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Auf Zeit geliebt: Von Tieren und Menschen im Tierschutz
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Auf Zeit geliebt: Von Tieren und Menschen im Tierschutz
eBook335 Seiten4 Stunden

Auf Zeit geliebt: Von Tieren und Menschen im Tierschutz

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Über dieses E-Book

Tierschutz ein gesellschaftliches Thema, das immer wichtiger und brisanter wird.

In dem Buch werden viele Themen rund um die Arbeit von Tierheimen beleuchtet, u.a. die Vermittlung von Tierheim-Tieren, Auslandstierschutz und Arbeitsbedingungen in Tierheimen. In den Erzählungen beschreibt Kirstin Höfer mit ihrem empathischen Blick auf die Dinge, dass Tiere und auch Tierhalter unsere Hilfe brauchen und diese dankbar annehmen. Es geht immer auch um Menschen, zum einen um die Menschen rund um den Tierschutz und deren Beweggründe, zum anderen um Menschen, die in Not geraten sind, sich überschätzt haben oder mit Hilfe von Tierheimen zu "ihrem" Tier gefunden und diesem zu neuer Lebensqualität verholfen haben.

Ihre Erzählungen berühren, fesseln zwischen Weinen und Lachen, sind mit viel Wortwitz geschrieben und spiegeln ihre Liebe zu Mensch und Tier wider.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. Apr. 2023
ISBN9783347944060
Auf Zeit geliebt: Von Tieren und Menschen im Tierschutz
Autor

Kirstin Höfer

Schon als Zwölfjährige jobbte Kirstin Höfer, Jahrgang 1964, bei einem Tierarzt. Später absolvierte sie dort ihre Lehre als Tierarzthelferin. Darauf folgte ein einjähriges Praktikum im Zoo, dem Vivarium Darmstadt. In Darmstadt begann sie dann schließlich ihre Arbeit für den Tierschutz. Sie war lange Jahre Tierheimleiterin in Darmstadt und nun in Koblenz. In beiden Städten war sie maßgeblich an der Konzeption und dem Neubau der Tierheime beteiligt. Seit vierzig Jahren arbeitet sie für den Tierschutz und ist damit eine der dienstältesten Tierheimleiterinnen des Deutschen Tierschutzbund e.V. Darüber hinaus ist Kirstin Höfer bekannt aus Presse, Funk und Fernsehen, wo sie regelmäßig Tiere zur Vermittlung vorstellt und Öffentlichkeitsarbeit für den Tierschutz betreibt. Kirstin Höfer lebt mit ihren vier Hunden in der Nähe von Koblenz. Von derselben Autorin erschien "Chefsachen. Rico, ein Leben als Schattenhund im Tierheim", Verlag tredition 2016.

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    Buchvorschau

    Auf Zeit geliebt - Kirstin Höfer

    Vorwort

    Kann man eine enge Beziehung zu Kühen aufbauen? Können einen Braunbären zu Tränen rühren? Kann man einen Steinmarder lieben? Kann man sich ganz auf das stille Dasein eines Warans einlassen?

    Für mich ist es unabdingbar, sich voll und ganz auf ein Lebewesen einzulassen, wenn man für es verantwortlich ist. Das heißt vor allem, sich völlig zurückzunehmen und sich dem Tier nicht egoistisch zu nähern, um auszuloten, welchen Nutzen man von ihm haben könnte. Bereit zu sein, offen zu sein für die Botschaft, die ein jedes Tier für uns hat, die Magie des Augenblicks zu erleben, wenn Mensch und Tier wirklich miteinander in Verbindung treten. Je fremdartiger das Tier ist, umso spannender kann die Reise sein.

    In meinem Leben und meiner beruflichen Laufbahn hatte ich das große Glück, ganz unterschiedliche Tiere kennenlernen zu dürfen – ihr Wesen, ihre Ausdrucksformen, ihre Kommunikation, ihre Wildheit und Zartheit, ihre Hilflosigkeit, ihren Mut und ihre Wut, aber auch ihren Stolz und ihre Würde.

    Alle Tiere, deren Geschichten ihr in diesem Buch miterleben könnt, waren meine Wegbegleiter. Sie haben mich geprägt und fasziniert, in Verzweiflung, tiefe Reflexion und Sinnkrisen gestürzt, mich aber auch unfassbar glücklich, ernsthafter, mutiger und sensibler gemacht. Dankbarer vor allem. Sie haben mich gelehrt, anders, tiefer zu sehen und mich selbst besser kennenzulernen.

