Dunkler Schatten auf weißer Weste
Von Thomas West
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Über dieses E-Book
Dunkle Schatten auf weißer Weste
Krimi von Thomas West
Der Umfang dieses Buchs entspricht 126 Taschenbuchseiten.
Caren Sinnwell, Gerichtsmedizinerin beim FBI, soll als Belastungszeugin gegen Curd Washbone aussagen, der wegen Frauenhandels und Zuhälterei angeklagt ist. Bevor sie ihre Aussage machen kann, wird sie brutal ermordet. Kurz darauf wird ein Callgirl getötet, das während des Studiums mit Caren Sinnwell befreundet war. Die G-Men Jesse Trevellian und Milo Tucker ermitteln im Umfeld der beiden Frauen und stoßen auf einem mysteriösen Unbekannten, der seinerzeit den Callgirl-Ring leitete. Offensichtlich will jemand seine Vergangenheit bereinigen – und nun schwebt Melanie Roosford, die Dritte im Bunde der ehemaligen Edelhuren, in Lebensgefahr ...
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Dunkler Schatten auf weißer Weste - Thomas West
Dunkle Schatten auf weißer Weste
Krimi von Thomas West
Der Umfang dieses Buchs entspricht 126 Taschenbuchseiten.
Caren Sinnwell, Gerichtsmedizinerin beim FBI, soll als Belastungszeugin gegen Curd Washbone aussagen, der wegen Frauenhandels und Zuhälterei angeklagt ist. Bevor sie ihre Aussage machen kann, wird sie brutal ermordet. Kurz darauf wird ein Callgirl getötet, das während des Studiums mit Caren Sinnwell befreundet war. Die G-Men Jesse Trevellian und Milo Tucker ermitteln im Umfeld der beiden Frauen und stoßen auf einem mysteriösen Unbekannten, der seinerzeit den Callgirl-Ring leitete. Offensichtlich will jemand seine Vergangenheit bereinigen – und nun schwebt Melanie Roosford, die Dritte im Bunde der ehemaligen Edelhuren, in Lebensgefahr ...
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
© by Author
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
1
Die Aufzugtür schob sich langsam auseinander. Mit einem guten Dutzend anderer Fluggäste der Mittagsmaschine aus New York City mischte sich Caren Sinnwell unter die vielen Menschen in der Flughalle des Washington National Airports. Es war einen Tag nach ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag.
Sie holte ihr Gepäck ab, kaufte sich die >Washington Post< und eine Tüte Lakritze. Die Vorliebe für Lakritze hatte sie seit ihrer Kindheit nicht aufgegeben, und die meisten ihrer Freunde und Kollegen schüttelten sich, wenn Caren in die obligatorische Tüte griff. Selbst während der alltäglichen Obduktionen kaute sie manchmal dieses schwarze Zeug.
Sie hatte ihren Geburtstag gestern bewusst als Tag der statistischen Lebensmitte gefeiert. Die zweite Hälfte des Sandes in einem Stundenglas verrinnt immer schneller, als die erste
, hatte sie kurz nach Mitternacht zu Dan, ihrem Mann, gesagt. Da waren die Partygäste schon gegangen, und sie hatten sich über die letzte Flasche Wein hergemacht.
Der baumlange, schwarze Kerl - >Afroamerikaner< pflegte Caren solche Leute zu nennen - der in einer der zahllosen Telefonzellen der Flughalle stand und so tat, als würde er telefonieren, wusste davon nichts. Nach seiner Überzeugung - und er betrachtete das von einem streng beruflichen Gesichtspunkt aus - war Carens Lebensmitte längst überschritten. Seit mehr als siebzehn Jahren. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie heute noch sterben würde.
Caren kannte den Mann nicht. Und sie beachtete ihn auch nicht weiter, als sie zwei Zellen links von ihm den Hörer abnahm und ihre Nummer in Brooklyn wählte. Hallo, Darling, seufzte sie,
ich bin heil angekommen".
Böse Zungen sagten ihr nach, sie würde sich für fremde Menschen nur interessieren, wenn sie beruflich dazu gezwungen war. Manche drückten es auch drastischer aus: Wenn die fremden Menschen erwürgt, erschossen oder erstochen vor ihr auf dem Seziertisch lagen.
