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Gislip: Frauchen übt noch
Gislip: Frauchen übt noch
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eBook283 Seiten3 Stunden

Gislip: Frauchen übt noch

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Über dieses E-Book

Das Leben der Hündin Gislip beginnt voller Höllenqualen. Sie kommt in einer Welpenfabrik zur Welt und wird an eine Familie verkauft, die keine Ahnung von Hundehaltung hat. Gislip wird missverstanden und geschlagen. Schließlich landet die Hündin im Tierheim. (Gislip nennt das Tierheim "Knast"). Dort begegnet sie der einsamen Elli-Anna. Endlich ein Mensch, der ansatzweise Hundisch spricht. Wenn da nur nicht dieser räudige menschliche Rüde wäre, der Gislips Frauchen wegen Tierquälerei anzeigen will! Und warum muss sich Frauchen ausgerechnet in einen Typen verlieben, der einen kuscheligen Pitbull zum aggressiven Kläffer verzieht?
Gislip deckt viele Irrtümer auf, die zwischen einer Mensch-Hund-Beziehung auftreten können und findet die menschliche Kommunikation schlicht und einfach nur kompliziert.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum24. Sept. 2021
ISBN9783347398177
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    Buchvorschau

    Gislip - Carina Carie

    Kapitel 1

    Ich bin ein Hund. Zutreffen würde zwar eher die Aussage: Ich war ein Hund.

    Jetzt bin ich tot. Das liegt daran, dass ich vor ein paar Tagen gestorben bin. Darum befinde ich mich gegenwärtig in einer dieser Übergangsphasen, in der ich mein eben beendetes Leben analysiere und mich auf die Wiedergeburt vorbereite.

    Selbstverständlich war ich als Hund nicht in der Lage, zu sprechen oder gar zu schreiben. Aber jetzt, da ich mich in einem Zwischendings befinde – die Menschen nennen es den Himmel – sind mir diese Fähigkeiten geschenkt worden. Überhaupt hat sich mir nach meinem Tod eine Welt offenbart, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Plötzlich werden mir Dinge klar, die ich als Hund schlicht und einfach nicht verstanden habe. Auf einmal kapiere ich zum Beispiel, dass der Mensch halt einfach ein Mensch ist, kein Hund. Ein Mensch muss als Mensch behandelt werden! Es gilt, seine Sprache so gut wie möglich zu erlernen oder seine körperlichen Zeichen zu deuten.

    Durch meinen Tod gelangte ich zur Einsicht, dass Menschen nicht verhundlicht werden dürfen! Auf gar keinen Fall!

    Genau aus diesem Grund schreibe ich diese Zeilen nieder. Ich will der Nachwelt eine Botschaft hinterlassen. Mein Ziel ist es, das Leben eines Menschen – sofern er mit einem Hundsgeschöpf zusammenlebt – so angenehm wie möglich zu machen.

    Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, meine Herrchen und Frauchen glücklich zu machen. Wenn es nötig war, beschützte ich sie oder zeigte ihnen ihre Grenzen auf. Gelungen ist mir das aber nur, wenn ich die Gesetze der Natur befolgt habe und die Menschen wirklich habe Menschen sein lassen. Das Schwierige am Menschen ist halt schlichtweg seine Ausstrahlung. Die passt oft nicht zu seinen Lauten, also seinen Worten oder seinen Bewegungen. Ich erkenne jetzt, dass man als Hund in diesem Bereich sehr viel feinfühliger ist. Da spürt man sein Gegenüber schon von Weitem. Ich behaupte, mit dem jacobsonschen Gaumen, mit dem wir Hunde gesegnet sind, können wir die Gefühle sogar riechen. Ich habe vernommen, dass ein humaner Embryo ebenfalls ein solches jacob-sonsches Organ besitzt. Ich frage mich, wieso es sich wieder zurückbildet? Vielleicht liegt es an der Überzüchtung des Menschen? Oder an einem Gendefekt, der durch falsche Züchtung entstanden ist? Nun gut, Intelligenzbestie Mensch wird schon wissen, was sie tut. Immerhin geht es um die Domestizierung seiner eigenen Spezies.