    Hunde sind die Liebe meines Lebens, durch die Begegnungen mit Tausenden Hunden wurde mir immer wieder ein ehrlicher und authentischer Spiegel vor Augen gehalten. Heute kann ich sagen, egal wie viel ich auch gearbeitet habe, wie sehr ich mein Privatleben geopfert habe, die Hunde haben es mir dreifach zurückgegeben.

    Nach Rico ist dies mein zweites Buch und eigentlich das Buch, das ich immer schreiben wollte. Ein Buch, mit dem ich Menschen sensibilisieren möchte für alle Tiere, denen wir begegnen können, z.B. für Stadttauben, die jeder hungernd im Stadtbild kennt. Wir sind ständig umgeben von kleinen Wundern, wundervollen Lebewesen, die unsere Hilfe, unsere Anteilnahme brauchen und die gesehen werden wollen.

    Auf Zeit geliebt heißt das Buch, weil im Tierheim-Alltag Liebe und Abschied Hand in Hand gehen, aber es ist auch ein Buch über Menschen im Tierschutz. Über ihre Verstrickungen und Gefühle, ihren Antrieb und wie sehr in den Tierheimen gekämpft und gelitten wird. Viele Menschen haben mich in meinem beruflichen und auch privaten Alltag begleitet, waren enge Weggefährten und haben sich manchmal im Streit verabschiedet. Aber alle waren wichtig auf meinem Weg, waren Lehrer, deren Lektion ich manchmal erst viel später verstand.

    Mein Rüstzeug für alle Herausforderungen des Lebens waren stets Zuversicht, Humor und ein offenes Herz für all das Schöne, das uns umgibt.

    Dieses zu bewahren, die Natur mit all ihren Tieren, und natürlich auch die Verantwortung für Haustiere möchte ich euch mit diesem Buch ans Herz legen. Hört nie auf, euch dafür einzusetzen, euch stark zu machen für ein Lebewesen, das Hilfe braucht.

    „Was ist der Mensch ohne Tiere? Wären alle Tiere fort, so stürbe der Mensch an großer Einsamkeit des Geistes. Was immer den Tieren passiert, geschieht auch bald den Menschen."

    Häuptling Noah Seattle

    Ich möchte euch mit diesem Buch einladen, Tiere anders wahrzunehmen, sie um ihrer selbst willen zu achten, zu respektieren und das Glück in der Begegnung mit ihnen zu spüren.

    Kirstin Höfer0

    Auf Zeit geliebt

    Der Medicus und der Marder

    Steinmarder – bei diesen Tieren läuft vielen Menschen ein Schauer über Rücken, obgleich kaum jemand einen Marder von Nahem gesehen hat. Geschweige denn eine persönliche Beziehung zu einem gehabt hätte. Besonders Männer sind beim Thema Steinmarder ziemlich humorlos: Steinmarder ist gleich Automarder und somit der Mörder vom besten Freund des Mannes.

    „Wenn ich so einen erwischen würde …", heißt es dann. Tja, erwischen lassen sie sich eben fast nie, die Marder! Auch heute noch wird gerätselt, warum Marder in die Motorblöcke der Autos eindringen und Bremsschläuche zerbeißen.

    Meinen ersten Marder lernte ich vor über zwanzig Jahren kennen. Er wurde uns mit einer blutenden Wunde auf dem Kopf ins Tierheim gebracht. Knopfäugig und ängstlich blickte er mich an. Er war auf einer Tennisanlage gefunden worden und hatte dort zwischen all den Luxuskarossen auf dem Parkplatz für Panik gesorgt. Irgendjemand hatte versucht, ihn mit einem Tennisschläger zu erschlagen. Der ca. sechs Wochen alte Winzling hatte aber überlebt, und die mitleidige Frau des Platzwartes hatte ihn zu uns gebracht. Ich nahm ihn an mich und war sofort und unmittelbar verliebt in das kleine blutende Bündel.

    „Marder stinken", ist auch so eine weit verbreitete Meinung. Dieser kleine Kerl, der aussah wie ein Stoffteddy, roch in der Tat besonders. Marder haben einen starken, süßlichen Wildgeruch. Geschmacksache, aber mir ist dieser Geruch einfach angenehm.