Dann viel Erfolg bei deinem Vortrag
, rief Dan ins Telefon, ruf' mich an, wenn du es geschafft hast.
Okay, denk an mich.
Caren hängte den Hörer auf und verließ die Flughalle. Der Blick des schwarzen Mannes heftete sich an ihr dunkelblaues Kostüm. Aber auch das bemerkte sie nicht. Wenn sie sich etwas gründlicher umgeschaut hätte, wenn sie im Laufe ihres Lebens auch nur eine Spur jener Antennen hätte entwickeln müssen, die einem Menschen drohende Gefahren signalisieren, noch bevor sie seine fünf Sinne erreichen - vielleicht wäre die obere Hälfte ihres Stundenglases an diesem Dienstag noch genauso voll gewesen, wie die untere. So aber drängten sich eben die letzten Sandkörner zur dünnen Spindel zwischen den beiden Glashälften hin.
Der große Schwarze - während er Caren nicht aus den Augen ließ, wählte er jetzt tatsächlich eine Nummer - hatte solche Antennen entwickeln müssen. Er war in Harlem groß geworden und konnte sich an fast keinen Tag seiner Kindheit und Jugend erinnern, an dem er sich nicht mit irgendjemandem geprügelt hätte. Oder an dem er nicht vor irgendjemandem weggelaufen wäre.
Caren dagegen war in einem Brooklyner Vorort aufgewachsen. Mit Walt-Disney-Figuren und einem Privatspielplatz im Garten ihres Elternhauses, mit einem liebenswürdigen Golden Retriever und drei älteren Brüdern, die sie mit Lakritze versorgten und sogar bemüht waren, die Mücken totzuschlagen, bevor sie ihre kleine Schwester stechen konnten.
Caren steuerte ein Taxi an und drückte dem Fahrer ihr Gepäck in die Hand. Sie ließ sich in den Fond des Cabbies fallen. Jefferson-Hotel
, antwortete sie auf den fragenden Blick des Chauffeurs.
Die Aufregung kribbelte wie eine Schar Ameisen in ihrem Bauch, als sie den Namen des Hotels aussprach. Ihr erster Vortrag! Nach fünf Jahren beim FBI war man endlich auf ihre polizeiärztlichen Kompetenzen aufmerksam geworden!
Caren war überzeugt davon, dass sie erst am Anfang ihrer Karriere stand. Diese fast naive Zuversicht hatte sie durch ihr ganzes Leben begleitet und zusammen mit ihren Brüdern dafür gesorgt, dass ihr Leben bis zu diesem Tag wie eine gleichmäßig ansteigende Kurve verlaufen war. Abgesehen von den beiden Jahren in Boston. Aber das war lange her. Und wenn die Staatsanwaltschaft sie nicht gebeten hätte, in diesem unangenehmen Prozess aussagen, würde sie überhaupt nicht mehr an dieses Intermezzo damals in den achtziger Jahren denken ...
Sie schob den Gedanken an den Gerichtstermin beiseite, der ihr am Donnerstag bevorstand, und angelte das Konzept für ihr Referat aus der Aktenmappe.
Der Lange in der Telefonzelle sagte nur einen Satz in die Sprechmuschel. Dann hängte er auf. Er folgte ihr nicht. Jedenfalls jetzt noch nicht. Er wusste wo Caren Sinnwell hinfahren würde: Zu einem Hotel in der Nähe des FBI-Hauptquartiers, wo sich Gerichtsmediziner aus fast allen Bundesstaaten zu einer Tagung trafen. Sogar das Thema kannte er: >Tatverschleierungen durch postmortale Verletzungen<.
Es gehörte zu seinem Job zu wissen, wo Leute hingingen und was Leute machten, deren Uhr ablief. Und es gehörte zu seinem Job, dafür zu sorgen, dass die Uhr dieser Leute ablief. Dass das Thema der Tagung, zu der Caren unterwegs war, ebenfalls mit seinem Job zu tun hatte, war eher Zufall.