    Etwas möchte ich von Anfang an klarstellen: Ich mag Menschen! Ja, ich würde sogar sagen: Ich liebe sie! Ihr Geruch ist der absolute Wahnsinn, ihre Art zu spielen die hundsmäßige Glückseligkeit. Und dann erst das Essen! Die haben fast immer was Fressbares dabei! Allein schon nur der Gedanke daran lässt mir meinen Sabber im Fang wie einen kleinen Wasserfall zusammenlaufen. (Der Fang ist mein Hundemaul.) Wenn ich also in meiner Geschichte die Menschen manchmal als saumäßig blöd, teuflisch böse, gefühllos brutal, ausgeprägt dominant, gallig aggressiv oder als lästiges Plappermaul beschreibe, dann halt einfach, weil es solche Menschen wirklich gibt. Das bedeutet nicht, dass ich sie alle in die gleiche Schublade stecke! Nein, nein, das mache ich nicht. Ich habe es als Hund nicht getan und auch jetzt nicht, da ich tot bin und mir bei praktisch allem ein Licht aufgegangen ist. Wie gesagt. Ich liebe die Menschen. Die meisten sind nämlich herzallerliebst, putzig schnuckelig, hinreißend süß, richtig gute Freunde, megamäßige Spielkameraden und einige sogar ausdauernde Sportpartner. Wenn man Glück hat, erwischt man einen, der den Part des Rudelführers übernimmt. Einer, der dir klare Grenzen setzt und dich beschäftigt. Einer, bei dem schlicht und einfach alles logisch und klar ist. Ein Mensch, der dich führt.

    Nicht umgekehrt! Die meisten Hunde sind halt einfach nicht zum Rudelführer geeignet.

    Hm, ich denke derzeitig schon wieder ans Fressen. An die feinen Leckerlis, die die Menschen aus ihrem Fell hervorzaubern können … ich werde allein bei diesem Gedanken ganz zappelig. Oh du lieber Gott aller Hunde, wenn’s ums Essen oder Spielen geht, krieg ich meine Nervosität nicht in den Griff! Selbst jetzt nicht, da ich doch tot bin! Ach, wenn doch nur mein letztes Frauchen bei mir wäre. Die wüsste jetzt, wie sie mich wieder beruhigen könnte!

    Übrigens vermute ich, dass mein letztes Frauchen mir genau wegen meines Hangs zur Aufgeregtheit den wohlklingenden Namen „Gislip gegeben hat. Das ist ein verdeutschtes Wortspiel mit dänischem Ursprung: „At give slip heißt auf Dänisch so was wie: „Komm zur Ruhe oder „Beruhige dich. Aussprechen tut man’s „Gislip".

    Das hier soll ein Buch werden, eine Art Ratgeber, für all die Hunde da draußen auf der Welt. Ich weiß, kein Hund der Welt kann lesen! Aber ich erhoffe mir viel vom Brillantkopf Mensch.

    Wer weiß, vielleicht lesen ein paar dieser Zweibeiner sogar meine Zeilen? Vielleicht wird ihnen dann auch vieles klar? Genau wie mir vor ein paar Tagen, als meine Seele meinen fleischlichen, reinrassigen Körper verlassen hat.

    Kapitel 2

    Mein erster Atemzug war etwas röchelig und tat ein ganz kleinwenig weh. Aber das legte sich schnell. Ich sah nichts, war taub, roch fast nichts und war ein typischer Kreiskriecher. Aber ich war fähig, die bedingungslose Liebe meiner Mutter zu spüren. Ich genoss ihre Wärme, ihre weiche Zunge, die mich leckte und mir ihre ganze Liebe schenkte. Wow, das war ein herrliches Gefühl. Für diesen intimen Moment bin ich meiner Mutter noch heute dankbar. Leider dauerte diese kuschelige Zweisamkeit – Siebensamkeit, denn ich hatte noch fünf Geschwister – viel zu kurz, knappe drei Wochen nur. Dann folgte meine erste Begegnung mit einem Menschen. Das war dann allerdings alles andere als schön. Total unhundlich! Zudem geschah es vollkommen unerwartet: Mein Gehör hatte sich schon sehr gut entwickelt. Ebenso meine Fähigkeit zu sehen. Vom Geruchssinn will ich gar nicht sprechen … da hat so extrem viel auf mich eingewirkt, das war überwältigend. Ich machte auch schon erste Ausflüge von Mutter weg … so zwei, drei Zentimeter vielleicht. Für mehr fehlten mir der Mut und die Wärme. Außerdem hatte ich immer Hunger und musste mir eine Zitze von Mutter mit allen Vieren gegen meine Geschwister verteidigen. Außerdem ist es mir erst jetzt bewusst, da ich tot bin, dass ich gar nicht viel weiter weg von Mutter hätte spazieren können. Der Käfig war nämlich nicht größer! Und da auch meine Geschwister an Gewicht und Größe zulegten, wurde unser Zuhause von Tag zu Tag kleiner. Mir war damals nicht bewusst, dass ich in einer Wel-pen-Fabrik zur Welt gekommen war.