    Ich taufte ihn Urmel und brachte ihn zum Tierarzt. Im Wartezimmer lugte Urmel aus seinem Handtuchnest hervor. Sein kleines Teddygesicht löste unmittelbar Rufe des Entzückens bei den wartenden Hunde- und Katzenbesitzern aus.

    „Wie süß! Ist das ein Kätzchen, ein ganz kleines?"

    „Nein, das ist ein Steinmarder", erwiderte ich.

    Entsetztes Schweigen: „Ein Marder?!"

    Das ganze Wartezimmer musterte mich und Urmel betroffen. Ein Automörder saß da in einem rosa Frotteehandtuch.

    Eine Frau näherte sich vorsichtig: „Darf ich den mal anfassen, oder beißt der?", fragte sie. Ich ließ sie bereitwillig an Urmels Handtuchnest.

    „Er ist noch ein Baby und hat überhaupt keine Zähne", versuchte ich ihr die Angst zu nehmen.

    Urmel krabbelte aus seinem Nest und blickte sich knopfäugig im Wartezimmer um. Kollektives Aufseufzen bei allen anwesenden Frauen: „Ach, ist der süüüß!"

    Der einzige anwesende Mann blickte betreten zur Wand.

    Die dazugehörige Frau mit einem verdrießlich guckenden Rauhaardackel erklärte unaufgefordert: „Letztes Jahr hat ein Marder uns das Auto kaputtgemacht, hat ne Menge gekostet. Mein Mann …, sie deutete neben sich, „hat dann Gift gelegt, und da war er dann hin.

    Nun schauten alle den Mann an, der immer noch intensiv das Zeckenplakat an der Wand musterte.

    „Ich habe fast 500 Mark Schaden gehabt", rechtfertigte er sich mit rotem Gesicht.

    Urmel und ich wurden ins Behandlungszimmer gerufen und konnten die gerade beginnende spannende Diskussion leider nicht mehr verfolgen. Urmels Wunde wurde versorgt. Er hatte Glück, meinte der Tierarzt, selbst ganz verzückt von dem Knopfaugenwesen.

    Vielleicht hat er kein Auto, oder er ist eben ein Tierarzt mit Leib und Seele, schoss es mir durch den Kopf.

    Zu Hause angekommen nahm Urmel die Flasche mit der Katzenmilch hungrig an und schlief dann zufrieden in einem meiner Stiefel ein. Ich richtete ihm eine vorläufige Bleibe im Bad her. Mit weichem Bettchen und einem Katzenklo. Meine Stiefel brauchte ich noch, wer weiß, was er sonst mit ihnen angestellt hätte.

    Am nächsten Morgen kam ich neugierig ins Bad, gespannt, ob Urmel wohl das Katzenklo benutzt hatte. Stumm vor Entsetzen blieb ich in der Tür stehen. Über Nacht musste hier eingebrochen worden sein. Meine Cremes, Shampoos und der ganze Schnickschnack, den frau eben so braucht, lagen auf dem Boden zerstreut. Die Zahnpastatube war zernagt und die Zahnpasta dekorativ über alle Handtücher verteilt. Der Spiegel war verschmiert und blind, da und dort entdeckte ich ein paar winzige Pfotenabdrücke. Im Katzenklo lag, ordentlich verscharrt, ein kleines Häufchen. Von Urmel keine Spur.

    „Urrrmeliii!", rief ich, so wie Mama Wutz aus der Augsburger Puppenkiste.

    Keine Reaktion. Ich suchte unter den nassen, verschmierten Handtüchern, räumte zerbissene Shampooflaschen zur Seite. Kein Urmel weit und breit! Meine anfängliche Wut über das Chaos wandelte sich in heftige Sorge. Es wird ihm doch nichts passiert sein? Er ist doch noch so klein, vielleicht hat mein Farbshampoo ihn das Leben gekostet, und er liegt vergiftet in der Ecke?

    Ich suchte fieberhaft, und ehrlich, mein Bad war damals gar nicht so groß! Da entdeckte ich eine offene Klappe an der Badewannenwand. Die hatte ich zuvor nie wahrgenommenen, und jetzt war da eine Fliese ab. Ich blickte in ein dunkles Loch.

    „Urrrmeliii", rief ich hinein. Da lugte auf einmal ein zahnpastaverschmiertes, kleines Knopfaugengesicht hervor.

