hat­te lei­se Zwei­fel, ob Hans P. wirk­lich ernst­haft Ver­än­de­run­gen woll­te.

    Konn­te er Re­geln auf­stel­len, kla­re Gren­zen set­zen, künf­tig in je­der Le­bens­la­ge als Ers­ter agie­ren? Da­mit Karl­chen sich ent­span­nen und auf ihn re­a­gie­ren konn­te? Mei­ne Zwei­fel ver­stärk­ten sich noch, als er mir, schon beim Ge­hen, an der Tür ein­ge­stand: »Ach, Frau Dok­tor, wenn Sie wüss­ten, wie vie­le Jah­re ich un­ter mei­ner ver­stor­be­nen Frau zu lei­den hat­te … Die war ja so do­mi­nant!«

    Viel mehr konn­te ich hier mo­men­tan nicht aus­rich­ten. Aber wie so oft dach­te ich an die Grün­dung ei­ner Dop­pel­pra­xis: Gleich am Ein­gang soll­ten zwei Schil­der ste­hen. Auf dem ei­nen stün­de ge­druckt: »Die Zweib­ei­ner bit­te rechts den Gang hi­nun­ter, ers­te Tür links zum Kol­le­gen auf die Couch«; auf dem an­de­ren Schild: »Die Vier­bei­ner bit­te links den Gang hi­nun­ter, drit­te Tür rechts zum Aus­gang und mit Frau Dr. Wer­ner in den Wald.«

    Tatze.tif

    Das ge­fähr­li­che Win­ter­vi­rus

    Als mich der Vor­sit­zen­de ei­nes lo­ka­len Schä­fer­hund­ver­eins an­rief, war ich wirk­lich über­rascht. Tra­di­ti­o­nel­le Hun­de­sport­ler ha­ben ei­gent­lich nie Fra­gen, we­der zur Hal­tung noch zum Ver­hal­ten der Tie­re. Sie wis­sen im­mer al­les bes­ser, und es gilt der Satz: »Das ha­ben wir schon im­mer so ge­macht!« Aber in die­sem Fall war der Lei­dens­druck wohl so groß, dass die Ver­eins­mit­glie­der über ih­ren Schat­ten ge­sprun­gen wa­ren. Sie hat­ten sich an die Tier­ärz­te­kam­mer des Lan­des Bran­den­burg ge­wandt, und die­se hat­te mich emp­foh­len. Das er­fuhr ich, als mich der Vor­sit­zen­de des Ver­eins an­rief.

    »Gu­ten Tag, Frau Dr. Wer­ner. Wir sind eine klei­ne Orts­grup­pe hier im Sü­den Bran­den­burgs, fast schon in Sach­sen. Tja, wir ha­ben ein Pro­blem mit un­se­ren Deut­schen Schä­fer­hun­den. Die füh­ren wir schon seit Jah­ren er­folg­reich auf Aus­stel­lun­gen und Prü­fun­gen, und wir ha­ben auch Er­folg ver­spre­chen­de Nach­zuch­ten.«

    Der Stolz in sei­ner Stim­me war nicht zu über­hö­ren: »Na ja, wir sind zwar ein klei­ner Ver­ein, aber man kennt un­se­re Hun­de! Elf Hun­de­füh­rer und zwölf ge­mel­de­te Hun­de sind bei uns im Ver­ein. Wir sind eine klei­ne Trup­pe. Wir ha­ben aber nun den Ver­dacht, dass un­se­re Hun­de im­mer in den Win­ter­mo­na­ten ein ge­fähr­li­ches Vi­rus be­kom­men, das die Tie­re stark schwächt, so­dass sie ei­nen deut­li­chen Leis­tungs­ab­fall zei­gen. Nur zwei von ih­nen las­sen kei­nen Leis­tungs­ab­fall er­ken­nen. Die ge­hö­ren un­se­rem Kas­sen­wart; er führt zwei Rü­den. Wir wun­dern uns alle, dass sei­ne Hun­de bei Prü­fun­gen wei­ter sehr gut ab­schnei­den – aber der Rest schwäch­elt ir­gend­wie …«

    Und nun er­klär­te er mir, wie man auf mich ge­kom­men war: »Un­se­re Tier­ärz­te mei­nen, dass ei­gent­lich al­les in Ord­nung wäre, und dass sich das mal ein Ver­hal­tens­me­di­zi­ner an­schau­en müss­te; am bes­ten ei­ner, der sich im Hun­de­sport aus­kennt. Wir ha­ben lan­ge im Ver­ein be­ra­ten, und wir sind der Mei­nung, dass wir ei­gent­lich al­les rich­tig ma­chen. So, wie wir es eben seit 30 Jah­ren ma­chen. Aber aus­ge­rech­net un­ser Kas­sen­wart hat da­rauf ge­drängt, Sie an­zu­ru­fen. Ein paar un­se­rer Hun­de ja­gen oft ih­ren Schwanz, und das wäre nicht nor­mal, sagt er. Könn­ten Sie sich das mal an­se­hen? Die Ver­eins­mit­glie­der le­gen auch zu­sam­men!«

    Was soll­te das denn sein? Ein an­geb­li­ches Vi­rus, das im Win­ter klei­ne Orts­grup­pen über­fällt? Ein ge­fähr­li­ches Win­ter­vi­rus so­zu­sa­gen? Was war denn da los? Ich hat­te in den letz­ten Jah­ren schon deutsch­land­weit über 600 Hun­de­züch­ter ge­schult – in den Wo­chen­end­se­mi­na­ren ging es um ras­se- und art­ge­rech­te Hun­de­hal­tung so­wie art­ge­rech­tes Hun­de­ver­hal­ten – aber eine klei­ne Orts­grup­pe war in die­ser gan­zen Zeit noch nie an mich he­ran­ge­tre­ten. Wenn über­haupt, dann hat­ten das im­mer die gro­ßen Dach­ver­bän­de über­nom­men. Die­ses Pro­blem im Sü­den Bran­den­burgs klang ir­gend­wie span­nend, an­de­rer­seits war der klei­ne Ort aber auch ver­dammt weit weg … Ich zö­ger­te.

    Mein An­ru­fer be­ton­te, er wis­se ja, wie weit der An­fahrts­weg sei, aber sie hät­ten ge­nü­gend Geld in der Ver­eins­kas­se, um mei­ne Ge­büh­ren und das Ki­lo­me­ter­geld zu be­zah­len. Da­ran sol­le es nicht lie­gen! Nun gut, das be­deu­te­te ei­nen Ta­ges­aus­flug Rich­tung Sach­sen. Ich ver­ein­bar­te ei­nen Mitt­wochs­be­such, denn das war au­ßer sonn­a­bends und sonn­tags der­je­ni­ge Tag, an dem es dort Übungs­zei­ten gab, so­dass ich mir die Hun­de bei der Ar­beit an­se­hen konn­te.

    Vor Ort stell­te ich schnell fest, dass es zwei Frak­ti­o­nen un­ter den Hun­de­sport­lern

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