    Welpen-Fabriken sind das Allerletzte!

    Sie sollten verboten werden!

    Meine Mutter war schon ihr ganzes Leben in diesem klitzekleinen, armseligen Käfig eingesperrt. An ihrem linken Ohr klaffte eine eitrig offene Wunde. Sie muss wahnsinnige Schmerzen gehabt haben. Ihre Hinterläufe waren nur kleine Stummel. Es war nicht genügend Platz vorhanden, damit sie sich hätten entwickeln können.

    Mutter konnte ihren Käfig während ihres ganzen Lebens nur viermal verlassen. Man musste sie jeweils tragen, weil sie das Gehen nie gelernt hatte. Zu solch besonderen Ausflügen kam es immer dann, wenn man ihr ihre Jungen weggenommen hatte – notabene viel zu früh – und sie bei nächster Gelegenheit gleich wieder der Paarung zuführte. Sie war nur da, um Welpen zu produzieren. Sie war da, um den Menschen Profit zu bringen. Als Gegenleistung behandelte man sie wie den letzten Dreck. Um die eitrige Wucherung am Ohr kümmerte sich kein Mensch. Die Verletzung war nicht hinderlich, wenn’s darum ging, so viele Junge wie möglich in die Welt zu setzen. Aber sie ließ uns ihre Qual niemals spüren. Ihre Liebe war grenzenlos, absolut, ich wage sogar zu sagen: schlicht und einfach hundisch.

    An einem dieser unglückseligen Tage war es brennend heiß. Die Sonne ätzte gnadenlos auf uns herunter. Da Hunde nicht schwitzen können, sehnte ich mich nach einem Schattenplätzchen. Mutter schützte uns, so gut wie möglich, vor dem Austrocknen, aber auch sie musste aufpassen, sich nicht allzu sehr zu überhitzen. Wasser war Mangelware. Mutter war von Tag zu Tag schwächer geworden. Die Zitzen gaben auch nicht mehr wirklich viel her.

    Meine Geschwister und ich waren fast am Verhungern und Verdursten. Mutter kämpfte für uns. Aber sie hatte keine Chance. Sie war zu schwach, der Platz war zu klein und der Käfigboden nur ein fäkalienbesetzter Drecksplatz. Mutter hatte keine Kraft mehr, unser Zuhause rein zu halten.

    Plötzlich kam dann eben einer dieser Menschen an unseren Käfig und riss mich von Mutters Zitze weg. Der Mensch bestand damals für mich aus einer riesigen Pfote mit abgewetzten Krallen.

    Der Geruch war anfangs sehr interessant. Die Art und Weise, wie mich die Klaue packte, ließ mich diesen Geruch jedoch mit etwas sehr Negativem verknüpfen. Die menschliche Pfote behandelte mich sehr grob. Es tat extrem weh. Sie warf mich rücksichtslos in ein gelbes Gefäß. Ich landete zum Glück auf was Weichem, sonst hätte ich mir bestimmt was gebrochen. Es stank zum Würgen nach dem süßfauligen Geruch des Todes. Keine Ahnung, woher ich damals wusste, dass dies der Gestank des Todes war. Instinkt vermutlich? Vielleicht war es aber auch nur die Tatsache, dass im selben gelben Plastik-Eimer noch ein paar andere Welpen lagen. Aber keines bewegte sich, keines wisperte oder strahlte die Energie des Lebens aus. Sie waren alle tot. Vor Schreck gab ich einen verängstigten Beller ab. „He, du dummer Mensch! Ich lebe noch!"

    „Leg mich gefälligst wieder zu meiner Mutter zurück! "

    Das war mein erster Befehl, den ich einem Menschen gegeben habe. Ich war hundsgottenfroh, dass er ihn befolgte. Er steckte seine haarige, schmutzige und angsteinflößende Pranke wieder in den Eimer, hob mich raus und warf mich unsanft in einen anderen Eimer. Diesmal war es ein Grüner. (Damals wusste ich natürlich nicht, dass der Eimer grün war, da Hunde ja rot-grün-blind sind, aber ich bin ja jetzt tot und kann es darum genau berichten.) Ich war erleichtert, hier roch es nach Leben. Aber auch nach Angst und Panik. Ich erkannte zwei meiner Geschwister am Geruch und noch drei andere mir fremde Welpen.