    Mit einem Satz war Urmel draußen und hangelte sich in einem Affentempo an meiner Jeans hoch bis auf meine Schulter. Er roch ungewohnt gut nach meinem Shampoo und Zahnpasta und war offensichtlich sehr froh, mich zu sehen. Gerührt wusch ich ihn vorsichtig mit warmem Wasser ab.

    Urmel schäumte äußerlich, aber auch innerlich vor Wut. Ja, dieser süße Marder konnte von einer Minute zur anderen einen heftigen Wutanfall bekommen! Aber mit sechs Wochen haben Marder eben noch kaum ausgeprägte Waffen, so war ich schnell Sieger, und Urmel roch wieder wie ein Marder.

    Urmel ging natürlich – wie meine beiden Hunde auch – täglich mit zur Arbeit ins Tierheim.

    Aus Überzeugung und auch aus Geldmangel fuhr ich damals eine Ente. Ente zu fahren ist lustbetont, und man lernt ständig neue Menschen kennen. Zumindest mit meiner Ente damals, denn dieses Auto hatte die Eigenschaft, immer mal wieder spontan stehenzubleiben. Oder erst gar nicht anzuspringen. Das Überbrückungskabel war, genau wie die beiden Hunde, mein ständiger Begleiter. Ja, und jetzt war eben noch der Urmel dabei.

    Einmal wollte ich meine Eltern im vierzig Kilometer entfernten Viernheim besuchen. Es war schon dunkel, und es regnete heftig. Beim Einfädeln auf einen Autobahnzubringer wurde meine geliebte Ente nicht schneller, sondern langsamer, und ging schließlich am Ende der Spur mit einem Seufzer einfach aus. Auch mein Herz setzte gefühlt aus, meine Mitfahrer, die Hunde Lisa und Purzel sowie Urmel, blieben dagegen völlig ungerührt. Die kleine Warnblinkleuchte funktionierte gottlob noch einwandfrei, und ich stellte mich mit klopfendem Herzen an den Fahrbahnrand und hielt den Daumen raus.

    Damals hatten nur Ärzte und andere wirklich wichtige Menschen ein Mobiltelefon. Vermutlich sah ich jämmerlich aus, dort im Regen in der Dunkelheit, denn sofort hielt ein großer LKW-Truck.

    Der Fahrer beugte sich heraus: „Na, Kleine, wo willste denn hin?"

    „Mein Auto ist kaputt", piepste ich gegen die Autobahngeräusche an.

    „Komm doch erst mal an Bord", brummte der Fahrer gutmütig.

    Ich schob alle Gedanken an Vergewaltigungsszenen von mir und kletterte in den Truck.

    „Also, wohin denn?", fragte der bärtige Typ.

    „Nach Viernheim", japste ich, denn irgendwie war mir doch mulmig zumute.

    „Na, das ist ja nicht mehr weit. Da muss ich auch hin, ich nehme dich mit."

    „Aber…, stammelte ich, „ich hab noch zwei Hunde.

    „Kein Problem, wenn die mich nicht beißen!" Er lachte dröhnend, und mir wurde noch mulmiger.

    „Ich hab aber noch jemanden mit", wandte ich ein.

    „Noch ne Katze?"

    „Nein, einen Marder", sagte ich trotzig.

    „Witz, oder?", fragte der Fahrer, jetzt auf einmal ziemlich humorlos.

    „Kein Witz", erwiderte ich.

    „Du hast im Auto einen Marder, einen Automarder?"

    Ja, dachte ich wütend, ist das nicht witzig?

    „Kannste abhaken, so was kommt mir nicht in den Truck", sagte Mike. Der Name stand auf einem großen Schild an der Frontscheibe.

    „Was mache ich denn jetzt mit dir?"

    Hoffentlich kam ihm nicht noch verspätet die Idee, mich gleich vor Ort zu missbrauchen.

    „Ich kann jemanden anrufen, wenn du willst", meinte er dann wieder nett.

    Echt?, dachte ich, der hat ein Telefon im Truck, wow!

    „Ja, bitte meinen Vater", piepste ich.

    Er wählte, ich stammelte in das für heutige Begriffe riesige Handy und erklärte meinem Vater die Lage und wo ich mich befand.

    Die Tatsache, dass ich abends gegen 21 Uhr bei einem LKW-Fahrer im Truck an der Autobahn saß, bescherte meinem Vater fast eine Schnappatmung. Es war wohl seine persönliche Bestzeit, bis er mit dem Audi hinter dem LKW hielt.