2
Der glatzköpfige Mann , der etwa fünfzig Meter von mir entfernt hinter den Fenstern der U-Bahn mit einer Uzi herumfuchtelte, war kein Terrorist. Die Boulevardpresse und einige TV-Sender hatten das Gerücht unter die Leute gebracht. Er war weiter nichts als ein Wahnsinniger.
Das wussten wir nicht erst seit den Morgenstunden, als er einem vollständig gelähmten Rollstuhlfahrer eine Handgranate auf den Schoß gelegt und den Wagen mit dem hilflosen Mann aus der U-Bahn gestoßen hatte. Gestern Nachmittag hatten wir die Identität des angeblichen Terroristen klären können: Er hieß Ron Chambler und war vor zwei Wochen aus einer geschlossenen Anstalt in Albany ausgebrochen. Ein Bombenanschlag auf ein Bistro in SoHo mit drei Toten und sechs Verletzten ging auf sein Konto.
Noch als der Stuhl über den Bahnsteig auf unsere Deckung neben dem Lift zugerollt war, hatten wir angenommen, der Psychopath hätte soeben seine erste Geisel freigelassen. Einer unserer Leute war plötzlich hinter einer Säule hervorgesprungen und auf den Rollstuhl zugerannt - er hatte die Granate entdeckt. Die Explosion hatte den Stuhl umgeworfen, und jetzt lagen beide Männer regungslos auf dem Bahnsteig. Etwa fünfzehn Schritte von der U-Bahn entfernt. Wir hatten sie noch nicht bergen können. Chambler schoss auf jeden, der sich aus der Deckung wagte.
Hören Sie, Chambler - wir wollen die Verletzten bergen - weiter nichts!
Das war Clives Stimme. Er kauerte mit einigen anderen Männern neben der Rolltreppe, etwa hundert Meter vom Lift entfernt, neben dem Orry und ich lagen, und hielt ein Megaphon vor den Mund. Lassen Sie zwei Sanitäter auf den Bahnsteig.
Ich sah wie Chambler sich im Inneren der Bahn auf die Spitze des Zuges zubewegte. Offenbar wollte er zur Fahrerkabine, um das Funkgerät der U-Bahn zu benutzen. Dann gellte höhnisches Gelächter in den Ohrknöpfen unserer Walkie-Talkies - das Gelächter eines Psychopathen. Wir konnten den Funkverkehr zwischen Clive, der den Einsatz leitete, und dem Geiselnehmer mithören.
Ich bin der Rächer Jehovas!
, schrie Chambler. Schaltet den Strom ein, damit der verdammte Zug sich endlich bewegt, dann kommt ihr an die Leichen ran!
Die Metropolitan Transportation Authority hatte der U-Bahn den Saft abgedreht. Wir wussten, dass der Mann nach Bowling Green, der Metrostation am Battery Park wollte. Was er dort vorhatte, hielt er bisher in den Windungen seines kranken Hirns verborgen.
Orry stieß mich mit dem Ellenbogen an und wies mit dem Kopf auf den dunklen Schacht, der hinter dem Zugende gähnte. Über dem Rand der Bahnsteigkante sah ich eine Bewegung. Das konnten nur Milo, Leslie und Jay sein - sie hatten den Auftrag, sich von der nächsten U-Bahn-Station aus über die Gleise an den Zug heranzuschleichen. Jetzt kam alles darauf an, dass Clive den Wahnsinnigen ablenkte.
Was fordern Sie, Chambler?
Clive benutzte jetzt ebenfalls das Funkgerät. Wir sind bereit, Ihnen entgegenzukommen!
Ich brauche euer Entgegenkommen nicht! Jehova ist mit mir!
Auch wir sind Werkzeuge Jehovas!
, antwortete Clive. Das wissen Sie doch. Sagen Sie uns, was wir im Namen Jehovas tun sollen!
Ich kam mir vor wie in einem schlechten Horrorfilm.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Chambler reagierte. Clives Bekenntnis schien ihn aus dem Konzept zu bringen. Sein Schatten hinter dem Fenster der Fahrerkabine blieb für einen Moment regungslos. Dann sah ich, wie er die linke Hand mit dem Mikrofon zum Mund führte. In der Rechten hielt