    Was dann folgte, war die Hölle.

    Kapitel 3

    Macht nicht den Fehler und behandelt eure Hunde wie Menschen,

    sonst behandeln sie euch wie Hunde. - Martha Scott

    Die stinkende Pranke warf mich vom grünen in einen grauen Bottich. Der Trog war zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Es war kein richtiges Wasser, so, wie ich es bisher kannte. Als die Pranke es an mir rieb, schäumte es schneeweiß. Und es roch nach Lavendel, was mich etwas beruhigte. Nach Vanille, was mich aufmerksam bleiben ließ und nach Mensch, weil der brutale Typ seine Pranke andauernd im Wasser hatte und mich wusch. Einmal ließ er aus seiner Klaue binnen weniger Sekunden Stacheln wachsen und schrubbte mich damit ab. Zu Beginn jaulte ich vor Angst auf, ein paar Augenblicke später aus Schmerz. Ich habe ja nichts gegen Körperpflege, aber die war so was von unhundlich! Mein Gehirn speicherte die beiden Gerüche Lavendel und Vanille dann sofort als „angst- und schmerzbringend ab. Die Pranke musste ich nicht mehr abspeichern. Wie mein letztes Frauchen zu sagen pflegte: „Die war schon mehrmals verbucht, dokumentiert, erfasst, aufgezeichnet, notiert, registriert und mit mehreren Backups verdatet.

    Irgendwann beendete die Pranke ihr Tun und warf mich zu den anderen Welpen in einen Kasten auf Rädern. Ich war komplett durchnässt. „Pfludinass", pflegte mein letztes Frauchen zu sagen. Schnell kuschelten wir Welpen uns aneinander, wärmten uns und leckten unsere fleischlich und seelischen Wunden. Ich vermisste Mutter. Ich hätte heulen können. Ich glaube, das habe ich dann auch getan.

    Danach bebte die Erde gleich mehrere Stunden lang. Heute weiß ich: Es war einfach nur eine lange Autofahrt. Schließlich schlief ich ein. Ich träumte grad wunderschön von Mutter und ihrer leckeren Milch, als mich eine Menschenhand grob am Schwanz packte. Mir blieb fast die Luft weg vor Schreck. Diesmal war es nicht die stinkende Pranke, das erkannte ich sofort. Dieser Mensch hatte eine griesgrämige Ausstrahlung. Aber wenigstens tat er mir nicht weh. Zumindest nicht so fest wie die Pranke.

    * * *

    Ich saß im Schaufenster einer Tierhandlung. Die Schlafeinheiten waren kurz und die Essensrationen mickrig. Neuerdings konnte ich mir mein Essen nicht mehr gemütlich aus Mutters Zitze saugen, sondern musste es mir aus einem ekelhaft nach Blausäure riechenden Behälter schnappen. Das Licht in meinem neuen Zuhause war extrem grell und überhaupt nicht natürlich. Total unhundlich! Es machte mich mehr müde, als dass es mich wärmte. Die Vitrine war zudem in mehrere Zellen unterteilt und entsprechend eng, wie der Pferch in der Welpen-Fabrik.

    Ich teilte, zusammen mit fünf anderen Welpen (davon waren zwei meine Geschwister), eines der kahlen Abteile. Gleich neben uns wurde eine komische Rasse ausgestellt. Ihre Laute hörten sich anders an als unsere und auch die Körpersprache ließ mich stutzen. Später erfuhr ich, dass es sich um junge Katzenviecher gehandelt hatte. Gut, waren unsere Abteile zur Seite hin mit Maschendraht abgetrennt. Ich hätte diese hochnäsigen Dinger nämlich echt jagen können. Allein schon nur ihrer arroganten Blicke wegen. Und dann erst dieses Geknurre! Die waren auf Dauerbetrieb eingestellt! Nirgends gab es einen Knopf zum Abstellen! Und das, obwohl ich sie konsequent ignorierte. Ich versuchte es zumindest. Manchmal knurrte ich zurück. Aber so lange wie die konnte ich keine Minute brummen. Noch schlimmer waren die Kreaturen im übernächsten Käfig. Die hatten überlange Ohren und ihre Fangpartie bewegte sich andauern vor und zurück, als ob sie hypernervös auf einem Kaugummi rumbeißen würden. Das wäre alles kein Problem gewesen, aber die piepsten und gurrten dabei wie junge und von Angst geplagte Hasen. Das lag vermutlich daran, dass es junge und von angst erfüllte Hasen waren.