    Ich bedankte mich bei Mike, der dann aber doch einmal Urmel sehen wollte. Er stutzte, als Urmel knopfäugig von meiner Schulter guckte.

    „Mann, der iss aber niedlich!", staunte er.

    Im Auto machte mir mein Vater eine Riesenszene. Warum ich denn auch so ein bescheuertes, unsicheres Auto wie eine Ente fahren müsse, wie ich denn nur so leichtsinnig sein könne, zu einem LKW-Fahrer ins Auto zu steigen, und warum ich eigentlich den Urmel immer dabei hätte.

    Ich merkte an, dass, wenn es Urmel nicht gäbe, Mike mich mitgenommen hätte, und die Wahrscheinlichkeit, dass ich bei Basel abgemurkst in einem Gebüsch gefunden worden wäre, immerhin bei etwa vierzig Prozent läge. Nix gegen Mike, aber wer weiß?

    Das leuchtete meinem Vater irgendwie ein, aber dennoch war ihm Urmels Anwesenheit noch unheimlicher als die Vorstellung von einem Triebtäter.

    Er beschloss, mir ein anderes, neues Auto zu kaufen bzw. vorzufinanzieren. So wurden Lisa, Purzel, Urmel und ich stolze Besitzer eines nagelneuen Golfs, und das Überbrückungskabel durfte fortan nicht mehr mit.

    Ein tolles Gefühl, sich auf sein Auto verlassen zu können! Zuverlässig, aber eben auch langweilig. Mit einer Ente erlebt man einfach mehr!

    Urmel wurde erwachsen und immer wilder. Er hörte besser als ein Hund auf meinen Ruf „Urrrmeliii!". Zerstörte langsam, aber sicher meinen gesamten Hausrat und schlief sich tagsüber im Tierheim in einem großen Gehege aus. Er war zugleich zahm und anhänglich und das ungezähmte Raubtier, das alles zerstörte, was ihm in die Quere kam.

    Er liebte Besuch. Wann immer Freunde von mir da waren, ließ er den Clown raus, schaukelte an der Gardine und sprang mit einem großen Satz meinen Freunden auf die Schulter. Er klaute ihnen das Essen vom Teller, holte den kleinen Ball, den man ihm warf, und kam, wenn er müde war, zu mir auf den Schoß zum Kuscheln. Er sah immer noch zum Knutschen süß aus, und alle waren fasziniert von ihm. Jetzt war er fast fünf Monate alt, und ich machte mir Gedanken über seine Auswilderung.

    Der nette Tierarzt von damals meinte: „Nee, den kannste nicht auswildern, der ist viel zu sehr auf dich geprägt. Wir kastrieren ihn, und dann bleibt er bei dir."

    Hm, ein Leben im Chaos – das würde es heißen, mit Urmel zu leben! Ob er tatsächlich ruhiger würde durch die Kastration? Und war das richtig, ein Wildtier nicht in die Freiheit zu entlassen?

    Der Tierarzt überzeugte mich dann doch von Urmels Kastration. Heute weiß ich, was für ein schrecklicher Fehler das war. Heute weiß ich auch, dass junge Marder nach der Säugezeit in einem Gehege unbedingt Artgenossen brauchen. Es gibt Auswilderungsstationen, die sich darauf spezialisiert haben. Tja, die Zeit, als ich Ente fuhr, neunzehn Jahre alt war und es keine Handys gab, das war auch die Zeit ohne Internet.

    Urmel überstand die OP sehr gut, und ich richtete ihm eine Abstellkammer als sein Zimmer ein. Wie beim richtigen Urmel in der Augsburger Puppenkiste hatte ich als Mama Wutz immer Angst, dass ihm außerhalb seines Zimmers etwas Schlimmes passieren könnte.

    Zuerst ging er mit Leine und Geschirr mit mir und den Hunden im Garten spazieren. Lisa und Purzel hatten den kleinen Kobold schnell akzeptiert und spielten manchmal auch mit ihm. Das Spiel endete jedoch meist sehr schnell, weil meine Hunde angesichts von Urmels Tempo rasch die Lust verloren.

    Nach ein paar Tagen wuselte sich Urmel aus dem Geschirr und verschwand wie der Blitz in einem Gebüsch. Mama Wutz, also ich, rief besorgt: „Urrrmeliii!" Und tatsächlich, da kam er schon wieder angehüpft.