    Nebst all der Aufregung, die die Biester bei mir verursachten, taten sie mir irgendwie auch leid. Vielleicht, weil ich mich in ihnen widerspiegelte? Ich war auch jung. Ich hatte auch Angst. Vermutlich wussten diese Geschöpfe genauso wenig wie ich, was mit ihnen da gerade abging. Ob sie auch in einer solch unhundlichen Fabrik zur Welt gekommen waren wie ich?

    Eines muss ich allerdings aus Gründen der Fairness erwähnen. Es gab mehrere Unterschiede zur Welpen-Fabrik: Der Boden bestand nicht nur aus löchrigen Wellblechplatten, sondern aus einem rutschig glatten, glänzenden Steinboden. Der Stein roch nicht natürlich. Aber was roch schon natürlich, wenn man mit den Menschen zu tun hatte. Zudem hatten wir in dieser Tierhandlung genügend Wasser und waren nicht der brütend heissen Sonne ausgesetzt.

    Und es wurde jeden Tag mehrmals sauber gemacht.

    Es war der Mensch mit der mürrischen Ausstrahlung, der unsere Exkremente regelmäßig wegwischte. Ein Männchen. Leider kann ich euch nicht sagen, welcher Rasse er angehörte. Ich glaube, es war ein Mischling, im Hauptstamm Saubermach-Mensch. Mit seinem Fell stimmte etwas nicht. Irgendwie war es verrutscht. Der Schädel war total haarlos und glänzte (Humanis schwitzen überall am Körper). Dafür war um seine Schnauze ein dichter Wald von viel zu kurzen Barthaaren. Sein Geruch war unbedeutend für mich. Ich will damit nicht sagen, dass da kein Ausdruck in seinem Aroma war … er roch nicht übel, aber auch nicht sonderlich gut. Sein Ausdruck war auch jedes Mal gleich. Irgendwie langweilig. Genauso verhielt er sich. Ich glaube, es machte ihm keinen Spaß, unsere Ausscheidungen zu entfernen. Und wenn er uns fütterte, passierte das sehr salopp und lieblos.

    Irgendwie färbte seine miese Stimmung auf mich ab. Also ignorierte ich ihn. Ich würdigte ihn keines Blickes.

    Immer, wenn er vorbeikam, gab er denselben Laut von sich: „So-kauft-dich-nie-jemand". Ich kann noch heute nicht sagen, ob es ein Winseln oder doch eher ein Bellen war.

    Inzwischen weiß ich, dass ich in einer Art Ausstellungsgehege untergebracht war, in der ich mich von meiner besten Seite hätte zeigen sollen. Ich war dort, damit ich einen Menschen adoptieren konnte! Oh du mein lieber Hundegott. Das hätte mir doch jemand sagen sollen! Das war eine Riesenchance! Dann hätte ich mir mehr Mühe gegeben, hätte mich von meiner besten Seite gezeigt und hätte dann mein Herrchen selbst erwählen können! So war ich gezwungen, mich mit dem Rest zu begnügen! Ich und meine blöde Ignoriererei!

    Apropos Ignorieren: Ich ignorierte sämtliche Menschen, die an unseren Schaufenstern vorbeischritten, stehen blieben, an die Scheiben klopften und komische Laute von sich gaben. Das nervte. Das nervte sogar so stark, dass ich am liebsten zugebissen und die Störenfriede in die Schranken gewiesen hätte.

    „Oh-die-sind-süß!", hörte ich sie fast alle sagen. Die meisten sprachen mit hoher Stimme, zu laut, zu aufgeregt und ausnahmslos alle viel zu schrill. Ohrenbetäubend. Es war beinahe unmöglich, diese markerschütternden Töne zu ignorieren. Da überlegte ich mir doch glatt, ob das Mensch-Männchen, das unsere Hinterlassenschaften wegputzte, nicht doch etwas Aufmerksamkeit verdient hätte. Er hatte zwar einen langweilig-mürrischen Ausdruck, trotzdem tat er immer schön brav seine Arbeit.

    Irgendwann blieb ein menschlicher Welpe vor dem Schaufenster stehen und drückte seine Nase platt. Er starrte mich mit offenem Mund an. Und wenn ich sage „starren", dann meine ich STARREN! Das kam für mich voll dominant rüber, beinahe schon aggressiv. Ich kannte ihn ja nicht, diesen menschlichen Welpen! Und riechen konnte ich ihn durch die Glasscheibe hindurch auch nicht … was eventuell daran lag, dass mein Bruder gerade eben gefurzt hatte. Er war zur Scheibe vorgestürmt, klebte mit seiner Nase fast gleich platt dort wie das Menschenjunge und wollte dem auch immer Pfötchen geben. Dabei entließ er eine herrlich saure Duftwolke. Vielleicht roch ich aber auch nichts wegen des Gestanks der Katzenviecher im Nebenkäfig. Wenigstens schliefen sie zu diesem besagten Zeitpunkt und knurrten nicht wie die Rotoren einer Propellermaschine.

    Der Reiniger-Mensch mit dem kahlen Schweißschädel holte danach alle meine Mitwelpen und Geschwister aus dem Käfig.

    Einen nach dem anderen. Nur ich blieb zurück. Da der kleine Menschenwelpe mit der plattgedrückten Nase immer noch an der Scheibe klebte und mich anstarrte, starrte ich zurück. Ich wurde echt grantig. Der Drang, den Starrer zurechtzuweisen, wurde beinahe unbeherrschbar. Ich knurrte. Er starrte weiter. Ich knurrte nochmals, diesmal etwas lauter. Er starrte. Ich stand auf und machte mich größer, um etwas mehr Eindruck auf den Kleinen zu machen. Er starrte. Meine Nackenhaare sträubten sich und die Ohren hob ich so weit nach oben wie möglich. Er starrte. Meine Rute richtete sich starr nach oben und machte mich mindestens doppelt so groß, als ich wirklich war. Er starrte. Ich knurrte erneut. Er starrte. Dann konnte ich nicht mehr anders: Ich spurtete ich los. Meine kleinen Beinchen wurden zu angriffslustigen Panzertatzen und in meinem süßen Welpengesicht fletschten sich automatisch die weichen, aber spitzen, Zähnchen. Er starrte immer noch! Ich wollte ihn beißen! Er starrte. Ich öffnete meine Schnauze … dann spürte ich einen heftigen Schlag am Kopf. Der Schmerz war im Stirnbereich. Ich glaube, das lag an der Vitrinenscheibe, die zwischen mir und meinem Angriffsziel lag. Mir wurde schwarz vor Augen. Sendepause.

    Kapitel 4

    Als ich wieder aufwachte, lag ich in den Armen eines Menschen. Es war der Welpe mit der plattgedrückten Nase, die ich kurz zuvor beißen wollte. Ein Weibchen.

    Sie gab dauerhaft Laut, plauderte also ununterbrochen mit mir, starrte mich an und kraulte mir ständig über den Kopf. Ich musste jedes Mal meine Augen schließen, damit ihre kleinen, feinen, weichen, zarten Tatzen mir nicht wehtun konnten. Außerdem war genau dort, wo sie mich immer betatschte, eine Riesenbeule gewachsen – also, es fühlte sich an wie eine Riesenbeule – vermutlich klebte immer noch etwas Schaufenster an meiner Stirn. Das kleine Weibchen hörte einfach nicht auf, mir wehzutun. Sie tat es bestimmt nicht absichtlich, denn sie strahlte Freude aus. Aber auch extreme Aufregung. Und Aufregung geht gar nicht. Also knurrte ich zur Warnung. Ich kannte das von mir. Wenn ich aufgeregt war, konnte ich nicht mehr richtig denken. Da war ich jedes Mal froh, wenn mich Mutter zurechtwies. Also dachte ich, ich mache das mit dem Mädchen auch. Ich knurrte nochmals und meine Augen sprachen eine eindeutige Sprache. Ich wusste ja damals noch nicht, dass die Menschen kein Hundisch verstehen. Ich knurrte nochmals. Natürlich wusste ich noch genau, dass ich mich bei meinem letzten Angriff selbst an der Glasscheibe mattgesetzt hatte. Aber diesmal war kein Glas zwischen mir und dem Welpenmädchen. Nichts würde mich aufhalten können. Ich wollte sie an einer ihrer Pfoten packen und zubeißen. Mein Instinkt sagte mir, sie am Hals zu kneifen. Aber die Tatze war näher. Das musste fürs Erste reichen.

    Doch plötzlich wurde mir hundeelend. Oh du

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