    Ich war völlig fasziniert von ihm. Urmel lebte in zwei verschiedenen Welten: Er war der ungestüme Räuber, den immer wieder sein freies Erbe zu rufen schien, aber auch der kleine kastrierte Kobold, der immer wieder nach Hause wollte. Fortan durfte Urmel frei im Garten herumspringen. Mein besorgter Blick folgte ihm immer noch, wenn er irgendwohin verschwand, aber ich wurde gelassener, denn er kam tatsächlich immer, wenn ich rief.

    Nachts in seiner kleinen Kammer jedoch wurde für uns das Leben zur Qual. Nachtaktiv, wie Marder nun mal sind, war der Raum für Urmel zu klein. Ich hörte ihn rennen und rumoren. Er hatte die Kammer nach seinen Geschmack dekoriert. Es sah ungefähr so aus wie ein Hotelzimmer, das von den Hells Angels auf Speed bewohnt wird.

    Mein damaliger Freund und ich fanden keinen Schlaf, weil Urmel – nun elf Monate alt – randalierte und damit eigentlich nur sein Unglück zum Ausdruck brachte. Frei, frei, ich will frei sein! Das signalisierte er ständig.

    Wir bauten ihm ein großzügiges Gehege im Garten. Meinen Freund trieb vor allem der Schlafmangel an, mich die Sorge wegen Urmels Freiheitsdrang. Das Gehege wurde schön, mit vielen Höhlen und immer erneuerten Attraktionen wie Kartons, Ästen usw. Am meisten hatte Urmel Spaß an Plastikspielzeug. Das ist sie wohl, des Marders Lust an Plastik und Autoschläuchen! So sah sein Gehege aus wie eine Mischung aus Dschungel und Spielzeugladen.

    Aber nach einigen Wochen wurde auch das wirklich große Gehege zu einem Gefängnis. Marder brauchen viel Auslauf, viel Platz … Sie brauchen einfach Freiheit, und Freiheit ist grenzenlos!

    Angesichts des Unglücks meines Marders war ich deprimiert. Oft saß er bei mir und nuckelte an meinem Ohr, das machte er immer noch – eine Flaschenkind-Marotte.

    „Was mache ich nur mit dir?", fragte ich ihn. Er rollte sich ganz eng in meinem Arm zusammen und schlief ein. Völlig zufrieden. Denn gerade hatte er wieder mal meine Bücherwand komplett ausgeräumt.

    Jeden Abend durfte er mit in die Wohnung. Er brauchte ja Gesellschaft – hin- und hergerissen zwischen Haustiersein und dem Wildtierdrang nach Freiheit. Wenn er friedlich und niedlich in meinem Arm schlief, überkam mich eine heiße Liebe zu ihm.

    Nachts brachte ich ihn in das Gehege im Garten. Einmal ging ich um Mitternacht dorthin. Der Mond schien hell, und Urmel lief auf und ab, auf und ab, am Zaun entlang, ruhelos, unglücklich. Die Nacht ruft die Marder. Ich öffnete die Gehegetür, und Urmel verschwand, ohne sich auch nur einmal umzublicken, in die Nacht. Hier könnte die Geschichte mit einem Happy End schließen: Der Marder wurde erfolgreich ausgewildert und lebte glücklich bis ans Ende seiner Tage. Leider war dem nicht so.

    Irgendwann gegen drei Uhr nachts vernahm ich schreckliches Geschrei und Gezeter. Man kennt sie, die Marderprügeleien, die man gelegentlich hört, wenn man spät von einer Party kommt. Ich rannte in den Garten. Im Gehege saß Urmel, zitternd und blutüberströmt. Sofort sprang er mir auf die Schulter, saute mich mit seinem Blut ein und nahm wieder mein Ohr, um sich durch heftiges Nuckeln zu beruhigen. Ich versorgte seine tiefen Wunden – eindeutig von einem anderen Marder – und schloss die Gehegetür. Urmel schlief seufzend auf seinem blauen Teddy ein.

    Der Ruf der Freiheit brachte Probleme: Anscheinend gab es bereits einen Marder, der hier in unserem Garten sein Revier hatte. Marder sind Einzelgänger. Außerhalb der Paarungszeit bekämpfen sie sich, wenn einer in des anderen Revier eindringt.

    Urmel traute sich jetzt auch tagsüber kaum mehr aus dem Gehege, nur wenn ich und die Hunde da waren. Dann lief er zwischen den Hunden, das waren nun seine Bodyguards.

    Ich verfluchte mich dafür, dass ich ihn hatte kastrieren lassen. Als Vollmarder hätte er gegen seinen Gegner eine Chance gehabt und vielleicht unseren Garten als sein Revier einnehmen können. Dann wäre alles gut gewesen. Er hätte beide Seelen in seiner kleinen Brust ausleben können – tags das kuschelsüchtige Haustier und nachts der wilde, freie Marder.

    Aber nix. Urmel war ein ängstlicher Marder geworden! Ein Urmel, das, anders als in der Augsburger Puppenkiste, nicht aus dem Zimmer gehen will, um schöne Sachen zu erleben.

    Eines Abends, als ich mit den Hunden und Urmel im Garten war, spielte er in meiner Nähe mit einem meiner Strümpfe. Plötzlich lief er jedoch auf das Nachbarhaus zu. Dieses fünfstöckige Haus grenzte mit einer schönen, alten, hoch aufragenden Backsteinmauer an unseren Garten. Er kletterte die Mauer ein Stück hoch. Ich beobachtete ihn amüsiert. Ja, mach dich müde, tob dich aus, dachte ich.

    Urmel kletterte immer höher, irgendwie berauscht von seinem eigenen Wagemut. In der Mitte der Mauer wurde es mir unheimlich.

    „Urrrmeliii", rief ich ihn. Da war sie wieder, die besorgte Mama Wutz.

    Urmel drehte sich um und guckte ängstlich nach unten. Ich rief und lockte ihn, nun echt besorgt. Ich merkte, dass er Angst hatte, mit dem Kopf nach unten zurückzuklettern. Um zu springen, war es selbst für einen Marder zu hoch. Urmel zitterte, seine Kraft ließ nach, wie ein nasser Sack hing er da in luftiger Höhe. Jetzt war ich in heller Aufregung, rief nach meinem Freund (der leider nie so schnell und gut hörte wie Urmel) und den Hunden.

    Als mein Freund Urmel da hängen sah, meinte er nur: „Lass mal, der kommt schon wieder runter."

    „Nein, kommt er nicht, heulte ich fast. „Du musst die Feuerwehr rufen! Mit einer Leiter müssen die den retten!

    „Was soll ich denen denn sagen?, meinte er ungerührt, „dass unser Marder an der Backsteinwand hängt?

    „Ja, natürlich!, motzte ich ihn an, „was denn sonst?

    Urmel äugte ängstlich nach unten, und ich heulte jetzt wirklich angesichts der Not meines Marders.

    Plötzlich ging ein Ruck durch Urmel. Er sammelte seine letzten Kräfte, wieselte die ganze Wand hoch und verschwand im Dach des Nachbarhauses.

    „Na also!", meinte mein Freund gähnend und drehte sich um, bereit, in die Wohnung zurückzugehen.

    „Wie – na, also?, keifte ich, „jetzt isser im Dachboden da oben, ganz alleine, wenn dem da was passiert?!

    „Was soll ich denn machen?, gab mein Freund zurück, „da wohnt der Medicus (unser Nachbar hieß wirklich so), soll ich jetzt bei dem klingeln oder was?

    „Ja, mach bitte", piepste ich.

    „Du hast nen Knall, es ist fast 22 Uhr, da klingele ich doch nicht bei den Nachbarn! Der Urmel ist doch da sicher bis morgen."

    Ich ließ mich mühsam beruhigen, und wir gingen schlafen. Ich besorgt, mein Freund, der unsensible Klotz, dagegen völlig gelassen.

    Unser Nachbar, Herr Medicus, hatte seinerzeit einen kleinen Tante-Emma-Laden – Kleinstadtatmosphäre … Als mein Freund und ich hierherzogen, hatte man uns misstrauisch beäugt. Wir kehrten die Straße nicht samstags, sondern dann, wenn wir Zeit hatten. Wir waren nicht verheiratet und gingen nie in die Kirche. Wir sahen nicht nur irgendwie anders aus, sondern waren es wohl auch.

    Herr Medicus betrieb den Laden mit seiner Schwester Gerda, und mit ihr lebte er auch in dem riesigen alten Haus. Werktags trug Hans Medicus einen grauen Hausmeistermantel, seine Schwester großgeblümte Kittelschürzen. Sonntags gingen sie in

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